Die Gletscher Der Schweizer Alpen Im Jahr 1996/97
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Die Gletscher der Schweizer ■ Wissenschaft und Bergwelt ■ Scienza e mondo alpino Alpen im Jahr 1996/97 ■ Science et montagne 10/1998 M. Hoelzle und D. Vonder Mühll1, A. Bauder und G. H. Gudmundsson2 Die Alpen 1 Kurzfassung des 118. Berichts der Glaziologischen ca. /3 zum mittleren Meeresspiegelanstieg in den 30 Kommission der Schweizerischen Akademie der letzten 100 Jahren beigetragen haben. In Jahren Naturwissenschaften (GK/SANW) und der Ver- mit ungewöhnlich grossen Massenverlusten haben suchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glazio- die Gebirgsgletscher allein mit ca. 0,9 mm pro Jahr logie (VAW/ETH-Zürich) sogar rund die Hälfte zum gesamten mittleren An- stieg beigetragen. Seit Mitte der 80er Jahre und be- schleunigt seit Ende der 80er Jahre hat sich der Bei- Einleitung trag des Massenverlustes der Gletscher nochmals erhöht. Vor allem die grossen Gebirgsgletscher in Zielsetzungen heutiger Gletscherbeobach- Gebieten wie Alaska oder Patagonien sind hinsicht- tungen lich der Meeresspiegelveränderung von grosser Be- Als vor über 100 Jahren die Gletscherbeobach- deutung. Hingegen würde der komplette Schwund tung gegründet und national wie international vom aller Alpengletscher mit einem geschätzten Volu- Schweizer F. A. Forel koordiniert wurde, stand als men von ca. 130 km3 (1970er Jahre) nur einen Ziel die Erklärung der Gletscherschwankungen an Meeresspiegelanstieg von ca. 0,35 mm bewirken erster Stelle (Forel 1895). Dank der bisherigen For- (Haeberli und Hoelzle 1995), was zeigt, dass die Al- schungsarbeiten – inklusive der intensiven Glet- pengletscher in diesem Zusammenhang kaum eine scherbeobachtungen – konnten die Kenntnisse Rolle spielen. Trotzdem sind die Eisreserven der über die Gletscher stark verbessert werden. Was Gletscher auch in kleineren Gebirgsregionen von sind denn die heutigen Ziele der Gletscherbeobach- grosser Bedeutung, da sie wichtige Süsswasser- tung? Diese Frage muss vor allem bei langfristigen speicher sind und den Wasserkreislauf wesentlich Beobachtungen immer wieder von neuem gestellt beeinflussen. In ariden Gebieten sind sie oft die ein- werden. Die Antworten können wie folgt lauten: zigen Wasserlieferanten. – Weitere Verbesserung des Prozessverständnisses Im Gegensatz zu den Gebirgsgletschern sind – Validierung von Modellen (z.B. regionale Klima- natürlich die mächtigen Eisschilde in Grönland und modelle) der Antarktis für den Meeresspiegel von grosser Be- – Analyse der Klimaindikatorfunktion (Abschät- deutung, da sich bekanntlich der grösste Teil der zung über Geschwindigkeiten der Änderung und Welt-Eismassen auf die beiden genannten Gebiete die entsprechenden Energieflüsse, die natürliche konzentriert. Dank heutiger Klimamodelle ist es Variabilität oder allfällige Beschleunigungsten- möglich, für verschiedene Szenarien eine Abschät- denzen) zung der zukünftigen Massenänderung dieser Eis- – Abschätzung der direkten und indirekten Aus- schilde zu berechnen. Eine kürzlich erstellte Studie wirkungen von Gletscherveränderungen auf die (Ohmura et al. 1996) kommt zum Schluss, dass die Umwelt (z.B. Gletschergefahren, Meeresspiegel- beiden Eisschilde auf eine Verdoppelung des CO2- anstieg) Gehaltes sehr unterschiedlich reagieren würden. Während man bei Grönland mit einem Massenver- Auswirkungen von Gletscherveränderungen lust von jährlich 390 km3 (Wasseräquivalent) rech- auf den Meeresspiegel net, kommt man bei der Antarktis auf einen jährli- Nach neusten Studien lieferten die Gebirgsglet- chen Massengewinn von 325 km3. Das bedeutet, scher in der Periode 1961 bis 1990 einen Beitrag dass sich die vorausgesagten Massenänderungen von 0,25 mm ± 0,10 mm pro Jahr zum globalen der beiden Eisschilde gerade etwa kompensieren Meeresspiegelanstieg (Dyurgerov und Meier 1997). würden. Daraus kann gefolgert werden, dass auch Für Grönland ergaben Schätzungen für den Zeit- in Zukunft die thermische Expansion des Ozeans raum von 1865 bis 1990 einen jährlichen Beitrag und die Gebirgsgletscher weiterhin die grössten zum Anstieg des Meeresspiegels von ca. 0,3 mm pro Verursacher des Meeresspiegelanstiegs bleiben Jahr (Zuo und Oerlemans 1997). Das heisst also, werden. dass die Gebirgsgletscher und Grönland zusammen Gletscher als Klimaindikatoren 1 M. Hoelzle, D. Vonder Mühll: Glaziologische Kommission der SANW und Die Gletscher gehören auch zu den zuverlässig- Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH- Zürich sten und am leichtesten verständlichen Klimaindi- 2 A. Bauder, G. H. Gudmundsson: Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie katoren. Da sie zudem in den meisten Gebirgsregio- und Glaziologie der ETH-Zürich nen der Erde zu finden sind, werden die Gletscher im Bericht des «Intergovernmental Panel on Climate Change» (IPCC) als sogenannte «Dreistern- indikatoren» klassiert (IPCC 1995), das heisst als Phänomen mit maximaler Signalwirkung. Selbst in den tropischen Gebirgen Afrikas (Kenya) und Süd- Witterung und Klima amerikas (Bolivien) werden im Rahmen des welt- weiten Gletscherbeobachtungsnetzes Massenbilan- Das hydrologische Jahr 1997 im Überblick zen erstellt. Sämtliche global gesammelten Daten Laut «World Meteorological Organization» WMO 10/1998 werden durch den «World Glacier Monitoring Ser- ist das Jahr 1997 weltweit als das wärmste je ge- vice» (WGMS) mit Sitz in Zürich in einem gemein- messene in die Annalen eingegangen. Seit 1979 ver- samen Projekt der Universität und der ETH Zürich zeichneten sämtliche Jahre Temperaturüberschüsse. analysiert. In diesem Datenverbund trägt auch das In der Schweiz zählt 1997 zu den vier wärmsten Die Alpen schweizerische Messnetz zu diesem weltumspan- Jahren dieses Jahrhunderts. 31 nenden System der Gebirgsgletscherbeobachtung Das hydrologische Jahr (Oktober 1996 bis Sep- seinen Teil bei. In Zukunft wird es immer wichtiger tember 1997) begann nass und trüb. In den Bergen werden, Veränderungen der Gletscher nicht isoliert, kam der grosse Schnee bereits in der zweiten No- sondern als Teil des gesamtem Kryosphären-Sy- vemberhälfte. Über die Festtage sank das Thermo- stems zu erfassen, wobei inter- und transdisziplinä- meter auf sibirische Werte. Bis im Mai 1997 war es re Forschungsarbeiten innerhalb einzelner Systeme dann, mit Ausnahme des Februars, generell mild (z.B. der Kryosphäre) ständig an Bedeutung gewin- und sonnig. Die Monate Juni und Juli waren wech- nen. Aber auch darüber hinaus müssen die Gren- selhaft und kühl, so dass sich der Sommer erst im zen traditioneller Wissenschaftszweige gesprengt August und September durchzusetzen vermochte. werden, damit zentrale Fragen der Zukunft, etwa Die Schönwetterperiode wurde von schweren Un- nach der Geschwindigkeit der Veränderungen im wettern in Schwarzsee und Sachseln begleitet. Klimasystem oder nach allfälligen Beschleuni- gungstendenzen, angegangen werden können. Auswirkungen von Gletscherschwankungen kön- Der Glacier de Valsorey nen zum Beispiel zu einer markanten Veränderung wird seit 1889 beobachtet. Er ist einer der südlichst des Naturgefahrenpotentials führen, das sich je gelegenen Gletscher des nach lokaler Situation verstärken oder vermindern Messnetzes. Von seiner ursprünglichen Länge kann. (rund 4,5 km) hat er bei- nahe 800 m eingebüsst. Foto: Andreas Wipf Wissenschaft und Bergwelt Abbildungsfolge a–h Der Hüfigletscher in verschiedenen Jahren 10/1998 Die Alpen a) 1961 32 d) 1973 c) 1968 e) 1983 10/1998 Die Alpen 33 b) 1964 h) 1997 g) 1988 f) 1984 Fotos: Amt Lawinenverbau und Melioration des Kanton Uri Wissenschaft und Bergwelt Figuren 1a und 1b Jahresniederschlag 1996/1997 und Som- mertemperatur 1997: Abweichung vom Nor- malwert 1901 bis 1960 (Quelle: SMA Zürich) 1a Jahresniederschlag 1996/1997 (Summe 1.10.96 bis 30.9.97): Abweichung in Pro- zenten Titel der monatlichen Witterungsberichte Temperatur der SMA vom 10.96–09.97 Die meisten Monate waren deutlich zu warm, wobei die grössten Überschüsse im November, Fe- 1996 bruar, März, August und September zu verzeichnen Oktober Sehr wechselhaft, etwas zu warm, deutlich zu nass und trüb waren. Etwas zu kühl fielen einzig Januar, Juni und November Sehr nass, trüb und in den Bergen der grosse Juli aus. Frühling und Herbst haben also am mei- Schnee sten zu den Wärmeüberschüssen beigetragen. Wie Dezember Eisiger Winter zwischen Weihnachten und Figur 1b zeigt, war insbesondere der Sommer (Mai Neujahr bis September) in der ganzen Schweiz durchwegs Jahr In vielen Gebieten das kälteste Jahr seit langer Zeit bis 2°C zu warm. In den Gebirgsregionen bewegte sich der Überschuss um 0,5° bis 1,0°C. 1997 Januar Auf dem Corvatsch fast hundertmal mehr Niederschlag Sonne als in Neuenburg Februar Sonnig und sehr mild, auf der Alpennordseite Verglichen mit den langjährigen Mittelwerten viel Niederschlag war es 1997 rund 10 bis 20% zu trocken. Deutlich März Wiederum viel zu mild und im Süden sehr zeigte sich auch, dass einzelne Starkniederschläge trocken und langanhaltende Trockenperioden in der Stati- April Sehr sonnig. Viel Frost im Norden und Wald- stik der Jahressumme nicht zum Ausdruck kom- brände im Süden Mai Erst wechselhaft, am Monatsende nieder- men, weil sie sich gegenseitig aufheben. Dies gilt schlagsarm und sonnig besonders für das Tessin: Im Zeitraum des hydrolo- Juni Zunehmend wechselhaft, kühl und vor allem gischen Jahres wurden diese Defizite durch die nas- im Süden nass sen Monate Oktober und November beinahe kom- Juli Nur kurze sommerliche Abschnitte pensiert. Zu nass waren ebenfalls Juni und Juli und August Hochsommer mit Unwettern in Schwarzsee und Sachseln gebietsweise Dezember und Februar. Besonders September Wanderwetter niederschlagsarm fielen