Überleben Im Untergrund Reihe Solidarität Und Hilfe Rettungsversuche Für Juden Vor Der Verfolgung Und Vernichtung Unter Nationalsozialistischer Herrschaft
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Beate Kosmala Claudia Schoppmann (Hrsg.) Überleben im Untergrund Reihe Solidarität und Hilfe Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft Herausgegeben im Auftrag des Zentrums für Antisemitismusforschung von Wolfgang Benz Band 5 Beate Kosmala · Claudia Schoppmann (Hrsg.) Überleben im Untergrund Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945 Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme: Überleben im Untergrund : Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945 / Beate Kosmala ; Claudia Schoppmann (Hrsg.). – Berlin : Metropol, 2002 (Reihe Solidarität und Hilfe ; Bd. 5) ISBN 3-932482-86-7 Gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung © 2002 Metropol Verlag Kurfürstenstr. 135 D–10785 Berlin www.metropol-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Druck: Primus Solvero, Berlin Inhalt Wolfgang Benz Solidarität mit Juden während der NS-Zeit Eine Einführung 9 Beate Kosmala · Claudia Schoppmann Überleben im Untergrund Zwischenbilanz eines Forschungsprojekts 17 Karl-Heinz Reuband Zwischen Ignoranz, Wissen und Nicht-glauben-Wollen Gerüchte über den Holocaust und ihre Diffusionsbedingungen in der deutschen Bevölkerung 33 David Bankier Was wußten die Deutschen vom Holocaust? 63 Inge Marszolek Denunziation im Dritten Reich Kommunikationsformen und Verhaltensweisen 89 Claudia Schoppmann Rettung von Juden: ein kaum beachteter Widerstand von Frauen 109 Ursula Büttner Die anderen Christen Ihr Einsatz für verfolgte Juden und „Nichtarier“ im nationalsozialistischen Deutschland 127 Kurt Schilde Grenzüberschreitende Flucht und Fluchthilfe (1941–1945): Ereignisse, Interessen und Motive 151 Monica Kingreen Verfolgung und Rettung in Frankfurt am Main und der Rhein-Main-Region 167 Angela Borgstedt „Bruderring“ und „Lucknerkreis“: Rettung im deutschen Südwesten 191 Beate Kosmala Mißglückte Hilfe und ihre Folgen: Die Ahndung der „Judenbegünstigung“ durch NS-Verfolgungsbehörden 205 Christoph Hamann „Er besaß den Eifer eines wahren Gläubigen.“ August Sapandowski (1882–1945), ein Retter von Juden in Berlin 223 Isabel Enzenbach Zur Problematik des Begriffes „Retter“ 241 Johannes Tuchel Widerstand von Juden im nationalsozialistischen Deutschland Rahmenbedingungen und weiterführende Fragen 257 Beate Meyer Das unausweichliche Dilemma: Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, die Deportationen und die untergetauchten Juden 273 Gunnar S. Paulsson Hilfe für Juden und jüdische Selbsthilfe in Warschau (1940–1945) 297 Peter Steinkamp Wehrmachtangehörige als Retter von Juden 309 Dennis Riffel „Unbesungene Helden“: Der Umgang mit „Rettung“ im Nachkriegsdeutschland 317 Emil Walter-Busch Entstehungszusammenhang und Ergebnisse von Manfred Wolfsons Retterstudie (1945–1975) 335 Revital Ludewig-Kedmi Moraldilemmata von Rettern von Juden Sozialpsychologische Interpretation und pädagogische Umsetzung 363 Christoph Hamann „Uropa war ein Guter.“ Retten und Überleben im Nationalsozialismus als Thema des Geschichtsunterrichts 381 Personenregister 395 Bildnachweis 403 Die Autorinnen und Autoren 405 Berthold Beitz, 1943 Wolfgang Benz Solidarität mit Juden während der NS-Zeit Eine Einführung Oskar Schindler, der listige Fabrikant, dem es in Krakau gelang, tausend Juden vor dem Holocaust zu retten, wurde nach Spielbergs Film zur Ikone.1 Mit Schindlers Liste wurde nicht nur eine Retterfigur populär, in der sich die Züge des guten Menschen mit weniger edlen Charaktereigenschaften mischen. Auch die Tatsache, daß es möglich war, Angehörige der verfolgten Minder- heit vor dem Schicksal des Völkermords zu bewahren, wurde erst mit dem Film 1 Christoph Weiss (Hrsg.), „Der gute Deutsche“. Dokumente zur Diskussion um Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ in Deutschland, St. Ingbert 1995. 9 allmählich einem breiteren Publikum bewußt. Die Kenntnis hatte sich lange Zeit auf Aktionen einiger prominenter Helferinnen und Helfer beschränkt, und unter den Geretteten haben auch nur wenige öffentliche Aufmerksamkeit gefunden wie der Fernsehunterhalter Hans Rosenthal2 oder die Publizistin Inge Deutschkron.3 Die Aktivitäten des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg sind, auch wegen seines eigenen Schicksals, legendär. Er hatte in Verbindung mit anderen diplomatischen Vertretungen Ende 1944 in Budapest „geschützte Häuser“ organisiert, Schutzpässe ausgestellt und alles Mögliche zur Rettung der Juden im Budapester Ghetto unternommen. Im Januar 1945 nahmen die Sowjets den jungen Attaché in Gefangenschaft; danach gibt es kaum noch eine Spur von ihm. Das machte ihn zum geheimnisvollen und tragischen Helden.4 Berühmt sind auch die Rettungsaktionen des jungen Managers Berthold Beitz, der im Juli 1941 im ostgalizischen Boryslaw den Arbeitseinsatz der Karpathen- Öl AG leitete und diese Funktion dazu benutzte, um Hunderten von jüdischen Menschen das Leben zu retten.5 Tausende von Juden hat auch ein italienischer Geschäftsmann gerettet, der sich, wie Schindler, zum guten Zweck aller möglichen Mittel, nicht zuletzt der Hochstapelei, bediente. Wie Schindler starb er vergessen und von finanziellen Sorgen heimgesucht: Giorgio Perlasca hatte sich im Herbst 1944 der spani- schen Gesandtschaft in Budapest als Organisator von Rettungsmaßnahmen für sephardische Juden spanischer Herkunft angeboten und war schließlich in die Rolle des spanischen Geschäftsträgers geschlüpft, als dieser vor der heran- rückenden Roten Armee das Weite suchte. Mehr als fünftausend Juden hat Perlasca durch Amtsanmaßung und Hochstapelei unter dem Schutz der spa- nischen Mission retten können. Während er in der Nachkriegszeit in Italien in Not geriet, und zwar wegen Regreßforderungen infolge seiner Hilfsdienste in Budapest, schmückte sich das offizielle Spanien mit seinen Verdiensten. Perlasca wurde als Betrüger abgestempelt, und der echte Charge d’Affaires, der damals aus Budapest geflohen und inzwischen spanischer Botschafter beim 2 Hans Rosenthal, Zwei Leben in Deutschland, Bergisch Gladbach 1980. 3 Inge Deutschkron, Ich trug den gelben Stern, Köln 1978. 4 Bernt Schiller, Raoul Wallenberg. Das Ende einer Legende, Berlin 1993. 5 Thomas Sandkühler, „Endlösung“ in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941–1944, Bonn 1996. 10 Vatikan geworden war, ließ sich Anfang der 80er Jahre von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ dekorieren. Die späten Ehrungen, die schließ- lich auch Perlasca noch erreichten, haben seine Not nicht gelindert.6 Ziemlich unbekannt blieb auch der eidgenössische Vizekonsul Carl Lutz, der als Leiter der Abteilung Fremde Interessen der Schweizer Gesandtschaft in Budapest zwischen 1942 und 1945 Zehntausenden ungarischer Juden Schutzbriefe ausgestellt und ihnen damit das Leben gerettet hat. Seine Vor- gesetzten in Bern haben ihm dieses Bemühen nicht gedankt, ihn vielmehr im Avancement zurückgesetzt, und nach gründlicher Untersuchung rügte ihn im Jahre 1949 das Eidgenössische Politische Departement, weil er bei der Ret- tung von Juden seine Kompetenzen überschritten und das dienstliche Regle- ment übergangen hatte.7 Viel ärger noch erging es einem anderen Schweizer Bürger, der im Dienst der Menschlichkeit seine amtlichen Pflichten verletzte. Der St. Galler Kantons- polizeikommandant Paul Grüninger setzte sein Mitleid mit den jüdischen Flüchtlingen aus Österreich und Deutschland höher als die Anweisung, diese Menschen am Betreten eidgenössischen Bodens zu hindern. Durch falsche Da- tierung der Einreisestempel ermöglichte er etwa dreieinhalbtausend jüdischen Flüchtlingen die illegale Einreise und den Aufenthalt in der Schweiz. Im Janu- ar 1939 wurde, vom deutschen Gesandten angezettelt, ein Verfahren gegen ihn eröffnet. 1940 zu einer Geldstrafe verurteilt, verlor er Anstellung und Pen- sionsanspruch, und die von engstirniger Justiz und kleinlichen Behörden voll- zogenen Sanktionen dauerten über den Tod Grüningers hinaus an. Erst Ende 1995 wurde er auf Druck eines zu seiner Rehabilitierung gegründeten Vereins („Gerechtigkeit für Paul Grüninger“) vom Bezirksgericht in St. Gallen post- hum gewürdigt und vom Makel des ungetreuen und pflichtvergessenen Beam- ten befreit.8 Neben den individuellen Helfern haben auch Organisationen Solidarität mit den nach den Maximen der NS-Ideologie Verfolgten geübt. Teilweise wur- den sie nur zu diesem Zweck geschaffen, und einige haben sich vorübergehend die Rettung von Juden zur Aufgabe gemacht. Das American Friends Service 6 Enrico Deaglio, Die Banalität des Guten. Die Geschichte des Hochstaplers Giorgio Perlasca, der 5200 Juden das Leben rettete, Frankfurt a. M. 1993. 7 Theo Tschuy, Carl Lutz und die Juden von Budapest, Zürich 1995. 8 Stefan Keller, Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe, Zürich 1993. 11 Committee (Hilfskomitee der Quäker) leistete schon ab Ende 1938 effektive Hilfe für jüdische Flüchtlinge, organisierte Kindertransporte aus Deutschland und ermöglichte dadurch vielen die Flucht vor rassistischer Verfolgung. Das Jewish Labor Committee (New York) bemühte sich mit großem Erfolg, Juden aus dem deutschen Herrschaftsbereich zu helfen. Es ging dabei um die Be- schaffung von Pässen und Visa, Ausreisegenehmigungen und Gewährung von Transit, insbesondere über die französische Grenze und weiter durch Spanien und Portugal nach Übersee. Amerikanische Bürger gründeten im Sommer 1940 das Emergency Rescue Committee, als dessen Repräsentant Varian Fry in Marseille Schiffspassagen und Reisepapiere organisierte. Die prominenten Flüchtlinge – Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler, unter ihnen Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Marc Chagall – versah er, wenn nötig, auch noch mit Bargeld.9