Sport RICHIARDI / SPORTIMAGE Juventus-Profi Lombardo (M.), Kollegen: Die Bande von Milchgesichtern wirkt verwüstend

CHAMPIONS LEAGUE „Komposition von Menschen“ Juventus Turin, Gegner von Borussia Dortmund im Europacup-Finale der Landesmeister, gilt als momentan beste Vereinself der Welt. In Zeiten, in denen die Stars immer mächtiger werden, setzt der Klub der -Familie seine Akteure wie seelenlose Werkzeuge ein. er Tag, an dem sich das Schicksal Chef: Eine italienische Familie stößt ihr Darum verkauften sie die teuersten von Juventus Turin entschied, be- Unternehmen nach einem Dreivierteljahr- Stars, kauften die besten Junioren des Lan- Dgann für die Gebrüder Agnelli mit hundert nicht ab, eine italienische Familie des und steckten sie in ein Internat. Neun zwei ziemlich gewöhnlichen Nachrichten. trifft Entscheidungen. neue Marketing-Kräfte heuerten an und Das -Modell mit dem Namen Punto Und so traf Ehrenpräsident Umberto akquirierten bislang 80 Sponsoren. Und so, verkaufte sich schlecht, und die Fußballer Agnelli Entscheidungen. Er beschloß an sagt der Vice Presidente , von Juve hatten schon wieder verloren. diesem Morgen Anfang 1994, Trainer und 46, während er vor Aufregung seine Chri- Diesmal aber sah Hand- Manager und all jene zu entlassen, die jah- stian-Dior-Sonnenbrille unter den sechs lungsbedarf. „Sollen wir den Verein relang die Lire-Milliarden verjubelt und Meter langen Schreibtisch schmeißt, „be- verkaufen?“ fragte er seinen Bruder Gio- Juventus zu einem scheintoten Verein ge- gann unser kleines Wunder“. vanni. macht hatten, verschuldet und vom AC Denn heute gilt la vecchia signora Juve, , den sie in Turin ehr- Mailand abgehängt. Der neuen Führungs- die alte Dame Juve, der Fußballwelt als fürchtig „Avvocato“ oder vertraulich mannschaft gab er zwei knappe Sätze vor: Sinnbild des idealen Klubs: erfolgreich, „Gianni“ nennen, antwortete mit einer „Tut was, aber spart.Wir wollen keine Lira gewinnbringend und attraktiv. Ein ähnlich Weisheit aus seinem langen Leben als Fiat- mehr in Juventus investieren.“ prächtiges Image wie das in allen Blät-

134 der spiegel 21/1997 tern und Kanälen gepriesene der Turiner Hemden. „Wenn ein Spieler bei uns un- einsanzug, kommt unglaublich cool daher, hat kein zweiter Klub. „Eine gefräßige terschreibt, weiß er, worauf er sich ein- aber gänzlich ungefährlich. „Ich bin kein Mannschaft“ sei dieses Juventus, lobt Franz läßt“, sagt Lippi, „ich muß immer an die Star, wir sind Juventus“, sagt er am aller- Beckenbauer, die „spielstärkste Mann- Zukunft des Vereins denken.“ liebsten. schaft der Welt“, urteilt . Da darf einer ruhig Kapitän des Cham- Und weil sich auch der spielerische Kopf Den Hymnen der Experten zufolge pions-League-Gewinners sein wie Gianlu- der Truppe, der Franzose Zinedine Zidane, schießt im Stadio Delle Alpi ein junges ca Vialli – der Mann war schon 32 und wur- 24, unauffällig an den Wänden ent- Team, geführt von einem psychologisch ge- de deshalb beim ersten Angebot nach Lon- langdrückt und ständig die „sehr schönen wieften Trainer, maßlos viele Tore und ge- don verhökert. mochte die Ideen unseres Trainers“ lobt, scheint es, winnt jeden Titel, der zu gewinnen ist; ein Drittelung seiner Bezüge nicht hinnehmen als hätten sie in Turin eine Bande von Management, das nichts lieber tut, als Ent- – sein Verkauf brachte 20 Millionen Mark Milchgesichtern versammelt. Die wirken scheidungen zu treffen, plant ein ultramo- ein, und der Weltfußballer von 1994 wur- auf dem Feld „verwüstend“, wie Ajax dernes Stadion und zählt das Geld, das de durch einen 20jährigen ersetzt. Amsterdams Trainer Louis van Gaal nach durchs Pay-per-View-Fernsehen herein- Juventus Turin, 23maliger italienischer zwei verlorenen Champions-League-Spie- kommt; und die Familie Agnelli, der 99,6 Meister, war einmal ein Klub der Helden- len meinte, jenseits des Stadions aber geht Prozent des Vereins gehören, verpaßt Ju- gestalten in Stollenschuhen. Seit vor exakt ihnen jegliches Charisma ab. Und damit ventus Stil und Kontinuität. 100 Jahren ein paar Schüler des D’Azeglio- liefern sie den Nachweis dafür, daß mo- Doch auch falscher Schein und ein be- Gymnasiums auf einem grünen Bänkchen derner Fußball offenbar dreierlei benötigt: achtliches Maß an Skrupellosigkeit trugen zur Turiner Erfolgsstory bei. Am Anfang stand eine Idee der Kon- kurrenz. Der AC Mailand des Fernsehza- ren hatte Ende der acht- ziger Jahre ein „Laboratorium des moder- nen Fußballs“ (Berlusconi) errichtet, das in Turin, wo der TV-Magnat als neureicher Trampel und großmäuliger Gegenspieler der aristokratischen Agnellis gilt, natur- gemäß Abscheu erregte. 25 Fußballer, meist Nationalspieler, kämpften bei Milan um elf Plätze – der einzelne zählte nichts mehr, und wenn er noch so berühmt war. Dann aber verlor Berlusconi die Lust am Fußball; mittlerweile ist seine Mannschaft überaltert und das Laboratorium gleich- sam explodiert.Vor einigen Wochen verlor Milan auf heimischem Boden 1:6 – gegen Juventus.

Denn Juve-Trainer , 49, IMAGES / ACTION SPORTIMAGE hat das darwinistische Konzept des Rivalen Juventus-Spielmacher Zidane*: „Eine gefräßige Mannschaft“ noch verfeinert: Drei, vielleicht vier Jahre taugt ein Profi nach seinem Verständnis am Corso Re Umberto den Verein gründe- Talent, taktische Disziplin und bedin- zum Juventus-Angestellten; dann kann er ten, spielten dort die Torhüter Giampiero gungslose Unterordnung. vielleicht noch eine Weile in der National- Combi und oder die Künstler Die Profis müssen sich einem strengen mannschaft spielen, aber nicht mehr für Bettega, Baggio und . Das Kodex verpflichten („Vereinskrawatte mit den elitären Klub mit den schwarz-weißen neue Juventus tauscht Spieler aus wie die Windsor-Knoten binden“), vor Journali- Fiat-Mechaniker Zündkerzen. sten flüchten und allzeit den einen Gott „Wir trauern um jeden, der gehen muß“, loben, der Juventus heißt. sagt Claudio Conti, 53, Präsident des Ju- So wirkt es, als sei Juventus dort ange- ventus-Fanklubs „Mario Onorato“. Conti kommen, wo Borussia Dortmund – am hat für Juve einst seine Hochzeit verscho- übernächsten Mittwoch Gegner der Tu- ben, mit seiner Ehefrau nächtens, wenn riner im Finale der Champions League – der italienische Mann „doch eigentlich an- und Bayern München seit Jahren hinstre- deres im Sinn hat“, Transparente genäht. ben: Das Markenzeichen ist das Vereins- Und immer hat er eher die Idole als den wappen, alle Ehre gehört dem Klub – den Klub verehrt.Aber wenn er nun Abend für Spielern wird der Ruhm nur für die Dau- Abend mit seinen Freunden über die bra- er ihrer Verträge geliehen. Und wenn sie ve Juve von heute diskutiert, kommt er abgestoßen werden, sind sie immerhin doch stolz zu dieser Erkenntnis: „Wir wer- reich. den noch besser, immer besser.“ In der Kaserne ist immer der Haupt- Baggios Nachfolger heißt Alessandro mann der Star. Marcello Lippis erste Amts- Del Piero und erzählt seinen Fans im In- handlung war es, den Auszug der Mann- ternet, wie er seinen millimeterdünnen schaft aus dem schnieken Trainingscamp Bart pflegt: „Ich habe es drei Jahre lang Orbassano zu verfügen, wo es ehrwürdig geübt.“ Del Piero trägt wie seine Kollegen und still zuging wie in einem Konvikt. Nun, schmalste Sonnenbrillen zum blauen Ver- da Juventus wie ein Dienstleistungsunter-

C. GALIMBERTI / OLYMPIA C. GALIMBERTI nehmen funktioniert, demonstriert der Juventus-Besitzer Agnelli, Trainer Lippi * Beim 2:1-Sieg im Champions-League-Halbfinale am Klub Volksnähe, indem er wieder in der „Jeder ist ein Playboy“ 9. April in Amsterdam. Stadt im Stadio Communale übt; dort

der spiegel 21/1997 135 Sport riecht es nach altem Mauerwerk Bettega ist so etwas wie der Uli Hoeneß und den benachbarten Fabriken. Turins. Seit sein Vater im September 1960 Der Ausbilder sieht aus wie den neunjährigen Roberto zum Probetrai- Paul Newman. Er steht mit Tril- ning brachte und irgendein Trainer nach ei- lerpfeife zwischen den Zähnen im ner Viertelstunde sagte: „Du bist einer von Mittelkreis und beschäftigt sich uns“, seitdem existiert Bettega im wesent- längst nicht mehr mit Stoppen lichen als Juventino. Für ihn hat ein Sport- und Schießen; „wir sind da wei- klub noch eine Seele, für ihn ist das eige- ter“, sagt Lippi und läßt Tag für ne Leben dank Juventus „ein einziger Tag den auf dem Zeichenblock Traum“. 1977 etwa wurde er in vier Tagen geplanten Lauf des Balles proben. erst Uefa-Cup-Sieger und dann Meister; Lippis Soldaten verteidigen mit Bettegas Tore entschieden beide Spiele. einer Viererkette und greifen mit Und heute arbeitet der ganz in Blau ge- zwei Stürmern an; im Mittelfeld wandete Signore, in dessen Hemden seine verteilt Zidane die Bälle. Und Initialen gestickt sind, so leidenschaftlich wenn samstags Juventus Prima- für Juve wie der Kollege Hoeneß für Bay- vera (zu deutsch „Frühling“), die ern München, aber womöglich ein wenig erste Jugendmannschaft, 10:0 ge- effizienter. gen Vanchiglia gewinnt, kickt der Wie der FC Bayern möchte auch Juven- Jungstar Luigi Giandomenico wie tus gern eine neue Arena haben. Das ist Zidanes kleiner Bruder. „Alle un- ökonomischer Irrsinn, weil das Stadio sere Teams spielen identisch“, Delle Alpi erst 1990 eingeweiht wurde, aber sagt Primavera-Trainer Salvatore Bettega weiß, wie man in Italien sanften Iacolino, 46, „dann ist jeder Spie- Druck ausübt. Mal trug Juventus ein Heim- ler ersetzbar. Lippi will es so.“ spiel in Palermo aus, mal ausgerechnet in Der Chef stammt aus dem tos- Mailand. „Wir wollen unsere Stadt ja nicht kanischen Badeort Viareggio und verlassen“, sagt der Vizepräsident mit ei- war Giovanni Agnelli zunächst nem ganz zauberhaften Lächeln – aber „völlig unbekannt“. Inzwischen kein Bürgermeister könnte sich in Turin aber gilt er schon wegen seiner im Amt halten, der als Vertreiber von Juve weißen Haare und seiner ausge- gälte. Das neue Stadion wird nun auf dem prägten Zuneigung zur Turiner Gelände des Stadio Communale entstehen

Damenwelt als Agnellis Zieh- IMAGES / ACTION SPORTIMAGE und rund 48000 Zuschauer fassen. sohn. „Jeder ist ein Playboy.Alle Juventus-Profi Deschamps* „Mit einer Vision und viel Arbeit“ hat versuchen es, mancher schafft „Jeder, der mehr hat, gibt dem anderen“ Bettega aus einem Traditionsklub das Krea- es“, pflegt der Avvocato zu sa- tivzentrum der Branche gemacht. Daß bei- gen. Der junge Lippi ging einst bevorzugt spielsweise die Champions League ab 1999 mit holländischen Touristinnen ins Mittel- Halbfinale und Endspiel innerhalb von fünf meer. Tagen und in einem Land austragen soll, Zweimal war Lippi in unteren Ligen ent- war Bettegas Idee: So entstehe ein neuer lassen worden, ehe er in Bergamo und „gigantischer Event“, und zugleich wür- Neapel mit strategisch geschicktem Spiel den Spieltermine für andere Anlässe frei. immer öfter gewann. Nach Turin paßt der Und während Vereine in ganz Europa braungebrannte Mann, der ständig mit ge- gern vom Zukunftsmodell Pay-per-View ballten Fäusten seine Augen von irgend et- reden, haben Italiens Profiligen unter was reinigt, das die klare Sicht zu trüben Führung von Juventus dieses „zweite aus- scheint, vor allem, weil er auch Uno, Pun- verkaufte Stadion pro Heimspiel“ (Bette- to und Cinquecento verkaufen könnte. ga) bereits im vergangenen September ein- Denn Lippi erzählt seinen Spielern, daß geführt: In allen Regionen außer jener, in „hier jeder, der mehr hat, dem anderen welcher das Spiel stattfindet, können sich mehr gibt“, und erzeugt dadurch Team- die Fernsehzuschauer für 30000 Lire zu- geist in seiner „Komposition von Men- schalten – Quotenhits sind die Auftritte der schen“, die er schon im Sommer wieder Juventini, die nun wie früher als die wah- umbesetzen wird. re Nationalelf verehrt werden. So gibt er sich charmant und läuft doch Die Fußball-Fabrik sei also bestens be- auf Eisfach-Temperaturen. Der Fotograf stellt, urteilt die Familie Agnelli inzwi- Oliviero Toscani nennt Lippi einen „Mann schen. Giovanni, der Avvocato, zieht nun von Ehre“, was im Land der Paten ein wieder öfter seine weiten Windjacken an ziemlich zweideutiges Lob ist. und läßt den Chauffeur rufen. Dann rollt er

Es ist sicherlich das eine Erfolgsgeheim- SCHMIDT J. ins Stadion und schaut aus seiner Loge im nis des Europacup-, Supercup- und Welt- Juventus-Vizepräsident Bettega* zweiten Rang hernieder. Und manchmal pokalsiegers, daß Juventus gerade in Zei- „Du bist einer von uns“ setzt er sich sogar neben die Trainerbank. ten, in denen Profisportler immer mächti- Am vorvergangenen Sonntag mußte er ger werden, einen quasi allmächtigen Trai- ist, daß Roberto Bettega und seine Mit- zwar ein 0:0 gegen Sampdoria Genua er- ner installiert hat. Das andere Geheimnis streiter an der Piazza Crimea einen Klub, tragen, aber, so meinte der Avvocato mil- der von Mäzenen lebte, zu einer Firma ge- de, „wir haben Paris mit 6:1 und Amster- * Oben: beim Zweikampf mit dem Dortmunder Knut macht haben, die in drei Jahren die Ein- dam mit 4:1 geschlagen“. Er sei ja mit dem Reinhardt im Uefa-Cup-Halbfinale im April 1995; unten: mit der Bank, auf der Juventus Turin vor 100 Jahren ge- nahmen von 50 Millionen auf 110 Millionen Fußball geboren, und nun, endlich, könne gründet wurde. Mark steigern konnte. er ihn wieder lieben. ™

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