Daniel Gehrt | Volker Leppin (Hrsg.) Paul Eber Paul Eber (1511–1569) war nach Melanchthons Tod die zentrale Ge- (1511–1569) stalt der Wittenberger Theologie und wirkte reichs- und europaweit als Ratgeber für zahlreiche lutherische Städte und Territorien. Dieser umfassenden Bedeutung wird die bisher recht schmale Forschung Paul Eber zu seinem Leben und Werk nicht gerecht, die ihn immer noch im Schatten Luthers und Melanchthons sieht. Der vorliegende Band erschließt daher weitgehend Neuland: Ausgehend von Ebers um- (1511–1569) fangreichen Nachlass in der Forschungsbibliothek Gotha schärfen die Beiträge das Profi l dieses stillen Akteurs. Neu beleuchtet werden Humanist und Th eologe der zweiten Generation sein facettenreiches akademisches, geistliches und kirchenpolitisches Wirken, sein wissenschaftliches und dichterisches Schaffen, seine der Wittenberger Reformation vermittelnde Haltung in den theologischen Kontroversen seiner Zeit sowie seine zeitgenössische Rezeption in Wort und Bild.

LStRLO 16

ISBN 978-3-374-03056-9

9 7 8 3 3 7 4 0 3 0 5 6 9 EUR 68,00 [D]

LStRLO_16_Umschlag.indd 1 03.07.14 16:04 Paul Eber (1511–1569) Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie (LStRLO)

Herausgegeben von Irene Dingel, Armin Kohnle und Udo Sträter

Band 16 Daniel Gehrt | Volker Leppin (Hrsg.) Paul Eber (1511–1569)

Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT Leipzig Die Herausgeber danken der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt und der Stadt Erfurt für die großzügige Unterstützung bei der Drucklegung des Tagungsbandes.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig Satz: Lorenz Kohl, Tübingen Druck und Binden: Hubert & Co., Göttingen

ISBN 978-3-374-03056-9 www.eva-leipzig.de Vorwort Von Christiane Domtera-Schleichardt, Daniel Gehrt und Volker Leppin1

Am 8. November 2011 jährte sich zum 500. Mal der Geburtstag von Paul Eber († 1569). Vielen mag sein Epitaph in der Wittenberger Stadtkirche stär- ker präsent sein als sein Wirken an der Leucorea, an welcher er im Jahr- zehnt nach Melanchthons Tod in eine zentrale Stellung einrückte. Doch sind inzwischen beste Bedingungen geschaffen, diese Bedeutung besser wahrzu- nehmen als bislang: In den Jahren 2004 bis 2009 wurde sein Hauptnachlass durch das von der DFG geförderte Projekt »Katalogisierung der Reforma- tionshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha« erschlossen. Damit war eine Grundlage gegeben, um vom 10. bis 12. November 2011 auf Schloss Friedenstein in Gotha eine Tagung unter dem Titel »Paul Eber (1511-1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenber- ger Reformation« abzuhalten, die Eber neu und detailliert würdigen konnte. Sie wurde von der Forschungsbibliothek Gotha und dem Lehrstuhl für Kir- chengeschichte des Mittelalters und der Reformation an der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Tübingen gemeinsam mit der Aka- demie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt veranstaltet und von DA- NIEL GEHRT (Gotha) und VOLKER LEPPIN (Tübingen) geleitet. Ergänzt um Bei- träge von GERHARD BODE, CHRISTIANE DOMTERA-SCHLEICHARDT, PHILIPP KNÜPFFER, FRANZISKA KÖNIG und PAUL A. NEUENDORF können die seinerzeiti- gen Vorträge nun hiermit der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Entstanden ist, so hoffen wir, damit ein handbuchartiges Ganzes, das das Wirken Ebers auf dem Stand der neuesten Forschung präsentiert. Ein umfassender Forschungsüberblick von DANIEL GEHRT und PHILIPP KNÜPFFER leitet in die bisherige Forschung ein. Dann folgen zunächst Beiträge, die Ebers kirchenpolitisches Wirken im Zusammenhang der Konfessionsbildung in den Blick nehmen. VOLKER LEPPIN unterscheidet dabei das Wirken Ebers in zwei Phasen: Bis zum Tod Melanchthons war er weitgehend Begleiter des Geschehens und erlebte als solcher wichtige Beschlüsse in Pegau 1548 und Worms 1557 mit. Dabei unterschied sich seine Haltung kaum von der Me-

1 Das Vorwort basiert zu großen Teilen wörtlich auf dem Tagungsbericht VON CHRISTI- ANE DOMTERA in http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4056.

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Vorwort lanchthons. Nach dessen Tod wurde er in die Kontroversen um das Abend- mahl gezogen. Sein Lösungsversuch war irenisch-vermittelnd. Gleiches gilt für seine weiteren Aktivitäten bis hin zum Altenburger Religionsgespräch 1569. Dieses markierte auch das Scheitern seiner Politik, die zeit seines Le- bens davon geprägt war, dass er auf der Grundunterscheidung zwischen re- formatorischem und päpstlichem Lager beharrte, die zunehmenden Bin- nendifferenzierungen unter den werdenden Lutheranern aber nicht zu akzeptieren bereit war. Aus der Perspektive Ebers entstand die Spaltung im eigenen Lager nicht mit den Auseinandersetzungen mit dem Augsburger In- terim, sondern mit dem Wormser Religionsgespräch 1557. Mit all diesen Tätigkeiten bewegte sich Eber in einem zunehmend durch unterschiedliche Ansätze zur Konfessionsbildung geprägten Umfeld, das THOMAS TÖPFER erschließt. Dabei stand die Genese des Corpus Doctrinae Christianae und dessen Weg zur normativen Geltung im Kurfürstentum Sachsen im Mittelpunkt. Eine neue Sichtung der archivalischen Quellen zeigt, dass sich der Aufstieg des Corpus Doctrinae zu einer der wesentlichen Bekenntnisgrundlagen Sachsens evolutionär vollzog und erst nach dem Alt- enburger Religionsgespräch 1569 seinen Höhepunkt erreichte. Dem sukzes- siven Bedeutungszuwachs des Corpus steht ein allmählicher Bedeutungs- verlust im Verlauf der 1570er Jahre gegenüber, der erst 1576 zu einer Distanzierung des Dresdner Landesherrn von seinem bisherigen, an der Au- torität Melanchthons ausgerichteten konfessionspolitischen Kurs führte. Dieser Weg der Konfessionsbildung wäre ohne den Austausch unter den Universitäten nicht denkbar gewesen. Entsprechend stellt DANIEL GEHRT die Beziehungen zwischen und Jena in den 1560er Jahren dar. Die Grundlage hierfür bildet neben Melanchthons Korrespondenz der Brief- wechsel Paul Ebers mit den Jenaer Professoren. Gegenüber der älteren For- schung kann so gezeigt werden, dass die Annäherung beider Universitäten keine Episode war, sondern dass zwischen 1548 und 1569 eine kontinuier- liche Briefkommunikation von unterschiedlicher Intensität bestand. Aller- dings schränkten soziale Zwänge, die von Landesherren, von Theologen mit Nähe zum Hof und von Matthias Flacius mit seinen Mitstreitern in Jena aus- gingen, die Kommunikation zwischen Jena und Wittenberg merklich ein. Ebers Bedeutung in Wittenberg stieg mit dem Tod Melanchthons 1560 er- heblich an: Er wurde zum zentralen Berater in akademischen, theologischen und kirchenpolitischen Fragen. So trug Eber entscheidend zur Stabilisie- rung der Beziehungen zwischen beiden Universitäten und dabei auch zum personellen Wiederaufbau der Salana Mitte der 1560er Jahre bei. Diese vielfältigen kirchenpolitischen Aktivitäten entfaltete er vor dem Hintergrund einer umfassenden Tätigkeit als Universitätslehrer, die in einer zweiten Gruppe von Beiträgen analysiert wird: MEINOLF VIELBERG behandelt vor dem Hintergrund Ebers eigener Bildungsbiographie dessen Aufgaben

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Vorwort als Adjunkt der Philosophischen Fakultät und akademischer Privatlehrer, als Professor der Pädagogie und als Inhaber des Lehrstuhls für Physik, der sogenannten lectio Pliniana. Dabei kann die bislang gängige Annahme, Eber habe eine außerordentliche Professur der Rhetorik oder eine Professur der Geschichte bekleidet, korrigiert werden. Eber erscheint in seinem akademi- schen Wirken als engagierter und erfolgreicher Lehrer, der mit Melan- chthon eng zusammenarbeitete und sich an die Weisungen seines Mentors hielt. Obwohl sein Unterrichtsprogramm grundsätzlich auf Melanchthons Lehre beruhte, gestaltete er es in konkreten Zusammenhängen durchaus nach eigenen Vorlieben aus. Wie sehr Ebers Aufstieg in der Theologischen Fakultät und in leitende Kirchenämter in den Jahren 1558/60 mit der Unterstützung durch Melan- chthon verbunden war, kann im Anschluss ANDREAS GÖSSNER darlegen. Zu- dem legt er eine Rekonstruktion der theologischen Lehrtätigkeit Ebers vor, die sich freilich in diesem Falle angesichts der dürftigen Quellenlage als äu- ßerst schwierig erweist. Begleitet wurde die akademische Lehre durch Ebers Engagement im Stipendiatenwesen, aus dem auch intensive persönliche Bindungen an einzelne Wittenberger Studenten resultierten. Darüber hin- aus war Eber als Wittenberger Stadtpfarrer tätig – was sich vor allem in einer gewaltigen Zahl an Ordinationen niederschlug. An die Tätigkeit seines Mentors anknüpfend wurde Eber in dieser Zeit zu einem wichtigen kirchenpolitischen Berater der Albertiner. Dies behan- delt CHRISTIAN WINTER. So kann er auf Grundlage des Eber-Nachlasses nach- weisen, dass Eber ab 1560 Autor der von Kurfürst August in Auftrag gege- benen theologischen und kirchenpolitischen Gutachten war. Seine Tätigkeit als Berater war von der Stellung Kursachsens in den innerprotestantischen Streitigkeiten geprägt, Schwerpunkte waren die Auseinandersetzungen in der Abendmahlsfrage, das Vorgehen gegen Kanzelpolemik und die vergeb- lichen Bemühungen um eine Verständigung mit den »Flacianern« im Alten- burger Religionsgespräch. Daneben standen Fragen der Universitäts- und Kirchenorganisation, vereinzelt finden sich auch Ratschläge zu landes- und reichspolitischen Fragen. Mit seiner auf Ausgleich und Vermittlung ausge- richteten Haltung blieb Eber nahe bei Melanchthon, konnte damit aber letzt- lich keine Entspannung in den innerprotestantischen Konflikten erreichen. Melanchthon verbunden war er auch in seinem humanistischen Wirken, dem sich eine weitere Gruppe von Beiträgen widmet. Dabei hebt STEFAN RHEIN die weitgehend unbekannten lateinischen Dichtungen ins Bewusst- sein. Sein Aufsatz bietet einen Überblick zu Ebers neulateinischem literari- schen Schaffen, das aus unterschiedlichen Corpora rekonstruiert werden muss: Einige Gedichte, z. B. astrologischen Inhalts, sind in Gedichtausgaben Melanchthons tradiert worden. Eine weitere ergiebige Quelle sind die

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Vorwort

Scripta publice proposita, die Sammlung der Verlautbarungen und An- schläge der Universität Wittenberg, unter denen lateinische Gedichte Ebers zu akademischen Anlässen erhalten sind. Zudem gehören Prologe zu anti- ken Komödien und ein Prologvorspiel zum poetischen Œuvre Paul Ebers. 1548 setzte Eber das humanistische Bemühen um Geschichtsbetrach- tung in eine Übersicht über die Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels unter dem Titel Contexta Populi Iudaici Historia um; 1560 erschien sie unter dem Titel Brevis Historia Populi Iudaici. CHRISTOPH BULTMANN zeigt in seinem Beitrag, wie Eber mit seiner knappen Zusammenfassung von Jo- sephus’ Antiquitates Iudaicae die Geschichte in drei Epochen von der Rück- kehr aus Babylon und dem Neubau des Tempels bis zur Zerstörung des Tem- pels einteilte, um das Argument zu erhärten, dass Gott im Gang der Geschichte kontinuierlich die Kirche erhalten habe. Dabei setzte Eber die Erhaltung der (Verheißungs-)Tradition Israels durch die Hasmonäer als ein exemplum in Beziehung zu der Erhaltung der Kirche durch die Reformato- ren; die barbarischen Grausamkeiten, die Titus an jüdischen Gefangenen verübte, wurden bei ihm zu einem Drohbild für all jene, die das reformato- risch neu in reine Lehre übersetzte Evangelium durch falsae conciliationes zu verdunkeln drohten. Auch in anderen Zusammenhängen war Eber als biblischer Philologe wirksam. Anhand eines Briefes von Eber an die Univer- sität in Jena aus dem Jahr 1564 kann BULTMANN allerdings für die zehnbän- dige Biblia Germanico-Latina von 1565 (2. Auflage 1574) zeigen, in welchem Ausmaß sich Eber selbst darüber im Klaren war, dass die von Kurfürst Au- gust verlangte Parallelisierung des Luthertextes mit einem adaptierten Vul- gatatext philologisch von außerordentlich begrenzter Qualität war – ein Tri- but an den großen Zeitdruck, unter dem das Werk entstand. Eine weitere Frucht von Ebers historischen Interessen war das Calenda- rium historicum von 1550, das HANS-PETER HASSE vorstellt. Zu jedem Tag des Jahres sind darin Daten der biblischen Geschichte, der Antike und der Kir- chengeschichte als »Gedenktage« gesammelt. Außerdem enthält das Kalen- derwerk zahlreiche Geburtstage und Todestage von Humanisten, Reforma- toren und Fürsten der Reformationszeit. Aus der von Eber verfassten Einführung zum Gebrauch des Kalenders geht hervor, dass der Kalender für die tägliche Memoria und Meditation denkwürdiger Ereignisse der Heilsge- schichte bestimmt war, deren Zusammenschau sich im Spiegel dieses Ka- lenders als ein göttlicher Ordo temporum darstellt. Paul Eber prägte mit die- sem Werk, das mit elf Nachdrucken weite Verbreitung fand, die frühe protestantische Memorialkultur. Als Beispiel für die Rezeption des Kalen- ders im privaten Gebrauch kann das Handexemplar Philipp Melanchthons angeführt werden, das zahlreiche handschriftliche Eintragungen enthält.

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Vorwort

Ebenfalls typisch für humanistische Interessen ist die Beschäftigung mit Astronomie, der sich KLAUS-DIETER HERBST widmet. Als Grundlage hier- für dienen Briefe mit Beschreibungen und Deutungen von Himmelsphäno- menen aus dem Gothaer Eber-Nachlass. Erkennbar wird dabei, dass die Be- obachtung der Naturphänomene unmittelbar der religiösen Deutung unterliegt, die in den Himmelserscheinungen Wunderzeichen Gottes er- kennt. Ähnlich verhält es sich bei zwei Drucken Ebers, einem Kometenka- talog von 1549 und einer Beschreibung der am 13. März 1562 in Wittenberg beobachteten Polarlichter. Darin zeichnet sich das ab, dass herausragendes Anliegen Ebers eben die Theologie war: Ihr widmet sich eine weitere Gruppe von Beiträgen: Das Abendmahlsverständnis Paul Ebers behandelt JOHANNES HUND. In der Ausei- nandersetzung um die Augsburger Religionsverwandtschaft der Pfalz über- nahm Eber in einer ersten zwangsläufig sehr kurzen Phase der Orientierung bis zur Vorbereitung des Naumburger Fürstentages im Dezember 1560 die dem Calvinismus wohlgesonnene Interpretation der Abendmahlslehre Me- lanchthons durch dessen Schwiegersohn Caspar Peucer. Als es im Nachgang zum Naumburger Konvent zu einem diplomatischen Abgleich der Positio- nen mit den Herzogtümern Württemberg und Pfalz-Zweibrücken kam, er- fuhr die Abendmahlslehre Ebers erste Modifikationen, bevor sie dann Ende 1561 ihre eher an Luther orientierte Endgestalt fand, die auch den mündli- chen Empfang von Leib und Christi beinhaltete und sich so in der großen gedruckten Abendmahlsschrift Ebers von 1562 niederschlug. Diese Position behielt Eber bis zu seinem Tod gegen alle Anfeindungen bei, die ihn nicht zuletzt auch aus der eigenen Wittenberger Fakultät erreichten. Er vertrat damit in der Abendmahlsfrage eine vermittelnde, um den innerlutherischen Frieden bemühte Position und blieb so auch hier seinem irenischen Lehrer Melanchthon verpflichtet. Dem Prediger Paul Eber widmet sich ROBERT KOLB. Ebers ehemaliger Stu- dent Johannes Cellarius brachte auf der Grundlage studentischer Mitschrif- ten eine dreibändige deutsche Postille sowie eine einbändige lateinische Postille mit Hilfsmitteln zum Predigen über die einschlägigen Perikopen heraus. Einzelne sprachliche Hinweise zeigen, dass die deutschen Predigten tatsächlich vorgetragen wurden. Ihr Aufbau folgt dem melanchthonischen Muster mit Auslegung des biblischen Textes, loci communes zur Anwendung des Textes im Leben der Zuhörer, linguistischen und historischen Erklärun- gen sowie Wort-Bildern verschiedener Art. In ihnen wollte Eber seine Zuhö- rer zur Buße drängen und verhieß den Bußfertigen und Verzweifelten den Trost des Evangeliums. Einen wichtigen Teil von Ebers Predigtwerk stellen die Katechismuspre- digten dar, die er 1562 in der Wittenberger Pfarrkirche gehalten hat und die

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Vorwort der Kitzinger Diakon Theophilus Feurlein auf der Grundlage von Mitschrif- ten aus seiner eigenen Hand, aber auch von anderen Studenten zunächst 1577 und dann 1578 in einer Zweitauflage in Nürnberg veröffentlichte. GERHARD BODE ordnet sie in seinem Beitrag in die mit Luther beginnende Tradition von Katechismuspredigten in Wittenberg ein und weist anhand der Wittenberger Kirchenordnung ihren genuinen gottesdienstlichen Kon- text nach. Ebenfalls vom Wittenberger Kontext geprägt ist, wie STEFAN MICHEL zeigt, Paul Ebers Gebrauch geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche. Entscheidende Referenzquelle zu dessen Verständnis ist Ebers Vorrede zu den »Sonntagsevangelia« von (1560). Neben den deut- schen Liedern arbeitete Eber auch an einem lateinischen Psalter, einem Chorgesangbuch, das schließlich 1565(64) als Psalterium Davidis erschien. Der wechselnde Gebrauch von deutschen Liedern und lateinischen Hymnen und Cantica prägte auch Ebers Hausandachten. An einzelnen Stellen kann hier auch auf die Rezeption Ebers eingegan- gen werden, die in den abschließenden Beiträgen weiter berührt wird. PHI- LIPP KNÜPFFER behandelt die persönlichen Beziehungen Ebers zu Friedrich Bernbeck anhand zweier bislang unbekannter Briefe und lässt so die fort- dauernde Verbindung mit den reformatorischen und pädagogischen Tätig- keiten in seiner Heimatstadt Kitzingen erkennen. Dem berühmten Epitaph in der Wittenberger Stadtkirche schließlich widmet sich DOREEN ZERBE: Ne- ben der sich aufdrängenden Deutung auf die konfessionellen Streitigkeiten weist Zerbe darauf hin, dass das Bild auch als zeittypisches Sinnbild für das Predigtamt zu verstehen ist. Letztlich sei hier ein Erinnerungsbild nicht nur für Paul Eber, sondern für die gesamte Wittenberger Schule entstanden. Hinzu kommen drei umfangreiche Verzeichnisse: Eine Bibliographie der gedruckten Werke und Beiträge Paul Ebers von FRANZISKA KÖNIG, ein Überblick über seine Beiträge in den gedruckten Wittenberger Scripta publice proposita von CHRISTIANE DOMTERA-SCHLEICHARDT und schließlich eine Liste der Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der For- schungsbibliothek Gotha von PAUL A. NEUENDORF. Mit der Hoffnung, hiermit der weiteren Forschung ein nützliches Hilfs- instrument an die Hand geben zu können, verbindet sich der vielfältige Dank an die Beiträgerinnen und Beiträger sowie an die Akademie gemein- nütziger Wissenschaften zu Erfurt und die Stadt Erfurt, die durch großzü- gige Zuschüsse die Durchführung der Tagung und die Drucklegung ermög- licht haben.

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Vorwort

PHILIPP KNÜPFFER, LORENZ KOHL und PAUL A. NEUENDORF danken wir für die Unterstützung bei der Redaktion des vorliegenden Bandes. Schließlich danken wir IRENE DINGEL, ARMIN KOHNLE und UDO STRÄTER für die Aufnahme in die Leucorea-Studien.

Leipzig / Gotha / Tübingen, im September 2013

Christiane Domtera-Schleichardt

Daniel Gehrt

Volker Leppin

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort...... 5

Inhaltsverzeichnis ...... 12

Autorenverzeichnis ...... 16

Abkürzungsverzeichnis ...... 17

Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer Der vergessene Nachfolger Johannes Bugenhagens und Philipp Melanchthons in Wittenberg Bericht und Ausblick über Forschung zu Paul Eber ...... 19

I – Konfessionelle Konsolidierung, Integration und Abgrenzung

Volker Leppin Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit...... 43

Thomas Töpfer »Schöner Rubin« oder »schlipffrige wortte«? Territoriale Bekenntnisbildung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am Beispiel des Corpus doctrinae Philippicum...... 64

Daniel Gehrt Ein Intermezzo der Eintracht? Die Beziehung zwischen den Universitäten Wittenberg und Jena Mitte der 1560er Jahre ...... 83

12

Inhalt

II – Paul Ebers Kompetenz- und Wirkungsbereiche

Meinolf Vielberg Eber als akademischer Lehrer an der Philosophischen Faultät in Wittenberg ...... 134

Andreas Gößner Paul Ebers Tätigkeit an der Theologischen Fakultät in Wittenberg und in seinen Kirchenämtern ...... 162

Christian Winter Paul Eber als kirchenpolitischer Berater Kurfürst Augusts von Sachsen ...... 173

III – Paul Eber als Humanist

Stefan Rhein Paul Eber als neulateinischer Dichter Eine Annäherung ...... 196

Christoph Bultmann Paul Ebers Gelehrsamkeit Die Beispiele der Contexta Populi Iudaici Historia (1548) und #JCMJBGermanicolatina (1565) ...... 258

Hans-Peter Hasse Paul Ebers Calendarium historicum (1550) ...... 288

Klaus-Dieter Herbst Die Astronomie bei Paul Eber ...... 320

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Inhalt

IV – Paul Eber als Theologe und Seelsorger

Johannes Hund Vom Philippisten zum Melanchthonianer Die Entwicklungen in Paul Ebers Abendmahlslehre im Kontext des Zweiten Abendmahlsstreites ...... 341

Robert Kolb Paul Eber as Preacher ...... 375

Gerhard Bode Preaching Luther’s Small Catechism Paul Eber’s Catechismuspredigten (1562) ...... 401

Stefan Michel Das gesungene Wort Gottes Paul Ebers Gebrauch Geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche ...... 424

V – Zur Person und Rezeption Paul Ebers

Philipp Knüpffer Patrono suo et amico colendo Paul Eber und Friedrich Bernbeck ̶ eine lebenslange Freundschaft in Briefen...... 444

Doreen Zerbe Das Epitaph für Paul Eber Ein Erinnerungsbild der Wittenberger Reformation ...... 486

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Inhalt

VI – Anhänge

Franziska König Bibliographie der gedruckten Werke und Beiträge Paul Ebers .... 511

Christiane Domtera-Schleichardt Paul Ebers Beiträge in den gedruckten Wittenberger Scripta publice proposita ...... 565

Paul A. Neuendorf Die Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha ...... 587

Personenregister ...... 601

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Gerhard Bode, St. Louis Prof. Dr. Christoph Bultmann, Erfurt Christiane Domtera-Schleichardt, M.A., Leipzig Dr. Daniel Gehrt, Gotha PD Dr. Dr. Andreas Gößner, Kassel PD Dr. Hans-Peter Hasse, Dresden Dr. Klaus-Dieter Herbst, Jena Dr. Johannes Hund, Mainz Philipp Knüpffer, M.A., Gotha Prof. Dr. Robert Kolb, St. Louis Franziska König, Gotha Prof. Dr. Volker Leppin, Tübingen Dr. Stefan Michel, Leipzig Paul A. Neuendorf, B.A., Gotha Dr. Stefan Rhein, Wittenberg Dr. Thomas Töpfer, Leipzig Prof. Dr. Meinolf Vielberg, Jena Dr. Christian Winter, Leipzig Dr. Doreen Zerbe, Leipzig

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Die Abkürzungen und Sigeln folgen: Theologische Realenzyklopädie. Abkür- zungsverzeichnis, zusammengestellt v. Siegfried M. Schwertner, Ber- lin/New York 21994. Folgende darüber hinausgehende Abkürzungen (wei- tere sind in den Beiträgen eigens ausgewiesen) werden verwendet:

AAV = Album Academiae Vitebergensis ..., 3 Bde., hrsg. von Karl Eduard Förstemann/Otto Hartwig/Gotthold Naetebus, Leipzig 1841–1905. Abschr. = Abschrift AKThG = Arbeiten zur Kirchen und Theologiegeschichte, Leipzig 1996ff. Anm. = Anmerkung Ausf. = Ausfertigung beschr. = beschrieben Beitr. = Beitrag BSB = Bayrische Staatsbibliothek Chart. = [codex] chartaceus EBDB = Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de) EGA = Ernestinisches Gesamtarchiv eigh. = eigenhändig Entw. = Entwurf FB = Forschungsbibliothek gest. = gestorben HAAB = Herzogin Anna Aemilia Bibliothek HAB = Herzog August Bibliothek HCh = Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchenge- schichte, Leipzig 1957ff. HStA = Hessisches Staatsarchiv Loc. = Locat LStRLO = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der lutheri- schen Orthodoxie, Leipzig 2002ff. MBW.R = Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamt- ausgabe. Regesten. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaf- ten, hrsg. von Heinz Scheible, Bd. 1ff., Stuttgart-Bad Cannstatt 1977ff.

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Abkürzungen

MBW.T = Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamt- ausgabe. Texte. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Heinz Scheible, Bd. 1ff., Stuttgart-Bad Cannstatt 1991ff. MLStA = , Studienausgabe, hrsg. v. Hans-Ulrich Delius, 6 Bde., 1979–1999. MWA = Melanchthons Werke in Auswahl, hrsg. v. Robert Stupperich, 7 Bde., Gütersloh 1951–1975. ngw. = nachgewiesen o.D. = ohne Datum o.O. = ohne Ort PKMS = Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, 6 Bde., hrsg. v. Erich Brandenburg/Johannes Herrmann/Günther Wartenberg, Berlin 1900, 1982–2006. Reg. = Registrande s. = siehe SB = Staatsbibliothek SHStA = Sächsisches Hauptstaatsarchiv SLUB = Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek SPP = Scripta Publice Proposita a Professoribus in Academia Vuitebergensi ab anno 1540. [–1569], 7 Bde., Wittenberg 1553–1572 (VD16 W 3758–3765, ZV 15568–15570) SS = Sommersemester SUB = Staats- und Universitätsbibliothek ThHStA = Thüringisches Hauptstaatsarchiv ThULB = Thüringische Landes- und Universitätsbibliothek UB = Universitätsbibliothek ULB = Universitäts- und Landesbibliothek VD16 = Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, 22 Bde., Stuttgart 1983–2000, auch aktualisierte on- line-Ausgabe unter der URL: http://www.vd16.de VD17 = Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, online-Ausgabe unter der URL: http://www.vd17.de WS = Wintersemester

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der vergessene Nachfolger von Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon in Wittenberg Bericht und Ausblick über die Forschung zu Paul Eber

Von Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Paul Eber gehört zu den wichtigsten Kontinuitätsträgern der fundamenta- len Veränderungen in Theologie, Frömmigkeit und Bildung, die Martin Lu- ther und Philipp Melanchthon von Wittenberg aus initiierten und verwirk- lichten. Wirkungsgeschichtlich befand sich Eber an einer Schnittstelle der Wittenberger Reformation: Er agierte noch direkt mit den großen Gestal- tern der ersten Generation, gehörte aber zugleich zu den entscheidenden Trägern und Fortführern der Reformen in der zweiten Generation.

I. Aufstieg zum zentralen Akteur in Wittenberg

Der am 8. November 1511 in Kitzingen geborene Sohn eines Hofschnei- ders wurde 1532 an der Leucorea immatrikuliert, nachdem er die Latein- schulen in seiner Heimatstadt und in der Residenzstadt Ansbach sowie die Lorenzschule und das von Melanchthon nach humanistischen Bildungs- idealen geprägte Egidiengymnasium in Nürnberg besucht hatte. Nach der Promotion zum Magister 1536 und einer mehrjährigen Lehrtätigkeit an der neu strukturierten Philosophischen Fakultät nahm er zunehmend au- ßeruniversitäre Aufgaben wahr. So holten beispielsweise Pfarrer aus der Markgrafschaft Brandenburg- Ansbach Ende 1554 ein Gutachten von Melanchthon und Eber zu einem Streit um die Elevation der Hostie beim Abendmahl ein.1 Zudem führte

1 Vgl. MBW, Nr. 7357–7358. Melanchthon und Eber an den Statthalter und die Räte in Ansbach, [Wittenberg], 13. Dezember 1554; MBW, Nr. 7359-7360. Melanchthon und Eber an Sebastian Stiller in Gunzenhausen und Georg Schack in Wasser- trüdingen, [Wittenberg], 13. Dezember 1554. Zu diesem Streit im Zusammenhang

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Eber gemeinsam mit Johann Forster die dritte Generalvisitation in Kur- sachsen 1555/56 durch, deren Instruktion auf ein gemeinsames Gutach- ten der dienstältesten Wittenberger Theologen Melanchthon, Bugenhagen, Major und Forster sowie des Leipziger Superintendenten Pfeffinger zu- rückging. Auf der Grundlage ihrer protokollierten Erkundigungen und Er- kenntnisse erließ Kurfürst August von Sachsen eine umfassende Kirchen- ordnung.2 Diese Beispiele unterstreichen zugleich, dass Eber, der damals die Professur für Physik innehatte, auch als Theologe wirkte, lange bevor er einen akademischen Grad an der ranghöchsten Fakultät erwarb. Dieses allgemein verbreitete Phänomen war eine Folge der von Luther und insbe- sondere Melanchthon in den 1520er Jahren initiierten Bildungsreformen an der Leucorea, die Theologie zum wichtigen Bestandteil des Grundstudi- ums jedes Studenten gemacht hatten.3 Ab Ende der 1550er Jahre findet sich Ebers Unterschrift grundsätzlich auch unter kollektiven Gutachten der Wittenberger Theologen.4 Nach dem Tod von drei der bedeutendsten Vertreter der ersten Refor- matoren-Generation übernahm Eber mit erstaunlicher Selbstverständlich- keit deren bisherige Aufgaben. So trat er zunächst 1557 die Ämter des mit der Neugestaltung der Kirchenagende nach der Abschaffung des Augsburger Interims vgl. KARL SCHORNBAUM, Das Interim im Markgraftum Brandenburg-Ans- bach (Schluß), in: BBKG 14 (1908), 101–126. 2 Zur Visitation mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Superintendentur Leipzig vgl. HEIKO JADATZ, Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts, HCh Sonder- band 10, Leipzig 2007, 102–110. Zur Visitation insbesondere im sächsischen Kur- kreis vgl. Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen Kur- kreise, bearb. v. KARL PALLAS, 1. Abt.: Allgemeiner Teil, Halle 1906, 48–86; CHRISTIAN AUGUST SALIG, Vollständige Historie der Augsburgischen Confession und derselben zugethanen Kirchen, Bd. 3, Halle 1735, 655f. mit Anm. c; EKO 1/1, Nr. 31, 311–316. 3 Vgl. DANIEL GEHRT, Die Harmonie der Theologie mit den studia humanitatis. Zur Rezeption der Wittenberger Bildungskonzeption in Jena am Beispiel der Pfarraus- bildung, in: MATTHIAS ASCHE u.a. (Hrsg.), Institutionen und Formen gelehrter Bil- dung um 1550. Die Leucorea zur Zeit des »späten« Melanchthon, demnächst bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Irreführende Behauptungen wie die fol- gende sind einer weit verbreiteten mangelnden Kenntnis der damaligen Studien- verhältnisse geschuldet: »1559 wurde er [d.h. Eber], von Melanchthon ermuntert, in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert und war seit 1560 Senatsmit- glied der Theol. Fakultät, ohne je Theologie studiert zu haben«. JENS WOLFF, Art. Eber, Paul, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftli- ches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/Boston 2012, 181–186, hier 181f. 4 Vgl. dazu ARMIN KOHNLE, Wittenberger Autorität. Die Gemeinschaftsgutachten der Wittenberger Theologen als Typus, in: IRENE DINGEL/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wieder- kehr des Gründungsjahres der Leucorea, LStRLO 5, Leipzig 2002, 189–200.

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der vergessene Nachfolger langjährigen Professors der hebräischen Sprache und Schlosspredigers Jo- hann Forster an, der an der deutschen Übersetzung des Alten Testaments beteiligt gewesen war. Als Johannes Bugenhagen, der sich insbesondere bei der Neustrukturierung der Schulen und Kirchen in mehreren nord- deutschen Städten und Territorien nach dem Wittenberger Modell Ver- dienste erworben hatte, 1558 starb, wurde Eber an seiner Stelle zum Stadt- pfarrer und Generalsuperintendenten des sächsischen Kurkreises gewählt. Melanchthon ermutigte ihn in dieser Zeit zur Promotion, da es an Doktoren in der Theologischen Fakultät mangelte. Am 7. Dezember 1559 erlangte Eber diese akademische Würde und wurde am 2. März 1560, ei- nen Monat vor dem Tod seines Mentors, in die Fakultät aufgenommen. Da Bugenhagen und Melanchthon regelmäßig theologische Vorlesungen ge- halten hatten, wurde Eber nunmehr auch in dieser Hinsicht zu ihrem Nachfolger. Er übernahm unter anderem die von Melanchthon eingeführ- ten und rasch beliebt gewordenen Vorlesungen zu den Sonntagsevange- lien.5 Zudem avancierte Eber unmittelbar nach dem Tod des Praeceptor Ger- maniae zum Zentralberater in Wittenberg für theologische, kirchenpolitische, liturgische und seelsorgerische Fragen sowie für Perso- nalempfehlungen für geistliche, schulische und akademische Ämter in- und außerhalb Kursachsens.6 Eber, der sein Leben lang mit gesundheitli- chen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, starb 1569 in Wittenberg mit 58 Jahren. Seine Zugehörigkeit zum Wittenberger Autoritätskollektiv und seine führende Position in den 1560er Jahren spiegeln sich in verschiedenen

5 Vgl. STEFAN MICHEL, Die Sonntagsvorlesungen Philipp Melanchthons. Vom akade- mischen Vortrag zum homiletischen Hilfsmittel, in: IRENE DINGEL/ARMIN KOHNLE (Hrsg.), Philipp Melanchthon. Lehrer Deutschlands, Reformator Europas, LStRLO 13, Leipzig 2011, 177–190, hier 182f. 6 Theodor Pressel bringt Ebers umfangreiche Gutachtertätigkeit irrtümlich mit ei- nem angeblichen Amt als Konsistorialassessor in Verbindung. Vgl. THEODOR PRES- SEL, Paul Eber. Nach gleichzeitigen Quellen, Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche, 8. Supplementteil, Elberfeld 1862, 48–59. Walter Thüringer behauptet ohne Quellenangabe, dass Eber 1546 in das Wittenberger Konsistorium berufen worden sei. Vgl. WALTER THÜRINGER, Paul Eber (1511–1569). Melanchthons Physik und seine Stellung zu Copernicus, in: HEINZ SCHEIBLE (Hrsg.), Melanchthon in seinen Schülern, Wiesbaden 1997, 285–321, hier 290. Gleichwohl sich die von Eber ausgeübten Kompetenzen mit denen des Wit- tenberger Konsistoriums zum Teil überschnitten, war er kein Mitglied dieser Ein- richtung. Vgl. die Abschnitte über die Personalia des Konsistoriums in: RALF FRA- SSEK, Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit. Der Aufbau neuer Rechtsstrukturen im sächsischen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums, Tübingen, 2005, 102–115, 133–144.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer schriftlichen und bildlichen Zeugnissen der zeitgenössischen Erinne- rungskultur wider. Seit den 1540er Jahren sammelten Studenten Bibel- spruchauslegungen von Wittenbergs theologischer Elite in eigenen Buch- exemplaren mit zusätzlichen Vor- und Nachsatzblättern.7 In überlieferten Exemplaren dieser frühen Stammbuchkultur stehen eigenhändige Ein- zeichnungen von Eber ganz selbstverständlich neben jenen von Melan- chthon, Bugenhagen, Major und Forster, wie die Alben des in Wittenberg studierenden Predigers Wolfgang Ruprecht8 und des Schössers in Gräfen- hainichen Maternus Apianus mit Einträgen aus den Jahren 1550 bzw. 1555/56 belegen.9 Ebenfalls 1556 ist Eber in einer Reihe von Blättern mit entsprechenden Einträgen und kolorierten Holzschnitten vertreten, die aus einer Bibel herausgelöst und im Zusammenhang mit dem Reforma- tionsjubiläum 1717 in eine repräsentative Autographensammlung für Her- zog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg aufgenommen wurden.10 Be- zeichnend für alle drei Fälle ist, dass Autographen von Eber gesammelt wurden, obgleich er im Unterschied zu den anderen Beiträgern noch nicht Mitglied der Theologischen Fakultät war. Eber verstand sich als direkter Schüler Luthers, Bugenhagens und Me- lanchthons und bemühte sich im September 1556, dieses Selbstbild an die ferne Nachwelt weiterzugeben. Als zwischen 1555 und 1558 die Turmspit- zen der Wittenberger Pfarrkirche wiederhergestellt wurden, veranlasste

7 Vgl. WOLFGANG KLOSE, Corpus Alborum Amicorum. Ein Bericht über die Sammlung und Beschreibung von Stammbüchern der frühen Neuzeit, in: Internationales Ar- chiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 10 (1985), 154–169, hier 162f.; WA 48, X–XIII. 8 Vgl. HANS-PETER HASSE, Wittenberger Theologie im »Stammbuch«. Eintragungen Wittenberger Professoren im Album des Wolfgang Ruprecht aus Eger, in: MICHAEL BEYER/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Me- lanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1996, 88–120, Edition der Bucheinzeich- nung Ebers: 114–116. 9 HAAB Weimar, Oct princ 2. Edition der Bucheinzeichnung Ebers im Anhang Nr. 1. 10 FB Gotha, Chart. A 379, 54r–58v. Vgl. den Vermerk des damaligen Direktors der Herzoglichen Bibliothek in Gotha Ernst Salomon Cyprian, in: ebd., 67r: Quinque folia postrema, quibus habentur ἰδιόγραφα Melanchtonis, G. Maioris, Eberi, Forsteri et Pomerani e bibliis cuiusdam resecta et huc conlata sunt. Obtinuit enim mos horum vivorum ætate, ut bibliarum possessores quaedam horum doctorum manu in- scribenda curarent ad perpetuam repurgatae religionis memoriam. Abdruck der Ein- träge von Melanchthon und Bugenhagen in: CR 8, Nr. 5361, 59–61; Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel, hrsg. v. OTTO VOGT, Stettin 1888, Nr. 294, 570. Edition der Bucheinzeichnung Ebers im Anhang Nr. 2.

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der vergessene Nachfolger der Stadtrat, dass mehrere Zeitzeugnisse, insbesondere mit lokalem Be- zug, für künftige Generationen in den südlichen Turmknauf eingelegt wür- den.11 Dazu gehörten neben Drucken, Münzen und Medaillen eine autogra- phe Druckvorlage für die Widmungsvorrede zu Luthers 1530 erschienener Schrift »Das Schöne Confitemini an der Zahl der 118. Psalm«,12 eine eigen- händig von Melanchthon verfasste Denkschrift über die Stadt Wittenberg13 sowie eine von Eber angefertigte Abschrift der letzteren mit dem Vermerk am Schluss: Hanc alteram chartam scripsit Paulus Eberus Kitthingensis, au- ditor D. Martini Lutheri annos 14, D. Bugenhagii Pomerani et Philippi Me- lanthonis annos 24, Septembris die 15. Anno 1556, cuius mense Martio et Aprili flagrauit cometes.14 Auch in bildlichen Darstellungen fand Eber immer wieder einen festen Platz im Wittenberger Reformatorenkreis. Eine Tischszene mit Johann Forster, Johannes Bugenhagen, , Martin Luther, Philipp Me- lanchthon, Paul Eber und Caspar Cruciger schmückt zum Beispiel das Ti- telblatt der 1567 erschienenen Frankfurter Ausgabe von Luthers Tischre- den.15 Heute sind keine von Eber angefertigten Mitschriften von Reden Luthers überliefert, wobei sich Abschriften aus Sammlungen anderer in Ebers Nachlass befinden.16 Das Bild ist keine historische Momentauf- nahme, sondern der Versuch, die nach Luther und Melanchthon weiterhin für Wittenberg in Anspruch genommene theologische Autorität zu legiti- mieren.17 Als entscheidender Kontinuitätsträger war der junge Eber im Bild des engsten Kreises um Luther unverzichtbar.

11 Vgl. NIKOLAUS MÜLLER, Die Funde in den Turmknäufen der Stadtkirche zu Wit- tenberg, Magdeburg 1912. 12 Vgl. WA 31I, 36. 13 Abdruck in: MÜLLER, Funde (s. Anm. 11), Nr. 2, 12–15 = MBW, Nr. 7952. 14 Ebd., 15. 15 MARTIN LUTHER: COLLOQVIA Oder Tischreden Doctor Martini Lutheri/ so er in vielen jaren/ die Zeyt seines Lebens/ gegen Gelehrten Leuthen/ auch hin vnd wi- der bey frembden Gesten/ vnd seinen Tischgesellen geführet ... Durch Herrn Jo- hann Aurifaber. ..., Frankfurt/Main: Peter Schmidt, 1567 (VD16 L 6751). Beschrie- ben bei: JOHANNES SCHILLING, Bibliographie der Tischreden-Ausgaben, in: WA 59, 747–780, hier 764f, Nr. 6. 16 FB Gotha, Chart. A 94, 114r–126v und vermutlich auch Chart. B 79. Vgl. dazu DANIEL GEHRT, Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbiblio- thek Gotha, in: KATHARINA BÄRENFÄNGER/VOLKER LEPPIN/STEFAN MICHEL (Hrsg.), Mar- tin Luthers Tischreden. Neuansätze der Forschung, SMHR 71, Tübingen 2012, 191–219, hier 207f. 17 Vgl. grundlegend dazu HANS-PETER HASSE, Luther und seine Wittenberger Freunde. Zum Erscheinungsbild einer Gruppe in der Kunst und Publizistik des 16. Jahrhunderts, in: Wartburg-Jahrbuch, Sonderband 1996, 84−119.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Auch Bucheinbände zeugen von der Breitenwirkung, die Zeitgenossen Eber beimaßen. Sein Porträt befindet sich zusammen mit denen drei wei- terer Wittenberger Theologen in Ovalen an den Ecken zweier ähnlich ge- stalteter Platten, die jeweils das gesamte Mittelfeld eines Oktavbands aus- füllen. In beiden Fällen stehen Luther und Melanchthon oberhalb des zentralen Motivs des betenden Königs David. Auf der einen Platte, die nachweislich 1568 verwendet wurde, werden die beiden damals führen- den Wittenberger Theologieprofessoren Paul Eber und Georg Major in der unteren Reihe porträtiert.18 Auf der anderen Platte, die nachweislich 1584, also fünfzehn bzw. zehn Jahre nach dem Tod Ebers und Majors, verwendet wurde, ist Eber in der unteren Reihe neben Bugenhagen abgebildet (Abb. 1).19 Hier wird retrospektiv an die zentrale Stellung Ebers in Wittenberg – und auffälligerweise nicht an die von Jonas, Cruciger, Forster oder Major – erinnert. Nach seinem Tod wurde Eber monumentalisiert, indem Lukas Cranach d. J. ihn auf dessen Epitaph in der Wittenberger Pfarrkirche prominent zur Rechten Luthers in den »Weinberg des Herrn« platzierte.20 In den postum erschienenen Auflagen des publizistisch sehr erfolgreichen Calendarium historicum von Eber wurde er durch einen tabellarischen Vergleich seiner Lebensdaten mit denen Luthers und Melanchthons implizit als »der dritte Reformator« gedeutet.21 Schließlich würdigte der Wittenberger Professor Balthasar Mencius, der 1565 an der Leucorea immatrikuliert worden war, Eber durch eine Rede, die er 1580 als Dekan anlässlich der Verleihung der Magisterwürde an 32 Studenten in Wittenberg hielt und veröffentlichte.22 Diese Beispiele zeigen, dass in den Augen der Zeitgenossen das »Reforma- tionsereignis« nicht mit Melanchthon endete, sondern in Eber seine Fort- setzung fand.

18 Die Platte (EBDB p001575) stammt aus der Werkstatt Andreas Vickers in Leipzig und wurde nachweislich für Nikolaus Selneckers 1568 in Leipzig erschienene Schrift »Die Propheten Oseas/ Joel/ vnd Micheas« (VD16 ZV 1794) verwendet. Exemplar einst in: SLUB Dresden, Exeg. B. 752 (Kriegsverlust). 19 Die Platte (EBDB p002953) stammt aus einer unbekannten Werkstatt und wurde nachweislich für ein Exemplar des 1584 in Wittenberg erschienenen Katechismus in slowenischer Sprache von Primož Trubar (VD16 ZV 2947) verwendet. Exemplar in: BSB München, ESlg/Asc. 998. 20 Siehe dazu den Beitrag von DOREEN ZERBE im vorliegenden Band. 21 Siehe dazu den Beitrag von HANS-PETER HASSE im vorliegenden Band. 22 BALTHASAR MENCIUS, ORATIO DE VITA REVERENDI ET CLARISSIMI VIRI, D. PAVLI EBERI KITTINGENSIS, VErae Theologiae Doctoris, Professoris & Pastoris Ecclesiae VVitebergensis ..., Wittenberg: Erben Johann Kraffts d. Ä., 1581 (VD16 ZV 18118). Sie wurde 1606 in einer Sammlung von Reden und Schriften des Mencius nachge- r v druckt: (VD17 32:634703H), E2 –G5 . MEINOLF VIELBERG geht in seinem Beitrag zum vorliegenden Band ausführlich auf diese Rede ein.

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der vergessene Nachfolger

Abb. 1: Platte mit Porträts von Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Eber (EBDB p002953).

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

II. Dem kulturellen Gedächtnis entfallen

Trotz seiner zentralen Bedeutung geriet Eber bereits eine Generation nach seinem Tod weitgehend in Vergessenheit. Dieses Phänomen ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, die auf die Pflege der Erinnerung an ihn im kulturellen Gedächtnis ungünstig wirkten. Zum einen erscheint Eber erst nach den großen, Aufsehen erregenden Ereignissen, die zu Leuchttürmen der Reformationsgeschichtsschreibung geworden sind, wie etwa dem »Thesenanschlag«, der »Leipziger Disputation«, dem Reichstag zu Worms, den »Wittenberger Unruhen«, dem »Bauernkrieg« und der Überreichung der Confessio Augustana an Kaiser Karl V. durch die protestantischen Stände auf dem Augsburger Reichstag 1530 auf der Bühne der Geschichte. Selbst die Luther-Forschung tendiert erst in jüngster Zeit dazu, auch den letzten Wirkungsjahren des Reformators angemessene Aufmerksamkeit zu zollen.23 Zum anderen veröffentlichte Eber im Unterschied zu Luther, Melan- chthon, Bugenhagen, Jonas und Major nur eine Handvoll Schriften.24 Ein Großteil von ihnen diente Bildungszwecken und der Frömmigkeitspra- xis. Zum publizistischen Schaffen Ebers gehören ein zusammen mit Me- lanchthon verfasstes Lehrbuch der Physik, eine Geschichte des jüdi- schen Volkes nach dem Babylonischen Exil, ein historischer Tageskalender, eine Übersetzung der deutschen Bibel Luthers ins Latei- nische, ein lateinisches Chorbuch und einzelne geistliche Lieder sowie Vorreden und Gelegenheitsgedichte. Eber veröffentlichte nur ein einzi- ges umfassendes theologisches Werk und zwar im Streit um die Abend- mahlslehre. Das Wirken Ebers kann jedoch ebenso wenig allein an der Zahl seiner Schriften gemessen werden wie etwa das von Conradus Muti- anus Rufus, einem der bedeutenden deutschen Humanisten vom Anfang des 16. Jahrhunderts, der es sich zum Prinzip gemacht hatte, nicht durch Publikationen an die Öffentlichkeit zu treten.25 In der Überlieferung zu beiden Persönlichkeiten stellen vielmehr Briefe und für Eber auch Gut- achten den Hauptzugang zu Leben und Wirken dar. Zum dritten – und dies erklärt zumindest teilweise die sehr über- schaubare Publikationsliste – hielt sich Eber so weit wie möglich aus den

23 Vgl. ALBRECHT BEUTEL (Hrsg.), Luther Handbuch, Tübingen 2005, 32. 24 Siehe die von FRANZISKA KÖNIG erstellte Bibliographie im vorliegenden Band. 25 Vgl. zuletzt dazu CHRISTOPH FASBENDER (Hrsg.), Conradus Mutianus Rufus und der Humanismus in Erfurt. Katalog zur Ausstellung der Forschungsbibliothek Go- tha auf Schloss Friedenstein, Gotha 2009.

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der vergessene Nachfolger theologischen Kontroversen seiner Zeit heraus. Auf provozierende Pole- mik nicht zu reagieren und somit der Fortsetzung des Streits den Nähr- boden zu entziehen, war eine bewusste Strategie, die auch Melanchthon anwendete und es ihm im Unterschied zu Major, dem Namensgeber für den in den 1550er Jahren vehement diskutierten »Majoristischen Streit«, ermöglichte, als Vermittler zu agieren und ab 1560 als Hauptvertreter der Wittenberger Theologie nach außen zu wirken.26 Eber war uneitel, konziliant und außerordentlich kompetent, so dass er als stiller, jedoch einflussreicher Akteur der Wittenberger Reformation auftreten konnte. Durch seine friedenstiftenden Bemühungen erregte er im Vergleich zu äußerst streitbaren Theologen wie Matthias Flacius Illyricus erheblich weniger Aufsehen, sowohl damals als auch später in der Historiographie, die eine – häufig der Überlieferung geschuldete – Vorliebe für Konflikt- fälle hegt. Zum vierten sind einige der von Eber wahrgenommenen Kompeten- zen mit besonders weitreichender Wirkung schwer greifbar, da sie nicht unter einem spezifischen Amt mit Titel subsumiert waren. Die zentrale Position Ebers in Wittenberg, die Luther und Melanchthon vor ihm aus- geübt hatten, war weder durch Universitätsstatuten noch durch Kirchen- oder landesherrliche Ordnungen rechtlich bindend verankert, sondern sie erwuchs aus der zunehmenden Bedeutung der Stadt als Bildungs- stätte und theologisches Reformzentrum für evangelische Städte und Territorien innerhalb und außerhalb des Reichs.27 Man wendete sich an die prominentesten Vertreter der Kirche und Universität in Wittenberg mit verschiedenen theologischen, religionspolitischen, kirchenorganisa- torischen und eherechtlichen Fragen sowie mit Empfehlungen und Bitten um die Vermittlung von Personen. Diese vielfältige und umfassende be- ratende Tätigkeit ließe sich nur durch eine groß angelegte Detailstudie handschriftlicher Briefe und Akten rekonstruieren und angemessen be- urteilen. All diese Faktoren förderten kein nachhaltiges Andenken, son- dern lediglich eine schmale, selektive Rezeption Ebers in der Historio- graphie der folgenden Jahrhunderte.

26 Siehe dazu die Beiträge von DANIEL GEHRT und VOLKER LEPPIN im vorliegenden Band. 27 Lediglich die allgemeine Beraterfunktion der Wittenberger Professoren für den Landesherrn ist in den Universitätsstatuten formuliert. Vgl. KOHNLE, Wittenberger Autorität (s. Anm. 4), 194f.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

III. Ältere und neuere Forschung zu Paul Eber

Wo die Erinnerung wach gehalten wurde, fand die Forschung immer wie- der Anregungen. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass die erste mo- derne Biographie über Eber in seiner fränkischen Heimat entstand.28 Sie wurde von dem Kitzinger Stadtpfarrer Johann August Christian Kaiser inspiriert, der 1837 eine Synode in Kitzingen mit einer Rede zu Ehren Ebers – »der Stolz und die Zierde unserer Stadt« – eröffnete.29 Mit Ver- weis auf diese Rede veröffentlichte der Ansbacher Pfarrer Christian Heinrich Sixt 1843 seine Monographie über Eber, in der er insbesondere Quellenmaterial aus dem Stadtarchiv in Kitzingen auswertete und 47 dort aufbewahrte Briefe aus der Korrespondenz zwischen Eber und dem Ratsherrn Friedrich Bernbeck sowie dem Stadtrat im Anhang edierte.30 Sixt konnte Voigts »Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeit- alters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen« von 1841 mit dort referierten Eber-Briefen31 nicht in seine Darstellung einarbeiten und ihm stand weder das vollendete Corpus Reformatorum noch der Haupt- nachlass Ebers in der damals Herzoglichen Bibliothek Gotha zur Verfü- gung.32 Seine zweite Eber-Biographie von 1857, die inhaltlich komple- mentär zur ersten angelegt ist, basiert ausschließlich auf dem Gothaer Hauptnachlass, den der damalige Bibliotheksdirektor August Beck Sixt

28 Vgl. den Überblick über die bisherige Forschung zu Eber in: MARTIN RIEGEL, Stu- dienförderung in Kitzingen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg, Schriften des Stadtarchivs Kitzingen 7, Kitzingen 2006, 237f., Anm. 589. 29 Reden und Festpredigten des Dr. Joh. Aug. Christ. Kaiser, königl. Dekanatsver- wesers, Distriktsschulinspektors und ersten protestant. Stadtpfarrers in Kitzin- gen. Nach dessen Tod zum Andenken für Freunde, hrsg. v. HEINRICH SCHMIDT, Er- langen 1840, 1–17, hier 3. 30 CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Dr. Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformations-Zeitalters, Mit XLIX Original=Urkunden, Heidelberg 1843. 31 JOHANNES VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Re- formation mit Herzog Albrecht von Preußen. Beiträge zur Gelehrten-, Kirchen- und politischen Geschichte des 16. Jahrhunderts, aus Originalbriefen dieser Zeit, Kö- nigsberg 1841. 32 Der Gothaer Bibliotheksdirektor und Kirchenrat Ernst Salomon Cyprian hatte zwar die Handschriftenbände dieser und zahlreicher anderer Provenienzen in sei- nem 1714 erschienenen Katalog kursorisch beschrieben. Sixt scheint jedoch keine Kenntnis von diesen Beständen gehabt zu haben. Vgl. ERNST SALOMON CYPRIAN, Ca- talogus Codicum Manuscriptorum Bibliothecae Gothanae, Leipzig 1714, Nr. XCIII– XCIV, 62f; Nr. CXXI–CXXVI, 67–69; Nr. XXV, 114; Nr. LXXXIV, 122.

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der vergessene Nachfolger zugänglich gemacht hatte.33 Auf den grundlegenden Arbeiten Sixts auf- bauend, verfasste Theodor Pressel fünf Jahre später eine quellennahe Darstellung von Eber für die Reihe »Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche«.34 An der Wende zum 20. Jahrhundert bemühte sich der sächsische Pfarrer und Lutherforscher Georg Buchwald darum, Eber durch eine po- pulärwissenschaftliche Biographie zu breiterer Aufmerksamkeit zu ver- helfen,35 während Gustav Kawerau den Artikel in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirchengeschichte« verfasste, der bis heute als wichtige Grundlage für Kurzdarstellungen von Ebers Leben und Wirken dient.36 Seine anhaltende Bedeutung hat der Artikel nicht allein seiner hohen Qualität zu verdanken, sondern ist auch dadurch be- dingt, dass in den 1982 erschienenen neunten Band der »Theologischen Realenzyklopädie« (Dionysius Exiguus – Episkopalismus) kein Beitrag zu Eber aufgenommen wurde. Gemessen an ihrer bisherigen Rezeption scheinen die großen Ver- dienste des evangelisch-unierten Pfarrers und Kirchenhistorikers Theo- dor Wotschke um die Veröffentlichung zahlreicher Briefe aus der Kor- respondenz Ebers zwischen 1912 und 1933 fast unbemerkt geblieben zu sein.37 Das liegt zum Teil darin begründet, dass sie in einer Vielzahl klei- nerer und größerer Zeitschriftenbeiträge zerstreut und zum Teil schwer

33 CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jah- ren 1532 bis 1569, Ansbach 1857. 34 PRESSEL, Eber (s. Anm. 6). 35 GEORG BUCHWALD, D. Paul Eber, der Freund, Mitarbeiter und Nachfolger der Re- formatoren. Ein Bild seines Lebens und Wirkens, Leipzig 1897. 36 3 GUSTAV KAWERAU, Art. Eber, Paul, in: RE Bd. 15, 1904, 118–121. Der ältere Arti- kel von ADOLF BRECHER, in: ADB Bd. 5, 1877, 529–531, ist sehr knapp gehalten. Nach Kawerau sind folgende Artikel über Eber erschienen: WILHELM LUEKEN, in: 3 RGG Bd. 2 1958, 296; ROBERT STUPPERICH, in: NDB Bd. 4, 1959, 225; FRIEDRICH WIL- HELM BAUTZ, in: BBKL Bd. 1, 1990, 1441f; MARILYN J. HARRAN, in: OER Bd. 2, 1996, 17; WOLFRAM STEUDE, in: Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch. Bd. 2: Kom- ponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs, hrsg. v. WOLFGANG 4 HERBST, Göttingen 1999, 80f; HEINZ SCHEIBLE, in: RGG Bd. 2 1999, 1040; ders. unter Mitwirkung von CORINNA SCHNEIDER, in: MBW Bd. 11, 2003: Personen A–E, 377– 379; ders., in: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes Bd. 3, 2008, 149; JENS WOLFF, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/Boston 2012, 181–186. 37 Die Beiträge Wotschkes werden beispielsweise in Riegels sonst sehr ausführli- chem Forschungsüberblick nicht erwähnt. Vgl. RIEGEL, Studienförderung (s. Anm. 28), 237f, Anm. 589.

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