Trainer Toppmöller, Leverkusener Spieler

TEAM 2

FUSSBALL Wahrheiten aus Rivenich Bayer Leverkusen, am Mittwoch Gast beim FC Barcelona, ist mit drei Siegen in die Champions League gestartet. In kurzer Zeit hat Klaus Toppmöller das dümpelnde Team neu motiviert. Die schlichte Philosophie des Trainers: taktische Finesse gemixt mit Lebensweisheiten aus der Kneipe.

eulich verspürte Klaus Toppmöller Das sind diese Tage, an denen dem ge- klassig, die von drei Trainerwechseln in ei- am Ende eines Bundesligaspieltags selligen Fußball-Promi einfällt, warum er nem Jahr gebeutelte Mannschaft zurück in Nseltsame Anzeichen von Mattigkeit. „kein Vorbild sein“ möchte: „Sonst müsste die Gruppe der Titelanwärter geführt. Unverzüglich brach Bayer Leverkusens er- ich ja nach zwei Bieren immer gehen.“ Auch in der Champions League konnte schöpfter Trainer von seinem Arbeitsplatz Toppmöller ist volksnah, bodenständig die Elf der kickenden Konzerntochter, ver- im Rheinland, wo er einen zweiten Wohn- und kontaktfreudig. Er steht in einer Zeit, gangene Saison noch als heterogene An- sitz hat, zu einer „kurzen Auszeit“ auf. da zunehmend Mentaltrainer, Event-Ma- sammlung schwer Erziehbarer eingestuft, Gemeinsam mit Gattin Roswitha brauste er nager und Analysten in die Stadien einfal- nach drei Siegen gegen Lyon, Barcelona die 180 Kilometer in sein Heimatdorf Ri- len, für das Gutbürgerliche im Fußball. und Istanbul ihren Ruf aufbessern. So mau- venich an der Mosel. Dort, weiß Toppmöl- Und er ist, auch weil er nahe dem Zapf- sert sich das einst als überbezahlte Werks- ler, 50, „kann ich am besten regenerieren“. hahn in Erfahrung bringen will, „was die truppe und schwachnervige Versager-Com- Erst schaute er kurz auf seinem von Fans denken“, so etwas wie der Theken- bo abgestempelte Bayer-Team zum Vor- Hunden, Gänsen, Hühnern und Hirschen Trainer der . zeigeensemble. bewohnten Anwesen nach dem Rechten, „Ein Junge aus dem Leben“, urteilt Bay- Die über Monate verunsicherten Spieler dann zog er sich in die „Salmtalschenke“ er Leverkusens allsehender Geschäftsfüh- schätzen Toppmöller als eine Autorität, die zurück. Bei seinem Cousin Uwe, dem er rer Reiner Calmund; der vor Saisonbeginn Offenheit ausstrahlt. Im Gegensatz zum die Kneipe verpachtet hat, bestellte er ein bestallte Coach finde „den richtigen Zu- unnahbaren Christoph Daum und dessen Pils und sah Gästen beim Kartenspiel zu. gang zur Mannschaft“ und habe „eine Rie- schulmeisterlichem Nachfolger Berti Vogts Er fragte gewohnheitsmäßig, ob im Dorf je- senbegeisterung“ entfacht. Zumindest hat vermittele Toppmöller schon „durch seine mand gestorben sei, und diskutierte mit Toppmöller, als Fußball-Lehrer zuvor nur Art und seinen Dialekt“ das Gefühl, einer dem Stammtisch die Schiedsrichter-Ent- neun Monate bei und von ihnen zu sein, erkannte Teamkapitän scheidungen des Bundesliga-Wochenendes. dreieinhalb Jahre beim VfL Bochum erst- Jens Nowotny. Und nicht zuletzt sei er „ein

100 der spiegel 42/2001 Sport bissi Fachmann“, sagt der Coach in seiner Erst die Erfahrungen mit Toppmöller, sagt Le- Art und seinem Dialekt. dem biederen Ex-Bundes- verkusens Nationalspieler Dass der frühere Torjäger des 1. FC Kai- trainer Vogts und dessen Bernd Schneider, „lebt die serslautern oft noch reagiert wie ein Spie- allzu dominanten Assisten- Emotionen vor“. Das gilt ler, verschafft ihm die notwendige Akzep- ten Pierre Littbarski ließen auch für die Unerschrocken- tanz. Als etwa im Heimspiel gegen den den ungekünstelten Gast- heit. Er sei „zum Beispiel ein SC Freiburg Leverkusens Brasilianer Zé wirtsohn „Toppi“ als geeig- guter Kartenspieler“, glaubt Roberto schwer gefoult worden war, woll- net erscheinen. Jetzt war er der Fußball-Lehrer. „Da te sich Toppmöller bei seinem Kollegen die Idealbesetzung. kann der Skat-Weltmeister Volker Finke beschweren; doch der Vorgänger Vogts woll- kommen, dann freu ich Schiedsrichterassistent dirigierte ihn auf te vor Teamsitzungen Na- mich, dem zu zeigen: Ich seinen Platz zurück. Wutschnaubend mar- mensschilder aufstellen las- kann’s auch ein bissi.“ schierte Toppmöller vor dem Aufpasser sen, und als ein Punktspiel So denkt er auch als Trai- her, bis er einen Haken schlug – so, wie er beim VfL Wolfsburg verlo- ner. Die Herausforderun- früher als Stürmer seine Bewacher ab- ren gegangen war, erklärte gen können nicht groß ge- schüttelte. er dem „Bild“-Reporter, er nug sein, und vor allem:

Die Spieler nennt er „meine Jungs“. warte „noch auf den Be- HORSTMÜLLER Toppmöller taktiert wie Gern würde er mit seiner Mannschaft mal richt unseres Mentaltrai- Stationen beim Skat. Dem „Tüftel- „richtig einen trinken“, hat der Moselaner ners Gunnar Gerisch“. Trainer“ („Kicker“) berei- und Bierfreund („Wein nur, wenn er kalt Toppmöller schickte den Toppmöllers Laufbahn tet es einen Heidenspaß, ist“) einmal bekannt. Aber dann wollte er einst von Daum geheuerten 1970 bis 1987 Profi-Spieler das Blatt des Gegners zu er- doch immer lieber „darauf achten, dass die Psycho-Coach heim: „Das raten und immer einen Ge- Eintracht Trier, 1. FC Autorität nicht flöten geht“. ist mein Job.“ danken voraus zu sein. Kaiserslautern, Dallas Seine „natürliche Autorität“, glaubt er Während Daum die Bay- Tornado, FSV Salmrohr Der gelernte Installateur nun zu wissen, gründe auf seinem fach- er-Profis zur Willensschu- und Diplom-Ingenieur für kundigen Blick für Qualität („eine Gabe, lung barfuß über einen seit 1987 Trainer Versorgungstechnik hält sich die mir angeboren ist“). Im Fußball könne Scherben-Parcours schick- für einen „Taktikfanatiker“ ihm „keiner was vormachen“. te und eine „Seelentank- FSV Salmrohr, SSV Ulm, RSV und weiß, dass er seine Petersberg, Wismut Aue, Vor einem Jahr, als ein Nachfolger für stelle“ mit gedämpftem UV- Schüler am besten durch Er- Waldhof Mannheim, Eintracht Interimscoach Rudi Völler her musste, hat- Licht, beheizbaren Kopf- Frankfurt, VfL Bochum, folgserlebnisse überzeugen ten die Bayer-Entscheidungsträger ähnliche stützen und ätherischen 1. FC Saarbrücken, Bayer kann. So habe er das neue Einlassungen beim Bewerbungsgespräch Düften mit Namen wie „Er- Leverkusen (seit 27. 6.) Abwehrsystem auch nicht noch als zu selbstbewusst und konzeptfrei folg“ oder „Meister“ ein- im Spiel gegen Bayern Mün- erachtet; die Ablöseforderung von Topp- richten ließ, baut Toppmöl- chen eingeführt, sondern möllers damaligem Arbeitgeber 1. FC Saar- ler bei der Gemütsregulierung auf die gegen Wolfsburg: „Gegen Kleinere zuerst!“ brücken – ein zweistelliger Millionenbetrag Lebensweisheiten aus der Kneipe. Nie- Seine Losungen klingen oft wie Merk- – war ihnen zu hoch. Nach den Wirren um derlagenserien nach einer misslungenen sprüche aus der Welt der Spielkarten, ähn- den Kokain-Konsumenten Daum bevor- Saisonpremiere etwa erklärt er mit Er- lich wie Ober sticht Unter. „Geist besiegt zugte die Konzernspitze zudem eine mög- fahrungen am Flipper-Automaten: „Man Körper“, heißt so ein Leitsatz. Mit ihm be- lichst kreuzbrave Lösung für ihre ins Gere- kämpft nicht mehr mit der zweiten und gründet er seine Abneigung gegen das so de gekommene Fußball-GmbH. dritten Kugel.“ genannte Rotationssystem, durch das etwa sein Münchner Kollege Ottmar Hitzfeld der Überbelastung von Stammspielern zu- vorkommen will. Müdigkeit, meint Topp- möller, könne man sich einreden. Der ehemalige SPD-Gemeinderat, einst Skatbruder Rudolf Scharpings, ist über- zeugt, dass er Menschen „für eine Aufga- be begeistern“ kann und will das schon bei seinem Intermezzo als Versicherungs- repräsentant unter Beweis gestellt haben. Vor Leverkusens erstem Saisonspiel fing er nach fünf Monaten wieder das Rauchen an und eröffnete der Mannschaft mit Beckenbauerscher Schlichtheit: „Eure kör- perlichen Werte sind in Ordnung, Fußball- spielen könnt ihr auch. Warum geht ihr nicht raus und zeigt, was ihr draufhabt?“ Der „Toppi“ sei „geradeaus wie du und ich“, sagt sein Cousin aus der Schenke. Ein Weggefährte nennt ihn „bauernschlau“. So war er auch auf dem Platz. „Ein in- telligenter Spieler“, sagt er selbst, und „ein Tier“, denn: „Mein ganzes Leben war Kampf.“ Er hielt eine Bratwurst in der

* Beim Zweikampf mit Carles Puyol im Champions-

HOLGER NAGEL NAGEL HOLGER League-Spiel gegen den FC Barcelona am 25. September Bayer-Profi Zé Roberto* (r.): „Als Trottel hingestellt“ in Leverkusen.

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Hand, als ihn ein Betreuer von Eintracht Er kennt nun mal ein paar Bauerntricks. Trier am Rande eines A-Jugend-Turniers Was kann er dafür, wenn sie so oft funk- zum ersten Vereinswechsel überredete. tionieren? Beim Bundesligaaufsteiger VfL Mitglieder seines Heimatclubs SV Rivenich Bochum schrieb Toppmöller die Namen hielten die Landflucht des talentierten berühmter europäischer Clubs an die Tafel. Stürmers für Verrat und boykottierten Va- Ein paar Monate später spielte sein VfL im ter Toppmöllers Kneipe. Uefa-Cup gegen Ajax Amsterdam. In Trier klaute man ihm, wie um die Jetzt will er Leverkusen eine „Sieger- Zähigkeit des 18-jährigen Dorfjungen zu mentalität“ vermitteln. Dazu hat er lange testen, das Portemonnaie samt Bahnfahr- in den Archiven gesucht, um Belege zu karte aus der Kabine. Toppmöller ließ sich finden, in denen Bayer-Profis „als Trottel nichts anmerken und wanderte die 25 Ki- hingestellt“ wurden. In der Überzeugung, lometer zu Fuß nach Hause. damit eine Trotzreaktion abgerufen zu In Kaiserslautern, wohin er 1972 ge- haben, wähnt er sein Team, das in den letz- meinsam mit dem älteren Bruder Heinz ten Wochen so oft Rückstände in Siege umkehrte, „auf dem richti- gen Weg, den Ruf als Loser abzulegen“. Noch hat auch Toppmöl- ler keinen Gewinner-Leu- mund. Er wollte schon im- mer „bei einem Top-Verein richtig was auf die Beine stel- len“. Diesen Mittwoch darf er sich, zum Rückspiel im Stadion Nou Camp, mit dem Coach des FC Barcelona messen. Für den Erfolg rennt er auf den Rasen, um mit den Spie-

UWE SPECK / WITTERS lern zu jubeln, und manch- Toppmöller-Vorgänger Vogts, Littbarski: Brave Lösung mal muss er nach Manager Calmunds Beobachtungen wechselte, brachte es der Kopfballspezialist auch „ein Schweinepriester sein“. Den Ab- mit der Pudelfrisur bald zum National- wehrspieler Boris ◊ivkoviƒ suspendierte er spieler – bis die Karriere an jenem denk- für zwei Spiele, weil der bei einer Bun- würdigen 30. Mai 1976 einen Knick bekam. desliga-Partie seine eigene Einwechselung Toppmöller rammte im schwarzen Ferrari verzögert hatte: Der Schiedsrichter hatte Dino ein entgegenkommendes Fahrzeug den Kroaten auffordern müssen, erst sei- und irrte danach 15 Stunden durch die Wäl- nen Schmuck abzulegen. der des Hunsrück. Noch heute fehlt ihm Toppmöller hat für derlei Eitelkeiten „ein halber Tag“ im Gedächtnis. Statt zur kein Verständnis. Noch nie hat er seine Europameisterschaft nach Jugoslawien zu Garderobe selbst gekauft. Dass er dem Ge- reisen, fuhr er zur Rehabilitation. schmack seiner Frau vertraut, schützt ihn Von seinem späteren Gastspiel bei Dal- nicht vor modischen Ausrutschern wie je- las Tornado hat er sich vor 21 Jahren einen ner Krawatte mit Klavier-Tastatur als Mo- Cadillac mitgebracht. Ansonsten sind jede tiv, die Roswitha Toppmöller für 125 Mark Menge Erinnerungen geblieben, so viel in Schweich an der Mosel erstand. Der Fußballerfahrung, dass kein Platz für „Zauber-Schlips“ („Bild am Sonntag“) Selbstzweifel bleibt. Klaus Toppmöller wurde zum Medienschlager. sagt, er kenne „Millionen Beispiele“ von Dass er mit jedem Sieg stärker von der Spielern, die ihre Trainer für ahnungslos Öffentlichkeit in Beschlag genommen wird, halten. Wenn er das erzählt, wirkt er so ist ihm angeblich unangenehm. Alles vergnügt, als wolle er jeden Moment ein kommt plötzlich in die Zeitung: die Kar- Herrengedeck und einen Würfelbecher be- rieren der Söhne Dino, der in Bochum in stellen. der Zweiten Liga kickt, und Tommy (SV Früher ist er oft angeeckt – etwa wenn Salmrohr, C-Jugend); sogar das Gesangs- er sich abschätzig über die Schulbildung talent von Tochter Sarah-Nina. Sie hat ei- des Kollegen Winfried Schäfer äußerte nen Künstlernamen, den der Vater nicht oder über Berti Vogts’ begrenztes Fußbal- mal kennt. lertalent („Ich hätte mit 18 meine Schuhe Denn der hat für so etwas keine Zeit. verbrannt“). Den Spott, der ihn im ersten Klaus Toppmöller wirkt erschöpft und hat Bundesligajahr als Trainer ereilte, weil er festgestellt, dass er eine Brille braucht. An- zu Motivationszwecken erst ein Duplikat dererseits ist ihm, als er mal wieder in der der Meisterschale und dann einen leben- Salmtalschenke war, eine neue Motiva- den Steinadler („Ihr müsst den Gegner tionsidee gekommen. Er will seine Spieler packen wie der Adler seine Beute“) in Ein- in die Kneipe schicken. „Da sitzen so ein- tracht Frankfurts Kabine schleppte, hat er fach gestrickte Leute. Es wäre von Vorteil, im Grunde nie verstanden. da mal reinzuriechen.“ Jörg Kramer

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