KEIN MARKEN ZEICHEN Ihre tanzende, knallgelbe Riesenspirale unter dem Funkturm kennt jeder, der schon einmal die Avus entlanggekurvt ist. Aber wer kennt schon Ursula Sax ? Die Geschichte einer faszinierenden Künstlerin, die sich zeitlebens immer die Freiheit der Wandlung genommen hat

TEXT: SUSANNE ALTMANN

Riesenspaghetti unterm Funkturm: Skulptur aus 120 Meter Stahlrohr LOOPING, 1992, 18 X 50 M, DURCHMESSER: 1 M

70 71 Materialvielfalt: Skulptur aus Stoff, inspiriert von der Moschee in Istanbul HAGIA SOPHIA, 1989, 300 X 425 X 410 CM

Installation aus Holzlatten im Schloss Charlottenburg XYLOPHON, 1989, CIRCA 360 CM HOCH

72 73 »Ich kam aus . Da lernte man nicht schweißen«

ls die 21-Jährige endlich in ankommt, hat sie in Stuttgart schon eine Kar- Performance in der Auferstanden aus riere als Wunderkind hin- Akademie der Künste Ruinen: Sax’ erste ter sich. Mit zarten 15 Jah- GEOMETRISCHES Auftragsarbeit; das BALLETT, 1990 Wandrelief aus Eisen ren wird Ursula Sax 1950 hing in den sechziger Adort zum Kunststudium zugelassen, das war Jahren in einem nicht nur für damalige Verhältnisse phäno- Studentenwohnheim, jetzt hat sie es menal. Allerdings sei die Ausbildung »zu auf dem Dachboden 95 Prozent altmodisch und figürlich« ge- wiedergefunden wesen, erinnert sie sich an ihre Studienzeit. ALMENO DUE, 1957, »Ich kam aus Stuttgart, da lernte man nicht 250 X 207 X 18 CM schweißen.« Ihre persönliche Lichtgestalt heißt . Jeden Dienstag um zehn setzt der Großmeister der Abstraktion eine öffentliche Korrektur an, zu der er auch Studentin kein Grund, der Aufgabe auszuwei- ckung eines bedeutenden Werks der deut- ausdrücklich Außenstehende bittet. Einer chen. Sie schweißt ein kompliziertes Geflecht schen Nachkriegsabstraktion. Es steht für nach dem anderen soll seine Meinung zu den aus Platten und Gestängen, die einander den Beginn eines Lebenswerks voller Risiko- Arbeiten vortragen, die die Studenten an die durchdringen und je nach Blickwinkel neue freude und beispielhaft für Ursula Sax’ Lust Wände gepinnt haben. »Das war fürchterlich geometrische Muster bilden. In dem zweiein- am handwerklichen Experimentieren, für für mich, weil ich zu Hause nicht den Mund halb Meter hohen Metallgerüst klingen noch ihren kühnen Umgang mit Materialien aller aufmachen durfte. Also rutschte ich im Stuhl- ferne Bezüge zu Figurinen an, zu den radika- Art und letztlich für ihr Interesse an öffent- kreis immer weiter nach hinten, nur um len Gestaltreduktionen der russischen Avant- lichen Skulpturen. nicht an die Reihe zu kommen«, schaudert garde oder des Bauhauses vielleicht. Almeno Wer kennt sie nicht, jene monumentale, die aus Backnang stammende Bildhauerin due (»Zumindest zwei«) nennt sie das Werk leuchtend gelbe Spirale nahe dem Berliner noch immer. Doch eines weiß das schüchter- und sieht darin also wenigstens zwei Figuren, Funkturm? Unübersehbar schwingt sich diese ne Mädchen genau: Von vornherein kommt die wie seltsame Fernsehantennen zueinan- Raumplastik namens Looping seit 1992 über nur die Abstraktion als ihre persönliche Spra- der Kontakt aufnehmen. Später vergisst sie die Einfahrt zu einer Tiefgarage und nimmt che infrage. Strenge Formen haben es ihr an- dieses frühe Auftragswerk fast. es mühelos mit der eher gesichtslosen Archi- getan. »Ich wollte immer Klarheit und nicht Erst letzten Sommer wird es wieder auf- tektur des Messegeländes auf. Schon 1987 als deren Auflösung. Mir ist wichtig, dass es kein gespürt, pünktlich zu ihrem 80. Geburtstag. Siegerentwurf eines Wettbewerbs beauftragt, bisschen malerisch wird.« Das ist ihr Credo Anstifter ist der Berliner Galerist Semjon H. N. dauert es fünf Jahre bis zur Realisierung – bis heute. Manchmal lädt Baumeister sie zu Semjon. Er will ihr eine Ausstellung widmen nicht zuletzt, weil Ursula Sax unbeirrbar an sich nach Hause ein und zeigt seine Arbeiten und fragt nach Werken. »Ich habe doch gar ihrer Materialidee festhält: 27 Rohrelemente und seine Sammlung, meist gegenstands- nichts mehr«, antwortet sie. Das scheint zu aus Stahl mit einem Meter Durchmesser bil- freie Kunst. Das prägt nachhaltig. stimmen, denn bereits 2010 hat sie ihr Haupt- den, größtenteils selbsttragend, das Looping. In Berlin dann lernt sie in der Klasse von werk an die Berlinische Galerie geschenkt Ein Berliner Markenzeichen ist geboren. Lust am Hans Uhlmann den fachgerechten Umgang und zu einem Atelierverkauf für Freunde und Doch bis zu diesem visuellen Pauken- Experimentieren: mit dem Schweißgerät. Ihre neue Qualifika- Weggefährten eingeladen. Doch Semjon lässt und Ritterschlag ist es in den späten 1950ern Ursula Sax in ihrem Berliner Atelier tion ist sofort gefragt: Für ein nahes Studen- nicht locker. Zerlegt und zerbrochen, findet noch ein weiter Weg. Ein Weg, der zwar mit tenwohnheim soll sie ein Wandrelief herstel- sich Almeno due auf dem Dachboden des be- Metallgestaltungen beginnt, doch schon bald PORTRÄTFOTO: MATHIAS BOTHOR len, 500 DM sind als Produktionshonorar wussten Wohnheims wieder. Die folgende von vielfältigen Materialuntersuchungen veranschlagt. Das reicht gerade mal, um Restaurierung ist weit mehr als ein Geburts- flankiert wird: Im Verlauf ihres Lebens wird Eisen vom Schrottplatz zu kaufen. Für die tagsgeschenk. Es ist auch die Wiederentde- sich Sax phasenweise und ohne die gerings-

74 75 Markante gelbe Wolke für den Lichthof des Albertinums MODELL FÜR RAUMMESSER–UX35 (2. VARIANTE), 2011, 5,5 M X 21,5 M X 5 CM

im besten Sinne traditionelle Bildhauerin, die ihre Wurzeln in der Moderne betont. Be- sonders deutlich zeigt sie das mit ihren seit 1987 entstehenden Luftkleidern und Körper- masken. Letztere sind meist aus Filz und Stoff genähte Hüllen, die ihre Träger in atmende geometrische Gebilde verwandeln. Der Bezug zu den Kostümen von Oskar Schlemmers Stricknadeln statt Poetische Körper- Triadischem Ballett und damit zum Bauhaus Schweißgerät: arbeit mit luftigen Wollmasken von 1980 Stoffgebilden ist durchaus beabsichtigt. 1992 entwickelt sie in einer Ausstellung WINDKLEID, 1991 mit einer Choreografin und einem Kompo- der Berlinischen nisten ihr Geometrisches Ballett sogar als Galerie, im Vorder- grund die Maske Hommage à Oskar Schlemmer. Tänzer leisten »Eulenspiegel« poetische Körperarbeit mit Elementen aus (57 cm) Filz und Karton. Sie lassen luftige Stoffgebil- de durch den Raum schweben, die sich durch Wunderkind: Ursula die Bewegung mit Luft füllen und so zu flüch- Sax 1965 mit ihren tigen Skulpturen werden. Sax führt die spek- Skulpturen in Berlin takuläre Tanzperformance in auf, wo sie gerade eine Professur für Bild- ten Berührungsängste mit Holz, Ton, immer heute unglaublich frisch wirken – beinahe hauerei bekleidet. Eines Tages im Jahr 2007 überrascht sie den wieder nach Berlin zu ziehen, realisiert sie für In wieder mit Textilien, ja selbst mit Packpapier wie Kommentare zu aktivistischen Vermum- Solchermaßen gerüstet, wechselt sie Kreis mit farbig lackierten Papierformen. den damals gerade von Volker Staab neu beschäftigen. Sobald ihr Schaffen mit einem mungsstrategien. Genährt wird ihr Interesse dann 1993 an die Hochschule für Bilden- Wieder einmal ein Kurswechsel! Verschmitzt ­gestalteten Lichthof des Albertinums die gehörte sie trotz bestimmten Werkstoff identifiziert wird, er- daneben von häufigen Besuchen in der Afri- de Künste Dresden. Dort gilt sie, trotz ihres erzählt sie von einer großen Rolle Packpapier, Plastik Raummesser–UX35. Sie lässt dafür – ihres Alters zu greift sie die Flucht in ein neues Abenteuer. ka-Abteilung des Dahlemer Ethnologi- damals schon reifen Alters, als eine der expe- die sie in einer aufgelösten Papierfabrik in natürlich – gelben Nesselstoff auf ein Alumi- den beliebtesten Irgendwann in den 1970er-Jahren liest sie in schen Museums. Nicht nur die magische rimentierfreudigsten und beliebtesten Lehre- Eberswalde auftrieb. Sie knüllt, durchlöchert niumgerüst spannen. Bis 2015 hängt die lufti- einer Berliner Zeitung von der »Holzbild- Geisterhaftigkeit der dortigen Ritualkostüme rinnen – weil sie die Studierenden immer und reißt die Bahnen, setzt sie wieder zusam- ge Form, die an ein seltsames Kurvenlineal Professoren. hauerin Ursula Sax« und denkt: »Sofort auf- begeistert sie, sondern auch deren überra- wieder auf ungesicherte Territorien lockt. Sie men und versieht sie mit rustikalen Ösen erinnert, in der ansonsten recht unbelebt Ihre Botschaft: hören!« Augenblicklich gehören tänzerische schend kreative Deformationen und Abstrak- zehrt noch von Willi Baumeisters Lehrme- zum Aufhängen. Aus dem Papierabfall ent- wirkenden ­Halle. Als temporär geplant, lässt Ensembles, die mit der feinen Maserung von tionen. »Die Sax strickt neuerdings«, heißt es thodik und initiiert offene Werkgespräche, steht eine ihrer wohl stärksten späten Werk- sie der scheidende Generaldirektor Hartwig Mut zum Risiko! Planken spielen, fragile Hängeskulpturen aus abschätzig in einem Bewerbungsverfahren. die drei Jahre nach der Wiedervereinigung gruppen, bei denen auch christliche Motive Fischer letztes Jahr abbauen. Die markante fast unbehandelten Holzstäben und minima- Die ersehnte Professur bekommt sie nicht, ver- hier noch höchst unüblich waren. »Besten- wie das berühmte Zittauer Fasten- Wolke in Gelb hinterlässt eine listische Schindelbilder vorerst der Vergan- mutlich wegen ihres unorthodoxen Vorstoßes. falls galt meine Klasse als Therapiegruppe, tuch oder gar Kruzifixe Pate stehen. melancholische Leerstelle im genheit an. Mit dieser brüsken Abkehr macht schlimmstenfalls als Sekte«, erinnert sich die Von religiöser Einkehr ist hier Raum – und auch beim ein- sie sich in der Kunstwelt keine Freunde: »Ga- achdem die Wolle aufgebraucht emeritierte Professorin, und: »Manche Stu- aber keine Spur, vielmehr von Sax’ heimischen Kunstpublikum. leristen wollten immer ein Markenzeichen, ist, kauft sie sich zunächst keine denten schämten sich direkt, wenn sie im Drang, sich in jeder Lebensphase AUSSTELLUNG Doch Ursula Sax ist nach eini- und ich habe mich nicht festlegen wollen«, neue mehr. Doch die textile Hand- Stuhlkreis saßen.« wieder neu zu erfinden. Unter den Vom 9. September gen biografischen und künst- erklärt sie. Narbeit lässt sie nicht mehr los, zu- Doch stets spornt Sax ihre Adepten zu kraftvollen Primärfarben, die sie bis 22. Oktober ist lerischen »Loopings« längst In diesen Zeiten der forcierten Neuorien- mal sie auch feststellt, dass sich die Masken Wagnissen und Höchstleistungen an: Mitt- diesen Hybriden aus Papierarbeit im Straßen-Salon der wieder in ihrer Wahlheimat tierung gerät sie in eine Schaffenskrise. Da gut für Performances eignen. Bald konzipiert lerweile etablierte Künstler wie die filmende und Skulptur verordnet, leuchtet Berliner Galerie Berlin angekommen. Regel- Semjon Contemporary rollt ihr ein Wollknäuel gleichsam vor die sie die Performance Schwarzer Block, bei der Genderforscherin Marion Porten, der sensi- speziell das Gelb besonders hervor. mäßig erfreut sie sich nun am die Ausstellung Füße. Schon immer auch an Nadelarbeit und etwa 16 maskierte Akteure ihre Körper unter bel-humorvolle Textilexperte Christoph Rod- Warum Gelb? »Vielleicht, weil es »Blauer Vogel15« von signalhaften Gelb der gleich- am Nähen interessiert, beginnt sie 1980 zu einem schwarzen Kollektivgewand verste- de oder der kinetisch arbeitende Tüftler Se- dem Licht am nächsten kommt?«, Ursula Sax zu sehen. namigen Rohrspirale am Mes- stricken – ein intimes, mit Weiblichkeit kon- cken und durch den Berliner Stadtraum mar- bastian Hempel gehören zu dem Kreis. Auch sinniert die Bildhauerin, Goethe zi- Die Galerie brachte sedamm zu Füßen des Funk- notiertes und damals so gar nicht angesagtes schieren. Das berühmte Schwarze Quadrat ihr eigenes Wohnatelier im nahen Radebeul, tierend. So viel Transzendenz muss 2015 auch einen um- turms. »Allerdings muss man fassenden Katalog Geschäft. Es entstehen grimmige Wollmas- von Malewitsch ist zu einer anfassbaren so- ein ehemaliges Lichtspielhaus, wird zum dann doch sein. In diesem Sinne heraus: »Ursula Sax: den Bausenat mahnen, den ken, die vielleicht ihren Impuls, sich erst mal zialen Plastik geworden. Hier schwingt der Treff von Schülern, Kollegen und sonstigen hinterlässt sie 2011 in Dresden ein Modell & Wirklich- Anstrich alle paar Jahre aufzu- zurückzuziehen, symbolisieren. Ritter, Eulen- Zeitgeist der 1980er fröhlich mit, aber auch Kunstfreunden, die auch dort immer die neu- Abschiedsgeschenk. Kurz bevor sie keit«, 28 Euro. frischen«, gesteht sie beim spiegel oder Gnom heißen die Objekte, die immer Ursula Sax’ Selbstvergewisserung als esten Produktionen begutachten können. ihre Zelte in Radebeul abbricht, um Vorüberfahren. //

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