Ralph Siegel Komponist, Musikverleger Und Musikproduzent Im Gespräch Mit Roland Spiegel Spiegel
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Sendung vom 30.9.2015, 20.15 Uhr Ralph Siegel Komponist, Musikverleger und Musikproduzent im Gespräch mit Roland Spiegel Spiegel: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Ich freue mich heute besonders auf unser Gespräch, denn mein Gesprächspartner ist Ralph Siegel, Musikproduzent und Komponist. Grüß Gott, Herr Siegel. Siegel: Schönen guten Tag, ich freue mich, hier zu sein. Spiegel: Herr Siegel, schon 1989, das ist also eine ganze Weile her, haben Sie einem Kollegen von mir in einem Interview gesagt, Sie hätten bis dato 1200 Lieder veröffentlicht und noch viele andere geschrieben. Wie viele sind es bis heute? Sie haben sie sicherlich nicht alle gezählt, aber Sie wissen doch bestimmt eine ungefähre Zahl. Siegel: Man kann das schon relativ genau zählen, weil es ja einerseits die offiziellen Lieder gibt, die ich angemeldet und produziert habe: Komponiert und produziert sind es über 2000. Aber ich habe erst kürzlich mal gesagt, dass das doch eigentlich gar keine so große Zahl sei, denn das war in diesen 40 Jahren pro Woche ein Lied. Wenn man Komponist ist, dann sieht man das eben als seinen Beruf an und dann schreibt man eben auch ein Lied pro Woche. In 40 Jahren sind auf diese Weise eben 2000 Lieder zustande gekommen. Ich habe sie aber auch noch produziert und teilweise bzw. fast alle finanziert mit meinen Künstlern. Aber es war schon auch eine Fleißarbeit, das stimmt. Spiegel: Es gibt doch sicherlich auch Lieder, die Sie weggeworfen haben. Siegel: Man wirft sein eigenes Lied nicht weg. Es gibt ja diese herrliche Form des Kassettenrekorders bzw. des DAT-Rekorders oder sonst irgendeines digitalen Aufnahme- und Speichermediums: Ich habe darauf fast alles aufgehoben. Wenn ich das Gefühl hatte, dass das Lied schön ist, habe ich es früher auf Kassette aufgenommen. Ich habe daheim einen ganz großen Berg von Kassetten, den ich mir alle drei, vier Jahre wieder einmal anhöre, auf denen schöne Themen sind und von denen ich heute noch sagen kann: "Ah, das war doch ein schönes Thema." Denn man hört ja die Lieder im Laufe der Jahre doch immer wieder mit anderen Ohren an, wie ich immer sage. Und man hat auch immer andere Künstler, denn es kommt eben darauf an, für welchen Künstler man gerade schreibt. Wenn ich jahrelang für Peter Alexander geschrieben habe, dann macht das im Vergleich zu einem neuen Künstler wie z. B. Julia Kollat schon einen großen Unterschied aus. Da sind einfach 40 Jahre dazwischen: Die Musik hat sich verändert, die Stilistik usw. Aber die kleine, einfache, schöne Melodie kann immer passen. Sie passt auch in die heutige Zeit wie z. B. "Ein Hoch auf uns": So eine Hookline, wie sie Bourani jetzt gemacht hat, habe ich auch einige gemacht und sogar noch etliche in der Schublade. Spiegel: Passiert es Ihnen denn manchmal, dass Sie Melodien schreiben, bei denen Sie dann später feststellen, dass Sie fast dieselbe Melodie schon vor 30 Jahren geschrieben haben? Siegel: Ja, das passiert. Aber es ist ja auch immer wieder ein Wunder, wenn etwas Neues herauskommt. Denn das Material, mit dem man da arbeitet, besteht eigentlich nur aus acht Tönen und den dazugehörigen Halbtönen. Was die Menschheit aus diesen paar wenigen Tönen inzwischen alles komponiert hat, ist doch unglaublich. Wenn ich die Augen zumache und mir etwas einfällt, dann setze ich mich ans Klavier und fange an. Aber ich muss es immer wieder sagen: Ich bin ein Textmensch. Für mich besteht ein großer Unterschied darin, ob ich Filmmusik mache, ob ich Werbemusik, Hintergrundmusik mache oder ob da ein Künstler draußen auf der Bühne steht und etwas zu sagen hat. Ich vergleiche das auch immer mit einem Politiker. Ein Politiker geht auf die Bühne und ich denke mir: "Aha, was hat er mir zu sagen?" Beim Künstler ist es genauso, es ist nur die Frage, wie er das dann sagt. Der Karel Gott singt hoch, der Gunter Gabriel singt ganz tief, aber es kommt immer darauf an, was so ein Künstler sagt. Meine Aufgabe besteht darin, das, was sie sagen, in die Töne zu transferieren, die dazu passen, sodass eben bei Karel Gott ein "Das war Babicka" oder bei Gunter Gabriel ein "It's a long long way to Georgia" herauskommt. Also, der Text ist doch das Wichtigste. Spiegel: Kann man sagen, dass Sie so etwas wie ein musikalischer Handwerker sind, der einen klingenden Maßanzug für Sängerinnen oder Sänger herstellt? Siegel: Ein bisschen ist das schon ein Maßanzug, denn ich denke natürlich darüber nach, welche Persönlichkeit der jeweilige Künstler hat. Peter Alexander hatte Entertainer-Qualitäten, und zwar die größten überhaupt, und wenn er da mit seinen 50 Jahren im Smoking und mit Fliege seinem Publikum etwas vorgesungen hat, dann war das etwas anderes, als wenn damals ein kleines Mädchen zur Gitarre vom Frieden gesungen hat. Man macht nicht zuerst irgendwie ein Lied und sucht sich dann jemanden, der das singt. Ich jedenfalls habe immer gezielt für den Künstler geschrieben: für Karel Gott die "Babicka", für Rex Gildo "Fiesta Mexicana". Oder ich habe selbst etwas kreiert und mir wie bei "Dschinghis Khan" gleich die ganze Truppe ausgedacht. Aber das war immer ganz gezielt auf die Persönlichkeit des Interpreten, der Interpreten abgestimmt. Und es musste immer mit einer bestimmten Text-Idee verbunden sein wie z. B. bei Katja Ebstein mit "Dann heirat' doch dein Büro" oder "Abschied ist ein bisschen wie sterben" oder eben "Theater". Ja, ich mache schon so ein bisschen musikalische Maßanzüge für die Interpreten und deren Texte. Spiegel: Schreiben Sie heute immer noch ein Lied pro Woche oder sogar mehrere? Oder hat sich das im Laufe der Zeit so ein bisschen reduziert? Siegel: Ich mache momentan wieder mehr denn je. Ich habe ja zehn Jahre lang nicht so viel produziert. Genauer gesagt, ich habe schon sehr viel produziert, aber anderes: Ich habe zusammen mit meiner Frau Kriemhild 68 Titel mit großen klassischen Werken produziert, also von diesem wunderbaren Mozart-Album, das wir gemacht haben, bis zum Schwanensee-Album mit Tschaikowsky-Kompositionen usw. Das sind insgesamt vier große Alben geworden. Dann habe ich mich um meine Musicals gekümmert, die es leider am Broadway nicht geschafft haben. Ich war jahrelang drüben in den USA und habe dort drüben geprobt und gearbeitet und z. B. neun Versionen von "Clowntown" geschrieben, habe mit diversen amerikanischen Autoren zusammengearbeitet, habe sechs Readings gemacht in New York, in Los Angeles mit 30 Künstlern usw. usf. Aber ich habe das nicht geschafft. Außerdem war ich eine Zeitlang ziemlich krank: Ich hatte Krebs und eine wirklich schwere Zeit deswegen. Aber ich habe das dank wunderbarer Ärzte und dank meiner Frau überlebt. Tja, und jetzt habe ich mich wieder aufgerappelt und mir gesagt: "Mit 70 fängt das Leben erst an!" – und nicht mit 66 Jahren. Wenn man wieder gesund ist, dann muss man sich einfach nur neue Ziele setzen. Wenn man sich keine Ziele mehr setzt, dann stirbt man vermutlich bald. Etliche Kollegen von mir sind z. B. nach Lugano an den See oder so gefahren und haben sich zurückgezogen. Ich hingegen habe mir neue Ziele gesetzt: Das hält mich jung. Momentan habe ich lauter neue, junge Künstler, mit denen ich arbeite. Das macht mich unendlich glücklich, denn da kommt junges Blut mit Engagement und Begeisterung auf mich zu. Ihnen gebe ich meine Kraft, meine Erfahrung mit. Die Arbeit mit ihnen hält mich jung. Deshalb komponiere ich immer weiter und schreibe mit neuen, jungen Autoren und neuen Komponisten neue Lieder. Spiegel: So wie Sie das schildern, stelle ich mir Ihren Tagesablauf so vor, dass Sie morgens um sechs Uhr ins Studio gehen, aus dem Sie dann aber erst um fünf Uhr am nächsten Morgen verschwinden, um mal kurz für eine Stunde zu schlafen, bevor es weitergeht. Oder wie sieht das? Siegel: Das wäre zu einfach, aber mein Tagesablauf ist in der Tat ganz simpel: Ich wache auf, gehe in mein Frühstückseckchen und lese meine Zeitung. Dann folgt ein ganz normaler Ablauf: Ich gehe ins Bad, dusche, eiskalt übrigens, und rasiere mich usw. Anschließend gehe ich ins Büro, bearbeite zuerst einmal meine E-Mails und mache das an Arbeit, was eben gerade anliegt, seien es Verträge, seien es Bewerbungen, die ich ungefragt von Leuten bekomme usw. Und dann gehe ich ins Studio. Mit dazu kommt da dann auch mein Tonmeister Claus Bräunlein, einer meiner besten und liebsten Freunde in meinem Leben, und dann machen wir, was wir gerade zu machen haben. Da ist es dann noch so gegen 11, 12 Uhr am Morgen, d. h. haben wir quasi noch frische Ohren. Je später der Tag dann wird, umso gestresster ist man dann, denn dann kommen die Telefonate, dann trifft man einen oder mehrere Künstler, trifft man Manager, hat mit Journalisten zu tun, gibt Interviews usw. Das geht dann den ganzen Tag so. Später ziehen wir uns dann wieder ins Studio zurück oder ich ziehe mich ans Klavier zurück, schreibe, komponiere. Oder wir hören uns die letzten Songs noch mal. Und am Abend gehen wir dann vielleicht mit neuen Künstlern zum Essen oder es gibt irgendeine PR-Veranstaltung usw. Das ist also ein ganz normales Arbeitsleben wie bei jedem anderen auch. Spiegel: Wir haben hier auch einen Flügel stehen und ich wollte Sie bitten, ein bisschen zu demonstrieren am Flügel, vielleicht ein paar handwerkliche Sachen. Siegel: Es ist immer sehr schwer, bei 2000 Liedern irgendetwas herauszusuchen. Da weiß ich gar nicht, was ich machen soll. Ansonsten haben wir auch immer eine Band. Und ich bin ja kein Pianist, sondern ein Komponist, was als Unterschied durchaus wichtig ist. Ein Pianist übt acht Stunden am Tag. Ich schreibe acht Stunden am Tag Lieder. Nein, natürlich nicht, dass mache ich ja nicht. Oh, das ist ja ein schöner Steinway. Was soll ich denn spielen? Spiegel: Vielleicht ein kleines Medley aus "Du kannst nicht immer siebzehn sein" und etwas anderem, was Ihnen gerade einfällt.