Bezirk Berlin-Brandenburg- Sachsen

Streikdokumentation

Menschenwürde contra Konzernwillkür Der Streik bei Bosch--Hausgeräte GmbH in Berlin-Spandau Impressum

Herausgeber: IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen Alte Jakobstr. 149, 10969 Berlin Verantwortlich: Olivier Höbel, Bezirksleiter Autoren: Rolf Famulla Reiner Peters-Ackermann Redaktion: Bernd Kruppa Grafik und Layout: Rolf Famulla Reiner Peters-Ackermann Fotos: Rolf Famulla Jochen Gester Andreas Hesse

Druck: Druckhaus Dresden

Berlin, März 2007 Bezirk Berlin-Brandenburg- Sachsen

Menschenwürde contra Konzernwillkür Der Streik bei Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH in Berlin-Spandau 2 Inhalt

Inhalt

1. Der Erfolg des BSH-Streiks: Arbeitsplätze konnten erhalten werden ...... 4

2. Bosch Siemens-Hausgeräte – Marktführer im Bereich der Weißen Ware ...... 8

3. Chronologie der Konfrontation ...... 11

4. Stationen des Streiks im BSH-Werk ...... 14

5. Der »Marsch der Solidarität« durch die Bundesrepublik Deutschland ...... 26

6. Das Streik-Ergebnis ...... 38

7. Der Streik in der Öffentlichkeit ...... 40

8. Interview mit dem BSH-Betriebsratsvorsitzenden Güngör Demirci ...... 42

9. Interview mit dem Leiter des BSH-Vertrauenskörpers Huseyin Akjurt ...... 44

10. Interview mit dem Verantwortlichen des »Marsches der Solidarität« Elmar Eckert ...... 46

11. Luis Sergio: Wir brauchen mehr politischen Einfluss ...... 48

3 Der BSH-Streik: Bewertung von Olivier Höbel

1. Der Erfolg des BSH-Streiks: Arbeitsplätze konnten erhalten werden von Olivier Höbel, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen

Das Ergebnis ist ein Erfolg. Wir haben ein ganz wichtiges Ziel, den Erhalt von Industriearbeits - plätzen in Berlin, erreicht.

Menschenwürde gegen Konzernwillkür

Wenige Wochen nach Beendigung des erfolgreichen Arbeitskampfes bei CNH (ehem. Orenstein & Koppel) für den Abschluss eines Sozialtarifvertrages sah sich eine wei - tere Belegschaft eines traditionsreichen Berliner Industrie - betriebes mit einem Schließungsbeschluss konfrontiert. Die Konzernführung der Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH plante die Aufgabe des Spandauer Produktionsstandortes und damit die Vernichtung von 600 Arbeitsplätzen.

Die Konzernstrategie war schnell durchschaubar:

Der Vorstandsbeschluss sollte durch das örtliche Manage - Olivier Höbel erklärt auf der Pressekonferenz das Streik-Ergebnis ment exekutiert werden, dem keinerlei eigener Verhand - lungsspielraum eingeräumt wurde. Der Standort Berlin Die Belegschaft von BSH hat mit ihrem phantasievoll sollte trotz sehr guter Konzerngewinne möglichst lautlos geführten Kampf ein mutiges Zeichen gegen die Kahl - und ohne großen Kostenaufwand geschlossen werden. Die schlagspolitik des Bosch-Siemens-Konzerns gesetzt. Im Konzernpläne sahen die Verteilung der Produktionskapa - Ergebnis ist ein sehr guter Sozialplan erstritten worden. zitäten auf die Werke in der Türkei, in Polen und auf das Zwei Drittel der 600 Produktionsarbeitsplätze konnten bis benachbarte, nicht tarifgebundene, Werk in Nauen/Bran - 2010 gesichert werden. Bis dahin sind betriebsbedingte denburg vor. Kündigungen ausgeschlossen. Und auch nach diesem Zeit - raum wird es für Bosch-Siemens sehr schwierig, in Berlin- Damit war für die IG Metall klar: Spandau die Lichter ausgehen zu lassen.

Ein akzeptables Verhandlungsergebnis ohne Einbeziehung Der Konzern hat sich verpflichtet, in Berlin eine wirtschaftli - des Konzernvorstandes in die Verhandlungen war illuso - che, zukunftsfähige Produktion aufzubauen. Angesichts der risch. Die Revision des Schließungsbeschlusses konnte nur ursprünglichen Stilllegungspläne ein wichtiges Ergebnis in mit höchstem ökonomischen, politischen und öffentlichen der Geschichte der betrieblichen Kämpfe um Standorte und Druck zu erreicht werden. Arbeitplätze.

4 Der BSH-Streik: Bewertung von Olivier Höbel

Erweitertes Mobilisierungskonzept im wir den Druck auf die Verantwortlichen erhöhen. Vorausset - Streik zung dafür war eine positiv gestimmte Presse – und die haben wir durch unsere Aktionen und eine gute Öffentlich - Mit dem „Marsch der Solidarität“ haben wir ein erweitertes keitsarbeit erreicht. Sie ist enorm wichtig: Denn ohne die - Mobilisierungskonzept und neue Kampfformen entwickelt. sen Druck hätte sich das BSH-Management keinen Zenti - Die BSH-Kolleginnen und Kollegen haben mit dieser Form meter bewegt. des öffentlichen Protestes große Strapazen auf sich genommen und maßgeblich zum Erfolg des Arbeitskampfes Im Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet“. Aber in fast beigetragen. keinem anderen Land wie in Deutschland ist es so leicht für Konzernmanager, Arbeitsplätze auszuradieren. Wir brau - Erstens war es sehr wichtig, die Bevölkerung nicht nur in chen Gesetze, die verhindern, dass Konzerne, denen es Berlin über die Pläne des BSH-Managements aufzuklären. wirtschaftlich gut geht, aus reiner Profitmaximierung Arbeitsplätze werden überall in der Bundesrepublik abge - Arbeitsplätze vernichten. Es wird den Konzernen viel zu baut. Dafür ist nicht die Globalisierung verantwortlich, son - leicht gemacht, Arbeitsplätze zu vernichten – und die dern die Profitgier der Konzerne. Dies gehört in das Zen - öffentlichen Kassen müssen damit über Sozialleistungen trum der gesellschaftlichen Debatte. für den von den Konzernen angerichteten Schaden aufkom - men. Hier ist die Politik gefordert, per Gesetz Schranken Auch müssen wir die Möglichkeiten aufzeigen, wie dem einzuziehen. Arbeitsplatzabbau Einhalt geboten werden kann: durch Solidarität und Stärkung der Gewerkschaften. Neue Mit - In der Forstwirtschaft gilt seit Jahrhunderten das Prinzip glieder in der IG Metall ermöglichen es uns, Kraft gegen der Nachhaltigkeit. Wer abholzt, muss auch wieder auffor - den Sozial- und Arbeitsplatzabbau zu entwickeln. sten. Dieser Gedanke sollte für uns handlungsleitend sein. Das gegenwärtige Prinzip, Gewinne zu privatisieren, Verlu - Zweitens war es sehr wichtig, die Solidarität in der Branche ste und Arbeitsplatzabbau dagegen der Allgemeinheit auf - weiter zu entwickeln. Auf dem Marsch der Solidarität wur - zubürden, führt in die soziale Katastrophe und ist für die den nicht nur viele BSH-Standorte aufgesucht, sondern es Gesellschaft nicht tragbar. wurden auch Konzernbetriebe besucht, die sich für den Erhalt der Berliner Arbeitsplätze engagierten. Auch die Für ein Europa der Arbeitnehmer jeweils örtliche Presse wurde über den Skandal in Berlin informiert. Diesen Prinzipien der Nachhaltigkeit und der sozialen Ver - pflichtung des Eigentums muss nicht nur in Deutschland Den Druck in der Öffentlichkeit erhöhen sondern in der ganzen Europäischen Union Geltung ver - schafft werden. Noch ist es so, dass das BSH-Management Mit dem „Marsch der Solidarität“, aber auch mit vielen Belegschaften gegeneinander ausspielen kann. Im nur 50 anderen einfallsreichen Aktionen in Berlin selbst, konnten Kilometer entfernten Nauen hält sich der BSH-Konzern

5 Der BSH-Streik: Bewertung von Olivier Höbel

nicht an Tarife. Leiharbeiter werden dort schamlos ausge - Hinzu kommt, dass die Förderung der internationalen Kon - nutzt mit Löhnen, die in Deutschland nicht zum Leben aus - zerne durch die Europäische Union die Verlagerungspraxis reichen. Nur gewerkschaftliche Kraft und Solidarität kann unterstützt. Nicht nur in Nauen erhält der BSH-Konzern die Lage zum Besseren wenden. In den Werken in der Tür - Subventionen in Millionenhöhe. In den Sonderwirtschafts - kei und in Polen verletzt der BSH-Konzern sogar die Nor - zonen in Polen werden Investitionszulagen bis zu 50 Pro - men der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die dort zent gewährt. Dort zahlen die Konzerne praktisch keine gezahlten Löhne bewegen sich am untersten Rand des Exi - Steuern und nutzen die Infrastruktur umsonst. Die Schief - stenzminimums und die Belegschaften werden von der ört - lage in der europäischen Subventionspraxis und überzoge - lichen Geschäftsleitung massiv unter Druck gesetzt, wenn ne Renditeerwartungen waren der eigentliche Grund für die sie eine gewerkschaftliche Interessensvertretung im Schließung von AEG in Nürnberg. Das BSH-Management in Betrieb aufbauen wollen. Berlin wollte diesem Beispiel folgen.

Solidarität auch von »oberster« Stelle. Olivier Höbel, Michael Sommer und Klaus Wowereit freuen sich über erfolgreichen Protest

6 Der Der BSH-Streik: Bewertung von Olivier Höbel

Der »Marsch der Solidarität«: Für Verständnis und Solidarität in der Bevölkerung und bei den Kolleginnen und Kollegen geworben

Daher brauchen wir eine neue Orientierung in der Politik, Streiks für Sozialtarifverträge beschränken sich nach der - die nicht die Profitmaximierung in den Mittelpunkt stellt, zeitiger Rechtssprechung noch auf die Durchsetzung von sondern die Interessen der Belegschaften und der Bevölke - Abfindungen bzw. Sozialplänen. Diese Auseinandersetzun - rung. Wir brauchen in Europa gleiche soziale Standards gen müssen daher Teil einer erweiterten Mobilisierungs - und eine einheitliche Besteuerung der Konzerngewinne. strategie sein und bedürfen der sorgfältigen Vorbereitung.

Deshalb bleibt die Forderung nach einer Verlagerungsabga - Die vorliegende Broschüre dokumentiert den herausragen - be für Konzerne, die sich aus der Verantwortung für ihre den Arbeitskampf bei Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH in Belegschaften herausstehlen, auf der Tagesordnung. Des - Berlin-Spandau. Es bedarf kluger Vorarbeit und einer diszi - halb setzt die IG Metall auf eine bessere Zusammenarbeit plinierten Belegschaft, um den Streik für einen Sozialtarif - der internationalen Gewerkschaftsverbände und fördert vertrag erfolgreich durchzuführen. Der streikenden Beleg - den Aufbau von Europa-Betriebsräten. schaft von Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH gebührt Dank und Respekt. Sie hat sich dem Erpressungsdruck des Der Kampf gegen Standort- und massenhafte Arbeitsplatz - Bosch-Siemens-Konzerns nicht gebeugt und ein deutliches vernichtung muss auf eine grundsätzliche Veränderung der Zeichen gegen Konzernwillkür und für die Würde der arbei - gesellschaftlichen Machtverhältnisse zielen. tenden Menschen gesetzt.

7 Der BSH-Streik: Wirtschaftliche Lage des Konzerns

2. Bosch-Siemens-Hausgeräte: Marktführer in Deutschland im Bereich der »Weißen Ware«

BSH: Umsatz- und Gewinnrekorde Bad Neustadt/Saale (Bayern): Staubsauger Dillingen (Bayern): Geschirrspüler Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH (BSH) ist ein Traunreut (Bayern): Herde international gut aufgestelltes Unternehmen, Bretten (Baden-Württemberg): Herde das hochprofitabel arbeitet. Der Umsatz lag Giengen (Baden-Württemberg): Kühlschränke. 2005, als der erste Stilllegungsbeschluss für das Berliner Werk verkündet wurde, bei 7,3 Milliar - In der Heimat ist BSH vor allem mit den bekannten Marken - den Euro. Das war eine Steigerung gegenüber namen Bosch und Siemens vertreten. Aber auch andere be- dem Vorjahr von sieben Prozent. Der Gewinn vor kannte Markenprodukte wie Einbauküchen von Gaggenau, Steuern in Höhe von 500 Millionen Euro lag in Waschmaschinen von Constructa oder Elektroherde von Neff etwa auf Vorjahresniveau. In Deutschland und gehören zum Konzern. Zum Auslandsgeschäft tragen auch Europa sieht sich BSH als die Nummer Eins für regionale Marken bei, etwa Balay in Spanien, in der Hausgeräte. Neben und Whirlpool Türkei oder Continental in Brasilien. gehört BSH auch weltweit zu den Marktführern. Ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre zeigt, dass sich BSH wurde 1967 als Joint Venture zwischen der Robert BSH bei wichtigen Kennzahlen gut entwickelt hat: Bosch GmbH , Stuttgart, und der Siemens AG, Berlin und 2005 2003 2001 München, gegründet. Damals gehörten zu dem Unterneh - Umsatz in Millionen Euro 7340 6296 6092 men drei Werke, die alle in Deutschland lagen. Eines der Gewinn in Millionen Euro 500 473 459 drei Werke, die den späteren weltweiten Erfolg von BSH Auslandsquote in Prozent 78 74 71 begründeten, war das Berliner Waschmaschinenwerk. Mitarbeiter in 1000 35,5 34,4 35,6 Personalkosten in Mio. Euro 1460 1458 1392 In den vergangenen Jahren ist BSH rasant gewachsen. Zu dem Unternehmen gehören heute 43 Fabriken in 15 Län - Der Umsatz legte zwischen den Jahren 2001 und 2005 von dern in Europa, USA, Lateinamerika und Asien. Zusammen 6,1 auf 7,3 Milliarden Euro zu, das ist ein Zuwachs von 20 mit den Vertriebs- und Service-Gesellschaftten sind heute Prozent. Die Personalkosten stiegen im gleichen Zeitraum über 70 Gesellschaften in 44 Ländern mit mehr als 35 500 nur um 4,9 Prozent. Der Auslandsanteil der BSH beträgt Mitarbeitern für BSH tätig. Die Konzernzentrale in Mün - mittlerweile 78 Prozent. Nach Unternehmensangaben wer - chen beschäftigt 1500 Mitarbeiter. In Deutschland arbeiten den nur noch rund 45 Prozent der weltweiten Wertschöp - insgesamt rund 14 000 Menschen für BSH. fung in Deutschland erzielt. Durch steigende Investitionen in ausländische Werke wird dieser Anteil weiter sinken. Neben den Waschmaschinenwerken in Berlin und Nauen unterhält BSH in Deutschland fünf weitere Fertigungs- Das Jahr 2006 ist erfolgreich verlaufen – auch in Deutsch - standorte: land lief es rund. BSH wuchs schneller als die Konkurrenz. Während der Gesamtmarkt in Deutschland um 4,8 Prozent

8 Der BSH-Streik: Wirtschaftliche Lage des Konzerns

Streik in Berlin-Spandau: Ohne wirtschaftliche Not sollte der Standort abgebaut werden zulegte, steigerte BSH den Umsatz um 15 Prozent. Nach Schließungsplänen nicht direkt betroffen. Aber aus be- eigenen Angaben hat BSH damit den Marktanteil bei Haus - triebswirtschaftlicher Sicht ist eine dauerhafte Trennung geräten auf fast 40 Prozent ausgebaut. Wie im Vorjahr er- der Entwicklungs- und Produktionsstätten nicht sinnvoll. wartet die Konzernleitung ein weltweites Umsatzwachstum Wäre die Produktion in Berlin beendet, wäre es wohl nur von gut sieben Prozent. noch eine Frage der Zeit, bis auch die Entwicklung an einen anderen Standort ginge. Wettbewerb der Standorte In der Berliner Fabrik auf der Halbinsel Gartenfeld in Span - Als Hauptargument für die Werksschließung führte die dau werden bereits seit 1953 Waschmaschinen und Geschäftsführung die vergleichsweise hohen Lohnkosten Wäschetrockner gefertigt. Seit der Gründung von BSH in der Berliner Fabrik an. Allerdings sind diese zum Teil auf gehört das Werk zu dem Joint Venture von Bosch und Sie - frühere Entscheidungen der Unternehmensführung mens. In den 80er Jahren waren hier noch über 3000 Mitar - zurückzuführen. Beim bisherigen Personalabbau hatte beiter beschäftigt. Heute sind es noch 1050. Die knapp 600 sich BSH aus Kostengründen vor allem von Mitarbeitern Mitarbeiter in der Produktion waren direkt von den Schlie- mit relativ kurzer Unternehmenszugehörigkeit getrennt. ßungsplänen betroffen. Dadurch ist der Altersdurchschnitt der verbliebenen Mitar - beiter vergleichsweise hoch. Die Eingruppierung in höhere Daneben sind in Berlin wichtige Service-Abteilungen für Lohngruppen führt entsprechend zu relativ hohen Lohnko - den Bereich Wäschpflege angesiedelt: Entwicklung, Con - sten. trolling, Qualitätsmanagement, Einkauf und Informations - technologie. Außerdem stehen in Berlin das Regionallager Zur im Vergleich zu anderen Werken geringeren Wirtschaft - Nord für Fertiggeräte und ein Lieferzentrum zum weltwei - lichkeit tragen aber auch andere Faktoren bei. Systema - ten Versand. Die rund 450 Arbeitsplätze waren von den tisch wurde seit Jahren nicht mehr in den Standort Berlin

9 Der BSH-Streik: Wirtschaftliche Lage des Konzerns

Während des Streiks fuhren die Berliner BSHler auch nach Nauen, um über die Situation aufzuklären investiert, jüngere Werke sind dadurch mit moderner Tech - Werk in Nauen überhaupt noch eine Zukunft, behauptet nik ausgestattet. Durch Produktionsverlagerungen etwa die Konzernleitung. Für die neue Produktlinie in Nauen nach Polen wurden die Stückzahlen für die Berliner Fabrik sollen rund 90 Millionen Euro investiert werden. BSH hat schon zuvor bis an die Grenze der Wirtschaftlichkeit herun - dafür in Brandenburg 2005 öffentliche Fördergelder in tergefahren. Wurden Mitte der 90er Jahr noch 1,5 Millionen Höhe von fünf Millionen Euro beantragt, die auch bewil - Waschmaschinen gebaut, waren es zuletzt keine 500 000 ligt wurden und nun ausgezahlt werden. In Nauen sollen mehr. 50 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Das ist nur ein Bruchteil der fast 600 Arbeitsplätze, die in Berlin gestri - Das Werk im 35 Kilometer von Berlin entfernten Nauen chen werden sollten. produziert seit 1994 ebenfalls Waschmaschinen und Trockner. Es ist das einzige nicht tarifgebundene deut - Die anderen europäischen Waschmaschinenwerke können sche Werk von BSH. Hier gilt die 43-Stunden-Woche, es noch günstiger als Nauen produzieren. Das gilt vor allem gibt keine Zulagen und die Löhne sind niedriger. Trotz für den polnischen Standort Lodz und das türkische Cer - dieser Kostenvorteile gegenüber anderen Standorten wer - kezköy. Auch das spanische Werk in La Cartuja, das vor den aber auch in Nauen Arbeitsplätze abgebaut. Zwischen allem westeuropäische Märkte beliefert, produziert nach 2000 und 2004 sank die Zahl der Beschäftigten dort von BSH-Angaben zu geringeren Kosten als die deutschen 730 auf 580. Und der Abbau geht weiter: Durch Verlage - Fabriken. Weltweit ist das Waschmaschinenwerk im chine - rung der Wäschetrockner-Produktion nach Polen sinkt die sischen Wuxi in Sachen Billiglohn allerdings nicht zu schla - Zahl der Stellen um weitere 250 auf 330. Nur durch die gen. Verlagerung der Waschmaschinenproduktion habe das

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3. Chronologie der Konfrontation

Mai 2005 rund 2000 Kolleginnen und Kollegen von BSH und anderer Am 4. Mai 2005 informiert die BSH-Geschäftsführung erst - Berliner Industriebetriebe am ersten Aktionstag für die mals offiziell über die beabsichtigte Schließung der Pro - Erhaltung der Fabrik. duktion in Spandau zum 31. Dezember 2006. In einer Pres - semitteilung ist von »grundlegender Neustrukturierung« Am 31. Mai reiste die ganze Belegschaft nach München, wo des Bereichs Wäschepflege die Rede. »Vor dem Hinter - BSH-Chef Kurt-Ludwig Gutberlet zur Bilanzpressekonferenz grund eines aggressiven Wettbewerbs und eines schrump - geladen hat. Rund 1000 demonstrierten vor der Konzern - fenden Markts bei Waschmaschinen der oberen Preisklasse zentrale. Angesichts drohender Proteste und den drohen - kommt es seit Jahren zu einem dramatischen Preisverfall. den Fragen der Presse sagt der Konzern den Termin ab. Die Allein in den letzten zwei Jahren sind die Durchschnittsprei - Ergebnisse werden nur schriftlich mitgeteilt. Der Gewinn se für Frontlader-Waschmaschinen um rund 15 Prozent vor Steuern ist 2004 um zehn Prozent auf 520 Millionen gefallen.« BSH kündigt an, die Produktion in Nauen kon - Euro gestiegen. »Anscheinend traut sich das Unternehmen zentrieren zu wollen. Das kommunizierte Siemens in der nicht, einen satten Gewinn bekannt zu geben, wenn es Presse und wollte so die Öffentlichkeit und die Politik täu - gleichzeitig hunderte Mitarbeiter in Berlin entlassen will«, schen. Auch in Nauen wurden in der Vergangenheit 600 kommentiert der Betriebsratsvorsitzende Güngör Demirci. Arbeitsplätze vernichtet. Beabsichtigt war die Verlagerung ins Ausland.Für eine neue Frontlader-Waschmaschinenrei - Juni 2005 he werde das Unternehmen dort 90 Millionen Euro inve - Die Gespräche über die Werksschließung beginnen. stieren. Das Entwicklungszentrum und einige Serviceberei - Betriebsrat und IG Metall unterbreiten die Vorschläge zur che in Berlin mit insgesamt 400 Mitarbeitern sollen erhal - Kostenersparnis und legen Strategien vor, wie das Berliner ten bleiben, heißt es in der Pressemitteilung. Mit dem Werk auch nach Ende der Waschmaschinenproduktion wirt - Betriebsrat wolle man Gespräche über einen Sozialplan schaftlich fortgeführt werden könnte. Dazu gehört eine aufnehmen. Ausweitung der Vorfertigung für den BSH-Verbund und die Herstellung von Teilen, die bisher von Zulieferern bezogen Sofort schlägt der Betriebsrat Gespräche über Kosten - wurden. Die Vorschläge sollen keine Arbeitsplätze an den senkungen vor. »Es gibt keine Tabuthemen, wir wollen auf anderen deutschen Standorten gefährden. jeden Fall Arbeitsplätze erhalten«, sagt Güngör Demirci, Betriebsratsvorsitzender des Spandauer Werks. Die Beleg - August 2005 schaft sei bereit, ihren Teil zum Erhalt der Arbeitsplätze Ungeachtet der Stilllegungspläne in Berlin beantragt BSH beizutragen. Luis Sergio, Betriebsbetreuer der IG Metall, brandenburgische Investitionszulagen in Höhe von fünf nennt ein mögliches jährliches Einsparpotenzial in Millio - Millionen Euro für den Standort in Nauen. Hier soll eine nenhöhe. Neben Mehrarbeit könne dies durch flexiblere neue Waschmaschinengeneration produziert werden. Nach Arbeitszeiten sowie den Verzicht auf übertarifliche Leistun - eingehender Prüfung werden die Gelder bewilligt. gen erreicht werden. Zugleich werden Warnstreiks und Pro - testaktionen vorbereitet. Ende Mai 2005 beteiligen sich

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Oktober 2005 Neue Verhandlungen über die Zukunft des Standorts wer - den aufgenommen. Für die angebotene Mehrarbeit und den Verzicht auf freiwillige Leistungen wie die Jahreszah - lung, verlangt der Betriebsrat eine Bestandsgarantie für das Werk bis mindestens 2010. Die Arbeitnehmer erwarten zudem ein Zukunftskonzept und neue Investitionen.

Februar 2006 Die BSH-Geschäftsführung sorgt mit einem Vorschlag zur Zukunft des Werkes für Verwirrung. Von einem »völlig neuen Konzept« zur Fortführung des Standorts ist die Rede, am Standort Berlin solle eine Fabrik nach dem neuesten Stand der Technik aufgebaut werden. Details über das Konzept feh - Schon im Sommer 2005: Deutlicher Protest gegen die Schließung len jedoch. Die IG Metall fürchtet, dass das Management auf Zeit spielen könnte: BSH versuche offenbar, sich auf einen Am 27. August scheiterten die Verhandlungen über Sozial - Arbeitskampf vorzubereiten und Vorprodukte, die in Berlin plan und Interessenausgleich. Die IG Metall bereitete un- produziert werden, andernorts herstellen zu lassen. verzüglich Arbeitskampfmaßnahmen vor. Am 29. August 2005 verkündet die BSH-Führung einen Meinungswechsel: Mai 2006 Man wolle nun nicht mehr die Stilllegung, sondern über Die Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH zieht die Jahresbi - eine Fortführung der Produktion unter neuen Bedingungen lanz 2005: Der Umsatz steigt auf mehr als 7,3 Milliarden reden. Aufgrund der »unzumutbar hohen Forderungen des Euro, der Konzern macht 500 Millionen Euro Gewinn. Betriebsrats« habe man sich nicht auf einen Sozialplan Kurt-Ludwig Gutberlet, Vorsitzender der Geschäftsfüh- einigen können. Die kurzfristige Schließung des Werks hät- rung: »Wir haben unsere Ziele erreicht. Wir sind deutlich te das Unternehmen mehr gekostet als der Weiterbetrieb. stärker gewachsen als unsere Branche, konnten in nahe - zu allen Märkten – auch auf unserem deutschen Heimat - Der Betriebsrat freut sich über den großen Erfolg, der dem markt – zusätzliche Marktanteile gewinnen und haben Protest der Kollegen zu verdanken sei. Nun gebe es die unsere internationalen Expansionsziele erfolgreich umge - Chance, dass man die Arbeitsplätze erhalten könne. Berlins setzt.« Die Gespräche über das Berliner Werk ziehen sich Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) spricht von einer hin. »guten Nachricht für den Industriestandort Berlin«. Doch die Verhandlungen darüber, unter welchen Bedingungen Juli 2006 weiter produziert werden soll, stehen noch aus. Werksleiter Günther Meier legt ein Teilfortführungskon - zept vor, das den Verlust von 270 Arbeitsplätzen bedeu -

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ten würde. Die nach dem Plan verbleibenden 300 Mitar -  Die IG Metall forderte darüber hinaus die Bildung eines beiter sollen jährlich noch 200 000 Waschmaschinen pro - Härtefonds. duzieren. Laut BSH würde dies im Vergleich zur Produkti - on an den anderen Standorten zu Kostennachteilen von 19. September 20 Millionen Euro pro Jahr führen. BSH sei bereit, einen Mit dem Abbruch der Gespräche haben die Vorbereitungen Teil dieser Kosten zu tragen. Die Arbeitnehmer müssten auf einen Streik begonnen. Am 19. September stimmten ihrerseits aber Lohnkürzungen von insgesamt 23 Prozent 94,97 Prozent der IG Metall-Mitglieder bei BSH in einer Ur- hinnehmen. Anderenfalls würde die Produktion beendet. abstimmung für einen unbefristeten Streik. »Das ist ein kla - Der Betriebsrat sieht das als Erpressungsversuch, nimmt res Votum. Die Metallerinnen und Metaller bei BSH nehmen aber neue Gespräche mit der Konzernleitung auf. es nicht hin, dass sich das Unternehmen aus der sozialen Verantwortung stehlen will und den Abschluss eine Sozialta - September 2006 rifvertrages verweigert«, sagte IG Metall-Bezirksleiter Olivier Am Dienstag, 19. September, werden die Gespräche been - Höbel und rief alle Bürgerinnen und Bürger Berlins zur det. Mit ihrer Forderung, in Berlin mindestens 411 Arbeits - Unterstützung der BSH-Beschäftigten auf. plätze in der Produktion zu erhalten, kann sich die IG Metall nicht durchsetzen. Auch die von Gewerkschaftsseite Vor dem Streik begann in der ersten Septemberwoche die verlangte Sicherung der Beschäftigung auf fünf Jahre will längste Betriebsversammlung in der Geschichte der Bundes - die Geschäftsführung nicht garantieren und bietet lediglich republik. Ab dem 15. September wurden die Werkstore von drei Jahre an. »Wir waren bereit, bei den Arbeitskosten den Kollegen kontrolliert, damit keine Betriebsmittel wider - Zugeständnisse von sieben Millionen Euro zu machen«, rechtlich abtransportiert wurden. sagte IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen Olivier Höbel. »Aber BSH hat sich unter dem Strich keinen Millimeter bewegt.«

4. September Bereits am 4. September 2006 hatte die betriebliche Tarif - kommission von BSH folgende Tarifforderunggen beschlos - sen:

 Anspruch auf Abfindung in Höhe von drei Monatsgehäl- tern pro Beschäftigungsjahr, zahlbar brutto gleich netto.

 Zusätzlich sollte ein Grundbetrag plus Erhöhungsbetrag für Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderun-

gen gezahlt werden. Der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf auf der Kundgebung vorm Rathaus. Die Unerstützung der Politik gilt von Beginn an

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4. Stationen des Streiks im BSH-Werk

Stimmung ist hervorragend. Streikbruch findet nicht statt«, erklärte Betriebsratsvorsitzender Güngör Demirci in der ersten Streikversammlung vor dem Haupttor. Er appellierte an die Geschlossenheit aller, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze in Berlin vernichtet werden. Erst im Juni wurde der Arbeitskampf bei CNH (früher Orenstein & Kop - pel) beendet. In diesem Arbeitskampf hatten auch viele der jetzt Streikenden ihre Solidarität unter Beweis gestellt. Demirci kündigte auch an, dass am Dienstag, dem 26. Sep - tember 2006, die Betriebsratsvorsitzenden der deutschen BSH-Standorte zu einem Solidaritätsbesuch kommen. Sie wollen demonstrieren, dass es dem Unternehmen nicht gelingen wird, die einzelnen Standorte gegeneinander aus - zuspielen. In Auseinandersetzungen, in denen selbst ‘schwarze Zahlen’ ein Unternehmen nicht mehr vor der Schließung schützen, ist dieser Zusammenhalt wichtiger denn je.

»Wir streiken für unsere Existenz« »Wir streiken für unsere Existenz. Der erste große Streik bei Bosch und Siemens Hausgeräte wird für die Existenzsi - cherung des Standorts geführt. Dieser Arbeitskampf um einen Sozialtarifvertrag ist unser erster richtig großer Der Aufruf zum unbefristeten Streik Streik«, ist auf der ersten Streikversammlung zu hören. Hunderte BSHler strömen gegen 9 Uhr zur Kundgebung vor 25. September 2006: Streikauftakt bei das Haupttor. »Die Posten bleiben da, sicherheitshalber«, Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) ein ruft Betriebsratsvorsitzender Güngör Demirci. voller Erfolg Als er Olivier Höbel, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Branden - Mit dem Beginn der Frühschicht um 6 Uhr streikten die burg-Sachsen, das Mikrofon übergibt, begrüßt dieser die Metallerinnen und Metaller der Bosch-Siemens Hausgeräte Streikenden auf deutsch, türkisch, polnisch und vietname - GmbH für den Abschluss eines Sozialtarifvertrages. Bis sisch. Und er erntet Begeisterung. Das hat es hier noch nie zum Mittag hatten sich mehrere hundert Kolleginnen und gegeben, entspricht aber der Vielfalt der Belegschaft. »Von Kollegen in den Listen der IG Metall als Streikende regis- unserer Versammlung heute geht ein Signal aus: Wir las - trieren lassen. »Der Streikauftakt ist ein voller Erfolg. Die sen uns nicht wegschieben von Managern, die weit weg an

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Nicht nur bei der Urabstimmung - auch zum Auftakt des Streiks bei BSH gibt es eine große Zustimmung der Belegschaft

Schreibtischen in München einsame Entscheidungen über schen ohne Job dringender denn je auf industrielle Arbeits - das Schicksal von 600 Menschen treffen, die dann hier ent - plätze angewiesen sei. »Die Manager von BSH sind nicht lassen werden sollen. nur zuständig für die Profite der Aktionäre, sondern auch für die Menschen, die hier stehen«, bekräftigte Höbel. Die Wir kämpfen um unsere Zukunft, um unsere Existenz, um Menschen in Berlin können nicht leben von Löhnen wie in die unserer Kinder und damit auch um die Perspektive Ber - Polen, der Türkei oder in Vietnam, unterstrich der Gewerk - lins als Industriestandort«, sagt Höbel unter den zustim - schafter. Dass sich ausgerechnet in einem Moment, da ein menden Pfiffen der Belegschaft. 1,7 Millionen Waschma - Werk plattgemacht werden soll, die Chefetage die Bezüge schinen wurden von 3200 Mitarbeitern in den 70er und um 30 Prozent erhöht, sei unerträglich. »Eigentum ver - 80er Jahren am Standort Berlin jährlich produziert. »Von pflichtet zu sozialer Verantwortung, diesen Satz aus dem hier aus ist der Konzern BSH expandiert, die hier erzielten Grundgesetz der Bundesrepublik sollten diese Herren Profite wurden in neue Werke in aller Welt investiert. Das buchstabieren lernen, denn sie haben ihn offenbar verges - ist ok, aber es ist keine Einbahnstraße. Wir erheben heute sen«, sagte Höbel. »Steht zu eurem Wort von 2005, Mög - den Anspruch, dass auch dieser Standort Berlin, in dem der lichkeiten für den Fortbestand des Waschmaschinenwerks Weltkonzern seinen Anfang nahm, nicht untergeht«, sagte ernsthaft zu prüfen. Sonst zieht euch warm an«, sagte der Höbel. Dies sei umso wichtiger, weil Berlin mit einer IG Metall-Bevollmächtigte von Berlin, Arno Hager, an die Arbeitslosenquote von 17 Prozent und fast 300 000 Men - Adresse der Chefetagen von BSH. Diese Herren sollen nicht

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glauben, das Werk könne fühlt sich aufgenommen, wir sind eine Familie«. Freund still beerdigt werden. Die IG charakterisierte treffend das Verhalten der BSH-Geschäfts - Metall verlange ernsthafte führung: »Über ein Jahr lang hat sie die Belegschaft, den Elmar Freund Verhandlungspartner. »Wir Betriebsrat, den Gesamtbetriebsrat und die IG Metall an gehen keine faulen Kompromisse ein«, unterstrich auch der Nase herumgeführt und trotz des weitgehenden Entge - Güngör Demirci. Er kündigte an, die Belegschaft werde hart genkommens die Chance für eine Einigung nicht genutzt. kämpfen und von Solidarität Seit Mitte der 80er Jahre mit ihrem Kampf getragen Der zweite Streiktag bei den Bosch-Siemens-Hausgerä - und mit dem Fall der Mauer werden – in der gesamten te GmbH in Berlin stand ganz im Zeichen der Solidarität wird Kapitalismus immer Republik und darüber hin - aus der »Weiße-Ware-Branche«. Die Betriebsratsvorsit - größer geschrieben. Heute aus, bemerkte er ab- zenden aller deutschen BSH-Standorte besuchten am sollen wir nicht mehr mitge - schließend. Dienstag die Streikversammlung und sagten den Strei - stalten, heute werden wir kenden ihre Unterstützung zu. »Wir fordern von der gegängelt. Die Fortsetzung Die ersten zwei Tage Konzernführung die Aussetzung des Schließungsbe - der Produktion in Berlin ist eines harten Weges schlusses und die Rückkehr an den Verhandlungs- wirtschaftlich machbar und Das organisatorische Gerüst tisch«, bekräftigte der BSH-Gesamtbetriebsratsvorsit - im sozialen Interesse drin - für einen harten und konse - zende Elmar Freund aus Neustadt in Bayern. gend notwendig«, war sein quenten Arbeitskampf mus - In einer gemeinsamen Erklärung führender Vertreter der leidenschaftlicher Appell ste in kurzer Zeit geschaffen deutschen Hausgeräte-Industrie wurde massive Kritik zum Schluss. werden. In den ersten 48 am BSH-Management laut: Stunden war die Streiklei - »Trickreich schleicht sich der Übeltäter davon und hin - Der dritte Tag tung rund um die Uhr be- terlässt den öffentlichen Kassen den angerichteten Güngör Demirci zieht eine schäftigt. Zwei oder drei Scherbenhaufen. Nach AEG / Electrolux sucht eine wei - Zwischenbilanz: »Heute Stunden Schlaf pro Tag, das tere Konzernführung ihr Heil in einer Geschäftspolitik, streiken wir den dritten Tag. wurde für viele in den ersten die einen kurzfristigen Gewinn über alles stellt. Auf die Wir haben Streikbruch ver - Tagen zu einem Dauerzu - Existenz der Beschäftigten und die Sensibilität des hindert. Das ist der erste stand. Zur Streikkultur ge- Marktes wird keine Rücksicht genommen.« Erfolg. Zweitens: Die Ent - hört auch eine hohe Diszi - schlossenheit der Streiken - plin. »Jeder muss mit anpacken und Initiative entwickeln«, den ist da und sie wächst ständig. Die öffentliche Meinung betonte Betriebsratsvorsitzeder Güngör Demirci auf der ist auf unserer Seite dank der Streikenden, die Profil ge- Streikversammlung am Dienstag. zeigt haben. Unser Streik stößt auf immer größeres Medienecho. Wir werden angesprochen, weil wir nach Mün - Eröffnet wurde die Streikversammlung mit einer Rede von chen marschieren wollen. Gestern kam ein Anruf von SPIE - Elmar Freund, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR) GEL TV. Die wollen über uns berichten.« Es wurde von von BSH. »Der GBR kommt als Vertreter von euch. Man einem Gespräch mit der SPD-Bundestagsfraktion berichtet,

16 Der BSH-Streik: Stationen

Klaus Wowereit ist solidarisch Die erste Streikversannlung die das Verhalten des Siemens-Managements als »Riesen - einen Arbeitsplatz haben. Eigentlich sollten sich alle an die schweinerei« bezeichnet habe. Der Regierende Bürgermei - Hand fassen und hier hinstellen und sich wehren.« Für ster Klaus Wowereit werde bei bundespolitischen Terminen seine gelungene erste Rede vor einem großen Publikum immer wieder den Arbeitskampf bei BSH zum Thema gab es viel Beifall. machen. Aktionsforum Der Betriebsratsvorsitzende berichtete am Schluss seiner Am 27. September war auch ein Treffen des »Aktionsfo - Rede auch von Gesprächen mit den AEG-Kollegen aus rums« im Gewerkschaftshaus. In dieser Runde treffen sich Nürnberg. Sie wollen mit einem Bus nach Berlin kommen. seit dem Streik bei CNH aktive Kolleginnen und Kollegen, Sie sind gern gesehene Gäste. die von Arbeitsplatzabbau oder von Werksschließungen bedroht sind. Oberstes Ziel: Wie können wir betriebs- und 27. September: Azubis solidarisch gewerkschaftsübergreifend uns in gemeinsamen Aktionen Eine große Gruppe Auszubildender des Oberstufenzen - wehren? Anwesend waren Vertreter des DGB-Landesvor - trums Bautechnik besuchte mit ihrem Lehrer Lutz Gerhard standes, Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben Otis, am 27. September die Streikenden von BSH. Sie werden im BMW, BSH, Charité und dem Theaterbereich. Auch die IG nächsten Jahr auslernen und müssen nach einem Ausbil - BAU war vertreten. Eine Kollegin und ein Kollege von BSH dungsplatz suchen. Ihr Lehrer wollte ihnen zeigen, dass es informierten die Anwesenden ausführlich über die Situation Menschen gibt, die sich wehren können und überbrachte im Arbeitskampf bei BSH. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Solidaritätsgrüße auch von vielen gewerkschaftlich dass der Kollege Güngör Demirci zusammen mit einem Kol - organisierten Pädagogen. Abschließend ergriffen zwei Azu - legen der Charité auf der Kundgebung der Gewerkschaften bis selbst das Wort. Einer von ihnen meinte: »Hier sollte und sozialen Bewegung am 21. Oktober sprechen soll. viel mehr Unterstützung kommen auch von den Leuten, die

17 Der BSH-Streik: Stationen

Aufmerksame und begeisterte Zuhörer Klaus Ernst und Olivier Höbel während der Streikversammlung

»Wir brauchen ein erweitertes Streikrecht.« Das des Kündigungsschutzes – nicht für alle, sondern zunächst war das Hauptanliegen von Klaus Ernst, der am für die jungen Menschen. Das Gesetz ist nie in Kraft getre - 28. September sich mit den Streikenden solidari - ten. Die Alten und die Jungen haben gemeinsam verhin - sierte. »Wir haben keinen wirksamen Kündi - dert, dass der Kündigungsschutz verschlechtert wurde. gungsschutz für Fälle wie bei BSH. Leute, die Das, was die Franzosen können, das müssen wir doch auch entlassen wurden, können danach vor Gericht können.« (großer, langanhaltender Beifall). klagen und schauen, ob sie vielleicht eine Abfin - dung bekommen.« »Unter den gegebenen Rechtsverhältnissen kann die Arbeitgeberseite sagen: Wir machen das Werk dicht. Das »Wir müssen politisch dafür eintreten – möglicherweise mit Gesetz unterscheidet nicht, ob es sich bei den Verfügungs - einem Streik, der über BSH hinausgeht –, dass der Kündi - rechten um eine Armbanduhr oder einen Betrieb handelt. gungsschutz verbessert wird. In Deutschland geht es seit Das kann der Unternehmer entscheiden, wie er Lust hat. Es langem in die andere Richtung. Klaus Ernst, der auch Mit - gibt gegenwärtig kein Recht, das ihn daran hindert. Aber glied im Bundesvorstand der WASG und in der Bundestags - dieses Gesetz müssen wir abschaffen. fraktion der Linkspartei ist, kam gerade aus einer Bundes - tagsdebatte, in der die FDP eine Gesetzesinitiative zur Ver - Im Grundgesetz heißt es: Der Gebrauch des Eigentums soll schlechterung des Kündigungsschutzes eingebracht hatte.« zugleich dem Allgemeinwohl dienen. Euer Arbeitgeber – und einige andere auch – halten sich nicht mehr daran. Das »Ich erinnere an Frankreich. Dort gibt es die gleiche Debat - sind Verfassungsfeinde. te wie bei uns. Dort ging es ebenfalls um die Aufweichung

18 Der BSH-Streik: Stationen

Das, was wir hier tun, ist ein Vehikel. Wir wollen keine »Wir brauchen mehr Mitbestimmung« höhere Abfindung: Wir wollen eigentlich unsere Arbeits - Der IG Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel forderte für Unter - plätze erhalten. Doch nach unserer gegenwärtigen Rechts - nehmen, die ohne Not Teile ihrer Arbeitnehmer rauswerfen lage gibt es keine andere Möglichkeit, als diesen Umweg oder ganze Werke schließen, ein Verbot oder zumindest ein über einen Sozialtarifvertrag zu wählen. Das zeigt, wie das Moratorium für Entlassungen. Er vertrat die Überzeugung, Rechtssystem mit den Beschäftigten umspringt. Erstens dass die Geschichte von BSH und von CNH eine Geschichte muss man hinnehmen, dass man entlassen wird, weil es der Blockade von Vorschlägen der Arbeitnehmer und der keinen ausreichenden Kündigungsschutz gibt. Und zwei - Gewerkschaften sei. »Daraus kann man nur die Schlussfol - tens darf man sich nicht einmal dagegen wehren. Da ist gerung ziehen, dass wir nicht zuviel, sondern zu wenig Mit - dann der Sozialtarifvertrag eine Möglichkeit, diesem Dilem - bestimmung haben. Die Frage der Verfügungsgewalt über ma zu entgehen. Aber um das Problem insgesamt zu lösen, Investitionen entscheidet über die Zukunft unserer Arbeits - brauchen wir ein erweitertes Streikrecht. Es ist nicht zu plätze und Betriebe.« akzeptieren, dass wir auch noch fragen müssen, ob wir unsere Arbeit niederlegen dürfen, wenn sie uns die Gurgel Streik zeigt bereits ökonomische Wirkung zudrücken.« Güngör Demirci überbrachte gute Nachrichten. Der Streik zeige bereits ökonomische Wirkungen. In Nauen fallen Der IG Metall-Bevollmächtigte kündigte einen Solidaritäts - erste Arbeitstage aus, weil Teile aus Berlin für die Produkti - besuch von Schweinfurter Kolleginnen und Kollegen an on fehlen. und versprach, die Auseinandersetzung auch im Bundestag zu führen. Mit Blick auf die Schließung des AEG-Werks in Er schloss seine Rede mit den Worten: »Entscheidend ist, Nürnberg betonte er: »Der Druck auf Siemens ist nicht nur dass wir uns hier erfolgreich verteidigen. Wenn das gelingt, ökonomisch sondern auch politisch. AEG hat einen großen verteidigen wir damit gleichzeitig die Demokratie und die Imageverlust durch die Werksschließung in Nürnberg erlit - Menschenwürde. Deshalb dürfen wir nicht locker lassen. ten. Auch Siemens wird einen Imageschaden davontragen, Und wir werden so lange ausharren, bis die Geschäftslei - wenn politische Vernunft nicht greift.« tung ihre Entscheidung zurücknimmt.

Besuch einer Berufsschulklasse im Streikzelt

19 Der BSH-Streik: Stationen

Besuch in Nauen Freitag früh am 29. September hatte sich eine große Grup - pe von Kolleginnen und Kollegen auf den Weg nach Nauen gemacht, um die Arbeitgeber und Angestellten des dorti - gen BSH-Werks über den Arbeitskampf in Berlin zu infor - mieren. Die Berliner hatten für ihren Besuch auch eine Reihe von »Textplätzchen« gebacken, die sie vor Ort ver - teilt haben. Versucht wurden unter anderem die folgenden Denkanstöße:

»Brecht das Brot und verteilt es unter die Armen – Brecht Güngör Demirci präsentiert die einstweilige Verfügung das Arbeitsplätzchen und verteilt es unter die Arbeitslo - sen« Erfolg vor Gericht Die BSH-Werksleitung hatte am Freitag entgegen gelten - »Der Gewinn kennt keine Grenzen. Ohne Solidarität krü - dem Recht dem Betriebsrat den Zutritt zum Werk verwei - meln auch euer Arbeitsplätzchen.« gert. Gegen diesen massiven Verstoß gegen das Betriebs - verfassungsgesetz wurden sofort juristische Schritte einge - »30 Prozent mehr für Manager ist gerade richtig, aber 30 leitet. Am Montag tagte dann der Betriebsrat wie geplant Prozent weniger Lohn ist nicht genug?« auf dem Werksgelände. Das Amtsgericht hatte am Wochen - ende der einstweiligen Verfügung stattgegeben.

Solidaritätsgrüße vom Siemens-Mess - sind bei euch, stehen an eurer Seite. Viele haben hier ihre gerätewerk Verwandte oder haben hier gelernt. Heute waren wir das Der Betriebsrat Wolfgang Walter vom Siemens-Messgerä - erste aber bestimmt nicht das letzte Mal hier. tewerk fasste die Solidarät der Siemens-Mitarbeiter in folgende Worte: »Es ist mir eine ganz besondere Ehre, vor Teilnehmer des BR-I und referenten-Seminars aus dieser Belegschaft sprechen zu dürfen, vor einer Beleg - Pichelssee zeigen ihre Solidarität: schaft, die erprobt ist im Arbeitskampf wie kaum eine »Bringt die Kraft auf, dass ihr diesen Weg auch immer andere in Berlin, wenn es darum geht, für unsere Rechte gemeinsam beschreiten könnt«, wünschte eine Kollegin und Interessen einzutreten. Man will sich ausgerechnet aus Mecklenburg-Vorpommern. an denen vergreifen, die oft genug bewiesen haben, dass Ein Betriebsratsmitglied von Arcelor aus Bremen über - sie ihre Rechte kennen und auch vertreten.« Kollege Wolf - mittelte die Grüße der Vertrauensleutevollversammlung gang Walter beendete seine Rede mit den Worten: »Wir des Stahlwerks.

20 Der BSH-Streik: Stationen

Gysi zu Gast

Am Freitag Vormittag war der Fraktionsvorsitzen - de der Linkspartei.PDS Gregor Gysi im Streikzelt. Er prangerte das Verhalten des Siemens-Mana - gements an. Es sei nicht mehr erträglich, wenn Konzerne wie die Siemens AG riesige Gewinne Gregor Gysi solidarisiert sich im Streikzelt einfahren und gleichzeitig massenhaft Leute rauswerfen. aus. Diese von den Sozialgerichten gezogene Grenze liegt gegenwärtig bei 1000 Euro. Offensichtlich ermutigt durch Der PDS-Politiker erinnerte daran, dass die Sprecher der den Kampfesgeist der BSH-Belegschaft fügte er hinzu: Deutschen Bank, der Alllianz AG und der Telekom AG stolz »Und wir müssen selbst mehr Widerstandsgeist zeigen. den höchsten Gewinn in ihrer Firmengeschichte mitgeteilt Damit die Regierung sieht: Wir wählen nicht nur, sondern haben, um dann im nächsten Atemzug die Entlassung von dazwischen sind wir auch da.« Den »Marsch der Solida - 8000, 10 000 und 12 000 Mitarbeitern anzukündigen. rität« lobte der Politiker der Linkspartei: »Macht denen Dazu kommt, dass die Arbeitnehmer in allen vergleichba - ruhig ein bisschen Angst in München. Zeigt, was ihr für ren Industrieländern in den letzten Jahren Einkommenszu - eine Kraft habt.« wächse gehabt haben. Nur die abhängig Beschäftigten in der Bundesrepublik mussten mit einem Minus von 0,9 Als Gäste konnten auch die Politiker der Linkspartei Petra Prozent in die Röhren schauen. Gregor Gysi sprach sich Pau, Klaus Lederer (Berliner Landesvorsitzender) und Uwe auch für einen Mindestlohn in Höhe der Pfändungsgrenze Döring begrüßt werden.

Solidaritätserklärung des Konzern- und Erhalt industrieller Arbeitsplätze eine wichtige Forde - Gesamtbetriebsrats der Siemens AG rung zur ausgewogenen Entwicklung der ganzen Regi - »Die Globalisierung hat der Kapitalseite völlig neuarti - on. Wir hoffen, dass ihr euch mit euren Verhandlungs - ge Druckmittel zur Verfügung gestellt. Immer mehr position durchsetzt und eure Arbeitsplätze erhalten Unternehmen nutzen diese Druckmittel aus. Wie bei könnt. Die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats und Kon - euch geht es dem Management in der Regel einfach zernbetriebsrats sehen eure Forderungen nach einem nur darum, ohne Rücksicht auf Verluste den Profit zu Sozialtarifvertrag, der diese Bezeichnung auch zu steigern. ... Es wird höchste Zeit, die Unternehmen Recht trägt, als völlig berechtigt an. daran zu erinnern, dass sie nicht nur Investoren gegenüber verpflichtet sind. Unternehmen tragen auch Der Konzernbetriebsrat Siemens und der Gesamtbe - Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten und triebsrat der Siemens AG stehen hinter euren Streikzie - gegenüber der Gesellschaft. Gerade für Berlin ist der len.

21 Der BSH-Streik: Stationen

Infoaktion vor Berliner Elektromärkten

Flugblattaktion vor den Berliner Elektromärkten am 30. September: Am Samstag haben Kollegin - nen und Kollegen von BSH mit Flugblättern die Berliner Bevölkerung über die Gründe ihres Streiks und ihre Ziele informiert.

Sie wurden auch zur Teilnahme an der Auftaktkundgebung des »Marsches der Solidarität« und zum Besuch des Flugblattaktion in Neukölln Streikzelts eingeladen. Die Aktion stieß überall auf großes Interesse und viel Zustimmung. In kürzester Zeit waren die Flugblätter vergriffen.

Walter Momper solidarisiert sich Auch der Präsident des Berliner Abgeordentenhauses Wal - ter Momper (SPD) zeigte sich im Streikzelt solidarisch. Er versprach, sich für den Erhalt der Arbeitsplätze einzusetzen und lud die Belegschaft zur konstituierenden Sitzung des Walter Momper im Streikzelt Kommunalparlaments am 26. Oktober ein. Breitscheidplatz: Waschen wie einst Mit einem Waschtag wie vor 100 Jahren am Breit - scheidplatz haben BSH-Kolleginnen und Kolle - gen die Berliner über die geplante Werksschlie- ßung und die Folgen für die betroffenen Familien aufmerksam gemacht.

Waschmaschinen sind aus dem Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Jetzt soll die Produktion verlagert werden und die Produktionsstätte in Berlin dicht gemacht werden, weil die Aktionäre den Hals nicht voll genug bekommen. Die Aktion kam in der Bevölkerung gut an. Die rumänische Blasbläsergruppe Fanfara Kalashnikov sorgte zusätzlich für Waschaktion am Breitscheidplatz Stimmung.

22 Der BSH-Streik: Stationen

30. September: Kinderfest und Streikparty

Der BSH-Streik ist auch der Kampf für die Arbeitsplätze der kommenden Generation Güngör Demirci stellte der Belegschaft eine der jüngsten Mitstreiterin vor. Sie ist die Tochter des BSH-Vertrauenskörperleiters Hüseyin Akyurt. Sie sagte in ihrer ersten Rede: »Ich bin stolz auf mei - nen Papa.« Jelena findet ist überall mit dabei

Für Speisen und Getränke war gesorgt Siemenschef Kleinfeld der Almosengeber »Wir brauchen keine mildtätigen Spenden«

IG Metall-Streikleiter Luis Sergio eröffnete die In einigen Medien wurde das als »Zeichen der Solida - Betriebsversammlung des 8. Streiktags am Montag, rität« mit den Entlassenen dargestellt. Luis Sergio dem 2. Oktober. Er kritisierte den Medienauftritt des fand wenig Gefallen an diesem Zeichen: »Wir brauchen Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG. Kleinfeld keine mildtätigen Spenden der BSH GmbH und auch hatte dort bekannt gegeben, dass der Konzernvorstand keine Almosen vom Siemens-Vorstand, sondern wir auf die breits beschlossene 30-prozentige Erhöhung kämpfen entschieden für den Erhalt der Arbeitsplätze der Vorstandsbezüge verzichten wird. für uns und unsere Familien.«

23 Der BSH-Streik: Stationen

Internationale Solidarität der BSH-Standorte Am Freitag, dem 13. chen: Er liegt in der Türkei bei 380 Euro im Monat. Auch Oktober, wurden im Stundenlöhne von 2,13 Euro sind keine Seltenheit. vollbesetzten Streikzelt Gäste aus der Türkei, Arslan belegte, dass Bosch und Siemens auch Rechtsbrüche Hasan Arslan von der begehen. Auf der offiziellen Web-Präsentation werden 3 000 Gewerkschaft DISK und Beschäftigte angegeben. Bei den Tarifverhandlungen konnte aus Polen Tadeus Felik - das Management jedoch nur 2 326 Arbeitsverträge vorwei - sinski von der Gewerk - sen. Die Lücke von fast 700 Beschäftigten füllen Leiharbeiter, schaft Solidarnosc die ohne Sozialversicherung arbeiten müssen. herzlich begrüßt. Dis - Hasan Arslan von der türki - schen Gewerkschaft DISK kutiert wurde, wie Hasan Arslan: »Egal, ob in türkischen Betrieben oder in inter - gemeinsame Handlungsstrategien international nationalen Konzernen. Die Unternehmer nutzen sämtliche entwickelt werden können. gesetzliche Lücken, um sich auf Kosten der Arbeitnehmer zu bereichern. Das ändert sich nur dann, wenn die Belegschaf - Hasan Arslan versicherte den Berliner BSHlern, dass die ten beginnen, sich zu organisieren. Als Beispiel für den Mut DISK an ihrer Seite steht und bereit sei, ihren Kampf bis von Arbeitnehmern, die nicht mehr bereit sind, alles mit sich zum Ende zu unterstützen. Er machen zu lassen, informier - brachte seine Überzeugung Hungerlöhne auch bei BSH in der Türkei: te er über einen Streik in zum Ausdruck, dass die Arbei - Leiharbeitern werden 380 Euro im Monat einem deutschen Betrieb, der ter ein grenzüberschreitendes gezahlt. mittlerweile acht Monate Intereresse daran haben, »die dauert und den der Besitzer brutale und unmenschliche Herrschaft des Kapitals« durch die Schließung des Betriebs brechen will. zurückzudrängen. Unter großem Beifall der Versammlung überreichte der VK- Seit 1997 gibt es in der Türkei ein Hausgerätewerk von Leiter Huseyin Akyurt dem DISK-Kollegen einen Betrag von BSH, das seinen Gewinn im letzten Jahr um 57 Prozent 300 Euro aus der Streikkasse. Der Weg ist steinig, doch gesteigert hat. Die Löhne der Arbeiter, die dafür ihre Kno - Erfolge sind möglich. Dies zeigt sich auch daran, dass die chen hingehalten haben, sind beschämend. Dauerhaft DISK ihren Organisationsgrad in den letzten zwei bis drei Beschäftigte kommen auf einen Bruttomonatslohn von Jahren um 30 Prozent erhöhen konnte. Hasan Arslan will mit maximal 680 Euro. Im Werk gibt es, mit der Zustimmung Unterstützung der IG Metall im türkischen BSH-Werk Infor - der dort agierenden gelben Gewerkschaft, oft aber nur Zeit - mationen über den Arbeitskampf in Berlin verteilen. verträge. Diese Belegschaftsmitglieder müssen sich mit Löhnen zufrieden geben, die dem Mindestlohn entspre -

24 Der BSH-Streik: Stationen

Solidarität der MCA-UGT von BSH in La Cartuja, Spanien

Nach Ansicht der Gewerkschaft MCA-UGT darf die Aus - Arbeitsplätzen, wie wir sie seit Beginn des 21. Jahrhun - dehnung des BSH-Konzerns nach Osteuropa und in derts immer stärker erleben, zu beenden, wenn es keine andere Regionen der Welt nie eine Ausrede für die politischen Maßnahmen zur Beendigung dieser Situation Schließung von funktionierenden Werken sein. In Spani - gibt, dann müssen die Gewerkschaftsorganisationen und en haben wir eine vergleichbare Situation in dem Werk die Arbeitnehmer wieder einmal Schritte unternehmen, Ebarri-Aranz in Pamplona erlebt. Alle Mitarbeiter von um für das Recht auf einen würdigen Arbeitsplatz zu BSH in Spanien, aber auch in Deutschland und anderen kämpfen. Teilen der Welt, haben durch ihre Arbeit und mit ihrer Leistung dazu beigetragen, BSH zu einem der wichtig - sten internationalen Konzerne im Bereich Weiße Ware zu Das bedeutet nicht, dass wir uns gegen die Expansion von machen. Dafür erwarten wir keine ewige Dankbarkeit BSH aussprechen, aber wir wenden uns gegen die negati - gegenüber den Arbeitnehmern, aber diese sollten zumin - ve Haltung jedes internationalen Unternehmens weltweit, dest berücksichtigt werden, wenn bestimmte Entschei - das die Ressourcen einer Region ausnutzt, um diese dann dungen, wie zum Beispiel Betriebsschließungen, getrof - anschließend aufzugeben und dasselbe in einer anderen fen werden. Region zu tun. Wann wird das aufhören? Kolleginnen und Kollegen in Berlin, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh -

Wenn Regierungen in der Europäischen Union nicht in der mer von BSH La Cartuja (Spanien) unterstützen euch beim Lage sind, Entwicklungen wie die Verlagerung von Kampf um den Erhalt eurer Arbeitsplätze. Macht weiter.

Bei BSH in Polen: Hungerlöhne und Willkür eine gewerkschaftliche Vertretung zu bilden, werden von der Werksleitung massiv behindert. In Lodz verdienten die Men - Nach Auskunft von schen im Werk einen Hungerlohn von 200 Euro im Monat. Es Tadeus Feliksinski von werden Leiharbeiter eingesetzt, die teilweise von sieben bis der Gewerkschaft Soli - 20 Uhr arbeiten müssen. Wer das nicht mitmachen will, fliegt darnosc haben die Tadeus Feliksinski von der pol - sofort raus. Es gibt wegen der hohen Arbeitslosigkeit in die - BSH-Beschäftigten in nischen Gewerkschaft Solidar - ser Region kaum Alternativen. In Lodz geht es um Existenz - nosc Lodz zur Zeit keine fragen: Feliksinski, dessen Kinder heute in London und Dub - gewerkschaftliche Vertretung. Die Folge: lin ihr Geld verdienen müssen, berichtete, dass eine Million Die Arbeitsbedingungen sind unzumutbar. Polen seit 1989 ihr Land verlassen haben in der Hoffnung, sich woanders eine Existenz aufbauen zu können. Es herrschen in den Werksräumen Temperaturen, die zwi - Der Gewerkschafter hofft, dass Solidarnosc endlich im BSH- schen sieben und 20 Grad schwanken, so dass die Beschäf - Werk in Lodz Fuß fassen kann. »So werden wir uns und tigten immer wieder erkranken und die Arbeitsorganisation dadurch auch euch helfen.« Tadeus Feliksinski will die polni - sehr schlecht ist. Versuche von Kolleginnen und Kollegen, schen Kollegen über den Berliner Arbeitskampf informieren.

25 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

5. Der »Marsch der Solidarität« durch die Bundesrepublik Deutschland

Abmarsch am 5. Oktober um 10 Uhr: In der ersten Reihe die Kinder, um deren Zukunft es auch bei dem Streik geht

Rückendeckung erhielten die streikenden BSHler Frage, ob noch eine Vorstellung von Moral und Ethik in den vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit Konzernvorständen vorhanden sei. Menschlichkeit und Ver - und vom Wirtschaftssenator Harald Wolf auf der ständnis blieben bei derartigen Schließungen wie in Spandau Kundgebung zum Start des »Marsches der Soli - auf der Strecke. Höbel traf die Stimmung. Es gab zornige und darität«. Beide versprachen konkrete Unterstüt - erboste Stimmungen und Fragen. zung bei dem Bemühen zum Erhalt des Stan - dorts in Spandau. Der DGB-Vorsitzende Michael Ist es moralisch, hunderttausende Beschäftigte, die die Sommer kündigte an: »Siemens ist hier in Berlin Gewinne in Konzernen wie Siemens erarbeitet haben, einfach groß geworden, und wir werden nicht zulassen, zu entlassen oder zu verschieben wie auf einem Schach - dass Siemens sich aus der sozialen Verantwor - brett? Heute nach Nauen, morgen nach Polen und die Türkei tung für diese Region herausstiehlt. und übermorgen nach Taiwan oder China? Ist es moralisch, wenn Herr von Pierer die Ansicht vertritt, dass ein Top-Mana - IG Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel prangert an: »12 000 ger von Siemens verglichen mit anderen Managern »wenig Euro verdienen Siemens-Manager am Tag. Mit 90 bis 120 Euro verdient«. Dabei »verdienen« sie schon 12 000 Euro am Tag. muss sich ein BenQ- oder ein BSH-Beschäftigter zufrieden geben.« Und dann behaupten Siemens-Manager auch noch, Deutschland ist Export-Weltmeister – und immer häufiger die Lohnkosten in Spandau seien zu hoch. Höbel stellte die auch im »Export« von Arbeitsplätzen. Die Konkurrenz um

26 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

niedrige Löhne wird immer brutaler. So wurde von den Red - nern die ungewisse Zukunft beschrieben. In vielen Gesich - tern sah man die Entschlossenheit zum Widerstand gegen die Pläne von Bosch und Siemens, aber auch die Ängste und Sorgen um die eigene Existenz. »Wir werden sie in die Knie zwingen, und sie werden die Entscheidung, die Arbeitsplätze zu vernichten, zurücknehmen müssen«, mit diesem leidenschaftliche Appell von Güngör Demirci starte - te der »Marsch der Solidarität – unter den Transparenten gegen die Plattmacher von Bosch und Siemens. Trillerpfei - fen und manchmal der Slogan »Arbeitsplatz auf Dauer – sonst werden wir richtig sauer«, begleiteten den Zug zum Rathaus Spandau. Nach einer Solidaritätsrede von Gregor Gysi ging es über den Brunsbütteler Damm zu den warten - den Bussen. Klaus Wowereit, Michael Sommer, Petra Pau, Olivier Höbel und Harald Wolf auf der Auftaktdemonstration

IG Metall-Streikleiter Luis Sergio zum Kleinfeld und all die anderen vermeintlich hohen Herren Marsch der Solidarität: sollen nicht meinen, dass sie aus dieser Auseinanderset - zung herauskommen, indem sie einen Sozialfond wie bei »Mit diesem Marsch machen wir den in Deutschland bis - BenQ bilden. Sie verteilen Almosen, um sich so aus ihrer her seltenen Versuch, die von einer kleinen Belegschaft sozialen Verantwortung zu stehlen. Wir führen die Aus - geführte Auseinandersetzung aus ihrer Begrenztheit her - einandersetzung so lange, bis wir ein Ergebnis haben. auszuführen und zu einem gesellschaftspolitischen The- Mit Almosen sollen sie uns nicht kommen. Wenn es denn ma zu machen. Es geht hier um die Zukunft der Arbeit - sein muss, kämpfen wir auch mit zunehmender Härte nehmerinnen und Arbeitnehmer und um die Rolle, die sie und im Zweifelsfall auch auf französisch. in diesem Land noch haben. Das macht es nötig, dass wir diesen Arbeitskampf auf eine höhere politische Ebene Wir werden immer wieder zu neuen Kampfformen finden, schieben. Um mit Karl Marx zu sprechen, wir wollen die die zeigen, dass diese Belegschaft sich nicht klein und gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen bringen. Wir kaputt machen lässt. Und ich kann euch zusagen, selbst müssen das, was hier passiert, zu einer deutschen und wenn es noch länger dauert: Es werden Zeichen von der zu einer internationalen Auseinandersetzung machen. Es anderen Seite kommen. Sie werden zurück an den Ver - geht um die Zukunft der Arbeit und um die menschliche handlungstisch kommen. Ohne diesen Schritt kriegen Würde in unserem Land. Und was uns das wert ist ... sie den Konflikt nicht vom Tisch.«

27 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

1. Station: Nauen Die erste Station des »Marsches der Solidarität war am 5. Oktober das BSH-Werk in Nauen. Etwa 200 Kolleginnen und Kollegen sammelten sich am Mittag zu einer Kundgebung vor dem Werk - stor. Der Rest der streikenden Belegschaft demonstrierte vom Bahnhof Nauen zum Werk, um sich der Aktion anzuschließen.

Kundgebungsziel Nr. 1 war, dass für zwölf Stunden keine Lkws die Tore passieren konnten. In Zeiten der just-in-time- Produktion ist dies ein wirkungsvolles Mittel, um für Aufre - Kundgebung in Nauen vor dem Werkstor gung zu sorgen. Zweites Ziel war, den direkten persönli - chen Kontakt zur Belegschaft in Nauen herzustellen. Es Großer Beifall für Klaus Mertens wurde deutlich, dass im Betrieb viele Unwahrheiten über die Berliner Belegschaft im Umlauf sind. Die Berliner und Das Nauener Betriebsratsmitglied Klaus Mertens die Nauener Belegschaft sollen gegeneinander ausgespielt hielt vor den BSHler eine und am gemeinsamen Handeln gehindert werden. Drittes couragierte Rede. Ziel war es, mögliche Streikbrecher aus dem schützenden Dunkel der Anonymität zu heben und sie zu zwingen, ihren Er berichtete, dass im Nauener Kolleginnen und Kollegen ins Gesicht zu schauen. Werk mittlerweile 200 gewerb - liche Mitarbeiter – als Leihar - beiter oder mit befristeten Verträgen – beschäftigt sind, die mit Stundenlöhnen von 5,30 bis 5,60 Euro abgespeist wer - den. Die Mehrheit im Nauener Betriebsrat kann sich bis heute nicht entschließen, mit der IG Metall dagegen vorzu - gehen. Klaus Mertens machte auch deutlich, dass Parolen wie »die Berliner haben uns auch nicht unterstützt – jetzt sollen sie nicht kommen« frei erfunden sind. Dann sagte er: »Die Herren in den Vorstandsabteilungen verwechseln ihre Interessen mit denen Deutschlands. Doch das Wichtig - ste in unserem Land sind die Menschen, die arbeiten und die die Werte schaffen.« Der Nauener Kollege beendete seine Rede mit der Bitte, die Zusammenarbeit der beiden Der Kontakt mit den Nauener Kollegen wurde gesucht Belegschaften in der Zukunft zu intensivieren.

28 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Stahlarbeiter stehen hinter den streikendenBSHlern Im jetzigen ARCELOR-Stahlwerk in Eisenhütten - stadt werden Bleche für die Produktion der Der Besuch war ein voller Erfolg. Die Kollegen berichteten Waschmaschinen in Spandau hergestellt. Des - über ihre Kampferfahrungen zum Erhalt des Standorts in halb gibt es schon seit längerer Zeit enge Kon - den 90er Jahren. Die BSHler waren beeindruckt – »Hut ab« takte zu den Interessenvertretern des Stahl - vor einer derartigen Entschlossenheit. Die Stahlarbeiter in werks. Eisenhüttenstadt versprachen tatkräftige Unterstützung. Falls Hilfe in Berlin benötigt werde, sei es um Brennholz für Es lag also Nahe, auf dem Marsch am 6. Oktober einen die Feuertonnen zu besorgen oder die Streikposten zu ver - Abstecher dorthin zu machen. Eine richtige Entscheidung: stärken: Sie seien zur Stelle.

Empfang in der Nikolaikirche

Selten waren die BSH-Kolleginnen und Kollegen derartig still und aufmerksam, wie in Leipzig am 7. Oktober. Das lag nicht allein am kirchlichen Versammlungsort, sondern vor allem an der Ansprache von Christian Führer, dem Pfarrer der Nikolai-Kirche in Leipzig.

Pfarrer Führer berichtete über die jüngere Vergangenheit. Vor 1989 gab es in der Nikolai-Gemeinde den Gesprächs - kreis „Hoffnung für Ausreisewillige”. Die Kirche wurde zu Während der Predigt für sichere Arbeitsplätze einem Zentrum der Bürgerbewegung und der Auseinander - Aktivitäten der Gemeinde. Zu den anwesenden BSH-Kolle - setzung mit den Regierungs- und Staatsorganen der DDR. ginnen und Kollegen gewandt, sagte Pfarrer Führer: »Arbeit Höhepunkt waren die Montagsdemonstrationen in Leipzig ist ein Menschenrecht« und Konzerne, die trotz riesiger im Herbst 1989. Im vereinigten Deutschland wurde dann Gewinne Standorte schlössen und Menschen in die der Gesprächskreis „Hoffnung für Arbeitslose” ins Leben Arbeitslosigkeit trieben, »verstoßen gegen das Menschen - gerufen. Seit 1993 gibt es in der Nikolai-Gemeinde eine recht«. Die Belegschaft von BSH führe diesen Kampf und kirchliche Erwerbsloseninitiative. Die Montagsdemonstra - den Marsch der Solidarität »stellvertretend für viele« und tionen gegen Hartz IV sind noch in guter Erinnerung. Die in Abwandelung eines Jesus-Zitates aus der Bibel forderte Nikolai-Kirche wurde auch zu einem Zentrum der Friedens - er auf: »Arsch hoch und auf die Beine«. Der Belegschaft bewegung, beispielsweise gegen die Irak-Kriege am Golf. wünschte er für die Auseinandersetzung viel Kraft und Aus - Die Mahnwache zur Freilassung der im Irak gefangen dauer. Diese »Predigt« machte Mut und sollte auch bei den gehaltenen Leipziger Ingenieure gehörte deshalb zu den Herren aus der Konzernzentrale Gehör finden.

29 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

»Auch wir kämpfen um unseren Standort« Solidarität auch vom IG Metall-Bevollmächtigten Stefan Kademann und Gert Sczepansky von Verdi: »Solidarität ist »Was wird hier gespielt?« Neukirchens Bürger - unsere Kraft, die wir dem kaltschnäuzigen Kapitalismus meister Hubert Beier (CDU) ist am 9. Oktober entgegensetzen. Die Konzerne stehen in der Verantwor - empört: Es könne doch nicht angehen, dass die tung: Solidarität gegen Marktradikalismus. Nur gemeinsam Konzerne sich aus der sozialen Verantwortung haben wir eine Chance. Wir unterstützen euren Marsch der stehlen. Bosch Buderus sei auch der größte Solidarität. Arbeitgeber in Neukirchen bei Zwickau. »Die Stadt lebt und stirbt mit Bosch Buderus.« Kai Heuer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von Bosch Buderus Thermotechnik in Neukirchen bei Zwickau: Wenn das, was die Bosch-Manager in Berlin-Spandau prak - »Auch wir kämpfen um unseren Standort.« Jetzt arbeiten im tizieren in dem sie einfach die Werke schließen, Beispiel Werk 250 Beschäftigte, früher waren es noch 400. Um die ist, dann gehen doch in Deutschland nach und nach die Arbeitsplätze zu erhalten, mussten IG Metall und Betriebsrat Lichter aus. Die Politiker in Berlin müssten doch endlich einen Haustarifvertrag abschließen, der harte Einkommens- einen klaren Kurs für den Erhalt der Arbeitsplätze steuern. einbußen und die Kürzung des Urlaubs- und Weihnachts - Volle Unterstützung für den Streik auch vom Bürgermei - gelds um die Hälfte beinhaltete. Nur so konnte eine Beschäf - ster: »Ihr habt recht, wenn ihr sagt, bis hierhin und nicht tigungssicherung bis 2010 erreicht werden. »Sonst wären 20 weiter. Alles Gute und viel Erfolg für euren Arbeitskampf.« Prozent der Beschäftigten entlassen worden.«

Zwischenstation in Dresden: Der Besuch in der Innenstadt wurde genutzt, um Flugblätter zu verteilen und zu diskutieren

30 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Station in Gütersloh: »Willkommen in der Hauptstadt von Miele« MdB der SPD und IG Metall Bevollmächtigter Klaus Brand - Solidarität in der Hauptstadt von Miele ner

Die Vetrauensleute von Miele Schließungskosten in Deutschland steuerlich absetzen.« bereiteten den streikenden Diese Praxis gefährde die Arbeitsplätze der gesamten Bran - BSHlern aus Berlin-Spandau am che, auch die von BSH und von Miele. Die Politik muss end - 10. Oktober in Gütersloh einen lich ernsthaft tätig werden für den Erhalt der Arbeitsplätze, herzlichen und kämpferischen forderte er. In den letzten Jahren sind in Deutschland 2,3 Empfang. Miele Vertrauensleute Millionen Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen. von den Standorten Gütersloh, Heiner Suerken, »Ihr mit eurem Streik, wir mit öffentlichen Veranstaltungen Gesamtbetriebs - Oelde-Lette, Lehrte, Bielefeld, wie heute setzen die Politik unter Druck, in unserem Sinne ratsvorsitzender Warendorf, Arnsberg und Bünde von Miele endlich tätig zu werden.« Und er bekräftigte: »Das Stärkste, waren gekommen. was wir als Schwache haben, ist unsere IG Metall. Gemein - sam sind wir stark.« Mit »Willkommen in der Hauptstadt von Miele«, hieß der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Heiner Suerken die BSH- Für intelligente Lösungen Kollegen willkommen. »Die Steueroasen in der Europäi - Klaus Brandner, Mitglied der deutschen Bundestags und IG schen Union locken die Konzerne, die Oasen in Polen und Metall-Bevollmächtigter, unterstützte die streikenden in Tschechien«, sagte er. Das sei spätestens seit der Verla - BSHler. »Unsere Unterstützung habt ihr. Ihr leistet eine gerung von AEG in Nürnberg nach Polen klar geworden. »Es qualifizierte, zuverlässige und gute Arbeit. Und ihr habt kann doch nicht sein, dass die EU mit unseren Steuermit - immer Gewinne erwirtschaftet.« Die Manager in ihrer maß - teln die Verlagerung finanziert«, kritisierte er unter Beifall. losen Gier wollten nur billige und unintelligente Lösungen In Polen braucht AEG bis 2017 keine Steuern zu bezahlen. wie Plattmachen, Verlagerungen, Stilllegungen. Deutsch - Außerdem bekommt dort AEG aus dem Strukturfond der land sei ein guter Industriestandort mit vielen qualifizier - Europäischen Union bis zu 50 Prozent seiner Investitionen ten Beschäftigten. »Das ist unser Vorteil. Wir setzen auf zurückerstattet. Qualität, auf intelligente Lösungen, auf Weiterbildung. Wir gemeinsam, die Vertrauensleute und Betriebsräte müssen Gegen Steueroasen die Manager in die Verantwortung für die Arbeitsplätze Heiner Suerken: »Diese Förderung der Verlagerung ist für zwingen. Dafür viel Erfolg.« mich krank. Und dann können die Manager auch noch die

31 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Es muss den Aufstand der Anständigen AEG hat sich verrechnet – geben: BSH verrechnet sich in Berlin Gegen die Verbrecher in den Konzernen »Ihr habt denselben Weg wie die AEGler gewählt: Streik Das war ein eindrucksvoller Tag in Nürnberg am mit der IG Metall gegen die Arbeitsplatzvernichter.« Harald 11. Oktober. Eine Kundgebung der Solidarität. Dix, AEG-Betriebsratsvorsitzender und betrieblicher Streik - Tausend Menschen vor dem Tor 1 des AEG-Werks, leiter beim AEG-Streik machte Mut und zeigte auf, dass die lautstark klarmachten: So nicht. Der Raub - sich die neunmalklugen Manager in den Konzernzentralen tierkapitalismus a la Electrolux-AEG und BSH verrechnet haben. Weil sie ihre Rechnung ohne den Wirt muss weg. AEG-Beschäftigte waren gekommen, gemacht haben. Die AEG-Mitarbeiter haben bei ihrem Teilnehmer der Qualifizierungsgesellschaft, Bür - Streik gegen die kaltschnäuzige Schließung die Fahnen der ger von Nürnberg und zahlreiche Pressevertreter. Konzernmutter Electrolux in der Öffentlichkeit verbrannt Und im Mittelpunkt standen die BSHler aus Ber - und klar gemacht: Das ist unser Betrieb. Hier wurde seit 83 lin-Spandau – die Stärke tankten in einem Bad Jahren hart geschuftet und es wurden immer Gewinne der Sympathie und der Solidarität. erwirtschaftet. Und die AEG-Qualität, das ist die Qualität der hoch qualifizierten Belegschaft in Nürnberg. Nürnbergs IG Metall-Bevollmächtigter und Streikleiter beim AEG-Streik Jürgen Wechsler fand kräftige Worte: Es müsse Die Electrolux-Manager haben sich mit der Verlagerung der in Deutschland einen Aufstand der Anständigen gegen die Produktion nach Polen total verrechnet. Sie glaubten, es Verbrecher in den Konzernzentralen geben. In den letzten sei mit 240 Millionen Euro Schließungskosten getan, die Jahren wurden 2,3 Millionen Industriearbeitsplätze abge - sie dann in Deutschland auch noch von der Steuer abset - baut. Das sind keine Kavaliersdelikte, das sind Verbrechen, zen könnten. Aber durch den Streik, durch den Raus - bei denen die Existenzen von Menschen vernichtet werden. schmiss von Facharbeitern, durch Lieferengpässe und Jürgen Wechsler wurde vom Electrolux-Management ge- durch Qualitätsverlust verdoppeln sich jetzt die reinen drängt, die Solidaritätskundgebung vor dem AEG-Werk Schließungskosten: über 500 Millionen Euro. Während des abzusagen. Das sei ein Angriff auf unsere demokratischen Streiks musste Electrolux Umsatzeinbußen von über 40 Rechte, konterte Wechsler. Eiskalte Manager treten die Prozent hinnehmen. Die Konsumenten reagierten und soli - Arbeitnehmer mit Füßen und wollen Duckmäuser, die sich darisierten sich mit den AEG-Beschäftigten: Auf dem wich - nicht wehren. »Gegen den verbrecherischen Kapitalismus tigsten europäischen Markt, dem deutschen, hat Electrolux von BSH und Electrolux«, rief Jürgen Wechsler auf. »Wir von ehemals 16 Prozent Marktanteil der Weißen Ware 4 müssen dafür sorgen, dass ihnen die Kunden weglaufen, Prozent dauerhaft verloren. Das sind dauerhafte Milliarden - wenn sie die Arbeitplätze vernichten. Das ist die Sprache, verluste durch Imageeinbußen. Jetzt wird auch noch die sie verstehen.« schlechte Ware aus Polen geliefert. Die Werke in Polen können nicht so schnell hochgefahren werden. Die einge - spielte, hochqualifizierte Mannschaft in Nürnberg kann so

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Die AEG-Belegschaft stand vor dem Werkstor: Jürgen Wechsler demaskierte die AEG- und BSH-Manager als Verbrecher nicht ersetzt werden: Die Probleme des Konzerns verschär - „Wir zeigen die Zähne“– Arbeitsplätze fen sich. Harald Dix rief den streikenden BSHlern in Nürn - nachhaltig sichern berg zu: Kämpft weiter um euer Werk. Kämpft mit uns für Auf der Nürnberger Kundgebung waren auch über 60 die Würde der Arbeitnehmer und der Menschen. Good bye Betriebsräte und Vertrauensleute der IG Metall aus dem AEG – Glück auf für BSH.“ Bereich der Weißen Ware mit dabei. Sie berieten in Nürn - berg auf einer gleichzeitigen Konferenz, wie die Arbeitsplät - Der Nürnberger Bürgermeister Horst Förther (SPD) rief den ze in der Branche nachhaltig gesichert werden können. »Wir streikenden BSHlern zu: »Ihr habt einen Vorteil gegenüber zeigen die Zähne.« Peter Kern vom Vorstand der IG Metall den AEGlern: Die Konzernzentrale ist in Deutschland.« Hier zeigte auf, dass noch 80 000 Beschäftigte im Bereich der gelte es Druck zu machen für den Erhalt der Arbeitsplätze Weißen Ware arbeiten. Sie alle müssen um ihre Arbeitsplät - und hier müsse die Öffentlichkeit gewonnen werden. Fört - ze kämpfen. Die AEGler haben gezeigt, wie es geht. Auch her berichtete über die Verhandlungen, die in Schweden die BSHler ducken sich nicht weg. Das BSH-Management für den Erhalt des AEG-Standorts in Nürnberg gemacht hatte nur zum Schein mit der IG Metall über den Berliner wurden. Da saßen die Nürnberger Spitzenpolitiker mit dem Standort verhandelt – aber die Schließungabsichten voran - damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und getrieben. Das Electrolux-Management hat mit der AEG- spürten nur eiskalte soziale Kälte und Profitgier. Nichts Schließung seinen Ruf beschädigt und riesige Marktverluste ging. Electrolux macht Höchstprofite. »Die öffentliche Mei - hingenommen. Wollen jetzt die BSH-Manager wie die Lem - nung kippt. Wir freuen uns, wenn ihr die ersten seid, die minge dem schlechten Beispiel folgen? »Wollen sie ihren den Standort sichern. Ihr habt unsere Solidarität.« Ruf nachhaltig beschädigen«, fragte Peter Kern. »Wir wer - den um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Wir verlieren nicht das Gesicht, wenn wir die Zähne zeigen.«

33 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Bei BenQ: Macht weiter – Zeigt Rückgrat Überwätigende Solidarität und Betroffenheit auch am Donnerstag, dem 12. Oktober, in Kamp- Lintfort, dem Sitz der ehemaligen Siemens-Toch - ter BenQ, wo 1000 Menschen auf die Straße flie - gen sollen.

Der Demonstrationszug der Spandauer BSHler startete um rund zwölf Uhr in der Innenstadt mit 600 Personen. Auf gings zum Rathaus. Dort wurden die BSHler von den Müll - werkern und Rathauspersonal empfangen, die sich dem Demonstrationszug anschlossen. Betroffenheit in der Innenstadt: Was soll noch werden, wenn die überall die Andrea Nahles, MdB der SPD und viele KollegInnen bekunden ihre Solidarität in Kamp-Lintfort bei BenQ Werke schließen? Einer der größten deutschen Konzerne spielt sich auf wie ein Aasgeier. Siemens und Bosch Beschäftigten Verschlechterungen und Lohneinbußen von schmeißt in Kamp-Lintfort und Berlin ohne Rücksicht Leute 300 Euro monatlich akzeptiert. Was passierte: Der Tritt in auf die Straße: Kopfschütteln auf der Straße. Viele sponta - den Arsch war das Dankeschön. Jetzt sollen alle entlassen ne Reaktionen: Macht weiter. Ihr seid im Recht. Vorbei geht werden. Vor der Konzernzentrale von BenQ sind auch viele es am Bergwerk West: Alle 400 Azubis begrüßen den Betriebsräte und Vertrauensleute aus anderen Betrieben Demo-Zug und schließen sich an, auch viele Beschäftigte. und solidarisieren sich. Sie wissen: Was jetzt in Deutsch - Am Ende sind es mehr als 1 500, die gegen die Siemens- land an sozialer Kälte präsentiert wird, können wir nur Praktiken protestieren. Bei BenQ erwarten weitere 500 den gemeinsam bekämpfen: Solidarität. Demonstrationszug. Die herzliche Begrüßung zeigt: Wir stehen zusammen. Die Praktiken des Siemens- und Bosch- Keine Einbahnstraße Konzerns sind unmenschlich. Wir müssen zusammenste - BSH-Betriebsratsvorsitzender Güngör Demirci betonte hen, um diesen Wahnsinn einen Damm entgegen zu setzen. dann auch: »Wir sind aus Berlin hier in Kamp-Lintfort, weil wir wissen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Die »You never walk alone. Wir gehen gemeinsam den Weg Schließung von BSH in Berlin-Spandau und von BenQ in gegen Konzernwillkür.« IG Metall-Bevollmächtigter Ulrich Kamp-Lintfort muss von Siemens rückgängig gemacht wer - Marschner spricht auf der Kundgebung den Leuten aus der den.« Deswegen der Marsch der Solidarität: Millionen Seele. Den BSHlern in Berlin wurde von den Siemens- Menschen in der ganzen Bundesrepublik haben die glei - Managern versprochen: Wenn ihr die 40-Stunden-Woche chen Sorgen und Probleme um ihren Arbeitsplatz. Sie glau - ohne Lohnausgleich, Verschlechterungen beim Urlaubs- ben sich allein gelassen und sind ratlos. Aber gemeinsam und Weihnachtsgeld akzeptiert und weitere Einbußen, sind wir stark. Marsch der Solidarität bedeutet: Millionen dann habt ihr eine Chance. In Kamp Lintfort haben die Menschen haben gleiche Sorgen und gleiche Interessen.

34 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Die Stimmung kippt

Freitag, 13. Oktober: Kein Unglückstag. Ein Tag der Solidarität in Bad Neustadt an der Saale mit den BSH-Kollegen vor Ort. Am Morgen gab es Flugblätter und die Streikzeitung in der Innen - stadt. Bürger äußerten ihre Sorge: »Wenn das so Klaus Ernst: »Die Minderheit tanzt der Mehrheit auf der Nase rum« weitergeht in Deutschland...« Ein Kind solidari - sierte sich ganz spontan: »Mein Papi war auch »Bis uns die Augen rausfallen« bei Siemens, er ist auch entlassen worden.« Es »Eine Minderheit tanzt der Mehrheit der Gesellschaft auf gab Kommentare wie »eine riesengroße Sauerei« der Nase rum«, empörte sich Klaus Ernst, Mitglied des bis zu der verhaltenen Frage: »Was können wir Bundestages und Schweinfurts IG Metall-Bevollmächtigter. dagegen tun?« Was erwarten die künftig von uns: Die 40-Stunden-Woche bei gleichzeitigen Lohnsenkungen. Danach ist dann schon Um 13.30 Uhr startete dann die Protestkundgebung vor die 48-Stunden-Woche im Gespräch. In Kamp-Lintfort dem Bad Neustädter BSH-Werk, in dem Boden-Pflegegerä - haben die Kollegen kräftigen Lohneinbußen von 30 Prozent te, also Staubsauger in vielen Variationen gefertigt werden. zugestimmt. »Dann wurden sie verscherbelt wie auf dem Dessen Betriebsratsvorsitzender Arno Holzheimer stellte Viehmarkt. Und jetzt werden sie rausgeschmissen. Wir sol - die bange Frage: »Sind wir die nächsten?« Zwar sei die Auf - len immer und immer den Gürtel enger schnallen, bis uns tragslage gut und Arbeit ohne Ende vorhanden. Aber bei die Augen rausfallen.« In Deutschland kann sich Esser von der Willkür im Siemens-Konzern, wer sei da noch sicher. Mannesmann 30 Millionen Euro einstecken, können sich Elmar Eckart von BSH-Berlin-Spandau entgegnete sofort: Siemens-Manager die Millionen-Gehälter ungestraft noch »Wenn sie euch hier die Gurgel zudrücken, dann sind wir einmal um 30 Prozent aufstocken und gleichzeitig Werke in hier.« Deutschland dicht machen. »Das schreit zum Himmel.« Gleichzeitig lügen die Manager, Deutschland sei nicht kon - Eiskalte Abservierer kurrenzfähig. Deutschland ist Exportweltmeister. Die Profi - Der BSH-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Elmar Freund te steigen – aber die Löhne stagnieren. »Wenn die Leute bezeichnete sich selbst als Freund von Lösungen, die für hier kein Geld mehr haben, können sie auch keine Wasch - beide Seiten annehmbar sind. Aber im Falle des maschinen und keine Staubsauger mehr kaufen.« Schließungsbeschlusses von BSH-Berlin-Spandau seien sie »Die unter der Berliner Kuppel schwätzen, können sich eiskalt abserviert worden. »Alles, was wir angeboten doch überhaupt nicht vorstellen, was es bedeutet, mit 345 haben, war einfach zu wenig.« Bei der Sitzung war schon Euro Alg II-Regelsatz im Monat leben zu müssen.« Da ist nach fünf Minuten klar: Wir sprechen nur noch über sich Klaus Ernst sicher: »Die Stimmung im Lande kippt.« Schließung. Man müsse jetzt Siemens-Bosch in die soziale Und dann können auch Bosch und Siemens nicht so weiter Verantwortung zwingen. „Kämpft weiter.“ wüten. Weil sie die Stimmung der Mehrheit fürchten und die der Konsumenten.

35 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Karl-Heinz Sieth , Vertrauens - Christa Hourani , Betriebsrätin Niels Clasen , Betriebsratsvor - Michael Lutsch , Betriebsrat körperleiter von Bosch Bude - bei Daimler-Chrysler in Stutt - sitzender bei Roto Frank, Lein - von Bosch in Abstadt: Wir ste - rus Thermotechnik in Wernau: gart: Auch bei Daimler Chrysler felden: Wir Stuttgarter solidari - hen an eurer Seite. Wir wissen, Euer Kampf macht Mut. Viele werden die Arbeitsplätze sieren uns mit BSH in Berlin- wie schlimm es ist, wenn man wünschen sich, dass der Funke immer unsicherer. Insgesamt Spandau. Unsere Solidarität seinen Arbeitsplatz verliert. eures Feuers überspringt. Viel sollen insgesamt 20 000 gilt denen, die um ihre Arbeits - Wenn die Manager die Exi - zu viele sind noch zu unent - Arbeitsplätze vernichtet wer - plätze kämpfen, obwohl ihre stenzgrundlage von vielen schlossen, für den Erhalt der den. Das Betriebsklima ist im Betriebe wirtschaftlich arbei - Familien vernichten, müssen Arbeitsplätze zu kämpfen. Keller. ten. wir uns gemeinsam wehren.

In der Hauptstadt von Bosch

Der Marsch der Solidarität am Samstag, dem 14. Oktober: Angekommen in der Stutt - garter Innenstadt. Empfangen von Kolleginnen und Kollegen von Daimler-Chrysler, Zentrale Stuttgart; Roto Frank, Leinfelden; Modine, Tübingen; Bosch Buderus, Wernau; Lapphubelwerke Stuttgart; Bosch, Schwieberdingen; Bosch, Feuerbach; Mahle, Stutt - gart und Index, Esslingen. Aus der Resolution der Vertrauensleute von Bosch Buderus Daniel Müller , stellvertreten - Thermotechnik Wernau: der Betriebsratsvorsitzender von Bosch in Reutlingen: Lasst uns alle im Bosch-Konzern Solidarität ist unsere Antwort! Euer Marsch der Solidarität ist ein hervorragendes Mit - zusammenstehen gemeinsam tel, den Gedanken des Kampfes um die Arbeitsplätze bundesweit, wenn nicht sogar mit der IG Metall. Gemeinsam international zu verbreiten und Bündnisse zu schließen. sind wir stärker. Euer Kampf macht Mut! BSH ist überall. Viel Erfolg für euren Kampf um alle Arbeitsplätze.

Alfred Löckle , Bosch-Gesamtbetriebsratsvorsitzender (links im Bild): Die »Geiz ist Geil« Mentalität ist bei Bosch angekommen. Wir brauchen diese Parole nicht. Wir brauchen die Devise »Qualität ist geil«. Qualität kommt aus heimischer Produktion. Qualität kommt auch aus Berlin. Statt dessen macht sich Schmarotzertum breit. EU-Fördergelder, Fördergelder in den ostdeutschen Standorten werden abgegriffen und und dann wird munter verlagert. Soziale Verantwortung sucht man vergeb - lich. Euer Streik ist die einzig richtige Antwort. Das moralische Recht ist auf euren Seite. Euer Kampf ist unser Kampf.

36 Der BSH-Streik: »Der Marsch der Solidarität«

Werner Neufer , Betriebsrats - Uwe Meinhardt , IG Metall- Anton Kutska , Betriebsrats - Armin Knust , Betriebsratsvor - vorsitzener von Bosch in Stutt - Bevollmächtigter: Die Schlie- vorsitzender von Bosch in sitzender von Bosch Schwie - gart: So kann es nicht weiter - ßung von BSH in Berlin ist eine Waiblingen: Wir haben ein berdingen: Hut ab vor eurem gehen, dass in Deutschland Sequenz des Raubtierkapitalis - Transparent mitgebracht, auf Marsch der Solidarität durch immer mehr Industriearbeits - mus. Und wir gemeinsam, IG dem das Wesentliche steht: Deutschland. Wir müssen die plätze abgebaut werden und Metall, die Beschäftigten und Heute BSH – morgen PA Waib - Arbeitplatzvernichter in der auch namhafte Unternehmen die Öffentlichkeit müssen auf lingen. Wir kämpfen mit euch Öffentlichkeit anprangern. Wir vollkommen ins Ausland den Erhalt der Arbeitplätze für eure/unsere Arbeitsplätze. müssen ihnen das Handwerk gehen. pochen. legen.

In Stuttgart: Große Solidarität

Guido Lorenz , katholischer Betriebsseelsorger in Stuttgart: Es ist wichtig, dass ihr zur Bosch-Zentrale nach Stuttgart gekommen seid. Dass die Manager sehen, dass ihr Schlie- ßungsbeschluss Menschen trifft. Die können sich wahr - scheinlich gar nicht vorstellen, was es heißt, wenn in den Familien Angst und Not herrscht. Und die vielen Langzeitar - Edgar Hennemann , Bosch-Ver - trauenskörperleiter in Hildes - beitslosen merken oft erst nach einem Jahr, dass sie viel heim, liest in Stuttgart die mehr verloren haben als ihre Arbeit: den Kontakt zu anderen Grundsätze sozialer Verantwor - Menschen, die Nähe zu den Kollegen. Dass sie nicht mehr tung von Bosch vor: »Die Über - nahme von Verantwortung ge- gebraucht werden, dass sie ihre Fähigkeiten nicht mehr in die Gesellschaft einbringen genüber der Gesellschaft und können. Deshalb: Kämpft für eure Arbeitsplätze. Wer nicht kämpft, der wird geschlos - künftigen Generationen hat bei sen. Ihr habt meine Solidarität. Bosch eine lange Tradition... Die Kombination von ökonomischen Roland Saur , stell - Ljuba Glavas , Zielsetzungen mit sozialen und vertretender Betriebsratsvorsit - ökologischen Dimensionen hat Betriebsratsvorsit - zende bei Bosch für Bosch einen hohen Stellen - zender von Bosch in in Leonberg: Auch wert.« Feuerbach: Eure Pro - bei uns sollten die bleme sind auch Arbeitsplätze ver - unsere. 3 000 nichtet werden. Arbeitsplätze sollten weg.

37 Der BSH-Streik: Das Ergebnis

6. Das Ergebnis des BSH-Streiks

35,62 Prozent der Streikenden bei der Bosch- Siemens-Hausgeräte GmbH in Berlin Gartenfeld haben sich in der zweiten Urabstimmung für die Annahme des ausgehandelten Verhandlungser - gebnisses ausgesprochen.

Die Wahlbeteiligung lag bei 95,18 Prozent. Mit diesem Ergebnis gilt nach der Satzung der IG Metall das Verhand - lungsergebnis als angenommen. Die Satzung der IG Metall sieht nach Paragraf 22 vor, dass mindestens 75 Prozent der IG Metall-Mitglieder einer Streikaufnahme zustimmen müs - sen. Umgekehrt gilt, dass ein Streik nach der zweiten Urab - stimmung nur dann fortgesetzt werden darf, wenn mehr als 75 Prozent sich dafür aussprechen, beziehungsweise dem Verhandlungsergebnis weniger als 25 Prozent zustimmen. Bei der zweiten Urabstimmung: dichtes Gedrängel im Streikzelt Der Streik wurde am 20. Oktober 2006 um 24 Uhr für been - det erklärt. Es wurde vereinbart, dass das Verhandlungser - Arbeitsplätzen am Standort Berlin sind ein Erfolg der strei - gebnis nur mit Beendigung des Arbeitskampfs wirksam kenden Metallerinnen und Metaller von BSH. Die Fortset - wird. zung der Produktion am Standort Berlin-Gartenfeld ist zugleich ein wichtiges industriepolitisches Signal für Ber - Der Vorstand der IG Metall hat am Montag, dem 23. Okto - lin«, erklärte Olivier Höbel. ber, das Ergebnis beraten und beschlossen. In der Streikversammlung wurde deutlich, dass zu wenig In seiner ersten Stellungnahme bezeichnete der Bezirkslei - Zeit für die interne Diskussion und für eine ausführliche ter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen Olivier Höbel Bewertung des Verhandlungsergebnisses vorhanden war. das Abstimmungsergebnis als ehrlich. Er hätte mehr Zu- Viele Kolleginnen und Kollegen waren auch verunsichert, stimmung erwartet, weil das oberste Ziel, die Erhaltung ob ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt und wie sich die indivi - von 400 Arbeitsplätzen, erreicht wurde. Bei Bosch-Sie - duelle Abfindung im Falle einer Kündigung berechnet. Ver - mens-Hausgeräte in Spandau konnte erstmals in Deutsch - ärgerung hat auch die Tatsache hervorgerufen, dass der land mit einem Streik für einen Sozialtarifvertrag eine zentrale Aktionstag in München am 19. Oktober abgesagt schon beschlossene Schließung verhindert werden. Des - worden ist. halb hatte auch die Verhandlungs- und Tarifkommission die Annahme des Ergebnisses empfohlen. »Die Rücknahme Am Montag, dem 23. Oktober, wurde nach 26 Streiktagen mit des Schließungsbeschlusses und die Sicherung von 400 Beginn der Frühschicht die Arbeit wieder aufgenommen.

38 Der BSH-Streik: Das Ergebnis

Das Verhandlungsergebnis in Kürze:

 Der Stilllegungsbeschluss wird zurückgenommen, die Fabrik Waschen wird nicht geschlossen.

 Ausschluss des Ausspruchs von betriebsbedingten Kündigungen für 400 Arbeitnehmer bis zum 31. Juli 2010. Davon werden 30 Arbeitnehmern zumutbare Arbeitsplätze unter Wahrung des persönlichen Besitzstandes von den Muttergesellschaften in Berlin zur Verfügung gestellt.

 Es ist ein Sozialplanvolumen vereinbart, das auf Basis folgender Formel ermittelt wird: 216 Arbeitnehmer X monatlicher Durchschnittsverdienst/ 13,3 X Durchschnitt Beschäf- tigungsjahre X 1,6.

 Bildung einer Beschäftigungsgesellschaft.

Beiträge der Beschäftigten:

Keine Tariferhöhungen in 2007

Reduzierung der tariflichen Leistungszulage um 3,8 Prozentpunkte.

Erhöhung der Regelarbeitszeit in PW auf 40 Stunden/Woche bei Beibehaltung des bis- herigen Entgelts, bestehende Verträge werden nicht berührt.

Reduzierung der tariflichen Sonderzahlung/Urlaubsvergütung um 20 Prozent in FBW und LOB.

Für nicht geleistete Arbeit am 24. und 31. Dezember muss ein Urlaubstag oder Stunden aus dem Arbeitszeitkonto genommen werden.

Wegfall der betrieblichen Jahreszahlung.

Qualifizierungszeit von einer Stunde/Woche.

Die Teilnahme am Arbeitskampf führt nicht zur Kürzung der Sonderzahlung (Weihnachtsgeld 2006). Jede Maßregelung von Beschäftigten aus Anlass oder im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung unterbleibt oder wird rückgängig gemacht.

39 Der BSH-Streik in der Öffentlichkeit

7. Der BSH-Streik in der Öffentlichkeit

Märkische Allgemeine Berliner Zeitung Widerstand lohnt sich Druck der Siemens-Spitze Von Martin Usbeck Von Peter Kirnich Manchmal lohnt es sich doch zu kämpfen. Die Belegschaft Plötzlich ist alles so einfach: Über ein Jahr haben die des Bosch-Siemens-Waschmaschinenwerks in Berlin-Span - Beschäftigten des Berliner Bosch-Siemens-Hausgeräte - dau jedenfalls hat durch ihren Widerstand erreicht, dass ihr werks (BSH) vergebens gegen die geplante Schließung der zur Schließung vorgesehenes Werk nun doch erhalten Waschmaschinenproduktion gekämpft. Alles sah längst bleibt. Auch wenn mehr als die Hälfte der 570 Arbeitsplätze nach Stilllegung aus. ... Damit hat die IG Metall erstmals wegfällt und die verbliebenen Beschäftigten zum Teil hefti - einen bereits beschlossenen Stilllegungsplan eines Unter - ge Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, ist das ein Erfolg, nehmerns wieder umkehren können. Das ist ein schöner wie er zum Beispiel der Belegschaft des weit größeren Erfolg für die Gewerkschaft, noch besser für die 350 BSH- AEG-Haushaltsgerätewerks in Nürnberg nicht vergönnt war. Mitarbeiter, die ihren bereits verloren geglaubten Job nun behalten können – und das ist nicht minder wichtig für den Neues Deutschland gebeutelten Standort Berlin. ... Ungeachtet dessen ist der Bitterer Beigeschmack Preis, den die Mitarbeiter zahlen, hoch. Mehrarbeit bei Von Anke Engelmann gleichem Lohn und deutliche Abstriche beim Urlaubs- und Niemand hat wirklich daran geglaubt, alle waren über - Weihnachtsgeld müssen sie für den Erhalt von Teilen der zeugt, dass die Geschäftsleitung taktiert, im Grunde fest Produktion hinnehmen. 216 Jobs werden trotzdem abge - entschlossen ist, das Bosch-Siemens-Hausgerätewerk baut. Ihr Dank an das Management von Bosch und Sie - (BSH) zu schließen. Was hat den Umschwung gebracht? mens hält sich deshalb in Grenzen. Vielleicht war es der Druck, unter dem Siemens wegen der Handy-Pleite bei BenQ stand. ...Doch wie auch immer der Kompromiss zustande kam: Schön für die, die nicht taz berlin arbeitslos werden, schön einer arroganten Geschäftslei - Sparwaschgang tung die Zähne gezeigt zu haben. Und endlich mal eine Von Gereon Asmuth gute Nachricht für den gebeutelten Industriestandort Ber - Als „Sieg der Vernunft“ hat Wirtschaftssenator Harald Wolf lin. Doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack, denn die (PDS) die Einigung zwischen Werksleitung und Gewerk - Zugeständnisse, die die Gewerkschaft gemacht hat, sind schaft bezeichnet. Zu Recht. Immerhin wurde nach drei - nicht ohne. Irritierend: Da drohen Konzernbosse mit der wöchigem Streik durchgesetzt, dass die Produktion der Schließung von Produktionsstandorten und es wackeln 35- Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte wenigstens noch bis 2010 Stunden-Woche, Tarifvereinbarungen, Urlaubs- und Weih - in Berlin erhalten bleibt. ... Auch die Strategie der Streiken - nachtsgeld. ... Gewerkschaftliche Errungenschaften aufzu - den ist zu loben. Die Rückbesinnung auf den alten Wert der geben, ist ein hoher Preis für 800 Arbeitsplätze. Bleibt zu Solidarität mit anderen Betroffenen, der gemeinsame Pro - hoffen, dass sich die BSH-Beschäftigten im täglichen test mit den ebenfalls von Schließung bedrohten Mitarbei - Arbeitskampf ihre Renitenz erhalten und sich einen weite - tern des BenQ-Werkes in Kamp-Lintfort gegen die Siemens- ren Abbau ihrer Rechte nicht bieten lassen. Zentrale in München war ein Erfolg. Er hat gezeigt, dass

40 Der BSH-Streik in der Öffentlichkeit

sich selbst ein Großkonzern nicht völlig von der öffentli - chen Diskussion abkoppeln kann.

Berliner Morgenpost Zeitbombe bei BSH Von Nikolas Doll Das letzte Kapitel im Ringen um den Erhalt des Waschma - schinenwerks von Bosch-Siemens ist wohl noch nicht geschrieben: Die Urabstimmung zum in dieser Woche gefundenen Kompromiss war schon eine herbe Niederlage der IG Metall. ... Berlin soll künftig im Verbund mit den Schwesterstandorten in Polen und der Türkei baugleiche Maschinen montieren. Trotz gesteigerter Produktivität wer - den die Berliner da auch weiterhin im Vergleich schlecht abschneiden. Denn mit deutschen Löhnen sind sie auch künftig nicht wettbewerbsfähig. Die Debatte, Berlin sei zu teuer; wird daher spätestens 2010 nach Ablauf der »Teil - fortführungsvereinbarung« erneut losbrechen. Dauerhafte Chancen hat BSH Berlin nur mit neuen Produkten, die eben nicht überall gebaut werden können. Ändert das Manage - ment an der Ausrichtung nichts, tickt in Spandau eine Zeit - bombe.

Frankfurter Rundschau Bosch-Siemens lenkt ein Von Thomas Wüpper Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) erklär - te, die Einigung sei der »Hartnäckigkeit und dem Kampfge - ist der Belegschaft zu verdanken, die sich mit der Schlie- ßung ihres Werkes nicht abfinden wollte.« Die BSH-Führung und Konzerenchef Robert Kugler nannte die Eingung »einen Kompromiss, der gerade noch zu vertreten ist«.

41 Der BSH-Streik: Einschätzungen der betrieblichen Akteure

8. Interview mit dem BSH-Betriebsratsvorsitzenden Güngör Demirci

Gungör, wie habt ihr euch Mitte 2005 wollte das BSH-Management schon einmal die auf den Streik bei BSH in Arbeitsplätze vernichten. Aber wir haben einen Sozialtarif - Berlin-Spandau vorbereitet? vertrag mit einem Volumen von 170 Millionen Euro gefor - dert, der 85 Prozent des Nettogehalts und zwei Jahre Auf - Wir haben es in relativ kur - nahme in eine Transfergesellschaft gesichert hätte. Das zer Zeit geschafft, zu einem waren den Herren offenbar zu viel. Viele haben damals kampffähigen Betrieb zu gedacht, dass BSH die Schließungspläne aufgegeben hat. werden. Vor Beginn der Aus - Aber ich hatte auch die Befürchtung, dass das Manage - einandersetzungen waren ment nur Zeit herausschlagen wollte, um sich auf einen nur rund 30 Prozent der Arbeitskampf vorzubereiten, um dann doch die Schließung Belegschaft Mitglied der IG ohne die hohen Kosten durchsetzen zu können. Ich habe Güngör Demirci Metall, bei Beginn des Recht behalten. Der Streik hat ihre Pläne aber kräftig Streiks waren es in der Fertigung 95 Prozent. Wir waren durchkreuzt. jeden Tag im Betrieb und haben Mitglieder geworben. Ohne starke Gewerkschaft auch im Betrieb hätten wir gar Manche sagen, der Streik für einen Sozialtarifvertrag sei nichts ausrichten können. Dann als der Schließungsbe - eine stumpfe Waffe. Es müssten politische Lösungen schluss von dem BSH-Management als endgültig verkün - angestrebt werden. det wurde, begann die längste Betriebsversammlung der Welt. Wir haben ein Anrecht auf Eintrag in das Guiness- Er ist eine stumpfe Waffe. Wir dürfen in der Bundesrepublik ja Buch der Rekorde: eine Betriebsversammlung von fast drei nicht direkt für den Erhalt der Arbeitsplätze streiken. Wir kön - Wochen. Das ist natürlich nur mit einer hoch motivierten nen also auf einen Kampf um einen Sozialtarifvertrag nicht und gut gewerkschaftlich organisierten Belegschaft mög - verzichten, weil wir gar keine andere Möglichkeit haben, uns lich. Sonst hätte das BSH-Management leichtes Spiel gegen den Arbeitsplatzabbau zu wehren. Dabei haben wir gehabt, ihr schon so häufig praktiziertes Vorgehen umzu - viel von den Belegschaften, die für einen Sozialtarifvertrag setzen: Verkündung der Schließung, danach Verhandlun - gestritten haben, gelernt – von Infineon, AEG/Electrolux oder gen und danach »Tschüß Belegschaft, ab in die Arbeitslo - CNH. Auch dort wurde der Sozialtarifvertrag genutzt, um die sigkeit«. Wir haben bewiesen, dass es anders geht. Erst - Arbeitsplätze zu erhalten. Und in diesen Arbeitskämpfen wur - mals haben wir es geschafft, einen schon gefassten und den viele Mittel eingesetzt, um den Druck nicht nur auf die verkündeten Schließungsbeschluss mit einem Streik rück - Geschäftsleitung des Standorts aufzubauen und somit auch gängig zu machen. Das ist das einmalige und das wichtig - auf die Leitung der internationalen Konzerne, sondern auch ste Ergebnis des BSH-Streiks. die Öffentlichkeit zu mobilisieren und Einfluss auf die Politik zu nehmen. Bei Infineon, AEG/Electrolux oder CNH ist es lei - Damit habt ihr ja schon zum zweiten Mal eine drohende der nur zu guten Sozialplänen gekommen. Wir können jetzt Schließung abgewendet. erstmals als Erfolg verbuchen, dass bei BSH in Berlin-Span - dau auch Arbeitsplätze gesichert werden konnten.

42 Der BSH-Streik: Einschätzungen der betrieblichen Akteure

Aber nur eine Minderheit der Belegschaft hat bei der Einfluss auf die Politik nehme. Die Gewerkschaften haben Urabstimmung dem Verhandlungsergebnis zugestimmt. eine wunderbare Beschlusslage, auf Gewerkschaftskon - gressen werden klare Stellungnahmen zu Hartz IV oder zur Das ist richtig. Das Verhandlungsergebnis ist ein Kompro - Globalisierung verabschiedet. Aber wir können bislang zu miss. Auch ich hätte mir sehr viel mehr gewünscht. Ich, die wenig davon umgesetzen. Dazu brauchen wir Mehrheiten Verhandlungskommission und die IG Metall bis zum Vor - und eine von uns aufgeklärte Öffentlichkeit. Und das stand haben alles daran gesetzt, um alle Arbeitsplätze bei beginnt, wie zum Beispiel in unserem Betrieb, dass wir die BSH in Berlin-Spandau zu retten. Aber man muss das auch Gewerkschaften durch Mitglieder stark machen. In Nauen nüchtern analysieren: Wir sind so stark, wie wir unsere gilt die 43-Stunden-Woche, dort gibt es erheblich schlech - Durchsetzungskraft außen, in der Gesellschaft, in dem inter - tere Arbeitsbedingungen, weil die Belegschaft nicht auf nationalen Unternehmen geltend machen können. Und hier ihre Kraft und ihre Gewerkschaft vertraut. So können sie sind wir mit dem BSH-Streik einen Schritt weiter gekom - ihre Arbeitsbedingungen auch nicht verbessern. Wir brau - men. Aber es müssen weitere Schritte folgen. Wir haben in chen in der Gewerkschaft mehr engagierte Mitglieder, dann der Auseinandersetzung auch die Hoffnung geweckt, dass können wir in der Gesellschaft auch mehr erreichen. Ich bin wir möglichst alle Arbeitsplätze halten können. Diese Hof - kein rotes Tuch, ich bin ein überzeugter IG Metaller. Das fung konnten wir nicht befriedigen. Vielleicht haben wir kommuniziere ich auch bei meinen Bekannten in der Tür - auch die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen nicht rich - kei. Wie wir deutschen Gewerkschafter uns gegen die Fol - tig kommuniziert und stillschweigend vorausgesetzt, dass gen der Globalisierung wehren, ist dort sehr gut angekom - jeder weiß, mit welchen harten Bandagen in diesen Ver - men. handlungen gekämpft wird. Die entscheidende Frage laute - te immer wieder: Mehr Abfindung oder Erhalt von 400 Wie geht es jetzt bei BSH in Berlin-Spandau weiter? Beschäftigten. Die Sicherung von 400 Arbeitsplätzen ist schon ein einmaliges Ergebnis. Und wir konnten erreichen, Wir haben die Garantie, dass das Werk bis 2010 weiter dass fast keine betriebsbedingten Kündigungen ausgespro - produziert. Und wir haben erreicht, dass im März 2007 chen werden. auf einem Standortsymposium über die Zukunft des Berli - ner BSH-Werks nachgedacht wird. Wie können wir Berlin Du hast erwähnt, dass mit dem BSH-Streik Schritte in die zukunftssicher machen? Welche Investitionen werden in richtige Richtung erprobt worden sind. Weitere müssten Berlin getätigt? Welche Produkte werden in Zukunft in folgen. Welche? Berlin gefertigt? Wir werden auf dem zweitägigen Sympo - sium hartnäckig diese Fragen stellen und wollen klare Wir haben bei BSH in den vergangenen zwei Jahren sehr Antworten. Und dann werden wir darauf drängen, dass viel gelernt. Vorraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt angekündigte Investitionen auch getätigt werden. Dass zur Wehr setzen konnten, war, dass der Organisationsgrad die versprochenen neuen Produkte auch gefertigt werden. in der IG Metall von rund 30 auf 95 Prozent gesteigert Auch das ist ein Erfolg unseres Streiks. Ohne Hilfe der IG wurde. Viele bemängeln, dass die Gewerkschaft zu wenig Metall hätten wir diese Erfolge nicht erringen können.

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9. Interview mit dem Leiter des BSH-Vetrauenskörpers Huseyin Akyurt

Huseyin, war der BSH-Streik diesen Kompromiss nicht eingegangen wären, wären 600 erfolgreich? Arbeitsplätze verloren gegangen. Aber ist es nicht ein sehr hoher Preis, Arbeitsplätze auf Kosten der Tarifverträge zu ret - Der BSH-Streik war ein guter ten? Wir geben Errungenschaften auf, die die Gewerkschaft und lehrreicher Kampf – von in den vergangenen 50 Jahren in teilweise harten Auseinan - Beginn an. Am Anfang haben dersetzungen erreicht hat. Die Standards, die 35-Stunden- wir auf Betriebsversammlun - Woche, Jahressonderzahlung und vieles mehr müssen nicht gen, die sich fast drei Wo- nur erhalten, sie müssen ausgebaut werden. Huseyin Akyurt chen hinzogen, die Kollegin - nen und Kollegen informiert, was Arbeitslosigkeit bedeutet, Was schlägst du konkret vor, um in die Offensive zu kom - was mit Hartz IV auf sie zukommt. Wir haben fast drei men? Wochen über den Arbeitskampf gesprochen. Wir haben im Betrieb Beschäftigte mit fast 40 Nationalitäten. In der Aus - Ich habe während des Kampfes um den Erhalt die Arbeits - einandersetzung haben die verschiedenen Gruppen und plätze bei BSH in Spandau die Chance gesehen, alle 600 Nationalitäten zueinander gefunden und eine gemeinsame Arbeitsplätze zu retten. Die Kolleginnen und Kollegen waren Sprache gesprochen. Wenn man kämpft, kann man auch die begeistert dabei und auch bereit, sich voll einzusetzen. Sie Nationalitätenfrage erledigen. Der BSH-Streik war ein waren nach meiner Meinung auch mehrheitlich dafür, einen Beweis, dass sich dieser Kampf lohnt und dass er Stärke und risikoreichen Weg zu gehen. 1984 wurde offensiv für die 35- Selbstbewusstsein bringt – auch wenn das Ergebnis aus Stunden-Woche gestritten, dafür wurde über sechs Wochen meiner Sicht nicht befriedigend war. Wenn viele Kollegen gestreikt. Seitdem haben viele Belegschaften und auch die das Ergebnis nicht akzeptieren und weiter kämpfen wollen, Gewerkschaften zumeist nur defensive Kämpfe geführt. Wir dann sollte unsere Gewerkschaft nach meiner Meinung auch müssen in offensiven Kämpfen mehr fordern, als nur das jet - die Fortsetzung des Streiks in Erwägung ziehen. zige zu retten. Wir müssen so frech und mutig sein wie der Gegner. Wir sind zu zurückhaltend geworden. Die abhängig Ihr habt doch 400 Arbeitsplätze retten können. Das wurde Beschäftigten und ihre Organisationen werden langfristig mit einem Streik für einen Sozialtarifvertrag bisher in nur in die Offensive kommen, wenn sie in Zukunft in Interes - Deutschland noch nicht erreicht. senkonflikten und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen neue Perspektiven für die Arbeitswelt bieten. Der Streik für einen Sozialtarifvertrag ist ein Defensivkampf. Er ist ein stumpfes Schwert, bei der der Gegner am längeren Was bedeutet das im konkreten Fall für den BSH-Streik? Hebel sitzt. Im Ergebnis des Streiks wurde die 40-Stunden- Woche festgeschrieben, das Weihnachtsgeld wird halbiert. Gewerkschafter müssen in Zukunft andere Wege gehen, 216 Kolleginnen und Kollegen müssen gehen, sie verlieren müssen neue Kampfformen entwickeln. Sich nur auf die ihren Arbeitsplatz und werden es sehr schwer haben, einen Standort- oder die Fabrikebene zu konzentrieren, wie das in neuen zu bekommen. Die andere Position sagt: Wenn wir der Vergangenheit die Regel war, bietet keine guten Erfolg -

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schancen. Wir haben mit dem »Marsch der Solidarität« ein nicht: Schluss damit. Das müssen wir und die Gewerkschaft neues Mittel entwickelt. Der »Marsch der Solidarität« war organisieren, die Solidarität aller innerhalb des Unterneh - sehr wichtig. Wir klären auf, informieren, wir streben die mens, innerhalb der Branche, und auch innerhalb der ande - offensive öffentliche Kommunikation an. Wir haben einer ren Branchen. breiten Öffentlichkeit dargestellt, dass ein hochprofitabler Konzern ohne Notwendigkeit einen Betrieb schließt und Die Arbeitgeber argumentieren, das schwäche die Konkur - Arbeitsplätze in Berlin vernichtet. Das hat für Solidaritätsbe - renzfähigkeit der deutschen Werke und führe zur Flucht in kundungen auch vieler Politiker gesorgt. Und das hat auch das Ausland. für eine breite Berichterstattung in der ganzen Bundesrepu - blik, die sich weit überwiegend für den Erhalt der Arbeits - Wir haben Gewerkschafter aus Polen und der Türkei eingela - plätze engagierte, gesorgt. den. Diese berichteten über die Zahlung von Hungerlöhnen und von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den Aber breite Unterstützung in den Medien muss doch einen BSH-Werken in der Türkei und Polen. Gewerkschaften wer - internationalen Konzern nicht zum Einlenken bewegen, wie den dort in ihrer Arbeit massiv behindert und unterdrückt. der Fall AEG/Electrolux gezeigt hat. Die IG Metall muss ihre Kontakte intensivieren und den Gewerkschaften dort helfen, an Stärke und Einflusskraft zu Eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit ist die Vor - gewinnen. raussetzung. Und sie bewirkt schon viel, wenn man die Umsatzeinbrüche von AEG/Electrolux bedenkt. Ob AEG/ Das bedeutet aber auch, dass die Gewerkschaften stärke - Electrolux so gehandelt hätte, wenn sie um den Verlust von ren Einfluss auf die politischen Prozesse und auch die ein Drittel ihres Marktanteils in Deutschland vorher gewusst Gesetzgebung in der Europäischen Union nehmen muss. hätte, ist zu bezweifeln. Aber diese Öffentlichkeitsarbeit, wie wir sie mit dem »Marsch der Solidarität« betrieben haben, Das Kapital ist schon längst auf Konzern- und internationaler zielte auch darauf ab, den Berliner BSH-Streik als konzernü - Ebene aufgestellt. Die Belegschaften werden gegeneinander bergreifende Aktion auszuweiten. Beim Kampf vor dem eige - ausgespielt. Die Belegschaft in Nauen wird damit erpresst, nen Werkstor haben wir geringe Chancen. Wenn wir aber den dass in Polen oder der Türkei billiger produziert wird. Die Erhalt der Arbeitsplätze an einem Standort zu der Angele - Belegschaft in Berlin-Spandau wird gegen die in Nauen aus - genheit aller Standorte machen, verzehnfachen wir unsere gespielt. Wir kommen aus diesem Teufelskreis nur heraus, Kräfte. Warum sollen nicht in allen BSH-Werken in ganz wenn wir alle miteinander eine gemeinsame Strategie ent - Deutschland gleichzeitig Betriebsversammlungen einberufen wickeln. Das hat natürlich zur Vorrausetzung, dass überall werden und so die Produktion zum Erliegen gebracht wer - auch die Gewerkschaft stark ist. Und dass wir ein gewerk - den? Die internationen Unternehmen wählen die Salami- schaftliches, ein gesellschaftliches, ein politisches Konzept Strategie: Nach und nach bauen sie an allen Standorten in entwickeln und propagieren, das in der Lage ist, gegen Lohn - Deutschland Arbeitsplätze ab oder schließen die Produktion dumping überall wirksam vorgehen zu können. ganz. Warum sagen die Gewerkschafter an allen Standorten

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10. Interview mit dem Verantwortlichen des »Marsches der Solidarität« Elmar Eckert

Elmar, wie fühltest du dich beim Start des »Marsches der der Solidarität als menschliches Handeln dem Geschäftsge - Solidarität«? bahren von eiskalt handelnden Managern gegenüber. Mit seinem Motto »MENSCHEN WÜRDEn ARBEITen« stellte er Natürlich war ich wie alle empört über das Verhalten der Moral und Ethik in der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Alle BSH-Manager, die uns überhaupt keine Chance gaben und in der Gesellschaft müssen sich fragen: Wie können wir uns uns einfach nur abservieren wollten. Eiskalt. Denen war gemeinsam unterstützen und helfen – das ist gelebte Soli - offenbar vollkommen egal, dass 600 ihren Arbeitsplatz und darität. Das hat mich beeindruckt. damit ihre Existenzgrundlage verlieren würden. Das ist schon eine Grunderfahrung am eigenen Leibe, wenn quasi Dann folgte der Besuch beim Konkurrenten Miele und bei mit einem Federstrich von hochbezahlten Managern in der BenQ. Hattest du mit so viel Solidarität gerechnet? sozialen Marktwirtschaft Arbeitsplätze ausradiert werden. Auch ich hatte eine Wut im Bauch, aber meine Erwartungs - Das war weit mehr, als ich erwartet hatte. Die Kollegen von haltung war beim Start des »Marsches der Solidarität« Miele haben sich mit uns identifiziert. Miele wie auch BSH nicht sehr hoch. Ich war aufgeregt und hatte mir die bange haben ja von dem Imageverlust von AEG und Electrolux Frage gestellt: »Jetzt fahren wir los. Wenn wir in München stark profitiert. In Gütersloh in der Hauptstadt von Miele angekommen sind, haben wir dann verloren?« Aber wir war aber nichts von Hähme zu spüren, jetzt geht es BSH an mussten alles tun und wollten den BSH-Managern auch den Kragen. Im Gegenteil: Tiefe Solidarität und das Nach - eine Quittung verpassen. denken darüber: Welche Schritte können wir gemeinsam gehen, damit unsere Arbeitsplätze in Deutschland sicherer Und wie schätzt du es heute ein: Würdest du dich wieder werden? Welche Strategien müssen im Bereich der Weißen auf den »Marsch der Solidarität« begeben? Ware entwickelt werden, damit die Produktion in Deutsch - land Zukunftschancen hat. Ich würde es jederzeit wieder machen. Der »Marsch der Solidarität« war beeindruckend. Und ich habe sehr viel Und wie schätzt du die Reaktion der BSH-Kollegen vor gelernt. Über die Ängste in Deutschland, über die Kraft der allem im süddeutschen Raum, ein? Solidarität, über die Möglichkeiten unserer Gewerkschaft. Als wir in den ersten Tagen in der Dresdener Innenstadt Beeindruckend war, als die ganze Belegschaft von Dillingen informierten, waren einige Passanten auch aggressiv. Sie sich vor dem Werkstor versammelt hatte. Aber auch an den sagten, seid doch froh, dass ihr noch Arbeit habt. Nachher anderen BSH-Standorten: Man spürte, dass die Kollegin - bekamen wir einen Brief von einem Passanten, der sich für nen und Kollegen auch vom Management unter Druck sein aggressives Verhalten entschuldigte. Er habe unser gesetzt werden, dass sie mit ähnlichen Problemen zu Anliegen mit seiner Frau diskutiert: Wir seien im Recht. Er kämpfen haben wie wir in Berlin. Hier war der »Marsch der schickte eine Spende für das Streikkonto. Dann war die Solidarität« ganz wichtig: Die Belegschaften bekundeten Station in der Leipziger Nikolaikirche mit der Rede von Solidarität, bekamen Kontakt und spürten so auch Stärke Pfarrer Führer beeindruckend. Er stellte die Notwendigkeit nach dem Motto: Wenn das Management uns an den Kra -

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gen will, können wir auf die Solidarität der Berliner zählen. Diesen Zusammenhalt der Kollegen an den verschiedenen Standorten muss die IG Metall nach meiner Meinung in Zukunft viel stärker als Vorteil und Stärke nutzen. Auch die Solidaritätskundgebungen in Stuttgart vor der Bosch-Zen - trale oder in der Stuttgarter Innenstadt waren ganz wichtig. Da bekundeten Betriebsräte und Vertrauensleute aus den verschiedensten BSH-Standorten, dass sie das Geschäfts - gebahren des Management nicht hinnehmen werden. Da wurde gemeinsames Vorgehen konkret.

Du warst beim Start des Marsches skeptisch über die Erfolgsaussichten. Wie bewertest du den Marsch heute? Elmar Eckert mit Kolleginnen bei der Kundgebung in Neukirchen Als großen Erfolg, den ich anfangs nicht für möglich gehal - ten habe. Andere haben immer nur für sich gekämpft. Wir zeinbußen von AEG-Electrolux dürften auch dem BSH- sind in die Bundesrepublik gegangen, haben die Öffentlich - Management noch frisch im Gedächtnis sein. Ich denke, keit informiert und andere Belegschaften mit einbezogen. das Ergebnis unseres Streiks kann auch eine Wende im Gemeinsam können wir viel erreichen. Wir haben es Miteinander im Konzern sein. Wir haben mehr als in ver - geschafft, einen Großteil der Arbeitsplätze in Berlin zu gleichbaren Fällen erreicht. Bei AEG/Electrolux gab es auch erhalten. Es wurden Voraussetzungen geschaffen für Inves- einen sehr guten Sozialplan, aber alle Arbeitsplätze sind titionen in Berlin. Das Ergebnis des Streiks ist ein Erfolg. weg. Die Beschäftigungsgarantie gilt bei uns bis Mitte Aber wir hätten unseren Erfolg besser in der Belegschaft 2010. In der Transfergesellschaft wird der persönliche Qua - kommunizieren müssen. Dann wäre sicher auch das Ergeb - lifizierungsbedarf ermittelt und dann ausgebildet. Arbeits - nis bei der zweiten Urabstimmung besser gewesen. plätze an anderen Standorten werden von den Personalab - teilungen angeboten. Zwölf Beschäftigte haben dieses Glaubst du, dass auch das BSH-Management etwas dazu Angebot bisher schon in Anspruch genommen. Die anfäng - gelernt hat? liche Kritik an dem Abschluss führe ich auch darauf zurück, dass jeder dachte: Jetzt trifft es mich. Und die Höhe der Ich denke schon. Die Geschäftsleitung hat deutlich zu Abfindung war nicht konkret bekannt. Jetzt haben sich alle spüren bekommen, dass sie sich nicht aus der sozialen Ver - eingehend informiert: Die Höhe der Abfindung hat im antwortung stehlen kann. Dass sie bei jedem Schließungs - Nachhinein eher Zustimmung gefunden. beschluss mit einer harten Gegenwehr rechnen muss. Und Alles in allem: Der Streik und der »Marsch der Solidarität« dass auch die Öffentlichkeit Stellung bezieht und Konzerne haben viele Erfahrungen gebracht. Arbeitsplätze konnten schwere Imageschäden erleiden. Die bedeutenden Umsat - gesichert werden. Das ist unser großer Erfolg.

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11. Wir brauchen mehr politischen Einfluss Luis Sergio war der betreuende IG Metall-Sekretär des BSH-Streiks

Der BSH-Streik konnte mit einem Erfolg beendet werden: Arbeitsplätze wurden am Industrie- standort Berlin gerettet. 400 Arbeitsplätze sind bis zum Jahr 2010 im Waschmaschinenwerk in Berlin-Spandau gesichert. Dies ist dem engagier - ten und auch emotional geführten Arbeitskampf der BSHler zu verdanken.

Erstmals ist es einer Belegschaft gelungen, in einem Der »Marsch der Solidarität« in der Stuttgarter Innenstadt Arbeitskampf für einen Sozialtarifvertrag einen internatio - nal aufgestellten Konzern dazu zu zwingen, Arbeitsplatzga - nicht. Wir brauchen den Zusammenschluss in der Branche. rantien abzutrotzen. Und das, obwohl die Konzernspitze Auch dafür haben wir eindrucksvoll und mit großem Erfolg zwei Mal einen »unwiderruflichen« Schließungsbeschluss geworben. Wir brauchen darüber hinaus einen breiten öffentlich bekannt gegeben hatte. Die kämpfenden BSHler Schulterschluss aller sozialen Kräfte in der Bundesrepu - haben damit dem hohen BSH-Management einen herben blik für den Kampf um Arbeitsplätze und gegen den Sozi - Imageverlust beigebracht. Und sie haben in der Bundesre - alabbau. publik klar gemacht: Es geht auch anders. Das »Macht - wort« des Kapitals kann gebrochen werden. Es ist eben Denn noch setzt die Politik einseitig auf die Begünstigung kein Naturgesetz, dass die Interessen der Aktionäre Vor - der großen Konzerne, sei es bei der vorherrschenden Sub - rang haben. Das ist das Verdienst der BSHler: Sie haben ventionspraxis oder in der Finanzpolitik. Die »Steuerre - ein Beispiel gegeben, sie sind Vorreiter in der Auseinander - form« brachte den Unternehmen Milliardenvergünstigun - setzung um Arbeitsplatzsicherheit und gegen den in der gen – weitere sind in Planung – während sie die »kleinen Bundesrepublik von der herrschenden Politik betriebenen Leute« belastete. Die Politik nimmt dabei billigend in Kauf, Sozialabbau. dass Arbeitsplätze in das »kostengünstigere« Ausland ver - lagert werden und die Rechte der Arbeitnehmer und der Die BSHler haben Zeichen gesetzt. Es geht auch anders. Gewerkschaften eingeschränkt werden. Eine andere Politik ist möglich. Eine andere Politik, die die Interessen der Belegschaften und der arbeitenden Men - Der Streik der BSHler zeigt, dass Erfolge möglich sind. Aber schen in den Mittelpunkt stellt. Dafür haben die BSHler in noch sind wir nicht am Ziel: Der Eingriff in die Entschei - den Gesprächen auf den Berliner Straßen und auch im dungsfreiheit der Unternehmen, die politische Kontrolle Streikzelt geworben. Dafür haben sie die Diskussion mit von Investitions- und Verlagerungsentscheidungen der der Politik gesucht. Dafür haben sie den »Marsch der Soli - Konzerne und mehr Mitbestimmung sind notwendig, um darität« organisiert. Wir brauchen die Einigkeit und die Arbeitsplätze sicher zu gestalten. Darauf hingewiesen Geschlossenheit im Betrieb. Den haben die BSHler ein - zu haben, auch dafür gebührt den mutigen Streikenden drucksvoll unter Beweis gestellt. Aber das allein reicht von BSH in Berlin Dank und Anerkennung.

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