Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2010

Stimmige Kunst

Vesselina Kasarova

Mit Rossini wurde sie weltberühmt, mit Rossini kommt sie nun in den Goldenen Saal des Musikvereins: Vesselina Kasarova, eine der großen Mezzosopranistinnen unserer Zeit.

Ende gut, alles gut! – so könnte man zur endgültigen Initialzündung in Vesselina Kasarovas Karriere meinen. Der Ort: die Festspielstadt Salzburg. Die Zeit: Sommer 1992. Die junge bulgarische Mezzosopranistin hatte kurzfristig die Hauptrolle in Rossinis „“ für die amerikanische Grande Dame des Belcanto-Gesangs, , übernommen. Diese hatte sich nämlich statt des ursprünglich komponierten lieto fine, also des Happy Ends, das später von Rossini rasch niedergeschriebene tragische Finale für die konzertante Aufführung gewünscht. Doch dem Anliegen wollte man in Salzburg nicht nachkommen. Worauf die Absage von Horne folgte und Vesselina Kasarova ihre große Chance bekam. So hat man es noch gut in Erinnerung, ebenso den fulminanten Erfolg, den Kasarova erringen konnte.

Mit Rossini in die Welt Opernbesucher zwischen Wien und Zürich verwunderte das damals durchaus nicht. Ein Jahr davor hatte Kasarova nämlich ihre Klasse als Rossini-Interpretin bei ihrem Staatsoperndebüt als Rosina im „Barbier von Sevilla“ unter Beweis gestellt. Während sie sich in Zürich bereits seit 1989 in die Herzen der Opernbesucher gesungen hatte.

Dem Salzburger Einspringen folgte jedenfalls schnell die ganz große internationale Karriere, die sie inzwischen an alle großen Opernhäuser und in die wichtigsten Konzertsäle geführt hat, vor allem mit Partien von Rossini und Mozart, aber auch mit Rollen in Opern von Donizetti, Verdi, Massenet, Bizet, Händel und Berlioz.

Rossini war und ist also einer der musikalischen Hauptpfeiler in Kasarovas Laufbahn, und Arien von ihm stehen auch auf dem Programm ihres Konzertes im Musikverein, das sie gemeinsam mit dem Kammerorchester Basel bestreitet. Eben mit dem „Tancredi“, dessen Rondo aus dem zweiten Akt, „Perché turbar la calma di questo cor“, sie singen wird, sowie Perlen aus „Semiradmide“ und der „Italienerin in Algier“, eine ihrer weiteren Paraderollen, mit der sie in Wien und der Welt genauso wie in Zürich brilliert hat.

Das Instrument der Sehnsucht Zürich und die Schweiz, wo sie heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt, war 1989 auch die erste Lebensstation nach ihrem Studium, das Vesselina Kasarova kurz zuvor an der Musikakademie in Sofia absolviert hatte. Dass diese Ausbildung in eine Gesangskarriere münden würde, war lange Zeit gar nicht absehbar. Das Klavier war nämlich zunächst das Instrument ihrer Sehnsucht, nicht die eigene Stimme. Bereits mit vier Jahren saß sie das erste Mal an den Tasten – an einem Klavier, das ihr Vater, ein Chauffeur, mühsam aus der DDR nach Stara Zagora, wo sie 1965 geboren wurde, herbeigeschafft hatte.

Aus einer Musikerdynastie stammt sie jedenfalls nicht, sondern aus einer „ganz normalen bürgerlichen Familie“. Ihre Mutter, eine studierte Ökonomin, arbeitete als Sekretärin; ihr

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Großvater, ein Intellektueller, wurde politisch verfolgt und war sogar interniert. Der Vater musizierte gerne in der Freizeit, und die Eltern verstanden schnell, welch enormes musikalisches Talent ihre Tochter besaß, und förderten es. Sie schickten Vesselina auf ein Musikgymnasium – und 1984 bekam sie ihr Diplom als Konzertpianistin verliehen.

Die Klaviatur des Erfolgs Als angehende Pianistin hatte sie während des Studiums auch Sänger zu begleiten. Das hat sie neugierig gemacht, und sie begann, selbst zu singen. Auf das Diplom im Klavierfach folgte jedenfalls umgehend eine fünfjährige Gesangsausbildung, während der sie bereits als Solistin an der Nationaloper in Sofia die Rosina, die Dorabella in Mozarts „Così fan tutte“ oder die Preziosilla in Verdis „La forza del destino“ sang. Jung, unerfahren, des Deutschen nicht mächtig und mit einer ordentlichen Portion Angst im Nacken, so kam sie nach dem Ende des Studiums in der Schweiz an – und erlebte dort für sie bedeutende Begegnungen.

Mit Edita Gruberova etwa, von der sie viel gelernt hat, wie sie immer wieder betont: dass man sich seine Partien genau bis zum Schluss einteilen muss, seine eigenen Mittel optimal ausschöpft und sich auch genügend Zeit auf der Bühne nimmt. Oder jene mit Nikolaus Harnoncourt, mit dem sie in Zürich vieles, von Monteverdi über Mozart bis hin zu Offenbachs „La belle Hélène“ und „La Périquole“ erarbeitet hat. Mit dem großen österreichischen Dirigenten hat sie schließlich ihren Sesto in Mozarts „“ perfektioniert, und der von ihr sehr geschätzte Martin Ku£ej hat das in eindrücklichen Bildern inszeniert. Das war im Salzburger Festspielsommer 2003, und Wilhelm Sinkovicz schrieb über ihre Rollengesattlung damals nicht weniger als: „Was die Kasarova ihrem wunderbar erblühten Mezzo an Klangvaleurs entlockt, wie sie bei aller punktgenauen Umsetzung jedes Wortsinns große, ja schier endlose melodische Bögen formt, das gehört zu den vokalen Meisterleistungen der Festspielgeschichte.“

Couragiertes Auftreten Alles Zutaten, die sie zu einer jener schillernden Operkarrieren prädestinierten, ohne die die Opernwelt in den letzten Jahren nicht mehr auszukommen scheint. Doch Vesselina Kasarova, eine in der persönlichen Begegnung ungemein sympathische, natürliche, ruhige, bescheidene, genau reflektierende Künstlerin, spielt da nicht mit und entzieht sich dem allen sehr bewusst. Sie setzt auch schon einmal zu ungewöhnlich harscher Kritik am Betrieb und seinem Marketingwahnsinn an. Karriere um jeden Preis, das liegt nicht in ihrer Natur. Und so sagt sie lieber einen Auftritt ab, weil ihr Gesundheit und Stimme wichtiger sind. Oder weil sie es sich nicht zumuten lassen will, als Roboter verkleidet, nur mit dem Kopf aus dem Souffleurkasten schauend, zu singen – wie es dann eine jüngere Kollegin in Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ im Salzburger Sommers 2007 getan hat.

Sie scheut sich nicht, auch Tabus wie Drogenmissbrauch im klassischen Musikbetrieb anzusprechen, den Sinn von klassischen Konzerten in Stadien oder die fachliche Kompetenz so mancher Dirigenten, Regisseure und Intendanten anzuzweifeln. Oder sie ärgert sich über das abwegige Ansinnen einer Fernsehanstalt, sie in einem Porträt in der Küche kochend und Geschenke unter bulgarischen Waisenkindern verteilend zu zeigen. Denn erstens koche sie nicht und zweitens „ist Bulgarien kein Entwicklungsland“, meinte sie dazu in einem viel

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beachteten Interview, das sie „Der Zeit“ gab.

Große Intensität und gesunde Distanz Viel lieber macht sie sich Gedanken darüber, ihrer Stimme noch mehr Ausdrucksmöglichkeiten zu entlocken und ihren Interpretationen noch mehr Intensität zu verleihen, anstatt ihr Material einem Auftritt nach dem anderen nachjagend zu opfern. Eben diese Einstellung zu ihrem „Beruf“ ermöglicht dann so tiefgehende, überzeugende Rollengestaltungen wie jene der Charlotte in Massenets „“, mit der sie im Juni 2007 nach siebenjähriger Abstinenz wieder an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt ist.

Inzwischen konnte man sie hier auch als , eine ihrer jüngsten Errungenschaften, erleben. Im Herbst 2010 wird sie sich dann in einer weiteren, für Wien neuen Rolle vorstellen und den Ruggiero in Händels „“ singen – ihre allererste Händel-Partie, in der sie 1999 debütierte und für die sie etwa bei den Münchner Opernfestspielen 2005 Begeisterungsstürme erntete. Mit großer Umsicht und sehr überlegt plant die Künstlerin ihre Zukunft, ein wenig Rossini hier, eine Carmen an der Met, etwas Mozart dort und die Dalila von Camille Saint- Saëns im Frühjahr 2011 in Berlin. Wenn Vesselina Kasarova daher meint: „Man braucht in diesem Geschäft eine gesunde Distanz, sonst überlebt man nicht“, dann glaubt man es ihr, dann wirkt das authentisch und macht die Sängerin nicht nur künstlerisch zu einer raren Ausnahmeerscheinung in der allzu gerne dem schönen Schein verfallenen Opernwelt.

Stefan Musil Mag. Stefan Musil ist freier Kulturjournalist in Wien.

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