30 Die Alpen 10/1998 dass dieGebirgsgletscherundGrönlandzusammen Jahr (ZuoundOerlemans1997).Dasheisstalso, zum AnstiegdesMeeresspiegelsvonca.0,3mmpro raum von1865bis1990einenjährlichenBeitrag Für GrönlandergabenSchätzungenfürdenZeit- Meeresspiegelanstieg (DyurgerovundMeier1997). 0,10mmproJahrzumglobalen von 0,25mm± scher inderPeriode1961bis1990einenBeitrag auf denMeeresspiegel Auswirkungen vonGletscherveränderungen AbschätzungderdirektenundindirektenAus- – AnalysederKlimaindikatorfunktion(Abschät- – Validierung vonModellen(z.B.regionaleKlima- – Weitere Verbesserung desProzessverständnisses – werden. DieAntwortenkönnenwiefolgtlauten: Beobachtungen immerwiedervonneuemgestellt tung? DieseFragemussvorallembeilangfristigen sind denndieheutigenZielederGletscherbeobach- über dieGletscherstarkverbessertwerden.Was scherbeobachtungen –konntendieKenntnisse schungsarbeiten –inklusivederintensivenGlet- erster Stelle(Forel1895).DankderbisherigenFor- Ziel dieErklärungderGletscherschwankungenan Schweizer F. A.Forelkoordiniertwurde,standals tung gegründetundnationalwieinternationalvom tungen Zielsetzungen heutigerGletscherbeobach- Einleitung logie (VAW/ETH-Zürich) suchsanstalt fürWasserbau, HydrologieundGlazio- Naturwissenschaften (GK/SANW)undderVer- Kommission derSchweizerischenAkademie Kurzfassung des118.BerichtsderGlaziologischen ■ ■ ■ Science etmontagne Scienza emondoalpino Wissenschaft undBergwelt 2 1 und GlaziologiederETH-Zürich A. Bauder, G.H.Gudmundsson:Versuchsanstalt fürWasserbau, Hydrologie Zürich Versuchsanstalt fürWasserbau, HydrologieundGlaziologie(VAW) derETH- M. Hoelzle,D.Vonder Mühll:GlaziologischeKommissionderSANWund Nach neustenStudienliefertendieGebirgsglet- anstieg) Umwelt (z.B.Gletschergefahren,Meeresspiegel- wirkungen vonGletscherveränderungenaufdie denzen) Variabilität oderallfälligeBeschleunigungsten- die entsprechendenEnergieflüsse,natürliche zung überGeschwindigkeitenderÄnderungund modelle) Als vorüber100JahrendieGletscherbeobach- M. HoelzleundD.Vonder Mühll Alpen imJahr1996/97 Die GletscherderSchweizer men vonca.130km aller AlpengletschermiteinemgeschätztenVolu- deutung. HingegenwürdederkompletteSchwund lich derMeeresspiegelveränderungvongrosserBe- Gebieten wieAlaskaoderPatagoniensindhinsicht- erhöht. Vor allemdiegrossenGebirgsgletscherin trag desMassenverlustesderGletschernochmals schleunigt seitEndeder80erJahrehatsichBei- stieg beigetragen.SeitMitteder80erJahreundbe- sogar runddieHälftezumgesamtenmittlerenAn- die Gebirgsgletscheralleinmitca.0,9mmproJahr mit ungewöhnlichgrossenMassenverlustenhaben letzten 100Jahrenbeigetragenhaben.In ca. chen Massengewinnvon325km net, kommtmanbeiderAntarktisaufeinenjährli- lust vonjährlich390km Während manbeiGrönlandmiteinemMassenver- Gehaltes sehrunterschiedlichreagierenwürden. beiden EisschildeaufeineVerdoppelung desCO (Ohmura etal.1996)kommtzumSchluss,dassdie schilde zuberechnen.EinekürzlicherstellteStudie zung derzukünftigenMassenänderungdieserEis- möglich, fürverschiedeneSzenarieneineAbschät- konzentriert. DankheutigerKlimamodelleistes Welt-Eismassen aufdiebeidengenanntenGebiete deutung, dasichbekanntlichdergrössteTeil der der AntarktisfürdenMeeresspiegelvongrosserBe- natürlich diemächtigenEisschildeinGrönlandund zigen Wasserlieferanten. beeinflussen. InaridenGebietensindsieoftdieein- speicher sindunddenWasserkreislauf wesentlich Süsswasser- wichtige sie da Bedeutung, grosser von Gletscher auchinkleinerenGebirgsregionen Rolle spielen.Trotzdem sinddieEisreservender pengletscher indiesemZusammenhangkaumeine (Haeberli undHoelzle1995),waszeigt,dassdieAl- Meeresspiegelanstieg vonca.0,35mmbewirken Phänomen mit maximalerSignalwirkung. Selbstin indikatoren» klassiert(IPCC1995),das heisstals sogenannte«Dreistern- als (IPCC) Change» Climate im Berichtdes«Intergovernmental Panelon nen derErdezufindensind, werdendieGletscher katoren. Dasiezudemin denmeistenGebirgsregio- sten undamleichtestenverständlichen Klimaindi- Gletscher alsKlimaindikatoren werden. Verursacher des Meeresspiegelanstiegsbleiben und dieGebirgsgletscherweiterhingrössten in ZukunftdiethermischeExpansiondesOzeans würden. Darauskanngefolgertwerden,dassauch der beidenEisschildegeradeetwakompensieren dass sichdievorausgesagtenMassenänderungen Im GegensatzzudenGebirgsgletschernsind Die Gletschergehörenauch zudenzuverlässig- 1 / 3 zum mittlerenMeeresspiegelanstieginden 1 , A.BauderundG.H.Gudmundsson 3 (1970er Jahre)nureinen 3 (Wasseräquivalent) rech- 3 . Dasbedeutet, 2 2 - kann. nach lokalerSituationverstärkenodervermindern des Naturgefahrenpotentialsführen,dassichje nen zumBeispielzueinermarkantenVeränderung Auswirkungen vonGletscherschwankungenkön- gungstendenzen, angegangenwerdenkönnen. Klimasystem odernachallfälligenBeschleuni- nach derGeschwindigkeitVeränderungen im werden, damitzentraleFragenderZukunft,etwa zen traditionellerWissenschaftszweige gesprengt nen. AberauchdarüberhinausmüssendieGren- (z.B. derKryosphäre)ständiganBedeutunggewin- re ForschungsarbeiteninnerhalbeinzelnerSysteme stems zuerfassen,wobeiinter- undtransdisziplinä- sondern alsTeil desgesamtemKryosphären-Sy- werden, Veränderungen derGletschernichtisoliert, seinen Teil bei.InZukunftwirdesimmerwichtiger nenden SystemderGebirgsgletscherbeobachtung schweizerische Messnetzzudiesemweltumspan- analysiert. IndiesemDatenverbundträgtauchdas samen ProjektderUniversitätundETHZürich vice» (WGMS)mitSitzinZüricheinemgemein- werden durchden«World GlacierMonitoringSer- zen erstellt.SämtlicheglobalgesammeltenDaten weiten GletscherbeobachtungsnetzesMassenbilan- amerikas (Bolivien)werdenimRahmendeswelt- den tropischenGebirgenAfrikas(Kenya)undSüd- wettern inSchwarzseeundSachselnbegleitet. Die SchönwetterperiodewurdevonschwerenUn- August undSeptemberdurchzusetzenvermochte. selhaft undkühl,sodasssichderSommererstim und sonnig.DieMonateJuniJuliwarenwech- dann, mitAusnahmedesFebruars,generellmild meter aufsibirischeWerte. BisimMai1997wares vemberhälfte. ÜberdieFesttagesankdasThermo- kam dergrosseSchneebereitsinzweitenNo- tember 1997)begannnassundtrüb.IndenBergen Jahren diesesJahrhunderts. In derSchweizzählt1997zudenvierwärmsten Temperaturüberschüsse. sämtlicheJahre zeichneten ver- 1979 Seit Annaleneingegangen. die messene in ist dasJahr1997weltweitalswärmstejege- Das hydrologischeJahr1997imÜberblick Witterung undKlima Das hydrologischeJahr(Oktober1996bisSep- Organization»WMO Meteorological «World Laut nahe 800meingebüsst. (rund 4,5km)haterbei- ursprünglichen Länge Messnetzes. Von seiner gelegenen Gletscherdes Er isteinerdersüdlichst wird seit1889beobachtet. Der GlacierdeValsorey

Foto: Andreas Wipf

31 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Abbildungsfolge a–h Der Hüfigletscher in verschiedenen Jahren 10/1998 Die Alpen a) 1961 32

d) 1973

c) 1968

e) 1983 Fotos: Amt Lawinenverbau und Melioration des Kanton Uri )1964 b) )1988 g) )1997 h) )1984 f)

33 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Figuren 1a und 1b Jahresniederschlag 1996/1997 und Som- mertemperatur 1997: Abweichung vom Nor- malwert 1901 bis 1960 (Quelle: SMA Zürich)

1a Jahresniederschlag 1996/1997 (Summe 1.10.96 bis 30.9.97): Abweichung in Pro- zenten

Titel der monatlichen Witterungsberichte Temperatur der SMA vom 10.96–09.97 Die meisten Monate waren deutlich zu warm, wobei die grössten Überschüsse im November, Fe- 1996 bruar, März, August und September zu verzeichnen Oktober Sehr wechselhaft, etwas zu warm, deutlich zu nass und trüb waren. Etwas zu kühl fielen einzig Januar, Juni und November Sehr nass, trüb und in den Bergen der grosse Juli aus. Frühling und Herbst haben also am mei- Schnee sten zu den Wärmeüberschüssen beigetragen. Wie Dezember Eisiger Winter zwischen Weihnachten und Figur 1b zeigt, war insbesondere der Sommer (Mai Neujahr bis September) in der ganzen Schweiz durchwegs Jahr In vielen Gebieten das kälteste Jahr seit langer Zeit bis 2°C zu warm. In den Gebirgsregionen bewegte sich der Überschuss um 0,5° bis 1,0°C. 1997 Januar Auf dem Corvatsch fast hundertmal mehr Niederschlag Sonne als in Neuenburg Februar Sonnig und sehr mild, auf der Alpennordseite Verglichen mit den langjährigen Mittelwerten viel Niederschlag war es 1997 rund 10 bis 20% zu trocken. Deutlich März Wiederum viel zu mild und im Süden sehr zeigte sich auch, dass einzelne Starkniederschläge trocken und langanhaltende Trockenperioden in der Stati- April Sehr sonnig. Viel Frost im Norden und Wald- stik der Jahressumme nicht zum Ausdruck kom- brände im Süden Mai Erst wechselhaft, am Monatsende nieder- men, weil sie sich gegenseitig aufheben. Dies gilt schlagsarm und sonnig besonders für das Tessin: Im Zeitraum des hydrolo- Juni Zunehmend wechselhaft, kühl und vor allem gischen Jahres wurden diese Defizite durch die nas- im Süden nass sen Monate Oktober und November beinahe kom- Juli Nur kurze sommerliche Abschnitte pensiert. Zu nass waren ebenfalls Juni und Juli und August Hochsommer mit Unwettern in Schwarzsee und Sachseln gebietsweise Dezember und Februar. Besonders September Wanderwetter niederschlagsarm fielen Januar und August, im Sü- Jahr Ausserordentlich warm, sehr sonnig und über- den auch Februar und März aus. Figur 1a doku- wiegend niederschlagsarm mentiert, dass das hydrologische Jahr 1996/97 ein durchschnittliches war. Die Abweichungen errei- Quelle: SMA chen nur gebietsweise Werte über 20%. chend istseine Bilanzmit–270mmnegativ. des Monats)aufgebraucht wurde.Dementspre- die aberbisEndedeshydrologischen Jahres(Ende Beginn desSeptembersnoch eineleichteZunahme, deutlich positiv. zen seindürfte.DieMassenbilanzistmit+540mm wahrscheinlich nocheinigesanEisdahingeschmol- der warmenWitterung imSeptemberundOktober kräftiger Massengewinnfestgestellt,wobeiunter auch Fig.2): ta, GriesundAletschergebenfolgendesBild(vgl. diesjährigen MessungenderdreiGletscherSilvret- ratur) unverzögertreagiert.DieAuswertungender rungseinflüsse (vorallemNiederschlagundTempe- zur Längenänderung,aufdiejährlichenWitte- wertvoller Klimaindikator, weilsie,imGegensatz sungen durchgeführt.DieMassenbilanzistein an dreiausgewähltenGletschernMassenbilanzmes- Im RahmenderGletscherbeobachtungenwurden Massenhaushalt gesehen zueinemÜberschussvonbis20%. durchschnittlich lange.DiesführteüberdasJahr Juni undJulizeigtesichdieSonneimmerüber- Sonnenschein – AuchderGriesgletscher verzeichnetebiszu – AmSilvrettawurdebisMitteSeptemberein Ausser indenbeidenSchlechtwettermonaten als ziemlichausgeglichen angesehenwerden. warm undzutrockenwar. war, obwohlesimJahresdurchschnitt generellzu 1997 überallrelativkühl undniederschlagsreich für dieSchmelzewichtigenMonatenJuniundJuli Aletsch lassensichdadurcherklären,dassesinden leicht positiv(+149mm). stimmt. SiewarimGegensatzzumJahr1995/96 Massenbilanz mitderhydrologischenMethodebe- ser-, Ober- undMittelaletschgletscher)wirddie Zusammengefasst kanndas Jahr1996/97somit Die positivenMassenbilanzenvonSilvrettaund – ImEinzugsgebietderAletschgletscher(Gros- Aletschgletscher (hydrol.Methode) Silvrettagletscher (glaz.Methode) Griesgletscher (glaz.Methode) Aletsch, GriesundSilvretta Massenhaushaltgletscher senänderung (inm)der Summierte jährlicheMas- Figur 2 Grad Celsius 30.9.97): Abweichungin (Mittelwert 1.5.97bis Sommertemperatur 1997 1b

35 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Längenänderung Bessere Vergleichbarkeit durch Längen- klassierung Fortsetzung der Rückzugsbewegung Um die oben erwähnten Effekte zu verdeutli-

10/1998 Dank der diesjährigen günstigen Witterungsver- chen und anschaulich darzustellen, wurden in den hältnisse konnten im Herbst 1997 102 Gletscher Figuren 4a bis 4d verschiedene Gletscher nach ihrer eingemessen und deren Längenänderung ausge- Länge klassiert. Aus den Klassierungen lässt sich wertet werden. So viele Messwerte kamen in den einfach erkennen, dass vor allem die Länge eines Die Alpen vergangenen Jahren nur selten zusammen. Die Gletschers seine Längenänderung stark beeinflusst. Grosse Gletscher wie Aletsch, Unteraar, Gorner 36 Analysen zeigen, dass sich 86 Gletscher zurückzo- gen und 6 Gletscher vorstiessen. Die übrigen 10 oder Fiescher zeigen keine kurzfristigen Schwan- Gletscher blieben unverändert (Fig. 3). Den kungen, sondern ziehen sich seit Mitte des letzten Negativrekord erbrachte mit einem Rückzug von Jahrhunderts ohne Unterbruch zurück. Aus den Fi- 108 m der Tsidjiore Nouve Gletscher oberhalb von guren 4a bis 4d kann man ableiten, dass kleine Arolla (VS). Demgegenüber wurde am nahegelege- Gletscher (Fig. 4a) auf Veränderungen im Bereich nen Bella Tola (VS, 30 km von Arolla entfernt) mit einzelner Jahre, mittelgrosse und steile Gebirgsglet- +26 m der grösste Vorstoss registriert. Die seit Mitte scher (Fig. 4b und 4c) auf Jahrzehntvariationen der 80er Jahre anhaltende allgemeine Schwund- und grosse flache Talgletscher (Fig. 4d) auf Jahr- tendenz setzte sich auch dieses Jahr fort. Weil die Gletscherzungen auf Klimaänderungen mit einer

zum Teil erheblichen Verzögerung reagieren, ist das Foto: Martin Lüthi nicht erstaunlich. Die Reaktion eines Gletschers auf eine Klimaänderung hängt stark von seiner Geo- metrie ab, insbesondere von der Länge und der Neigung. Heisswasser-Bohrung auf dem

Figur 3 Längenänderung der Glet- scher in den Schweizer Alpen 1997 (qualitativ dar- gestellt) Foto: Hilmar Gudmundsson

wachsend

stationär (+/– 1.0 m)

schwindend

nicht klassiert Massenbilanz direktaufgrundvonMessungenbe- lem derVergleich mitGletschern,fürwelchedie Naturkatastrophen) bestätigt.Interessantistvoral- Forschungsprogrammes 31(Klimaänderungenund Maisch etal.(1998)imRahmendesNationalen hängig davonauchdurchUntersuchungenvon nen (Peschke1998).DieseResultatewerdenunab- tendenziell mehrMasseverlorenhabenalsdieklei- haben (vgl.Tab. 1),wobeidiegrösserenGletscher 0,12 bis0,24mWasseräquivalent proJahrverloren scher seitMittedesletztenJahrhundertsimMittel diesen Abschätzungengehthervor, dassdieGlet- wiederum denvierLängenklassenzugewiesen.Aus abgeschätzt. AnschliessendwurdendieGletscher Gletscher ausdenMessungenderLängenänderung Der mittlerejährlicheMassenverlustwurdefür68 scher istdabeidieAnpassungszeitzubestimmen. verknüpfen (Johannesson1989).FürjedenGlet- gen dieLängenänderungmitderMassenbilanzzu Vielfache davon)durchGleichgewichtsbetrachtun- teristische AnpassungszeitenderGletscheroder möglich, überZeiträumevonJahrzehnten(charak- bilanz Verknüpfung Längenänderung–Massen- sche Ereignisse. auch unterschiedlichlangzurückliegendeklimati- schiedlicher FrequenzundAmplitude,sondern spiegeln nichtnurKlimaveränderungenunter- zolgletschers oderdesFerpèclegletscherswider- Längenänderungen desAletschgletschers,Pi- gung) direktmiteinanderverglichenwerden:Die Gletscher mitähnlicherGeometrie(LängeundNei- hunderttrends reagieren.Deshalbsolltenauchnur Dank geeigneterParametrisierungenistesheute beitung imBüroprivatmitwirkendenPersonen. men imGeländeoderbeiderDaten-undTextbear- ETHZ. BesondersdanktsieallenbeidenAufnah- Glaziologie undderDirektionVAW ander und derUniversitätZürichsowieAbteilung forschung, denGeographischenInstitutenderETH Schweizerischen InstitutfürSchnee-undLawinen- stalt, inderLandeshydrologieund-geologie,am tion, anderSchweizerischenMeteorologischenAn- graphie, inderEidgenössischenVermessungsdirek- sungsbüro Flotron,imBundesamtfürLandestopo- Mattmark, MauvoisinundOberhasli,imVermes- der Gebirgskantone,beidenKraftwerkenÄgina, indirekt beteiligtenPersonenbeidenForstdiensten gewiesen ist,danktsieherzlich:allendirektoder Helfern, aufderenregelmässigesMitwirkensiean- riode wiederumtatkräftigunterstütztworden.Den der BeobachtungGletscherin118.Messpe- Die GlaziologischeKommissionderSANWistbei Dank Aussagen (Haeberli1998). rungen aneinigenAlpengletschernbestätigendiese letzten JahrhundertsbestimmtenVolumenände- durch PräzisionsphotogrammetrieseitEndedes einstimmung (Tab. 2).AucheinVergleich mitden stimmt wurde.HierergibtsicheinesehrguteÜber-

Foto: Martin Lüthi steraargletscher von Lauteraar- undFin- Richtung Zusammenfluss Unteraargletscher; Blickin der Lauteraarhütte GPS-Referenzstation bei

37 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Tabelle 1 Mittlere Massenbilanzen für die Periode 1850 bis 1996 für verschiedene Längenklassen von 68 ausgewählten Schwei- zer Gletschern 10/1998 Längenklassen der Gletscher Mittlere Massenbilanz für die Tabelle 2 in [km]. Datengrundlage bil- Beobachtungsperiode 1850 Vergleich zwischen direkt gemessenen und aus Längen- den 68 Gletscher des schwei- bis 1996 [in m Wasseräquiva- änderungen berechneten mittleren Massenbilanzen für die zerischen Messnetzes. lent pro Jahr] Massenhaushaltgletscher der Schweiz Die Alpen Gletscher Zeitperiode Mittlere Bemerkungen < 1 -0,11 38 Massen- 1- 4,9 -0,17 bilanz1 5 - 9,9 -0,20 > 10 -0,24 Gries 1962–1996 -0,27 Messreihe Mittel -0,17 (glaziologische Methode) 1962–1996 -0,22 Berechnet aus Längenänderung Silvretta 1960–1996 -0,05 Messreihe (glaziologische Methode Anhang: Glaziologische Forschung 1960–1996 -0,02 Berechnet auf dem Unteraargletscher aus Längenänderung Grosser 1920–1996 -0,22 Messreihe Aletsch (hydrologische Methode) Schon im 19. Jahrhundert im Zentrum des 1920–1996 -0,22 Berechnet Interesses aus Längenänderung Der Unteraargletscher gehört zu den am besten 1 untersuchten Alpengletschern. Er weckte schon in in m Wasseräquivalent pro Jahr vergangenen Jahrhunderten das Interesse der Na- turforscher. Deshalb ist dieser Gletscher auch eng ginn der modernen experimentellen Forschungs- mit der historischen Entwicklung wichtiger glazio- tätigkeit geht auf Louis Agassiz (1807–1873) logischer Kenntnisse und deren Urhebern verbun- zurück. J. Wild stellte im Rahmen dieser Arbeiten den. Davon zeugen zum Beispiel die Namen der die erste topographische Karte eines Gletschers von umliegenden Gipfel: Agassizhorn, Escherhorn, Gru- wissenschaftlichem Wert her. Diese exakte Darstel- nerhorn, Hugisattel, Scheuchzerhorn und Studer- lung des Unteraargletschers im Massstab 1:10000 horn. weist jedoch noch keine Höhenlinien auf (Agassiz Bereits im 19. Jahrhundert besuchte Franz Jo- 1847). Neben der Messung der klimatischen Para- seph Hugi (1793–1855) während mehrerer Som- meter Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck mer den Unteraargletscher und beschrieb an- beschäftigten sich Agassiz und seine Mitarbeiter schliessend die ersten Beobachtungen über dessen auch mit dem genauen Erfassen der Bewegung an Veränderungen (Hugi 1830, Hugi 1842). Der Be- der Gletscheroberfläche. Dabei wurden Methoden eingesetzt, die noch heute gebräuchlich sind: z.B. Vermessung von in den Gletscher eingebohrten Stangen mit dem Theodoliten.

Figuren 4a bis 4d Summierte jährliche Längen- 4a) Sehr kleine Gletscher änderung (in m) für Glet- mit einer Länge von weni- scher in verschiedenen Län- ger als 1,0 km genklassen:

4b) Kleine Gebirgs- gletscher mit einer Länge von 1,0–4,9 km lotsondierungen kamenzurAnwendung,umdie Seismik, Gleichstrom-GeoelektrikundRadar-Echo- chen Höhen-undVolumenänderungen berechnen. stellt. Darauslassensichdiezeitlichenundräumli- Jahre werdendavondigitaleGeländemodelleer- bilder aufgenommen,undseitAnfangder90er Untersuchungen werdenseit1969jährlichLuft- mittelt (Flotron,1924bisheute).ImRahmendieser len GeschwindigkeitenundDickenänderungener- Zunge vermessenalsauchanausgewähltenProfi- trag derKrafwerkeOberhasli(KWO)sowohldie aargletscher geforscht.Seit1924werdenimAuf- hundert Detaillierte Untersuchungenim20.Jahr- von Luftbildern 1991, bestimmtanHand von August1990bis von 2000m)fürdiePeriode Koordinatenzahlendistanz system eingezeichnet,mit gletschers (imKoordinaten- Oberfläche desUnteraar- digkeiten (inm/Jahr)ander Mittlere Jahresgeschwin- Figur 5 Die geophysikalischenUntersuchungsmethoden Später wurdeweiterhinintensivaufdemUnter- 5,0–9,9 km scher miteinerLängevon 4c) Grössere Gebirgsglet- lierungen (Gudmundsson1994). Topographie alsGrundlagefürnumerischeModel- zusammen mitderOberflächen-undGletscherbett- löcher notwendig(vgl.Figuren5–7).Diesedienen aber auchinbisansGletscherbettreichendeBohr- lierte BewegungsmessungenanderOberfläche, verhalten untersucht.Dazuwareneinerseitsdetail- Röthlisberger 1967,Funketal.1994). betts zubestimmen(KnechtundSüsstrunk1952, Topographie unddieCharakteristikdesGletscher- In denletztenJahrenwurdeintensivdasFliess- 10 km einer Längevonmehrals Grosse Talgletscher4d) mit

39 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Tabelle 3 Gletscher der Schweizer Alpen – Längenänderung 1996/1997

Nr. Gletscher Längen- Nr. Gletscher Längen- Nr. Gletscher Längen-

10/1998 änderung änderung änderung [m] [m] [m]

Rhonegebiet (II) 46 Martinets n 79 Sulz – 1,5

Die Alpen 1 Rhone – 18 47 Sex Rouge ? 80 Glärnisch – 2 2 Mutt n 48 Prapio st 81 Pizol – 17,1 40 3 Gries – 10,4 49 Pierredar n 114 Plattalva – 1,6 4 Fiescher – 13,2 106 Mittelaletsch – 295 5 Grosser Aletsch – 43 107 Bis n Rheingebiet (Id) 6 Oberaletsch – 257 108 Orny n 82 Lavaz n 7 Kaltwasser + 14,3 83 Punteglias – 2 8 Tälliboden n Aaregebiet (Ia) 84 Lenta – 21,7 9 Ofental n 50 Oberaar – 5,4 85 Vorab – 9,8 10 Schwarzberg – 12 51 Unteraar – 30,8 86 Paradies – 11,2 11 Allalin – 6 52 Gauli – 6 87 Suretta – 13,9 12 Kessjen n 53 Stein – 11 88 Porchabella – 13,73 13 Fee (Nord) – 25,3 54 Steinlimmi – 9 89 Verstankla – 1,8 14 Gorner – 30,5 55 Trift (Gadmen) n 90 Silvretta – 102 15 Zmutt 0 56 Rosenlaui n 91 Sardona – 5,5 16 Findelen n 57 Oberer – 10 ca. 115 Scaletta n 17 Ried – 14,7 58 Unterer Grindelwald – x 18 Lang – 35 59 Eiger – 13,4 Inngebiet (V) 19 Turtmann – 83,9 60 Tschingel – 3 92 Roseg – 62,8 20 Brunegg (Turtm. E) – 5,5 61 Gamchi – 4,7 93 Tschierva – 25,4 21 Bella Tola + 26 62 Schwarz – 1 94 Morteratsch – 10,8 22 Zinal – 14 63 Lämmern – 9 95 Calderas – 1,8 23 Moming – 36 64 Blümlisalp – 11 96 Tiatscha + 7,8 24 Moiry – 5 65 Rätzli – 52 ca. 97 Sesvenna – 6,9 25 Ferpècle – 10 109 Alpetli – 6,5 98 Lischana – 1,52 26 Mont Miné – 7 110 Lötschberg n 27 Arolla (Mt. Collon) – 7 111 Ammerten – 1,8 Addagebiet (IV) 28 Tsidjiore Nouve – 108 112 Dungel n 99 Cambrena – 52 29 Cheillon – 17 113 Gelten n 100 Palü – 7,1 30 En Darrey + 15 101 Paradisino (Campo) – 4,5 31 Grand Désert – 0,6 Reussgebiet (Ib) 102 Forno – 24 32 Mont Fort (Tortin) – 20,52 66 Tiefen – 10,6 116 Albigna n 33 Tsanfleuron – 5 67 Sankt Anna – 2,82 34 Otemma – 44,4 68 Kehlen – 28,6 Tessingebiet (III) 35 Mont Durand – 3,2 69 Rotfirn (Nord) – 6,9 103 Bresciana – 16,8 36 Breney – 27,1 70 Damma – 9,3 104 Basodino – 6,7 37 Giétro – 7,5 71 Wallenbur + 0,4 105 Rossboden + 4,6 38 Corbassière – 12 72 Brunni – 8,77 117 Valleggia 0 39 Valsorey – 312 73 Hüfi – 24,3 118 Val Torta + 2,9 40 Tseudet – 532 74 Griess – 5,5 119 Cavagnoli – 13,1 41 Boveyre n 75 Firnalpeli (Ost) – 172 120 Corno – 1,2 42 Saleina – 79,12 76 Griessen – 12 121 Croslina + 0,822 43 Trient – 50 44 Paneyrosse – 1,9 Linthgebiet (Ic) 45 Grand Plan Névé – 6,2 77 Biferten – 7,6 78 Limmern – 0,4

Abkürzungen: Bemerkungen + wachsend x Betrag nicht bestimmt Gilt die Angabe für eine mehr- st stationär sn eingeschneit jährige Zeitspanne, ist die Zahl der – schwindend ? Ergebnis unsicher (Luftbild) Jahre angezeigt: –13,42 = Schwund ca. ungefährer Wert n nicht beobachtet um 13,4 m in 2 Jahren.

Massenbilanzänderungen und Gletscher- stimmen zu können. Der Zusammenhang zwischen verhalten den Massenbilanzänderungen und dem Verhalten Ein laufendes interdisziplinäres Forschungspro- der Gletscher ist vor allem im Hinblick auf das Ver- jekt vereint die modernsten Methoden sowohl der ständnis von klimatischen Variationen von funda- Glaziologie als auch der Geodäsie und Photogram- mentalem Interesse. Damit wird nämlich der Zu- metrie mit dem Ziel, die Massenbilanz einfacher be- stand eines Gletschers viel umfassender beschrie- ben als dies mit der Messung von Vorstoss und 209–229 to sea-levelchanges. tions ofglobalsmassbalancesmall glaciersandtheircontribution le sol, les glaciersactuels,leurstructure, progressionetleuractionphysiquesur Literatur der Oberflächengeschwindigkeituntersucht. des Wasserdruckes, dembasalenWiderstand und der ZusammenhangzwischendenSchwankungen gung unddieFliessbewegungvermutet.Dazuwird die StrukturdesGletscherbettes,basaleBewe- serabflusssystems, denneswirdhiereinEinflussauf erster LiniedieEntwicklungdessubglazialenWas- der FliessbewegungimGang.Dabeiinteressiertin jahreszeitlichen Schwankungen(Ikenetal.1983) Prozesse sowiederverschiedentlichfestgestellten schung dernochungenügendbekanntenbasalen merischem Fliessmodellzubestimmen. erkundungsmethoden unddreidimensionalemnu- Massenbilanz durchdieKombinationvonFern- Grenzen stossen.EinesderzentralenZieleistes,die wo photogrammetrischeAuswertungenanihre Methode liefertauchdortzuverlässigeResultate, «laser scanning»-Systemeingesetzt.Dieseneue den Akkumulationsgebietenwurdeerstmalsein digkeitsfeld derGletscheroberflächezuermitteln.In auch direktundmithoherPräzisiondasGeschwin- digitale Geländemodellezugenerieren,sondern Auswertung vonLuftbildernermöglichennichtnur, sungen. Fortschritteinderphotogrammetrischen bedingt sehraufwendigeundkostspieligeFeldmes- der MassenbilanzmitglaziologischenMethode Rückzug derZungemöglichist.DieBestimmung cours préliminaire, der GletschermessungenimAuftrag KraftwerkeOberhasli Gleichzeitig sindvertiefteStudienzurErfor- Flotron, A.(1924bisheute): Dyurgerov, M.B.,undMeier, M.F. (1997):Year-to-Year fluctua- Agassiz, L.(1847):Premièrepartie: Forel, F. A.(1895): Lesvariationspériodiquesdesglaciers.Dis- V. Masson,Paris,2vols nung desEises. gegen dievertikaleDeh- chung, positiveWerte hin- zeigen dievertikaleStau- Isoflächen. NegativeWerte modells, dargestelltals dreidimensionalen Fliess- berechnet anhandeines Vertikale Dehnungsraten, Figur 7 Archives dessciences physiquesetnaturelles,Genf, Arctic andAlpineResearch, Jährliche BerichteüberdieErgebnisse Nouvelles étudesetexpériencessur 29(4), 392–402 Finsteraargletscher 34, im Frühlingbeibeginnen- kungen feststellen, wiedie sich kurzzeitigeSchwan- GPS-System. Damitlassen satellitenunterstützten an derOberflächemitdem den Bewegungsmessungen Beispiel vonhochauflösen- Figuren 6abis6c 1996 April Mai Lauteraargletscher kale Geschwindigkeit (c). horizontale (b)und dieverti- C bzw. Z)dieHebung(a), die vierGPS-Stationen(A,B, Hebung. Dargestelltsindfür des Wassers hervorgerufene der Schneeschmelzewegen Unteraargletscher

[cm/Tag] [cm/Tag] 41 Die Alpen 10/1998 Wissenschaft und Bergwelt

Funk, M., Gudmundsson, G.H., und Hermann, F. (1994): Geome- Knecht, H., und Süsstrunk, A. (1952): Bericht über die seismischen try of the glacier bed of the Unteraarglacier, , Switzer- Sondierungen der Schweizerischen Gletscherkommission auf dem Unteraar- land. Zeitschrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie, 30, 1–8 gletscher, 1936–1950, Bericht Nr. 512 Gudmundsson, G.H. (1997): Ice deformation at the confluence of Maisch, M., Wipf, A., Denneler, B., Battaglia, J., und Benz, C. two glaciers investigated with conceptual map-plane and flowline (1998): Die Gletscher der Schweizer Alpen: Gletscherhochstand 1850 10/1998 models. Journal of Glaciology, 43 (145), 537–547 – Aktuelle Vergletscherung – Gletscherschwund-Szenarien. Schluss- Gudmundsson, G.H., Iken, A., und Funk, M. (1997): Measure- bericht NFP 31. vdf Hochschulverlag AG, Zürich (im Druck) ments of ice deformation at the confluence area of Unteraargletscher, Ohmura, A., Wild, M., und Bengtsson, L. (1996): Present and fu- Bernese Alps, . Journal of Glaciology, 43 (145), 548–556 ture mass balance of the ice sheets simulated with GCM. Annals of

Die Alpen Haeberli, W., und Hoelzle, M. (1995): Application of inventory Glaciology, 23, 187–193 data for estimating characteristics of and regional climate-change ef- Peschke, W. (1998): Erste Ergebnisse einer Auswertung der Län- 42 fects on mountain glaciers: a pilot study with the European Alps. An- genänderungsdaten der Schweizer Messnetzgletscher, Praktikumsbe- nals of Glaciology, 21, 206–212 richt an der VAW/ETHZ Haeberli, W. (1998): Historical evolution and operational aspects Röthlisberger, H. (1967): Recent DC resistivity soundings on Swiss of worldwide glacier monitoring. In: Into the second century of world glaciers. Journal of Glaciology, 6 (47), 607–621. wide glacier monitoring: prospects and strategies (W. Haeberli, M. Zuo, Z., und Oerlemans, J. (1997): Contribution of glacier melt to Hoelzle und S. Suter): studies and reports in hydrology, IAHS, 56, 35–51 sea-level rise since AD 1865: a regionally differentiated calculation. Hugi, F.J. (1830): Naturhistorische Alpenreise. Amiet-Lutiger, Solo- Climate Dynamics, 13, 835–845. ■ thurn Hugi, F.J. (1842): Über das Wesen der Gletscher. J. G. Cotta’scher Ver- lag, Stuttgart und Tübingen. Iken, A., Röthlisberger, H., Flotron, A., und Haeberli, W. (1983): Als im Jahre 1894 die Glet- 1934 trennte sich der The uplift of the Unteraargletscher at the beginning of the melt sea- schermessungen im Val Tschierva- vom Roseg-Glet- son – a consequence of water storage at the bed? Journal of Glaciology, Roseg begannen, gab es le- scher. Aus der Westwand 29 (101), 28–47 diglich den Roseggletscher. des Piz Morteratsch löste Johannesson, T., Raymond, Ch., und Waddington, E. (1989): Ti- Dieser hat sich seither um sich 1988 auf ca. 3200 m ü. 3 me-scale for adjustment of glaciers to changes in mass balance. Jour- beinahe 2 km zurückgezo- M. ein 300 000 m grosser gen. In seinem Vorfeld be- Felssturz. Das Material nal of Glaciology, 35 (121). pp. 355–369 findet sich heute ein See, wurde auf der rechten der 1954 ausbrach. Im Jahr Gletscherseite abgelagert. Foto: Andreas Wipf