Marcus Behmer (1879-1958) : Illustrator, Buchkünstler, Briefschreiber

Autor(en): Müller-Krumbach, Renate

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Librarium : Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen- Gesellschaft = revue de la Société Suisse des Bibliophiles

Band (Jahr): 47 (2004)

Heft 2

PDF erstellt am: 10.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-388757

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http://www.e-periodica.ch RENATE MÜLLER-KRUMBACH MARCUS BEHMER (1879-1958) Illustrator. Buchkünstler, Briefschreiber

Zu den unübersehbaren Gestaltern der der von England aus in die deutsche Buchkunst des 20. Jahrhunderts gehört Illustrationsgraphik hineinwirkt. Behmer Marcus Behmer, der mit seinem vielseitigen vergöttert den englischen Zeichner und widmet Werk eine bestimmte Stilperiode mitprägte, ihm eine huldigende Lithographie. Die das Erscheinungsbild des Inselverlages Prägung durch Beardsley ist so stark, daß Leipzig zeitweilig stark beeinflußte und sie in der Beurteilung seines Werkes einerseits eine begeisterte Sammler- und Anhängergemeinde abwertend vermerkt wird (Harry Graf um sich heranbildete. Obwohl er Kessler: «Behmer hat zu Deutschland Phasen künstlerischer Stagnation durchzustehen überhaupt keine Beziehung; er spiegelt blos hatte, ist sein Werk beträchtlich und die BeardsleyscheVerfeinerung2.»), andererseits wird von einer noch nicht überschaubaren bis an sein Lebensende nachwirkt, Zahl von sorgfältig formulierten Briefen wenn er in einem der Nachrufe «einer der begleitet. Dadurch besteht die Chance, den größten Buchgraphiker des deutschen Künstler selbst zu Wort kommen zu lassen, Jugendstiles» genannt wird und damit sein der häufig über sich selbst und seine Kunst, Schaffen - in der besten Absicht - auf sein auch über seine Zeit, reflektiert. Behmer Frühwerk reduziert wird. Neben der ist, wie Fontane es nennt, ein «talent épisto- Handzeichnung ist die Lithographie eine Technik, laire» und betont noch im hohen Alter, die er in seiner frühen Schaffenszeit 1955, die Freude und das Vergnügen an die- hin und wieder verwendet, parallel mit den serTätigkeit. ersten Holzschnittversuchen. Sein eigentliches «Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu graphisches Medium aber wird die können», schreibt er am 28. September 1907 Radierung. Er erlernt alle diese seine an Anton Kippenberg, den Leiter des künstlerischen Ausdrucksmittel autodidaktisch, Inselverlages, «daß meine künstlerische nach Büchern, wie er selbst überliefert, und Entwicklung mehr und mehr zum Buchdruck betont, nie eine Kunstschule oder Akademie und Buchschmuck hinführt lebte ich in besucht zu haben. Er vergißt jedoch England, so läge die Gestaltung meines nicht, der belehrenden Unterweisung durch äußeren Lebens durch die oben angeführte denHolzs techer Bruno Rollitz zu gedenken. Kenntnis klar zu Tage: ich würde eine Ohne Einfluß wird auch seine Herkunft Privatpresse gründen1.» Mit dem Inselverlag aus einem Künstlerhaus nicht gewesen steht Behmer seit 1901 in Kontakt, noch sein. Marcus Michael Douglas Behmer bevor er sich als Zeichner und Illustrator, wird in als Sohn des Malerprofessors zunächst für die Zeitschriften Simplicissimus Hermann Behmer geboren und wächst und Die Insel, danach mit seinen Illustrationen mit seinen Geschwistern in einem oberhalb zu Oscar Wildes Salome, 1903, fast der barocken Schloßbrücke gelegenen schlagartig einen Namen gemacht hatte. Er Biedermeierhaus auf. Hermann Behmer trifft mit seinen flächigen Zeichnungen in erfreut sich in der großherzoglichen harten Schwarz-Weiß-Kontrasten und den Residenzstadt eines angesehenen Rufes, schwingenden Konturen genau das verdient seinen Unterhalt mit häufig erteilten Stilgefühl der Zeit, verkörpert vollendet den Porträtaufträgen und wird wegen seiner «Jugendstil» und schafft eine deutsche Sittenstrenge und bekannt konservativen Variante des bewunderten , Haltung von der jüngeren Künstlergenera-

66 tion spöttelnd «der fromme Hermann» «Blumen und Wappenbilder auf Schranktüren genannt. Seine Cousine, die emanzipatori- malen», während Rudolf von Poellnitz sche Schriftstellerin Gabriele Reuter, sucht sozusagen händeringend auf die diese Meinung zu relativieren und berichtet: Fertigstellung der Illustrationszeichungen zu «Er war weder prüde noch engherzig - Balzacs Das Mädchen mit den Goldaugen wartet. nur die Darstellung des Lasters, des Dieser zweite große Illustrationsauftrag an Perversen verurteilte er mit Empörung3.» Die Behmer wird am 3. Februar 1903 bestätigt homosexuelle Neigung seines Sohnes Marcus und Poellnitz ist von den ersten fertigen ist ihm daher äußerst konträr, und Zeichnungen «einfach hingerissen». Der der knapp Achtzehnjährige wird aus Weimar Schock bleibt nicht aus, als ihm Behmer entfernt - «meines Bleibens war nicht mitteilt, der Kasernendienst sei so länger» - vermerkt Marcus Behmer selbst anstrengend, daß er weder die Ruhe noch die dazu1. sichere Hand habe, um die Illustrationen zu Seine schulischen Leistungen waren nicht beenden, und ob Poellnitz das Buch nicht eben überragend: «Vorschule und Gymnasium ohne Zeichnungen herausgeben wolle. Erst bis Obertertia (mehrmals sitzengeblieben). einen Monat später kommt die Antwort In Obertertia zweimal sitzen geblieben - Poellnitz «mußte sich erst von Behmers und ab zum üWgymnasium.5» Doch der Brief erholen» -, und er schiebt resignierend Unterricht muß vorzüglich gewesen sein. das Erscheinungsdatum auf8. In eben Der kurzen Gymnasialbildung verdankt dieser Zeit der Militärausbildung findet Marcus Behmer sein Latein und sein die erste und einzige größere Ausstellungsbeteiligung Griechisch (auch seine Goethe-Kenntnisse), Behmers in Weimar statt, eine besonders sein Latein verwendet er Einzelausstellung hat es hier nicht gegeben. offensichtlich mitVergnügen häufig in den Harry Graf Kessler, Kunstliebhaber, Randbemerkungen innerhalb seiner Graphik. Bibliophiler und Mäzen, hat im Frühjahr «Laus deo», steht da zu lesen, oder: «muscis 1903 den Vorsitz des Kuratoriums des et pulcibusque horribileter irritants6», und neugegründeten «Großherzoglichen wie die Stecher des 18. Jahrhunderts Museums für Kunst und Kunstgewerbe» über- signiert er seine Drucke selbstverständlich mit «invfenit], del[ineavit]» und «sculp[sit]». Dem Griechischen entlehnt er in späteren Jahren das Omega als Zeichen für «Ohm ^ [= Oheim]», als der er sich gern den jungen Freunden gegenüber betrachtet, und zeitlebens ist seine Signatur «MB». - «Wer M sagt, muss auch B sagen» - notiert er in griechischen Buchstaben auf einem seiner Skizzenblätter7. Von Oktober 1903 bis EXLIBRIS AlßtANDfiR OIBRIQfl September 1904 kehrt MB, der inzwischen in München Kontakte in zur Avantgarde **3>5 in Literatur und Kunst gefunden hat, nach Weimar zurück, um sein «Einjährig-Frei- willigen»-Militärjahr abzudienen, in der Kaserne gleich oberhalb seines Elternhauses. Dort muß er, außer seinen Dienstpflichten, auch noch andere Leistungen erbringen, wie er verbittert dem Inselverlag mitteilt. Exlibrisfir Alexander Olbricht, Buchdruck igoß/04.

67 nommen und beginnt mit seiner berühmt der Radierung, in der Lithographie als gewordenen Ausstellungsreihe moderner auch im Holzschnitt versiert und druckt mit Kunst. Die alljährlich üblichen Meisterschaft seine kleinen Blätter auf der Weihnachtsausstellungen überläßt er nach wie vor der eigenenTiefdruckpresse. Weimarer Künstlerschaft. Die Handwerkliche Probleme, wie Behmer Jahresendveranstaltung vereint bis zum Januar 1904 sie immer wieder in Anatomie oder so wie die Jahre zuvor bekannte und Perspektive hat, kennt Olbricht nicht, seine unbekannte Weimarer Maler, unter anderen formale Sicherheit veranlaßt Behmer sind Hermann Behmer, der Vater, und wiederholt zu neidvoller Bewunderung. Bis Alexander Olbricht vertreten, auch Marcus zumTode Olbrichts imJahr 1942 bleibt der Behmer mit einem Selbstbildnis und, Kontakt bestehen, darüber hinaus mit der erstaunlicherweise, mit einer Extraabteilung Familie, und äußert sich in einer großen von fünfzig Zeichnungen. Anzahl von Briefen, die Behmer dem Diese große Zahl von Arbeiten eines Freund schreibt". Ab und zu ist in beider einzelnen Künstlers innerhalb der Weimarer Werk eine gegenseitige Beeinflussung Gruppenausstellungen ist sonst nicht zu beobachten. So radiert Behmer während üblich und legt die Vermutung nahe, Harry seines Fronteinsatzes im Ersten Graf Kessler habe hier doch, obwohl er sich Weltkrieg kleine Landschaften, die der anmutigen sonst um diese Ausstellungen nicht zu Melancholie der Olbricht-Radierun- kümmern pflegt, Einfluß genommen, denn gen sehr nahe kommen, während Olbricht natürlich kennt er den Buchkünstler Behmer, sich an phantastischen Blütenerfindungen wenn auch nicht persönlich. So wäre es versucht, die wiederum eine Domäne womöglich auch auf seine Veranlassung Behmers sind. Im Bereich der Buchkunst sorgt zum Druck der Katalogbeilage mit dem Behmer dafür, daß der Inselverlag eine Verzeichnis der fünfzig Arbeiten gekommen9. Radierungsmappe des Freundes verlegt Weder Behmer selbst noch seine Biographen und Otto von Holten in den Garten erwähnen diese wichtige Präsentation, des Paradieses von Hans Christian Andersen zu der weit mehr als die ausgestellten Blätter eingereicht worden war. Wenn nicht die Original-Zeichnungen der Salome dabei wären, die Behmer noch 1909 LEGENDEN ZU DEN Kippenberg zum Kauf anbietet10, könnte man FOLGENDEN VIER SEITEN vermuten, daß es sich um eine Sammlung 1/2 Honoré de Balzac: '.Das Mädchen mit den Gold- aus Privatbesitz handelt, etwa von einem Insel-Verlag, Leipzigigo4. Kesslers augen*. von Freunden. ß/4 Doppeltitel zu «1001 Nacht». Insel-Verlag, Leipzig Eine wichtige Folge der Weimarer z9I2ff- Ausstellung ist der Beginn der Freundschaft mit ß Illustration aus dem Bilderbogen '.Niemand kann wider sein Schicksal. Eine Erzählung die refere Alexander Olbricht, dem in Weimar ansässig Jiir Jugend. Mit sieben Bildern in bunter Farbenpracht.» Maler und der gewordenen Radierer, Weimar igoß. sein Leben lang Vertrauter und Berater 6 Illustration aus dem Bändchen -Von dem Fischer un Behmers bleibt. Das Haus Olbricht ist nicht synerFrui.. Buchdruck von Otto vonHolten, Kupferdruck Carl Sabo. nur bevorzugte Besuchsadresse in der von igi4- Titelseite zu Voltaire: -Zodig oder das Geschick-. Mit hierhin schickt der Künstler y Vaterstadt, 40Radierungen. VerlagPaul Cassirer, Berlin igi2. von allen seinen graphischen Arbeiten ein 8 Eine vonfünfRadierungen zu Hans Jakob Christof- Exemplar, um Olbrichts Meinung zu hören ßelvon Grimmelshausen: «Der erste Beernhäuter». Bran- dus'sche Berlin und seinen Rat zu erbitten. Olbricht besitzt, Verlagsbuchhandlung, igig. g 'Lächel-Zeichen,., Neujahrswunschfür igßi. Radierung. im Gegensatz zu Behmer, eine gediegene akademische Ausbildung, er ist sowohl in 10 Exlibrufir Werner Hauche, Radierung ig48.

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EIN quTSS JAHR. ICSI mit kolorierten Holzschnitten von Olbricht der Illustrationen aufJapan außerhalb der herausbringt12. Auflage, Rückgabe der Originalzeichnungen, Ein deutliches Zeichen seiner Verbundenheit obwohl sie eigentlich in das Eigentum mit Alexander Olbricht ist die des Verlages übergehen sollten. Die Übersendung einer eigenhändigen Anforderungen Behmers an die Ausführung der Fassung seines «Œuvre gravé», die er bis von ihm gestalteten oder ausgestatteten zum Jahr 1931 kontinuierlich ergänzt und Bücher werden immer höher, er verlangt in langen Briefen über einzelne Positionen bestes Papier - «jedenfalls ist das Papier bei erläutert, das kritische Urteil Olbrichts einem Buche doch die Hauptsache, schönes einfordernd X Papier ist die Grundbedingung für ein Nach der Ausstellung von 1903/04 schönes Buch [,..]15», kritisiert die knüpft Behmer ein letztes Mal für lange Lederproben für die Einbände und entrüstet sich Jahre den Kontakt mit Weimar neu, tritt über durchschossenen Satz. Kippenberg in Verbindung mit der Buch- und dagegen beobachtet mißtrauisch Behmers Kunstdruckerei Dietsch 8c Brückner und läßt Aktivitäten in anderen Verlagen, insbesondere dort 1905 einen vielfarbigen lithographierten die Zusammenarbeit mit der Druckerei «Bilderbogen» drucken, den er, Otto von Holten in Berlin, von der er wahrscheinlich im Jahr darauf, in besonders später zwei der schönsten Drucke Behmers schöner Aufmachung Harry Graf Kessler in die Inselbücherei übernimmt, Das Märchen dediziert, und zwei weiteren Mitgliedern von dem Fischer und syner Fru (1914 bei des «Neuen Weimar», Ludwig von Holten, 1920 im Inselverlag) und Der erste Hofmann und Elisabeth Förster-Nietzsche14. Bärenhäuter (1919 bei Holten, 1921 im Danach konzentriert sich sein Leben auf Inselverlag). Die Radierungen zum Fischer, in die Villa Coltacelo bei Florenz, ab 1910 hat Behmers Sprachgebrauch «Ilsebill», waren er eine Wohnung in Berlin. Viele seiner noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, Arbeiten für den Inselverlag entstehen in ebenso die große Radierungsfolge zu Italien, Kippenberg vertraut ihm die Voltaires ftadig oder das Geschick. aufwändige Buchausstattung der verschiedenen Der Berliner Verleger Ausgaben von 1001 Nacht an und leitet gewinnt Marcus Behmer 1912 für diese damit erneut eine langwährende Periode Illustrationen, die zu den reichsten und der Zusammenarbeit mit dem Inselverlag skurrilsten seines Schaffens zählen, voll von ein, die eine Einzeldarstellung erfordert. Erfindungsreichtum, groteskem Beiwerk Der umfangreiche Briefwechsel, von beiden und karikaturistischer Ironie. «Bezaubernd Seiten intensiv und ausführlich geführt, schön» findet sie fast zwanzig Jahre später bietet die ganze Skala buchkünstlerischer Harry Graf Kessler und wünscht sich Verabredungen und Absprachen zwischen ähnliches für seine Cranach-Presse16. Der einem qualitätsbesessenen Buchgestalter Künstler dagegen ist wieder einmal von und einem kaufmännisch rechnenden der Ausführung des Buches enttäuscht. Verleger. Dabei ist es immer wieder Kippenbergs Über das Verfahren, seine Radierungen sicheres Stilgefühl, das Behmer zu zum ftadig auf große Bögen gedruckt und neuen Leistungen motiviert und geschickt dann ausgeschnitten und schließlich in das argumentierend die anspruchsvollen Pläne Buch hineingeklebt zu sehen, ist er entsetzt. des Künstlers dilatorisch behandelt, um mit Die Zusammenarbeit zwischen dem Geduld die Fertigstellung der schon erteilten Inselverlag und Behmer intensiviert sich Aufträge zu erreichen. nach dem Ersten Weltkrieg beträchtlich. Er geht auf viele Sonderwünsche Behmer erhält zahlreiche Aufträge zu Behmers ein: Extraabzüge der Initialen und Einbänden, Vignetten, Buchschmuck insgesamt, Ornamente «zum Ausmalen», Sonderdrucke er zeichnet für den alljährlich erschei-

73 nenden «Insel-Almanach» Kaiendarien und rene Angelegenheit mit dem Buch Jona mit Tierkreiszeichen, entwirft mehrere Varianten Behmers Radierungen, das der Inselverlag des berühmten Verlagssignets, des 1930 nach vielen Querelen herausbringt, «Inselschiffs», und faßt schließlich seine zu klären, und bricht damit die Verbindung Sicht auf den Verlag und seinen Leiter im zu Marcus Behmer ab. Sein Mitgefühl mit Huldigungsblatt zu Kippenbergs Geburtstag dessen «finanzieller Misere» ist durch das 1924 in einer hochkomplizierten großen Verhalten des Künstlers gemindert: «Sie Radierung zusammen, zu dem er einen haben uns in der unverantwortlichsten «Insel-Baedecker» schreibt'7. Seine vom Weise im Stich gelassen.» Jugendstil beherrschte Formensprache ist Die Geldnot begleitet Behmer in seinen inzwischen realistischen Elementen in zarter folgenden Lebensjahren permanent. Das Konturierung gewichen. Trotz alledem «märchenhaft kostbare Unternehmen» des kommt es immer wieder zu Verstimmungen. «Petronius»-Druckes in der Cranach-Presse Behmers äußerst empfindliches Selbstgefühl Graf Kesslers scheitert aus verschiedenen diktiert ihm eine aggressive Gründen, auch durch die Schließung der Beschwerde über Kippenberg, als dieser seine Presse im Oktober 193120, größere Aufträge Signaturen in 1001 Nacht, die dieser zweimal von anderen Verlagen sind nicht in Sicht. auf dem Einband, im Doppeltitel und Zwar ist für sein Auskommen weitestgehend im Druckvermerk plaziert, bis auf eine durch die großzügige Gastfreundschaft reduzieren läßt18. Dann häufen sich die seines Freundes Georg Licht, zuerst Terminschwierigkeiten und Behmer klagt auf seinem Gut in Neumühl bei Sassenhagen beredt über die «Riesenlast seiner in Pommern, dann in Heiligenholz Gewissensqualen», über «den schlimmen Ruf am Bodensee, gesorgt,jedoch die Lage wird verbrecherischer Bummeligkeit». Kippenberg prekär, als Georg Licht 1934 verstirbt. reagiert zunächst noch mit Galgenhumor Behmer hat zwar immer zwischen seinen und telegraphiert: «Wenn Umschlag großen Illustrations- und Buchschmuckaufträgen Inselschiff jetzt nicht kommt muss ich mich er- kleine Auftragsgraphiken verfertigt schiessen'9», aber im Prinzip ändert sich - vorwiegend Exlibris, Monogramme, nichts. Wie in der Zeit unter Richard von Glückwünsche -, aber leben kann er davon Poellnitz kann Behmer Termindruck nicht nicht. Es beginnt eine Phase schwieriger ertragen und läßt sich von anderen Projekten Lebenssituationen, die Behmer in ablenken, verspricht Dinge, die er nicht Existenzangst und Depression stürzt. Seinem halten kann und ist indigniert, wenn Freund Olbricht teilt er sich mit, wenn auch Kippenberg auf ihren Abmachungen besteht. verhalten; er kennt auch dessen Schwierigkeiten Zudem ist die Situation angespannt, da sich - Olbricht verliert 1935 seine Professur ein hohes Defizit zu Behmers Lasten beim an der Weimarer Kunsthochschule im Verlag gebildet hat. Sorglos um die Kosten Zuge der «Wiederherstellung des hat sich der Künstler immer wieder die Berufsbeamtentums» und verfügt daraufhin nur schon genannten Sonderdrucke bestellt, über ein minimales eigenes Einkommen -, wie auch Neuerscheinungen des Verlages kann also dem Freund nicht helfen. In «à conto» seiner Aufträge in großer Anzahl. Olbrichts Nachlaß hat sich eine Nicht selten treffen Telegramme ein, die Gedichtabschrift erhalten, die die seelische Krise dringend um Geld, um Vorschüsse bitten, der beiden Freunde beredt ausdrückt: und nun fällt er aus allen Wolken, als der strapazierte Buchhalter des Verlages eine «Du könntest, wenn du wolltest, fliegen; beträchtliche Rechnung aufmacht. über jede Mauer: Durch einen letzten Briefvom 2. September was fliegst du nicht? - 1932 versucht Kippenberg, die verfah¬ -Wohin? Wozu? Ach, siehst du nicht:

74 ist in uns nicht das engste Vogelbauer? ach, dem entfliehst du nicht, die große Trauer » besiegst du nicht - » Melencolia. / 25.I.38 / Abgeschrieben: 9juli 1940 von MB/ AO. Der schwerste Schlag trifft ihn im Dezember 1936, Marcus Behmer wird in einem Verfahren wegen Päderastie verurteilt und verbringt die folgenden neunzehn Monate in den Gefängnissen Stockach, Konstanz und Freiburg im Breisgau. Ob eine Anzeige diese Verurteilung auslöste, ist nicht bekannt. Im nachhinein zeigt Behmer in der Beurteilung seiner Haftzeit eine bewundernswerte Haltung. Er leitet aus diesen «578 geregelten Tagen» eine tiefgreifende Änderung seiner Lebensführung ab, ein Ende der durchwachten Nächte und verschlafenen Tage, ein Ende der Reisefeindlichkeit und der Unmöglichkeit, sich in einen geordneten Haushalt einfügen zu können. In den acht bis neun Monaten, während derer er im Gefängnis für sich arbeiten, zeichnen durfte, entstehen an die zweihundert Blätter, darunter die ihm von Zeichnung zu : «Salome". Insel-Verlag, Leipzig igoß. so genannten «Täfele», die mit ihren schön geschriebenenVersen und ihren Ornamentumrahmungen sowohl an mittelalterliche Veröffentlichung zu zeichnen, etwas Missale als auch an Votivgaben erinnern. auszustellen, - diese Möglichkeit ist mir versagt, Seine Signatur ergänzt er mit dem Wort da ein neues Gesuch an die ausgeschlossen und zum Existenz gestaltet, überliefert seine eigene Leben eines Schmarotzers verurteilt zu Schilderung: «Heiligenholz, 9.XL 1938» sein, jede Lust und jeden Elan zum «Schaf- [Adressat unbekannt] «Aber es ist etwas fern lähmen muß, - das ist wohl anderes, was als unerträglicher Druck begreiflich..."» auf mir liegt und mich - in Vielem und Behmer geht zurück nach Berlin und zu Vielem lähmt: daß ich nicht mehr frei bezieht wieder seine Wohnung, die er 1910 arbeiten darf! - D. h. ich wohl arbeiten, zehnJahre bewohnte, um sie ihm zu erhalten. aber die Möglichkeit irgend etwas von meiner Dort hat er seine wunderbare, geliebte Arbeit zu verkaufen, , oder gar bewahrte Eigenarchiv seiner Arbeiten und Aufträge auszuführen, irgend etwas für die findet wohlwollende Freunde wieder. Im

75 Verlauf des fortschreitenden Krieges wird «Ob es heute viel wird mit dem er wegen der Bombardierung der Geschreibsel, ist sehr fraglich, da sich Besuch deutschen Städte nach Groß-Nühnen bei angesagt hat, mein kleiner Trost-Engel, an der Oder evakuiert und sieht von Werner Haucke, Volkskind, 13 Jahre; und dort aus das brennende Berlin. Im November er kommt keineswegs nur wegen der Wärme 1943 wird seine Wohnung restlos hier: Gerade der so große Altersunterschied vernichtet. Marcus Behmer hatte zwar einiges ermöglicht diese besondere, für uns ausgelagert, aber noch nach Kriegsende beide gleich kostbare und - eben: tröstliche kann er nicht wissen, was ihm davon Freundschaft...2'» geblieben ist. Zurückgekehrt nach Berlin Ein anrührendes Zeugnis dieser Beziehung muß er als Untermieter unter armseligen ist eine Zusammenstellung von Bedingungen mit einem möblierten Zimmer frühen und letzten Arbeiten des Künstlers in vorlieb nehmen. einem Sammelalbum, das 1996 als «Wohnung, Bücher, Sammlungen, eigene Geschenk in die Graphische Sammlung des Arbeiten, überhaupt das ganze MB mit Bildern, Fotos, alles, Zeitschriften, dreißig Seiten, auf denen die kleinen Zeitungen, etc etc - gut: alles hin] Auch Originalgraphiken aufgeklebt sind, schickt alles, nach Frankfurt-Nühnen - und in den Marcus Behmer ein Widmungsblatt

76 veröffentlicht. Durch seine Initiative zusammengestellt. Die Kenntnis dieses und anderer Materialien verdanke ich Horst Zeisig, der entsteht unter seiner Direktion im Klingspormuseum meine Behmer-Recherchen viele Jahre lang Offenbach die umfangreichste fördernd begleitet. Behmer-Sammlung in öffentlichem Besitz. 6 Zitiert nach Halbey, Hans Adolf, Marcus Marcus Behmer stirbt im September Behmer als Illustrator. Neu-Isenburg 1970, 1958 in Berlin und wird auf dem Friedhof [unpaginiert]. 7 Studie zu aaDivertimenti», Goethe-Nationalmuseum Heerstraße (Westend) beerdigt. Eberhard Weimar. 8 Knoch, der Leiter des Charlottenburger Insel-Archiv, Februar 1903 bis Dezember Kunstamtes, sorgt, da kein Geld vorhanden 1904. Das Buch erschien 1904. 9 Weimarischer Künstler, ist, für eine Stiftung der Grabstelle durch Katalog Ausstellung 1903. Vorläuferdruck der Cranach-Presse, das Bezirksamt kümmert Charlottenburg und Verzeichnis MK ia, vgl. Müller-Krumbach, Die sich um den Findling, der als Grabstein Vorläufer der Cranach-Presse, in: Das Buch gesetzt wird. als Kunstwerk. Die Cranach-Presse des Grafen Harry Kessler, Laubach 2003, S. 33. In der Szene, die sich um Behmers 10 26.7. rgog, Insel-Archiv. Stammlokal, die «Westend-Klause», gebildet 11 Briefe in der Sächsischen Landes- und hat, bleibt die Erinnerung an die Universitätsbibliothek Dresden, bearbeitet und markante Erscheinung des Künstlers lange verzeichnet von Eva-Maria Dreißiger, der hier für freundliche Auskünfte herzlich sei. lebendig. Er selbst findet in einer seiner letzten gedankt 12 «Zwölf Radierungen aus Weimar». Radierungen, dem Neujahreswunsch Inselverlag Leipzig rgio. Kat. Ausstellung A.Olbricht, für 1951, noch einmal eine charakteristische Weimar ^76, Nr. 374-386; «Der Garten des Ausdrucksform seiner Lebenshaltung Paradieses», Berlin 1920, Kat. Nr. 52g. 13 Ein Gesamtabdruck des «Œuvre ist in Bild und Text: er setzt das helle gravé» imJahrbuch «Imprimatur» für 2005 vorgesehen. «Lächelzeichen», das er innerhalb der Interpunktion 14 «Niemand kann wider sein Schicksal». Eine immer vermißt hat, aber gern in seinen Erzählung für die reifere Jugend. Mit sieben Briefen verwendet, dominant über das Bildern in bunter Farbenpracht [WVB 26], Faksimile Weimar Nachwort Renate Müller- gespenstische das seinen 1984, Fragezeichen, mit Krumbach. Klauen die umklammert. In die 13 Erdkugel 27. Mai rgo7, Behmer an Kippenberg, Insel- Umrahmung schreibt er wieder Goethe- Archiv. 16 Verse26, den maurerischen Strophen mit Kessler, Tagebücher, 23. Juli rg30. DLA Marbach Neckar. dem Titel «Symbolum» und am entnommen, 17 Sarkowski, Heinz, Der Inselverlag. Eine setzt daß voraus, der Leser und Betrachter Bibliographie. i8gg-ig6g. Frankfurt am Main den letzten Vers kennt: «Wir heißen euch ig70. Das Register, S. 670, verzeichnet 38 hoffen.» Verweise auf Behmers Mitarbeit. «Die Insel», Radierung rg24,WVB32i. ANMERKUNGEN 15 Briefwechsel Januar rgri, Insel-Archiv. Sarskowski r720. Der Briefwechsel zwischen Marcus Behmer 19 Briefwechsel Mai 1925, Insel-Archiv. 20 und dem Inselverlag Leipzig, Richard von Poellnitz Wie Anm. 9, S. 203-211. und Anton Kippenberg, befindet sich im 21 Privatarchiv. Inselverlags-Archiv im Goethe- und Schiller- 22 Behmer an K. Baumann, 9. März rg46. Archiv Weimar. Zitiert als Insel-Archiv. Privatarchiv. Kessler, Harry Graf, Tagebücher, 15. Juni 23 WieAnm. 22,24. Februar 1947, Privatarchiv. 1904; Deutsches Literaturarchiv Marbach am 24 Frau Elke Minckwitz, die unbeirrbare Neckar (zitiert als DLA). Hüterin des van-de-Velde-Hauses in Weimar, vermittelte 3 Reuter, Gabriele, Vom Kinde zum die Schenkung, die durch Frau Christiane Menschen. Berlin 1921, S. 265. Rose im Zuge der Nachlaßregelung des 4 Marcus Behmer, Amor parvi. In: Wir fingen Charlottenburger Kulturreferenten Eberhard Knoch einfach an. Arbeiten und Aufsätze von Freunden vollzogen wurde. und Schülern von Richard Riemerschmidt. Hrsg. 25 Goethe, Johann Wolfgang von, Werke, von Heinz Thiersch. München 1953, S. 89. Frankfurt 198g, Bd.I, S.360, aus «Urworte or- 3 «Fragebogen»: von Marcus Behmer auf phisch / Elpis, Hoffnung». 26 Anfrage von Hans Adolf Halbey am 25. April 1958 Wie Anm. 25, S. 340.

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