Oben – Mitte – Unten, Zur Vermessung Der Gesellschaft
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Oben – Mitte – Unten Oben – Mitte – Unten Zur Vermessung der Gesellschaft Band 1576 Oben – Mitte – Unten Schriftenreihe Band 1576 Oben – Mitte – Unten Zur Vermessung der Gesellschaft Bonn 2015 © Bundeszentrale für politische Bildung Adenauerallee 86, 53113 Bonn Redaktion APuZ: Anne-Sophie Friedel, Barbara Kamutzki, Johannes Piepenbrink, Anne Seibring (verantwortlich für diese Edition) Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politi- sche Bildung dar. Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autorinnen und Autoren die Verantwortung. Umschlaggestaltung: Naumilkat, Düsseldorf Umschlagfoto: © mninni Satzherstellung: Naumilkat, Düsseldorf Druck: Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main Die Texte dieser Ausgabe stehen unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung – NichtKommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland. ISBN: 978-3-8389-0576-1 www.bpb.de Inhalt Editorial 9 Stefan Hradil Die wachsende soziale Ungleichheit in der Diskussion Eine Einführung 10 Oben Michael Hartmann Deutsche Eliten: Die wahre Parallelgesellschaft? 32 Morten Reitmayer »Elite« im 20. Jahrhundert 42 Georgina Murray We are the 1 %: Über globale Finanzeliten 54 Wolfgang Lauterbach / Miriam Ströing Vermögensforschung: Reichtum und seine philanthropische Verwendung 67 Jens Becker Reichtum in Deutschland und den USA 79 Constanze Elter Steuern: Von oben für unten? 91 Julia Wippersberg Prominenz: Entstehung, Erscheinung, D arstellung 103 Joachim Renn Faszination Adel – Popularität unzeit gemäßer Standes- privilegien als Problem der Demokratie? 114 Inhalt Mitte Steffen Mau Die Mittelschicht – das unbekannte Wesen? 126 Judith Niehues Die Mittelschicht – stabiler als gedacht 139 Nicole Burzan Gefühlte Verunsicherung in der Mitte der Gesellschaft? 151 Roland Verwiebe Die Auflösung der migrantischen Mittelschicht und wachsende Armut in Deutschland 162 Silvia Popp Die neue globale Mittelschicht 174 Cornelia Koppetsch Die Wiederkehr der Konformität? Wandel der Mentalitäten – Wandel der Generationen 186 Heinz Bude Das Unbehagen in der bürgerlichen Mitte 197 Herfried Münkler Die Entstehung des Mitte-Paradigmas in Politik und Gesellschaft 206 Inhalt Unten Klaus Dörre Unterklassen. Plädoyer für die analytische Verwendung eines zwiespältigen Begriffs 218 Christoph Lorke »Unten« im geteilten Deutschland: Diskursive Konstruktionen und symbolische Anordnungen in Bundesrepublik und DDR 232 Petra Böhnke Wahrnehmung sozialer Ausgrenzung 244 Olaf Groh-Samberg / Florian R. Hertel Ende der Aufstiegsgesellschaft? 256 Irene Dingeldey Bilanz und Perspektiven des aktivierenden Wohlfahrts- staates 268 Julian Bank / Till van Treeck »Unten« betrifft alle: Ungleichheit als Gefahr für Demokratie, Teilhabe und Stabilität 281 Nicole Rippin Verteilungsgerechtigkeit in der Armutsmessung 293 Susanne Gerull Wohnungslosigkeit in Deutschland 306 Autorinnen und Autoren 317 Editorial Wer gehört zu den Eliten und zu den Reichen im Land, wer bildet die gesellschaftliche Mitte, wer ist von Armut und Ausgrenzung betroffen? Wie hat sich soziale Ungleichheit entwickelt? Versuche, die Gesellschaft in dieser Hinsicht zu »vermessen«, können auf verschiedene Ansätze und Definitionen zurückgreifen. Die Struktur dieses Bandes, der die Beiträge der APuZ-Ausgaben »Oben« (15/2014), »Mitte« (49/2014) und »Unten« (10/2015) sowie einen Beitrag aus der Ausgabe »Wohnen« (20-21/2014) versammelt, folgt zunächst einem einfachen Schichtmodell, eben jenem von »Oben – Mitte – Unten«. In den Beiträgen geht es differenzierter zu: Neben verfeinerten Analysen zur sozialen Schichtung finden Befunde aus der Eliten-, Reichtums- und Vermögensforschung Platz, werden Konzepte zur Beschreibung von Mit- tel- und Unterschichten skizziert, Klassenansätze revitalisiert, Lebensstile und Milieus erfasst, generationelle Vergleiche angestellt, (zeit)historische Perspektiven eingenommen, Ausgrenzungs- und Mobilitätsforschung betrieben und ein neues Konzept zur Armutsmessung vorgestellt. Der Fokus liegt auf der Gesellschaft in Deutschland, verbunden mit Blicken auf europäische und globale Entwicklungen. Stefan Hradil rückt in seiner für diesen Band verfassten Einführung die Einzelbeiträge in einen größeren Kontext und spürt Entwicklungen sozia- ler Ungleichheit und wichtigen Strängen der Diskussion um Armut, Mit- telschicht und Eliten nach. Die Debatte um soziale Ungleichheit ist nicht neu, hat aber mit Trends wie steigender Vermögenskonzentration oben bei gleichzeitig verfestigter Armut unten und einem sich verstärkenden Unbe- hagen in der Mitte an Schärfe zugenommen. Darüber hinaus ist die zeit- lose Frage nach »Gleichheit und Ungleichheit in der Demokratie« eines der Schwerpunktthemen der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2015. Wie sie politisch und gesellschaftlich zu beantworten ist, ist Ansichts- und Aushandlungssache. Anne Seibring 9 Stefan Hradil Die wachsende soziale Ungleichheit in der Diskussion Eine Einführung Öffentlich und kontrovers geführte Debatten um den Zustand der Gesell- schaft sind eine Bestandsvoraussetzung jeder Demokratie. In Deutschland bestand hieran in den vergangenen Jahrzehnten kein Mangel. Mindestens drei dieser Debatten betrafen Probleme sozialer Ungleichheit,1 also Vor- und Nachteile zwischen Bürgern, die durch gesellschaftliche Strukturen ver mittelt werden: • Seit den 1980er Jahren wird bis heute über das (Wieder-)Ansteigen der Armut diskutiert. Zuvor waren seit Anfang der 1950er Jahre, also seit Beginn des »Wirtschaftswunders«, bis in die 1970er Jahre hinein immer weniger Menschen arm. • Seit den 1990er Jahren setzte eine öffentliche Auseinandersetzung über wachsenden Reichtum und exorbitante Managergehälter ein. Teils stark kritisiert wurde, dass sich die wirtschaftlichen Eliten immer weiter von der Mitte der Bevölkerung entfernten. In der Nachkriegszeit vermie- den es Reiche und Mächtige dagegen, sich vom Gros der Bevölkerung zu stark abzuheben. • Nach der Jahrtausendwende, seit die Folgen des wachsenden Unten und Oben für die Mitte der Gesellschaft sichtbar wurden, begann eine Debatte um das Schrumpfen der Mittelschicht und damit verknüpfte Gefahren. Zuvor erschien das Wachsen der Mittelschicht seit Jahrzehn- ten als selbstverständlich und galt als Garant der Stabilität und Produk- tivität moderner Gesellschaften. 10 Die wachsende soziale Ungleichheit in der Diskussion Der vorliegende Band knüpft an diese drei Diskurse an: • Die meisten Beiträge zum Themenbereich »Unten« richten sich auf das »ganz Unten« in unserer Gesellschaft, auf Arbeitslosigkeit, Armut, Unterstützungsbedürftigkeit, Wohnungslosigkeit und die Folgen. • Die Texte zum Themenbereich »Oben« konzentrieren sich auf die ge sellschaftlichen Spitzenpositionen, von denen aus durch viel Geld oder Befugnis Einfluss auf das gesamte Gemeinwesen ausgeübt werden kann. Rücken diese Positionen immer weiter vom Zentrum der Gesellschaft weg, so stellen sich besorgte Fragen. • Im Teil »Mitte« des Bandes wird danach gefragt, ob die Mittelschicht tatsächlich schrumpft und sich dort immer mehr Ängste verbreiten, so dass elementare Funktionen, die der Mittelschicht zugeschrieben wer- den, Schaden nehmen. Da der Großteil der Beiträge sich aus guten Gründen auf Brennpunkte der sozialen Entwicklung und der gegenwärtigen Diskussion konzentriert, erscheint es angebracht, in dieser Einleitung einen Überblick auch jenseits dieser Brennpunkte zu vermitteln. Daher zeige ich zunächst wichtige The- men der sozialwissenschaftlichen Ungleichheitsdiskussion auf und fasse anschließend zentrale gesellschaftliche Entwicklungen sozialer Ungleich- heit sowie des öffentlichen Diskurses hierüber zusammen. Der Zeithori- zont beginnt in den frühen 1970er Jahren, als das »Wirtschaftswunder« erste Risse bekam und das Ende der Nachkriegszeit eingeläutet wurde. Sozialwissenschaftliche Debatten um soziale Ungleichheit seit den 1970er Jahren In den 1970er Jahren dominierte in den deutschen Sozialwissenschaften zunächst noch die Konfrontation zwischen jenen, die die Bundesrepublik nach wie vor als Klassengesellschaft sahen, und jenen, die die soziale Schich- tung als neu entstandenes zentrales Strukturmuster sozialer Ungleichheit betrachteten. Sie sahen Modernisierungen fortschreiten, die zwar nicht unbedingt eine »nivellierte Mittelschichtgesellschaft« (Helmut Schelsky) hervorbrachten, aber doch ein durch Leistung mehr oder minder legi- timiertes Oben und Unten von Qualifikation, beruflicher Stellung und Einkommen. Die anderen hielten den Besitz von Kapital, die dadurch 11 Stefan Hradil gegebene Macht über Investitionen, Arbeitsplätze und gesellschaftlichen Wohlstand nach wie vor für so zentral, dass für sie kein Anlass bestand, vom marxistischen Analysemustern abzurücken. Mit dem stetig wachsen- den Wohlstand ebbte diese unfruchtbar gewordene Konfrontation ab. Nun wurden mehr und mehr Fragen zur Angemessenheit des Schichtkonzepts aus anderen Richtungen gestellt: • So wurde kritisiert, dass es ausschließlich auf die berufliche Sphäre ab hebt, genauer: auf die »meritokratische« Triade 2 von Qualifikation, Beruf und Einkommen. Wer, so wurde moniert, unter-, ober- oder außerhalb des beruflichen Oben und Unten lebt, kann mit dem Schicht- konzept nicht erfasst werden. Dies gelte für Wohnungs-3 und Arbeits- lose genauso wie für Menschen, die von Kapitalerträgen leben, bedingt auch für Menschen mit Behinderungen, Migranten, Hausfrauen, Stu- dierende und Rentner. Die Hälfte der Bevölkerung könne daher in Schichtkonzepte gar nicht oder nur mit verwegenen Hilfskonstruk tionen eingeordnet werden. Wohlfahrtsstaatliche