21/Fu Ball Turin (Page 134)
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Sport RICHIARDI / SPORTIMAGE Juventus-Profi Lombardo (M.), Kollegen: Die Bande von Milchgesichtern wirkt verwüstend CHAMPIONS LEAGUE „Komposition von Menschen“ Juventus Turin, Gegner von Borussia Dortmund im Europacup-Finale der Landesmeister, gilt als momentan beste Vereinself der Welt. In Zeiten, in denen die Stars immer mächtiger werden, setzt der Klub der Agnelli-Familie seine Akteure wie seelenlose Werkzeuge ein. er Tag, an dem sich das Schicksal Chef: Eine italienische Familie stößt ihr Darum verkauften sie die teuersten von Juventus Turin entschied, be- Unternehmen nach einem Dreivierteljahr- Stars, kauften die besten Junioren des Lan- Dgann für die Gebrüder Agnelli mit hundert nicht ab, eine italienische Familie des und steckten sie in ein Internat. Neun zwei ziemlich gewöhnlichen Nachrichten. trifft Entscheidungen. neue Marketing-Kräfte heuerten an und Das Fiat-Modell mit dem Namen Punto Und so traf Ehrenpräsident Umberto akquirierten bislang 80 Sponsoren. Und so, verkaufte sich schlecht, und die Fußballer Agnelli Entscheidungen. Er beschloß an sagt der Vice Presidente Roberto Bettega, von Juve hatten schon wieder verloren. diesem Morgen Anfang 1994, Trainer und 46, während er vor Aufregung seine Chri- Diesmal aber sah Umberto Agnelli Hand- Manager und all jene zu entlassen, die jah- stian-Dior-Sonnenbrille unter den sechs lungsbedarf. „Sollen wir den Verein relang die Lire-Milliarden verjubelt und Meter langen Schreibtisch schmeißt, „be- verkaufen?“ fragte er seinen Bruder Gio- Juventus zu einem scheintoten Verein ge- gann unser kleines Wunder“. vanni. macht hatten, verschuldet und vom AC Denn heute gilt la vecchia signora Juve, Giovanni Agnelli, den sie in Turin ehr- Mailand abgehängt. Der neuen Führungs- die alte Dame Juve, der Fußballwelt als fürchtig „Avvocato“ oder vertraulich mannschaft gab er zwei knappe Sätze vor: Sinnbild des idealen Klubs: erfolgreich, „Gianni“ nennen, antwortete mit einer „Tut was, aber spart.Wir wollen keine Lira gewinnbringend und attraktiv. Ein ähnlich Weisheit aus seinem langen Leben als Fiat- mehr in Juventus investieren.“ prächtiges Image wie das in allen Blät- 134 der spiegel 21/1997 tern und Kanälen gepriesene der Turiner Hemden. „Wenn ein Spieler bei uns un- einsanzug, kommt unglaublich cool daher, hat kein zweiter Klub. „Eine gefräßige terschreibt, weiß er, worauf er sich ein- aber gänzlich ungefährlich. „Ich bin kein Mannschaft“ sei dieses Juventus, lobt Franz läßt“, sagt Lippi, „ich muß immer an die Star, wir sind Juventus“, sagt er am aller- Beckenbauer, die „spielstärkste Mann- Zukunft des Vereins denken.“ liebsten. schaft der Welt“, urteilt Berti Vogts. Da darf einer ruhig Kapitän des Cham- Und weil sich auch der spielerische Kopf Den Hymnen der Experten zufolge pions-League-Gewinners sein wie Gianlu- der Truppe, der Franzose Zinedine Zidane, schießt im Stadio Delle Alpi ein junges ca Vialli – der Mann war schon 32 und wur- 24, unauffällig an den Wänden ent- Team, geführt von einem psychologisch ge- de deshalb beim ersten Angebot nach Lon- langdrückt und ständig die „sehr schönen wieften Trainer, maßlos viele Tore und ge- don verhökert. Roberto Baggio mochte die Ideen unseres Trainers“ lobt, scheint es, winnt jeden Titel, der zu gewinnen ist; ein Drittelung seiner Bezüge nicht hinnehmen als hätten sie in Turin eine Bande von Management, das nichts lieber tut, als Ent- – sein Verkauf brachte 20 Millionen Mark Milchgesichtern versammelt. Die wirken scheidungen zu treffen, plant ein ultramo- ein, und der Weltfußballer von 1994 wur- auf dem Feld „verwüstend“, wie Ajax dernes Stadion und zählt das Geld, das de durch einen 20jährigen ersetzt. Amsterdams Trainer Louis van Gaal nach durchs Pay-per-View-Fernsehen herein- Juventus Turin, 23maliger italienischer zwei verlorenen Champions-League-Spie- kommt; und die Familie Agnelli, der 99,6 Meister, war einmal ein Klub der Helden- len meinte, jenseits des Stadions aber geht Prozent des Vereins gehören, verpaßt Ju- gestalten in Stollenschuhen. Seit vor exakt ihnen jegliches Charisma ab. Und damit ventus Stil und Kontinuität. 100 Jahren ein paar Schüler des D’Azeglio- liefern sie den Nachweis dafür, daß mo- Doch auch falscher Schein und ein be- Gymnasiums auf einem grünen Bänkchen derner Fußball offenbar dreierlei benötigt: achtliches Maß an Skrupellosigkeit trugen zur Turiner Erfolgsstory bei. Am Anfang stand eine Idee der Kon- kurrenz. Der AC Mailand des Fernsehza- ren Silvio Berlusconi hatte Ende der acht- ziger Jahre ein „Laboratorium des moder- nen Fußballs“ (Berlusconi) errichtet, das in Turin, wo der TV-Magnat als neureicher Trampel und großmäuliger Gegenspieler der aristokratischen Agnellis gilt, natur- gemäß Abscheu erregte. 25 Fußballer, meist Nationalspieler, kämpften bei Milan um elf Plätze – der einzelne zählte nichts mehr, und wenn er noch so berühmt war. Dann aber verlor Berlusconi die Lust am Fußball; mittlerweile ist seine Mannschaft überaltert und das Laboratorium gleich- sam explodiert.Vor einigen Wochen verlor Milan auf heimischem Boden 1:6 – gegen Juventus. Denn Juve-Trainer Marcello Lippi, 49, IMAGES / ACTION SPORTIMAGE hat das darwinistische Konzept des Rivalen Juventus-Spielmacher Zidane*: „Eine gefräßige Mannschaft“ noch verfeinert: Drei, vielleicht vier Jahre taugt ein Profi nach seinem Verständnis am Corso Re Umberto den Verein gründe- Talent, taktische Disziplin und bedin- zum Juventus-Angestellten; dann kann er ten, spielten dort die Torhüter Giampiero gungslose Unterordnung. vielleicht noch eine Weile in der National- Combi und Dino Zoff oder die Künstler Die Profis müssen sich einem strengen mannschaft spielen, aber nicht mehr für Bettega, Baggio und Michel Platini. Das Kodex verpflichten („Vereinskrawatte mit den elitären Klub mit den schwarz-weißen neue Juventus tauscht Spieler aus wie die Windsor-Knoten binden“), vor Journali- Fiat-Mechaniker Zündkerzen. sten flüchten und allzeit den einen Gott „Wir trauern um jeden, der gehen muß“, loben, der Juventus heißt. sagt Claudio Conti, 53, Präsident des Ju- So wirkt es, als sei Juventus dort ange- ventus-Fanklubs „Mario Onorato“. Conti kommen, wo Borussia Dortmund – am hat für Juve einst seine Hochzeit verscho- übernächsten Mittwoch Gegner der Tu- ben, mit seiner Ehefrau nächtens, wenn riner im Finale der Champions League – der italienische Mann „doch eigentlich an- und Bayern München seit Jahren hinstre- deres im Sinn hat“, Transparente genäht. ben: Das Markenzeichen ist das Vereins- Und immer hat er eher die Idole als den wappen, alle Ehre gehört dem Klub – den Klub verehrt.Aber wenn er nun Abend für Spielern wird der Ruhm nur für die Dau- Abend mit seinen Freunden über die bra- er ihrer Verträge geliehen. Und wenn sie ve Juve von heute diskutiert, kommt er abgestoßen werden, sind sie immerhin doch stolz zu dieser Erkenntnis: „Wir wer- reich. den noch besser, immer besser.“ In der Kaserne ist immer der Haupt- Baggios Nachfolger heißt Alessandro mann der Star. Marcello Lippis erste Amts- Del Piero und erzählt seinen Fans im In- handlung war es, den Auszug der Mann- ternet, wie er seinen millimeterdünnen schaft aus dem schnieken Trainingscamp Bart pflegt: „Ich habe es drei Jahre lang Orbassano zu verfügen, wo es ehrwürdig geübt.“ Del Piero trägt wie seine Kollegen und still zuging wie in einem Konvikt. Nun, schmalste Sonnenbrillen zum blauen Ver- da Juventus wie ein Dienstleistungsunter- C. GALIMBERTI / OLYMPIA C. GALIMBERTI nehmen funktioniert, demonstriert der Juventus-Besitzer Agnelli, Trainer Lippi * Beim 2:1-Sieg im Champions-League-Halbfinale am Klub Volksnähe, indem er wieder in der „Jeder ist ein Playboy“ 9. April in Amsterdam. Stadt im Stadio Communale übt; dort der spiegel 21/1997 135 Sport riecht es nach altem Mauerwerk Bettega ist so etwas wie der Uli Hoeneß und den benachbarten Fabriken. Turins. Seit sein Vater im September 1960 Der Ausbilder sieht aus wie den neunjährigen Roberto zum Probetrai- Paul Newman. Er steht mit Tril- ning brachte und irgendein Trainer nach ei- lerpfeife zwischen den Zähnen im ner Viertelstunde sagte: „Du bist einer von Mittelkreis und beschäftigt sich uns“, seitdem existiert Bettega im wesent- längst nicht mehr mit Stoppen lichen als Juventino. Für ihn hat ein Sport- und Schießen; „wir sind da wei- klub noch eine Seele, für ihn ist das eige- ter“, sagt Lippi und läßt Tag für ne Leben dank Juventus „ein einziger Tag den auf dem Zeichenblock Traum“. 1977 etwa wurde er in vier Tagen geplanten Lauf des Balles proben. erst Uefa-Cup-Sieger und dann Meister; Lippis Soldaten verteidigen mit Bettegas Tore entschieden beide Spiele. einer Viererkette und greifen mit Und heute arbeitet der ganz in Blau ge- zwei Stürmern an; im Mittelfeld wandete Signore, in dessen Hemden seine verteilt Zidane die Bälle. Und Initialen gestickt sind, so leidenschaftlich wenn samstags Juventus Prima- für Juve wie der Kollege Hoeneß für Bay- vera (zu deutsch „Frühling“), die ern München, aber womöglich ein wenig erste Jugendmannschaft, 10:0 ge- effizienter. gen Vanchiglia gewinnt, kickt der Wie der FC Bayern möchte auch Juven- Jungstar Luigi Giandomenico wie tus gern eine neue Arena haben. Das ist Zidanes kleiner Bruder. „Alle un- ökonomischer Irrsinn, weil das Stadio sere Teams spielen identisch“, Delle Alpi erst 1990 eingeweiht wurde, aber sagt Primavera-Trainer Salvatore Bettega weiß, wie man in Italien sanften Iacolino, 46, „dann ist jeder Spie- Druck ausübt. Mal trug Juventus ein Heim- ler ersetzbar. Lippi will es so.“ spiel in Palermo aus, mal ausgerechnet in Der Chef stammt aus dem tos- Mailand. „Wir wollen unsere Stadt ja nicht kanischen