Daniel Gehrt | Volker Leppin (Hrsg.) Paul Eber Paul Eber (1511–1569) war nach Melanchthons Tod die zentrale Ge- (1511–1569) stalt der Wittenberger Theologie und wirkte reichs- und europaweit als Ratgeber für zahlreiche lutherische Städte und Territorien. Dieser umfassenden Bedeutung wird die bisher recht schmale Forschung Paul Eber zu seinem Leben und Werk nicht gerecht, die ihn immer noch im Schatten Luthers und Melanchthons sieht. Der vorliegende Band erschließt daher weitgehend Neuland: Ausgehend von Ebers um- (1511–1569) fangreichen Nachlass in der Forschungsbibliothek Gotha schärfen die Beiträge das Profi l dieses stillen Akteurs. Neu beleuchtet werden Humanist und Th eologe der zweiten Generation sein facettenreiches akademisches, geistliches und kirchenpolitisches Wirken, sein wissenschaftliches und dichterisches Schaffen, seine der Wittenberger Reformation vermittelnde Haltung in den theologischen Kontroversen seiner Zeit sowie seine zeitgenössische Rezeption in Wort und Bild.

LStRLO 16

ISBN 978-3-374-03056-9

9 7 8 3 3 7 4 0 3 0 5 6 9 EUR 68,00 [D]

LStRLO_16_Umschlag.indd 1 03.07.14 16:04 Paul Eber (1511–1569) Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie (LStRLO)

Herausgegeben von Irene Dingel, Armin Kohnle und Udo Sträter

Band 16 Daniel Gehrt | Volker Leppin (Hrsg.) Paul Eber (1511–1569)

Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation

EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT Leipzig Die Herausgeber danken der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt und der Stadt Erfurt für die großzügige Unterstützung bei der Drucklegung des Tagungsbandes.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

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Cover: Kai-Michael Gustmann, Leipzig Satz: Lorenz Kohl, Tübingen Druck und Binden: Hubert & Co., Göttingen

ISBN 978-3-374-03056-9 www.eva-leipzig.de Vorwort Von Christiane Domtera-Schleichardt, Daniel Gehrt und Volker Leppin1

Am 8. November 2011 jährte sich zum 500. Mal der Geburtstag von Paul Eber († 1569). Vielen mag sein Epitaph in der Wittenberger Stadtkirche stär- ker präsent sein als sein Wirken an der Leucorea, an welcher er im Jahr- zehnt nach Melanchthons Tod in eine zentrale Stellung einrückte. Doch sind inzwischen beste Bedingungen geschaffen, diese Bedeutung besser wahrzu- nehmen als bislang: In den Jahren 2004 bis 2009 wurde sein Hauptnachlass durch das von der DFG geförderte Projekt »Katalogisierung der Reforma- tionshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha« erschlossen. Damit war eine Grundlage gegeben, um vom 10. bis 12. November 2011 auf Schloss Friedenstein in Gotha eine Tagung unter dem Titel »Paul Eber (1511-1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenber- ger Reformation« abzuhalten, die Eber neu und detailliert würdigen konnte. Sie wurde von der Forschungsbibliothek Gotha und dem Lehrstuhl für Kir- chengeschichte des Mittelalters und der Reformation an der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Tübingen gemeinsam mit der Aka- demie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt veranstaltet und von DA- NIEL GEHRT (Gotha) und VOLKER LEPPIN (Tübingen) geleitet. Ergänzt um Bei- träge von GERHARD BODE, CHRISTIANE DOMTERA-SCHLEICHARDT, PHILIPP KNÜPFFER, FRANZISKA KÖNIG und PAUL A. NEUENDORF können die seinerzeiti- gen Vorträge nun hiermit der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Entstanden ist, so hoffen wir, damit ein handbuchartiges Ganzes, das das Wirken Ebers auf dem Stand der neuesten Forschung präsentiert. Ein umfassender Forschungsüberblick von DANIEL GEHRT und PHILIPP KNÜPFFER leitet in die bisherige Forschung ein. Dann folgen zunächst Beiträge, die Ebers kirchenpolitisches Wirken im Zusammenhang der Konfessionsbildung in den Blick nehmen. VOLKER LEPPIN unterscheidet dabei das Wirken Ebers in zwei Phasen: Bis zum Tod Melanchthons war er weitgehend Begleiter des Geschehens und erlebte als solcher wichtige Beschlüsse in Pegau 1548 und Worms 1557 mit. Dabei unterschied sich seine Haltung kaum von der Me-

1 Das Vorwort basiert zu großen Teilen wörtlich auf dem Tagungsbericht VON CHRISTI- ANE DOMTERA in http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4056.

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Vorwort lanchthons. Nach dessen Tod wurde er in die Kontroversen um das Abend- mahl gezogen. Sein Lösungsversuch war irenisch-vermittelnd. Gleiches gilt für seine weiteren Aktivitäten bis hin zum Altenburger Religionsgespräch 1569. Dieses markierte auch das Scheitern seiner Politik, die zeit seines Le- bens davon geprägt war, dass er auf der Grundunterscheidung zwischen re- formatorischem und päpstlichem Lager beharrte, die zunehmenden Bin- nendifferenzierungen unter den werdenden Lutheranern aber nicht zu akzeptieren bereit war. Aus der Perspektive Ebers entstand die Spaltung im eigenen Lager nicht mit den Auseinandersetzungen mit dem Augsburger In- terim, sondern mit dem Wormser Religionsgespräch 1557. Mit all diesen Tätigkeiten bewegte sich Eber in einem zunehmend durch unterschiedliche Ansätze zur Konfessionsbildung geprägten Umfeld, das THOMAS TÖPFER erschließt. Dabei stand die Genese des Corpus Doctrinae Christianae und dessen Weg zur normativen Geltung im Kurfürstentum Sachsen im Mittelpunkt. Eine neue Sichtung der archivalischen Quellen zeigt, dass sich der Aufstieg des Corpus Doctrinae zu einer der wesentlichen Bekenntnisgrundlagen Sachsens evolutionär vollzog und erst nach dem Alt- enburger Religionsgespräch 1569 seinen Höhepunkt erreichte. Dem sukzes- siven Bedeutungszuwachs des Corpus steht ein allmählicher Bedeutungs- verlust im Verlauf der 1570er Jahre gegenüber, der erst 1576 zu einer Distanzierung des Dresdner Landesherrn von seinem bisherigen, an der Au- torität Melanchthons ausgerichteten konfessionspolitischen Kurs führte. Dieser Weg der Konfessionsbildung wäre ohne den Austausch unter den Universitäten nicht denkbar gewesen. Entsprechend stellt DANIEL GEHRT die Beziehungen zwischen und Jena in den 1560er Jahren dar. Die Grundlage hierfür bildet neben Melanchthons Korrespondenz der Brief- wechsel Paul Ebers mit den Jenaer Professoren. Gegenüber der älteren For- schung kann so gezeigt werden, dass die Annäherung beider Universitäten keine Episode war, sondern dass zwischen 1548 und 1569 eine kontinuier- liche Briefkommunikation von unterschiedlicher Intensität bestand. Aller- dings schränkten soziale Zwänge, die von Landesherren, von Theologen mit Nähe zum Hof und von Matthias Flacius mit seinen Mitstreitern in Jena aus- gingen, die Kommunikation zwischen Jena und Wittenberg merklich ein. Ebers Bedeutung in Wittenberg stieg mit dem Tod Melanchthons 1560 er- heblich an: Er wurde zum zentralen Berater in akademischen, theologischen und kirchenpolitischen Fragen. So trug Eber entscheidend zur Stabilisie- rung der Beziehungen zwischen beiden Universitäten und dabei auch zum personellen Wiederaufbau der Salana Mitte der 1560er Jahre bei. Diese vielfältigen kirchenpolitischen Aktivitäten entfaltete er vor dem Hintergrund einer umfassenden Tätigkeit als Universitätslehrer, die in einer zweiten Gruppe von Beiträgen analysiert wird: MEINOLF VIELBERG behandelt vor dem Hintergrund Ebers eigener Bildungsbiographie dessen Aufgaben

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Vorwort als Adjunkt der Philosophischen Fakultät und akademischer Privatlehrer, als Professor der Pädagogie und als Inhaber des Lehrstuhls für Physik, der sogenannten lectio Pliniana. Dabei kann die bislang gängige Annahme, Eber habe eine außerordentliche Professur der Rhetorik oder eine Professur der Geschichte bekleidet, korrigiert werden. Eber erscheint in seinem akademi- schen Wirken als engagierter und erfolgreicher Lehrer, der mit Melan- chthon eng zusammenarbeitete und sich an die Weisungen seines Mentors hielt. Obwohl sein Unterrichtsprogramm grundsätzlich auf Melanchthons Lehre beruhte, gestaltete er es in konkreten Zusammenhängen durchaus nach eigenen Vorlieben aus. Wie sehr Ebers Aufstieg in der Theologischen Fakultät und in leitende Kirchenämter in den Jahren 1558/60 mit der Unterstützung durch Melan- chthon verbunden war, kann im Anschluss ANDREAS GÖSSNER darlegen. Zu- dem legt er eine Rekonstruktion der theologischen Lehrtätigkeit Ebers vor, die sich freilich in diesem Falle angesichts der dürftigen Quellenlage als äu- ßerst schwierig erweist. Begleitet wurde die akademische Lehre durch Ebers Engagement im Stipendiatenwesen, aus dem auch intensive persönliche Bindungen an einzelne Wittenberger Studenten resultierten. Darüber hin- aus war Eber als Wittenberger Stadtpfarrer tätig – was sich vor allem in einer gewaltigen Zahl an Ordinationen niederschlug. An die Tätigkeit seines Mentors anknüpfend wurde Eber in dieser Zeit zu einem wichtigen kirchenpolitischen Berater der Albertiner. Dies behan- delt CHRISTIAN WINTER. So kann er auf Grundlage des Eber-Nachlasses nach- weisen, dass Eber ab 1560 Autor der von Kurfürst August in Auftrag gege- benen theologischen und kirchenpolitischen Gutachten war. Seine Tätigkeit als Berater war von der Stellung Kursachsens in den innerprotestantischen Streitigkeiten geprägt, Schwerpunkte waren die Auseinandersetzungen in der Abendmahlsfrage, das Vorgehen gegen Kanzelpolemik und die vergeb- lichen Bemühungen um eine Verständigung mit den »Flacianern« im Alten- burger Religionsgespräch. Daneben standen Fragen der Universitäts- und Kirchenorganisation, vereinzelt finden sich auch Ratschläge zu landes- und reichspolitischen Fragen. Mit seiner auf Ausgleich und Vermittlung ausge- richteten Haltung blieb Eber nahe bei Melanchthon, konnte damit aber letzt- lich keine Entspannung in den innerprotestantischen Konflikten erreichen. Melanchthon verbunden war er auch in seinem humanistischen Wirken, dem sich eine weitere Gruppe von Beiträgen widmet. Dabei hebt STEFAN RHEIN die weitgehend unbekannten lateinischen Dichtungen ins Bewusst- sein. Sein Aufsatz bietet einen Überblick zu Ebers neulateinischem literari- schen Schaffen, das aus unterschiedlichen Corpora rekonstruiert werden muss: Einige Gedichte, z. B. astrologischen Inhalts, sind in Gedichtausgaben Melanchthons tradiert worden. Eine weitere ergiebige Quelle sind die

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Vorwort

Scripta publice proposita, die Sammlung der Verlautbarungen und An- schläge der Universität Wittenberg, unter denen lateinische Gedichte Ebers zu akademischen Anlässen erhalten sind. Zudem gehören Prologe zu anti- ken Komödien und ein Prologvorspiel zum poetischen Œuvre Paul Ebers. 1548 setzte Eber das humanistische Bemühen um Geschichtsbetrach- tung in eine Übersicht über die Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels unter dem Titel Contexta Populi Iudaici Historia um; 1560 erschien sie unter dem Titel Brevis Historia Populi Iudaici. CHRISTOPH BULTMANN zeigt in seinem Beitrag, wie Eber mit seiner knappen Zusammenfassung von Jo- sephus’ Antiquitates Iudaicae die Geschichte in drei Epochen von der Rück- kehr aus Babylon und dem Neubau des Tempels bis zur Zerstörung des Tem- pels einteilte, um das Argument zu erhärten, dass Gott im Gang der Geschichte kontinuierlich die Kirche erhalten habe. Dabei setzte Eber die Erhaltung der (Verheißungs-)Tradition Israels durch die Hasmonäer als ein exemplum in Beziehung zu der Erhaltung der Kirche durch die Reformato- ren; die barbarischen Grausamkeiten, die Titus an jüdischen Gefangenen verübte, wurden bei ihm zu einem Drohbild für all jene, die das reformato- risch neu in reine Lehre übersetzte Evangelium durch falsae conciliationes zu verdunkeln drohten. Auch in anderen Zusammenhängen war Eber als biblischer Philologe wirksam. Anhand eines Briefes von Eber an die Univer- sität in Jena aus dem Jahr 1564 kann BULTMANN allerdings für die zehnbän- dige Biblia Germanico-Latina von 1565 (2. Auflage 1574) zeigen, in welchem Ausmaß sich Eber selbst darüber im Klaren war, dass die von Kurfürst Au- gust verlangte Parallelisierung des Luthertextes mit einem adaptierten Vul- gatatext philologisch von außerordentlich begrenzter Qualität war – ein Tri- but an den großen Zeitdruck, unter dem das Werk entstand. Eine weitere Frucht von Ebers historischen Interessen war das Calenda- rium historicum von 1550, das HANS-PETER HASSE vorstellt. Zu jedem Tag des Jahres sind darin Daten der biblischen Geschichte, der Antike und der Kir- chengeschichte als »Gedenktage« gesammelt. Außerdem enthält das Kalen- derwerk zahlreiche Geburtstage und Todestage von Humanisten, Reforma- toren und Fürsten der Reformationszeit. Aus der von Eber verfassten Einführung zum Gebrauch des Kalenders geht hervor, dass der Kalender für die tägliche Memoria und Meditation denkwürdiger Ereignisse der Heilsge- schichte bestimmt war, deren Zusammenschau sich im Spiegel dieses Ka- lenders als ein göttlicher Ordo temporum darstellt. Paul Eber prägte mit die- sem Werk, das mit elf Nachdrucken weite Verbreitung fand, die frühe protestantische Memorialkultur. Als Beispiel für die Rezeption des Kalen- ders im privaten Gebrauch kann das Handexemplar Philipp Melanchthons angeführt werden, das zahlreiche handschriftliche Eintragungen enthält.

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Vorwort

Ebenfalls typisch für humanistische Interessen ist die Beschäftigung mit Astronomie, der sich KLAUS-DIETER HERBST widmet. Als Grundlage hier- für dienen Briefe mit Beschreibungen und Deutungen von Himmelsphäno- menen aus dem Gothaer Eber-Nachlass. Erkennbar wird dabei, dass die Be- obachtung der Naturphänomene unmittelbar der religiösen Deutung unterliegt, die in den Himmelserscheinungen Wunderzeichen Gottes er- kennt. Ähnlich verhält es sich bei zwei Drucken Ebers, einem Kometenka- talog von 1549 und einer Beschreibung der am 13. März 1562 in Wittenberg beobachteten Polarlichter. Darin zeichnet sich das ab, dass herausragendes Anliegen Ebers eben die Theologie war: Ihr widmet sich eine weitere Gruppe von Beiträgen: Das Abendmahlsverständnis Paul Ebers behandelt JOHANNES HUND. In der Ausei- nandersetzung um die Augsburger Religionsverwandtschaft der Pfalz über- nahm Eber in einer ersten zwangsläufig sehr kurzen Phase der Orientierung bis zur Vorbereitung des Naumburger Fürstentages im Dezember 1560 die dem Calvinismus wohlgesonnene Interpretation der Abendmahlslehre Me- lanchthons durch dessen Schwiegersohn Caspar Peucer. Als es im Nachgang zum Naumburger Konvent zu einem diplomatischen Abgleich der Positio- nen mit den Herzogtümern Württemberg und Pfalz-Zweibrücken kam, er- fuhr die Abendmahlslehre Ebers erste Modifikationen, bevor sie dann Ende 1561 ihre eher an Luther orientierte Endgestalt fand, die auch den mündli- chen Empfang von Leib und Christi beinhaltete und sich so in der großen gedruckten Abendmahlsschrift Ebers von 1562 niederschlug. Diese Position behielt Eber bis zu seinem Tod gegen alle Anfeindungen bei, die ihn nicht zuletzt auch aus der eigenen Wittenberger Fakultät erreichten. Er vertrat damit in der Abendmahlsfrage eine vermittelnde, um den innerlutherischen Frieden bemühte Position und blieb so auch hier seinem irenischen Lehrer Melanchthon verpflichtet. Dem Prediger Paul Eber widmet sich ROBERT KOLB. Ebers ehemaliger Stu- dent Johannes Cellarius brachte auf der Grundlage studentischer Mitschrif- ten eine dreibändige deutsche Postille sowie eine einbändige lateinische Postille mit Hilfsmitteln zum Predigen über die einschlägigen Perikopen heraus. Einzelne sprachliche Hinweise zeigen, dass die deutschen Predigten tatsächlich vorgetragen wurden. Ihr Aufbau folgt dem melanchthonischen Muster mit Auslegung des biblischen Textes, loci communes zur Anwendung des Textes im Leben der Zuhörer, linguistischen und historischen Erklärun- gen sowie Wort-Bildern verschiedener Art. In ihnen wollte Eber seine Zuhö- rer zur Buße drängen und verhieß den Bußfertigen und Verzweifelten den Trost des Evangeliums. Einen wichtigen Teil von Ebers Predigtwerk stellen die Katechismuspre- digten dar, die er 1562 in der Wittenberger Pfarrkirche gehalten hat und die

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Vorwort der Kitzinger Diakon Theophilus Feurlein auf der Grundlage von Mitschrif- ten aus seiner eigenen Hand, aber auch von anderen Studenten zunächst 1577 und dann 1578 in einer Zweitauflage in Nürnberg veröffentlichte. GERHARD BODE ordnet sie in seinem Beitrag in die mit Luther beginnende Tradition von Katechismuspredigten in Wittenberg ein und weist anhand der Wittenberger Kirchenordnung ihren genuinen gottesdienstlichen Kon- text nach. Ebenfalls vom Wittenberger Kontext geprägt ist, wie STEFAN MICHEL zeigt, Paul Ebers Gebrauch geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche. Entscheidende Referenzquelle zu dessen Verständnis ist Ebers Vorrede zu den »Sonntagsevangelia« von (1560). Neben den deut- schen Liedern arbeitete Eber auch an einem lateinischen Psalter, einem Chorgesangbuch, das schließlich 1565(64) als Psalterium Davidis erschien. Der wechselnde Gebrauch von deutschen Liedern und lateinischen Hymnen und Cantica prägte auch Ebers Hausandachten. An einzelnen Stellen kann hier auch auf die Rezeption Ebers eingegan- gen werden, die in den abschließenden Beiträgen weiter berührt wird. PHI- LIPP KNÜPFFER behandelt die persönlichen Beziehungen Ebers zu Friedrich Bernbeck anhand zweier bislang unbekannter Briefe und lässt so die fort- dauernde Verbindung mit den reformatorischen und pädagogischen Tätig- keiten in seiner Heimatstadt Kitzingen erkennen. Dem berühmten Epitaph in der Wittenberger Stadtkirche schließlich widmet sich DOREEN ZERBE: Ne- ben der sich aufdrängenden Deutung auf die konfessionellen Streitigkeiten weist Zerbe darauf hin, dass das Bild auch als zeittypisches Sinnbild für das Predigtamt zu verstehen ist. Letztlich sei hier ein Erinnerungsbild nicht nur für Paul Eber, sondern für die gesamte Wittenberger Schule entstanden. Hinzu kommen drei umfangreiche Verzeichnisse: Eine Bibliographie der gedruckten Werke und Beiträge Paul Ebers von FRANZISKA KÖNIG, ein Überblick über seine Beiträge in den gedruckten Wittenberger Scripta publice proposita von CHRISTIANE DOMTERA-SCHLEICHARDT und schließlich eine Liste der Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der For- schungsbibliothek Gotha von PAUL A. NEUENDORF. Mit der Hoffnung, hiermit der weiteren Forschung ein nützliches Hilfs- instrument an die Hand geben zu können, verbindet sich der vielfältige Dank an die Beiträgerinnen und Beiträger sowie an die Akademie gemein- nütziger Wissenschaften zu Erfurt und die Stadt Erfurt, die durch großzü- gige Zuschüsse die Durchführung der Tagung und die Drucklegung ermög- licht haben.

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Vorwort

PHILIPP KNÜPFFER, LORENZ KOHL und PAUL A. NEUENDORF danken wir für die Unterstützung bei der Redaktion des vorliegenden Bandes. Schließlich danken wir IRENE DINGEL, ARMIN KOHNLE und UDO STRÄTER für die Aufnahme in die Leucorea-Studien.

Leipzig / Gotha / Tübingen, im September 2013

Christiane Domtera-Schleichardt

Daniel Gehrt

Volker Leppin

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort...... 5

Inhaltsverzeichnis ...... 12

Autorenverzeichnis ...... 16

Abkürzungsverzeichnis ...... 17

Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer Der vergessene Nachfolger Johannes Bugenhagens und Philipp Melanchthons in Wittenberg Bericht und Ausblick über Forschung zu Paul Eber ...... 19

I – Konfessionelle Konsolidierung, Integration und Abgrenzung

Volker Leppin Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit...... 43

Thomas Töpfer »Schöner Rubin« oder »schlipffrige wortte«? Territoriale Bekenntnisbildung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am Beispiel des Corpus doctrinae Philippicum...... 64

Daniel Gehrt Ein Intermezzo der Eintracht? Die Beziehung zwischen den Universitäten Wittenberg und Jena Mitte der 1560er Jahre ...... 83

12

Inhalt

II – Paul Ebers Kompetenz- und Wirkungsbereiche

Meinolf Vielberg Eber als akademischer Lehrer an der Philosophischen Faultät in Wittenberg ...... 134

Andreas Gößner Paul Ebers Tätigkeit an der Theologischen Fakultät in Wittenberg und in seinen Kirchenämtern ...... 162

Christian Winter Paul Eber als kirchenpolitischer Berater Kurfürst Augusts von Sachsen ...... 173

III – Paul Eber als Humanist

Stefan Rhein Paul Eber als neulateinischer Dichter Eine Annäherung ...... 196

Christoph Bultmann Paul Ebers Gelehrsamkeit Die Beispiele der Contexta Populi Iudaici Historia (1548) und #JCMJBGermanicolatina (1565) ...... 258

Hans-Peter Hasse Paul Ebers Calendarium historicum (1550) ...... 288

Klaus-Dieter Herbst Die Astronomie bei Paul Eber ...... 320

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Inhalt

IV – Paul Eber als Theologe und Seelsorger

Johannes Hund Vom Philippisten zum Melanchthonianer Die Entwicklungen in Paul Ebers Abendmahlslehre im Kontext des Zweiten Abendmahlsstreites ...... 341

Robert Kolb Paul Eber as Preacher ...... 375

Gerhard Bode Preaching Luther’s Small Catechism Paul Eber’s Catechismuspredigten (1562) ...... 401

Stefan Michel Das gesungene Wort Gottes Paul Ebers Gebrauch Geistlicher Lieder in Haus, Schule und Kirche ...... 424

V – Zur Person und Rezeption Paul Ebers

Philipp Knüpffer Patrono suo et amico colendo Paul Eber und Friedrich Bernbeck ̶ eine lebenslange Freundschaft in Briefen...... 444

Doreen Zerbe Das Epitaph für Paul Eber Ein Erinnerungsbild der Wittenberger Reformation ...... 486

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Inhalt

VI – Anhänge

Franziska König Bibliographie der gedruckten Werke und Beiträge Paul Ebers .... 511

Christiane Domtera-Schleichardt Paul Ebers Beiträge in den gedruckten Wittenberger Scripta publice proposita ...... 565

Paul A. Neuendorf Die Korrespondenzpartner Paul Ebers in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha ...... 587

Personenregister ...... 601

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Gerhard Bode, St. Louis Prof. Dr. Christoph Bultmann, Erfurt Christiane Domtera-Schleichardt, M.A., Leipzig Dr. Daniel Gehrt, Gotha PD Dr. Dr. Andreas Gößner, Kassel PD Dr. Hans-Peter Hasse, Dresden Dr. Klaus-Dieter Herbst, Jena Dr. Johannes Hund, Mainz Philipp Knüpffer, M.A., Gotha Prof. Dr. Robert Kolb, St. Louis Franziska König, Gotha Prof. Dr. Volker Leppin, Tübingen Dr. Stefan Michel, Leipzig Paul A. Neuendorf, B.A., Gotha Dr. Stefan Rhein, Wittenberg Dr. Thomas Töpfer, Leipzig Prof. Dr. Meinolf Vielberg, Jena Dr. Christian Winter, Leipzig Dr. Doreen Zerbe, Leipzig

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Die Abkürzungen und Sigeln folgen: Theologische Realenzyklopädie. Abkür- zungsverzeichnis, zusammengestellt v. Siegfried M. Schwertner, Ber- lin/New York 21994. Folgende darüber hinausgehende Abkürzungen (wei- tere sind in den Beiträgen eigens ausgewiesen) werden verwendet:

AAV = Album Academiae Vitebergensis ..., 3 Bde., hrsg. von Karl Eduard Förstemann/Otto Hartwig/Gotthold Naetebus, Leipzig 1841–1905. Abschr. = Abschrift AKThG = Arbeiten zur Kirchen und Theologiegeschichte, Leipzig 1996ff. Anm. = Anmerkung Ausf. = Ausfertigung beschr. = beschrieben Beitr. = Beitrag BSB = Bayrische Staatsbibliothek Chart. = [codex] chartaceus EBDB = Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de) EGA = Ernestinisches Gesamtarchiv eigh. = eigenhändig Entw. = Entwurf FB = Forschungsbibliothek gest. = gestorben HAAB = Herzogin Anna Aemilia Bibliothek HAB = Herzog August Bibliothek HCh = Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchenge- schichte, Leipzig 1957ff. HStA = Hessisches Staatsarchiv Loc. = Locat LStRLO = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der lutheri- schen Orthodoxie, Leipzig 2002ff. MBW.R = Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamt- ausgabe. Regesten. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaf- ten, hrsg. von Heinz Scheible, Bd. 1ff., Stuttgart-Bad Cannstatt 1977ff.

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Abkürzungen

MBW.T = Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamt- ausgabe. Texte. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Heinz Scheible, Bd. 1ff., Stuttgart-Bad Cannstatt 1991ff. MLStA = , Studienausgabe, hrsg. v. Hans-Ulrich Delius, 6 Bde., 1979–1999. MWA = Melanchthons Werke in Auswahl, hrsg. v. Robert Stupperich, 7 Bde., Gütersloh 1951–1975. ngw. = nachgewiesen o.D. = ohne Datum o.O. = ohne Ort PKMS = Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, 6 Bde., hrsg. v. Erich Brandenburg/Johannes Herrmann/Günther Wartenberg, Berlin 1900, 1982–2006. Reg. = Registrande s. = siehe SB = Staatsbibliothek SHStA = Sächsisches Hauptstaatsarchiv SLUB = Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek SPP = Scripta Publice Proposita a Professoribus in Academia Vuitebergensi ab anno 1540. [–1569], 7 Bde., Wittenberg 1553–1572 (VD16 W 3758–3765, ZV 15568–15570) SS = Sommersemester SUB = Staats- und Universitätsbibliothek ThHStA = Thüringisches Hauptstaatsarchiv ThULB = Thüringische Landes- und Universitätsbibliothek UB = Universitätsbibliothek ULB = Universitäts- und Landesbibliothek VD16 = Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, 22 Bde., Stuttgart 1983–2000, auch aktualisierte on- line-Ausgabe unter der URL: http://www.vd16.de VD17 = Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts, online-Ausgabe unter der URL: http://www.vd17.de WS = Wintersemester

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der vergessene Nachfolger von Johannes Bugenhagen und Philipp Melanchthon in Wittenberg Bericht und Ausblick über die Forschung zu Paul Eber

Von Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Paul Eber gehört zu den wichtigsten Kontinuitätsträgern der fundamenta- len Veränderungen in Theologie, Frömmigkeit und Bildung, die Martin Lu- ther und Philipp Melanchthon von Wittenberg aus initiierten und verwirk- lichten. Wirkungsgeschichtlich befand sich Eber an einer Schnittstelle der Wittenberger Reformation: Er agierte noch direkt mit den großen Gestal- tern der ersten Generation, gehörte aber zugleich zu den entscheidenden Trägern und Fortführern der Reformen in der zweiten Generation.

I. Aufstieg zum zentralen Akteur in Wittenberg

Der am 8. November 1511 in Kitzingen geborene Sohn eines Hofschnei- ders wurde 1532 an der Leucorea immatrikuliert, nachdem er die Latein- schulen in seiner Heimatstadt und in der Residenzstadt Ansbach sowie die Lorenzschule und das von Melanchthon nach humanistischen Bildungs- idealen geprägte Egidiengymnasium in Nürnberg besucht hatte. Nach der Promotion zum Magister 1536 und einer mehrjährigen Lehrtätigkeit an der neu strukturierten Philosophischen Fakultät nahm er zunehmend au- ßeruniversitäre Aufgaben wahr. So holten beispielsweise Pfarrer aus der Markgrafschaft Brandenburg- Ansbach Ende 1554 ein Gutachten von Melanchthon und Eber zu einem Streit um die Elevation der Hostie beim Abendmahl ein.1 Zudem führte

1 Vgl. MBW, Nr. 7357–7358. Melanchthon und Eber an den Statthalter und die Räte in Ansbach, [Wittenberg], 13. Dezember 1554; MBW, Nr. 7359-7360. Melanchthon und Eber an Sebastian Stiller in Gunzenhausen und Georg Schack in Wasser- trüdingen, [Wittenberg], 13. Dezember 1554. Zu diesem Streit im Zusammenhang

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Eber gemeinsam mit Johann Forster die dritte Generalvisitation in Kur- sachsen 1555/56 durch, deren Instruktion auf ein gemeinsames Gutach- ten der dienstältesten Wittenberger Theologen Melanchthon, Bugenhagen, Major und Forster sowie des Leipziger Superintendenten Pfeffinger zu- rückging. Auf der Grundlage ihrer protokollierten Erkundigungen und Er- kenntnisse erließ Kurfürst August von Sachsen eine umfassende Kirchen- ordnung.2 Diese Beispiele unterstreichen zugleich, dass Eber, der damals die Professur für Physik innehatte, auch als Theologe wirkte, lange bevor er einen akademischen Grad an der ranghöchsten Fakultät erwarb. Dieses allgemein verbreitete Phänomen war eine Folge der von Luther und insbe- sondere Melanchthon in den 1520er Jahren initiierten Bildungsreformen an der Leucorea, die Theologie zum wichtigen Bestandteil des Grundstudi- ums jedes Studenten gemacht hatten.3 Ab Ende der 1550er Jahre findet sich Ebers Unterschrift grundsätzlich auch unter kollektiven Gutachten der Wittenberger Theologen.4 Nach dem Tod von drei der bedeutendsten Vertreter der ersten Refor- matoren-Generation übernahm Eber mit erstaunlicher Selbstverständlich- keit deren bisherige Aufgaben. So trat er zunächst 1557 die Ämter des mit der Neugestaltung der Kirchenagende nach der Abschaffung des Augsburger Interims vgl. KARL SCHORNBAUM, Das Interim im Markgraftum Brandenburg-Ans- bach (Schluß), in: BBKG 14 (1908), 101–126. 2 Zur Visitation mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Superintendentur Leipzig vgl. HEIKO JADATZ, Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts, HCh Sonder- band 10, Leipzig 2007, 102–110. Zur Visitation insbesondere im sächsischen Kur- kreis vgl. Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen Kur- kreise, bearb. v. KARL PALLAS, 1. Abt.: Allgemeiner Teil, Halle 1906, 48–86; CHRISTIAN AUGUST SALIG, Vollständige Historie der Augsburgischen Confession und derselben zugethanen Kirchen, Bd. 3, Halle 1735, 655f. mit Anm. c; EKO 1/1, Nr. 31, 311–316. 3 Vgl. DANIEL GEHRT, Die Harmonie der Theologie mit den studia humanitatis. Zur Rezeption der Wittenberger Bildungskonzeption in Jena am Beispiel der Pfarraus- bildung, in: MATTHIAS ASCHE u.a. (Hrsg.), Institutionen und Formen gelehrter Bil- dung um 1550. Die Leucorea zur Zeit des »späten« Melanchthon, demnächst bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig. Irreführende Behauptungen wie die fol- gende sind einer weit verbreiteten mangelnden Kenntnis der damaligen Studien- verhältnisse geschuldet: »1559 wurde er [d.h. Eber], von Melanchthon ermuntert, in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert und war seit 1560 Senatsmit- glied der Theol. Fakultät, ohne je Theologie studiert zu haben«. JENS WOLFF, Art. Eber, Paul, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftli- ches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/Boston 2012, 181–186, hier 181f. 4 Vgl. dazu ARMIN KOHNLE, Wittenberger Autorität. Die Gemeinschaftsgutachten der Wittenberger Theologen als Typus, in: IRENE DINGEL/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wieder- kehr des Gründungsjahres der Leucorea, LStRLO 5, Leipzig 2002, 189–200.

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der vergessene Nachfolger langjährigen Professors der hebräischen Sprache und Schlosspredigers Jo- hann Forster an, der an der deutschen Übersetzung des Alten Testaments beteiligt gewesen war. Als Johannes Bugenhagen, der sich insbesondere bei der Neustrukturierung der Schulen und Kirchen in mehreren nord- deutschen Städten und Territorien nach dem Wittenberger Modell Ver- dienste erworben hatte, 1558 starb, wurde Eber an seiner Stelle zum Stadt- pfarrer und Generalsuperintendenten des sächsischen Kurkreises gewählt. Melanchthon ermutigte ihn in dieser Zeit zur Promotion, da es an Doktoren in der Theologischen Fakultät mangelte. Am 7. Dezember 1559 erlangte Eber diese akademische Würde und wurde am 2. März 1560, ei- nen Monat vor dem Tod seines Mentors, in die Fakultät aufgenommen. Da Bugenhagen und Melanchthon regelmäßig theologische Vorlesungen ge- halten hatten, wurde Eber nunmehr auch in dieser Hinsicht zu ihrem Nachfolger. Er übernahm unter anderem die von Melanchthon eingeführ- ten und rasch beliebt gewordenen Vorlesungen zu den Sonntagsevange- lien.5 Zudem avancierte Eber unmittelbar nach dem Tod des Praeceptor Ger- maniae zum Zentralberater in Wittenberg für theologische, kirchenpolitische, liturgische und seelsorgerische Fragen sowie für Perso- nalempfehlungen für geistliche, schulische und akademische Ämter in- und außerhalb Kursachsens.6 Eber, der sein Leben lang mit gesundheitli- chen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, starb 1569 in Wittenberg mit 58 Jahren. Seine Zugehörigkeit zum Wittenberger Autoritätskollektiv und seine führende Position in den 1560er Jahren spiegeln sich in verschiedenen

5 Vgl. STEFAN MICHEL, Die Sonntagsvorlesungen Philipp Melanchthons. Vom akade- mischen Vortrag zum homiletischen Hilfsmittel, in: IRENE DINGEL/ARMIN KOHNLE (Hrsg.), Philipp Melanchthon. Lehrer Deutschlands, Reformator Europas, LStRLO 13, Leipzig 2011, 177–190, hier 182f. 6 Theodor Pressel bringt Ebers umfangreiche Gutachtertätigkeit irrtümlich mit ei- nem angeblichen Amt als Konsistorialassessor in Verbindung. Vgl. THEODOR PRES- SEL, Paul Eber. Nach gleichzeitigen Quellen, Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche, 8. Supplementteil, Elberfeld 1862, 48–59. Walter Thüringer behauptet ohne Quellenangabe, dass Eber 1546 in das Wittenberger Konsistorium berufen worden sei. Vgl. WALTER THÜRINGER, Paul Eber (1511–1569). Melanchthons Physik und seine Stellung zu Copernicus, in: HEINZ SCHEIBLE (Hrsg.), Melanchthon in seinen Schülern, Wiesbaden 1997, 285–321, hier 290. Gleichwohl sich die von Eber ausgeübten Kompetenzen mit denen des Wit- tenberger Konsistoriums zum Teil überschnitten, war er kein Mitglied dieser Ein- richtung. Vgl. die Abschnitte über die Personalia des Konsistoriums in: RALF FRA- SSEK, Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit. Der Aufbau neuer Rechtsstrukturen im sächsischen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums, Tübingen, 2005, 102–115, 133–144.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer schriftlichen und bildlichen Zeugnissen der zeitgenössischen Erinne- rungskultur wider. Seit den 1540er Jahren sammelten Studenten Bibel- spruchauslegungen von Wittenbergs theologischer Elite in eigenen Buch- exemplaren mit zusätzlichen Vor- und Nachsatzblättern.7 In überlieferten Exemplaren dieser frühen Stammbuchkultur stehen eigenhändige Ein- zeichnungen von Eber ganz selbstverständlich neben jenen von Melan- chthon, Bugenhagen, Major und Forster, wie die Alben des in Wittenberg studierenden Predigers Wolfgang Ruprecht8 und des Schössers in Gräfen- hainichen Maternus Apianus mit Einträgen aus den Jahren 1550 bzw. 1555/56 belegen.9 Ebenfalls 1556 ist Eber in einer Reihe von Blättern mit entsprechenden Einträgen und kolorierten Holzschnitten vertreten, die aus einer Bibel herausgelöst und im Zusammenhang mit dem Reforma- tionsjubiläum 1717 in eine repräsentative Autographensammlung für Her- zog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg aufgenommen wurden.10 Be- zeichnend für alle drei Fälle ist, dass Autographen von Eber gesammelt wurden, obgleich er im Unterschied zu den anderen Beiträgern noch nicht Mitglied der Theologischen Fakultät war. Eber verstand sich als direkter Schüler Luthers, Bugenhagens und Me- lanchthons und bemühte sich im September 1556, dieses Selbstbild an die ferne Nachwelt weiterzugeben. Als zwischen 1555 und 1558 die Turmspit- zen der Wittenberger Pfarrkirche wiederhergestellt wurden, veranlasste

7 Vgl. WOLFGANG KLOSE, Corpus Alborum Amicorum. Ein Bericht über die Sammlung und Beschreibung von Stammbüchern der frühen Neuzeit, in: Internationales Ar- chiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 10 (1985), 154–169, hier 162f.; WA 48, X–XIII. 8 Vgl. HANS-PETER HASSE, Wittenberger Theologie im »Stammbuch«. Eintragungen Wittenberger Professoren im Album des Wolfgang Ruprecht aus Eger, in: MICHAEL BEYER/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Me- lanchthon am 16. Februar 1997, Leipzig 1996, 88–120, Edition der Bucheinzeich- nung Ebers: 114–116. 9 HAAB Weimar, Oct princ 2. Edition der Bucheinzeichnung Ebers im Anhang Nr. 1. 10 FB Gotha, Chart. A 379, 54r–58v. Vgl. den Vermerk des damaligen Direktors der Herzoglichen Bibliothek in Gotha Ernst Salomon Cyprian, in: ebd., 67r: Quinque folia postrema, quibus habentur ἰδιόγραφα Melanchtonis, G. Maioris, Eberi, Forsteri et Pomerani e bibliis cuiusdam resecta et huc conlata sunt. Obtinuit enim mos horum vivorum ætate, ut bibliarum possessores quaedam horum doctorum manu in- scribenda curarent ad perpetuam repurgatae religionis memoriam. Abdruck der Ein- träge von Melanchthon und Bugenhagen in: CR 8, Nr. 5361, 59–61; Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel, hrsg. v. OTTO VOGT, Stettin 1888, Nr. 294, 570. Edition der Bucheinzeichnung Ebers im Anhang Nr. 2.

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der vergessene Nachfolger der Stadtrat, dass mehrere Zeitzeugnisse, insbesondere mit lokalem Be- zug, für künftige Generationen in den südlichen Turmknauf eingelegt wür- den.11 Dazu gehörten neben Drucken, Münzen und Medaillen eine autogra- phe Druckvorlage für die Widmungsvorrede zu Luthers 1530 erschienener Schrift »Das Schöne Confitemini an der Zahl der 118. Psalm«,12 eine eigen- händig von Melanchthon verfasste Denkschrift über die Stadt Wittenberg13 sowie eine von Eber angefertigte Abschrift der letzteren mit dem Vermerk am Schluss: Hanc alteram chartam scripsit Paulus Eberus Kitthingensis, au- ditor D. Martini Lutheri annos 14, D. Bugenhagii Pomerani et Philippi Me- lanthonis annos 24, Septembris die 15. Anno 1556, cuius mense Martio et Aprili flagrauit cometes.14 Auch in bildlichen Darstellungen fand Eber immer wieder einen festen Platz im Wittenberger Reformatorenkreis. Eine Tischszene mit Johann Forster, Johannes Bugenhagen, , Martin Luther, Philipp Me- lanchthon, Paul Eber und Caspar Cruciger schmückt zum Beispiel das Ti- telblatt der 1567 erschienenen Frankfurter Ausgabe von Luthers Tischre- den.15 Heute sind keine von Eber angefertigten Mitschriften von Reden Luthers überliefert, wobei sich Abschriften aus Sammlungen anderer in Ebers Nachlass befinden.16 Das Bild ist keine historische Momentauf- nahme, sondern der Versuch, die nach Luther und Melanchthon weiterhin für Wittenberg in Anspruch genommene theologische Autorität zu legiti- mieren.17 Als entscheidender Kontinuitätsträger war der junge Eber im Bild des engsten Kreises um Luther unverzichtbar.

11 Vgl. NIKOLAUS MÜLLER, Die Funde in den Turmknäufen der Stadtkirche zu Wit- tenberg, Magdeburg 1912. 12 Vgl. WA 31I, 36. 13 Abdruck in: MÜLLER, Funde (s. Anm. 11), Nr. 2, 12–15 = MBW, Nr. 7952. 14 Ebd., 15. 15 MARTIN LUTHER: COLLOQVIA Oder Tischreden Doctor Martini Lutheri/ so er in vielen jaren/ die Zeyt seines Lebens/ gegen Gelehrten Leuthen/ auch hin vnd wi- der bey frembden Gesten/ vnd seinen Tischgesellen geführet ... Durch Herrn Jo- hann Aurifaber. ..., Frankfurt/Main: Peter Schmidt, 1567 (VD16 L 6751). Beschrie- ben bei: JOHANNES SCHILLING, Bibliographie der Tischreden-Ausgaben, in: WA 59, 747–780, hier 764f, Nr. 6. 16 FB Gotha, Chart. A 94, 114r–126v und vermutlich auch Chart. B 79. Vgl. dazu DANIEL GEHRT, Tischreden in der Handschriftensammlung der Forschungsbiblio- thek Gotha, in: KATHARINA BÄRENFÄNGER/VOLKER LEPPIN/STEFAN MICHEL (Hrsg.), Mar- tin Luthers Tischreden. Neuansätze der Forschung, SMHR 71, Tübingen 2012, 191–219, hier 207f. 17 Vgl. grundlegend dazu HANS-PETER HASSE, Luther und seine Wittenberger Freunde. Zum Erscheinungsbild einer Gruppe in der Kunst und Publizistik des 16. Jahrhunderts, in: Wartburg-Jahrbuch, Sonderband 1996, 84−119.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

Auch Bucheinbände zeugen von der Breitenwirkung, die Zeitgenossen Eber beimaßen. Sein Porträt befindet sich zusammen mit denen drei wei- terer Wittenberger Theologen in Ovalen an den Ecken zweier ähnlich ge- stalteter Platten, die jeweils das gesamte Mittelfeld eines Oktavbands aus- füllen. In beiden Fällen stehen Luther und Melanchthon oberhalb des zentralen Motivs des betenden Königs David. Auf der einen Platte, die nachweislich 1568 verwendet wurde, werden die beiden damals führen- den Wittenberger Theologieprofessoren Paul Eber und Georg Major in der unteren Reihe porträtiert.18 Auf der anderen Platte, die nachweislich 1584, also fünfzehn bzw. zehn Jahre nach dem Tod Ebers und Majors, verwendet wurde, ist Eber in der unteren Reihe neben Bugenhagen abgebildet (Abb. 1).19 Hier wird retrospektiv an die zentrale Stellung Ebers in Wittenberg – und auffälligerweise nicht an die von Jonas, Cruciger, Forster oder Major – erinnert. Nach seinem Tod wurde Eber monumentalisiert, indem Lukas Cranach d. J. ihn auf dessen Epitaph in der Wittenberger Pfarrkirche prominent zur Rechten Luthers in den »Weinberg des Herrn« platzierte.20 In den postum erschienenen Auflagen des publizistisch sehr erfolgreichen Calendarium historicum von Eber wurde er durch einen tabellarischen Vergleich seiner Lebensdaten mit denen Luthers und Melanchthons implizit als »der dritte Reformator« gedeutet.21 Schließlich würdigte der Wittenberger Professor Balthasar Mencius, der 1565 an der Leucorea immatrikuliert worden war, Eber durch eine Rede, die er 1580 als Dekan anlässlich der Verleihung der Magisterwürde an 32 Studenten in Wittenberg hielt und veröffentlichte.22 Diese Beispiele zeigen, dass in den Augen der Zeitgenossen das »Reforma- tionsereignis« nicht mit Melanchthon endete, sondern in Eber seine Fort- setzung fand.

18 Die Platte (EBDB p001575) stammt aus der Werkstatt Andreas Vickers in Leipzig und wurde nachweislich für Nikolaus Selneckers 1568 in Leipzig erschienene Schrift »Die Propheten Oseas/ Joel/ vnd Micheas« (VD16 ZV 1794) verwendet. Exemplar einst in: SLUB Dresden, Exeg. B. 752 (Kriegsverlust). 19 Die Platte (EBDB p002953) stammt aus einer unbekannten Werkstatt und wurde nachweislich für ein Exemplar des 1584 in Wittenberg erschienenen Katechismus in slowenischer Sprache von Primož Trubar (VD16 ZV 2947) verwendet. Exemplar in: BSB München, ESlg/Asc. 998. 20 Siehe dazu den Beitrag von DOREEN ZERBE im vorliegenden Band. 21 Siehe dazu den Beitrag von HANS-PETER HASSE im vorliegenden Band. 22 BALTHASAR MENCIUS, ORATIO DE VITA REVERENDI ET CLARISSIMI VIRI, D. PAVLI EBERI KITTINGENSIS, VErae Theologiae Doctoris, Professoris & Pastoris Ecclesiae VVitebergensis ..., Wittenberg: Erben Johann Kraffts d. Ä., 1581 (VD16 ZV 18118). Sie wurde 1606 in einer Sammlung von Reden und Schriften des Mencius nachge- r v druckt: (VD17 32:634703H), E2 –G5 . MEINOLF VIELBERG geht in seinem Beitrag zum vorliegenden Band ausführlich auf diese Rede ein.

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der vergessene Nachfolger

Abb. 1: Platte mit Porträts von Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Eber (EBDB p002953).

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer

II. Dem kulturellen Gedächtnis entfallen

Trotz seiner zentralen Bedeutung geriet Eber bereits eine Generation nach seinem Tod weitgehend in Vergessenheit. Dieses Phänomen ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, die auf die Pflege der Erinnerung an ihn im kulturellen Gedächtnis ungünstig wirkten. Zum einen erscheint Eber erst nach den großen, Aufsehen erregenden Ereignissen, die zu Leuchttürmen der Reformationsgeschichtsschreibung geworden sind, wie etwa dem »Thesenanschlag«, der »Leipziger Disputation«, dem Reichstag zu Worms, den »Wittenberger Unruhen«, dem »Bauernkrieg« und der Überreichung der Confessio Augustana an Kaiser Karl V. durch die protestantischen Stände auf dem Augsburger Reichstag 1530 auf der Bühne der Geschichte. Selbst die Luther-Forschung tendiert erst in jüngster Zeit dazu, auch den letzten Wirkungsjahren des Reformators angemessene Aufmerksamkeit zu zollen.23 Zum anderen veröffentlichte Eber im Unterschied zu Luther, Melan- chthon, Bugenhagen, Jonas und Major nur eine Handvoll Schriften.24 Ein Großteil von ihnen diente Bildungszwecken und der Frömmigkeitspra- xis. Zum publizistischen Schaffen Ebers gehören ein zusammen mit Me- lanchthon verfasstes Lehrbuch der Physik, eine Geschichte des jüdi- schen Volkes nach dem Babylonischen Exil, ein historischer Tageskalender, eine Übersetzung der deutschen Bibel Luthers ins Latei- nische, ein lateinisches Chorbuch und einzelne geistliche Lieder sowie Vorreden und Gelegenheitsgedichte. Eber veröffentlichte nur ein einzi- ges umfassendes theologisches Werk und zwar im Streit um die Abend- mahlslehre. Das Wirken Ebers kann jedoch ebenso wenig allein an der Zahl seiner Schriften gemessen werden wie etwa das von Conradus Muti- anus Rufus, einem der bedeutenden deutschen Humanisten vom Anfang des 16. Jahrhunderts, der es sich zum Prinzip gemacht hatte, nicht durch Publikationen an die Öffentlichkeit zu treten.25 In der Überlieferung zu beiden Persönlichkeiten stellen vielmehr Briefe und für Eber auch Gut- achten den Hauptzugang zu Leben und Wirken dar. Zum dritten – und dies erklärt zumindest teilweise die sehr über- schaubare Publikationsliste – hielt sich Eber so weit wie möglich aus den

23 Vgl. ALBRECHT BEUTEL (Hrsg.), Luther Handbuch, Tübingen 2005, 32. 24 Siehe die von FRANZISKA KÖNIG erstellte Bibliographie im vorliegenden Band. 25 Vgl. zuletzt dazu CHRISTOPH FASBENDER (Hrsg.), Conradus Mutianus Rufus und der Humanismus in Erfurt. Katalog zur Ausstellung der Forschungsbibliothek Go- tha auf Schloss Friedenstein, Gotha 2009.

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der vergessene Nachfolger theologischen Kontroversen seiner Zeit heraus. Auf provozierende Pole- mik nicht zu reagieren und somit der Fortsetzung des Streits den Nähr- boden zu entziehen, war eine bewusste Strategie, die auch Melanchthon anwendete und es ihm im Unterschied zu Major, dem Namensgeber für den in den 1550er Jahren vehement diskutierten »Majoristischen Streit«, ermöglichte, als Vermittler zu agieren und ab 1560 als Hauptvertreter der Wittenberger Theologie nach außen zu wirken.26 Eber war uneitel, konziliant und außerordentlich kompetent, so dass er als stiller, jedoch einflussreicher Akteur der Wittenberger Reformation auftreten konnte. Durch seine friedenstiftenden Bemühungen erregte er im Vergleich zu äußerst streitbaren Theologen wie Matthias Flacius Illyricus erheblich weniger Aufsehen, sowohl damals als auch später in der Historiographie, die eine – häufig der Überlieferung geschuldete – Vorliebe für Konflikt- fälle hegt. Zum vierten sind einige der von Eber wahrgenommenen Kompeten- zen mit besonders weitreichender Wirkung schwer greifbar, da sie nicht unter einem spezifischen Amt mit Titel subsumiert waren. Die zentrale Position Ebers in Wittenberg, die Luther und Melanchthon vor ihm aus- geübt hatten, war weder durch Universitätsstatuten noch durch Kirchen- oder landesherrliche Ordnungen rechtlich bindend verankert, sondern sie erwuchs aus der zunehmenden Bedeutung der Stadt als Bildungs- stätte und theologisches Reformzentrum für evangelische Städte und Territorien innerhalb und außerhalb des Reichs.27 Man wendete sich an die prominentesten Vertreter der Kirche und Universität in Wittenberg mit verschiedenen theologischen, religionspolitischen, kirchenorganisa- torischen und eherechtlichen Fragen sowie mit Empfehlungen und Bitten um die Vermittlung von Personen. Diese vielfältige und umfassende be- ratende Tätigkeit ließe sich nur durch eine groß angelegte Detailstudie handschriftlicher Briefe und Akten rekonstruieren und angemessen be- urteilen. All diese Faktoren förderten kein nachhaltiges Andenken, son- dern lediglich eine schmale, selektive Rezeption Ebers in der Historio- graphie der folgenden Jahrhunderte.

26 Siehe dazu die Beiträge von DANIEL GEHRT und VOLKER LEPPIN im vorliegenden Band. 27 Lediglich die allgemeine Beraterfunktion der Wittenberger Professoren für den Landesherrn ist in den Universitätsstatuten formuliert. Vgl. KOHNLE, Wittenberger Autorität (s. Anm. 4), 194f.

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III. Ältere und neuere Forschung zu Paul Eber

Wo die Erinnerung wach gehalten wurde, fand die Forschung immer wie- der Anregungen. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass die erste mo- derne Biographie über Eber in seiner fränkischen Heimat entstand.28 Sie wurde von dem Kitzinger Stadtpfarrer Johann August Christian Kaiser inspiriert, der 1837 eine Synode in Kitzingen mit einer Rede zu Ehren Ebers – »der Stolz und die Zierde unserer Stadt« – eröffnete.29 Mit Ver- weis auf diese Rede veröffentlichte der Ansbacher Pfarrer Christian Heinrich Sixt 1843 seine Monographie über Eber, in der er insbesondere Quellenmaterial aus dem Stadtarchiv in Kitzingen auswertete und 47 dort aufbewahrte Briefe aus der Korrespondenz zwischen Eber und dem Ratsherrn Friedrich Bernbeck sowie dem Stadtrat im Anhang edierte.30 Sixt konnte Voigts »Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeit- alters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen« von 1841 mit dort referierten Eber-Briefen31 nicht in seine Darstellung einarbeiten und ihm stand weder das vollendete Corpus Reformatorum noch der Haupt- nachlass Ebers in der damals Herzoglichen Bibliothek Gotha zur Verfü- gung.32 Seine zweite Eber-Biographie von 1857, die inhaltlich komple- mentär zur ersten angelegt ist, basiert ausschließlich auf dem Gothaer Hauptnachlass, den der damalige Bibliotheksdirektor August Beck Sixt

28 Vgl. den Überblick über die bisherige Forschung zu Eber in: MARTIN RIEGEL, Stu- dienförderung in Kitzingen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg, Schriften des Stadtarchivs Kitzingen 7, Kitzingen 2006, 237f., Anm. 589. 29 Reden und Festpredigten des Dr. Joh. Aug. Christ. Kaiser, königl. Dekanatsver- wesers, Distriktsschulinspektors und ersten protestant. Stadtpfarrers in Kitzin- gen. Nach dessen Tod zum Andenken für Freunde, hrsg. v. HEINRICH SCHMIDT, Er- langen 1840, 1–17, hier 3. 30 CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Dr. Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformations-Zeitalters, Mit XLIX Original=Urkunden, Heidelberg 1843. 31 JOHANNES VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Re- formation mit Herzog Albrecht von Preußen. Beiträge zur Gelehrten-, Kirchen- und politischen Geschichte des 16. Jahrhunderts, aus Originalbriefen dieser Zeit, Kö- nigsberg 1841. 32 Der Gothaer Bibliotheksdirektor und Kirchenrat Ernst Salomon Cyprian hatte zwar die Handschriftenbände dieser und zahlreicher anderer Provenienzen in sei- nem 1714 erschienenen Katalog kursorisch beschrieben. Sixt scheint jedoch keine Kenntnis von diesen Beständen gehabt zu haben. Vgl. ERNST SALOMON CYPRIAN, Ca- talogus Codicum Manuscriptorum Bibliothecae Gothanae, Leipzig 1714, Nr. XCIII– XCIV, 62f; Nr. CXXI–CXXVI, 67–69; Nr. XXV, 114; Nr. LXXXIV, 122.

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der vergessene Nachfolger zugänglich gemacht hatte.33 Auf den grundlegenden Arbeiten Sixts auf- bauend, verfasste Theodor Pressel fünf Jahre später eine quellennahe Darstellung von Eber für die Reihe »Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der lutherischen Kirche«.34 An der Wende zum 20. Jahrhundert bemühte sich der sächsische Pfarrer und Lutherforscher Georg Buchwald darum, Eber durch eine po- pulärwissenschaftliche Biographie zu breiterer Aufmerksamkeit zu ver- helfen,35 während Gustav Kawerau den Artikel in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirchengeschichte« verfasste, der bis heute als wichtige Grundlage für Kurzdarstellungen von Ebers Leben und Wirken dient.36 Seine anhaltende Bedeutung hat der Artikel nicht allein seiner hohen Qualität zu verdanken, sondern ist auch dadurch be- dingt, dass in den 1982 erschienenen neunten Band der »Theologischen Realenzyklopädie« (Dionysius Exiguus – Episkopalismus) kein Beitrag zu Eber aufgenommen wurde. Gemessen an ihrer bisherigen Rezeption scheinen die großen Ver- dienste des evangelisch-unierten Pfarrers und Kirchenhistorikers Theo- dor Wotschke um die Veröffentlichung zahlreicher Briefe aus der Kor- respondenz Ebers zwischen 1912 und 1933 fast unbemerkt geblieben zu sein.37 Das liegt zum Teil darin begründet, dass sie in einer Vielzahl klei- nerer und größerer Zeitschriftenbeiträge zerstreut und zum Teil schwer

33 CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jah- ren 1532 bis 1569, Ansbach 1857. 34 PRESSEL, Eber (s. Anm. 6). 35 GEORG BUCHWALD, D. Paul Eber, der Freund, Mitarbeiter und Nachfolger der Re- formatoren. Ein Bild seines Lebens und Wirkens, Leipzig 1897. 36 3 GUSTAV KAWERAU, Art. Eber, Paul, in: RE Bd. 15, 1904, 118–121. Der ältere Arti- kel von ADOLF BRECHER, in: ADB Bd. 5, 1877, 529–531, ist sehr knapp gehalten. Nach Kawerau sind folgende Artikel über Eber erschienen: WILHELM LUEKEN, in: 3 RGG Bd. 2 1958, 296; ROBERT STUPPERICH, in: NDB Bd. 4, 1959, 225; FRIEDRICH WIL- HELM BAUTZ, in: BBKL Bd. 1, 1990, 1441f; MARILYN J. HARRAN, in: OER Bd. 2, 1996, 17; WOLFRAM STEUDE, in: Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch. Bd. 2: Kom- ponisten und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs, hrsg. v. WOLFGANG 4 HERBST, Göttingen 1999, 80f; HEINZ SCHEIBLE, in: RGG Bd. 2 1999, 1040; ders. unter Mitwirkung von CORINNA SCHNEIDER, in: MBW Bd. 11, 2003: Personen A–E, 377– 379; ders., in: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes Bd. 3, 2008, 149; JENS WOLFF, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 1520–1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 2, Berlin/Boston 2012, 181–186. 37 Die Beiträge Wotschkes werden beispielsweise in Riegels sonst sehr ausführli- chem Forschungsüberblick nicht erwähnt. Vgl. RIEGEL, Studienförderung (s. Anm. 28), 237f, Anm. 589.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer zugänglich sind.38 Diese Studien, die verschiedene kirchenhistorische Aspekte unter anderem zu Wittenberg, Niedersachsen, Franken, Pom- mern, Schlesien, Preußen, Polen, Litauen, Böhmen und Mähren behan- deln, stecken einen Großteil von Ebers Wirkungsraum ab. Als bester Kenner der Netzwerke Ebers und der Inhalte seines Briefwechsels ver- trat Wotschke bereits früh die zentrale These von Eber als Nachfolger Melanchthons: »Nach dem Tode Melanchthons war Paul Eber das Haupt der Wittenberger Theologen. Auf ihn sah man, soweit die Geltung der Leucorea ging, an ihn wandte man sich in persönlichen Angelegenheiten

38 THEODOR WOTSCHKE, Briefe aus Schlesien an Paul Eber, in: Korrespondenzblatt des Vereins für Geschichte der Evangelischen Kirche Schlesiens 13 (1912), 1–55 (35 Briefe aus der Korrespondenz zwischen Eber einerseits und Ambrosius Moiban, Lorenz Steinberg, Johann Gigas, Heinrich Paxmann, Samuel Jauch, Hieo- ronymus Haunold, Anna Ziegler, Leonard Krentzheim, Adam Kuräus, Johann Scholtz, Petrus Vincentius, Johann Clajus, Sigismund Schwevus, Joachim Rüdiger, Johann Aurifaber, Salomon Frenzel, Esaias Heidenreich und Christoph Stark an- dererseits aus FB Gotha, Chart. A 123, A 126–128); ders., Wittenberg und die Uni- tarier Polens. I., in: Archiv für Reformationsgeschichte 14 (1917), 123–152 (Aus- zug aus einem Brief von Matthias Gittich an Eber [132f., Anm. 3]); ders., Georg Weigel. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte Altpreussens und Lithauens, in: ARG (1922), 22–47 (Auszüge aus mehreren Briefen aus der Korrespondenz Ebers in den Anmerkungen); ders., Ein Sammler von Melanchthonbriefen, in: ARG 20 (1923), 65–67 (ein Brief von Eber und Kaspar Peucer an die Grafen von Nassau und Katzenellenbogen 1561 aus FB Gotha, Chart. A 125); ders., Aus dem Brief- wechsel des Stettiner Pfarrers Kogler, in: ARG 21 (1924), 90–94 (3 Briefe von Jo- hann Kogler an Eber aus FB Gotha, Chart. A 126); ders., Paul Ebers Beziehungen zu Niedersachsen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchenge- schichte 29 (1924), 9–37 (15 Briefe von und an Eber aus FB Gotha, Chart. A 123, A 125–128); ders., Der Trübauer Superintendent Satbauch, in: ARG 23 (1926), 261–268 (3 Briefe von Johann Satbauch an Eber 1564/65 aus FB Gotha, Chart. A 126 und ein Auszug aus einem Brief von Eber an Ambrosius Claviger 1563 aus FB Gotha, Chart. A 125); ders., Markgräflich ansbachsche Stipendiaten in Wittenberg, in: ZBKG 2 (1927), 197–207 (2 Briefe von Eber an Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach aus FB Gotha, Chart. A 125); ders., Eine verschollene latei- nische Uebersetzung von Luthers Liedern, in: ARG 24 (1927), 99–117 (9 Briefe aus der Korrespondenz zwischen Georg Ämilius und Eber aus FB Gotha, Chart. A 125–126); ders., Urkunden zur Reformationsgeschichte Böhmens und Mährens, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 2 (1929), 117– 166 (13 Briefe aus Ebers Korrespondenz aus FB Gotha, Chart. A 124–126); ders., Ein Trostbrief Paul Ebers an Adolf von Strahlen in Köln, 15. Juni 1563, in: Monats- hefte für rheinische Kirchengeschichte 25 (1931), 95f. (aus FB Gotha, Chart. A 126); ders., Paul Ebers märkischer Freundeskreis I–II, in: ARG 28 (1931), 242– 259; 29 (1932), 18–34 (18 Briefe aus der Korrespondenz Ebers überwiegend aus FB Gotha, Chart. A 123, A 126); ders., Paul Eber an Graf Raphael von Lissa, in: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 25 (1933), 228f. (Brief von 1561 aus FB Gotha, Chart. A 128).

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der vergessene Nachfolger und in kirchlichen«.39 Da Wittenberg nach dem Tod Melanchthons kaum etwas von seiner zentralen Position als protestantische Bildungs- und Ordinationsstätte sowie als Anlaufpunkt für Anfragen nach theologi- schen und kirchenrechtlichen Gutachten und nach Personalempfehlun- gen für Kirchen und Schulen einbüßte, eröffnet diese Erkenntnis neue Forschungsperspektiven und verdeutlicht die europäische Dimension von Ebers Wirkung. Sie hat jedoch in den Studien zu Eber aus dem letz- ten Jahrhundert kaum Widerhall gefunden. Stattdessen rückten meist Themen von aktuellem öffentlichem Interesse in den Blickpunkt neuerer Veröffentlichungen. So ist Eber heute in erster Linie als Liederdichter bekannt. Bereits zu Lebzeiten genoss das Lied »Herr Jesu Christ, wahr‘ Mensch und Gott«, das er anlässlich des Todes eines seiner Söhne 1560 dichtete, so große Beliebtheit, dass es in Latein, Griechisch, Niederdeutsch und Schwedisch umgedichtet und häufig in Gesang- und Gebetbücher sowie Leichenpre- digten aufgenommen wurde.40 Bis in die jüngste Zeit hinein ist seine Dichtung im Lieder-Repertoire der evangelischen Kirchengemeinden präsent. Entsprechend der allgemeinen Bekanntheit dieses Wirkungsfel- des beschäftigte sich ein Großteil der Studien zu Eber in den letzten 60 Jahren mit dieser Thematik.41 Gleichermaßen wurden Ebers mehrfach aufgelegtes und ins Deutsche übersetzte Calendarium historicum,42 das von Lukas Cranach d. J. gemalte Epitaph für Eber43 – heute eine wichtige

39 WOTSCHKE, Ebers Beziehungen zu Niedersachsen (a. a. O.), 9. 40 Siehe die von FRANZISKA KÖNIG erstellte Bibliographie im vorliegenden Band. 41 WALTER GRUNDMANN, Paul Eber »Wenn wir in höchsten Nöten sein«, Jena [1953]; KONRAD AMELN, Das Kirchenlied von Paul Eber »Herr Jesus Christ, wahr’ Mensch und Gott«, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 7 (1962), 109–115; MARTIN RÖSSLER, »Helft mir Gotts Güte preisen«. Der Wittenberger Liederdichter Paul Eber, in: JOHANNA LOEHR (Hrsg.), Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 339–380; HILDEGARD TIGGE- MANN, Psalterium Davidis. Ein evangelisches lateinisches Brevier (1564) von Paul Eber aus dem Stift Obernkirchen, in: JLH (2005), 42–62. Siehe auch den Beitrag von STEFAN MICHEL im vorliegenden Band. 42 HEINRICH KÜHNE, Das Calendarium Historicum des Paul Eber. Sonderdruck, Wit- tenberg: Melanchthonhaus Museum, 1971, 54–65. Das Werk wird freilich auch in anderen Arbeiten thematisiert, wie zum Beispiel: MARTIN JUNG, Frömmigkeit und Theologie bei Philipp Melanchthon. Das Gebet im Leben und in der Lehre des Re- formators, Beiträge zur historischen Theologie 102, Tübingen 1998, 83–87; DANIEL ROSENBERG/ANTHONY GRAFTON, Carthographies of Time. A History of the Timeline, New York 2010, 74f. 43 OSKAR THULIN, Die Reformatoren im Weinberg des Herrn. Ein Gemälde Lucas Cranchs d. J., in: LuJ 25 (1958), 141–145; ALBRECHT STEINWACHS, Der Weinberg des Herrn. Epitaph für Paul Eber von Lucas Cranach d. J., 1569. Stadt- und Pfarrkirche

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Touristenattraktion der Lutherstadt Wittenberg – und die Lutherbibel, die Eber dem Rat seiner Heimatstadt Kitzingen 1562 schenkte,44 in neuen Untersuchungen behandelt. Hervorzuheben sind zudem die Arbeiten von Walter Thüringer und Martin Riegel. In seiner Studie über das Weltbild Melanchthons in Bezug auf die kopernikanische Wende zeigt Thüringer Ebers Anteil an der Entstehung des Lehrbuchs Initia doctrinae physicae auf und fasst den aktuellen Forschungsstand zum Leben und Werk Ebers prägnant zusammen.45 In Riegels Monographie zur Studienförderung in Kitzingen nimmt Eber ebenfalls breiten Platz ein.46 Riegel liefert einen umfassenden Forschungsüberblick und beleuchtet ausführlich die Funk- tion Ebers in Wittenberg als Betreuer und Aufseher der Stipendiaten aus der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und insbesondere aus Kitzin- gen. Aus dieser Arbeit ist auch eine Kurzbiographie hervorgegangen.47

IV. Paul Ebers Nachlass und Bibliothek

Der vorliegende Sammelband bietet neue Forschungen zu Paul Eber, zu seinen Werken und zur Vielgestaltigkeit seiner Kompetenzen. Die Stu- dien basieren großenteils auf Quellenmaterial aus dem Nachlass Ebers, wobei insbesondere die zahlreichen Briefe längst nicht erschöpfend aus- gewertet worden sind. Der Hauptnachlass, der sich heute in der For- schungsbibliothek Gotha befindet, ist erst in jüngster Zeit vollständig erschlossen worden.48 Er umfasst insgesamt rund 2.500 Folio- und 900

St. Marien Lutherstadt Wittenberg, Spröda 2001. Siehe auch den Beitrag von DO- REEN ZERBE im vorliegenden Band sowie ihre Dissertation: Reformation der Memo- ria. Denkmale in der als Zeugnisse lutherischer Memori- alkultur im 16. Jahrhundert, Leipzig 2013. Das Werk wird freilich auch in anderen Arbeiten thematisiert, wie zum Beispiel: HASSE, Luther (s. Anm. 17), 99f.; STEFAN RHEIN, Paul Eber aus Kitzingen – Schüler und Kollege Philipp Melanchthons, in: ZBKG 80 (2011), 239–259, hier 241–243. 44 WERNER JÜRGENSEN, Die Kitzinger »Paul-Eber-Bibel« in ihrer Zeit, in: ZBKG 77 (2008), 83–96; Paul-Eber-Bibel. Eine Auswahl, hrsg. v. der Evangelischen Stadt- kirchengemeinde Kitzingen, Kitzingen 201; WOLFGANG HUBER, Anmerkungen zur Kitzinger »Paul-Eber-Bibel« (1562), in: ZBKG 80 (2011), 492–500. 45 THÜRINGER, Eber (s. Anm. 6). 46 RIEGEL, Studienförderung (s. Anm. 28), insbes. 236–277. 47 MARTIN RIEGEL, Paul Eber (1511–1569), in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 21, Würzburg 2006, 103–117. 48 Die Erschließung erfolgte im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemein- schaft zwischen Ende 2004 und Anfang 2009 geförderten Projekts »Katalogisie-

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Quartblätter. Sechs Foliobände enthalten ca. 380 Briefe, zumeist Ent- würfe, von und ca. 650 Briefe an Eber (Chart. A 123–128). Hinzu kom- men zwei Sammelbände im gleichen Format mit Akten zu zeitgenössi- schen theologischen Kontroversen, Kirchenreformen und inner- evangelischen Einigungsbemühungen (Chart. A 93–94), das zwischen 1558 und 1567 eigenhändig geführte Ordinationsbuch (Chart. B 18) so- wie verschiedene Schriftstücke aus Ebers Privatbibliothek in Sammel- bänden im Quartformat (Chart. A 649, 28r–35v; Chart. B 25) und vermut- lich auch eine Sammlung von Tischreden (Chart. B 79).49 Ein Camerariusbrief, der sehr wahrscheinlich mit den anderen Nachlassbän- den in die Herzogliche Bibliothek Gotha gelangt war, wurde 1718 in eine für Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg angelegte Autogra- phensammlung der Reformatoren aufgenommen (Chart. A 380, 37ar–av). Der Weg des Nachlasses von Wittenberg nach Gotha verlief über Franken und wahrscheinlich auch Weimar. Ebers ältester Sohn Paul d. J. starb bereits 1572 in Wittenberg. Ein im Nachlass erhaltener Brief von 1574 an den noch in Wittenberg wohnenden jüngeren Sohn Johannes Eber50 deutet darauf hin, dass dieser die Briefe und Akten des Vaters in seinem Besitz hatte. Er wurde 1578 Diakon in Kitzingen, wo er am 8. Dezember 1580 kinderlos starb. Der Nachlass wurde in der dortigen Pfarrbibliothek aufbewahrt51 und vermutlich 1629, als die Pfandschaft Kitzingen an das Hochstift Würzburg zurückfiel, zusammen mit anderen Teilen der Pfarrbibliothek nach Uffenheim gebracht.52 Auf diese Weise entging er der Vernichtung infolge der Rekatholisierungsmaßnahmen des Fürstbischofs von Würzburg. Spätestens seit 1637 bestand der Nach- lass Ebers nicht mehr in seiner ursprünglichen Geschlossenheit. In die- sem Jahr erhielt die Stadtbibliothek Nürnberg über den dortigen Prediger zu St. Sebald und Stadtbibliothekar Johann Saubert unter anderem ein

rung der Reformationshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha«. Die Ergeb- nisse des Projekts sind in der HANS-Datenbank der Universitäts- und Forschungs- bibliothek Erfurt/Gotha unter der URL: http://hans.uni-erfurt.de online verfügbar. Der Katalog ist im Druck. 49 Laut Cyprian stammt die Handschrift aus dem Nachlass Paul Ebers. Vgl. CYPRIAN, Catalogus (s. Anm. 32), Nr. LXXXIV, 122: Memorabilia in lectionibus & colloquiis Lutheri annotata circa annum 1544. Liber e bibliotheca P. Eberi huc translatus. In- dizien für diese Provenienzzuordnung befanden sich vermutlich in der ersten Hälfte der Sammlung, die heute unauffindbar ist. 50 FB Gotha, Chart. A 127, 429r–430v. 51 Vgl. INGRID BÁTORI/ERDMANN WEYRAUCH, Die bürgerliche Elite der Stadt Kitzingen. Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einer landesherrlichen Stadt im 16. Jahrhundert, Stuttgart 1982, 301. 52 Vgl. Akte des Markgräflichen Konsistoriums Ansbach Nr. Spez. 479.

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Faszikel von Briefen Johannes Mathesius’ an Eber (Autogr. 642–719). Die Stadtbibliothek Nürnberg besitzt heute auch andere Briefe, unter an- derem Melanchthonautographen, aus dem Nachlass (Autogr. 11–32, 34– 36, 240–241, 721–722). Eventuell befand sich auch das ebenfalls dort aufbewahrte, von Melanchthon und Eber eigenhändig verfasste Manu- skript der Initia doctrinae physicae einst in der Privatbibliothek Ebers.53 Ein Teil des Nachlasses mit Originalbriefen, der lange in der sogenann- ten »Paul Eber Bibliothek« im Pfarrarchiv Kitzingen aufbewahrt wurde, befindet sich heute im Landeskirchlichen Archiv der ELKB in Nürnberg.54 Der in der Forschungsbibliothek Gotha überlieferte Hauptteil befand sich offenbar auch zeitweise im Nürnberger Raum, denn die Handschriften Chart. A 93–94, Chart. A 123–124 und Chart. A 126–127 enthalten ein- zelne Briefe und Dokumente dieser Provenienz. Ebers Hauptnachlass kam eventuell in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges in den Besitz des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar, der in die militärischen Aus- einandersetzungen bei Würzburg 1631 involviert war. Der Gründer des Herzogshauses Sachsen-Gotha, Ernst I., genannt der Fromme, erhielt be- kanntlich durch die Erbteilung von 1640 bedeutende Bestände aus der Bibliothek seines 1639 verstorbenen Bruders Bernhard, darunter mög- licherweise auch Ebers Hauptnachlass.55 Neben dem beschriebenen handschriftlichen Nachlass besaß Eber al- lem Anschein nach auch eine umfängliche Büchersammlung, deren Spur sich allerdings im ausgehenden 19. Jahrhundert verliert. Bis kurz nach dem Tod des Eber-Biographen Christan Heinrich Sixt im Jahr 1866 be- fand sich diese Bibliothek nahezu geschlossen in dessen Besitz.56 Das An- tiquariat Heinrich Kerler aus Ulm erwarb den Bestand 1878 als Teil der

53 Stadtbibliothek Nürnberg, Cent. V App. 21. Vgl. dazu THÜRINGER, Eber (s. Anm. 6), insbes. 294–302. 54 In dem Verzeichnis Pfarreien IV/30 Nr. 4 sind ca. 40 Originalbriefe Ebers aus der Zeit von 1537 bis 1566 neben weiteren Briefen anderer Verfasser mehr oder weniger ausführlich beschrieben. Der Band Pfarreien IV/30 Nr. 1 enthält rund 300 Abschriften von Briefen an und von Paul Eber ab 1531, die vermutlich von Chris- tian Heinrich Sixt für seine zweite Eberbiographie angefertigt wurden. 55 Ebers Nachlass befindet sich spätestens seit 1705 in der Herzoglichen Bibliothek Gotha. Vgl. TENTZEL, Curieuse Bibliothec (1705), 360. Tentzel erwähnt bereits 1689, dass sich die Briefe in Chart. A 124, 13r–45v in »einer vornehmen Bibliothec« befinden. Vgl. TENTZEL, Monatliche Unterredungen (1689), 1269. Gemeint ist höchstwahrscheinlich die Herzogliche Bibliothek Gotha. 56 Vgl. Antiquarischer Katalog von Heinrich Kerler Antiquariats-Buchhandlung am Judenhof in Ulm, Nr. 12: Bibliothek des XVI. u. XVII. Jahrhunderts. Eine kostbare Sammlung von Schriften, welche im Zeitalter der Reformation und des 30jährigen Kriegs gedruckt sind oder diese Perioden behandeln. Hierunter höchstwahrschein- lich die Bibliothek Dr. Paul Eber’s, des Schülers, Freundes und Amtsgenossen der

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Sixt’schen Arbeitsbibliothek und verkaufte die Bücher – häufig mit ei- genhändigen Einträgen von Eber versehen – anschließend weiter. Nach dem Katalog 12 aus dem Jahr 1879 handelt es sich um 1.534 Einzelange- bote, wobei aufgrund der kursorischen Beschreibungen nur vereinzelte Stücke der Bibliothek Ebers eindeutig zugeordnet werden können. Zu den Spitzenstücken gehörten ein mit zahlreichen Lesespuren versehenes Exemplar von Melanchthons Commentarii in epistolam Pauli ad Roma- nos,57 ein Handschriftenband mit Akten zum Streit zwischen den Predi- gern Lorenz Heunisch und Wolfgang Ruprecht in Schweinfurt über die guten Werke aus dem Zeitraum zwischen 1558 und 1563 sowie Ebers Stammbuch aus der Zeit seines Dekanats an der Philosophischen Fakul- tät in Wittenberg 1550 mit Einträgen von Johannes Bugenhagen, Philipp Melanchthon, Georg Major, Johann Forster, Johann Eryngius und Johan- nes Trudelius. Den Kern des Stammbuches bildeten Exemplare von Me- lanchthons Schriften Enarratio Symboli Niceni58 und Disputatio de jubi- leo.59

V. Die Korrespondenz als Fundament für künftige Forschung

Die schätzungsweise 1.500 überlieferten Briefe aus der Korrespondenz stellen eine profunde Quellengrundlage für vielfältige Fragestellungen dar.60 Das weit gespannte Netzwerk reicht – um Ebers Wirkungsraum geographisch zu umreißen – im Norden bis nach Friesland, Dänemark und Preußen, im Osten bis nach Polen, Schlesien, Böhmen, Mähren und Siebenburgen, im Süden bis nach Italien, Österreich und in die Schweiz sowie im Westen bis in die Reichsstädte Straßburg und Frankfurt am Main. Die Zweige des Netzwerkes verdichten sich besonders deutlich in Mitteldeutschland und im fränkischen Raum um die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und die Reichsstadt Nürnberg. Der Großteil der

Reformatoren, Ulm 1879. Vgl. dazu HANS RADSPIELER, 100 Jahre Heinrich Kerler Buchhandlung & Antiquariat 1877–1977, Ulm 1977, 12, 36. 57 Straßburger Ausgabe von 1540 (VD16 M 2744). 58 Wittenberger Ausgabe von 1550 (VD16 C 5845). 59 Wittenberger Ausgabe von 1549 (VD16 M 3053). 60 Die Schätzung gründet sich auf die rund 1070 Briefe in der Forschungsbibliothek Gotha, auf Recherchen zu Beständen in anderen Bibliotheken und in alten Dru- cken, Forschungsliteratur und modernen Editionen, die rund 250 weitere Briefe ergeben haben, und auf die Vermutung, dass 100 bis 200 Briefe noch zu finden sind.

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Briefe liegt der Forschung bisher nicht in leicht zugänglicher, kritisch aufbereiteter Form vor. Drei lebenslange Freundschaften, die aber auch durch eine enge Zu- sammenarbeit auf akademischer und kirchlicher Ebene geprägt waren, ragen in Ebers Briefwechsel durch eine außerordentliche Dichte hervor, nämlich die mit seinem Mentor Philipp Melanchthon, mit dem Joachimst- haler Pfarrer Johannes Mathesius und mit dem Kitzinger Ratsherrn Friedrich Bernbeck. Der briefliche Austausch zwischen Eber und diesen drei Freunden ist fast vollständig abgedruckt bzw. kritisch ediert.61 Dass rund 120 zwischen Melanchthon und Eber gewechselte Briefe überliefert sind, spricht für die außerordentlich enge Beziehung der beiden Gelehr- ten, zumal der überwiegende Teil aus den kürzeren Zeitphasen stammt, in denen sie nicht gleichzeitig in Wittenberg vor Ort waren, als beispiels- weise Eber und andere Wittenberger Professoren 1552 den akademi- schen Lehrbetrieb wegen der Pest nach Torgau verlegten, als Melan- chthon sich infolge der Kriegswirren 1546/47 an verschiedenen Orten aufhielt oder wenn dieser im Laufe der Jahre zu verschiedenen Reichs- und Religionsversammlungen reiste. Während Eber mit den Theologen der ersten Reformatoren-Generation am westlichsten Ende des ernestini- schen Territoriums wie Friedrich Myconius und Justus Menius korres- pondierte, ist kein Briefverkehr mit jenen vor Ort in Wittenberg wie Mar- tin Luther, Johannes Bugenhagen, Justus Jonas und Caspar Cruciger, mit denen er jahrelang tagtäglich zusammenarbeitete, vorhanden. Andere Briefe zeugen jedoch davon, dass Eber ein wesentlicher Teil dieses Wir- kungskreises war. So wird er in der gesamten Überlieferung des Brief- wechsels von Melanchthon nicht weniger als 540 mal namentlich ge- nannt.62

61 Edition sämtlicher Briefe aus der zwischen 1539 und 1558 nachgewiesenen Kor- respondenz mit Melanchthon in: MBW. Edition fast aller Briefe aus der zwischen 1542 und 1565 nachgewiesenen Korrespondenz mit Mathesius in: Johannes Ma- thesius. Ein Lebens- und Sitten-Bild aus der Reformationszeit, hrsg. v. GEORG LO- ESCHE, Bd. 2, Gotha 1895; Johannes Mathesius, Ausgewählte Werke, hrsg. v. GEORG LOESCHE, Bd. 4, Prag 1904. Edition der meisten Briefe aus der zwischen 1548 und 1568 nachgewiesenen Korrespondenz mit Bernbeck in: SIXT, Dr. Paul Eber, der Schüler der Reformatoren (s. Anm. 30); sowie zweier jüngst öffentlich bekannt gewordener Briefe im Beitrag von PHILIPP KNÜPFFER im vorliegenden Band. Etwa zehn weitere, noch unveröffentlichte Briefe Ebers an Bernbeck sind über Umwege an die UB Würzburg und die Biblioteca Apostolica Vaticana gelangt. Einzelne Brief befinden sich in der GWLB Hannover, der SUB Göttingen und der HAB Wolfenbüt- tel. 62 Vgl. THÜRINGER, Eber (s. Anm. 6), 293.

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Zu Melanchthon, Mathesius und Bernbeck kommen mehr als 400 weitere Korrespondenzpartner hinzu, mit denen Eber regelmäßig über einen bestimmten Zeitraum oder nur sporadisch bis einmalig in Kontakt stand.63 Neben Ebers Hauptnachlass in Gotha und den bereits erwähnten Beständen in Nürnberg befinden sich größere zusammenhängende Teile in der berühmten Uffenbach-Wolff’schen Sammlung64 (28 fast sämtlich an Eber gerichtete und z.T. im MBW abgedruckte Briefe), in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (20 größtenteils im MBW abgedruckte Briefe) und in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, die zwölf hauptsächlich von Eber an den Bremer Domprediger Albrecht Harden- berg adressierte Briefe besitzt.65 Darüber hinaus befinden sich einzelne Briefe an verschiedenen Orten, wo sie zumeist Bestandteil heterogener Autographen- oder Abschriftensammlungen sind.66 Nur ein kleiner Teil dieser Briefe ist verstreut in zeitgenössischen Drucken oder modernen Aufsätzen, Monographien und Editionen abgedruckt. Die Überlieferung schwillt unmittelbar nach dem Tod Melanchthons 1560 massiv an. Eber ist in diesem Moment nicht nur einer der promi- nentesten Professoren an einer Universität mit europaweiter Ausstrah- lung sowie Examinator und Ordinator zahlreicher Geistlicher, die an- schließend in einem ebenso ausgedehnten Raum Ämter antreten, sondern auch Multiplikator der Wittenberger Theologie, wichtiger Bera- ter in theologischen und kirchenorganisatorischen Fragen für seinen Landesherrn und auch für auswärtige Fürsten und Städte, zentraler Ver- mittler bei Personalangelegenheiten für Schulen, Universitäten, Kirchen

63 Vgl. das von PAUL A. NEUENDORF erstellte Verzeichnis der Korrespondenzpartner im vorliegenden Band. 64 Die Sammlung befindet sich heute mit der Signatur Sup. Ep. in der SUB Ham- burg. 65 Rund die Hälfte dieser Briefe befindet sich zudem in vermutlich im 18. Jahrhun- dert angefertigten Abschriften in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Ein- zelnachweise für die genannten Bestände lassen sich über die Register der ent- sprechenden Handschriftenkataloge ermitteln. 66 So befinden sich neun Briefe in der UB Würzburg [oben schon erwähnt], acht im StadtA und sechs im StA Nürnberg, fünf in der KB Kopenhagen, je vier Briefe in der GWLB Hannover und der UB Erlangen, je drei im Melanchthonhaus Bretten, der SLUB Dresden, der SUB Göttingen, den Franckeschen Stiftungen in Halle, der Biblioteca Apostolica Vaticana und der Stiftung Luthergedenkstätten Wittenberg, je zwei in der Burgerbibliothek Bern, den Kunstsammlungen der Veste Coburg, der UB Frankfurt, dem StadtA Kitzingen, der BSB München sowie je einer in der SB Berlin, dem StA Danzig, dem StadtA Hannover, der UB Heidelberg, dem UA und der ThULB Jena, der UB Leiden, dem GNM Nürnberg, dem StA und der WLB Stutt- gart, der Stadtbibliothek Trier und der ÖNB Wien. Hinweisen auf weitere Bestände im StA Dresden der RNB St. Petersburg und der BJ Krakau konnte noch nicht im Einzelnen nachgegangen werden.

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Daniel Gehrt und Philipp Knüpffer und Höfe, Empfänger und Verteiler von Nachrichten im Kommunikati- onszentrum Wittenberg sowie Förderer von akademischen, theologi- schen und religiös-erbaulichen Arbeiten und Zensor. Diese hervorra- gende zentrale Position nahm Eber wahr, obgleich Georg Major der dienstälteste Professor der Theologischen Fakultät und im Unterschied zu Eber auch Konsistorialassessor war. Mit diesen neuen Kompetenzen gingen für Eber eine merkliche Aus- dehnung seiner sozialen Vernetzung und ein erheblicher Zuwachs an Einfluss einher, der sich auch in einem regen Briefverkehr mit einigen deutschen Fürsten und ihren engsten Beratern manifestierte. Dies betraf in erster Linie den Dresdner Hof. So sind zahlreiche Briefe in der Korres- pondenz mit Kurfürst August von Sachsen, seiner Gemahlin Anna, dem Geheimrat Georg Cracow und den Hofpredigern Ambrosius Claviger und Christian Schütz zu verzeichnen. Eber gewann auch für die Landeskirche seiner Heimat an Bedeutung, nicht zuletzt als Betreuer der aus Franken stammenden Stipendiaten in Wittenberg, wovon der rege Briefwechsel mit Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, dem Geheim- rat Andreas Mußmann und dem Generalsuperintendenten von Ansbach, Georg Karg, in den 1560er Jahre Zeugnis ablegt. Eber korrespondierte ebenfalls mit Herzog Albrecht von Preußen67 sowie mit Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. Überwiegend tauschte sich Eber jedoch mit Gelehrten aus. Mehrere Briefpartner sind aufgrund der Dichte der Überlieferung hervorzuheben: der Leipziger Gräzist Joachim Camerarius, der Bremer Domprediger Alb- recht Hardenberg, der Rektor der Meißner Fürstenschule Georg Fabri- cius, der Prediger und Hebraist Johannes Habermann, auch Avenarius genannt, der Medizinprofessor Heinrich Paxmann und der Professor für Hebräisch Abdias Praetorius, die jeweils an der Universität Frankfurt an der Oder tätig waren, der Straßburger Pfarrer Johann Marbach, der Jenaer Professor der Poesie und spätere Amtsnachfolger Ebers in Witten- berg Friedrich Widebram, der Jenaer Theologieprofessor Johann Stössel68 und der in Krakau wirkende Arzt und Astronom Joachim Georg Rheticus. In dieser umfangreichen und weit vernetzten Korrespondenz liegt das eminente Potential, die Bedeutung Paul Ebers und der Universität Wit- tenberg in den 1560er Jahren sowohl aus einer mikrohistorischen Per- spektive als auch in einem europäischen Kontext weiter zu erforschen.

67 Briefe referiert bei: VOIGT, Briefwechsel (s. Anm. 31), 234–259. 68 Zum Briefwechsel mit Widebram, Stössel und anderen Jenaer Professoren siehe Beitrag von DANIEL GEHRT im vorliegenden Band.

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VI. Anhänge

1. Eigenhändige Bucheinzeichnung von Paul Eber zum Gebet Josaphats (II Chr 20), [Wittenberg], 8. September 1555. HAAB Weimar, Oct princ 2. Auf einem Nachsatzblatt (S. 737) eines Bandes mit einem Exemplar von: Philipp Melanchthon: Loci Praecipvi Theologici. ..., Leipzig: Valentin Bapst d. Ä., 1554 (VD16 M 3655), im Besitz des Schössers in Gräfenhai- nichen Maternus Apianus.69 Auf dem Vorderdeckel sind seine Initialen (M A) und das Bindejahr (1555) eingeprägt.

Precatio Iosaphat pij Regis Iuda II. Paralip. XX.

In tenebris nostræ et densa ca- ligine mentis, Cum nihil est toto pectore consilij. Turbati erigimus Deus ad TE lumina cordis, Nostra tuaq[ue] fides solius orat opem. Tu rege consilijs actus pater optime nostros, Nostrum opus vt laudj seruiat omne tuæ.

D[omi]no aMaterno aPaulus Eberusa, die Apianoa scripsit natalj B. virginis Ma- riæ 1555, quo co[n]flagrauit vrbs Ierosolyma ante annos 1482.

a–a Von späterer Hand rot unterstrichen

69 Auch Benewitz genannt. Melanchthon schrieb am 28. Dezember 1557 einen Brief an ihn (MBW, Nr. 8467).

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2. Eigenhändige Bucheinzeichnung von Paul Eber zu Lk 8,21, Witten- berg, September 15[56]. FB Gotha, Chart. A 379, 55r (Abb. 2). Alle vier Ränder des Blattes wurden beschnitten mit der Folge, dass die Unter- länge des Buchstaben »p« in Septembris und der Endteil von Kittingensis fehlen. Geringer Textverlust entstand durch den Verlust der unteren rechten Ecke.

CHRISTVS admonitus de præsentia Matris suæ et propinquorum inquit Luca VIII.

Μήτηρ ου καὶ ἀδελφοί ου οὗτοί εἰσιν, οἱ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ ἀκούοντες καὶ ποιοῦντες αὐτόν.70

Magna consolatio est, quod Christus audi- tores verbi suj comparat matri et fratribus seu cognatis proximis suis, et pronunciat, se eos, quj pio studio legunt, audiunt, me- ditantur, discunt verbum Dei, et id vera fide amplectuntur, ac cum bona conscien- tia retinent et confitentur, tanto amore prosequj, quanto matrem dulcissimam et sanguine iunctos, Johannem, Jacobu[m] et alios tunc coram complexus est, quæ στοργή in Christo ut purissima, ita etiam sine dubio ardentissima fuit. Quare amemus et discamus verbum Dei, et statuamus nos vicissim ab ipso diligi, cui haud dubie curae erit, ut etiam domiciliu[m] alicubi et victum habeamus, sicut inquit Christus: Quærite primum Regnum Dej et Justiciam eius, et hæc omnia adijcientur vobis.

70 Lk 8,21.

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Paulus Eberus Kittzinge[nsis]a scribebat Witebergæ die [...]a Septemb[ris] Anno 15[56]71a

a Ecke fehlt

71 Dass die beiden datierten Einträge von den anderen Wittenberger Reformatoren in der Sammlung (FB Gotha, Chart. A 379, 54r–58v) aus dem Jahr 1556 stammen und Bugenhagen ebenfalls im Monat September seinen Text schrieb, spricht für eine Da- tierung des Eintrags von Eber auf das Jahr 1556.

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Abb. 2: Auslegung von Eber zu Lk 8,21. FB Gotha, Chart. A 379, 55r.

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I – Konfessionelle Konsolidierung, Integration und Abgrenzung

Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit Von Volker Leppin

Paul Eber hat in den Darstellungen evangelischer Kirchengeschichte nur wenige Spuren hinterlassen. Auch die Tatsache, dass er nach Melanchthons Tod zu einem, wenn nicht dem führenden Kopf der Wittenberger Theologi- schen Fakultät heranwuchs, ändert hieran wenig. Dieses Bild verschiebt sich kaum, wenn man die theologischen Streitkreise in den Blick nimmt, die die Formierung des Luthertums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begleiteten. Will man von so etwas wie einer Gruppe von Philippisten aus- gehen,1 fallen einem wohl Namen wie Georg Major2 oder Johannes Pfeffin- ger3 weit eher ein als der des fränkischen Gelehrten, der ohnehin erst ab

1 Zur Problematik dieser Gruppenbezeichnungen s. VOLKER LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luther- tum 1548–1618, QFRG 69, Gütersloh 1999, 47–50. 2 S. zu ihm ROBERT KOLB, Georg Major as Controversialist, in: ChH 45 (1976), 455–468; HEINZ SCHEIBLE, Art. Georg Major, in: TRE Bd. 21, 1991, 725–730, sowie jetzt vor allem IRENE DINGEL/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Georg Major (1502–1574). Ein Theologe der Wittenberger Reformation, LStRLO 7, Leipzig 2005. 3 Auch Johann Pfeffinger gehört zu jenen seinerzeit bedeutenden Theologen, deren Be- handlung in der Forschung immer noch zu wünschen übrig lässt; vgl. HANS ROSER, Jo- hannes Pfeffinger. Ein prominenter Lutheraner der zweiten Generation, in: ders. (Hrsg.), Altbayern und Luther, München 1996, 112–116; GÜNTHER WARTENBERG, Philipp Melanchthon und Johannes Pfeffinger, in: ders. (Hrsg.), Philipp Melanchthon in

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Volker Leppin den späten fünfziger Jahren in die vorderste Reihe der Geistlichen und The- ologen des Kurfürstentums aufgestiegen war. Bei einer Behandlung der Rolle Ebers in den Lehrkontroversen seiner Zeit kann es weniger darum gehen, originelle Beiträge, gar profilierte Posi- tionen zu suchen. Allenfalls könnte man die Abendmahlslehre hierfür an- führen, auf die weiter unten noch einzugehen ist.4 Doch war er auch in die- ser Frage nur einer unter mehreren Beteiligten, so wie er zwar häufig dabei, selten aber führend war. Es ist bezeichnend, dass Paul Tschackert ihn in seiner umfassenden Darstellung lediglich ein einziges Mal erwähnt – und dies im Zusammenhang der Neuformierung der Wittenberger Fakultät nach Melanchthons Tod.5 Eber, von Heinz Scheible als einer der »Meisterschüler« Melanchthons gewürdigt,6 war ungeachtet der ihm in dieser Zeit neu zu- wachsenden Aufgaben ein Kopf der Gegner der Gnesiolutheraner allenfalls in organisatorischer Hinsicht, nicht jedoch als führender Denker. Das Inte- resse an ihm kann sich also weniger auf bestimmte Positionen beziehen als auf die sich in seiner Beteiligung widerspiegelnden unterschiedlichen Wahrnehmungen des Gesamtgeschehens. Eber war nicht nur Gestalter, son- dern vor allem auch Beobachter. Dabei hat sich sein eigenes Engagement allerdings ab 1560 merklich intensiviert, so dass man seine Beteiligung an den Auseinandersetzungen in zwei Phasen unterscheiden kann: In einer ersten Phase erscheint Eber im wesentlichen als Begleiter Melanchthons, in einer zweiten dann als dessen Nachfolger in der führenden Rolle der kur- sächsischen Theologen.

Leipzig, Leipzig 1997, 41–50; HELLMUT ZSCHOCH, Art. Pfeffinger, Johannes, in: RGG Bd. 6, 42003, 1231. 4 Vgl. hierzu auch den Beitrag von JOHANNES HUND in diesem Band. 5 PAUL TSCHACKERT, Die Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre samt ihren innerprotestantischen Gegensätzen, Göttingen 1910, 544. 6 HEINZ SCHEIBLE, Melanchthon als akademischer Lehrer. Einführung in das Arbeitsge- spräch »Melanchthon in seinen Schülern«, in: ders. (Hrsg.), Aufsätze zu Melanchthon, SMHR 49, Tübingen 2010, 75–90, hier 88.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit

I. Der Begleiter

Der Anfang der innerlutherischen Streitigkeiten liegt bekanntlich in der Kontroverse um die von der Gruppe um Flacius als »Leipziger Interim«7 ge- schmähten Leipziger Artikel,8 mit denen die Regelungen des Augsburger In- terims von 1548 auf die kursächsische Situation adaptiert werden sollten. Zur Zeit dieser Auseinandersetzungen stand Eber als Professor der Physik9 den theologischen Fragen noch relativ ferne, war allerdings doch in ver- schiedenen Zusammenhängen mit kirchlichen Belangen konfrontiert. Seine Unterschrift fehlt noch unter der ersten klar ablehnenden Stellungnahme der Theologen zu einer Umsetzung des Interims in Sachsen. Diese stammt vom 16. Juni 1548 und ist neben Melanchthon von Johannes Bugenhagen, Johannes Pfeffinger, Caspar Cruciger, Georg Major sowie Sebastian Fröschel unterzeichnet.10 Da sich die Landstände die Auffassung, nach der »das Inte- rim in vielen Artikeln [...] der rechten Lehr zuwider ist«,11 nicht zu eigen machten,12 mussten bekanntlich in Kursachsen neue Verhandlungen begin-

7 Vgl. zur Magdeburger Publizistik THOMAS KAUFMANN, Das Ende der Reformation. Mag- deburgs »Herrgotts Kanzlei« (1548–1551/2), BHTh 123, Tübingen 2003, sowie, deut- lich differenzierter in der Würdigung der Leipziger Artikel ANJA MORITZ, Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der mag- deburgischen Publizistik 1548–1551/52, SMHR 47, Tübingen 2009 – zur »Leipziger Landtagsvorlage« bzw. den Leipziger Artikeln a.a.O. 234–251; DANIEL GEHRT, Ernesti- nische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynas- tische Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577, AKThG 34, Leipzig 2011, 42–61; zu den ernestinischen Reaktionen s. auch JOACHIM BAUER, Der Kampf um das »wahre Luthertum«. Jena und Wittenberg 1548, in: LUISE SCHORN-SCHÜTTE (Hrsg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubens- konflikt, SVRG 203, Gütersloh 2005, 277–291. 8 S. zu einer differenzierten Würdigung GÜNTHER WARTENBERG, Philipp Melanchthon und die sächsisch-albertinische Interimspolitik, in: ders., Wittenberger Reformation und territoriale Politik. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. v. JENS FLÖTER/MARKUS HEIN, Leipzig 2003, 87–103; ders., Das Augsburger Interim und die Leipziger Landtagsvor- lage zum Interim, in: IRENE DINGEL/GÜNTHER WARTENBERG (Hrsg.), Politik und Bekennt- nis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548, LStRLO 8, Leipzig 2006, 15–32; auch IRENE DINGEL, »Der rechten lehr zuwider«. Die Beurteilung des Interims in ausgewähl- ten theologischen Reaktionen, in: SCHORN-SCHÜTTE (Hrsg.), Interim (s. Anm. 7), 292– 311, hier 297, hebt zu Recht hervor, dass die erste Druckschrift, die sich gegen das Interim wandte, in der Tat von Philipp Melanchthon stammte! 9 4 S. HEINZ SCHEIBLE, Art. Eber, Paul, in: RGG Bd. 2, 1999, 1040; vgl. auch den Beitrag von MEINOLF VIELBERG in diesem Band. 10 CR 6, 942 (Nr. 4259; s. MBW.R 5, 297–299 [Nr. 5182]); vgl. hierzu WARTENBERG, Me- lanchthon und die Interimspolitik (s. Anm. 8), 95. 11 CR 6, 942. 12 WARTENBERG, Melanchthon und die Interimspolitik (s. Anm. 8), 95.

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Volker Leppin nen. An diesen war nun wenigstens zeitweise auch Paul Eber beteiligt. Je- denfalls begleitete er Melanchthon zu den Pegauer Gesprächen vom 23. bis zum 25. August 1548.13 Christian Heinrich Sixt vermutet wohl zu Recht, dass der Grund hierfür die schwere Erkrankung Caspar Crucigers war, die einen Ersatz nötig machte14 – Cruciger ist am 16. November desselben Jahres ge- storben.15 Angesichts dieser Konstellation wird man Ebers Beteiligung nicht sehr hoch veranschlagen dürfen, aber er war eben doch dabei, als eine wich- tige Entscheidung fiel: Die in Pegau versammelten Theologen bestimmten, in welchen Glaubensartikeln nicht zu weichen sei, nämlich Rechtfertigungs- lehre, Buße, Messe und Heiligenanrufung.16 Die Autoren bekräftigen diese Auffassung auch existentiell: »Ist Friede damit zu machen, daß wir weg sind oder aufgeräumt werden, wollen wir herzlich gerne weichen oder leiden«.17 Günther Wartenberg hat zu Recht festgehalten, dass dennoch mit dieser Pegauer Erklärung der Unterschied von Hauptartikeln zu Adiaphora der Sa- che nach begründet ist18– Eber ist also an dem Beginn eben dieser folgenrei- chen hermeneutischen Grundunterscheidung im Umgang mit dem Interim beteiligt, auch wenn er in den folgenden Verhandlungen wieder zurücktritt. Als die sächsischen Theologen im November des Jahres in Altenzella über eine ihnen zuvor in Torgau überreichte Vorlage der Räte verhandelten, wa- ren dort Bugenhagen, Forster, Greiser, Lauterbach, Major, Melanchthon, Pfeffinger und Zeuner versammelt,19 nicht aber Eber. Genau diese Abwesen- heit ermöglicht nun einmal einen etwas deutlicheren Blick auf dessen indi- viduelles Profil, denn Melanchthon schrieb von Altenzella aus am 21. No- vember an ihn.20 Er rekurrierte auf einen Ratschlag, den Eber Georg Major gegeben habe. Dieser war offenkundig darauf ausgerichtet, die Beharrlich- keit der Theologen zu unterstützen. Jedenfalls fühlte Melanchthon sich ver- anlasst, nicht nur zu erklären, dass er gegen diesen Ratschlag nichts habe, sondern dass er, im Unterschied zu furchtsameren Geistern, selbst nicht

13 THEODOR PRESSEL, Paul Eber. Nach gleichzeitigen Quellen, Elberfeld 1862, 105; HEINZ SCHEIBLE, Melanchthon. Eine Biographie, München 1997, 193; WARTENBERG, Melan- chthon und Interimspolitik (s. Anm. 8), 96; MORITZ, Interim und Apokalypse (s. Anm. 7), 141. 14 CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Dr. Paul Eber, der Schüler, Freund und Amtsgenosse der Reformatoren. Ein Beitrag zur Geschichte des Reformations-Zeitalters, Heidelberg 1843, 180. 15 4 MARTIN H. JUNG, Art. Cruciger, Caspar, in: RGG Bd. 2, 1999, 501. 16 CR 7, 117–119 (Nr. 4332); MBW.R 5, 340 (Nr. 5264). 17 CR 7, 119. 18 WARTENBERG, Melanchthon und Interimspolitik (s. Anm. 8), 96. 19 WARTENBERG, Augsburger Interim (s. Anm. 8), 22. 20 CR 7, 221f. (Nr. 4410); MBW.R 5, 385 (Nr. 5354).

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit weichen werde.21 Dieser Ausschnitt aus der Wittenberger Kommunikation lässt immerhin so viel erkennen, dass Eber zu denjenigen im kursächsi- schen Lager zählte, die die Widerstandskraft der Theologen gegen die poli- tischen Ansinnen der Räte zu stärken suchten. Freilich wäre es überzogen, hierin einen Ausdruck einer spezifischen Haltung Ebers zu sehen. Eher kann man seine Mahnung als Folge dessen sehen, dass er nicht in vorderster Front beteiligt war. Dass der Druck, dem die Theologen ausgesetzt waren, enorm war, hatte er selbst in Pegau verspürt. Das lässt sich nicht nur an dem erfolgten Ratschluss ablesen, sondern auch an dem Verweis auf das Klima, dem sich die Theologen ausgesetzt sahen: Ausdrücklich verteidigten sie sich gegen den offenbar als Druckmittel verwendeten Vorwurf der Hals- starrigkeit.22 Nun, während der Verhandlungen in Altenzella, war Eber sol- chen Pressionen nicht ausgesetzt und sah wohl gerade deswegen seine Auf- gabe darin, den Gefährten den Rücken zu stärken. Es dürfte auch diese Distanz gewesen sein, die es ihm schon bald ermöglichte, das Verhalten während des Interims kritisch zu beurteilen. Am 21. Januar 1551 schrieb er an einen unbekannten Adressaten:

Quae nostra sunt huius tristissimi temporis errata, ea admoniti libenter agno- scimus, et duriorem etiam imo iniquam aliquando etiam at acerbam quorundam insectationem tanquam poenam meritam patienter ferimus, et quod aequissimum et necessarium nobis est, eorum veniam a clementissimo Deo patre Jesu Christi ardenter expetimus.23

Das Zugeständnis der eigenen Fehler noch mitten in den interimistischen Streitigkeiten war ungewöhnlich. In dieser Hinsicht wird man Paul Eber als einen Begleiter Melanchthons sehen können, der sich das distanzierte Urteil bewahrte, ohne sich freilich im Grundsatz von der Wittenberger Linie lösen zu wollen. Hintergrund dieser Bereitschaft war auch, dass für Eber, wie seine wei- ter unten zu verfolgenden Äußerungen zum Konfutationsbuch zeigen, mit den interimistischen Streitigkeiten noch keineswegs der vollständige Bruch innerhalb des lutherischen Lagers vollzogen war. Sein Schuldeingeständnis basierte auf einer Lageeinschätzung, in der die gemeinsame Verbindung mit der Reformation Wittenberger Typs eine Grundlage schuf, auf der in Einzel-

21 CR 7, 222. 22 CR 7, 119. 23 Paul Eber: Brief (Entwurf) an einen nicht genannten Freund, Wittenberg, 21. Januar r–v v 1551 (FB Gotha, Chart. A 123, 132 , hier 132 ); vgl. CHRISTIAN HEINRICH SIXT, Paul Eber. Ein Stück Wittenberger Lebens aus den Jahren 1532 bis 1569, Ansbach 1857, 67.

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Volker Leppin fällen Unterschiede im Verhalten vorkommen mochten, wie auch Melan- chthon seinerzeit die aufrechte und die eher furchtsame Haltung voneinan- der unterschieden hatte. Die Basis aber war hierdurch nicht tangiert. Man wird die aufgeregte Phase der frühen fünfziger Jahre nur recht einordnen können, wenn man Ebers Rede vom tristissimum tempus neben die gleich- zeitig in Magdeburg im Schwange befindliche Zeitbestimmung hält: Thomas Kaufmann und Anja Moritz haben in ihren Studien zum Interim aufgezeigt, welche Bedeutung die Wahrnehmung der eigenen Zeit als Endzeit für die Gruppe um Flacius besaß.24 Die Zeit, wie sie hier beschrieben wurde, war nicht allein durch Traurigkeit geprägt, sondern durch den ultimativen Kampf gegen den Antichrist.25 Dieser wurde mit Luther im Papst identifi- ziert,26 und so wurden diejenigen, die die Grenze zum Papst nicht deutlich genug zogen, ihrerseits zu Mitläufern des Antichrist, die in der letzten Ent- scheidungssituation der Welt auf der falschen Seite standen. Aus solchen Konzepten heraus entstand eine fundamental andere Gegenwartsanalyse als bei Eber: Wo dieser feine Schattierungen und durchaus auch Fehler wahr- nahm, war den antiinterimistischen Kämpfern die gemeinsame Grundlage mit den Befürwortern der Leipziger Artikel bzw. des »Leipziger Interims« genommen. In eben diesem Gegenüber sind die ersten Ansätze zu der sich herausbildenden Gruppendifferenz wahrzunehmen. Einig waren sich die Er- ben der Wittenberger Reformation darin, dass es eine klare Grenze zwischen wahrem evangelischen Glauben und päpstlicher Kirche gab. Während aber die Magdeburger der Ansicht waren, dass der Kreis um Melanchthon dabei war, diese Grenze zu überschreiten, erschien es diesen selbst eher so, dass diesseits der Grenze, innerhalb des Luthertums, Unterschiede einsetzten, die in der Gewichtung und Akzentuierung lagen, die Grenze zum Papsttum aber nicht aufhoben. Dass diejenigen die Schärfe in die Auseinandersetzung

24 KAUFMANN, Ende (s. Anm. 7); MORITZ, Interim und Apokalypse (s. Anm. 7); vgl. zur Bedeutung der Apokalyptik im Luthertum der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts RO- BIN B. BARNES, Prophecy and Gnosis. Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Refor- mation, Stanford 1988; LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag (s. Anm. 1). 25 S. besonders markant Das nie nöter ge-| west ist, wider den Römischen An-| tichrist zu schreiben/ vnnd predi-| gen denn jtzundt zu dieser zeit | do die Adiaphoristen mit gewalt in jhrenn | schrifften dringen/ das man sich vnter den | Bapst begeben/ vnnd jhn für ein Bis-| schoff vnd hirten der seelen wid-| derumb erkennen vnnd | annemen sol. | Niclas von Amsdorff ..., Magdeburg: Michael Lotter 1551 (VD16 A 2348). 26 S. HANS PREUSS, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Ge- schichte der christlichen Frömmigkeit, Leipzig 1906, 83–182; die Überlegungen von Preuß prägen noch das Bild des Verhältnisses von Luthers Antichristologie zur mittel- alterlichen bei WILLIAM R. RUSSELL, Martin Luther's Understanding of the Pope as Anti- christ, in: ARG 85 (1994), 32–44; VOLKER LEPPIN, Luthers Antichristverständnis vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Konzeptionen, in: KuD 45 (1999), 48–63.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit eintrugen, die die eschatologische Scheidung in den Vordergrund stellten, ist offenkundig: Der Ansatz zu einem Kampf innerlutherischer Gruppierun- gen ging von den später sogenannten Gnesiolutheranern aus, nicht von dem Kreis um Philipp Melanchthon. Das lässt sich nun wieder an Eber in seiner Beobachterrolle gut wahr- nehmen. Wo Flacius und seine Gefährten den Spalt im Luthertum bereits 1548 mit der Stellung zum Interim gegeben sahen, registrierte Eber die Tei- lung des lutherischen Lagers erst ein gutes Jahrzehnt später und identifi- zierte den Impuls hierfür bei den Gnesiolutheranern. Damit folgte er den Erfahrungen, die er 1557 auf dem Wormser Kolloquium und bei den folgen- den Ereignissen machte. Melanchthon hatte ihn zusammen mit Jakob An- dreae zu diesen Verhandlungen als Notar mitgenommen.27 Ziel des Konvents war ein Austausch mit der katholischen Seite. Hierfür hatte das der Confes- sio Augustana verbundene Lager neben Melanchthon selbst Erhard Schnepf aus Jena,28 Johannes Brenz aus Württemberg,29 Jakob Runge aus Pommern,30 den Ansbacher Generalsuperintendenten Georg Karg31 sowie den Hessen Jo- hannes Pistorius32 aufgeboten.33 Melanchthon berichtet empört, wie er auf

27 CR 9, 394 (Nr. 6416); MBW.R 8, 169 (Nr. 8468); zur Rolle der Notare s. BENNO VON BUNDSCHUH, Das Wormser Religionsgespräch von 1557 unter besonderer Berücksich- tigung der kaiserlichen Religionspolitik, RGST 124, Münster 1988, 416f. 28 Zu ihm JULIUS HARTMANN, Erhard Schnepff, der Reformator in Schwaben, Nassau, Hessen und Thüringen, Tübingen 1870; HERMANN EHMER, Erhard Schnepf, in: BWKG 87 (1987), 72–126; VOLKER LEPPIN, Art. Schnepf, Erhard, in: TRE Bd. 30, 1999, 233– 235. 29 Zu ihm JOHANN WILHELM VON CAMERER, Johannes Brenz der Württembergische Refor- mator, Stuttgart 1840; MARTIN BRECHT, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, BHTh 36, Tübingen 1966; ders., Art. Brenz, Johannes, in: TRE Bd. 7, 1981, 170–181. 30 Zu ihm KALUS HARMS, Jakob Runge. Ein Beitrag zur Pommerschen Reformationsge- schichte, Ulm 1961; VOLKER GUMMELT, Jakob Runge, ein Schüler und Mitarbeiter Phi- lipp Melanchthons in Pommern – seine Beziehungen zum Praeceptor Germaniae, in: Baltische Studien NF 84 (1998), 57–66; ders., Art. Runge, Jakob, in: RGG Bd. 7, 42004, 675. 31 Zu ihm HANS-MARTIN WEISS, Vom notwendigen Verstand der Lehre. Kirchenleitung in der Zeit nach dem Tode Luthers am Beispiel von Georg Karg, EKGB 64, Neustadt an 4 der Aisch 1991; HELLMUT ZSCHOCH, Art. Karg, Georg, in: RGG Bd. 4, 2001, 810. 32 Zu ihm HANS-JÜRGEN GÜNTHER, Die Reformatoren und ihre Kinder, dargestellt an Vater und Sohn Johannes Pistorius Niddarius. Eine Doppelbiographie, Niddaer Geschichts- 4 blätter 2, Nidda 1994; HELLMUT ZSCHOCH, Art. Pistorius, Johannes, in: RGG Bd. 6, 2003, 1362. 33 CR 9, 394.

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Volker Leppin die Forderung der katholischen Seite, Zwinglianer, Osiandristen34 und Flaci- aner zu verurteilen, dilatorisch reagiert habe, die Jenenser sich aber darauf- hin zurückgezogen hätten und eine eigene Verurteilungsliste gegen Zwing- lianer, Osiandristen, Adiaphoristen und auch gegen die Verteidiger der Position, dass gute Werke nötig zum Heil seien, verfasst und den Katholiken vorgelegt hätten.35 Daraufhin seien sie abgereist.36 Dieses Vorgehen war un- ter diplomatischen Gesichtspunkten grotesk: Die gnesiolutherisch orientier- ten Theologen37 Erhard Schnepf, Joachim Mörlin aus Braunschweig,38 der Jenaer Victorinus Strigel39 und Superintendent Johann Stössel aus Held- burg40 nahmen den Versuch, einen Keil in das Wittenberger Lager zu trei- ben, auf und verschärften ihn gar noch, indem sie sich nun aus freien Stü- cken gegen Melanchthon und seine Anhänger wandten. Zwei Jahre nachdem der Augsburger Religionsfrieden den Verwandten der Confessio Augustana Frieden zugesichert hatte,41 legten diese vor ihren Gegnern ihre Unfähigkeit offen, sich auf eine gewisse Gemeinsamkeit zu verständigen. Die Situation wurde dadurch erschwert, dass die schon im Zusammen- hang der Streitigkeiten um das Interim zu beobachtende Schieflage in der Bestimmung der eigenen Zeitsituation erhalten blieb. Wo Melanchthon und seine Gefährten, allem Anschein nach auch Paul Eber, der Meinung waren,

34 Vgl. zum osiandrischen Streit jetzt die grundlegende Aufarbeitung von TIMOTHY WENGERT, Defending Faith. Lutheran Responses to Andreas Osiander's Doctrine of Justifi- cation, 1551–1559, SMHR 65, Tübingen 2012. 35 S. hierzu HEINRICH HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581, Bd. 1: Die Geschichte des deutschen Protestantismus von 1555–1562 ent- haltend, Marburg 1852, 197; SCHEIBLE, Melanchthon (s. Anm. 13), 232–234; BUND- SCHUH, Wormser Religionsgespräch (s. Anm. 27), 458–461; GEHRT, Ernestinische Kon- fessionspolitik (s. Anm. 7), 118f. 36 CR 9, 394f.; vgl. hierzu BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch (s. Anm. 27), 459. 37 HEPPE, Geschichte 1 (s. Anm. 35), 197. 38 Zu ihm s. MARTIN STUPPERICH, Art. Mörlin, Joachim, in: TRE Bd. 23, 1994, 193–196; JÜRGEN DIESTELMANN, Joachim Mörlin, Luthers Kaplan – »Papst der Lutheraner«. Ein Zeit- und Lebensbild aus dem 16. Jahrhundert, Neuendettelsau 2003. 39 Zu ihm s. THOMAS PFUNDNER, Victorin Strigel. 1524–1569. Protestantischer Gelehrter, Theologe, Bekenner, in: Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemein- schaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte 14 (1993), 55–83; ERNST KOCH, Victorin Strigel (1524–1569), in: HEINZ SCHEIBLE (Hrsg.), Melanchthon in seinen Schülern, Wiesbaden 1997, 391–404; ders., Art. Strigel, Victorin[us], in: TRE Bd. 32, 2001, 252–255. 40 4 Zu ihm HANS-PETER HASSE, Art. Stössel, Johann, in: RGG Bd. 7, 2004, 1751. 41 S. aus der reichen neueren Literatur zum Augsburger Religionsfrieden: AXEL GOTT- HARD, Der Augsburger Religionsfrieden, RGST 148, Münster 2004; CARL A. HOFFMANN u.a. (Hrsg.), Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden, Regens- burg 2005; HEINZ SCHILLING/HERIBERT SMOLINSKY (Hrsg.), Der Augsburger Religionsfrie- den 1555, SVRG 206, Gütersloh 2007.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit dass man über theologische Sachfragen auf einer gemeinsamen Basis rede, definierten sich die Ernestiner spätestens mit dem Weimarer Konfutations- buch von 155842 in eschatologisch verschärfter Perspektive als einen letzten auserwählten Rest, dem es obliege, gegen die allenthalben einreißenden Hä- resien die Wahrheit des christlichen Glaubens zu erhalten. Dem entsprach der Aufbau des Konfutationsbuches, das in zunehmender Verdichtung die grundlegenden Häresien aufzeigt, vom Antitrinitarismus über die Schwenckfelder, Antinomer, Täufer, Sakramentierer, Befürworter des freien Willens, Osiandristen und Majoristen bis hin zu den Adiaphoristen. Diese Auflistung hatte eine offenkundige Klimax.43 Sie ging von dem allgemeins- ten, aus römisch-katholischer wie Wittenberger Sicht zu verurteilenden Irr- tum aus und endete bei eben jenem, der Jenaer und Wittenberger schied: dem Streit um die Adiaphora. Die Hartnäckigkeit, die sich hier zeigte, war bewusst und inszeniert: Schon 1556 hatte Flacius von Melanchthon einen Widerruf seiner Haltung zu den Adiaphora verlangt,44 und dieser hatte mit seinem berühmten Satz eingestanden: fateor etiam hac in re a me peccatum esse, et a Deo veniam peto, quod non procul fugi insidiosas illas deliberatio- nes,45 den Scheible zu Recht als Eingeständnis eines »kirchenpolitischen Irr- tum(s)« deutet.46 Flacius aber hatte dieses Schuldbekenntnis als nicht aus- reichend angesehen.47 Eben diese Sicht der Kontroverse wurde nun im Konfutationsbuch bekenntnishaft festgehalten: Die Haltung der Wittenber- ger zu den Adiaphora galt nicht als vorübergehender Irrtum in Fragen des rechten Umgangs mit einer politischen Drucksituation, als welchen ihn die

42 Des Durchleuchtigen | Hochgebornen Fürsten und Herren/ Herrn | Johans Frideri- chen des Mittlern/ Hertzogen zu Sachs|sen ... in Gottes wort/ Prophetischer | und Apostolischer schrifft/ gegründete Confutationes/ Wider=|legungen und verdamnung etlicher einzeit her/ zuwider demsel=| ben Gottes wort/ und heiliger Schrifft/ auch der Augspurgi=| schen Confession Apologien/ und den Schmalkaldischen Ar=| ti- ckeln ... eingeschlichenen/ und eingerissenen Corru=| ptelen / Secten und Irrthumen ..., Jena: Thomas Rebart 1559 (VD16 1098); zur Unterzeichnung 1558 und Publikation 1559 s. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 129–137; GUSTAV WOLF, Zur Geschichte der deutschen Protestanten 1555–1559, Berlin 1888, 151. 43 Vgl. hierzu VOLKER LEPPIN, Bekenntnisbildung als Katastrophenverarbeitung. Das Konfutationsbuch als ernestinische Ortsbestimmung nach dem Tode Johann Fried- richs, in: VOLKER LEPPIN/GEORG SCHMIDT/SABINE WEFERS (Hrsg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, SVRG 204, Gütersloh 2006, 295–306. 44 Philippi Melanchthonis epistolae, iudicia, consilia, testimonia aliorumque ad eum epis- tolae, quae in Corpore Reformatorum desiderantur, hrsg. v. HEINRICH ERNST BINDSEIL, Halle 1874, 573–578 (MBW.R 7, 477f. [Nr. 7943]). 45 CR 8, 842 (Nr. 6067; MBW.R 7, 478f. [Nr. 7945]). 46 HEINZ SCHEIBLE, Art. Melanchthon, Philipp, in: TRE Bd. 22, 1992, 371–410, hier 383. 47 Melanchthonis epistolae, ed. BINDSEIL (s. Anm. 45), 578–589; MBW.R 7, 484–486 (Nr. 7955).

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Volker Leppin

Verantwortlichen hätten eingestehen können, sondern als grundsätzlicher dogmatischer Fehler, weil die Gründe der Adiaphoristen »aus lauter Philosophischer / weltlicher / und vernünfftiger Witz genomen«48 worden seien. Für Eber machte nun eben das Konfutationsbuch die Spaltung der Evan- gelischen klar, ja, er beobachtete sensibel, dass es auch bei den Herzogli- chen keine Einigkeit gab. Am 13. Juli 1559 schrieb er einem unbekannten Adressaten:

[...] und gehet mir hertzlich zu gemut, das durch diese condemnati- ones ein solche geferliche unruhe vnd spaltung der zuuor eintrech- tigen Lehrer vnd predicanten bey euch erreget vnd verursacht ist, zu grosser freud vnd frolokung, vnserer widersacher der papisten.49

Folgt man Ebers Klage und der in ihr implizierten Beschreibung der Situa- tion, so ergibt sich eine gegenüber den Gnesiolutheranern zweifach verscho- bene Wahrnehmung: Zum einen ist der neu entstandene Riss nicht etwa einfach einer zwischen ernestinischen und albertinischen Theologen, son- dern erstere haben durch ihr Verhalten für Unfrieden im eigenen Lager ge- sorgt. Die Frontlinie also verläuft anders. Und, zweitens, ihr Ursprung ist ein anderer: Nicht mit den Adiaphora, also letztlich den Leipziger Artikeln bzw. der Leipziger Landtagsvorlage, beginnt die Spaltung, sondern erst mit den jüngsten Auseinandersetzungen in Worms und der dann folgenden Ver- weigerung der Ernestiner gegenüber der im Frankfurter Rezess durch die anderen evangelischen Stände erreichten Einigung.50 In solchen Äußerun- gen zeigt sich das für politische Auseinandersetzungen charakteristische Ringen um Deutungshoheit nicht zuletzt auch über die Abläufe: Es geht um Schuldzuweisungen: Ist der eingestandene politische Fehler der Wittenber- ger im adiaphoristischen Streit der dies ater des an Luther orientierten La- gers – oder nicht vielmehr die Hartnäckigkeit der Ernestiner, diesen Fehler als taktischen zu vergeben? Eber bezieht eine klare Position zugunsten Me- lanchthons und seines eigenen, des Wittenberger Lagers. Die Identifikation mit diesem wurde dann notgedrungen umso stärker, als er nach Melan- chthons Tod in eine führende Rolle einrückte.

48 Confutationes (s. Anm. 42), 69v. 49 FB Gotha, Chart. A 123, 202r. 50 S. hierzu HEPPE, Geschichte 1 (s. Anm. 35), 277–280; GEHRT, Ernestinische Konfessi- onspolitik (s. Anm. 7), 126–129.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit

II. Der Nachfolger

Auch wenn es weder »den« Philippismus als feste Partei noch Melanchthon als festes Schulhaupt gab: Faktisch war ihm diese Rolle durch die inner- lutherischen Streitigkeiten askribiert worden. Mit seinem Tod am 19. April 1560 entstand insofern ein gewisses Vakuum. Das Vakuum wurde freilich ein doppeltes, denn in Jena zeichnete sich bereits die Peripetie des Flacius ab: Im August 1560 fand die Weimarer Disputation über die Erbsündenlehre statt, in deren Folge es nicht, wie von Flacius erhofft, zu einer Verurteilung Victorin Strigels, sondern am 10. Dezember 1561 zur Entlassung des Flacius selbst kam.51 Wohl noch ehe es hierzu kam, griffen Tilmann Hesshusen und Nikolaus Gallus Melanchthon, aber auch Eber an, eine zwinglianische Sak- ramentenlehre zu vertreten.52 Auf das Ganze der innerprotestantischen Streitigkeiten gesehen, bedeutete dies, dass der Status quaestionis verscho- ben wurde. Nicht die Frage nach den Adiaphora wurde als die eigentliche Scheidelinie markiert, sondern mit der Abendmahlslehre ein Punkt, der seit den Angriffen von Joachim Westphal auf Johannes Calvin eine neue Bedeu- tung gewonnen hatte.53 Hier ging es nicht um das rechte Verhalten gegenüber dem Interim, zu- nächst auch nicht um die meist im Mittelpunkt der Streitkreise stehende Frage nach der Rechtfertigung. Seit 1555 konnte man diese Frage in der Weise reformulieren, dass zur Debatte stand, ob die Genfer Lehren als der Augsburger Konfession verwandt anzuerkennen waren und mithin unter dem Schutz des Religionsfriedens standen oder ob sie aus dem Rahmen des Augsburger Bekenntnisses fielen und mithin auf der Seite der durch das Wittenberger Lager seinerzeit einhellig verurteilten Lehre der Zürcher zu verorten war. Für die Auseinandersetzung mit Calvin legt sich nahe, dass diese Frage sich seit dem Abschluss des Consensus Tigurinus von 154954 ver- schärft stellen musste – der zeitliche Zusammenfall mit den interimisti- schen Streitigkeiten ist demnach keineswegs nur zufällig: Bullinger und

51 S. hierzu THOMAS KAUFMANN, Art. Synergismus I, in: TRE Bd. 32, 2001, 508–518, hier 512f.; GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 209f. 52 Paul Eber, Brief (lat., autographer Entwurf) an Markgraf Georg Friedrich von Bran- denburg-Ansbach, o.O. [nach dem 19. April 1560] (FB Gotha, Chart. A 125, 142r–v, hier r 142 ); vgl. hierzu SIXT, Paul Eber (s. Anm. 23), 69. 53 S. hierzu TSCHACKERT, Entstehung (s. Anm. 5), 531–537. 54 S. EMIDIO CAMPI/RUEDI REICH (Hrsg.), Consensus Tigurinus (1549). Die Einigung zwi- schen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wer- tung – Bedeutung, Zürich 2009. Den Zusammenhang der schweizerischen Konsens- findung mit dem Interim hat THOMAS MAISSEN, Die Eidgenossen und das Augsburger Interim. Zu einem unbekannten Gutachten Heinrich Bullingers, in: SCHORN-SCHÜTTE (Hrsg.), Interim (s. Anm. 7), 76–100, 99f., herausgearbeitet.

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Calvin hatten sich wohl auch deswegen in einem Konsens zusammengefun- den, weil es galt, die Gemeinsamkeiten zu stabilisieren, während der Pro- testantismus im Reich in eine zunehmend prekäre Lage geriet. Mochte man also die Abendmahlsfrage zunächst noch als einen Reflex auf das Auseinan- derdriften von Schweizer und deutscher Reformation sehen, so verweist ge- rade die Involvierung von Hesshusen in die Auseinandersetzung mit Eber darauf, dass aus der Abgrenzung von Calvin inzwischen auch ein Streit mit und um Melanchthon geworden war. Man mag nun dahingestellt sein las- sen, ob Hesshusen, wie Heppe meinte, ein lutherischer »Zelot« gewesen ist55 oder man es hier nach PETER F. BARTON mit dem Anführer der melanchtho- nischen Linken zu tun hatte56– in jedem Falle war es sein Engagement im Heidelberger Abendmahlsstreit, das die Abendmahlsfrage zu einem Diffe- renzkriterium innerhalb des Augsburger Lagers machte. Anlass des Streits war die von Hesshusen in seiner Eigenschaft als Generalsuperintendent vollzogene Verurteilung seines Diakons Wilhelm Klebitz, weil dieser sich dagegen gewandt hatte, die Einsetzungsworte im Abendmahl simpliciter zu verstehen.57 Der Aufforderung Kurfürst Friedrichs III. folgend,58 legte Hess- husen ein Bekenntnis vor, in dem er sich klar für eine Realpräsenz Christi in den Elementen auch für die »falschen bösen Christen« aussprach.59 Damit sah er eine klare Grenzlinie zu »Zwinglianern vnd Caluinisten« gezogen60– angesichts der Anklänge seines Bekenntnisses an die Wittenberger Konkor- die61 mit nachvollziehbaren Gründen. Der Heidelberger Streit war nun aber für die Achsenverschiebung innerhalb des lutherischen Lagers von ganz entscheidender Bedeutung, weil auch Melanchthon in ihn involviert wurde: Der Kurfürst bat ihn um eine Stellungnahme, und in diesem iudicium dis- tanzierte Melanchthon sich in aller Klarheit von Hesshusen.62 Zentral ist seine Berufung auf den Wortlaut der Einsetzungsworte bei Paulus, die er

55 HEPPE, Geschichte 1 (s. Anm. 35), 305. 56 PETER F. BARTON, Um Luthers Erbe. Studien und Texte zur Spätreformation. Tilemann Heshusius (1527–1559), UKG 6, Witten 1972, 197. 57 BARTON, Luthers Erbe, 203. 58 BARTON, Luthers Erbe, 207. 59 BARTON, Luthers Erbe, 208; der gesamte Text der Konfession ist hier gedruckt: 208– 214. 60 BARTON, Luthers Erbe, 212. 61 S. die ausdrückliche Rede von »glaubigen vnnd wirdigen Christen« in BARTON, Lu- thers Erbe 208. 62 Vgl. hierzu WIM JANSE, Wittenberg calvinizans: The Involvement of Melanchthon, Peucer, and Eber in the Bremen sacramentarian Controversy, 1560, in: WILHELM H. NEU- SER/HERMAN J. SELDERHUIS (Hrsg.), Ordenlich und fruchtbar. Festschrift für Willem van ‚t Spijker, Leiden 1997, 53–67, hier 59.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit

Hesshusen entgegenhielt: Non dicit, ut Heshusius, panem esse verum corporis Christi, sed esse κοινωνίαν, id est hoc, quo fit consocatio cum corpore Christi.63 Diese schroffe Entgegensetzung musste für an Luther geschulte Ohren fatal wirken, denn die Aussage, die Melanchthon hier als Speziallehre Hes- shusen anführte und ablehnte, war ja offenkundig jene Formulierung des Einsetzungsberichts, die für Luther in den Auseinandersetzungen mit Zwingli zentrale argumentative Funktion gehabt hatte.64 Der biblische Be- fund, auf den sich Melanchthon berief, war ein anderer, und er spielte kurz vor seinem Tode die unterschiedlichen neutestamentlichen Texttraditionen gegeneinander in einer Weise aus, die auf Kosten Hesshusens ging. Dieser musste – nachdem ihm noch eine Widerrufszeit von einem halben Jahr ge- währt worden war – die Pfalz verlassen65 und wurde fortan ein vehementer Vertreter einer antimelanchthonischen Abendmahlslehre. In seinen Augen bestätigte der Vorgang, dass die Linie, die er gegen Zwinglianer und Calvi- nisten gezogen hatte, nun auch das wahre Luthertum vom Philippismus trennte. Damit ist die Abendmahlslehre praktisch mit Melanchthons Tod zu ei- nem ganz entscheidenden Kontroverspunkt geworden – dies ist der eigent- liche Hintergrund dafür, dass die einzige profilierte theologische Stellung- nahme von Eber, die in diesem Zusammenhang erhalten ist, eben der Abendmahlslehre galt. Der Angriff Hesshusens und des Nikolaus Gallus auf Eber galt also letztlich eben der Frage, ob nach Melanchthons Tod dessen Distanzierung von der Abendmahlslehre im strengen lutherischen Sinne in Wittenberg weiterhin Bestand haben sollte. Umgekehrt war es den Wittenbergern wichtig, ihre Zugehörigkeit zum lutherischen Lager zu unterstreichen. Am 30. August 1561 richteten Johann Pfeffinger, Paul Eber, Andreas Freyhub und Paul Krell ein Schreiben an Kur- fürst August von Sachsen, in dem sie ihre Entsprechung zu den Schriften

63 Melanchthons Werke in Auswahl, hrsg. v. ROBERT STUPPERICH, Bd. 6, Gütersloh 1955, 484. 64 Vgl. die berühmte Szene in Osianders Bericht: »Da hob Luther die Sammaten deck auff vnd zaiget Im den spruch, das ist mein leyb, den er mit der kreyden hett für sich gecshryben, vnd sprach. alhie steet vnnser schryfft. Die habt Jr vnns noch nicht abge- drungen, wie Ir euch erpotten habt, wir döfften kainer annderen« (WA 30III, 147,15– 18); vgl. umfassend ALBRECHT PETERS, Realpräsenz. Luthers Zeugnis von Christi Gegen- wart im Abendmahl, AGTL 5, Berlin 1966; REINHARD SCHWARZ, Selbstvergegenwärti- gung Christi. Der Hintergrund in Luthers Abendmahlsverständnis, in: DIETRICH KORSCH (Hrsg.), Die Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl, Leipzig ²2006, 19–49. 65 Zu den genauen Umständen: BARTON, Luthers Erbe (s. Anm. 56), 223, Anm. 123.

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Luthers hervorhoben und sich dezidiert von Zwingli und Calvin abgrenz- 66 ten. Die vor den Schriften WESTPHALs keineswegs selbstverständliche the- ologische Gleichsetzung dieser beiden wurde also mit großer Selbstver- ständlichkeit übernommen. So wurde einerseits die Verschiebung der Grenzziehung der Lager abgewiesen, die seit dem Heidelberger Abend- mahlsstreit drohte, nach der auch der Philippismus dem Schweizer Lager zugerechnet würde, andererseits wurde aber gegenüber früheren differen- zierteren Einordnungen die Besonderheit Calvins gegenüber Zwingli über- gangen: Vor den Auseinandersetzungen mit Klebitz war selbst Hesshusen noch bereit gewesen, Zwinglianer und Calvinisten zu unterscheiden67– nun machten auch die Wittenberger diesen Unterschied nicht mehr. Im eigenen Interesse, als Lutheraner anerkannt zu bleiben, opferten sie gewissermaßen den Genfer Reformator. Der Streit um das Abendmahl ist neben allen theo- logisch-dogmatischen Differenzierungen vor allem auch ein Kampf um sym- bolisch-politische Grenzziehungen: Man will vermittels der Abendmahls- lehre auf der rechten Seite stehen. Eben dies ist auch der Kontext von Ebers Schrift »Vom heiligen Sacra- ment des Leibs vnd Bluts vnsers HERren IESV CHRISTI« von 1562.68 Der Naumburger Fürstentag hatte mittlerweile jedenfalls eine solche Sicht des Abendmahls approbiert, die unter Anerkennung der Confessio Augustana va- riata69 eine massive Realpräsenzlehre vermied,70 und stellte mithin einen Er- folg der Wittenberger Sicht dar, freilich auf Kosten der Ernestiner, die sich den Naumburger Beschluss nicht zu eigen gemacht71 und die Spaltung im lutherischen Lager damit neuerlich vertieft hatten. Im vorliegenden Zusam-

66 FB Gotha, Chart. A 93, 25r–29v, hier 26r. 67 BARTON, Luthers Erbe (s. Anm. 56), 215. 68 Vom heiligen | Sacrament des Leibs vnd | Bluts vnsers HERren | IESV CHRISTI. | Vnterricht vnd Bekentnis | D. PAULI EBERI KIT-| TINGENSIS, PA-| STORIS der Kir- chen | zu Witteberg, Wittenberg: Georg Rau, 1562 (VD16 E 64). 69 Die Fürsten erklärten auf dem Naumburger Fürstentag, dass sie zwar die Fassung von 1530 bzw. den Druck von 1531 neu unterzeichneten, damit aber von der Fassung von 1540 »nit dem wenigsten woltenn abewichen« (ThHStA Weimar, EGA, Reg. N 285, 8r). 70 S. hierzu EIKE WOLGAST, Reformierte Konfession und Politik im 16. Jahrhundert. Stu- dien zur Geschichte der Kurpfalz im Reformationszeitalter, Schriften der Philoso- phisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 10, Heidel- berg 1998, 56f. 71 Zur Abreise der ernestinischen Delegation s. HEPPE, Geschichte 1 (s. Anm. 35), 390– 392.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit menhang interessiert er vor allem unter dem Gesichtspunkt der innerluthe- rischen Lagerbildung.72 Eber verstand sich mit dem Traktat keineswegs als individueller Autor, sondern als jemand, der der Aufforderung folgte, die Wittenberger Universität gegenüber dem Vorwurf, nicht die rechte Lehre zu vertreten, zu verteidigen.73 Die Schrift ist aber nicht einfach von einem pla- kativen apologetischen Duktus geprägt, der einem Angriff eine eigene harte Position entgegenstellte, sondern Eber entwirft eine Hermeneutik der Streit- überwindung, die auf zwei Grundpfeilern aufruht: der Berufung auf die Hei- lige Schrift74 und dem Verzicht auf einen Streit »mit den weitgesuchten Schelt vnd Schmeh worten/ mit der grewlichsten verwerffung vnd verdam- mung aller deren/ die nicht eben also reden können oder wölen/ wie ein jeder dem andern fürschreibet«.75 Der Streit solle also durch einen Rekurs auf die biblische Sprache geschlichtet werden – ein Verfahren, dessen Schwierigkeiten sich freilich schon bei Melanchthons Eingreifen in die Hei- delberger Auseinandersetzungen gezeigt hatten. Charakteristisch ist, dass diese innerlutherische Ausgleichshermeneu- tik mit eben jenen Argumenten vertreten wird, die Eber schon angesichts des Wormser Religionsgesprächs formuliert hatte: dass nämlich der Streit im eigenen Lager nur den katholischen Feinden nütze:

Vnd ist das sonderlich zu befahren/ das/ wie gut vnd trewlich es jemand meinet/ vnd nach fried vnd sönung trachtet/ andere vnruige Leut nur vrsach draus nehmen/ den Hader zu vernewen/ vnd zu erweitern/ dadurch die Kirchen je lenger je sehrer betrübt wird/ die Hertzen verstürtzet vnd jrrig/ die Widersacher freidiger vnd getroster werden.76

Auf dieser Basis erweist sich die Schrift dann vor allem als eine Bestätigung der auf dem biblischen Text gegründeten Lehre von der Präsenz Christi im Abendmahl einschließlich der »mündlichen Niessung des Leibs Christi«77 ge- gen katholische und zwinglianische Lehre. Aber Eber vermeidet allzu schroffe Festlegungen – eine elegante Charakterisierung seiner Position stammt von Robert Kolb, der erklärte, dass Eber

72 Zur theologiehistorischen Einordnung s. den Beitrag von JOHANNES HUND in diesem Band; zu den Bezügen von Ebers Position auf Calvin über Hardenberg s. JANSE, Witten- berg calvinizans (s. Anm. 62), 64–67. 73 v EBER, Unterricht und Bekenntnis (s. Anm. 68), a2 . 74 r EBER, Unterricht und Bekenntnis, a3 . 75 v EBER, Unterricht und Bekenntnis, a4 . 76 v EBER, Unterricht und Bekenntnis, a5 . 77 EBER, Unterricht und Bekenntnis, 158.

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Melanchthon insofern folgte, als er darauf verzichtete, wie Luther die Ge- genwart von Leib und Blut Christi in Brot und Wein explizit zu entfalten, aber dennoch an der wahren Präsenz Christi festhielt.78

Eber beruft sich für diese eher ausweichende Position auf den biblischen Wortlaut und treibt seine Polemik gegen die gemeinsamen Feinde, nicht aber innerhalb des lutherischen Lagers. In diesem Sinne handelt es sich tat- sächlich um eine außerordentlich irenische Schrift, an der inhaltlich wenig zu beanstanden war. Signifikant ist die Reaktion der Mansfeldischen Predi- ger hierauf: Sie warfen in der Tat Eber nur wenige inhaltliche Fehler vor,79 sondern,

Das er mit so harten/ geschwinden/ ernsten/ vnd vielen Worten/ die reinen Lehrer der Sechsischen Stedte/ vnd andere beschuldiget/ Als sein sie mir jrem schreiben wider die Sacramentirer/ die gröste/ vnd fast einige vrsa- che/ das nicht allein vielfeltige Spaltung vnd Zerrüttung in vnsern Kirchen entstanden.80

Mit solchen Äußerungen gleitet die Streitkultur der sechziger Jahre immer stärker aus der reinen dogmatischen Auseinandersetzung in politisch ge- färbte Schuldzuweisungen über: Man will sich von Eber nicht die Verant- wortung für die Auseinandersetzungen zuschreiben lassen, während es um- gekehrt dessen feste Überzeugung ist, dass diese eben bei den Gnesiolutheranern zu suchen sei und nicht im Wittenberger Kreis. Dass die- ser Protest so dezidiert von den Mansfeldischen Predigern vorgebracht wurde, hängt wiederum mit den politischen Auseinandersetzungen der Zeit zusammen: Johann Friedrich der Mittlere hatte die Isolierung des ernestini- schen Sachsen durch seine Unterstützung des Reichsritters Wilhelm von Grumbach, der seit 1563 wegen seiner Fehde gegen Würzburg81 unter

78 ROBERT KOLB, Caspar Peucers Abendmahlsverständnis, in: HANS-PETER HASSE/GÜN- THER WARTENBERG (Hrsg.), Caspar Peucer (1525–1602). Wissenschaft, Glaube und Poli- tik im konfessionellen Zeitalter, Leipzig 2004, 111–134, hier 114f. 79 S. die Ausführungen zur Unterscheidung der verschiedenen Formen von unwürdi- gem Genießen des Abendmahls: Bericht/ der Prediger | in der Graffschaft Manssfelt/ Der Ir-| rungen halben/ so zwischen jhnen/ vnd etlichen Ge-| larten/ in Vniversiteten/ vnd sonsten sich zuge-| tragen/ Auch worinnen/ vnd wie fer-| ne sie mit denselbigen| streitig, Eisleben: Andreas Petri 1568 (VD16 B 1833), B3r–B4r. 80 Bericht der Prediger in der Graffschaft Manssfelt, a4v. 81 CHRISTOPH BAUER, Melchior Zobel von Giebelstadt. Fürstbischof von Würzburg (1544– 1558). Diözese und Hochstift Würzburg in der Krise, RGST 139, Münster 1998, 550–

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Reichsacht stand, noch weiter verstärkt.82 Der Vollzug der Reichsacht an Jo- hann Friedrich83 brachte dem albertinischen Sachsen eine klare Stärkung, die allerdings nicht zu einem Ende der theologischen Streitigkeiten und da- mit der Rolle Paul Ebers in diesen führte. Das Regiment übernahm nun Johann Wilhelm,84 der sich rechtzeitig von Grumbach und seinem eigenen Bruder distanziert hatte.85 Er verschärfte die theologischen Differenzen sogar noch, indem er Johannes Wigand86 zurück- und dann auch Tilmann Hesshusen87 nach Jena berief. Damit war wieder eine klare konfessionelle Trennlinie zwischen den beiden wettinischen Ter- ritorien gezogen, die zu einen neuen Klärungsversuch führte, dem Altenbur- ger Religionsgespräch vom 20. Oktober 1568 bis zum 9. März 1569.88 An ihm nahmen auf ernestinischer Seite der eben nach Jena berufene Johannes

573; AUGUST BECK, Johann Friedrich der Mittlere, Herzog zu Sachsen. Ein Beitrag zur Geschichte des 16. Jahrhunderts, 1. Tl., Gotha 1858, 404–599. 82 S. hierzu ERNST KOCH, Ausbau, Gefährdung und Festigung der lutherischen Landes- kirche von 1553 bis 1601, in: HELMAR JUNGHANS (Hrsg.), Das Jahrhundert der Reforma- tion in Sachsen, Leipzig ²2005, 191–218, hier 197. 83 S. den Exekutionsbefehl an August von Sachsen: Abdruck | Der Röm. Keyser= | lichen May. etc. Mandat und be= | fehls/ an den Churfürsten zu Sachssen/ | etc. der Achts Execution halben wieder | die Echtere/ und dero Receptatorn | Hertzog Johan Friderichen | von Sachssen/ etc. ..., s.l. 1566 (VD16 D 1251); vgl. hierzu THOMAS KLEIN, Ernestinisches Sachsen, kleinere thüringische Gebiete, in: ANTON SCHINDLING/WALTER ZIEGLER (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessi- onalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 4: Mittleres Deutschland, KLK 52, Münster 1992, 13; WIELAND HELD, Thüringen im 16. Jahrhundert, in: JÜRGEN JOHN (Hrsg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar u.a. 1994, 9–36, hier 15. 84 Zur Reduzierung des Territoriums aufgrund der Erfurter Teilung s. WOLFGANG HUSCHKE, Politische Geschichte von 1572 bis 1775, in: HANS PATZE/WALTER SCHLESINGER (Hrsg.), Geschichte Thüringens, 5. Bd.: Politische Geschichte in der Neuzeit. 1. Tl., 1. Teilbd., Köln/Wien 1982, 1–614, hier 4. 85 Abdruck: | Des Durchleuchtigen | Hochgebornen Fürsten und Herren/ Herrn | Johanns Wilhelmen/ Hertzogen zu Sach=| sen/ etc. auff und abforderung des Schlosses | Grimmenstein und Stad Gotha/ sampt | aller seiner F.G. Lehenleuten/ ge=| schwornen Unterthanen und Ver=| wandten/ so jtziger zeit sich | darinnen enthal=| ten, s.l. 1567 (VD16 ZV 13637). 86 KARL HEUSSI, Geschichte der Theologischen Fakultät zu Jena, Weimar 1954, 75. 87 HEUSSI, Geschichte, 77. 88 S. hierzu GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 328–334; STEFAN MI- CHEL, Der synergistische Streit. Theologische und religionspolitische Interessen im Streit über den freien Willen des Menschen, in: DINGEL/WARTENBERG (Hrsg.), Politik und Bekenntnis (s. Anm. 8), 249–277, hier 270–273.

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Wigand,89 Johann Friedrich Coelestin,90 Johann Wilhelms Hofprediger Chris- toph Irenäus,91 der Weimarer Superintendent Bartholomäus Rosinus,92 des- sen Altenburger Amtskollegen Alexius Bresnitzer,93 der Jenaer Pfarrer Timotheus Kirchner,94 und als Notar der Mannstedter Pfarrer Martin Burg- graf95 teil. Die Liste der kursächsischen Theologen wurde von Paul Eber an- geführt, den Pfeffingers Schwiegersohn und Nachfolger in Leipzig Heinrich Salmuth,96 der Leipziger Theologieprofessor Andreas Freyhub,97 der Zeitzer Stiftssuperintendent Peter Praetorius,98 Caspar Cruciger d. J.,99 der formal auf Melanchthons Lektur gefolgt war, der Dresdner Hofprediger Christian Schütz (Sagittarius)100 und als Notar der Wittenberger Hebräisch-Professor Heinrich Moller101 begleiteten.102 Die Erfahrung, die diese machten, entsprach nun freilich exakt dem, was Eber ohnehin schon seit längerem als prägend für die Streitigkeiten beschrieb: Es waren wieder die Gnesiolutheraner, die die Agende zu bestimmen suchten, in dem sie eine Liste von Vorwürfen for- mulierten. Diese betrafen nun durchweg den Kern der Rechtfertigungslehre,

89 Zu ihm RONALD E. DIENER, Johann Wigand, 1523–1587, in: JILL RAITT (Hrsg.), Shapers of Religious Traditions in Germany, Switzerland, and Poland. 1560–1600, New Haven 1981, 19–38; IRENE DINGEL, Art. Wigand, Johann, in: TRE Bd. 36, 2004, 33–38. 90 Zu ihm WILHELM PREGER, Art. Coelestin, Johann Friedrich, in: ADB Bd. 4, 1876, 389– 391; MARTIN SCHMIDT, Art. Coelestin, Johann Friedrich, in: NDB Bd. 3, 1957, 308f.; zu seiner Berufung nach Jena s. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 162. 91 4 Zu ihm ERNST KOCH, Art. Irenäus, Christoph, in: RGG Bd. 4, 2001, 230f. 92 Zu ihm RUDOLF HERMANN, Magister Bartholomäus Rosfeld (Rosinus), in: REINHOLD JAUERNIG (Hrsg.), Luther in Thüringen. Gabe der Thüringer Kirche an das Thüringer Volk, Berlin [1952], 212–220; SUSANNE SIEBERT, Art. Rosinus, Bartholomäus, in: BBKL Bd. 8, 1994, 705f. 93 S. zu ihm das Biogramm bei GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 679. 94 Zu ihm INGE MAGER, Art. Kirchner, Timotheus, in: NDB Bd. 11, Berlin 1977, 664f. 95 S. zu ihm das Biogramm bei GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik (s. Anm. 7), 679. 96 Zu ihm GEORG MÜLLER, Art. Salmuth, Heinrich, in: ADB Bd. 30, 1890, 273f. 97 Zu ihm CLEMENS BROCKHAUS, Art. Freyhub, Andreas, in: ADB Bd. 7, 1877, 369. 98 Zu ihm MANFRED KNEDLIK, Art. Praetorius, Peter, in: BBKL Bd. 24, 2005, 1183f. 99 Zu ihm ROBERT STUPPERICH, Art. Cruciger, Caspar d. J., in: NDB Bd. 3, 1957, 428. 100 Zu ihm GEORG MÜLLER, Art. Schütz, Christian, in: ADB Bd. 33, 1891, 109–111. 101 Zu ihm L.U., Art. Moller, Heinrich von, in: ADB Bd. 22, 1885, 758f. 102 COLLOQVIVM | zu | Altenburgk in | Meissen/ Vom Artikel der | Rechtfertigung vor Gott. | Zwischen | Den Churfürstlichenvnd Fürstlichen zu Sachsen | etc. Theolo- gen gehalten. | Vom 20. Octobris Anno 1568. bis auff den 9. | Martij/ Anno 1569. | Es ist auch von den zweien hinderstelligen Artikeln/ Nem-| lich vom Freien Willen/ vnd von den Mitteldingen/ was da ferner | im Colloquio/ von Fürstlichen Sechsischen The- ologen/ het-| te sollen vorbracht werden/ hinzu gedruckt, Jena: Donat Richtzenhayn, 1569 (VD16 K 1945), VIIr.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit vor allem Lehren Georg Majors. Im Einzelnen warfen die herzoglichen The- ologen den kursächsischen folgende Falschlehren vor: Neben die Rechtfertigung imputatione tritt auch die aus dem angefange- nen Gehorsam.103 1. Dass wir nur vornehmlich und nicht ganz durch den Glauben gerecht seien104 2. Dass gute Werke zur Seligkeit nötig seien105 3. Dass gute Werke die Seligkeit und Gerechtigkeit erhalten sollen106 4. Dass man nicht um das sola im solagratiastreien solle107 5. Dass ein Unterscheid sei zwischen Gerechtigkeit und Seligkeit108 6. Dass die Gerechtigkeit der Christen, durch die sie vor Gott gerecht sind, in diesem Leben unvollkommen sei109 7. Dass das ewige Leben für die guten Werke gegeben werde110 8. Dass man Seligkeit und Rechtfertigung durch Glauben und Bekenntnis an- nehme und ergreife111 Die klare Stoßrichtung gegen Major ist in doppelter Hinsicht charakte- ristisch: zum einen spekuliert sie offenkundig auf das Problem einer Grup- penidentität: Major war senior112 der Wittenberger Fakultät, in Altenburg aber nicht präsent. Hingegen war Paul Eber – nach Hans-Peter Hasse zu diesem Zeitpunkt wohl der Dekan113 – vor Ort, sogar in führender Person, Sonderlehren von ihm standen aber nicht zur Debatte. Es ging also darum, wie weit die Wittenberger bereit waren, sich von einem Kollegen zu distan- zieren. Eben dies wollten diese nicht mitmachen, vor allem aber wollten sie sich nicht in der von den Vertretern gnesiolutherischer Positionen inten- dierten Weise vorführen lassen. Ihr Widerstand wurde noch dadurch ver- stärkt, dass neben der eigenen Lehrautorität wieder einmal auch die Melan- chthons hinterfragt wurde. Neben den genannten Punkten war eine der

103 BERICHT | Vom Colloquio zu | Altenburgk. | Auff den endlichen Be-| richt/ etc., Jena: [Donat Richtzenhayn], 1570 (VD16 K 1950), D3v. 104 Bericht, D4r. 105 Bericht, E1r. 106 Bericht, E3v. 107 Bericht, E4v. 108 Bericht, F2r. 109 Bericht, F2r. 110 Bericht, F2v. 111 Bericht, F3r. 112 S. HANS-PETER HASSE, Georg Major als Professor der Leucorea. Identifikation mit der Wittenberger Reformation, in: DINGEL/WARTENBERG (Hrsg.), Georg Major (s. Anm. 2), 41–68, hier 57, Anm. 42. 113 HASSE, Major, 57, Anm. 42.

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Streitfragen auch die nach der Rolle der Confessio Augustana variata114 – er- wartbarer Weise weigerten sich die Ernestiner, deren Gültigkeit in irgend- einer Weise anzuerkennen.115 Da somit schon grundlegende Regularien un- klar waren, konnte das Gespräch kaum fruchtbar verlaufen, zumal die Ernestiner offenbar die Situation, dass sie in Altenburg jedenfalls auf dem eigenem Gebiet agieren konnten, dazu nutzten, die äußeren Abläufe zu ih- ren Gunsten zu gestalten: Die albertinischen Gesandten klagten darüber, dass man sie permanent ausgrenze, ihnen das Predigtrecht nicht zugestehe, ja, sie sogar vom Abendmahl ausschließe116 – die naheliegende Folge war, dass sie unverrichteter Dinge abreisten. Das muss aus Ebers Sicht letztlich als desolater Misserfolg angesehen werden: Seine hermeneutische Friedens- strategie, wie er sie noch in der Auseinandersetzung um das Abendmahl versucht hatte, war offenbar nicht geeignet, die tatsächlichen Streitigkeiten im lutherischen Lager zu schlichten. Letztlich verfehlte er wohl, versucht man die Perspektive der ernestinischen Gegner einzunehmen, den Status quaestionis vollständig. Die schon im Zusammenhang des Interims spürbare Diskrepanz zu einem Insistieren auf Heilsfragen in eschatologischer Schärfe blieb ihm bei seinem irenischen Bemühen um Beruhigung fremd.

III. Schlussüberlegungen

Auf dem berühmten Epitaph Paul Ebers in der Wittenberger Stadtkirche117 erscheint die konfessionelle Welt wunderbar klar: Es sind zwei Gruppen, die den Weinberg des Herrn bestellen. Die Lutheraner, die ihn dazu bringen, fruchtbar zu gedeihen, und die Katholiken, die sich als unrechte Haushälter erweisen. Denkt man an den biblischen Hintergrund des Weinbergbildes, so zeigt sich auch darin eine eschatologische Schärfe: Die Weise der rechten Pflege des Weinbergs bestimmt über Lohn oder Strafe durch Gott. Aber das Weinbergbild drückt auch etwas über die Gegenwart aus, und scheint damit die Weltsicht Paul Ebers in all ihren Grenzen zu erfassen: Er lernte in seiner theologischen Jugend die Front zwischen reformatorischer und altgläubiger Theologie kennen – und zeitlebens hatte er Schwierigkeiten damit, anzuer- kennen, dass die Lage komplexer wurde, als es diese Zweiteilung ausdrückt. Ihm ging es darum, die gemeinsame Frontlinie gegenüber der päpstlichen

114 HEINRICH HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555– 1581, Bd. 2: Die Geschichte des deutschen Protestantismus von 1563–1574 enthal- tend, Marburg 1853, 221f. 115 Bericht (s. Anm. 103), C2v; Colloquium (s. Anm. 102), 473. 116 Colloquium, 473. 117 S. den Beitrag von DOREEN ZERBE in diesem Band.

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Paul Eber und die Lehrkontroversen seiner Zeit

Kirche auszudrücken. Als es unausweichlich wurde, wandte er sich über- dies auch gegen den Calvinismus. Aber die Vorstellung, dass es auch inner- halb des lutherischen Lagers um die Frage des rechten Glaubens ging, schien ihm auf bloßer Streitsucht zu beruhen und mit der Entdeckung des Evangeliums wenig zu tun zu haben. Zeuge und Beteiligter der innerluthe- rischen Streitigkeiten wurde er als ein zutiefst irenischer Mensch. Seine Versuche aber, die Gespräche auf dieser Grundlage in friedliche Bahnen zu lenken, scheiterten. Der Streit ging weiter, und Eber selbst musste nach Me- lanchthons Tod gelegentlich in vorderster Reihe daran mitwirken. Als Betei- ligter der Streitigkeiten bleibt er eher im Hintergrund und vergleichsweise blass – seine hermeneutischen Anregungen verhallten wohl auch deswegen ungehört, weil die Zahl derjenigen, die wie er im Streit Frieden suchten, gering war.

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