Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse Abhandlungen München, Neue Folge 178

Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse Abhandlungen München 2014, Neue Folge 178

Anpassung, Unbotmäßigkeit und Widerstand Karl Küpfmüller, Hans Piloty, Hans Ferdinand Mayer – Drei Wissenschaftler der Nachrichtentechnik im «Dritten Reich»

Joachim Hagenauer Martin Pabst

Vorgetragen in der Gesamtsitzung der BAdW am 19. Oktober 2012 ISSN 0005 6995 ISBN 978 3 7696 2565 3

© Bayerische Akademie der Wissenschaften München, 2014 Layout und Satz: a.visus, München Druck und Bindung: Pustet, Regensburg Vertrieb: Verlag C. H. Beck, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany www.badw.de www.badw.de/publikationen/index.html Später sagte er mir einmal, daß sich ein Eintritt in die Partei wohl früher oder später nicht vermeiden liesse, um seine Fähigkeiten in den Dienst der Technik zu stellen. Man könne sich «nicht in den Schmollwinkel zurückziehen». Ein Kollege über Karl Küpfmüller

Prof. Piloty ist der Typ des Intellektuellen, der bewusst mit seiner Kritik zersetzend und herabsetzend wirken will. Er versucht dabei, diese Kritik mit seiner Besorgnis um die Zukunft zu tarnen. Unter Bezugnahme auf die Besorgnis bringt er ständig Bedenken gegen die Politik des Führers und seiner Mitarbeiter vor. Der Gauführer des NSD-Dozentenbunds über Hans Piloty

Eine Bestie wie Hitler sollte den Krieg nicht gewinnen. Hans Ferdinand Mayer Inhalt 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit – eine vergleichende Betrachtung am Beispiel von drei Wissenschaftlern der Nachrichtentechnik 7

2. Lebensläufe und Karrieren: Karl Küpfmüller, Hans Piloty, Hans Ferdinand Mayer 11

3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker 41

4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus 50

5. Gemeinsame Wege in Wissenschaft und Forschung – getrennte Wege in der Politik: Das Verhalten von Küpfmüller, Mayer und Piloty im NS-Staat und Krieg 58

6. Umgang mit dem «Dritten Reich» am Beispiel von Küpfmüller, Mayer und Piloty 77

7. Resümee 91

Anhang 96

Der Oslo Report 96 Bibliographie 102 Bildnachweis 108 Abkürzungen 108 Personenregister 110

Bayerische Akademie der Wissenschaften Weitere Publikationen 12 7 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit

1. Die international renommierten Ingenieure der Nach- Verhaltensoptionen richtentechnik Karl Küpfmüller (1897–1977), Hans Piloty (1894–1969) und Hans Ferdinand Mayer (1895–1980) in der NS-Zeit – eine gehörten derselben Generation an. Sie haben sich gut gekannt, beruflich zusammengearbeitet und teilweise vergleichende Betrachtung gemeinsam publiziert. Alle drei Wissenschaftler gingen im Kaiserreich zur Schule, begannen ihr ­Berufsleben in am Beispiel von drei der Weimarer Republik, setzten ihre Karriere im «Drit- ten Reich» fort, erlebten Krieg, Zusammenbruch und Wissenschaftlern der Wiederaufbau, erreichten schließlich hohe Stellungen und Auszeichnungen in der Bundesrepublik Deutsch- Nachrichtentechnik land und gingen fast gleichzeitig 1962/63 in den Ruhe- stand. Wie im Ingenieurwesen üblich, wechselten sie im Lauf ihrer beruflichen Tätigkeit teilweise mehrfach zwischen Hochschule und Industrietätigkeit. Im klei- nen Kreis der Nachrichtentechniker begegneten sie sich immer wieder – auf wissenschaftlichen Kongressen und Firmenveranstaltungen, bei Forschungsvorhaben, in Fachgremien und Verbänden. Alle drei waren Solda- ten im Ersten Weltkrieg (Piloty und Mayer als Kriegs- freiwillige), und sie wurden geprägt durch die schwere Zeit danach infolge der deutschen Niederlage und der Folgen des Versailler Vertrags. Doch unterschieden sich ihre Lebensläufe signifi- kant in einem Punkt: dem Verhalten in der NS-Zeit. Einer der drei Wissenschaftler wurde nicht nur NSDAP- Mitglied, sondern auch hoher SS-Führer, der zweite wählte den Weg begrenzter Unbotmäßigkeit, der dritte entschloss sich zu aktivem Widerstand, wurde in Kon- zentrationslagern inhaftiert und entkam nur knapp dem Tod. Ihre Lebensläufe sind exemplarisch für Ver- haltensoptionen der wissenschaftlich-technischen Elite unter den Bedingungen einer Diktatur. Typisch für die Mehrheit ihres Berufsstandes sind sie freilich nicht. In ihrer großen Mehrheit stellten In- genieure ihre Kenntnisse und Fähigkeiten dem natio- 8 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit

nalsozialistischen Staat zur Verfügung, ohne dies poli- wissenschaftsgeschichtlichen3 Darstellungen sowie in tisch zu hinterfragen. Manche von ihnen traten der der fachwissenschaftlichen Literatur4. Küpfmüller er- NSDAP bei, manche nicht; offener Aktivismus war sel- hielt anlässlich seines 100. Geburtstags von den Fach- ten. Die verbreitete Haltung war eine technokratisch bereichen der Elektrotechnik der Technischen Universi- geprägte Loyalität, die von den Betroffenen nach 1945 tät Darmstadt posthum eine Festschrift gewidmet.5 zumeist als «unpolitisch» charakterisiert wurde. Wenn Mayers Rolle als Urheber des 1939 an die Briten über- Kritik geäußert wurde, entzündete sie sich in der Regel mittelten «Oslo Report» wurde seit 1989 von mehreren an bestimmten Sachentscheidungen der politischen Verfassern dargestellt, die auch dessen Auswirkungen Führung. Die vergleichende Betrachtung von Küpfmül- auf die alliierte Kriegführung aufzeigen.6 Außerdem ler, Piloty und Mayer ist denn auch deshalb so lohnend, liegt in den USA zu Mayer ein unveröffentlichtes bio- weil das Verhalten der drei Wissenschaftler so stark di- graphisches Manuskript vor.7 vergiert, und dies vor dem Hintergrund fortdauernder Die Rolle von Technik und Ingenieuren im National- fachlicher Zusammenarbeit. sozialismus wurde 1974 durch die bahnbrechende Ha- In dem von der Technischen Universität München bilitationsschrift von Karl-Heinz Ludwig untersucht.8 dankenswerterweise geförderten Forschungsprojekt In den folgenden Jahrzehnten sind weitere wichtige hat ein Elektrotechnik-Professor mit einem Historiker ­Untersuchungen zu diesem Thema hinzugekommen.9 zusammengearbeitet. Ziel war es, die Biographien von Küpfmüller, Piloty und Mayer mit besonderer Berück- sichtigung ihres Verhaltens in der NS-Zeit vergleichend Universität München, München 1993, S. 145f., und darzustellen und zu bewerten. Insbesondere sollte un- Wolfgang A. Herrmann (Hg.): Technische Universität München – Geschichte eines Wissenschaftsunternehmens, tersucht werden, warum die drei Wissenschaftler bei Bd. 2, Berlin 2006, S. 899–902. vergleichbarer Sozialisation nach 1933 so unterschied­ 3 So Küpfmüller in Helmut Maier: Rüstungsforschung im liche Wege beschritten, wie sich ihr Innenverhältnis Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002; entwickelte und wie Fachwelt und Öffentlichkeit darauf ders.: Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kai- reagierten. Überblicksweise werden auch ihre wissen- ser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut schaftlichen Leistungen gewürdigt. für Metallforschung 1900 bis 1945/48 (= Geschichte der Die Biographien sind nicht nur exemplarisch für Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, hg. von Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder im Auftrag Verhaltensoptionen der wissenschaftlich-technischen der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft, Elite in der NS-Zeit, sondern auch für deren Rezeption Bd. 16), Göttingen 2007. in der Bundesrepublik Deutschland. Dem Umgang mit 4 etwa in Nachrufen und Würdigungen in der «Nachrich- tentechnischen Zeitschrift» und in der «Frequenz». der Vergangenheit in der Nachkriegszeit am Beispiel 5 Fachbereiche der Elektrotechnik der TU Darmstadt (Hg.): von Küpfmüller, Piloty und Mayer ist daher ein eigenes Karl Küpfmüller zum 100. Geburtstag, Darmstadt 1997. Kapitel gewidmet. 6 Reginald V. Jones: Reflections on Intelligence, London 1989; Louis Brown: A Radar History of World War II: Tech- nical and Military Imperatives, Bristol 1999; Don H. Johnson: Origins of the equivalent circuit concept: the voltage-source equivalent. In: Proc. IEEE 90 (2002) April, S. 636–640 und Proc. IEEE 91 (2003) Mai, S. 817–821; Forschungsstand und Quellenlage Bollinger, Martin J.: Warriors and Wizards: The Develop- ment and Defeat of Radio-Controlled Glide Bombs of the Zu den drei Wissenschaftlern wurden bisher keine Mo- Third Reich, Annapolis, MD 2010. nographien veröffentlicht, geschweige denn eine ver- 7 Don H. Johnson: The Oslo Person. The Biography of Hans Ferdinand Mayer (Rice University, Houston, Texas), Stand gleichende Darstellung ihrer Lebenswege. Küpfmüller, 2007 (unveröff.) Piloty und Mayer finden Erwähnung in biographischen 8 Karl-Heinz Ludwig: Technik und Ingenieure im Dritten Nachschlagewerken1, in hochschulgeschichtlichen2 und Reich, Düsseldorf 1974. 9 So Monika Renneberg/Mark Walker (Hg.): Science, Technology and National Socialism, Cambridge 1984; Konrad H. Jarausch: The Unfree Professions. German 1 Helmut Mielert: Küpfmüller, Karl. In: Neue Deutsche Bio- Lawyers, Teachers, and Engineers, 1900–1950, New York/ graphie (NDB) 13 (1982), S. 230; Margot Fuchs: Piloty, Hans, Oxford 1990; Ulrich Kuder: Architektur und Ingenieurwe- in NDB 20 (2001), S. 446f.: Lothar Schoen: Mayer, Hans sen zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Ferdinand. In: NDB 16 (1990), S. 539f.; Kurt Jäger (Hg.): Lexi- 1933–1945, Berlin 1997; Werner Lorenz/Torsten Meyer kon der Elektrotechniker, Berlin 1996, S. 222f., 245, 292f. Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus 2 So Küpfmüller in Technische Universität Darmstadt (Hg.): (= Cottbusser Studien zur Geschichte der Technik, Arbeit Technische Bildung in Darmstadt, Bd. 5: Vom Wiederauf- und Umwelt, Bd. 25), Münster/New York/München/Berlin bau zur Massenuniversität 1945 – 1996, Darmstadt 2000, 2004; Eric Katz (Hg.): Death By Science. Technology and S. 29; Piloty in Kurt Magnus (Hg.): 125 Jahre Technische Engineering in Nazi Germany, New York u. a. 2006. 9 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit

Dabei fällt auf, dass Architekten, Bau- und Maschinen- ven ausgewertet. Auch wurden die Personalakten der ingenieure im Vordergrund, Elektroingenieure hinge- Mitglieder Küpfmüller und Piloty in den Archiven der gen eher am Rand des Interesses stehen. Seit den 1990er Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Jahren haben auch Firmen wie Siemens die eigene Ver- und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gangenheit in der NS-Zeit durch Historiker aufarbeiten München, ausgewertet. lassen.10 Zu Wissenschaftsmanagement und Rüstungs- Über die Tätigkeit von Küpfmüller in Partei, SA und forschung im NS-Staat sind umfangreiche Standard- SS geben das Bundesarchiv Berlin (Bestände NSDAP- werke von Rüdiger Hachtmann11 und Helmut Maier12 Mitgliederkartei, Rasse- und Siedlungshauptamt, Wis- erschienen. senschaftler und SSO/SS-Führerpersonalakten, alle Dem Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bun- ehem. Berlin Document Center) sowie sein Spruchkam- desrepublik Deutschland wurde in den letzten beiden merakt im Staatsarchiv Nürnberg Auskunft. Zur Rüs- Jahrzehnten große Aufmerksamkeit geschenkt. Hierzu tungsforschung Pilotys und Küpfmüllers im Zweiten liegen inzwischen zahlreiche Standardwerke vor.13 Weltkrieg findet sich Material insbesondere im Bundes- Im Laufe des Projekts konnten zahlreiche Quellen archiv Berlin (Bestände R 3 Reichsministerium für Be- ermittelt werden, die vorher noch nicht ausgewertet waffnung und Munition, ab 1943 Reichsministerium wurden. Die quellennahe Darstellung stützt sich in ers- für Rüstung und Kriegsproduktion, und R 26III Beauf- ter Linie auf staatliche Archive, Archive von Akademien tragter für den Vierjahresplan), im Bundesarchiv Mili- und Hochschulen, Firmenarchive sowie private Ar- tärarchiv Freiburg i. Br. (Bestände RH 8/I Heereswaf­ chive. Ergänzend wurden Zeitzeugen befragt. fenamt, RL 39 Forschungsinstitute der Luftwaffe, RM 6 Als zentrale Quellen dienten die Personalakten Leitung der Kriegsmarine, RM 105 Marinewaffenamt) Küpfmüllers und Pilotys aus ihrer Zeit als Hochschul- sowie im Archiv des Museums für Verkehr und Technik lehrer im Archiwum Państwowe w Gdańsku (Bestand in Berlin (insb. Firmenarchiv AEG-Telefunken, Telefun- TH Danzig), Bayerischen Hauptstaatsarchiv (Bestand ken GmbH). Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kul- Zu Mayers Inhaftierungen in verschiedenen Kon- tus), Bundesarchiv Berlin (Bestand Reichsministerium zentrationslagern sind Dokumente beim Internationa- für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung), Hessi- len Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen und im Archiv der schen Hauptstaatsarchiv (Bestand Hessisches Kultus- KZ-Gedenkstätte Dachau vorhanden. Aussagekräftig ist ministerium), Archiv der Technischen Universität Darm- zudem seine NS-Verfolgtenakte im Landesarchiv Berlin. stadt, Historischen Archiv der Technischen Universität Je eine Abschrift seines «Oslo Report» vom 1./2. Novem- München und Universitätsarchiv Stuttgart. Ergänzend ber 1939 befinden sich im Archiv des Imperial War wurden Instituts- und Lehrstuhlakten aus diesen Archi- ­Museum, London, und im Public Records Office, Kew. Das Original Mayers ist nicht erhalten. Im Siemens-Archiv ist der noch unkatalogisierte be- 10 Wilfried Feldenkirchen: Siemens 1918–45, München 1995. 11 Rüdiger Hachtmann: Wissenschaftsmanagement im «Drit- rufliche Nachlass von Mayer vorhanden. Ergänzend ten Reich». Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser- wurden Firmenakten zu Küpfmüller und Mayer heran- Wilhelm-Gesellschaft (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm- gezogen. Außerdem konnte dankenswerterweise Ein- Gesellschaft im Nationalsozialismus 15), Göttingen 2007. sicht in die bei Verwandten liegenden privaten Nach- 12 Helmut Maier (wie Anm. 3). 13 Herangezogen wurden isb. Norbert Frei: Vergangenheits- lässe von Küpfmüller und Mayer genommen werden. politik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- Wie im Quellennachweis auf S. 102 ff. dokumentiert, Vergangenheit, München 1996; Wilfried Loth/Bernd-A. wurden ergänzend weitere Archive zu Einzelaspekten Rusinek: Verwandlungspolitik: NS-Eliten in der westdeut- schen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt am Main 1998; herangezogen. Aleida Assmann/Ute Frevert: Geschichtsvergessenheit – Die Quellensuche war nicht in allen Fällen erfolg- Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen reich. Im Universitätsarchiv der TU Berlin sind keine Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999; Peter Reichel: Akten zur Hochschullehrertätigkeit von Küpfmüller Vergangenheitsbewältigung in Deutschland: Die Auseinan- dersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, mehr vorhanden, da die Akten aus jenen Jahren bei München 22007; Stephan Alexander Glienke/Volker ­einem Luftangriff 1943 fast ausnahmslos zerstört Paulmann/ Joachim Perels (Hg.): Erfolgsgeschichte Bun- ­wurden.14 Die Firmen Rohde & Schwarz15 und Alcatel- desrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schat- ten des Nationalsozialismus, Göttingen 2008; Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hg.): Lexikon der ‹Vergangen- heitsbewältigung› in Deutschland. Debatten- und Diskurs- 14 Sven Olaf Oehlsen, TU Berlin, Universitätsarchiv, an Vf., geschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld Berlin 31. 10. 2008. 2009; Ulrike Jureit/Christian Schneider: Gefühlte Opfer: 15 Telefonische Auskunft des Personalleiters von Rohde & Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010. Schwarz Dr. Amend an Vf., 25. 6. 2008. 10 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit

Lucent Deutschland AG (Nachfolger von Standard Elek- trik Lorenz AG)16 erklärten, über keine Unterlagen zur beruflichen Tätigkeit von Küpfmüller zu verfügen. Im Bundesarchiv Berlin enthalten die dort überlieferten Gestapo-Akten keine Hinweise über die Ermittlungen gegen Mayer.17 Weitere Gestapo-Akten werden im Son- derarchiv des Russischen Staatlichen Militärarchivs Moskau aufbewahrt. Die Personenkartei enthält jedoch keine Hinweise auf Mayer, weswegen ein Besuch unter- blieb.18 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Großteil der Gestapo-Akten bei Kriegsende durch Selbstzerstörung oder Feindeinwirkung vernich- tet wurde. Ergänzend wurden Zeitzeugen befragt. Viele wich- tige Personen sind freilich bereits verstorben. Gesprä- che wurden mit dem Schwiegersohn und der Sekretärin von Küpfmüller sowie Söhnen von Piloty und Mayer ge- führt, außerdem mit Schülern und Mitarbeitern der drei Wissenschaftler. Dank gebührt den Herren Peter Mayer und Siegfried Sakuth für die Öffnung der Nachlässe von Hans F. Mayer und Karl Küpfmüller, ebenso Herrn Professor Konrad H. Jarausch für seine wertvollen kritischen Hinweise.

16 Uschi Gabriel, Alcatel-Lucent Deutschland AG, an Vf., 29. 4. 2008. 17 BARchB, R 58 (Reichssicherheitshauptamt). 18 Rossiiskii gosudarstvennyi voennyi arkhiv (RGVA) [Russisches Staatliches Militärarchiv], Sonderarchiv; Bestände Fond 500 (Reichssicherheitshauptamt) und 501 (Geheime Staatspolizei Berlin, Auskunft Dr. Matthias Uhl, Deutsches Historisches Institut Moskau, 2. 3. 2010. – Ab Kap. 2 wird in Kurzform zitiert, z. B. Lang 1989 steht für Joachim von Lang: Der Adjutant, Frankfurt a. M. 1989 (siehe Bibliografie auf S. 104 ff.). 11 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich: Karl Küpfmüller, Hans Piloty, Hans Ferdinand Mayer

Übersicht 1 Die Lebensläufe bis 1933 im Vergleich

Karl Küpfmüller Hans Piloty Hans Ferdinand Mayer

Geboren 6. Oktober 1897 in Nürnberg Geboren 1. November 1894 in München Geboren 23. Oktober 1895 in Pforzheim

1903–13 Volksschule und Realschule 1900–13 Volksschule und Gymnasium 1903–14 Volksschule und Ober- in Nürnberg in München realschule in Pforzheim

1914–19 Studium am Technikum 1914–19 Kriegsteilnahme und 1914–19 Kriegsteilnahme und Nürnberg, unterbrochen von Kriegs- Studium an der TH München Studium in Karlsruhe und Heidelberg teilnahme 1919–31 Promotion an der TH München 1919–28 Promotion und Assistenten- 1919–28 Ingenieur bei der Telegraphen- und Ingenieur bei AEG Berlin zeit bei Lenard in Heidelberg, versuchsanstalt und bei Siemens & Ingenieur bei Siemens & Halske 1931 o. Professor an der TH München Halske 1928–33 beruflicher Aufstieg

1928–35 o. Professor an der TH Danzig bei Siemens & Halske bis zum Führungskreis Zentrallabor 12 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Die drei zum Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Wis- Zeugnis hatte er in allen Fächern die Note 1 erzielt, mit senschaftler entstammten unterschiedlichen gesell- Ausnahme der Baukunde (Note 1–2).24 Seine erste An- schaftlichen Milieus: Hans Piloty gehörte der großbür- stellung fand er im selben Jahr als «technischer Hilfsar- gerlichen Münchener Künstler- und Gelehrtenfamilie beiter» am Telegraphenversuchsamt Berlin, wo er bis Piloty an. Hingegen kamen Karl Küpfmüller und Hans 1921 unter Karl Willy Wagner25 an Problemen der Nach- Ferdinand Mayer aus bescheidenen Verhältnissen: Ers- richtenübertragung arbeitete. Sein damaliger Vorge- terer war der Sohn eines Lokomotivführers, letzterer setzter Wagner begann seine Karriere in ähnlicher der Sohn eines Gasablesers. Alle drei dienten im Ersten Weise über den Zweiten Bildungsweg und wurde einer Weltkrieg, erhielten militärische Auszeichnungen und der führenden Nachrichtentheoretiker in Deutschland, machten nach Kriegsende schnell berufliche Fort- der insbesondere die Operatorenrechnung und die La- schritte. Wie die Übersicht 1 zeigt, sind die Lebensläufe placesche Transformation in die Anwendungen ein- bis 1933 weitgehend parallel verlaufen. führte.26 Wagner wurde am 7. März 1930 Direktor des Heinrich-Hertz-Institutes in Berlin, dessen Leitung er Karl Christian Friedrich Küpfmüller, geb. am 6. 10. 1897 im Zuge politischer Machenschaften durch NS-Stellen und evangelischer Glaubenszugehörigkeit, hat eine un- 1936 aufgeben musste. gewöhnliche Entwicklung und Karriere aufzuweisen19: Während seiner Tätigkeit am Telegraphenversuchs- Sein Vater war Lokomotivführer in Nürnberg20 und er amt Berlin holte Küpfmüller 1920 als Externer an der genoss keine Gymnasialausbildung. Vielmehr besuchte Oberrealschule Berlin-Steglitz sein Abitur nach und er nach vier Jahren Volksschule von 1907–13 die Real- hörte im Wintersemester 1919/20, im Sommersemester schule in Nürnberg und absolvierte von 1913–15 eine 1920 und im Wintersemester 1920/21 an der Universität Lehr- bzw. Praktikantenzeit bei den Siemens-Schuckert- Berlin in größerem Umfang Vorlesungen aus der Philo- Werken in Nürnberg. Ab 1915 studierte er dann am Tech- sophie, Germanistik, Mathematik, Physik, Elektrotech- nikum Nürnberg (später Ohm-Polytechnikum bzw. nik und dem Maschineningenieurwesen, u. a. bei den ­Georg-Simon-Ohm-Hochschule für angewandte Wis- mit Nobelpreisen ausgezeichneten Physikern Max von senschaften, Fachhochschule Nürnberg, seit März 2013 Laue und Max Planck.27 Technische Hochschule). Nach eigener Aussage erhielt Im Dezember 1921 heiratete er Elisabeth Riedel. er kaum Unterstützung vom Vater und musste selbst Diese Ehe blieb kinderlos und wurde am 18. Dezember Geld für Lebensunterhalt und Studium verdienen, z. B. 1940 geschieden. Seine ersten großen beruflichen Er- auf Beerdigungen.21 folge erzielte der junge Ingenieur, als er 1921 in das Zen- Unterbrochen war diese Ausbildung durch die Teil- trallaboratorium der Siemens & Halske AG in Berlin nahme am Ersten Weltkrieg von 1916–18. Er diente beim eintrat und dort mit Arbeiten zu «Einschwingvorgän- Heer, brachte es zum Vizefeldwebel und Offiziersaspi- gen in Wellenfiltern» große Aufmerksamkeit hervor- rant und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und rief. Allein in den Jahren 1921–28 publizierte er mehr als dem Verwundeten-Abzeichen in Schwarz ausgezeich- 25 Fachaufsätze, teilweise gemeinsam mit seinem Vor- net.22 Zum einen hatte er sich einen Durchschuss vom gesetzten Friedrich («Fritz») Lüschen und seinem Mit- rechten Oberarm zum rechten Schulterblatt zugezogen, arbeiter Hans Ferdinand Mayer28. Diese Aufsehen erre- zum anderen in der Schlacht von Ypern eine schwere genden Arbeiten Küpfmüllers führten 1928 zu einem Verwundung im Gaskrieg: Der ganze Körper wurde vor- übergehend schwarz, auch der mit Gasmaske ge- schützte Kopf.23 24 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, [Technikum Nach dem Krieg beendete Küpfmüller 1919 sein In- Nürnberg], Abteilung für Elektrotechniker, Küpfmüller, genieurstudium am Technikum Nürnberg. In seinem Karl, Jahrgang 1918/19, II. Kurs (3. und 4. Semester). 25 Alfred Thoma: Laudatio Willy Wagner [= Laudatio aus un- veröffentlicher Autobiographie von A. Thoma], Internet- Dokument: http://www.ulrichthoma.de/laudatio (Zugriff 19 Angaben nach BArchB, SSO/SS, 227A, Karl Küpfmüller, 29. 4. 2011). Lebenslauf [handschriftlich], undatiert; Fachbereich Elek- 26 Karl Willy Wagner: Operatorenrechnung und Laplacesche trotechnik der TU Darmstadt 1997. Transformation nebst Anwendungen in Physik und 20 Helmut Mielert: Küpfmüller, Karl, in: NDB 13 (1982), S. 230 Technik. 3. Auflage. Bearbeitet von Alfred Thomas Barth, 21 Persönliche Mitteilung Gertrud Bickelhaupt, 28. 1. 2012. Leipzig 1962. 22 BArchB, R4901/13269, Küpfmüller, Christian Friedrich Karl 27 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Universität [Karteikarte] Berlin, Anmeldebuch des Stud. Karl Küpfmüller, Philoso- 23 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Auszeichnun- phische Fakultät, 10. 1. 1920. gen und Ehrungen Prof. Dr.-Ing. E.h. K. Küpfmüller. Stand 28 Liste der Wissenschaftlichen Veröffentlichungen Karl 1. 3. 1977. Küpfmüllers in: Elektrisches Nachrichtenwesen 52 (1977) 3. 13 . . . bis 1933

Ruf auf den Lehrstuhl für «Elektrotechnik, Messtechnik Hans Piloty heiratete Maria Defregger (1901–1988), die und Nachrichtentechnik» an der Technischen Hoch- Tochter des Physikers Robert Defregger und Enkelin des schule Danzig – ein relativ ungewöhnlicher Vorgang, bekannten Malers Franz (Ritter von) Defregger (1835– denn Küpfmüller hatte kein Hochschulstudium und 1921), der als Schüler und Mitarbeiter Karl von Pilotys in keine Promotion in diesem Fach aufzuweisen. Lediglich München wirkte. seine damals schon herausragende fachliche Anerken- Piloty begann 1913 nach seiner Schulzeit am Kgl. nung führte zu dieser Berufung. Im Vorschlag der Fa- Theresiengymnasium München das Studium der Elek- kultät hieß es: trotechnik an der TH München, meldete sich aber mit «Seit 1921 ist er im Zentrallaboratorium der Siemens Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wie sein im ­Oktober & Halske A.-G. als Oberingenieur und Handlungsbevoll- 1915 gefallener Vater Oskar, als Freiwilliger. Von August mächtigter tätig und befasst sich hier hauptsächlich 1914 bis Dezember 1918 stand er unter Waffen und mit der Technik des Nachrichtenverkehrs auf grösste kämpfte zunächst an der Westfront. Dabei wurde er Entfernungen. Trotz seines verhältnismässig geringen als Angehöriger von bayerischen Infanterieregimenten Alters ist Herr Küpfmüller in seinem Spezialgebiet eine zweimal verwundet und schied nach einem Frontdienst Autorität. Er hat wissenschaftliche Arbeiten aus dem vom 1. Mai 1917 bis Oktober 1918 als Vize-Feldwebel und Gebiete der experimentellen und theoretischen Elekt- Offiziersaspirant aus. Der mit dem Eisernen Kreuz II. rotechnik veröffentlicht, deren Verzeichnis hier bei- Klasse ausgezeichnete Hans Piloty nahm als Leutnant liegt. Die Arbeiten stützen sich auf eigene Forschungen der Reserve im Freikorps Epp an Übungen im Jahre und haben erhebliche Fortschritte der Nachrichten- 1919, an der Niederschlagung der Räteherrschaft in technik mit begründen helfen [sic!].»29 München am 1. und 2. Mai 1919 und an Übungen des Im Mai 1930 schlug Küpfmüller einen Ruf der Tech- Freikorps bis März 1920 teil.32 In den Jahren 1922/23 nischen Hochschule München auf den vakanten Lehr- leitete er als Doktorand an der TH München im Rah- stuhl für Elektrische Messtechnik aus, nachdem es ihm men der sog. «Schwarzen Reichswehr» die militärische gelungen war, beim Danziger Senat eine gehaltliche Ausbildung von Freiwilligen.33 Dabei wurden insge- Besserstellung, die Zusage der baldigen Zuweisung ei- heim Kontingente aufgestellt, die über die im Versailler nes Professorenhauses sowie Mittel für eine Instituts- Vertrag zugelassenen 100 000 Mann hinausgingen. erweiterung zu erreichen.30 In München hätte er deut- Piloty nahm nach dem Krieg sein Studium in Mün- lich mehr verdient. Statt Küpfmüller wurde 1931 Hans chen wieder auf und erwarb 1921 das Diplom, um ab Piloty auf den Münchner Lehrstuhl berufen. Oktober 1921 als Assistent bei Professor Leo Kadrnozka am Lehrstuhl für Elektrische Anlagen zu promovieren. Hans Jakob Piloty entstammte großbürgerlichen und Obwohl sein Doktorvater im September 1922 bei einem hoch angesehenen Münchner Familien.31 Er war der Bergunfall tödlich verletzt wurde und er als sein Dokto- Sohn des 1915 an der Somme gefallenen katholischen rand die Vorlesung übernehmen musste, schloss Piloty Chemikers Oskar Piloty und Enkel des bekannten Histo- seine Doktorarbeit über das Thema «Das allgemeine rienmalers Karl von Piloty, der in den persönlichen Spannungsregulierungsproblem in Wechselstrom-Ver- Adelsstand erhoben worden war. Seine Mutter war die sorgungsnetzen» bereits 1923 ab. Nach einem kurzen Protestantin Eugenie von Baeyer, Tochter des Adolph beruflichen Zwischenaufenthalt als wissenschaftlicher von Baeyer (1835–1917), eines Münchener Universitäts- Mitarbeiter bei der Jos-Pe Farben-Photo GmbH in Ham- professors der Chemie und Nobelpreisträgers von 1905. burg wurde er 1925 als Oberingenieur in der Abteilung Kraftwerke bei der AEG in Berlin eingestellt und bear- beitete Fragen der Energieübertragung, zuletzt als Lei- 29 APG, Politechnika w Gdańsku, APG 988/227, Vorschlag der ter einer neugegründeten Entwicklungsabteilung. Fakultät für Maschinenwesen, Elektrotechnik, Schiffs- und Im Jahr 1931 erhielt Piloty einen Ruf auf den Lehr- Fügetechnik auf Besetzung des Lehrstuhls für theoretische Elektrotechnik, Danzig-Langfuhr, 24. 7. 1928, Der Dekan, stuhl für Elektrische Messtechnik seiner Heimatuniver- i.V. [Professor Adolf] Rubin, S. 1f. sität TH München, den er bis 1962 innehatte. Es spricht 30 APG, Politechnika w Gdańsku, APG 988/227, Senat der für den Weitblick Pilotys, dass er bald seine Lehr- und Freien Stadt Danzig, Abt. f. Wissenschaft, Kunst u. Volksbil- Forschungstätigkeit auf das Gebiet der Nachrichten- dung, an Professor Küpfmüller, 12. 5. 1930; Küpfmüller an Senator, Danzig-Langfuhr 13. 5. 1930; Beschluss des Senats in seiner Sitzung am 16. 5. 1930; Küpfmüller an Senator, Danzig-Langfuhr 13. 5. 1930; Küpfmüller an Senat der Freien 32 Bayerisches Kriegsarchiv, Abt. II, Nr. 9382/33. Stadt Danzig, Abt. f. Wissenschaft, Kunst u. Volksbildung, 33 HATUM, PA Piloty Hans, Kreishauptmann [Unterschrift Danzig-Langfuhr 20. 5. 1930 nicht lesbar] in Biala Podlaska, Distrikt Lublin, an TH, Biala 31 Fuchs, Margot: Piloty, Hans, in: NDB 20 (2001), S. 446f. Podlaska P. 4. 3. 1942. 14 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

technik ausdehnte. Bereits im Winter bot Piloty eine schaffte. Im Januar 1920 promovierte Mayer «summa neue Vorlesung «Allgemeine Theorie der elektrischen cum laude» bei Lenard mit einer Arbeit «Über das Ver- Übertragung» und ein Praktikum «Fernmeldetechnik» halten von Molekülen gegenüber freien langsamen an. Auch die Themen der von Piloty betreuten Dis- Elektronen», blieb zunächst als Assistent an dessen Ins- sertationen entwickelten sich in den späten 1930er titut und veröffentlichte Arbeiten in den «Annalen der Jahren hin zu «Einfluß von Verlusten auf das Verhalten Physik», auch zusammen mit Lenard. Am Rande hatte von ­Reaktanzvierpolen», zu «Untersuchungen zur Ver- er sicherlich die von 1920–23 zunehmende Distanzie- ringerung des Klirrfaktors von Verstärkern, vorwiegend rung Lenards von den Theorien Einsteins und schließ- für Trägerfrequenzsysteme» und zu «Neue Realisie- lich Lenards 1924 erfolgte öffentliche Hinwendung zum rungsmöglichkeiten für elektrische Weichen». Dem- Nationalsozialismus mitbekommen. entsprechend wurde das Institut 1939 in «Institut für Versehen mit einem glanzvollen Empfehlungsbrief elektrische Nachrichtentechnik und Messtechnik» um- von Lenard wechselte Mayer im Februar 1922 in die In- benannt. Eine 1941 am Lehrstuhl erschienene Dis- dustrie. Mayer arbeitete zunächst bei Siemens-Schu- sertation mit dem Titel «Die «Bemessung elektrischer ckert und ab November 1922 im Zentrallaboratorium Hörverstärkergeräte» deutet auf die zunehmende Ge- von Siemens & Halske in Berlin. Für den jungen Wissen- höreinschränkung Pilotys hin, für die er bereits 1936 schaftler und Ingenieur Mayer begann damit der Weg dienstlich einen Fernsprechendverstärker beantragte. in die Hochfrequenz (HF)-Technik und in die Nachrich- tentechnik35. Im Mai 1926 heiratete er Betty Charlotte Hans Ferdinand Mayer, geboren am 23. 10. 1895, Stutius. stammte wie Karl Küpfmüller aus relativ einfachen Ver- Mayer arbeitete bei Siemens & Halske mit Küpfmül- hältnissen. Sein evangelischer Vater Wilhelm war als ler und Lüschen zusammen, mit denen er in den Jahren Gasableser städtischer Beamter in Pforzheim34. Die 1926–29 auch gemeinsam publizierte. Mayer war sehr Mutter kam aus einer katholischen Bauern- und Schuh- kreativ und fleißig und produzierte in dieser Zeit bis zu macherfamilie. So war es nicht selbstverständlich, dass vier Veröffentlichungen und neun Patente pro Jahr.36 sie ihr sechstes Kind Ferdinand nach fünf Klassen Besonders mit Küpfmüller arbeitete er an der sich ent- Volksschule 1907 in die Friedrichsschule, eine Oberreal- wickelnden Technik für Trägerfrequenztechnik und schule, schickten, die er mit guten Ergebnissen bis 1914 Echokompensation, bis Küpfmüller im Herbst 1928 Sie- besuchte. In der Kriegsbegeisterung meldete er sich wie mens & Halske verließ, um eine Professur in Danzig an- viele am 4. August 1914 als Freiwilliger beim 14. Badi- zutreten. In der Abschiedsschrift für Küpfmüller am schen Artillerieregiment. Aber bereits am 23. Oktober 17. 11. 1928 wird die gestiegene Bedeutung Mayers in ei- 1914, seinem 19. Geburtstag, wurde er bei Vermelle ver- nem Gedicht klar: «Der Mayer ist gekommen, die Echos wundet und durchlief verschiedene Feldlazarette. Da sind entsperrt, und die Einschwingvorgänge, sie wer- seine Wunden weiteren Militärdienst unmöglich mach- den nicht gehört».37 ten, wurde er lediglich einem Ersatzbataillon zugeteilt. Mayer unterschied von seinen beiden Kollegen in Während der Grundausbildung erhielt er am 19. De- dieser Zeit, dass er viele internationale Kontakte hatte. zember 1914 ohne weiteren Unterricht auf Grund der Zwar reiste auch Küpfmüller beruflich ins Ausland und Leistungen in der vorangegangenen Klasse ein sog. besuchte im Auftrag von Siemens & Halske 1926 mit kriegsbedingtes Notabitur. England erstmals ein nichtdeutschsprachiges Land.38 Im Februar 1915 kam er wieder nach Pforzheim. Doch dürfte er dann als Danziger und Berliner TH-Pro- Mayer begann im Sommersemester 1915 sein Studium fessor zwischen 1928 und 1937 keine größeren Aus- an der Technischen Hochschule Karlsruhe, studierte Mathematik und allgemein bildende Fächer bis Februar 1917, um dann an die Universität Heidelberg zu wech- 35 Ferdinand Mayer legte sich schon in der Oberrealschule den zweiten Namen Hans bei und wurde später entsprech- seln. Die Experimentalphysik in Heidelberg wurde vom end seinem Arbeitsgebiet Hochfrequenztechnik (HF) gerne Nobelpreisträger Philipp Lenard (Nobelpreis in Physik «HF-Mayer» genannt. 1905) gelesen, der auf Mayer aufmerksam wurde und 36 Privatarchiv Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Bericht über ihm eine Hilfsassistentenstelle an seinem Institut ver- die Tätigkeit von Dr. H. F. Mayer, Abschrift, gez. Lüschen, 21. 9. 1943. 37 Privatarchiv Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Aus dem Album zum Abschied Küpfmüller, 17. 11. 1928. 34 Schoen, Lothar: Mayer, Hans Ferdinand, in: NDB 16 (1990), 38 Friedrich Wilhelm Hagemeyer, Tonbandinterview mit S. 539f. Weitere biographische Angaben finden sich in Don Karl Küpfmüller, Ende der 1970er Jahre. Internet-Doku- H. Johnson 2007 [unveröff. Manuskript] und in persönli- ment: http://www.weisses-rauschen.de/page4/page4.html chen Mitteilungen des Sohnes Peter Mayer. (Zugriff 20. 12. 2011). 15 . . . 1933 bis 1945

Übersicht 2 Die Lebensläufe von 1933 bis 1945 im Vergleich

Karl Küpfmüller Hans Piloty Hans Ferdinand Mayer

1928–35 o. Professor an der TH Danzig 1931 Berufung zum o. Professor an 1933–36 beruflicher Aufstieg bei der TU München Siemens bis zum Führungskreis 1935–37 o. Professor an der TH Berlin Forschung und Lehre auf dem Gebiet Zentrallabor 1937–41 Leiter von Entwicklungsstellen der Elektrischen Siebschaltungen 1936–43 Leiter Zentrallabor Siemens bei Siemens & Halske 1938 Ernennung zum Direktor 1941–45 Leiter Zentrale Entwicklung bei Siemens & Halske in Berlin 1943–45 Inhaftierung in verschie- denen Konzentrationslagern 1944–45 Leiter des Wissenschaftlichen Führungsstabs der Kriegsmarine

landsreisen unternommen haben. In den überlieferten Lebensläufe und Karrieren Akten sind hierzu keine Hinweise zu finden.39 Techni- von 1933 bis 1945 sche Hochschulen unterhielten damals noch keine weit reichenden Auslandskontakte, und ihre Reiseetats wa- Die Lebensläufe der drei Wissenschaftler verliefen in ren beschränkt. Hingegen unternahm Mayer im Auf- der NS-Zeit sehr unterschiedlich, auch bedingt durch trag von Siemens & Halske zahlreiche Auslandsreisen. die Einstellung zur nationalsozialistischen Herrschaft. So besuchte er regelmäßig die Fachkonferenzen und Siehe obenstehende Übersicht 2. Treffen des 1924 gegründeten «Comité Consultatif In- ternational des Télécommunications Grandes Distan- Karl Küpfmüller amtierte im Studienjahr 1934/35 als ces» (CCIF), z. B. in Warschau, Tokio, Paris, Brüssel und Prorektor der Technischen Hochschule Danzig. Eine Madrid, und bekam so auch viele Kontakte zu angel- ­berufliche Aufstiegschance ergab sich, als er 1934 sächsischen Kollegen, was in den späteren 1930er Jah- einen Ruf der TH Stuttgart erhielt.40 Doch winkte eine ren bedeutungsvoll werden sollte. Nichtsdestoweniger noch interessantere Aufgabe: Am 2. April dieses Jahres ging Siemens & Halske 1929–31 durch eine wirtschaft- lich schwierige Zeit, und Mayer musste Gehaltskürzun- gen hinnehmen. 40 Siemens-Forum, Archiv, Lt 714, Aktenvermerk, Pafo I, Siemensstadt, 14. 11. 1934; BArchB, R 4901/15471, Reichsmi- nisterium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung, Bachér an Küpfmüller, Berlin 2. 4. 1935. – Die TH Stuttgart berief 1936 anstelle von Küpfmüller seinen früheren Kolle- 39 APG, Politechnika w Gdańsku (Technische Hochschule gen Richard Feldtkeller vom Zentrallaboratorium von Sie- Danzig), APG 988/227 Küpfmüller, Karl; Bundesarchiv Ber- mens & Halske, der als ordentlicher Professor und Direktor lin (BArchB), R 4901 (Reichsministerium für Wissenschaft, des Instituts für elektrische Nachrichtentechnik bis 1966 Erziehung und Volksbildung)/1509. in Stuttgart mit großem Erfolg amtierte. 16 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

ersuchte ihn der Referent für Hochschulangelegenhei- Nahezu zeitgleich mit der Rückkehr in die Industrie ten im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung trat Karl Küpfmüller zum 1. 4. 1937 als Oberscharführer und Volksbildung (REM), Franz Bachér, ihm einen Be- (entsprechend dem Wehrmachtsrang Feldwebel) in die such abzustatten, da man ihm den Lehrstuhl für Allge- Allgemeine SS sowie einen Monat später in die NSDAP meine und Theoretische Elektrotechnik an der Techni- ein. Bereits 1933 hatte er sich in Danzig der SA und wei- schen Hochschule Berlin anbieten wolle.41 Es handelte teren NS-Organisationen angeschlossen (zu seinem po- sich um die Nachfolge des Ende 1934 verstorbenen Ge- litischen Werdegang ausführlich Kapitel 5). heimrats Professor Ernst Orlich, des Altmeisters der Im Jahr 1941 heiratete Karl Küpfmüller seine Sekretä- Theoretischen Elektrotechnik. Anscheinend ging die In- rin Eva Lukan (vorher verheiratete Weber), die aus frü- itiative vom REM aus, das eine strategische Besetzung herer geschiedener Ehe eine sechsjährige Tochter mit- vornehmen wollte. Küpfmüller nahm den Ruf auf den brachte. Seine Karriereerwartungen erfüllten sich: renommierten Lehrstuhl an und wurde ab 1. 10. 1935 Im April dieses Jahres wurde ihm im Zuge der Neuorga- Berliner Ordinarius.42 Gleichzeitig übernahm er bis nisation der Wernerwerke die Zusammenfassung der 1936 die Vertretung für den verwaisten Lehrstuhl für Technischen Entwicklung der Wernerwerke (WW-TEL) Fernmeldetechnik von dem 1935 emeritierten Professor übertragen (später bezeichnet als Zentrale Entwick­ Rudolph Franke. Im Zuge einer von NS-Stellen betriebe- lungsstellen/S&H Z). Ihm unterstanden nun das Zent- nen Umorganisation des von der Gesellschaft für rallaboratorium (ZL), das Zentrale Konstruktionsbüro Schwingungsforschung betriebenen Heinrich-Hertz- (ZK) und die Zentrale Erprobungsstelle (ZE).45 Damit Instituts für Schwingungsforschung in Berlin wurde er wurde er Vorgesetzter von Hans Ferdinand Mayer, der außerdem Anfang 1936 in Personalunion mit seinem das von Friedrich Lüschen gegründete Zentrallaborato- Lehrstuhl zum Leiter der dortigen Abteilung 1 für Fern- rium seit 1936 leitete.46 Im Juni 1941 wurde Küpfmüller meldetechnik ernannt. zum stellvertretenden Betriebsführer ernannt.47 Auch Anfang 1937 bekam Küpfmüller von der Firma Sie- in dieser Zeit veröffentlichte er gemeinsame Arbeiten mens & Halske das sehr attraktive Angebot, mit direk- mit Lüschen und Mayer. Nach Mayers Verhaftung im ter persönlicher Unterstellung unter Friedrich Lüschen Juni 1943 übernahm Küpfmüller in Personalunion auch und Generalbevollmächtigung die Leitung der Nach- die Leitung des Zentrallaboratoriums bis zum Kriegs- richtengeräteentwicklung im Wernerwerk F zu über- ende. nehmen. Auch wurde ihm in Aussicht gestellt, die Ver- Während des Krieges reiste Küpfmüller in das be- antwortung für die gesamte technische Entwicklung freundete und neutrale Ausland: vom 10.–13. 12. 1940 des F-Werk-Gebiets übertragen zu bekommen.43 Versu- und vom 19. 5.–22. 5. 1941 nach Italien sowie am 12. 3. 1943 che des Reichserziehungsministeriums, ihn im Rah- und vom 15.–17. 3. 1943 in die Schweiz. Dort besuchte er men von Bleibeverhandlungen an der TH Berlin zu hal- das 1922 von Siemens & Halske erworbene «Albiswerk ten, misslangen. Vom Preußischen Finanzminister AG Zürich», das Telefoniegeräte, Rundfunkgeräte und konnten die Mittel für einen Institutsneubau nicht be- militärische Fernmeldetechnik herstellte.48 Anfang 1944 schafft werden.44 Auf seinen Antrag wurde Küpfmüller am 15. 4. 1937 beurlaubt und später antragsgemäß aus dem Staatsdienst entlassen. Gleichzeitig gab er die Lei- 45 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller, Rund- tung der Abteilung für Fernmeldetechnik am Institut schreiben «D» Nr. 104, Berlin 5. 4. 1941. für Schwingungsforschung auf. Der TH Berlin blieb er 46 Dr. phil. h.c. Dr.Ing. E.h. Fritz Lüschen (geb. 19. 3. 1877) hat als Honorarprofessor bis 1945 erhalten. sich wie Küpfmüller ohne Hochschulstudium über die mittlere Postlaufbahn hochgearbeitet, wechselte zu Siemens und Halske und gründete dort das Zentrallabor (Friedrich («Fritz») Lüschen. In: DIE SIEMENSSTADT – Ein Lexikon der Siemensstadt in Berlin. Internet-Dokument: 41 BArchB, R 4901/15471, Reichsministerium für Erziehung, http://w3.siemens.de/siemens-stadt/lueschn0.htm Wissenschaft und Volksbildung, Bachér an Küpfmüller, [Zugriff 23. 1. 2012]; Klee 2003, S. 283. Berlin 2. 4. 1935. 47 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller, Bekannt- 42 Peter Noll: Geschichte der Fernmeldetechnik und Nach- machung, von Buol, Berlin-Siemensstadt 25. 6. 1941. richtentechnik an der TH/TU Berlin. Internet-Dokument: 48 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Deutsches http://www.nue.tu-berlin.de/menue/geschichte (Zugriff Reich, Reisepass Nr. 10342 A/39, Küpfmüller, Karl, aus- 29. 4. 2011). gestellt Berlin 11. 11. 1940. Im Schweizer Visum ist «Ver- 43 Siemens Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Siemens & Halske, handlungen mit Albiswerk» als Zweck der Reise eingetra- Witzleben an Küpfmüller, Berlin 25. 11. 1936. gen. Zum Albiswerk siehe Martin Bösch: Albiswerk Zürich / 44 BArchB, R 4901, 23310, Der Reichs- u. Preuß. Minister für Telefunken Albis. Internet-Dokument: http://www.army- Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Zschintzsch, radio.ch/radio-d/telefunken-albis-firma.htm (Zugriff an Preußischen Finanzminister, Berlin 15. 2. 1937. 23. 2. 2012). 17 . . . 1933 bis 1945 hielt er sich in besetztem Gebiet auf 49, worüber aber der Mitverantwortung für den Arbeitseinsatz von KZ- nichts Näheres bekannt ist. Häftlingen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Georg Sein Vorgesetzter Friedrich Lüschen stieg im Lauf Siemens charakterisierte sein Verhalten folgender- des Krieges zu einer der mächtigsten Personen in der maßen: «Nun hatte er gleich im Anfange des Krieges deutschen Rüstung auf. Im Jahr 1929 wurde er Vor- seinen einzigen Sohn verloren, an dem er mit beson­ standsmitglied und 1938 stellvertretender Vorstands- derer Liebe hing, und in den Schmerz mischte sich vorsitzender der Siemens & Halske AG. Außerdem bei ihm das Gefühl, daß alle diese Jugend nicht um- ­leitete er als Reichsbeauftragter die «Reichsstelle für sonst gefallen sein dürfe, daß es also zunächst dar- elektrotechnische Erzeugnisse». Im Juli 1942 nahm auf ankomme, den Sieg zu erringen – nachher würde ­Lüschen die Berufung zum Leiter des neu gebildeten man dann mit Hitler und seinen Leuten abrechnen.»55 «Hauptrings elektrotechnischer Erzeugnisse» und des Nach Kriegsende habe er im Freitod eine «Sühne für «Hauptausschusses Nachrichtentechnik» an. Zusätz- den tragischen Irrtum seiner letzten Lebensjahre»56 lich wurde er in den Industrierat des Heereswaffenam- gesehen. tes berufen.50 Gemäß zahlreichen Nachkriegsaussagen Der stets reserviert auftretende Küpfmüller bezeich- stand Lüschen der NSDAP kritisch gegenüber und hatte nete Lüschen nach dem Krieg als seinen Freund: «Er deren Einfluss in der Firma zu minimieren gesucht.51 war ein weltgewandter Mann von hohen fachlichen Doch unterstützte er aus Patriotismus die deutschen und menschlichen Qualitäten; ich durfte ihn bis zu sei- Kriegsanstrengungen. Am 4. November 1942 bean­- nem tragischen Tod 1945 als meinen väterlichen Freund tragte Lüschen die Aufnahme in die NSDAP (rückda- ansehen.»57 Wenn diese Aussage zutrifft, so dürfte es tiertes Aufnahmedatum 1. 4. 1942).52 Nach eigenen eine der wenigen persönlichen Freundschaften Küpf- ­Angaben wurde er dazu wegen seiner zahlreichen ho- müllers gewesen sein. Wie Kollegen und Mitarbeiter hen Ämter gedrängt. Die formelle Parteizugehörigkeit aussagen, pflegte Küpfmüller einen distanzierten Um- habe ihm aber auch Handlungsfreiheit, z. B. in der Aus- gang und stellte seine Arbeit über alles. Selbst seiner wahl von Mitarbeitern, ermöglicht.53 Am 15. Dezember Ehefrau schenkte er wenig Zeit.58 1942 wurde er zudem Mitglied der SS.54 Sechs Wochen Im Windschatten von Lüschen machte Küpfmüller nach Kriegsende beendete Lüschen im sowjetisch be- in der Rüstungsforschung Karriere. In den Akten der setzten Berlin sein Leben durch Suizid. Möglicherweise Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) fällt auf, fürchtete er, wegen seiner hohen Rüstungsämter und dass Küpfmüller bereits ab 1940 bei allen rüstungstech- nischen Projekten, an denen die PTR beteiligt war, als Direktor bei Siemens & Halske nachrichtlich informiert 59 49 BArchB, SSO/SS, 227A, SS-Hauptsturmführer Emmerich, wird. Aktenvermerk, Berlin 30. 3. 1944. 50 Feldenkirchen 1995, S. 151, 213f. 51 Siehe Siemens-Forum, Archiv, 13/Lt 721 Bd. 2. So sagte seine Sekretärin Maria Wilmersdorf aus: «Seine stetes Rede war, dass er schon dafür sorgen wird, dass kein Nazi bei Siemens groß wird. Wegen dieses Ausspruches wurde ich 1937 auch im Ministerium verhört. Er missbilligte die Behandlung der Juden und behandelte seine jüdischen 55 Siemens 1952, S. 366. Mitarbeiter korrekt und gerecht in unveränderter Weise.» 56 «Für Lüschen [...] bedeutete der Zusammenbruch das Ende (ebd., Maria Wilmersdorf, Eidesstattliche Erklärung, Berlin- einer seelischen Entwicklung, die sich schon um die Jahr- Siemensstadt 10. 1. 1952). Ähnliches sagte auch eine weitere hundertwende angebahnt hatte und die ihn nun den Tod Mitarbeiterin aus: Lüschen habe allenfalls das Gedanken- als Sühne für den tragischen Irrtum seiner letzten Lebens- gut der [1937 selbst aufgelösten, Vf.] Rotary-Clubs vertre- jahre sehen ließ. Es waren schon etwa sechs Wochen seit ten. Den Hitler-Gruß habe er nicht verwendet, und seine der Eroberung Berlins vergangen, die Zustände schienen Parteimitgliedschaft habe er genutzt, um negative poli- langsam wieder in eine gewisse Ordnung zurückzukehren, tische Einflüsse im Betrieb zu verhindern. Überzeugte und so suchte ein jüngerer, ihm sehr ergebener Mitar- Nationalsozialisten hätten in seinem Umfeld keine Karri- beiter ihn zu retten. Er hatte einen sicheren Fluchtweg ere gemacht (Elisabeth Schwirkus, Erklärung, Siemens- nach dem Westen vorbereitet und beschwor ihn, diesen zu stadt, 8. 2. 1952). benutzen, indem er ihm vorstellte: ‹Drüben sind Richter, 52 BArchB, PK, H238, 1105ff. hier sind Henker.› Aber Lüschen lehnte das ab. Er wollte 53 Siemens-Forum, Archiv, 13/Lt 721 Bd. 2, Friedrich Lüschen, sterben, und so führte er seinen Entschluß aus.» (Siemens Meine Stellung in der Partei und meine Einstellung zu ihr 1952, S. 375). [nicht datiert, wohl Mai/Juni 1945]. Die SS-Mitgliedschaft 57 Werner Endres: Professor Dr.-Ing. E.h. Karl Küpfmüller erwähnt er darin nicht. 80 Jahre alt. In: ntz 30 (1977) 10, S. 775. 54 BArchB, RS, D5206, 1515ff. – Wie Küpfmüller erreichte 58 Persönliche Mitteilung von Küpfmüllers Sekretärin Lüschen den Dienstgrad eines Obersturmbannführers Gertrud Bickelhaupt, 3. 3. 2010. (30. 1. 1944). 59 BArchB, R1519/819. 18 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

In Abstimmung mit seinem Arbeitgeber nahm er fol- Das bedeutendste Amt war die Leitung des Wissen- gende Ämter an: schaftlichen Führungsstabes beim OKM von Januar ab 1940 1944 bis Mai 1945. Gemäß dem SS-Hauptsturmführer Leiter der Entwicklungsgruppe für Eigensteuerung im Reichssicherheitshauptamt Helmut Joachim Fischer für Kriegsmarine bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft galt die Marine als traditionsorientiert und dem techni- ab 1942 schen Fortschritt weniger zugänglich als andere Waf- Chef der Kommission für Nachrichtenmittel beim fengattungen. Dies habe sich geändert, als Großadmi- Reichsleiter für Rüstung und Kriegsproduktion ral Karl Dönitz im Januar 1943 neuer Oberbefehlshaber ab Jan. 1944 der Kriegsmarine wurde und unter dem Eindruck dra- Leiter des Wissenschaftlichen Führungsstabes beim matisch ansteigender Verluste im U-Boot-Krieg zu un- Oberkommando der Kriegsmarine (persönlich ernannt gewöhnlichen Maßnahmen griff: von Großadmiral Karl Dönitz) «Schon äußerlich kam dies darin zum Ausdruck, ab Feb. 1944 dass der neue Oberbefehlshaber etwas Unerhörtes tat: Mitglied der Sonderkommission für Funkmess- Er berief einen Zivilisten, den Professor Küpfmüller, ei- technik im Reichsministerium für Rüstung und nen der besten Kenner der Elektrotechnik und Direktor Kriegsproduktion bei Siemens, zum obersten Chef für Forschungs- und ab Mai 1944 Entwicklungsarbeiten im Oberkommando der Marine. Mitglied der neu gegründeten Hauptkommission Und er stellte dem Zivilisten einen seiner Dienstwagen Elektrotechnik im Reichsministerium für Rüstung zur Verfügung, so dass Küpfmüller zeitweise mit der und Kriegsproduktion sowie Vorsitzender des Autonummer WM 2 (WM bedeutete Wehrmacht Ma- Entwicklungskreises «Geheim-, Sprach- und Tele- rine) herumfuhr. Mancher alte Admiral mochte das als graphenverfahren» (ernannt durch Reichsminister den Anfang vom Weltuntergang empfunden haben.»61 Albert Speer) ab Mai 1944 Die persönlichen Arbeiten Küpfmüllers befassten sich Fachliche Leitung der Entwicklungsabteilung (Mar- mit der Fernsteuerung von Abwurfbomben, der V2-Ra- Rüst/NWa IV) der Amtsgruppe Technisches Nachrich- kete (Messung der Entfernung bis zur Rakete; Flugbahn; tenwesen und des Nachrichtenmittelversuchskom- ferngesteuerte Schließung der Brenndüse nach Errei- mandos Wolfenbüttel chen einer bestimmten Höhe, letzteres Vorhaben wurde ab Sep. 1944 nicht mehr ausgeführt) sowie Torpedos (passive und Leiter des Technischen Beirats beim Chef der Kriegs- akustische Selbststeuerung; Entwicklung von Ortungs- marine-Rüstung Empfangsgeräten mit erweitertem Frequenzbereich).62 ab Nov. 1944 Technisch-wissenschaftlich unterstanden ihm die Ma- Mitglied des Wissenschaftlichen Führungsstabs der rinelaboratorien in Gotenhafen, Pelzerhaken und Wol- neu gegründeten Wehrforschungs-Gemeinschaft60 fenbüttel.63 Natürlich war auch Küpfmüllers Firma Siemens & Halske in vielen Bereichen für die Kriegsmarine tätig. So sind vom Zentrallaboratorium folgende Entwick- lungsarbeiten bekannt64:

60 Maier 2007, Bd. 1, S. 710; Deutsches Marine-Archiv: 61 Fischer 1985, S. 23f. Prof. Dr. Ing. E.h. Karl Küpfmüller, Internet-Dokument: 62 BArchB, R26III/125, Der Präsident der Kaiser-Wilhelm- http://www.deutsches-marinearchiv.de/Archiv/1935–1945/ Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, A. Vögler, Personen/RKzumKVK/kuepfmueller.htm (Zugriff an Reichsminister Göring, Berlin 8. 12. 1942; StAN, Spk 16. 8. 2010); BArchB, R26III/192, Der Reichsminister für Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Lager- Rüstung und Kriegsproduktion, Erlaß betreffend Haupt- spruchkammer Internierungslager Hammelburg, Protokoll kommission Elektrotechnik, Rotgardt, an Verteiler, Betr.: der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage Küpfmüller; Gliederung der Sonderkommission Funkmeßtechnik, Oliver Krauss 2006, URL: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/ Berlin-Zehlendorf 29. 3. 1944; BArchB, R26III/192, Der dokserv?idn=980897815&dok_var... (Zugriff 16. 8. 2010). Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Erlaß 63 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, betreffend Hauptkommission Elektrotechnik, Speer, Berlin Küpfmüller an Lagerspruchkammer zu Hd. Herrn 12. 5. 1944; BArchB R26III/746, Teilnehmerliste der ersten Schubert, Hammelburg 29. 6. 1947. Sitzung des Wissenschaftlichen Führungsstabs der 64 Siemens-Forum, Archiv, Nachlass Dr. Mayer, Hans Ferdi- Wehrforschungs-Gemeinschaft am Freitag, den 17. 11. 1944, nand, III 4, Siemens & Halske, Zentral-Laboratorium, Berlin-Steglitz. Übersicht über die Entwicklungsarbeiten, die im Zentral- 19 . . . 1933 bis 1945 a) Als zweites vordringliches Problem ist die Frage zu lö- Sperr-Versuchs-Kommando Kiel (SVK) sen, dass das eigene U-Boot nicht geortet werden kann; Registriergerät für die Vertikal-Komponente des mag- und als dritte vordringliche Aufgabe, dass vom unter netischen Erdfeldes (RV-Gerät) zur Entmagnetisierung Wasser fahrenden U-Boot aus über sein Sehrohr auf ­— von Schiffen weite Reichweiten geortet werden kann.»67 ­— Unterseeboot-Such-Gerät (USG-Gerät) Mitte 1944 sollte Küpfmüller auf Veranlassung des ­— Leitkabelanlage für die Einfahrt in den Hafen Leiters des Planungsamtes im Reichsforschungsrat, von Lorient Professor Werner Osenberg, zusammen mit fünf weite- b) ren herausragenden Rüstungsforschern erneut vor Hit- Nachrichtenmittel-Versuchs-Kommando Kiel (NVK) ler referieren. Der Termin wurde jedoch abgesagt.68 ­— Horizontal-Lot (HL-Gerät) zur Ultraschall- Am 8. Februar 1944 erhielt Küpfmüller als einer der Echolotung feindlicher U-Boote ersten Wissenschaftler den von Adolf Hitler im Vorjahr ­— Drahtlose Sichtpeiler gestifteten und mit 50 000 Mark hoch dotierten Dr. ­— Fernsprechanlagen für Schiffe Fritz-Todt-Preis in Gold. Die «geheim» eingestufte Be- c) gründung nannte seine besonderen Verdienste bei der Torpedoversuchsanstalt Eckernförde (TVA) Entwicklung von «Zaunkönig» (Torpedo TV; erster seri- ­— S-Torpedo mit zwei Kopfmikrophonen zur Steue- enreifer Torpedo der Kriegsmarine mit akustischer rung des Torpedos anhand des Schiffsschraubenge- Steuerung) und seine bahnbrechenden Leistungen bei räusches der Entwicklung der «Echo-Sperre» (Kabel-Weitverbin- ­— Fahrzeit-Messanlage für Torpedos dungen mit Verstärker-Einschaltung).69 Der Dr. Fritz- ­— NY-Verfahren zur drahtlosen Steuerung von Tor- Todt-Preis sollte Küpfmüller und sieben weiteren Preis- pedos von einem Schiff oder Flugzeug mittels trägern der 1. Stufe persönlich von Adolf Hitler verliehen Schleppdraht als Antenne werden, der wegen Terminschwierigkeiten aber nicht ­— NYK-Verfahren zur Kabelsteuerung von Torpedos zur Feier kommen konnte. Alle Preisträger waren zu- von einem Schiff oder Flugzeug vor politisch überprüft worden. Außerdem wurde Küpf- Infolge der Einbeziehung in das Funkmessprogramm müller am 12. Mai 1943 mit dem Kriegsverdienstkreuz war das Zentrallaboratorium von Siemens & Halske ab I. Klasse ohne Schwerter ausgezeichnet.70 1943 ca. zu 50 % direkt in die Kriegsforschung einge- Auf das Projekt «Zaunkönig» folgte ab Anfang 1944 bunden.65 das Entwicklungsprojekt «Geier»: Der Marinetorpedo Anfang Januar 1944 trug Küpfmüller zusammen mit «Zaunkönig» und der Luftwaffentorpedo «Pfau» sollten Lüschen im Rahmen einer rüstungstechnischen Aus- zu einem einheitlichen Torpedo beider Waffengattun- stellung im Führerhauptquartier «Wolfsschanze» Adolf gen zusammengeführt werden. Aktiv-akustisch ge- Hitler über die Torpedoentwicklung vor. Dabei führten lenkt, sollte er mit Sicherungen gegen Feindstörungen sie aus: ausgerüstet sein.71 «Herr Dr. Lüschen und Herr Professor Küpfmüller Der Mathematiker Helmut Joachim Fischer, SS- versichern, dass es der deutschen Forschung, falls es Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt und möglich ist, sie konzentriert anzusetzen, in verhältnis- dort Leiter der SD-Abteilung «Naturwissenschaften und mäßig kurzer Zeit gelingen muss, die Engländer hin- technische Wissenschaft», plante 1944, Forschungsfüh- sichtlich ihres Vorsprungs auf dem Gebiet der Ortung wieder einzuholen.»66

Daraufhin ordnete Hitler an: 67 ebd. «Der Führer legt als Reihenfolge für diese Arbeiten 68 Maier 2002, S. 98–100; Maier 2007, Bd. 1, S. 1083. fest, dass zunächst das Prolem [sic!] gelöst werden 69 BArchB, R3/1441, Dr. Todt-Preis, Vorschlag von Preisträgern für die erste Verleihung am 8. Februar 1944, Ehrennadel muss, vom U-Boot aus festzustellen, ob es geortet wird. in Gold (Stufe 1), o.J. – Unter den acht ausgezeichneten Wissenschaftlern der 1. Stufe in Gold war auch ein weiterer Siemens-Mitarbeiter: Dipl.-Ing. Ernst Ruska, der Erfinder des Elektronenmikroskops. Laboratorium für die Marine ausgeführt wurden, 70 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller, Siemens, Berlin-Siemensstadt, 5. 8. 1945. Zentral-Personalabteilung, Kleindienst, an Personalreferat 65 Siemens-Forum, Archiv, Nachlass Dr. Mayer, Hans Ferdi- Verwaltungsgebäude, Betrifft Kriegsverdienstkreuz, nand, III 4, Tamm an Mayer, Berlin-Siemensstadt 13. 8. 1943. 19. 12. 1945. 71 BArchB, R1519/822, Dipl.-Ing. E. M. Hünnebeck, Kaiser-Wil- 66 BArchB, R3/1509, Führer-Besprechung 1.–4. Januar 1944, helm-Instuitut für Eisenforschung, Düsseldorf, 26. 2. 1944, 6. 4. 1944. Gerät «Geier». 20 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

rungen und wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften allee 27/29 um.76 Noch bis zum Tag der deutschen einem 15köpfigen «Generalstab der Wissenschaft» zu Kapitulation war er an führender Stelle emsig mit Rüs- unterstellen. Zu seinen Wunschkandidaten gehörten tungsaufträgen befasst. Mitte März 1945 beauftragte u. a. der Physiker Walther Gerlach, der Chemiker Peter Küpfmüller seinen Mitarbeiter Dr. Alfred Sacklowski, Adolf Thiessen, der Maschinenbauingenieur Werner nach Wolfenbüttel zu fahren, um dort Ausweichräume Osenberg, der Physiker Generalleutnant Erich Schnei- für den Fall des Einmarschs der Russen in Berlin zu be- der, der Flugmetereologe und Chef der Forschungsfüh- sorgen. Als Sacklowski dort Ende März eintraf und die rung der Luftwaffe Walter Georgii und der Elektroinge- westliche Front immer näher rückte, fragte er beim dor- nieur Karl Küpfmüller.72 Das Vorhaben wurde aber tigen Nachrichtenmittel-Versuchs-Kommando der Ma- nicht umgesetzt. rinestelle an, ob der erteilte Auftrag noch ausgeführt Im November 1944 gründete der Leiter des Pla- werden solle. Darauf wurde ihm mitgeteilt, dass Küpf- nungsamtes des Reichsforschungsrates Werner Osen- müller «bei seinem Besuch einen Tag vorher die Durch- berg eine von einem Wissenschaftlichen Führungsstab führung noch besonders angeordnet hatte.»77 geleitete «Wehrforschungs-Gemeinschaft», um die Wis- Am 30. April 1945, also eine Woche vor der deutschen senschaft möglichst eng mit den Forschungsführungen Kapitulation, wurde Küpfmüller für seine Leistungen der drei Wehrmachtsteile zu vernetzen. Zu den Mitglie- als Leiter des Wissenschaftlichen Führungsstabes der dern ihres «Wissenschaftlichen Führungsstabs» wurde Kriegsmarine vom Nachfolger Hitlers als Reichskanz- Küpfmüller berufen.73 ler, Großadmiral Karl Dönitz, das nur rund 270 mal Im Rahmen der nach ihm benannten «Aktion Osen- verliehene Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit berg» konnte Osenberg 1944 über 4000 Wissenschaft- Schwertern zuerkannt.78 ler von der Front in die Forschung zurückholen. Seine Das Kriegsende erlebte Küpfmüller in Husum, wo rund 15 000 Namen umfassende Forscherkartei bildete sich eine Ausbildungsstätte der Torpedo-Versuchsan- 1945/46 eine Grundlage für die Operationen «Over- stalt befand. Mit einer Gruppe von Wissenschaftlern cast» und «Paperclip», d. h. die Auswahl und Verbrin- ­arbeitete er dort an einem nicht näher bekannten «be- gung von an die 1000 deutschen Spitzenwissenschaft- sonderen Auftrag» des Oberkommandos der Kriegs­ lern in die USA. Dass seine Kartei einmal solchen marine.79 Zwecken dienen würde, hätte Osenberg wohl zutiefst widerstrebt. Denn er war ein kompromissloser Ver­ Hans Piloty verbrachte die NS-Zeit an seinem Lehrstuhl fechter des «Endsiegs». So gratulierte er im Dezember in München.80 Er wohnte erst in der Wohnung seines 1944 dem NSDAP-Gauleiter von Süd-Hannover-Braun- Schwiegervaters in der Königinstraße 31, nach deren schweig und SS-Gruppenführer Hartmann Lauterba- Zerstörung im Krieg zog er nach Starnberg in die Villa cher mit den Worten: «Wir alle hoffen und wünschen, seiner Familie an der Possenhofener Straße 49. Die an dass Ihnen die große Spannkraft erhalten bleibt, die es das Grundstück angrenzende Straße heißt heute Piloty- Ihnen ermöglichen wird, Ihren Gau zum Wohl seiner straße. Er konnte den Institutsbetrieb an der Arcisstraße Volksgemeinschaft durch das Jahr 1945, das hoffentlich (Hochschulstraße) bis zur Zerstörung der Gebäude das Jahr des Sieges sein wird, zu führen.»74 Zwei ­Wochen beim Luftangriff in der Nacht vom 9. zum 10. März 1943 später meldete er dem Gauleiter, dass ihm Himmler für aufrechterhalten. Die gerade aufkommende Trägerfre- ein Projekt zur Bekämpfung feindlicher Bomberver- quenztechnik in der Kabel-Weitverkehrstechnik veran- bände «KZ-Arbeit» zugesichert habe.75 Im Januar 1944 wurde Küpfmüller in seiner Woh-

nung in Berlin-Charlottenburg, Oranienstraße 17, aus- 76 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Polizeiliche gebombt und zog nach Berlin-Zehlendorf in die Schütz­ Ummeldung, Karl Küpfmüller, 23. 7. 1945. 77 Siemens Forum, Archiv, Nachlass Dr. Mayer, I 8, Sacklowski an Mayer, Göttingen 25. 11. 1945. 78 Deutsches Marine-Archiv: Träger des Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz. Internet-Dokument: http://www. 72 Fischer 1985, S. 142. deutsches-marinearchiv.de/Archiv/1935–1945/Personen/ 73 BArchB, R 26III/111, Osenberg an Gauleiter Lauterbacher, liste-ritterkreuz-kvk.htm (Zugriff 8. 2. 2013). Northeim 20. 11. 1944. 79 Friedrich Wilhelm Hagemeyer, Tonbandinterview mit Karl 74 BArchB, R 26III/111, Leiter Planungsrat im Reichs- Küpfmüller, Ende der 1970er Jahre. Internet-Dokument: forschungsrat. Osenberg, an Gauleiter Lauterbacher, http://www.weisses-rauschen.de/page4/page4.html Northeim/Hann. 29. 12. 1944. (Zugriff 20. 12. 2011). 75 BArchB, R 26III/111, Leiter Planungsrat im Reichs- 80 Zur Geschichte des Lehrstuhls, dem von 1900 bis 2013 die forschungsrat. Osenberg, an Gauleiter Lauterbacher, Professoren Heinke, Piloty, Marko, Hagenauer, Kötter und Northeim/Hann. 12. 1. 1945. Kramer vorstanden, siehe Eichin/Söder 2001. 21 . . . 1933 bis 1945 lasste Piloty, die für diese Technik äußerst wichtigen 1941 Wellenfilter systematisch zu untersuchen. In zahlrei- ­— Untersuchung an Mikrophonen (Reichs­ chen Veröffentlichungen und Dissertationen wird ab forschungsrat) 1938 das Thema dieser neuen Technik behandelt. Auch ­— Nachrichtentechnik (Reichsforschungsrat) Küpfmüller und Hans Ferdinand Mayer arbeiteten zu 1942 dieser Zeit am selben Thema, jedoch gibt es keine ge- ­— Pegelregelung auf dem Gebiet der Trägerstrom­ meinsamen einschlägigen Veröffentlichungen mit den telefonie und Probleme des Mehrfachempfangs in beiden, da Piloty für AEG/Telefunken tätig gewesen war der Kurzwellentechnik (Reichsforschungsrat) und die beiden Fachkollegen für den Konkurrenten Sie- 1943 mens & Halske arbeiteten. Möglicherweise kamen ­— Siebschaltungen für besondere Zwecke (Reichs­ Küpfmüller und Piloty dadurch miteinander in Kon- forschungsrat) takt, da sie beide für den Reichsforschungsrat wie auch ­— Mechanische Bandfilter: Ausbildung von Reso- für die Kriegsmarine Forschungen durchführten. nanzrelais als mechanische Bandfilter (gekoppelte Über die enge Industriezusammenarbeit, die Pilotys mechanische Schwingungssysteme). Entwick- Zeit am Lehrstuhl begleitete, bezogen der Lehrstuhl lung eines rückwirkungsfreien Kontaktgebers der und auch Piloty persönlich ein nicht unbedeutendes Schwingungssysteme (Heer), Dynamikregelung Zusatzeinkommen. Wie wichtig dem Lehrstuhlinhaber Projekt «Ozean» (Luftwaffe). Untersuchung über die Industriekontakte waren, zeigt ein Schreiben an den ein Vielbandfilter für Funkmesszwecke (Luftwaffe) Staatsminister für Unterricht und Kultus vom 13. 8. 1930 1944 mit der Bitte um eine ständige Sekretärin: «Hierauf lege ­— Siebschaltungen für besondere Zwecke ich ganz besonderen Wert, da ich, um in meiner Lehr- (Reichsforschungsrat)83 und Forschungstätigkeit nicht zu veralten, beabsich- Wie ersichtlich, blieben diese Auftragsarbeiten weitge- tige, in engem Konnex mit der elektrotechnischen In- hend im Rahmen des Pilotyschen Forschungsthemas dustrie zu bleiben und dann genötigt bin, eine «Siebschaltungen und Filter», ähnlich wie die Disserta- umfangreiche Korrespondenz zu führen.»81 Von 1933 tionen in dieser Zeit. bis 1945 entstanden am Lehrstuhl Piloty 23 Dissertatio- Die Kriegsmarine richtete in den 1940er Jahren auf nen. einem Grundstück der Familie Piloty am Starnberger Politisch passte sich Piloty dem NS-Regime nicht an, See eine Dienststelle für akustische Unterwasserversu- trat der NSDAP nicht bei und fiel durch kritische Bemer- che unter Leitung des Wiener TH-Elektrotechnikprofes- kungen an der Hochschule auf, weswegen 1940 seine sors Wilhelm Gauster-Fileck ein. Das 1943 nach Oberau- vom Münchner Physiker Sommerfeld vorgeschlagene dorf auf die Grafenburg, einem Erholungsheim der Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissen- Firma Rosenthal, verlagerte TH-Institut für elektrische schaften von NS-Stellen verhindert wurde (siehe Kapi- Nachrichtentechnik und Messtechnik von Professor tel 5). Im Zweiten Weltkrieg übernahm Hans Piloty an ­Piloty war fallweise in diese Arbeiten einbezogen.84 Die seinem Institut gut dotierte «kriegswichtige» Aufträge Verlagerung des TH-Institutes war nötig geworden, weil im Bereich der Fernmeldetechnik, Hochfrequenztech- es in der Nacht vom 9./10. März 1943 nach einem Luft- nik und Elektroakustik für alle drei Waffengattungen angriff ausgebrannt war. (Heer, Marine, Luftwaffe) sowie für den 1937 eingerich- teten Reichsforschungsrat. So wirkte er am Panzerpro- gramm und am Funkmessprogramm mit.82

Einige in den Akten ermittelte Beispiele seien im 83 BArchB, DS/Wissenschaftler, B0038 Piloty, Hans, 41ff.; Folgenden aufgeführt; die Liste der geheim eingestuf- R 26III/4, Bd. 2, Zusammenstellung von Forschungsauf- ten Aufträge ist aufgrund lückenhafter Überlieferung trägen des Heereswaffenamtes; R26III/5, Aufträge der For- schungsführung des RdL und ObdL, Monat Juli bzw. 1943 freilich unvollständig: Oktober 1943. 84 HATUM, Registratur, V 176, 1, Institut für Nachrichten- technik, Der Landrat des Kreises Starnberg an Regier- ungspräsident in München, Starnberg 28. 7. 1945; Piloty an Rektor der TH München, München 5. 8. 1954. – 2008 wurden Spuren jener Einrichtung gefunden, als Taucher 81 BayHStA, MK 43277, Piloty an Staatsministerium für am Ostufer des Starnberger Sees einen Übungstorpedo Unterricht und Kultus, Berlin-Wilmersdorf 13. 8. 1930. «Zaunkönig» fanden. Siehe hierzu Taucher-News: Der 82 HATUM, PA Piloty Hans, Vorschlagsliste Nr. 3 für die Zaunkönig vom Starnberger See. Internet-Dokument: Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse (ohne http://www.diveinside.de/aktuell_Die_Hintergruende_ Schwerter), Rektor Pistor, München 6. 6. 1944. zur__Torpedobombe__von_Starnberg_3366.html. 22 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Hans Ferdinand Mayer setzte in der NS-Zeit seinen be- war – zu sprechen, und erreichte so ein Visum für ruflichen Aufstieg bei Siemens & Halske fort und lebte ­Martyl. Das Mädchen konnte am 30. Januar 1939 nach mit seiner Familie in Berlin-Charlottenburg (zunächst England ausreisen und fand bei der Familie Turner in in der Riehlstr. 9, dann im Kaiserdamm 3, ab 1939 in Manchester Aufnahme. Als dieser ihn daraufhin im der Halmstr. 10). Zunehmend wurde er mit Führungs- Auftrag des Auslandsgeheimdienstes MI6 fragte, ob er aufgaben betraut. 1933 war Fritz Lüschen85, der 20 Jahre rüstungstechnische Informationen liefern könne, ältere Förderer, Ko-Autor und Vorgesetzte von Mayer, in lehnte Mayer noch ab – erst wenn Hitler einen Krieg mit den Vorstand der Siemens & Halske AG in Siemensstadt Großbritannien anzetteln würde, könne er sich zu ei- berufen worden und erhielt die Leitung des gesamten nem solchen Schritt entschließen. Die Verbindung der Fernmeldewerkes. Mit Rundschreiben vom 20. April Familien Mayer und Turner intensivierte sich jedoch. 1936 ernannte Lüschen Hans Ferdinand Mayer zum Lei- Turner besuchte die Mayers im Sommer 1939 und ter des Zentrallaboratoriums (ZL)86, als dessen Vertreter wurde Pate beim im April geborenen dritten Kind (Wil- fungierte Rudolf Tamm. Im Jahr 1938 erreichte Mayer helm-Dietrich) der ­Familie Mayer. Mit Kriegsbeginn riss den Rang eines Direktors von Siemens & Halske. Zu sei- der Kontakt zu Henry Cobden Turner naturgemäß erst nen Aufgaben als Leiter des Zentrallaboratoriums ge- einmal ab. hörte auch die Kontaktpflege mit dem Ausland und Nun verlor Mayer seine Hemmungen hinsichtlich zum CCIF. So nahm er im Juni 1938 an einem CCIF-Tref- der Weitergabe militärischer Geheimnisse. Nach der fen in Oslo teil und traf dort seinen englischen Berufs- Versenkung des britischen Kriegsschiffes «Royal Ark» kollegen Henry Cobden Turner und auf der Rückreise in durch ein deutsches Torpedo bei Scapa Flow (14. 10. 1939) Dänemark einen anderen CCIF-Kollegen, den Direktor schrieb er, wie er 1967 enthüllte, am 20. Oktober 1939 der dänischen Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe ­einen anonymen Brief an die US-Botschaft in Berlin mit (PTT) Niels Holmblad. Die interessanteste Reise aber der Bitte, die britische Marine zu informieren. Darin unternahm Mayer von Mitte Oktober bis 22. November ­beschrieb er die Bauart der Magnetzünder und empfahl 1938 zusammen mit seinen Mitarbeitern Erwin Hölzler Gegenmaßnahmen mittels Entmagnetisierung.88 Der (ein Doktorand Küpfmüllers in Danzig und nach dem Brief soll in die Hände der Briten gelangt, aber nicht Krieg Mayers Nachfolger im Zentrallabor in München weiter beachtet worden sein. und späterer Siemens-Vorstand) und Fritz Döring in die Am 29. Oktober 1939 reiste Mayer im Auftrag von USA, um die berühmten Bell-Laboratorien zu besichti- Siemens nach Oslo89, um am 31. Oktober mit dem Di- gen und Gespräche mit Fachkollegen zu führen. Er traf rektor der Norwegischen Post zu verhandeln. Norwegen unter anderen den «Laboratory President» Mervin war zu dieser Zeit noch neutral, und es existierte eine Kelly. britische Botschaft. Mayer lieh sich die Schreibma- Am 11. Dezember war Mayer zu einer Konferenz über schine des Hotelportiers und schrieb am 1. und. 2. No- Frequenzzuteilung in London und traf seinen engen vember mit Handschuhen zwei Briefe an die britische Freund Turner.87 Mayer erzählte ihm vom Schicksal Botschaft, deren Adresse er im Telefonbuch fand. Die einer aus Deutschland ausgewiesenen jüdischen Frau, mit normaler Post aufgegebenen Briefe, die später als Else Karweik, deren nichtjüdischer, nationalsozialis- «Oslo Report» bekannt wurden, enthielten viele Details tisch gesinnter Ehemann Erich Karweik, ein bekannter über die deutsche militärische Funkforschung, darun- Berliner Architekt, sich von ihr getrennt hatte. Da Else ter auch die erste Erwähnung der Raketenbasis Peene- Karweik ihre 11jährige Tochter Martyl zurücklassen münde. Mit einem getrennten anonymen Brief, den er musste, wollte sie diese in Sicherheit bringen. Turner nur mit «Martyl» unterschrieb, hoffte er, auch seinen versprach, bei seinem nächsten Besuch in Berlin mit Freund Cobden Turner in England über sein Vorgehen dem Passbeamten der britischen Botschaft Frank Foley informieren zu können, und reiste am 2. November ab, – der gleichzeitig britischer MI6-Geheimdienstagent um in Kopenhagen seinen Berufsfreund Direktor Niels Holmblad zu treffen. Am 4. November war Mayer wie- der zu Hause in Berlin. Mayer hoffte, dass über Holm- 85 Siemens AG: DIE SIEMENSSTADT. Ein Lexikon der blad ein weiterer Kontakt zu Turner möglich wäre, aber Siemensstadt in Berlin, Friedrich («Fritz») Lüschen. dies ergab sich nicht. Im zweiten Teil seines Oslo-Be- Internet-Dokument: http://w3.siemens.de/siemens-stadt/ lueschn0.htm (Zugriff 29. 4. 2011). richts hatte Mayer eine Empfangsbestätigung durch 86 Siemens-Forum, Archiv, WP Dr. Mayer, Hans Ferdinand, Hans Ferdinand Mayer 80 Jahre. In: Siemens Forschungs- und Entwicklungs-Berichte, 4 (1975) 6, S. 324. 87 Hierzu Jones 1989, S. 321–323, darin wörtlich wiedergegeben 88 ebd., S. 322. ein Brief Mayers an Jones vom 18. 7. 1967. 89 ebd., S. 321–324. 23 . . . 1933 bis 1945

BBC mit den leicht veränderten Begrüßungsworten gewertet und trugen nicht unerheblich zum alliierten («Hello hello this is London calling») verlangt. Diese er- Sieg über Deutschland bei. folgte entsprechend seinem Wunsch vereinbarungsge- Nach dem Krieg berichtete Mayer von weiteren Wi- mäß am 20. November 1939 um 8 Uhr abends, als Mayer derstandshandlungen. So habe er viele Nächte hin- schon wieder in Deutschland war. durch – als leitender Siemens-Mitarbeiter (!) – Zettel mit Der «Oslo Report» ist im Original nicht überliefert, der Aufschrift «Nieder mit Hitler» an Berliner Schau- jedoch wurde eine mit einer englischen Schreibma- fenster geklebt.93 Außerdem will er eine vor Adolf Hit- schine geschriebene Abschrift auf Deutsch (mit vielen ler abzuhaltende Militärparade durch einen Drohbrief im Original wohl nicht enthaltenen Rechtschreib- und verhindert haben.94 Seiner Ehefrau untersagte er, wie Grammatikfehlern) und eine englische Übersetzung an von staatlichen Stellen zu bestimmten Anlässen befoh- den Britischen Geheimdienst in London übermittelt. len, Hakenkreuzfahnen aus dem Fenster zu hängen. Sie befinden sich heute im Archiv des Imperial War Wenn er das Haus verlassen hatte, zog seine Ehefrau die ­Museum bzw. im Public Records Office (siehe Anhang). Fahnen aus Furcht vor Repressalien doch auf. Vor seiner Der «Oslo Report» enthielt so wertvolle Informationen Rückkehr holte sie sie wieder ein.95 für die britische Abwehr, dass ihn der führende engli- Mayer legte Wert darauf, Widerstand als «Einzel­ sche Geheimdienstwissenschaftler Dr. Reginald Victor gänger»96 geleistet zu haben. Doch gewann er zumin- Jones, die «Official history of air intelligence» zitierend, dest einen Mitstreiter: «Während eines Urlaubs 1942 folgendermaßen charakterisierte: «It was probably the in Baden-Baden klebte ich mit meinem dort lebenden best single report received from any source during the Bruder große Plakate auf sämtliche Bänke der Lichten- war».90 Jones hatte 1940 als Mitarbeiter des britischen taler Allee: ‹Adolf Hitler ist unser Untergang›, was die Luftfahrtministeriums das deutsche funkgesteuerte ganze Stadt in Aufregung setzte.»97 Sein Bruder ­Eugen Bomber-Zielsuchsystem «Knickebein» entschlüsselt und Mayer soll ihn auch dabei unterstützt haben, wenn es in der «Luftschlacht um England» erfolgreiche Gegen- galt, Devisen für nach Amerika emigrierende Juden maßnahmen entwickelt.91 zu transferieren.98 Mayer versuchte nun auch, den in Der siebenseitige «Oslo-Report» umfasste die Punk- Dänemark lebenden Generaldirektor der dänischen te Kampfflugzeug Ju 88, Projekt Flugzeugträger «Fran- PTT Niels Holmblad mit Informationen zu versorgen, ken» (der einzige Fehler im Bericht: Der Flugzeug­träger was jedoch scheiterte. Nun wurde er vorsichtiger und sollte «Graf Zeppelin» – Stapellauf 8. 12. 1938 – heißen; bemühte sich erfolglos um eine Emigration für sich die «Franken» war ein in derselben Werft im Bau be- und seine Familie in die USA.99 findliches Begleitschiff), ferngesteuerte Segelflugzeuge Mayer war gezwungen, jüdische Siemens-Mitarbei- mit Sprengladung, Autopiloten für Flugzeuge, Fernge- ter zu entlassen, doch gelang es ihm, sie später mit steuerte Raketen, Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin, ­Bezug auf ihren Nutzen für die Firma wiedereinzu­ Bunkerangriffsmethoden, Luftwarneinrichtung mit stellen.100 Auslandsreisen nutzte er, um Koffer und Funkpeilung, Bombensteuerungssystem, Torpedos, Elek- trische Zünder für Bomben und Granaten, Magnetische Näherungszünder. Teilweise wurden Abwehrmethoden angefügt. Der britische Geheimdienst nahm ihn zu- 93 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- nächst nicht ernst bzw. befürchtete gar Desinforma- Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. – Diese Geschichte tion. Erst der beim Wissenschaftlichen Nachrichten- erzählte er auch seinem Sohn Peter Mayer (Persönliche dienst des britischen Luftfahrtministeriums beschäf- Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009). 94 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. tigte, oben zitierte Physiker Dr. Reginald Victor Jones 95 ebd.. wies ab 1940 wiederholt auf die Bedeutung des Berichts 96 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, hin und bekräftigte dessen Authentizität. Später äu- Hauptstadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans ßerte er einmal: «In den wenigen Atempausen des Krie- Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. ges pflegte ich den Oslo-Report aufzuschlagen, um 97 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- nachzulesen, was denn wohl als nächstes käme.»92 In Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. – Im Stadtarchiv späteren Kriegsjahren wurden die Informationen aus- Baden-Baden und im Landesarchiv Baden-Württemberg- Generallandesarchiv Karlsruhe konnten allerdings keine Nachweise des Plakat-Vorfalls ermittelt werden (Auskünfte Dagmar Rumpf, Baden-Baden 14. 2. 2013 bzw. Dr. Martin Stingl, Karlsruhe 18. 3. 2013). 90 Jones 1989, S. 275. 98 ebd. 91 Brian Johnson 1994, S. 9–33. 99 Jones 1989, S. 325. 92 zit. nach ebd., S. 9. 100 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. 24 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Wertsachen von Juden mitzunehmen.101 Über ebenfalls der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8 ver- gefährdete Halbjuden hielt er seine Hand.102 Unter sei- hört. nen Schützlingen befand sich der im Zentrallaborato- Vorgehalten wurden ihm: rium beschäftigte Vater des späteren Bundesinnenmi- ­— «Abhören von Feindsendern und Verbreitung von nisters Ernst Benda.103 Nach dem Krieg sagte Mayer aus, Feindpropaganda, dass er sämtliche gegen Angestellte vorgebrachte An- ­— Staatsfeindliche Aeusserungen und Beleidigung klagen wegen «staatsfeindlicher Äußerungen» nieder- des Führers. geschlagen habe – «Ich war deshalb bei der Hitlerclique ­— Aktive Unterstützung von Juden (Wertsachen auf im Werk sehr verhaßt.»104 Auslandsreisen mitgenommen), Aus seiner dezidiert NS-kritischen Haltung machte ­— Arbeitssabotage durch Fehlleitung der Arbeitskraft Mayer nun keinen Hehl mehr, hörte regelmäßig ver­ des Laboratoriums. botene Auslandssender wie die BBC und teilte die ge- ­— Verdacht der direkten Verbindung mit den Feind- wonnenen Informationen anderen mit. Kompromiss- mächten mittels Geheimsender und Verrats militä- los distanzierte er sich vom Regime – das ihm 1943 rischer Geheimnisse.»111 als Siemens-Direktor verliehene Kriegsverdienstkreuz Gemäß Auskunft seines Sohnes Peter wurde Mayer in (Klasse nicht bekannt) erhielt er gegen seinen aus- der Prinz-Albrecht-Straße misshandelt, wahrscheinlich drücklichen Wunsch zuerkannt105 und heftete es zu aber nicht von Strübing persönlich.112 Hause seinem vierjährigen Sohn Wilhelm-Dietrich an Vorausgegangen war, dass die Gestapo das im Haus- den Schlafanzug. Damit nicht genug: Er fertigte Fotos halt der Familie arbeitende Dienstmädchen über einen davon an und zeigte sie im Kasino von Siemens & Agenten angesprochen und als Informantin gewonnen Halske herum.106 hatte. Ihre Berichte waren ein zentrales Beweisstück Im Jahr 1939 war Mayer aufgrund einer Denunzia- der Gestapo. Eine Hausdurchsuchung hatte keine Be- tion seines Dienstmädchens wegen hitlerfeindlicher weise erbracht.113 Neben dieser Hauptbelastungszeugin Äußerungen erstmals von der Gestapo kurzzeitig fest- sagten gemäß Mayer auch das in seinem Haushalt genommen worden.107 Nach eigener Aussage hatte er arbeitende Pflichtjahrmädchen sowie die Siemens- sich herausreden können.108 Hingegen behauptete Kollegen Oberingenieur Dr. Wilhelm Fernau, Oberinge- Küpfmüller später, ihn zusammen mit Lüschen durch nieur Goetsch und Oberingenieur Geutter aus.114 Schriftsätze an die Gestapo frei bekommen zu haben.109 Nach Kriegsende äußerte Mayer, dass auch SS-Ober- Am 15. Juni 1943 wurde Mayer von Gestapo-Krimi- gruppenführer Karl Wolff, damals SS-Verbindungs­ nalkommissar Johannes Strübing bei Siemens & Halske offizier zu Adolf Hitler, für seine Verhaftung veranwort- im dortigen Büro von Professor Alexander Meißner110, lich gewesen sein könnte, da Wolff seine regi­mekritische einem bedeutenden Physiker und Pionier der Rund- Haltung bemerkt habe.115 Mayer hatte Jahre zuvor eine funktechnik, festgenommen und bis zum 25. August in Auseinandersetzung mit Wolff gehabt, als er noch im gleichen Haus wie Wolffs Geliebte und spätere Ehe- frau Ingeborg Gräfin von Bernstorff wohnte. Als Wolff 101 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- dort Feste feierte und dazu kistenweise Kognak, Sekt, Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. Wein, Schokolade, Südfrüchte etc. angeliefert wurden, 102 So die Aussage des «Halbjuden» und Entwicklungs- ingenieurs Walter Arens (LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, sah sich Mayer zu boshaften Bemerkungen veran- Dipl.-Ing. Walter Arens, Glienicke, 21. 6. 1945). 103 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. 104 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- 111 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Zentral- Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. stelle ehem. Polit. Gefangener (K.Z.ler) für das französisch 105 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- besetzte Gebiet Baden-Baden, Dr. Hans-Ferdinand [sic!] stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß Mayer [Erfassungsbogen, n.d.] «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans 112 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. 113 Jones 1989, S. 325. 106 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. 114 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Zentral- 107 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- stelle ehem. Polit. Gefangener (K.Z.ler) für das französisch Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. besetzte Gebiet Baden-Baden, Dr. Hans-Ferdinand [sic!] 108 ebd. Mayer [Erfassungsbogen, n.d.]. – Der Vorname bei 109 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Dr. Fernau wurde auf der Basis der Personalkartei im Küpfmüller an Lagerspruchkammer zu Hd. Herrn Siemens-Forum München, Archiv, ergänzt. Goetsch und Schubert, Hammelburg 29. 6. 1947. Geutter (möglicherweise auch «Geuter») konnten dort 110 Meißner hatte bei Siemens & Halske anscheinend ein nicht ermittelt werden. Büro, obwohl er von 1930–49 im AEG-Forschungsinstitut 115 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- in Berlin-Reinickendorf arbeitete. Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. 25 . . . 1933 bis 1945 lasst.116 Er vermutete nun, Wolff habe die Gestapo ver- tärische Geheimnisse per Funk an die ­Sowjetunion anlasst, Mayers Dienst- und Pflichtjahrmädchen sowie weitergegeben hatte.121 Strübing war mit den Ermitt- Betriebskollegen zu vernehmen.117 Möglicherweise hat lungen gegen den Haupttäter Schulze-Boysen beauf- Wolff in der Tat Mayer einst bei der Gestapo angezeigt. tragt. Bei seinem (infolge Untertauchens verspätet Doch war der SS-Obergruppenführer (entspricht dem durchgeführten) Entnazifizierungsverfahren ­sowie in Dienstrang General) in der ersten Jahreshälfte 1943 auf- späteren Befragungen konnte Strübing stets glaubwür- grund schwerer Nierenerkrankung nicht dienstfähig, dig darstellen, dass er mit der Spionage- und Sabotage- begab sich nach einer Operation im März in verschie- abwehr, nicht aber mit der Verfolgung weltanschauli- dene Kurorte und wurde Ende Juni als Höherer SS- und cher NS-Gegner oder Juden beauftragt war.122 Vor Polizeiführer nach Italien kommandiert.118 Eine direkte diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlich, dass Involvierung in die Verhaftung Mayers ist daher eher Strübing Mayer als mutmaßlichen ­Industriesaboteur unwahrscheinlich. und Geheimnisverräter im Visier hatte. Wäre Mayer Während seiner Haftzeit hatte Mayer noch keinen ausschließlich wegen des Abhörens von Feindsendern diesbezüglichen Verdacht geschöpft. Denn in einem oder regimekritischer Bemerkungen verhaftet worden, Brief an seine Ehefrau aus dem KZ Sachsenhausen119 so hätte sich Strübing wahrscheinlich nicht mit seinem legte er ihr indirekt nahe, sich an «Onkel Wolf» um Fall beschäftigt. Wie oben dargestellt, beschuldigte er Unterstützung für seine Freilassung zu wenden, was Mayer in den Verhören ja auch der «Arbeitssabotage» sie mit der Begründung tat, dass ihr Mann für seine und des «Verrats militärischer Geheimnisse». Vielleicht freimütigen Äußerungen doch bereits genug gebüßt stellte er diese Punkte aus ermittlungstaktischen Grün- habe.120 Es ist nicht bekannt, ob sich der SS-Obergrup- den zunächst nicht in den Vordergrund. penführer für Mayer verwendete. Wahrscheinlich hatte sich Mayer mit seinen häufi- Ein Blick auf den beruflichen Werdegang von Krimi- gen Auslandsreisen und intensiven Auslandskontakten nalkommissar Johannes Strübing zeigt, dass sich der bei der Gestapo verdächtig gemacht – im November Kriminalkommissar mit Abwehrfragen beschäftigte. 1941 soll er bei einer beruflichen Auslandsreise von ei- Seit 1927 als Schutz- bzw. Verkehrspolizist tätig, war er nem Gestapo-Agenten am Betreten der US-Botschaft in zum 1. 2. 1937 zur Gestapo, Stapoleitstelle Berlin, gewech- Bern gehindert worden sein, als er die Emigration von selt. Dort wurde er als Kriminalassistent in verschiede- sich und seiner Familie vorbereiten wollte.123 Zum nen Abteilungen eingesetzt und erhielt eine umfas- Glück für Mayer wusste die Gestapo anscheinend wenig sende Abwehrausbildung. Als Kriminalkommissar auf Konkretes über seine regimefeindlichen Aktivitäten Probe leitete er an der Stapoleitstelle Berlin von Februar und nichts über den «Oslo-Report». Andernfalls wäre bis Juni 1942 das Fachreferat Wirtschaftsspionage. Zum ihm der sofortige Prozess vor dem Volksgerichtshof mit 1. 7. 1942 wurde er zum Reichssicherheitshauptamt in wahrscheinlichem Todesurteil kaum erspart geblieben. Berlin als Kriminalkommissar in die Abteilung IV A 2 Im ersten Schreiben Mayers aus Gestapo-Haft an (Sabotagebekämpfung, Sabotageabwehr, Fälschungs- seine Ehefrau warnte er verschlüsselt vor seinen Sie- wesen) versetzt, wo er bis zum 1. Mai 1945 tätig war. Sein mens-Kollegen Heinrich von Buol, Lüschen und Küpf- berühmtester Fall war der im August 1942 verhaftete müller, da er sie anscheinend für Nationalsozialisten und im Dezember desselben Jahres hingerichtete Ober- hielt: «Wenn Du Geld brauchst, wende Dich an Borgs- leutnant Harro Schulze-Boysen, Attaché im Reichsluft- müller, aber nicht an Herrn von Buol, Lüschen oder fahrtministerium, der zusammen mit weiteren Ange- Küpfmüller».124 Zumindest bei Lüschen täuschte er hörigen des Widerstandsnetzes «Rote Kapelle» mili- sich: Interventionen hoher Siemens-Mitarbeiter wie

116 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 21. 6. 2008. Gräfin 121 Johannes Tuchel: Zwischen kriminalistischer Recherche Bernstorff war überzeugte Nationalsozialistin. Nach der und brutaler Folter. Zur Tätigkeit der Gestapo-‹Sonder- Verhaftung von Hans F. Mayer versuchte sie, seine Ehefrau kommission Rote Kapelle›. In: Paul/Mallmann 1995, und Kinder aus dem Luftschutzkeller zu weisen mit der S. 373–387. Bemerkung, sie könne den Keller nicht mit einer Häftlings- 122 BArchK, Z/42/IV, 4984, Strübing Johannes, Johannes frau teilen. Dies verhinderten allerdings die anderen Mit- Strübing, Befragung, Hannover, 10. 8. 1949; LBe, B Rep. bewohner (Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013). 057–01 429 Beistück I, Aussage Johannes Strübing, Gegen- 117 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin-Charlot- wärtig: Staatsanwalt Dr. Fink als Vernehmender, Justiz- tenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. angestellte Hartwig als Protokollführerin, Wennigsen/ 118 Lang 1989, S. 195–201. Deister, 18. 1. 1950 bzw. Hannover 2. 2. 1950. 119 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Sachsen- 123 Jones 1989, S. 325. hausen, 3. 9. 1943. 124 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, 120 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. Hans F. Mayer an Betty Mayer, Berlin, 16. 6. 1943. 26 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Friedrich Lüschen und Hermann von Siemens, seines Fernmelde- und Hochfrequenzingenieure sämtlicher mit Außenminister ­Joachim von Ribbentrop verwand- Konzentrationslager nach seiner Verhaftung in Dachau ten Rechtsanwalts Wulf-Dietrich von Saldern, des Präsi- zusammengezogen und in einem Laboratorium verei- denten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt nigt, dessen wissenschaftliche Leitung ihm übertragen ­Abraham Esau sowie seines Doktorvaters Philipp Len- wurde.130 Im August 1943 wurde es vom Leiter des ard bei Rüstungsminister Albert Speer, Staats- und Par- SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, SS-Ober­ teistellen und bei der SS konnten erreichen, dass der grup­penführer Oswald Pohl, offiziell errichtet.131 Mayers vorbereitete Prozess beim Volksgerichtshof auf Weisung Verhaftung hatte dieses Projekt also angestoßen. Der Himmlers bis Kriegsende ausgesetzt wurde. So hatte Zeitpunkt war günstig, da staatliche Stellen und die Lüschen in einer Eingabe alle wissenschaftlichen Leis- SS erkannt hatten, dass der Rückstand in der Hoch­ tungen und Verdienste Mayers zusammengestellt.125 frequenzforschung aufgeholt werden musste. Ab Mitte Aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten wurde es Juli 1943 wurden die zersplitterten Forschungsein- Mayer gestattet, als KZ-Häftling für kriegswichtige Rüs- richtungen durch eine neu errichtete «Reichsstelle für tungsprojekte zu arbeiten.126 Lenard setzte sich zwar Hochfrequenzforschung» koordiniert, und im Zuge der für seinen Schüler bei Himmler ein, doch verübelte ihm «Rü-Funk-Aktion» durften im Sommer 1943 erstmals der überzeugte Nationalsozialist sein Verhalten. An Fachleute von der Front in die Forschung zurückkehren, Betty Mayer schrieb er die pathetischen Worte: ca. 1500 Hochfrequenztechniker und -ingenieure. Der «Der Herr Gemahl muss gründlich umdenken ler- Reichsführer-SS Heinrich Himmler nahm persönli- nen. Es kann nichts schaden, wenn er denkt wie ich. Er chen Anteil an dieser Frage und sagte seine Unterstüt- möge jetzt aller politischen Äusserungen gänzlich sich zung zu. enthalten, bis das erreicht ist mit dem Denken. Unglück Mayer weigerte sich stets, irgendwelche Funktionen ist die Seife, mit der uns Gott wäscht. Wir aber schreien gegenüber dem Lager auszuüben und beschränkte sich wie die Kinder, wenn sie gewaschen werden. Heil Hitler auf die wissenschaftliche Leitung des Laboratoriums. Ihr freundschaftlich ergebener P. Lenard»127 Einzige Ausnahme waren die letzten 14 Tage vor Kriegs- Kriminalkommissar Strübing bestätigte Mayer, dass ende, wo Mayer – er war damals im KZ Sachsenhausen er sein Leben den Bemühungen von Siemens & Halske inhaftiert – gegenüber der Lagerleitung die Führung des verdanke: Kommandos auf dessen Wunsch übernahm.132 Unter «Bevor ich nach 3-monatlicher [sic!] Untersuchungs- seiner wissenschaftlichen Leitung arbeiteten qualifi- haft ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht zierte Häftlinge aus zwölf Nationen, darunter beispiels- wurde, teilte mir der Kommissar Strübing mit, daß die weise Kazimierz Drewnowski (1881–1952), ehemaliger Absicht bestanden habe, mich vor den Volksgerichtshof Rektor der Technischen Universität Warschau.133 zu stellen. Ich hätte es nur dem energischen Eingreifen Häftlinge errichteten eine Außenstelle für Hoch­ meiner Firma zu verdanken, die sich zuletzt noch an frequenzuntersuchungen auf dem Sudelfeld oberhalb Himmler wandte, daß ich noch meinen Kopf auf den von Bayrischzell, die noch bis mindestens April 1945 Schultern trage.»128 existierte. Wahrscheinlich fand hier Funkmessfor- Am 25. August 1943 traf Mayer im KZ Sachsenhausen schung statt. Überreste sind noch heute vorhanden, so ein, am 5. September desselben Jahres wurde er in das ein Betongehäuse zur Aufnahme eines Parabolspiegels KZ Dachau überstellt, wo er als technischer Leiter eines aus Metall.134 im Konzentrationslager neu eingerichteten Hochfre- quenz-Forschungsinstituts eingesetzt wurde.129

Wie Mayer nach Kriegsende aussagte, wurden auf 130 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- Anregung der Firmenleitung von Siemens & Halske die stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. 131 Ludwig 1974, S. 490. Das Beispiel machte Schule – 1944 125 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Friedrich gründete die SS im KZ Oranienburg ein «Recheninstitut». Lüschen: Bericht über die Tätigkeit von Dr. H.F. Mayer, Häftlinge aus mehreren Konzentrationslagern führten hier 21. 9. 1943. Berechnungen für die Luftwaffe durch (Baganz 2013, S. 68). 126 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. 132 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin-Charlot- 127 Zit. nach Jones 1989, S. 325. tenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. 128 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin-Charlot- 133 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- tenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß 129 ITS Bad Arolsen, Digitales Archiv, 10705818, Mayer, Hans «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans Ferdinand [Häftlingskarteikarte des KZ Dachau]. Zum KZ Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. Dachau: Benz/Distel (Hg.), Bd. 2, 22006, S. 233–274, 507–509. 134 Benz/Distel (Hg.), Bd. 2, 22006, S. 507–509. 27 . . . 1933 bis 1945

Himmler ließ sich im Oktober 1943 in seinem hielt die Firma Kimmel im KZ Dachau ein «Fernmelde- ostpreußischen Hauptquartier «Hochwald» vom «Be- technisches Entwicklungslaboratorium».142 vollmächtigten für Hochfrequenzforschung» (B. H. F.) Nach einiger Zeit wurden «Weber-Kommando» und Dr. Hans Plendl persönlich Bericht erstatten.135 Der Phy- «Kimmel-Kommando» unter Mayers technischer Lei- siker Plendl war Ende 1942 zum Bevollmächtigten für tung und Schröders Oberaufsicht zum Arbeitskom- ­dieses Forschungsgebiet ernannt worden und verfolgte mando «B.H.F.» (Abkürzung für «Bevollmächtigter für als Hauptaufgabe die Verbesserung der Funkmesstech- Hochfrequenzforschung») zusammengelegt. Den Kern nik (Radartechnik).136 Nach seiner Ablösung durch Ab- bildete das «Weber-Kommando»; dieser Name scheint raham Esau dankte Plendl im Januar 1944 Himmler, auch danach noch verwendet worden zu sein.143 Das dass er durch seine Unterstützung «die Neugestaltung Kommando befasste sich u. a. mit dem Erkennen von der Hochfrequenzforschung wesentlich erleichtert»137 aus abgeschossenen Feindflugzeugen ausgebauten habe. Himmler blieb ein hartnäckiger Befürworter elektronischen Anlagen. Da die Anlagen mit Sprengla- langfristig ausgerichteter Forschung und warf im August dungen gesichert waren, waren die Arbeiten für die 1944 mit Unterstützung Martin Bormanns Minister Häftlinge sehr gefährlich. Das Kommando war mit Speer die Vernachlässigung der Forschung zugunsten deutschen und erbeuteten alliierten Spezialmessgerä- der Rüstungsproduktion vor. Dabei nannte er insbeson- ten ausgerüstet. Wie der polnische Historiker Alfred dere als Beispiel die Hochfrequenzforschung.138 Konieczny mit Bezug auf Zeitzeugenbefragungen Mayer arbeitete ab September 1943 in Dachau als schreibt, genoss Mayer hohes Ansehen und großes Ver- technischer Leiter des «Weber-Kommandos» unter Auf- trauen bei Häftlingen und Vorgesetzten.144 Im Juni 1944 sicht von SS-Obersturmführer Martin Schröder, dem zählte das B.H.F.-Kommando 30 Häftlinge (Mayer als «Bevollmächtigten für Hochfrequenzforschung» der Leiter, sechs Elektroingenieure, fünf Funktechniker, SS. Das Kommando war nach einem Ingenieur Weber vier Dreher, zwei Elektriker, zwei Elektrotechniker, zwei aus Berlin benannt, dessen Betrieb nach Dachau evaku- Schweißer, einen Elektronikingenieur, einen Feinme- iert worden war. Entsprechend qualifizierte Häftlinge chaniker, einen Maschinenmechaniker, einen Mathe- befassten sich mit Forschungs- und Entwicklungsarbei- matiker, einen Techniker-Mechaniker, einen Schlosser, ten für Hochfrequenzverfahren. Außerdem widmete einen Beamten und einen Landwirtschaftsarbeiter).145 sich in Dachau ein weiteres Kommando mit Häftlings- Natürlich suchten die Häftlinge die Arbeiten nach fachleuten mehrerer Nationalitäten ähnlichen Arbei- Möglichkeit zu verschleppen. Auch konnten sie sich aus ten, das «Kimmel-Kommando». Sie arbeiteten an der abgezweigten Teilen Radioempfänger basteln. So hör- Produktion von Untergruppen für Impulsgeräte der ten sie im KZ Dachau den Schweizer Sender Radio Bero- Hochfrequenztechnik. Beide Kommandos waren in ei- münster. Dadurch waren sie in der Regel über das nem abgetrennten Gebäude untergebracht, wo eine Kriegsgeschehen besser informiert als ihre Bewacher, Werkstatt, eine Montagehalle und ein Labor eingerich- wussten z. B. früher als diese von der erfolgten alliierten tet worden waren.139 Invasion in der Normandie. Nachrichten wie auch Ra- Die Bezeichnung «Kimmel-Kommando» verwies auf dioempfänger gaben sie an andere Häftlinge weiter.146 eine Fertigung für die in München und Kempten ansäs- Das Hochfrequenz-Forschungsinstitut erhielt den sige elektrotechnische Firma Kimmel. Beispielsweise Decknamen «Wetterstelle», möglicherweise abgeleitet erhielt sie im Juni bzw. Juli 1943 von der Kriegsmarine von der Dachauer Außenstelle auf dem Sudelfeld. Den die Aufträge «Entwicklung von Empfängern und Sen- Häftlingen war die Tarnbezeichnung nicht bekannt.147 dern im Wellenbereich 3–10 cm»140 und «Entwicklung eines Wellenmessers (Frequenzmesser) für den Bereich von 3 bis 10 cm einschl. eines kleinen Senders und Ver- stärkers – Projekt ‹Zwerg›».141 Bis etwa März 1944 unter- Kriegsmarine im Monat Juli 1943 erteilten Forschungs- aufträge. 142 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Hermann Kimmel an Betty Mayer, München 9. 11. 1943 bzw. 135 Ludwig 1974, S. 490. 3. 5. 1944. 136 Maier 2007, S. 127; Flachowsky in Technikgeschichte 72 143 Konieczny 2004, S. 6 bzw. 9 bzw. 16. (2005) 3, S. 203–226. 144 ebd., S. 7. 137 BArchB, NS 19/2057, Plendl an Himmler, 7. 1. 1944. 145 ebd., S. 6. 138 BArchB, R 26III/100, Himmler an Speer, 3. 8. 1944. 146 KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, 29. 633, Peter Mayer, 139 Konieczny 2004, S. 4–7, 13. Protokoll über ein Gespräch mit Herrn Gustl Gattinger am 140 BArchB, R26 III/125, Zusammenstellung der von der Kriegs- 14. 11. 1986 in seinem Haus in München; Konieczny 2004, marine im Monat Juni 1943 erteilten Forschungsaufträge. S. 16–18. 141 BArchB, R26 III/125, Zusammenstellung der von der 147 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. 28 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Die Forschungsergebnisse kamen der Firma Sie- tät eine steile Karriere gemacht: Eintritt in die NSDAP mens & Halske zugute, die das Hochfrequenz-Institut zum 1. 5. 1933, Führer des Reichsverbandes der Deut- im Konzentrationslager ja mitinitiiert hatte. So gehörte schen Hochschulen, Staatsrat, Reichskultursenator, die Firma Kimmel dem Münchener Unternehmer Dr. 1937 erneut Rektor der Universität Jena, 1939 Präsident Hermann Kimmel, einem früheren Siemens-Angestell- der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, Professor ten, der unter Mayer im Zentrallaboratorium gearbeitet für Militärtechnik an der TH Berlin, 1944 Bevollmäch- hatte. Seine Firma war Unterauftragnehmer des Berli- tigter für Hochfrequenz-Forschung.154 Da Esau und ner Elektrokonzerns.148 Vergeblich suchte er Anfang Mayer seit Jahrzehnten miteinander bekannt waren, 1944 beim «Hauptsicherungsamt der SS» [gemeint ist schrieb Betty Mayer an Esau und bat ihn, sich für ihren wohl das Reichssicherheitshauptamt, Vf.] Mayer für Mann einzusetzen. Esau antwortete, dass er ihren Mann seine Firma frei zu bekommen.149 Auch traf Mayers Ehe- in guter Verfassung im KZ angetroffen habe und er sich frau Betty einmal bei Siemens & Halske in Berlin den für die Verbesserung seiner Lebensbedingungen einset- SS-Obersturmführer Martin Schröder, der ihr berich- zen werde.155 tete, dass er Arbeiten ihres Gatten mitbringe.150 Schließ- Im Herbst 1943 beschloss die SS wegen der zuneh- lich erhielt die Familie Mayer von Siemens & Halske bis menden Luftangriffe auf den Raum München, das Kriegsende weiterhin das Gehalt Mayers inklusive der Hochfrequenz-Forschungsinstitut vom KZ Dachau in jährlichen Gewinnbeteiligung ausbezahlt151, was wohl das KZ Groß-Rosen in Niederschlesien zu verlegen. SS- nicht allein für eine humanitäre Geste, sondern auch Obergruppenführer Hans Kammler, Leiter der Amts- für eine fortdauernde berufliche Anbindung spricht. gruppe C (Bauwesen) im SS-Wirtschafts- und Verwal- Ob die Hilfe für den verfolgten Mitarbeiter oder die tungshauptamt, ließ dort Anfang 1944 vier große Nutzung des Häftlingswissens Vorrang für die Firma Baracken errichten, in denen bis zu 200 angelernte hatte, ist aus der Rückschau schwer zu beurteilen. Wahr- Häftlinge auch die Produktion von Messinstrumenten, scheinlich spielten beide Gesichtspunkte eine Rolle. Geräten und Einzelteilen der Hochfrequenztechnik auf- Sie waren unter damaligen Bedingungen denn auch nehmen sollten.156 eng miteinander verknüpft. Nur ein «kriegswichtiger» Am 14. Juni 1944 wurde das 30 Häftlinge umfassende Einsatz konnte gegenüber dem Regime die (zumindest «B.H.F.-Kommando» in das KZ Groß-Rosen verlegt.157 vorübergehende) Verschonung Mayers begründen. Wie Für das Kommando wurde der neue Block 14A auf dem der Fall der «Schindler-Juden», so zeigt auch das Bei- alten Appellplatz gebaut. Durch einen tiefen Graben spiel Mayer die Ambivalenz von Zwangsarbeit auf: Sie und Stacheldrahtzaun wurde der Block vom restlichen konnte Betroffene physisch vernichten, aber auch ret- Konzentrationslager abgetrennt. Arbeitsplätze und ten. Mayer hat jedenfalls keinen Zweifel daran gelassen, ­Installationsergänzungen zum Anschluss von Appara- dass die Arbeit im KZ sein Los und dasjenige seiner turen mussten die Kommandoangehörigen selbst her- ­Mithäftlinge wesentlich erleichtert hat. Industriekom- stellen. Im nahe gelegenen Steinbruch wurde ein mandos seien für Häftlinge «die wichtigste Vorausset- Laboratorium errichtet. In dessen Magazin wurden zung für die Erhaltung ihres Lebens im Konzentrations- Funkgeräte, Rundfunkstationen, Elektromotoren, Dy- lager» gewesen.152 namoanker u. a. gesammelt.158 Das Kommando wurde Aufgrund von Kritik an seinen organisatorischen auf 90 Häftlinge (Stand Februar 1945) vergrößert, dar- ­Fähigkeiten wurde Plendl zum Jahresanfang 1944 als unter 40 Polen, 14 Franzosen, 13 Tschechen, acht Russen «Bevollmächtigter für Hochfrequenzforschung» abge- löst und durch den Technischen Physiker Abraham 153 Esau abgelöst. Nach der nationalsozialistischen 154 Klee 2005, S. 139. Machtübernahme hatte der Rektor der Jenaer Universi- 155 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Betty Mayer an Esau, Berlin 21. 2. 1944; Esau an Betty Mayer, 13. 3. 1944. 156 Ludwig 1974, S. 490. Zum KZ Groß-Rosen: Mołdawa 1967, 148 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 4. 5. 2008. Konieczny 31998 sowie Benz/Distel (Hg.), Bd. 6, 2007, 149 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans Ferdinand Mayer, S. 195–221. Hermann Kimmel an Betty Mayer, München 3. 5. 1944. 157 ITS Bad Arolsen, Digitales Archiv, 10705818, Mayer, Hans 150 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 4. 5. 2008. Ferdinand [Häftlingskarteikarte des KZ Dachau]; ITS Bad 151 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans Ferdinand Mayer, Arolsen, Digitales Archiv, 9914008, Konzentrationslager Betty Mayer an von Witzleben, Baden-Baden 9. 4. 1944 Dachau, Arbeitseinsatz, Transportliste nach KL Groß Rosen (in diesem Schreiben dankt sie für Gehaltszahlung und im Auftrag des Bevollmächtigten für Hochfrequenz- Gewinnbeteiligung). forschung SS-Obersturmführer Martin Schröder, Dachau 152 zit. nach Feldenkirchen 1995, S. 554 (Anm. 146). 14. 6. 1944. 153 Maier 2007, S. 256. 158 Konieczny 2004, S. 8f., 13. 29 . . . 1933 bis 1945 und acht Deutsche.159 Drei der Wissenschaftler waren «Es ist ja sehr bedauerlich, dass sich Ihr Gesund- jüdischer Herkunft.160 Nach Aussage eines Angehöri- heitszustand wieder verschlechtert hat. Hoffentlich ha- gen stellte das Kommando Radio-, Fernsprechappara- ben Sie nun in Baden-Baden endlich den richtigen Arzt turen, Sende-, Empfangs- und Telegrafenapparate her gefunden, der Ihnen zur Heilung verhelfen kann. Sie und machte Versuche mit Anlagen deutscher Produk- müssen vor allem nicht dauernd über das Schicksal tion sowie erbeuteten Apparaturen unter besonderer Ihres Mannes nachgrübeln; denn deswegen dürfen Berücksichtigung von Stromerzeugern und Feldstatio- Sie wirklich unbesorgt sein. In erster Linie müssen nen. Auch wurde zu Transistoren geforscht.161 Sie jetzt an Ihre Kinder denken und ihnen Ihre Gesund- Räumlich getrennt vom Hochfrequenz-Forschungs- heit erhalten. Mit besten Grüßen und Heil Hitler! institut arbeiteten in Groß-Rosen Häftlinge in zwei M. Schröder»168 ­Innenarbeitskommandos in der Produktion für die Ra- SS-Obersturmführer Schröder behandelte die Häft- diobranche und Elektrotechnik. Das Kommando «Blau- linge vergleichsweise human. Zum einen war er persön- punkt» stellte Teile für Radioapparaturen her und lich an den nachrichtentechnischen Arbeiten interes- ­montierte Untergruppen, das Kommando «Siemens & siert, zum anderen fürchtete er eine Versetzung. Der Halske» führte ab Frühjahr 1944 Schlosser-, Klempner- Ehefrau von Mayer sagte er einmal, sie solle doch um und Elektromontagearbeiten für die Fertigung von Himmels willen dafür sorgen, dass ihr Ehemann und elektrischen Röhren aus.162 Nach ­Konieczny ist es nicht das ganze Kommando keinen Ärger mache, denn sonst ausgeschlossen, dass die Forschungs- und Versuchsar- kämen die Wissenschaftler «in den Steinbruch und er beiten von Mayers «Wetterstelle» auch diesen Produkti- an die Ostfront».169 In Groß-Rosen trat Schröder nicht onskommandos dienen sollten.163 mehr in Erscheinung. Gemäß der Aussage seiner Witwe Aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten genossen war er wegen zu guter Behandlung der Häftlinge abge- Mayer und seine Mithäftlinge im Kommando gewisse löst und als Nachrichtenfachmann an die Front versetzt Privilegien. So mussten die in der «Wetterstelle» be- worden. 1945 geriet Schröder in US-Gefangenschaft und schäftigten Häftlinge ihre Haare nicht kurz scheren, er- ist dort verschollen.170 hielten bessere Häftlingsanzüge und Lederschuhe.164 Doch hielt Mayer nach dem Krieg auch Misshand- Mayer war in Groß-Rosen «der einzige Häftling im La- lungen während seiner Haftzeit fest: «In der üblichen ger, der seine eigene Kleidung tragen durfte».165 In dem Weise, Schläge, Fußtritte, Beschimpfungen, durch Be- berüchtigten KZ Groß-Rosen kam es anfangs einmal wachungs- und Blockpersonal»171. zur Misshandlung eines Kommandoangehörigen. Nach Die Haftbedingungen verschlechterten sich für Intervention von Ingenieur Weber entschuldigte sich Mayer und seine Mithäftlinge massiv, als das Komman- der Lagerälteste. Fortan hatten nur einige wenige SS- do «Wetterstelle» als Teil von 5000 Häftlingen infolge Führer Zutritt zu dem Block, und Kontrollen fanden des Vordringens der sowjetischen Armee am 11. Februar kaum noch statt.166 1945 überstürzt unter chaotischen Umständen aus Mayers Prestige war so groß, dass er schon im KZ Groß-Rosen evakuiert und in das gefürchtete KZ Maut- Dachau einigermaßen erträgliche Arbeitsbedingungen hausen (Österreich) verlegt wurde.172 Dies erfolgte für die Angehörigen seines Kommandos erreichen und wahrscheinlich irrtümlich, denn die technische Ausrüs- Meldungen oder Bestrafungen verhindern konnte.167 tung war ins KZ Sachsenhausen überstellt worden. Am SS-Obersturmführer Martin Schröder scheint ihn be- 15. Februar kam der Transport nach 100 Stunden Fahrt vorzugt behandelt zu haben und korrespondierte mit in offenen Güterwagen an. Die Häftlinge ­hatten bei Mayers Ehefrau Betty in ausgesprochen höflichem Ton. 15 Grad Kälte die ganze Zeit stehen müssen und weder So schrieb er der Ehefrau des Häftlings am 19. März 1944 essen noch trinken können. Unterwegs ­waren gemäß aus dem KZ Dachau: Mayer ca. 500 verstorbene Häftlinge von den Begleit-

168 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans Ferdinand Mayer, 159 ebd., S. 11f. Martin Schröder an Betty Mayer, Dachau 19. 3. 1944. 160 Benz/Distel (Hg.), Bd. 6, 2007, S. 211. 169 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. 161 Konieczny 2004, S. 14. 170 ebd., beruhend auf einem Gespräch Mayers mit der Witwe 162 ebd., S. 9. von Martin Schröder nach dem Krieg. 163 Konieczny 2004, S. 9; Feldenkirchen 1995, S. 209. 171 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Zentral- 164 Konieczny 2004, S. 15. stelle ehem. Polit. Gefangener (K.Z.ler) für das französisch 165 ebd., S. 13. besetzte Gebiet Baden-Baden, Dr. Hans-Ferdinand [sic!] 166 ebd., S. 16. Mayer [Erfassungsbogen, n.d.]. 167 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- 172 Zum KZ Mauthausen: Benz/Distel (Hg.), Bd. 4, 2006, Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. S. 293–346. 30 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

mannschaften aus dem Wagen geworfen worden, wei- 5. Mai auf einem Bauernhof, wo ihn die durch den Tod tere ca. 200 wurden nach Ankunft beim Marsch ins ihrer Söhne vom Nationalsozialismus völlig desillusio- Lager erschossen, da sie nicht mehr laufen konnten.173 nierte Bauersfrau verpflegte. Er marschierte dann zu Mayer galt als wichtiger Geheimnisträger, der oberste Fuß Richtung Berlin, wurde zwischenzeitlich krank und Häftlingskapo hatte eine schriftliche Weisung des in Neu-Strelitz von mitleidigen Leuten gesund gepflegt. Reichssicherheitshauptamtes erhalten, nach der Mayer Schließlich erreichte er am 12. Mai in Frohnau die bei Feindannäherung oder einem Fluchtversuch so- Reichshauptstadt, wo er sich wieder bei seinem Arbeit- fort zu erschießen sei.174 Den Überlebenden drohte in geber Siemens & Halske meldete.179 Mauthausen der Tod, worauf auch der blutgetränkte Lehmboden in der abgesonderten Baracke hindeutete, wo sie untergebracht wurden. Unter den Häftlingen war sie als «Todesbaracke» bekannt.175 Mayer erreichte Lebensläufe und Karrieren nach 1945 es, dass sein Kommando in das KZ Sachsenhausen verlegt wurde, wo die technische Ausrüstung der «Wet- Wie die Übersicht 3 auf der gegenüberliegenden Seite terstelle» bereits eingetroffen war.176 Am 25. Februar zeigt, sind die Lebensläufe nach 1945 wieder parallel ging der Transport nach Berlin ab, nach Ankunft wurde verlaufen. das Kommando im KZ Sachsenhausen eingeliefert. Dort erhielt das Institut den neuen Namen «Zentralins- Karl Küpfmüller hielt sich bei Kriegsende in Husum titut für Hochfrequenz- und Fernmeldetechnik, Reichs- auf und wohnte im benachbarten Nordstrand. Am 19. führer SS».177 Mai 1945 wurde er von Generaladmiral Hans-Georg von Im Zuge eines weiteren, mörderischen Verlegungs- Friedeburg, dem letzten Oberbefehlshaber der Kriegs- marsches wurden 60 000 Häftlinge am 21. April 1945 marine, mit einem förmlichen Anerkennungsschrei- vom KZ Sachsenhausen in Gruppen zu je 500 zum KZ ben entlassen: Bergen-Belsen in Marsch gesetzt. Dabei sollen an die «Der unglückliche Ausgang des Krieges mit der be- 6000 verstorben sein. Unterwegs wurde Mayer in der dingungslosen Kapitulation zwingt mich leider, den ausbrechenden Anarchie der letzten Kriegstage zusam- Wissenschaftlichen Führungsstab der Kriegsmarine men mit weiteren rund 250 Häftlingen am 27. April im mit sofortiger Wirkung aufzuheben und Sie von Ihrem Wittstocker Moor mit einem ordnungsgemäßen Entlas- Auftrag zu entbinden. In beinahe 1½jähriger Tätigkeit sungsschein, ausgestellt von SS-Sturmscharführer Kurt haben Sie der Kriegsmarine und vor allen Dingen der Erdmann, in Freiheit gesetzt. Mayer hatte Erdmann da- U-Boot-Waffe große Dienste geleistet, die auch noch äu- von überzeugen können, dass der Krieg verloren sei, er ßerlich ihre Anerkennung finden werden. Ich möchte sich aber im Fall einer Freilassung für den SS-Mann ein- Ihnen meinen wärmsten Dank zum Ausdruck bringen setzen könne.178 Halbverhungert verbarg er sich bis für Ihre wertvolle und erfolgreiche Mitarbeit, der der Erfolg nicht versagt geblieben ist, und bedauere, dass das Kriegsende mich zwingt, Sie aus den Diensten der 173 ITS Bad Arolsen, Digitales Archiv, 1310569, K.L. Maut- Kriegsmarine zu entlassen.180 hausen, Liste der Zugänge vom 14. Februar 1945, Maut- Vier Tage später wurde die von den Westalliierten in hausen 20. 2. 1945; KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, Prof. Dr. Hans F. Mayer, 31. 187, Hans F. Mayer, Die letzten Flensburg-Mürwik noch bis auf weiteres geduldete «Ge- Tage im KZ, undatiert. schäftsführende Reichsregierung» unter Führung von 174 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013, beruhend Großadmiral Karl Dönitz verhaftet. Generaladmiral auf einer Korrespondenz von Hans F. Mayer mit dem Häftlingskapo des Lagers Groß-Rosen nach dem Krieg. Sie von Friedeburg beging am selben Tag Suizid. ist leider nicht mehr erhalten, Peter Mayer aber inhaltlich In einem Tonbandinterview behauptete Küpfmüller bekannt. Ende der 1970er Jahre, dass er «1946, 1947» zusammen 175 KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, 29. 633, Peter Mayer, Protokoll über ein Gespräch mit Herrn Gustl Gattinger am mit anderen Entwicklungsleuten «in England einge- 14. 11. 1986 in seinem Haus in München. sperrt» gewesen sei. Er berichtete von einer damals 176 ebd. noch verbreiteten antideutschen Stimmung. So habe 177 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945; KZ-Gedenkstätte Dachau, 179 KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv, 31. 187, Hans F. Mayer, Archiv, 31. 187, Hans F. Mayer, Die letzten Tage im KZ, Die letzten Tage im KZ, undatiert: Jones 1989, S. 326. undatiert: Jones 1989, S. 326. Zum KZ Sachsenhausen: 180 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Der Ober- Benz/Distel (Hg.), Bd. 3, 2006, S. 17–72. befehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral von 178 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. Friedeburg an Prof. Karl. Küpfmüller, Glücksburg 19. 5. 1945. 31 . . . nach 1945

Übersicht 3 Die Lebensläufe nach 1945 im Vergleich

Karl Küpfmüller Hans Piloty Hans Ferdinand Mayer

1945 kurzzeitige Internierung in 1947/48 US Signal Corps 1946–48 US Signal Corps England (War Department) 1948–50 Professor an der 1946/47 Kriegsgefangenen- bzw. 1948 Wiederaufbau seines Institutes Cornell University Kriegsverbrecherlager Dachau an der TH München 1950/51 Leitung Zentrallabor und 1947/48 Internierungslager Hammelburg 1948–51 Rektor der TH München Zentrale Entwicklung, Siemens, München 1946–48 Berater bei Rohde & Schwarz 1962 Emeritierung 1958–62 Vorstandsmitglied von 1948–52 Entwicklungsleiter und Gestorben am 12. August 1969 Siemens Vorstand bei SEL, Stuttgart in Kreuth Gestorben am 16. Oktober 1980 1951–52 Honorarprofessor an der in München TH Stuttgart

1952–63 o. Professor an der TH Darmstadt

Gestorben am 26. Dezember 1977 in Darmstadt

einer der Internierten bei einem Einsatz außerhalb Datum war Küpfmüller nachweislich an einem neuen des Lagers versucht, Streichhölzer zu kaufen, sei aber Aufenthaltsort in Wolfenbüttel, wo er seine Familie als Deutscher erkannt und aus dem Laden geworfen wieder traf, die sich aus Berlin dorthin abgesetzt hat- worden.181 Auch Ernst von Siemens nahm am 8. 8. 1945 te.183 in einem Brief auf einen Aufenthalt Küpfmüllers in Es war nach Kriegsende durchaus üblich, dass die Al- London Bezug.182 Wahrscheinlich irrte sich Küpfmüller liierten deutsche Wissenschaftler und Unternehmer im Datum. Der Aufenthalt dürfte zwischen dem 8. 5. festnahmen, ausflogen, zu ihren Kriegsentwicklungen und 17. 7. 1945 stattgefunden haben, denn zu letzterem befragten und einen möglichen beruflichen Einsatz in ihrem Land prüften. So wurde der Flugzeugkonstruk- teur Claude Dornier im Juni 1945 von der Französi- 181 Friedrich Wilhelm Hagemeyer, Tonbandinterview mit schen Militärregierung festgenommen, zusammen mit Karl Küpfmüller, Ende der 1970er Jahre. Internet-Doku- ment: http://www.weisses-rauschen.de/page4/page4.html (Zugriff 20. 12. 2011). 182 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Ernst von Siemens an 183 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller an Ernst Küpfmüller, Berlin 8. 8. 1945. von Siemens, Wolfenbüttel 17. 7. 1945. 32 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

leitenden Mitarbeitern seiner Firma nach Paris geflo- gefangenenlager Dachau interniert, von wo ein Brief an gen und einen Monat lang verhört.184 seine Ehefrau erhalten ist.191 Die Briten erwogen in der Tat eine Anstellung Küpf- Hintergrund seiner Festnahme war, dass «War Crime müllers. Am 26. 9. 1945 schrieb dieser an Ernst von Sie- Suspects» gemäß der am 26. 4. 1945 verabschiedeten Di- mens, die britische Marine habe ihm mitgeteilt, dass er rektive JCS 1067 der US Joint Chiefs of Staff festzuneh- für einen kürzeren Zeitraum in London eingesetzt wer- men waren. Darüber hinaus unterlagen mutmaßliche den solle.185 Doch kam es nicht dazu, möglicherweise «Security Threats» sowie die auf einer «Black List» ver- aufgrund seiner politischen Belastung. zeichneten Personen dem «Automatic Arrest». Insge- Küpfmüller versuchte in der zweiten Jahreshälfte samt wurden in der US-Zone bis Dezember 1945 an die 1945, von Wolfenbüttel in der britischen Zone nach 120 000 Personen entsprechend vorbereiteter Listen Windsbach bei Nürnberg in der US-Zone überzusie- festgenommen – SS-Offiziere, Funktionäre der NSDAP deln. Zum einen wohnten dort Verwandte seiner Frau, und ihrer Gliederungen, alle Angehörigen des Reichssi- wohin er bereits Teile seiner Habe verbracht hatte und cherheitshauptamtes und des SD sowie Inhaber hoher wo er eine neue Heimat für sich und seine Familie fin- Positionen in der Wirtschaft.192 Mit seinem hohen SS- den wollte.186 Zum anderen signalisierte ihm Ernst von Rang sowie seinen hohen Ämtern in Wirtschaft und Siemens, dass die Firma ihren Schwerpunkt nach Mün- Rüstungsforschung fiel Küpfmüller gleich unter meh- chen und Erlangen verlagern werde, und stellte ihm rere Kategorien für den «Automatic Arrest», was auch eine Tätigkeit als Berater in Aussicht.187 Eine Wieder- die offizielle Begründung für seine Verhaftung war. Als anstellung bei Siemens & Halske war aufgrund der «Security Threat» wurde er von den US-Amerikanern Mitgliedschaft Küpfmüllers in derSS gemäß Rechtslage nicht eingestuft.193 bis auf weiteres unmöglich. Bei Verstößen drohte die Im Internierungslager Dachau gab es den »Cage 1», sofortige Schließung der Firma.188 wo die aus politischen Gründen Arretierten saßen, so- Da die Übersiedlung in eine andere Besatzungszone wie eine «Prisoner of War Enclosure» für im Osten von genehmigungspflichtig war, verwandte sich Ernst von den US-Amerikanern gefangen genommene Soldaten. Siemens bei der Britischen Militärregierung für ihn.189 Gegen die Insassen beider Lager wurde vom Counter Am 26. 9. teilte ihm Küpfmüller aus Wolfenbüttel mit, ­Intelligence Corps (CIC) wegen Verdachts auf Kriegsver- dass die Angelegenheit noch nicht entschieden sei.190 brechen ermittelt. Bestätigte sich dieser Verdacht, wur- Zwischen dem 26. 9. und dem 11. 11. 1945 muss er sich den sie in die «War Crimes Enclosure» in Dachau dann auf den Weg in die US-Zone gemacht haben, denn überstellt, die einzige Haftanstalt für mutmaßliche zum letzteren Datum war er nachweislich im US-Kriegs- Kriegsverbrecher in der US-Zone. Dort wurden auch Kriegsverbrecherprozesse durchgeführt. Wenn sich der Verdacht auf Kriegsverbrechen nicht bestätigte und 184 Dornier Museum Friedrichshafen. Das Museum zum kein Sicherheitsrisiko für die US-Militärregierung mehr Mitnehmen, Friedrichshafen 2010, S. 66. bestand, wurden Insassen mit geringerer politischer 185 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller an Ernst von Siemens, Wolfenbüttel 26. 9. 1945. Belastung entlassen und der Entnazifizierung durch 186 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller an Ernst deutsche Spruchkammern übergeben. Der Rest kam ab von Siemens, Wolfenbüttel 17. 7. 1945. Mai 1946 in das «Camp 29», wo Zivilinternierte mit stär- 187 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Ernst von Siemens an Küpfmüller, Berlin 8. 8. 1945. kerer politischer Belastung auf die Entnazifizierung 188 Siemens-Forum, Archiv, Nachlass Dr. Mayer, III 4, Ver- durch eine einzurichtende Lagerspruchkammer warte- trauensrat Siemens & Halske, Werner-Werke, Der Ver- ten.194 Diese wurde aus politisch «einwandfreien» deut- trauensmann des Verwaltungs-Gebäude, Bürgermeisterei Siemensstadt, Wegleitung, Berlin-Siemensstadt, 11. 6. 1945. schen Laien gebildet, die in der Regel keine Juristen Das in der US-Besatzungszone erlassene Gesetz der US- ­waren. Überprüft wurden die Urteile durch den Kassati- Militärregierung Nr. 8 vom 26. 9. 1945 war noch restrikti- onshof und durch die US-Militärregierung.195 ver: Ausgeschlossen von einer Arbeitsaufnahme, die über «gewöhnliche» Tätigkeiten hinausging, waren selbst ein- fache Angehörige der NSDAP. Es gab freilich in bestim- mten Fällen die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung durch die US-Militärregierung (Siemens-Forum, Archiv, 191 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Karl Küpf- Nachlass Dr. Mayer, III 4, MILITÄR-REGIERUNG DEUTSCH- müller an Eva Küpfmüller, Internierungslager Dachau, LAND. Amerikanische Zone. Erste Ausführungsverordnung 11. 11. 1945. zu Gesetz Nr. 8 [vom 26. 9. 1945]. 192 Horn 1992, S. 17–24. 189 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Ernst von Siemens an 193 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Militärregierung, Berlin 23. 8. 1945. Auskunft des CIC, Samuel M. Asaf CIC Officer. 190 Siemens-Forum, Archiv, 13 / Lt 714, Küpfmüller an Ernst 194 Hammermann 2003, S. 50–52. von Siemens, Wolfenbüttel 26. 9. 1945. 195 Horn 1992, S. 125f. 33 . . . nach 1945

Küpfmüller wurde nicht, wie anzunehmen, in den Im Lager Hammelburg, möglicherweise auch schon «Cage 1», sondern in das «Prisoner of War Enclosure No. in Dachau, wurde Küpfmüller gestattet, beratend für 29/1» eingewiesen.196 Normalerweise werden nur Mili- die Firma Rohde & Schwarz tätig zu sein.202 In manchen tärs als Kriegsgefangene betrachtet, doch in bestimm- Lebensläufen wird sogar ausgeführt, dass er die techni- ten Fällen können auch Nichtmilitärs, die in eine mili- sche Entwicklungsleitung bei diesem Unternehmen in- tärische Hierarchie eingebunden sind, diesen Status nehatte.203 Dies war ungewöhnlich, denn selbst nicht erhalten. Wahrscheinlich wurde Küpfmüller aufgrund arretierte Mitglieder von NS-Organisationen hatten bis seines Amtes als Leiter des Wissenschaftlichen Füh- zum Abschluss ihrer Entnazifizierung grundsätzlich rungsstabes beim Oberkommando der Kriegsmarine ­Arbeitsverbot, soweit es sich nicht um einfache Hand- zunächst als Kriegsgefangener eingestuft. Damit dürfte arbeit handelte. Internierungshäftlinge durften mit er von besseren Aufenthaltsbedingungen profitiert ha- ­Zustimmung der Besatzungsmacht auf freiwilliger ben, denn im Unterschied zu Zivilinternierten konnte ­Basis in sog. Innen- oder Außenkommandos arbeiten er die völkerrechtlich garantierten Rechte eines Kriegs- und erhielten hierfür eine minimale Entschädigung gefangenen gemäß dem zweiten Genfer «Abkommen von höchstens 0,50 RM pro Tag.204 Auch kam es vor, über die Behandlung von Kriegsgefangenen» aus dem dass die US-Militärregierung Internierungshäftlinge Jahr 1929 beanspruchen. für eigene Zwecke heranzog. So beriet der in München- Zunächst hatte Küpfmüller auf «wenige Wochen»197 Stadelheim arretierte Vorkriegsrektor der TH München, bis zur Klärung seines Falles gehofft, doch sollte er der Bauingenieurprofessor Lutz Pistor, die US-Militär- mehr als zwei Jahre in Unfreiheit verbringen. Zu einem regierung beim Wiederaufbau von Strafanstalten in nicht bekannten Zeitpunkt wurde er in die Dachauer Bayern.205 Eine freie Mitarbeit bei einem externen Un- Haftanstalt «War Crimes Enclosure» überstellt, wo er ternehmen dürfte hingegen eine seltene Ausnahme ge- mit Datum vom 16. Oktober 1946 verzeichnet ist. Nun wesen sein. galt er als Zivilist, nicht mehr als Kriegsgefangener.198 Sicherlich war dieses Privileg dem Einfluss des ehe- Wahrscheinlich hatte das CIC seinen hohen SS-Rang maligen Dachauer KZ-Häftlings Dr. Lothar Rohde bei entdeckt und verdächtigte ihn deshalb der Beteiligung der US-Militärregierung zu verdanken. Er war auch an Kriegsverbrechen. Nachdem sich dieser Verdacht an- ­Vorsitzender der Bayerischen Landesvereinigung der scheinend nicht bestätigte, wurde er am 19. Dezember elektrotechnischen Industrie. Seine Münchener Firma 1946 als Zivilinternierter nach Hammelburg über- Rohde & Schwarz erhielt bereits im Juli 1945 einen stellt.199 Das dortige «Civil Internment Camp Hammel- Großauftrag zur Wartung, Kalibrierung und Reparatur burg No 9» war bereits im Herbst 1946 von der US-Mili- aller elektronischen Geräte der US Air Force aus deren tärregierung in deutsche Hände übergeben worden ­Zentrallager in Erding.206 Außerdem ließ die US Air (wie dann auch Dachau schrittweise ab August 1947).200 Force bei der Stockdorfer Quarzkeramik GmbH, einer Als SS-Mitglied konnte Küpfmüller nicht, wie viele in- Tochterfirma von Rohde & Schwarz, ihren gesamten ternierte NSDAP- oder SA-Angehörige, bereits zum Jah- Quarzbestand für neue Funkkanäle schleifen.207 Küpf- reswechsel 1946/47 entlassen werden, sondern musste müllers Arbeitseinsatz konnte damit als militärwichtig im Internierungslager auf die Entnazifizierung durch deklariert werden. Die Tätigkeit für Rohde & Schwarz eine Lagerspruchkammer warten, da die SS im Nürn- dürfte sich positiv auf Küpfmüllers Aufenthaltsbe­ berger Urteil gegen die Hauptkriegsverbrecher vom dingungen im Lager bzw. in der Haftanstalt ausgewirkt 30. 9./1. 10. 1946 als «verbrecherische Organisation» haben. Ob seine Familie den Arbeitslohn ausbezahlt eingestuft worden war.201

202 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 196 Seine Adresse lautete: «Karl Küpfmüller, KGF Nr. Bayerische Landesvereinigung der elektrotechnischen 3166559858 VERS.REGT, STAT 2. PW MAIL APO US ARMY Industrie e.V. an Sonderministerium, Dr. Lothar Rohde, PWE – 29/1 CAMP DACHAU» (Privatarchiv Sakuth, Nachlass München 7. 3. 1947. Küpfmüller, Karl Küpfmüller an Eva Küpfmüller, Internier- 203 So in TUDA, TH 25/01, Nr. 405–4, Küpfmüller Karl; Ein be- ungslager Dachau, 11. 11. 1945). deutender Lehrer auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik 197 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Karl Küpfmüller wird 65 Jahre, 6. 10. 1962. an Eva Küpfmüller, Internierungslager Dachau, 11. 11. 1945. 204 Horn 1992, S. 213–217. 198 Auskunft Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung 205 StAM, Spk K 1327 Dr. Pistor Lutz. der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen 206 Rohde & Schwarz: 75 Years of Driving Innovation, die deutschen Wehrmacht, Berlin 6. 2. 2012. 40er Jahre. Internet-Dokument: http://www.rohde- 199 ebd. schwarz.de/de/ueber/das-unternehmen-im-ueberblick/75- 200 Hammermann 2003, S. 52. jahre-rohde-und-schwarz/?decade=1940 (Zugriff 5. 2. 2013). 201 Horn 1992, S. 114. 207 Beckh 2005, S. 420. 34 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

­erhielt oder ob er in die Staatskasse floss, wissen wir liche, schließlich eine beschleunigte Durchführung von nicht. Küpfmüllers Entnazifizierung an.213 Rohde und Küpfmüller kannten sich bereits aus der In seinem Spruchkammerverfahren forderte der An- Kriegszeit. 1943 hatte die Kriegsmarine mehrere Tau- kläger der Lagerspruchkammer Hammelburg eine Ein- send von Rohde & Schwarz entwickelte Funkmessemp- stufung als «Hauptschuldiger» in Gruppe I. Doch stufte fänger bestellt.208 Im November 1944 betrug das Volu- ihn die Lagerspruchkammer schließlich trotz seines men der hauptsächlich vom Oberkommando der hohen SS-Ranges nur als «Mitläufer» in Gruppe IV mit Kriegsmarine, daneben vom Oberkommando der Luft- 2000 Reichsmark Sühnebetrag ein (zum Verfahren aus- waffe erteilten Aufträge 20–30 Mio. RM.209 Die Firma führlich S. 77 ff.). Küpfmüller wurde am 16. Dezember stieg damit vom Kleinserien-Fertiger zum industriellen 1947 nach Windsbach bei Nürnberg entlassen, wo Frau Produzenten auf. In Kempten war 1943 ein neuer Pro- und Kind inzwischen bei den Verwandten Aufnahme duktionsstandort eröffnet und ein Jahr später nach gefunden hatten.214 Wesentlich für ihn eingesetzt hatte Memmingen verlagert worden.210 Rohde sagte 1947 aus, sich wieder Dr. Lothar Rohde. 1949 veröffentlichte Küpf- dass Küpfmüller ihm in der NS-Zeit Verständnis ent­ müller zusammen mit Rohde den Aufsatz «Dynamo- gegen gebracht habe, obwohl er von seiner «nichtari- meter für Tonfrequenz» im Archiv für Technisches schen» Abstammung gewusst habe.211 Messen.215 Zum Jahresanfang 1947 gelang es Küpfmüller auf Eine weitere wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeit nicht näher bekannte Weise, vom Ankläger der Spruch- ergab sich für Küpfmüller durch die Begegnung mit kammer Ansbach-Land eine Karte mit der Einstufung dem Krebsforscher Hermann Druckrey216, der wegen als «Nichtbetroffener» und dem Vermerk «Weihnachts- seiner Zugehörigkeit zur NSDAP und SA ebenfalls in- amnestie» zu ergattern, was zu seiner sofortigen Ent- haftiert war. Es kam im Lager Hammelburg zu einer in- lassung aus dem Lager und dem Verzicht auf ein Ent- tensiven Zusammenarbeit beider Gelehrten, aus der be- nazifizierungsverfahren geführt hätte.212 Die Karte deutende Publikationen hervorgegangen sind, die als wurde jedoch auf Anordnung des Bayerischen Staats- Meilensteine der Krebsforschung gelten und 1985 wie- ministeriums für Sonderaufgaben wieder eingezogen, deraufgelegt wurden.217 Druckrey schrieb am 3. 7. 1947 da diese Spruchkammer für die Erteilung einer solchen an den Nobelpreisträger Butenandt, der von 1933–35 Bestätigung gar nicht zuständig war. Auf Drängen Roh- Kollege von Küpfmüller in Danzig war, dass Küpfmüller des ordnete das Staatsministerium aber eine vordring- und er das Manuskript im Internierungslager lediglich «mit Papier, Bleistift und Rechenschieber» verfasst hät- ten. Butenandt teilte Küpfmüller am 4. Februar 1950

208 Rohde & Schwarz: 75 Years of Driving Innovation, die mit, dass er diese Arbeit für «einen der entscheidends- 40er Jahre. Internet-Dokument: http://www.rohde- ten Beiträge zum Krebsproblem» halte. Es zeigte sich schwarz.de/de/ueber/das-unternehmen-im-ueberblick/ hier das breite Interesse von Küpfmüller an biologi- 75-jahre-rohde-und-schwarz/?decade=1940 (Zugriff 5. 2. 2013). schen Fragestellungen, das sich später auch in seiner 209 Privatarchiv Rudolf F. Staritz, Besprechungsprotokoll RSHA Hinwendung zur Kybernetik vertiefte. Berlin und Stapoleitstelle München, Reichenau 27. 11. 1944 Möglicherweise gab es nach der Entlassung aus dem (nur als Kopie vorhanden). Internierungslager ein Stellenangebot von Siemens & 210 Rohde & Schwarz: 75 Years of Driving Innovation, die 40er Jahre. Internet-Dokument: http://www.rohde-schwarz.de/ de/ueber/das-unternehmen-im-ueberblick/75-jahre-rohde- und-schwarz/?decade=1940 (Zugriff 5. 2. 2013). Es handelte sich um den Funkmeß-Beobachtungsempfänger FuMB 4 213 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, «Samos» RS 1/5 UD4290 (90–470 MHz), den Rohde & Schwarz Bayerische Landesvereinigung der elektrotechhnischen nach dem Krieg leicht verändert unter der Bezeichnung Industrie e.V. an Sonderministerium, Dr. Lothar Rohde, «ESD» weiterbaute. Weitere Aufträge der Kriegsmarine um- München 7. 3. 1947; Bayerisches Staatsministeriumn fassten die Funkmeß-Beobachtungsempfänger FuMB 5 für Sonderaufgaben, Erich Schullze [sic!] an Lagerspruch- «Fanö» (400–800 MHz, mit Oberwellenmischung: 800– kammer Hammelburg, München 21. 5. 1947 1. 600 MHz) und FuMB 6 «Wangerooge» (158–250 MHz) 214 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Internierungs- (Deutsches Atlantikwall-Archiv, Funkmeßbeobachtungsan- und Arbeitslager Hammelburg, Lagerleitung, Werlein, lagen, Internet-Dokument http://www.deutschesatlantik- Bescheinigung, 16. 12. 1947. wallarchiv.de/radar/technik/fumb.htm [Zugriff 12. 3. 2013]). 215 Lothar Rohde, Karl Küpfmüller, A. Kraus: Dynamometer 211 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, für Tonfrequenz. In: Archiv für Technisches Messen (1949) Dr. Lothar Rohde, Bestätigung, München 10. 1. 1947. J741-11, DK621.317.712.,621.317.312. 212 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 216 N. Brock: On the 60th birthday of Professor Dr. Herman Bayerisches Staatsministerium für Sonderaufgaben, Erich Druckrey. In: Arzneimittel-Forschung 14 (1964) Juli, Schullze [sic!] an Lagerspruchkammer Hammelburg, S. 845–847. München 21. 5. 1947. 217 Wunderlich 2008, S. 327–343. 35 . . . nach 1945

Halske, das Küpfmüller nicht annahm.218 Auch kontak- tions- und Systemtheorie. Er diente der Forschung in tierte ihn damals der Elektrotechniker und Raketenpio- der DFG, im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost nier Kurt Heinrich Debus, den Küpfmüller – wie auch und im Bundesministerium für Forschung. Besonders Wernher von Braun – von seinen Arbeiten in Peene- am Herzen lag ihm die Kybernetik, der er sich seit 1956 münde gut kannte. Bei Kriegsende war Debus zusam- verstärkt zuwandte. Schließlich wurde er 1969 der Eh- men mit seinem Chef in die USA gegangen. Die US- renpräsident des von ihm mitbegründeten Instituts für Amerikaner sagten Küpfmüller schließlich aber ab.219 Kybernetik Berlin e.V./Gesellschaft für Kommunikati- Im Jahr 1948 trat Küpfmüller bei dem Siemens-Kon- onskybernetik (heute Deutsche Gesellschaft für Kyber- kurrenten Standard Elektrik (später Standard Elektrik netik). Weitere Ehrungen blieben in den letzten 30 Jah- Lorenz) ein und wurde Entwicklungsleiter und Vor- ren seines Lebens nicht aus und sind vergleichend in standsmitglied. Am 31. 5. 1951 übernahm er zusätzlich Übersicht 4 aufgeführt. Bemerkenswert dabei ist, dass eine Honorarprofessur an der Technischen Hochschule ihn 1959/60 auch österreichische und schwedische Or- Stuttgart und erneuerte so seine 23 Jahre vorher begon- ganisationen auszeichneten, während er im angelsäch- nene Tätigkeit als Hochschullehrer. In ihrem einstim- sischen Raum weitgehend unbeachtet blieb, was auch mig positiven Antrag vom 12. 2. 1951 an den Rektor der mit seiner knappen Publikationstätigkeit auf Englisch TH Stuttgart hatte die Fakultät für Maschinenwesen zusammenhängen mag. Küpfmüllers Zeit im Dritten Reich und im Internie- Dagegen zeichneten ihn deutsche Wissenschafts- rungslager unerwähnt gelassen. akademien durch ehrenvolle Mitgliedschaften aus, so Im Herbst des gleichen Jahres trat die Technische die Mainzer Akademie und (als korrespondierendes Hochschule Darmstadt an ihn heran und bot ihm die Mitglied) die Bayerische Akademie der Wissenschaften Leitung des Institutes für Allgemeine Fernmeldetech- (BAdW). Bei letzterer war am 5. 2. 1954 Piloty der Vor- nik als Nachfolger von Professor Hans Busch, dem schlagende222, unterstützt unter anderen von dem Phy- ­«Vater der Elektronenoptik», an. In dem Berufungsvor- siker Winfried Otto Schumann und dem Mathematiker schlag220 vom 26. 9. 1951 werden neben einem SEL- Robert Sauer. Als Randbemerkung sei aus dem Schrift- Mitarbeiter auch zwei ehemalige Untergebene von verkehr des Syndikus der BAdW mit Küpfmüller zitiert. Küpfmüller (Erwin Hölzler und Rudolf Tamm) in Erwä- Der Syndikus konnte nicht begreifen, dass Küpfmüller gung gezogen. Alle drei lehnten aber schon im Vorfeld keine ordentliche Promotion aufwies, sondern nur eine ab, denn Küpfmüller war trotz seines Alters von 53 Jah- Ehrenpromotion anführen konnte. Küpfmüller schrieb ren der überragende Kandidat. In dem Berufungsbe- schließlich nach mehrfachen Rückfragen «Ich teile Ih- richt wurden seine NSDAP- und SS-Mitgliedschaften nen, wie bereits am 18. 12. 56 geschehen, nochmals fol- zwar diskutiert, aber in ihrer Bedeutung relativiert. gendes mit. Ich habe nicht promoviert».223 Genauso wie in all den Jahren zuvor war Küpfmüller Küpfmüller konnte seinen 80. Geburtstag am 6. Ok- als Hochschullehrer, Wissenschaftler und Wissen- tober 1977 feiern, wurde am 22. November 1977 noch schaftsverwalter auch in seiner Darmstädter Zeit unge- mit der Heinrich-Merck-Ehrung der Stadt Darmstadt mein aktiv. Insgesamt hat er in seinem Leben fast 70 durch den Oberbürgermeister Heinz Winfried Sabais224 Dissertationen betreut, acht Bücher geschrieben und ausgezeichnet und starb dann überraschend am 26. De- über 90 Veröffentlichungen verfasst221. Von 1952 bis zember 1977 an Herz- und Nierenversagen.225 Zusam- 1957 war er Vorstandsmitglied und Vorsitzender des men mit seiner (am Grabstein nicht vermerkten) Ehe- VDE, 1954 Mitbegründer der Nachrichtentechnischen frau und seiner 1998 verstorbenen Stieftochter als Gesellschaft NTG und ihres Ausschusses für Informa- letzter Überlebender der Familie ruht er auf dem Darm- städter Waldfriedhof.

218 Winfried Oppelt: Ergänzung zum Nachruf auf Karl Küpfmüller, Darmstadt, 23. 1. 1981. In: Sckommodau 1980, Einlegeblatt. 219 Friedrich Wilhelm Hagemeyer, Tonbandinterview mit Karl Küpfmüller, Ende der 1970er Jahre. Internet-Doku- 222 Bayerische Akademie der Wissenschaften, Archiv, Personal- ment: http://www.weisses-rauschen.de/page4/page4.html akt Karl Küpfmüller. (Zugriff 20. 12. 2011). 223 Bayerische Akademie der Wissenschaften, Archiv, Personal- 220 TUDA, TH 25/01, Nr. 405–4 Küpfmüller Karl; Berufungs- akt Karl Küpfmüller, Küpfmüller an Regierungsinspektor vorschlag für die Nachfolge des ordentlichen Professors Preuß, 12. 10. 1959. der Elektrotechnik Dr. Dr.-Ing. E.h. Hans Busch, 26. 9. 1951. 224 Küpfmüller hatte noch einen Beitrag in einem Buch von Gundlach, Lebrecht, Vieweg, Scheubel [nicht unter- Sabais über Darmstadt «Lob der Provinz» (Darmstadt 1967) zeichnet]. geliefert. 221 Fachbereich Elektrotechnik der TU Darmstadt 1997. 225 Persönliche Mitteilung Gertrud Bickelhaupt, 28. 1. 2012. 36 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

Hans Piloty fand Ende des Krieges die Technische Sauer die «Kommission für elektronisches Rechnen» Hochschule München zu etwa 75 Prozent zerstört vor. (heute «Kommission für Informatik») in der Bayeri- Nach Wiederaufnahme des Vorlesungsbetriebes im schen Akademie der Wissenschaften, auf die das Leibniz- Wintersemester 1946/47 wurde dem Antrag Pilotys auf Rechenzentrum zurückgeht. Piloty war 1954 Mitbegrün- Rückverlagerung des Institutes von Oberaudorf stattge- der der Nachrichtentechnischen Gesellschaft im VDE, geben, und man bezog als Notquartier ein ehemaliges deren Vorsitzender er von 1956–1960 wurde, und rückte Wohnhaus in der Gabelsbergerstraße. Im Rahmen der auch in den Vorstand des VDE auf. Eng blieb er auch US-Aktion «Paperclip» arbeitete Piloty 1947 für wenige mit seiner alten Firma AEG/Telefunken verbunden, die Monate in Fort Monmouth, New Jersey, kehrte aber zeitweise eine Art Entwicklungslabor für Filterschaltun- rasch zurück, um am Wiederaufbau seines Institutes gen unter dem Assistenten Rudolf Saal am Lehrstuhl und der Hochschule mitzuwirken. Da er politisch unbe- unterhielt. lastet war, wurde er von 1948–51 mit dem Amt des Rek- Piloty war auch ein Pionier interdisziplinärer Zu- tors betraut. In seiner Rektoratsrede vom 3. Dezember sammenarbeit: In den 1950er Jahren arbeitete er mit 1948 beklagte Piloty den Mißbrauch von Technik am dem Neurophysiologen Dr. Albrecht Struppler (später Beispiel der «Erfinder von neuen Vernichtungswaffen Ordinarius der TU München) von der II. Medizinischen oder von Gaskammern». Dies könne nur dadurch ver- Klinik der Universität München zusammen. Die Ko- hindert werden, daß «durch Erziehung zu bewirkender operation erstreckte sich auf Elektronische Meßver- geistiger und moralischer Fortschritt» den technischen stärker. 225b Fortschritt ergänzt.225a In der schwierigen Wiederauf- In den letzten Berufsjahren beschäftigte sich ­Piloty bauphase erwarb er das sog. Nordgelände an der There- auch verstärkt mit der Informationstheorie. Dabei hatte sienstraße. Dort sollten Hörsaalgebäude und auch der er nicht zuletzt über die Ausschüsse der Nachrichten- Neubau seines Institutes für Nachrichtentechnik ent- technischen Gesellschaft (NTG) engen Kontakt mit stehen, der schließlich 1955 bezogen wurde und in dem Küpfmüller, den er hoch schätzte. Deshalb schlug er auch der Lehrstuhl seines alten Vertrauten Professor Küpfmüller auch als korrespondierendes Mitglied Winfried Otto Schumann untergebracht wurde. Maß- der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der geblich wirkte er an der Ausarbeitung einer neuen, zeit- Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor. An der gemäßen Hochschulsatzung mit. TH München verdoppelte sich die Studentenzahl der Piloty hielt Vorlesungen über «Drahtnachrichten- Elektrotechnik in den Jahren 1950–60. Piloty übergab technik» und sein altes Gebiet «Lineare Schaltungen». ­seinen Lehrstuhl an seinen Nachfolger Hans Marko Als sein Sohn Robert Piloty von einem Forschungsauf- und konnte 1964 seinen 70. Geburtstag feiern. enthalt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Hans Piloty starb am 12. 8. 1969 in Wildbad Kreuth zurückkehrte, initiierten beide ab 1949 an der TH Mün- und wurde auf dem Nordfriedhof München beigesetzt. chen die PERM (Programmgesteuerte Elektronische Re- Sein Sohn Robert ging 1964 als Professor der Elektro- chenmaschine München). Das außerordentlich erfolgrei- technik an die Technische Hochschule Darmstadt 226. che PERM-Projekt lief unter der Gesamtleitung von Als Vorsitzender einer Kommission war er maßgeblich Hans Piloty und dem Mathematik-Ordinarius ­Robert an der Einführung und Gestaltung des Informatikstudi- Sauer. Die PERM wurde lange Jahre im Rechenzentrum ums in ganz Deutschland beteiligt. Somit blieb der der TH München und bei der Ausbildung von Entwick- Name Piloty eng mit der Informatik in Deutschland lungsingenieuren für die deutsche Computerindustrie verbunden. benutzt. Piloty besorgte für die PERM die Mittel bei der DFG. 1947 wurde Piloty endgültig als ordentliches Mit- Hans Ferdinand Mayer kam mit seinem KZ-Entlas- glied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften sungsschein, der durch einen auf Russisch geschriebe- aufgenommen, was ihm 1940 die NSDAP verweigert hatte. nen Passierschein ergänzt wurde, nach Berlin, zunächst Wieder schlug ihn Sommerfeld vor, mit genau der glei- zu seinem alten Kollegen Fritz Döring, mit dem er 1938 chen Begründung wie 1940, u. a. mit den Worten «ein Herr im tieferen Sinne des Wortes». Sommerfeld ließ 225b Technische Universität München, Presseinformation, bei diesem zweiten Anlauf lediglich die Verdienste um Albrecht Struppler 70 Jahre, 24. 2. 1989. die Rüstungsforschung weg. ­Piloty diente der Akademie 226 In einem Gespräch mit den Verfassern im Jahre 2010 mehrere Jahre als Klassensekretär. 1962 gründete er mit konnte der 86jährige Robert Piloty († 21. 1. 2013) noch manche Einzelheiten zum Leben seines Vaters beitragen, wusste aber beispielsweise auch nichts über die NS-Vergangenheit seines Darmstädter Kollegen Karl 225a Piloty 1949, S. 5 f. Küpfmüller. 37 . . . nach 1945 die Bell-Laboratorien besucht hatte. Seine Wohnung monatigen Vertrag im Rahmen des Projektes «Over- war zwar intakt, aber von der sowjetischen Besatzungs- cast» in die USA zu gehen.232 Auch für diese Reise be- macht requiriert, und seine Familie war nach seiner sorgte er sich einen entsprechenden Ausweis und eine KZ-Inhaftierung nach Baden-Baden geflüchtet. Bei Anstecknadel, die ihn als ehemaligen KZ-Häftling aus- Siemens sollte er mit 300 anderen Fachleuten im Mai wiesen, da die Amerikaner annähmen, dass «alle Deut- und Juni für die Besatzungsmacht technische Doku- schen Faschisten»233 seien. mente und Patente aufarbeiten, sabotierte diese Arbeit Nicht nur die US-Amerikaner, sondern auch die Sow- aber weitgehend. Einige seiner einstigen Vorgesetzten jets hatten ihm Avancen gemacht. Er genoss besonde- hatten Suizid verübt, so Lüschen bei Kriegsende in res Vertrauen eines sowjetischen Obersten, der ihn zum Berlin und von Buol nach seiner Verschleppung in Leiter seines technischen Stabes in Berlin-Siemensstadt Russland. Mit Schreiben vom 15. 9. 1945 stellte ihm der eingesetzt hatte. Ein Angebot auf eine Tätigkeit im Mi- stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Ernst von Sie- nisterium in Moskau lehnte er jedoch mit der Begrün- mens in Absprache mit dem stellvertretenden Vor- dung ab, im Interesse der Arbeiter und Angestellten standsvorsitzenden Wolf-Dietrich von Witzleben die beim Wiederaufbau von Siemens & Halske aktiv tätig Berufung in den Vorstand in Aussicht.227 Auch war er sein zu wollen.234 für den Lehrstuhl für Fernsprech- und Telegraphen- Mayer kam am 8. April in den USA an; seine Familie technik an der TH Berlin in Nachfolge des bei einem musste zunächst in Deutschland bleiben, war aber Bombenangriff in Nürnberg ums Leben gekommenen durch den US-Vertrag und die Siemens-Unterstützung Professors Wilhelm Stäblein im Gespräch.228 Der Wech- versorgt. Die deutschen Wissenschaftler und Ingeni- sel in die Hochschullaufbahn zerschlug sich jedoch aus eure, von denen fast die Hälfte – wie auch Werner von unbekannten Gründen. Braun – NSDAP- oder sogar SS-Mitglieder waren, waren Mayer trat in die Fußstapfen seines internierten Vor- in der Wright-Patterson Air Force Base in Dayton, Ohio, gesetzten Küpfmüller und übernahm zum 15. 12. 1945 und hatten zunächst nicht viel zu tun. Mayer hoffte auf die Leitung der Zentralen Entwicklung (nunmehr als eine Anstellung außerhalb des militärischen Bereichs, ZEL bezeichnet).229 Die Ernennung zum Vorstandsmit- zumal alle deutschen Wissenschaftler einer rigiden mi- glied konnte nicht vollzogen werden, da der Aufsichts- litärischen Kontrolle unterlagen. Ohne einen US-ameri- rat nachkriegsbedingt noch nicht zusammentreten kanischen Begleiter durfte er den Luftwaffenstützpunkt konnte.230 Mayer hielt Kontakt zu anderen NS-Opfern nicht verlassen.235 und bemühte sich, an seine Dienststelle geflossene und Überraschend erhielt Mayer als große Ausnahme nun von den Besatzungsbehörden gesperrte Gelder des schon um die Jahreswende 1946/47 die Erlaubnis zu ei- Rüstungsministeriums Speer dem Hauptausschuss nem Heimataufenthalt in Deutschland. Auf dem Weg «Opfer des Faschismus» zukommen zu lassen.231 nach Europa hielt er sich vier Tage in den Bell-Laborato- Anfang 1946 konnte Mayer seine in Baden-Baden ries in New Jersey auf und erneuerte alte Verbindungen weilende Familie mit nach Berlin nehmen, wo er nach von seinem Besuch im Jahre 1938. Er traf dabei auch Siemensstadt zog. Erleichtert wurden Mayer die schwie- Claude E. Shannon, der in dieser Zeit an seiner bahnbre- rigen Reisen im zerstörten und durch die vier Alliierten chenden «A Mathematical Theory of Communications» besetzten Deutschland durch Ausweise, die ihn als arbeitete, die dann im Herbst 1948 erscheinen sollte. ­«Opfer des Faschismus» auswiesen. Am 29. 1. 1946 teilte Charles R. Burrows, ein alter Bekannter aus der Zeit von er aber von Witzleben mit, dass er das Angebot des 1938, eröffnete Mayer die Möglichkeit einer Professur U.S. Headquarters annehmen wolle, mit einem zwölf-

232 Privatarchiv Peter Mayer, Mayer an v. Witzleben, 227 Privatarchiv Peter Mayer, Ernst v. Siemens, stellv. Vorsit- Siemensstadt 29. 1. 1946. zender des Aufsichtsrates, an Mayer, Berlin-Siemensstadt 233 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Sozialamt Spandau, Opfer 15. 9. 1945. des Faschismus, Betr.: Roter Ausweis Dr. Hans Mayer, 228 Privatarchiv Peter Noll, Dr. Herbert P. Raabe, Potomac, Siemensstadt, Heidewinkel 30c, Berlin 7. 2. 1946. MD: Erinnerungen an meine Studien-, Forschungs- 234 Gemäß Aussage des S&H-Vertrauensrates (LBe, C Rep. und Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule 118–01, Nr. 2202, S&H, Wernerwerk, Vertrauensrat, Berlin, n.d. Stohmann (?), an Magistrat der Stadt Berlin, Hauptamt 229 Siemens-Forum München, Archiv, 68 / Li 186, v. Witzleben, für Sozialwesen, Hauptausschuss «Opfer des Faschismus», D-Rundschrieben Nr. 4/45, Berlin-Siemensstadt, 15. 12. 1945. Berlin-Siemensstadt 23. 11. 1945). 230 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 3. 5. 2013. 235 Privatarchiv Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, LOC, 231 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Hans F. Mayer, Siemens & FBI documents, Federal Bureau of Investigation, File Halske, an Hauptausschuss Opfer des Faschismus, No. 39–143, Title Hans Ferdinand Mayer, Cincinnati Siemensstadt 23. 10. 1945. 4. 1. 1949. 38 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

an der Cornell University, Ithaka, NY. Nach seiner Rück- Ende Januar 1949 auch erfolgte. Sie hatten vor, in den kehr nach Dayton erhielt Mayer von Cornell das Ange- USA zu bleiben, und Mayer beantragte sogar die US- bot für einen Dreijahresvertrag, jedoch zunächst ohne Staatsbürgerschaft. Er erweiterte seine Forschungen garantierte «tenure» (Dauerstellung). An der Cornell auf die Radio­astronomie, dabei besonders auf die Universität löste das Angebot an einen deutschen Wis- Sonne als Radioquelle. Sein Einkommen in Cornell war senschaftler eine kontroverse Debatte aus und verzö- nicht schlecht, und er erhielt schließlich im April 1950 gerte die Berufung, so dass Mayer im Jahre 1947 noch- eine Dauerstellung. Jedoch waren seine Pensionserwar- mals für drei Monate auf Urlaub in Deutschland war, tungen gering, und er konnte kaum etwas für seinen auch um seine Frau zu überzeugen, mit nach Cornell Ruhestand zur Seite legen, so dass er gerne, wie bei den zu kommen. Bei diesem Aufenthalt in Berlin schrieb meisten Professoren seines Faches üblich, Beschäfti- er am 24. 9. 1947 auch eine entlastende Erklärung für gungen während der Sommerferien annahm, etwa bei Küpfmüller, der noch im Internierungslager in Ham- General Electric, denn sein alter Vertrag mit Siemens melburg saß und auf den Ausgang seines Entnazifi- war jetzt auch formal abgelaufen. zierungsverfahrens wartete. Der im Siemens-Führungs- Dokumente aus der Library of Congress in Washing- kreis herrschende Korpsgeist mag dazu beigetragen ton D.C. belegen, dass Mayer während seines USA-Auf- haben. enthaltes und auch noch danach in Deutschland von Anfang des Jahres 1948 begann Professor Mayer US-Geheimdiensten überwacht wurde. Ein Agent er- seine Arbeit in Cornell und entwickelte eine Vorlesung achtete ihn wegen seines selbstbewussten, kritischen in «Radar and Radar Signal Processing», die auch die Auftretens gegenüber seinem US-amerikanischen Ar- ­Astronomen und die sich entwickelnde Radioastrono- beitgeber als potenzielles Risiko für die nationalen mie interessierte. Den Sommer 1948 verbrachte er Sicherheitsinteressen. Ein anderer Agent wertete ge- als «Visiting Faculty» bei den Bell Labs in New Jersey. rade dieses Verhalten als entlastend: «He pointed out In diesem Goldenen Zeitalter der Nachrichtentechnik that MAYER was an indiscreet person who said what he erschienen nicht nur Aufsätze über Shannons theoreti- thought on every occasion. This trait so dominated sche Informationstheorie, sondern auch über die Puls- MAYER’S personality that, according to Captain WEN- Code-Modulation. Diese Grundlage des aufkommenden ZEL, MAYER would tell all his friends before doing any digitalen Zeitalters wurde beeindruckend dargestellt in action that would be detrimental to the United States. dem Aufsatz von Bernard M. Oliver, John R. Pierce und This trait had caused MAYER to speak unfavorably Claude E. Shannon »The Philosophy of PCM», der im of the German war effort and caused him to be placed November 1948 in den Proceedings of the IRE erschien. in a concentration camp.»237 Mayer hatte wohl im Sommer 1948 diese Arbeit schon Im September 1949 erhielt Mayer ein Angebot von gekannt und sich sicherlich an die entsprechenden Hermann von Siemens, wieder als Entwicklungs- und Vorarbeiten von Küpfmüller und Herbert F. Raabe in Forschungsleiter bei seiner alten Firma einzutreten, Berlin erinnert. Er schrieb später im Jahre 1954 das erste die jetzt nach Erlangen und München umgesiedelt deutsche Buch über diese Technik: «Prinzipien der war. Im Juni 1950 kündigte er bei der Cornell University Puls-Code-Modulation», das auf seinen in Cornell ab- und reiste am 25. Juli 1950, fast 55-jährig, zurück nach gehaltenen, zunächst handschriftlich niedergelegten Deutschland, um eine neue herausfordernde berufliche und auf Englisch an der Cornell University publizier- Aufgabe anzugehen, den Wiederaufbau der nachrich- ten Vorlesungen beruhte. Zu den von Mayer studierten tentechnischen Forschung bei Siemens. Unter seiner und der Familie bekannten Büchern gehörten auch Leitung wurde das große Gebäude des Zentrallabors an ein Lehrbuch von Küpfmüller und Norbert Wieners der Hofmannstraße gebaut und 1955 eingeweiht. Wie «Cybernetics». Mit dem berühmten Norbert Wiener geplant, rückte er am 5. November 1953 als stellvertre- stand H. F. Mayer auch nach seiner späteren Rück- tendes Mitglied in den Konzernvorstand auf und bezog kehr nach Deutschland im Briefwechsel.236. Endlich er- ein Büro in der Konzernzentrale am Wittelsbacher reichte Mayer, inzwischen 53 Jahre alt, die Erlaubnis der Platz in München. Er kümmerte sich um viele Details, amerikanischen Behörden für die Übersiedlung sei- produzierte von 1950–62 vierzehn Patente, und man- ner Frau mit einem Teil der Familie nach Ithaka, was

237 Privatarchiv Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, LOC, 236 MIT-Archives, Norbert Wiener Papers, MC 0022, box 23, Department of Defense, Joint Intelligence Objectives folder 324 http://libraries.mit.edu/archives/research/ Agency, Subject «Project 63» Contracting List, an Director, collections/collections-mc/mc22.html, darunter folder 324: Intelligence Division, Hq. USA REUR, Washington D.C. Mayer, Hans F. 15. 8. 1952 (nur als Kopie vorhanden). 39 . . . nach 1945

Übersicht 4 Ehrungen nach 1945

Karl Küpfmüller Hans Piloty Hans Ferdinand Mayer

1953 Philipp-Reis-Plakette 1947 Ord. Mitglied der Bayerischen 1955 Ehrenmedaille der Stadt Akademie der Wissenschaften Pforzheim 1954 Ord. Mitglied der Mainzer BAdW Akademie der Wissenschaften 1956 Dr.-Ing. E.h. der Technischen 1958 Bayer. Verdienstorden (Bild) Hochschule Stuttgart 1954 Korresp. Mitglied der BAdW (auf Vorschlag Piloty) 1961 Dr.-Ing. E.h. der TH Stuttgart 1957 Ehrenmedaille der Universität Heidelberg 1959 Goldene Cedergren-Medaille 1964 Ehrenring des VDE des Schwedischen Reichsamtes 1961 Philipp-Reis-Plakette 1966 Goldmedaille des Bayer. (Bild) Rundfunks 1961 Gauß-Weber-Medaille (Bild) 1962 Ehrenring des VDE 1968 Goldener Ehrenring des 1961 Ehrenmedaille der MPG 1963 Kulturpreis der Stadt Nürnberg Deutschen Museums 1968 Ehrenring des VDE 1964 VDE-Ehrenmitgliedschaft

1968 Verleihung des Werner von Siemens-Rings

1976 DIN-Ehrennadel

1976 Dr.-Ing. E.h. Uni Erlangen

cher junge Wissenschaftler wurde zu Professor Mayer als Leiter des Zentrallaboratoriums und Vorstandsmit- zitiert und über seine Arbeit befragt.238 1958 rückte er glied, sagte bei Mayers Verabschiedung, dass Siemens auch planmäßig als ordentliches Mitglied in den Vor- ihm wegen der zweijährigen KZ-Haft diese Verlänge- stand auf und ging dann hochgeehrt im Oktober 1962 rung gewährt habe. in den Ruhestand. Das waren zwei Jahre nach dem Während seiner Zeit als Entwicklungschef bei Sie- bei Siemens üblichen Ruhestandsalter, aber Dr. Erwin mens hatte sich Mayer auch in Verbänden engagiert. Hölzler, sein langjähriger Mitarbeiter und Nachfolger Bei Sitzungen der «Nachrichtentechnischen Gesell- schaft NTG» und im VDE war er gelegentlich mit Küpf- müller zusammengetroffen. Beide, wie auch Piloty, 238 Prof. Georg Unger, Braunschweig berichtete 2010 dem erhielten die höchste Auszeichnung des VDE, den Eh- Verfasser, dass er als ganz junger Ingenieur bei Siemens renring dieses Verbands. Diese Ehrung und viele andere 1951–55 beschäftigt war und einmal zu Prof. Mayer ins Vorstandsgebäude zitiert wurde, der eine von Unger sind in Übersicht 4 aufgeführt. Staatliche Auszeichnun- eingereichte Veröffentlichung kritisch gelesen hatte. gen im Unterschied zu wissenschaftlichen nahm Mayer 40 2. Lebensläufe und Karrieren im Vergleich

grundsätzlich nicht an, da er der Ansicht war, dass er wie seine norwegischen Passstempel vom Oktober/No- keine Orden annehmen werde, solange er selbst keine vember 1939 und unterzeichnete fortan jeden seiner verleihen könne.239 Briefe an Jones mit «The Oslo Person».242 Mayer ging in seiner Arbeit auf und arbeitete auch Mayer nahm ihm allerdings das Versprechen ab, in seiner Freizeit emsig an seinen Forschungen. An- die Urheberschaft erst nach seinem Tod zu enthüllen. schaulich erinnert sich sein Sohn Peter: Als dieser Fall eintrat, bat Mayers Ehefrau Betty, noch «Später, in München, kenne ich ihn nur so, dass er bis zu ihrem Tod zu warten. Erst danach enthüllte Jones sofort ins Arbeitszimmer stürmte, wenn er abends nach 1989 in seinem Buch «Reflections on Intelligence»243 Hause kam, der Chauffeur mit zwei Aktentaschen hin- das Geheimnis – in seinem 1978 veröffentlichten Stan- terher. Er kam nur zum Abendessen heraus und war dardwerk «Most Secret War: British Scientific Intelli- auch dann in der Regel so geistesabwesend, dass meine gence 1939–1945» hatte er den Namen Mayer noch nicht Mutter ihn nicht nur einmal fragte: ‹Hänschen, weißt erwähnt. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr von Mayers Du überhaupt, was Du gegessen hast?›»240 Taten durch einen Artikel von Thilo Bode in der Süd- Neben seiner Tätigkeit bei Siemens übernahm deutschen Zeitung in der Wochenendausgabe vom Mayer zahlreiche weitere Funktionen: Er war Mitglied 16./17. 12. 1989244, der aber ohne größere Resonanz blieb. im Aufsichtsrat der Siemens Reiniger Werke in Erlan- Ungeachtet ihres unterschiedlichen Verhaltens im gen, im Aufsichtsrat der Siemens-Tochter Deutsche Dritten Reich konnten alle drei Wissenschaftler ihre Grammophon Gesellschaft mbH, im Aufsichtsrat des Karrieren in der Nachkriegszeit fortsetzen und wurden Deutschen Flugfunk Forschungsinstituts Oberpfaffen- hoch geehrt. Wie die Übersicht 4 auf Seite 39 zeigt, er- hofen und im Verwaltungsrat des Deutschen Muse- hielten sie in dieser Zeit parallel Auszeichnungen und ums.241 Im Ruhestand wohnte das Ehepaar Mayer für Preise. einige Zeit in Baden-Baden, kehrte aber Anfang 1964 nach München zurück. In den ersten Jahren seines ­Ruhestandes war Mayer noch aktiv, etwa im Aufsichts- rat der Firma Heraeus, aber nach seinem 80. Geburtstag im Jahr 1975 verschlechterte sich seine Gesundheit ­rapide, genauso wie diejenige seiner Frau. Am 16. Ok- tober 1980 starb Prof. Dr. phil. nat. Dr.-Ing. E.h. Hans Ferdinand Mayer. In Ost und West wurden unterschiedlichste Namen als mutmaßliche Verfasser des «Oslo Report» genannt. Von Mayers Urheberschaft wusste lange Jahre außer ihm selbst und Turner nur eine weitere Person: Dr. Re- ginald Victor Jones. Der in der Aufklärungsabteilung des britischen Luftfahrtministeriums beschäftigte Phy- siker hatte 1940 die Bedeutung des Berichts erkannt, seine Authentizität bekräftigt und dessen Auswertung befördert. Henry Cobden Turner teilte ihm später mit, dass Mayer der Verfasser war. Im Juni 1955 wurde Jones, inzwischen seit 1946 Professor für «Natural Philoso- phy» ­­­in Aberdeen, zu einer Konferenz im Deutschen Museum über Radartechnik eingeladen und wurde dort Mayer vorgestellt, der als Siemens-Repräsentant an der Konferenz teilnahm. Turner hatte es eingefädelt, dass Mayer Jones und dessen Ehefrau einige Tage später zu sich nach Hause einlud. Dort bestätigte ihm Mayer die Urheberschaft an dem Bericht, zeigte ihm Beweise

239 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. 242 Jones 1989, S. 315–325. 240 ebd. 243 Jones 1989. 241 ebd. 244 Bode 1989. 41 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

3. Die drei vergleichend betrachteten Wissenschaftler und Die wissenschaftlichen Ingenieure haben auf den gleichen Gebieten der Elek­ trotechnik, nämlich der Nachrichtentechnik, der Hoch- Leistungen der drei frequenztechnik, der Rechnertechnik, der System- und Informationstechnik und der Schaltungstechnik, ge­ Nachrichtentechniker arbeitet. Sie haben sich auf vielen wissenschaftlichen Veranstaltungen getroffen, und zumindest Küpfmüller und Mayer haben auch intensiv zusammengearbeitet und verschiedentlich gemeinsam publiziert. In Über- sicht 5 auf nachfolgender Seite sind die wichtigsten ­wissenschaftliche Leistungen der drei Nachrichtentech- niker zusammengestellt.

Karl Küpfmüller Es besteht kein Zweifel, dass Professor Küpfmüller vom wissenschaftlichen Standpunkt aus der bedeutendste der drei Wissenschaftler war und auch die breiteste Wir- kung in Lehre und Forschung hatte. Seine Lehrbücher «Theoretische Elektrotechnik» und «Die Systemtheorie der elektrischen Nachrichtentechnik» haben Generati- onen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Studie- renden geprägt. Die «Theoretische Elektrotechnik» ist von 1932 bis 2008 in 16 Auflagen erschienen245, zuletzt überarbeitet von Koautoren. Es gilt aber immer noch, was Küpfmüller 1932 an der TH Danzig im Vorwort die- ses Buches schrieb: «Die Elektrotechnik bildet heute ein so großes und vielfach verzweigtes Gebiet der Ingenieurwissenschaf- ten, dass es für den einzelnen nicht möglich ist, dieses Gebiet auch nur einigermaßen kennenzulernen; in

245 In der Auflage von 1932 dankt Küpfmüller seinem damali- gen Vorgesetzten bei Siemens mit den Worten «Für eine Reihe von Anregungen bei der Auswahl des Stoffes bin ich Herrn Dir. Dr. phil. Dr. Ing. E.h. F. Lüschen zu Dank ver- pflichtet». 42 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

Übersicht 5 Die wissenschaftlichen Leistungen im Vergleich

Karl Küpfmüller Hans Piloty Hans Ferdinand Mayer

1924 Unschärferelation der Nach- 1925 Verbundbetrieb in der Energie- 1925 «Über die Dämpfung von richtentechnik (vor Heisenbergs übertragung Siebketten im Durchlässigkeits- Unschärferelation) bereich» Seit 1931 Theorie der Wellenfilter 1928 Stabilität in rückgekoppelten und der Vierpole 1926 Äquivalenz von Strom- und Systemen (vor Nyquist) Spannungsquelle (vor Norton) 1948 Rektoratsrede «Die Rolle des 1928 Idealer Tiefpass Geistes in der Nachrichtentechnik» 1926 Einschwingvorgänge in (vor Nyquist und Shannon) Pupinleitungen (mit Küpfmüller) 1949–56 Entwicklung einer der 1939 Erste Anwendung des Abtast- ersten deutschen elektronischen 1938 Fernsehübertragung auf theorems (Dissertation Raabe) Rechenanlagen PERM (mit Sauer Leitungen (mit Küpfmüller) und Robert Piloty) 1947 Dosis und Wirkung 1954 Prinzipien der Puls-Code- (mit Druckrey in Hammelburg) Modulation

1954 Die Entropie der deutschen 1955 Die Sonne als Objekt der Sprache Radioastronomie

1959 Kybernetik «Informations- verarbeitung durch den Menschen»

1961 Nachrichtenverarbeitung in der Nervenzelle

noch stärkerem Maße muss sich der am Fortschritt der rie, niedergelegt in seinem Buch «Die Systemtheorie Technik arbeitende Ingenieur auf die Betätigung in ei- der elektrischen Nachrichtenübertragung»246, das auf nem verhältnismäßig engen Teilgebiet beschränken. seinen 1937 bis 1942 an der TH Berlin gehaltenen Vorle- Für das Studium an den Hochschulen, das nicht ange- sungen beruht. Küpfmüller betrachtet im Gegensatz zu nähert so weit spezialisiert werden kann, wie es die spä- der vorherigen Denkweise nachrichtentechnische Ap- tere Tätigkeit des Studierenden erfordern würde, ergibt parate nicht als Zusammenschaltung von Verstärkern sich daraus die Notwendigkeit einer Beschränkung auf und Bauelementen (etwa Spulen, Widerstände und diejenigen Grundlagen, die möglichst vielen Gebieten Kondensatoren). Stattdessen beschreibt er sie durch ihr gemeinsam sind». Das Gleiche gilt für die von Küpfmüller in die Nach- richtentechnik eingeführte Denkweise der Systemtheo- 246 Küpfmüller 41974. 43 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

Systemverhalten, also z. B. durch die Beziehung von lierten Heisenbergschen Unschärferelation und besagt Strom und Spannung am Eingang und Ausgang eines vereinfachend, dass ein Impuls nicht gleichermaßen Schaltkreises und nicht mehr durch die einzelnen Bau- eine kurze Dauer T im Zeitbereich und eine kleine elemente innerhalb der Schaltung. Er hebt also die bis- Bandbreite B im Frequenzbereich haben kann, also BT herige Betrachtungsweise auf eine höhere Abstrakti- kleiner als eine Konstante sein muss. Demzufolge benö- onsebene. Er schreibt im Januar 1949 im Vorwort des tigen Impulse, die im Frequenzbereich schmalbandig Systemtheoriebuches: «Eine neuere Betrachtungswei- sind, eine lange Einschwingzeit und entsprechend se, die sich als besonders fruchtbar bewiesen hat, be- kurze Impulse eine große Bandbreite im Frequenzbe- steht darin, dass willkürlich bestimmte Wechselstrom- reich. Ein optimaler Impuls ist der sog. «Gauß-Impuls», eigenschaften der Übertragungssysteme angenommen der im Zeit- und Frequenzbereich einen glockenförmi- werden; es wird dann gefragt, wie sich ein so gekenn- gen Verlauf hat. Mit der näherungsweisen Realisierung zeichnetes System bei der Übertragung von Nachrich- eines solchen Impulses hat sich auch Piloty beschäftigt. ten verhält. Für diese Art der Betrachtung schlage ich Wie der viel breiter bekannte US-Ingenieur Harry die Bezeichnung «Systemtheorie» vor».247 Dieser Be- Nyquist entwickelte Küpfmüller 1928 in seiner System- griff war allerdings bereits in den 1920er Jahren in mehr theorie auch fundamentale Theorien zur Regelungs- technisch-philosophischen Betrachtungen aufgekom- technik bei geschlossenen Regelkreisen einschließlich men, aber Küpfmüller überträgt ihn 1924 auf die Nach- eines wichtigen Stabilitätskriteriums.250 Erst in jüngs- richtenübertragung, also in einem viel konkreteren Zu- ter Zeit (2006) wird diese Pionierleistung Küpfmüllers sammenhang.248 Küpfmüller greift zurück auf seine auch in der angelsächsischen Literatur gewürdigt.251 In grundlegenden Arbeiten in den 1920er Jahren, zitiert diesem Aufsatz stellt der englische Nachrichtentechni- aber auch die neueren Arbeiten seiner ehemaligen ker und Technikhistoriker Chris Bisell Küpfmüllers Bei- ­Siemenskollegen H. F. Mayer, Lüschen, Feldtkeller und trag zur Stabilität von Regelsystemen als gleichwertig Hölzler. Er greift im Kapitel «Störungen» bereits im mit den viel bekannteren Theorien Nyquists dar. Dabei ­Januar 1949 die Ende 1948 erschienenen Ideen Shan- wird aus Küpfmüllers Leben etwas verschleiernd be- nons zur störresistenten Nachrichtenübertragung auf. richtet: «He appears to have been interned for a short Der Kern des Buches jedoch ist das Kapitel IV «System- time immediately after World War II as a result of his theorie der Schaltvorgänge in linearen Systemen». Hier contributions to the German war effort but was soon re- referiert er seine Ideen von 1924 und 1928249 und baut leased». Da Küpfmüller fast ausschließlich auf Deutsch sie weiter aus. Grundlegend sind dabei die Beziehungen publizierte, die früher obligatorische Kenntnis der von Zeit- und Frequenzbereich bei Signalen und elektri- deutschen Sprache und Fachliteratur bei amerikani- schen Filtern, mathematisch beschrieben durch die schen Mathematikern und Ingenieuren in den späten Fouriertransformation. Charakteristisch für Küpfmül- 1930er Jahren und natürlich während des Zweiten Welt- ler ist, dass er nicht nur bestimmte Schaltungen im krieges und danach zurückging, blieben seine Arbeiten Auge hat, sondern abstrakte Systeme, beschrieben im angelsächsischen Raum weitgehend unbeachtet. durch ihre Übertragungsfunktion, die Impulsantwort Auch H. F. Mayer konnte in seinen Vorlesungen in und die Sprungantwort. Er betrachtet ideale Tiefpass- ­Cornell und in seinem später erschienen Buch über systeme, später als «Küpfmüller-Tiefpass» bezeichnet, PCM-Technik lediglich eine englischsprachige Überset- definiert Impulsdauer, Einschwingzeit und Bandbreite zung eines Küpfmüllerschen Aufsatzes in einer obsku- und leitet die Küpfmüllersche Unschärferelation ab. ren dänischen Fachzeitschrift zitieren.252 Diese hat eine gewisse Parallelität zu der später formu- Es ist bemerkenswert, dass Küpfmüller in diesen ­äußerst produktiven Jahren 1924–1931 diese innovati- ven grundlegenden Aufsätze meist allein verfasst hat, 247 Küpfmüller 31949, S. 43. In dem Vorwort dankt er wörtlich auch Dr. phil. L. Rohde, «der mir vielfach in Rat und Tat geholfen hat», was sich sicherlich nicht nur auf wissen- schaftlichen Rat bezieht, sondern auch auf die tatkräftige 250 Karl Küpfmüller: Über die Dynamik der selbsttätigen Ver- Unterstützung während seiner Hammelburger Internie­ stärkungsregler. In: Elektrische Nachrichtentechnik 5 rungszeit. (1928) 11, S. 459–467; ders: Über die Stabilität der stetigen 248 Gerhard Wunsch: «Karl Küpfmüller – Wegbereiter der indirekten Regler. In: Elektrische Nachrichtentechnik 5 modernen Systemtheorie», Frequenz 51 (1997), S. 9–10. (1928) 12, S. 469–472. 249 Karl Küpfmüller: Über Einschwingvorgänge in Wellen- 251 C. Bissell: Karl Küpfmüller 1928. In: IEEE Control Systems filtern». In: Elektrische Nachrichtentechnik 1 (1924) 5, Magazine 26 (2006) June, S. 115f, 126. S. 141–152; ders.: Über Beziehungen zwischen Frequenzcha- 252 Karl Küpfmüller: Transients in Telegraph and Telephone rakteristiken und Ausgleichsvorgängen in linearen Netzen. Engineering. In: Techniks Tidskrift (1931) 9 und 10, ohne In: Elektrische Nachrichtentechnik 5 (1928) 1, S. 18–32. Paginierung. 44 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

obwohl er H. F. Mayer und Lüschen gelegentlich zitiert. liche Veröffentlichungen257, die bis heute als Schlüs- Auf der mehr praktischen und industrierelevanten selaufsätze in der Krebsforschung gelten. Das zeigt sich Seite wurde in der gleichen Zeit die Frage der Übertra- auch daran, dass die Arbeit «Dosis und Wirkung» mit gung über pupinisierte Fernkabel sehr aktuell. Solche Hilfe der DFG 36 Jahre später unverändert nachge- pupinisierte Kabel bestehen aus zusätzlich in regelmä- druckt wurde. Druckrey sandte den ersten gemeinsa- ßigen Abständen in die Leitung eingefügten elektri- men Aufsatz mit Küpfmüller am 30. 5. 1947 an Bute- schen Spulen, um die Induktivität des Kabels künstlich nandt, den er auch auf dessen frühere Bekanntschaft zu erhöhen und somit Signale mit höheren Frequenzen mit Küpfmüller aus deren gemeinsamer Danziger Zeit übertragen zu können. Dafür wurde die Trägerfre- hingewiesen hatte. Butenandt hielt die Arbeit erst zu- quenztechnik entwickelt, mit der man über das gleiche rück und übermittelte den Autoren am 9. 8. 1947 ein Kabel auf mehreren Frequenzen mehrere Gespräche Schreiben mit der Bemerkung «[...] es dürfen nur Arbei- übertragen konnte. Mit dieser Thematik waren vor al- ten von Autoren angenommen werden, die [...] durch lem Hans F. Mayer und Fritz Lüschen befasst und lie­ ein Spruchkammerverfahren endgültig eingestuft wur- ferten für Siemens praktisch realisierbare Systeme. den. Diese Einstufung muß «unbelastet» oder «Mitläu- Aber auch Küpfmüller trug gelegentlich etwas zu dieser fer» lauten.»258 Am 4. 2. 1950, also nach Erscheinen des Thematik bei253, als Alleinautor, aber auch mit Fritz Aufsatzes, schrieb Butenandt an Küpfmüller voller An- ­Lüschen und Hans F. Mayer als Koautoren. Die Arbeiten erkennung über die Arbeit: «Ich halte sie für einen der betrafen u. a. Maßnahmen gegen das Nebensprechen entscheidendsten Beiträge zum Krebsproblem», eine auf verseilten Fernsprechkabeln und die Echosperrung Einschätzung, die Butenandt noch am 25. 9. 1972 als bei Pupin-Kabeln. ­Ehrenpräsident der Max-Planck-Gesellschaft bei der Natürlich konnte Küpfmüller seine wehrtechni- Einweihung des deutschen Krebsforschungszentrums schen Beiträge in der Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht wiederholte.259 publizieren. Wie bereits in Kapitel 2 berichtet, erstreck- Auch in ganz aktuellen Veröffentlichungen260 wird ten sich die als geheim eingestuften persönlichen Bei- auf die Signifikanz der Druckrey-Küpfmüller-Gleichung träge Küpfmüllers insbesondere auf Abwurfbomben, hingewiesen «The Druckrey-Küpfmüller equation exp- die V2-Rakete und die Torpedowaffe. lains why toxicity may occur after prolonged expo- Es ist erstaunlich und zeigt die ganze Breite der Inte- sure to very low toxicant levels». Dieser Summationsef- ressen Küpfmüllers, dass er auch im Internierungslager fekt ist eine der Schlüsselerklärungen zur ­toxischen Hammelburg intensiv wissenschaftlich arbeitete. Er Wirkung von Substanzen und zur Krebsentstehung. traf dort den Pharmakologen und Onkologen Hermann Nach Wunderlich sind die Druckrey-Küpfmüller-Schrif- Druckrey, mit dem sich eine äußerst fruchtbare Zusam- ten eines der Beispiele aus der Geschichte der Naturwis- menarbeit trotz der beschränkten Mittel und Umstände senschaften, bei dem eine einzige Publikation eine ergab. Druckrey war NSDAP-Mitglied, SA-Oberführer Schlüsselrolle bei der Lösung eines Problems gespielt (entsprach in der Wehrmacht einem Rang zwischen hat. Oberst und Generalmajor) sowie von 1937–42 NS-Do- Druckrey hatte gewünscht, dass «Herr Küpfmüller zentenbundführer an der Universität Berlin, wo er eine der Krebsforschung auch in Zukunft verbunden bleibt», Dozentenstelle hatte. 1943 wurde er Truppenarzt beim was nur sehr eingeschränkt zutraf. Eine kurze Pu- SS-Polizeiregiment an der Ostfront, von April 1944 bis blikation mit Druckrey zu dem Thema erschien noch Kriegsende war er Leiter des Pharmakologischen Insti- 1949.261 Immerhin nahm Küpfmüller ab 1950 wieder- tuts am Polizeikrankenhaus Wien und bearbeitete dort «kriegswichtige» Fragestellungen.254 Die Zusammenar- beit zwischen Küpfmüller und Druckrey wurde 2005255 257 Die Schriften von H. Druckrey und K. Küpfmüller sind Hermann Druckrey/Karl Küpfmüller: Dosis und Wirkung, 256 und 2008 durch Volker Wunderlich ausführlich Beiträge zur theoretischen Pharmakologie, Berlin 1949 und ­dokumentiert. Es entstanden im Lager Hammelburg Quantitative Analyse der Krebsentstehung. In: Zeitschrift unter sehr einschränkenden Bedingungen zwei wesent- für Naturforschung 3b (1948), S. 254–266. 258 Wunderlich. 2005, S. 369–397. 259 Wunderlich 2008, S. 340f. 260 Henk A. Tennekes: The significance of the Druckrey – Küpfmüller equation for risk assessment – The toxicity of neonicotinoid insecticides to arthropods is reinforced by 253 Siehe Fachbereich Elektrotechnik der TU Darmstadt exposure time. In: Toxicology 276 (2010) 1, S. 1–4. 1997, S. 12. 261 Hermann Druckrey/Karl Küpfmüller/W. Trappe: 254 Klee 2005, S. 120. Experimentelle Beiträge zum Wachstumsproblem bei 255 Wunderlich 2005, S. 369–397. Geschwülsten und Metastasen. In: Zeitschrift für 256 Wunderlich 2008, S. 327–343. Krebsforschung (1949), S. 407. 45 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker holt an den DFG-finanzierten Gesprächsrunden für und 1961 («Über die Nachrichtenverarbeitung in der Krebsforschung in Hinterzarten teil, obwohl er zumin- Zelle»266, zusammen mit seinem Doktoranden Franz Je- dest anfangs als Technischer Direktor bei SEL in Stutt- nik) bemerkenswert. Mit initiiert durch Küpfmüller, er- gart beruflich sehr eingespannt war. fuhr das Gebiet der Kybernetik, weiter gefördert durch Mehr wissenschaftliche Freiheit gewann Küpfmüller die Professoren Hans Marko in München, Horst Mittel- wieder, als er 1952 ordentlicher Professor an der TH staedt in Seewiesen, Karl Steinbuch in Karlsruhe und Darmstadt wurde. Beeindruckt von der Shannonschen Heinz Zemanek in Wien, große Beachtung und blühte Informationstheorie, die seinem mathematischen Sys- in Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren auf. Im temdenken entsprach, publizierte Küpfmüller in den April 1968 fand ein großer Kybernetik-Kongress in frühen 1950er Jahren Untersuchungen zur Kanalkapa- München statt, an dem auch Küpfmüller teilnahm. Die zität262 und zur Entropie der deutschen Sprache.263 Aus von Küpfmüller mitbegründete Deutsche Gesellschaft der Statistik von Buchstabenfolgen deutscher Texte er- für Kybernetik ernannte ihn 1969 zu ihrem Ehrenpräsi- mittelte er über die Shannonsche Entropie von 1,6 bit/ denten. Mindestens bis 1973, als er auf eigenen Wunsch Buchstabe eine Redundanz von 66%, ein Wert, der etwa aus dem Präsidium austrat, nahm er regelmäßig an den dem von Shannon 1951 ermittelten Wert für englische Sitzungen des Präsidiums und an der Trägerversamm- Texte entsprach. Im Gegensatz zu Shannon bezeichnete lung der Deutschen Gesellschaft für Kybernetik teil. Küpfmüller die binäre Nachrichteneinheit nicht mit Dabei machte er u. a. weitsichtig den Vorschlag, wirt- bit, sondern mit NE, d. h. Nachrichteneinheit. schafts- und finanztheoretische Fragestellungen im Auch bedingt durch seine Lehrverpflichtungen in Sinne der Kybernetik zu behandeln. Stuttgart und Darmstadt bearbeitete Küpfmüller seine Lehrwerke, die Neuauflagen der «Einführung in die the- Hans Piloty oretische Elektrotechnik» und vor allem im Jahre 1949 Wie Hans Ferdinand Mayer war auch Hans Piloty nach «Die Systemtheorie der elektrischen Nachrichtenüber- seiner Promotion erst bei einer Firma (AEG) in der Ener- tragung», die auf seinen Vorlesungen an der TH Berlin gietechnik beschäftigt.267 Zunächst befasste er sich mit basierte. Das letztere Buch erlebte rasch Neuauflagen Fragen der Energieübertragung, bei denen die Fern- (1952 und dann 1968) und wurde zu einem Standard- wirktechnik bereits eine nachrichtentechnische Kom- werk der Nachrichtentheorie. Seine präzise Definition ponente aufwies. Nach seiner Berufung auf den Lehr- von Begriffen und Bezeichnungen als Grundlage soli- stuhl an der TH München im Jahre 1931 konzentrierte er den wissenschaftlichen Arbeiten führte ihn zur Mit- sich auf nachrichtentechnische Probleme. Durch seine begründung des Fachausschusses 1 «Informations- und fortdauernde Verbindung mit der Firma AEG/Telefun- Systemtheorie» der Nachrichtentechnischen Gesell- ken wurde er auf die anstehenden Fragen der Trägerfre- schaft und zur Mitwirkung im DIN-Ausschuss für Be- quenztechnik aufmerksam. Für diese Technik sind die griffe und Formelzeichen. In diesem Ausschuss waren sogenannten Wellenfilter zur Trennung der Frequenz- viele Schüler und Mitarbeiter Küpfmüllers tätig, so bereiche wichtig. In zahlreichen Veröffentlichungen Erwin Hölzler (sein Doktorand in Danzig und Berlin so- wurde die Theorie und Realisierung von sog. Reaktanz- wie späterer Mitarbeiter bei Siemens & Halske), F. Jenik, vierpolen bei vorgegebenem Betriebsverhalten unter- W. Hilberg, H. Ohnsorge (Schüler Küpfmüllers aus sucht.268 Diese mathematisch anspruchsvolle Theorie Darmstadt), R. Kersten (Mitarbeiter bei Siemens).264 verwendet beispielsweise Tschebyscheffsche Approxi- Das letzte große Arbeitsgebiet von Küpfmüller war mations-Verfahren und bedingt einen hohen Rechen- die Kybernetik – ein Begriff, der von Norbert Wiener im aufwand, was das spätere Interesse Pilotys an elektroni- Jahre 1949 geprägt wurde –, insbesondere die Informa- schen Rechenmaschinen erklärt. Die Verbindung mit tionsverarbeitung in Nervenzellen und durch den Men- Telefunken war für Piloty auch finanziell interessant, so schen. Hier sind besonders zwei Arbeiten der Jahre 1959 wurde er an Patenterträgen beteiligt. Dass Piloty seine («Informationsverarbeitung durch den Menschen»265) Interessen zu wahren wusste, zeigt der Schriftwechsel

262 Karl Küpfmüller: Kanalkapazität und Laufzeit. 266 Kybernetik (1961) 1, S. 1–6. In: AEÜ 6 (1952), S. 265. 267 Bezüglich Angaben zum wissenschaftlichen Werdegang 263 Karl Küpfmüller: Die Entropie der deutschen Sprache. von Piloty siehe Eichin/Söder 2000 und Margot Fuchs: In: Fernmeldetechnische Zeitschrift 7 (1954) 6, S. 265–272. Piloty, Hans. In: NDB 20 (2001), S. 446f. 264 R. Kersten: Prof. Dr.-Ing. E.h. Karl Küpfmüller zum 268 Hans Piloty: Kettenschaltungen für Reaktanzvierpole mit 80. Geburtstag. In: Frequenz 31 (1967), S. 264 vorgeschriebenen Betriebseigenschaften. In: Telegraphen 265 Nachrichtentechnische Zeitschrift 12 (1959), S 68–74. und Fernsprechtechnik 29 (1940), S. 249–258. 46 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

mit Telefunken 1943/44 über ein Patent zur Realisie- dem damals erst entstehenden Gebiet der Informa- rung des im Sinne von Küpfmüllers Zeit-Bandbreite- tik.272 Die PERM wurde 1956 fertig gestellt und wurde Produkt als optimal erkannten Gaußimpulses durch lange Jahre bis März 1974 im Rechenzentrum der TH ein passives Netzwerk. Telefunken meinte, dass die München für Forschung und Ausbildung benutzt. Grundidee der Erfindung bereits in der Aufgabenstel- Heute steht sie im Deutschen Museum in München. lung an Piloty enthalten gewesen sei und nur eine Ge- Ein Kernelement der PERM war der Magnetkernspei- meinschaftserfindung infrage käme.269 cher273, ein anderes der Festwertspeicher274. Einige wich- Piloty erhielt in den Jahren 1941–44 regelmäßig tige Merkmale waren: Sachbeihilfen etwa zur «Beschaffung eines elektroakus- ­— die Logik war röhrenbasiert, mit insgesamt mehr tischen Messplatzes», zu «Pegelregelungen auf dem als 2400 Röhren ­Gebiet der Trägerstromtelegraphie», «Probleme des ­— die Wortlänge betrug 51 Bit Mehrfachempfanges in der Kurzwellentechnik» und ­— sowohl Gleitkomma- als auch Festkomma-Zahlen- «Untersuchungen von Siebschaltungen».270 Er brachte darstellung waren möglich seine Forschungsergebnisse unter dem Titel «Lineare ­— eine indirekte und relative Adressierung Schaltungen» auch in die Lehre ein, wo er die Vierpole ­— ein interner Speicher von 10 240 Worten und Filter in moderner Matrizenschreibweise dar- ­— ein modularer Aufbau aus Einschüben und Steck- stellte. einheiten Sein Assistent Rudolf Saal trat 1948 in die Firma Der Magnettrommelspeicher war für seine Zeit eine be- AEG-Telefunken in Backnang ein, promovierte wäh- sonders bemerkenswerte Leistung mit einer Drehge- rend der Industrietätigkeit bei seinem Lehrer Hans Pi- schwindigkeit von 15 000 Umdrehungen/sec und einer loty und betrieb die Filterentwicklung bei seiner Firma Zugriffszeit von 2 Millisekunden. Die Arbeitsgruppe der und einer Außenstelle am Lehrstuhl, ab 1955 im dritten Mathematiker um Professor Sauer bestand aus den Stock des neuerrichteten Lehrstuhlgebäudes im Nord- Wissenschaftlern Friedrich Ludwig Bauer, Klaus Samel- gelände der TH München. Der Saalsche Filterkatalog son und Heinz Schecher, die mehr Hardware-orien- war für lange Zeit ein Nachschlagewerk der Fachleute tierte Gruppe um Vater und Sohn Piloty aus Walter E. der Filtertechnik. Zuletzt war Saal Leiter der Vorent- Proebster, Hans-Otto Leilich, Macha und Gürner. Alle wicklung bei Telefunken, nahm aber 1968 einen Ruf als Beteiligten spielten später bei Firmen und an Hoch- Ordinarius auf einen neugeschaffenen Lehrstuhl an der schulen eine große Rolle auf dem Gebiet der Informatik TH München an. und der Rechnertechnik. Der spätere IBM-Forschungs- Nach einer kurzen Tätigkeit beim US Signal Corps chef Proebster, der 1955 bei Piloty mit dem Thema kehrte Professor Hans Piloty an die TH München zu- «Die Schaltkreistechnik einer elektronischen Parallel- rück und widmete sich dem Wiederaufbau seines Insti- rechenmaschine» promoviert hatte, erinnert sich in ei- tutes und der ganzen Hochschule, der er zwei Amtsperi- nem IEEE History Center Interview 275 u. a.: oden als Rektor diente. «[...]He [Hans Piloty, Vf.] was working together with Sein Sohn Robert Piloty kam nach einen Studienauf- Telefunken on the construction of extremely high-qua- enthalt am MIT in Boston mit der Idee zurück, auch in lity telephony filters for multiplexing where you have München eine elektronische Rechenanlage zu bauen. Unter der Gesamtleitung von Hans Piloty und dessen Mathematikerkollegen Robert Sauer wurde ab 1949 272 Die Geschichte der PERM und der Informatik in München an der TH München die PERM (Programmgesteuerte ist ausführlich dargestellt in Friedrich L. Bauer, Hg.: 271 40 Jahre Informatik in München 1967–2007. Festschrift, Elektronische Rechenmaschine München) entwickelt. Informatik Club e.V., 2007. Siehe auch: http://www.in. Das PERM-Projekt, gefördert durch die Deutsche For- tum.de/fileadmin/user_upload/Oeffentlichkeits- schungsgemeinschaft, schuf die notwendige Hard- und arbeit/Broschueren/Broschueren_der_Fakultaet/40J_ Informatik_Festschrift.pdf Softwarebasis für viele weitere Forschungsarbeiten auf 273 Frank F. Tsui/Hans Piloty: Der Magnetkernspeicher der PERM. In: Elektronische Rechenanlagen, 3 (1961) 6, S. 246–253. 269 Museum für Verkehr und Technik, Berlin, Firmenarchiv 274 Frank F. Tsui/Wilhelm Anacker/Hans Piloty: Neues AEG-Telefunken I. 2.060 C, 12348 und 2357. Konstruktionsprinzip für einen wirtschaftlichen und 270 BArchB, DS/Wissenschaftler (ehem. BDC), B38, 41ff. betriebssicheren Halbfestwertspeicher. In: Elektronische 271 H. Piloty/R. Piloty/H. O. Leilich/W. E. Proebster: Die Rechenanlagen 5 (1963) 1, S. 22–27. Programmgesteuerte elektronische Rechenanlage 275 William Aspray, Interview: # 172 for the IEEE History München (PERM), 1. Teil bzw. 2. Teil. In: Nachrichtentech- Center and Rutgers, The State University of New Jersey. nische Zeitschrift (1955) 11, S. 603–609 bzw. (1955) 12, IEEE History Center, July 1, 1993. Internet-Dokument: S. 650–658. www.ieeeghn.org (Zugriff 20. 12. 2011). 47 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker very sharp band pass and many of them in order to Dioden zur Verwirklichung eines mikroprogrammier- have multiplex operation on high-speed telecommuni- ten Steuersystems». cation links. The precise design, the high-quality de- Zusammenfassend kann man sagen, dass das Ver- sign, of these filters demanded the solution of very dienst von Prof. Hans Piloty bei der PERM nicht so sehr complex operations: Chebyshev polynomials of very, in Detailerfindungen lag, sondern dass er als der Visio- very high order. [...] när, der Geldbeschaffer, der Motor und eben – wie es Actually at the time when I came, the assistants of sein Assistent Proebster formuliert – der «godfather», Professor Piloty were engaged in solving these equa- also der Pate, der ganzen PERM-Maschine war. tions by electromechanical calculators. I recall that a ty- pical work extended somewhere between four to six, Hans Ferdinand Mayer maybe eight, weeks of work with such an electric calcu- In Heidelberg begann seine wissenschaftliche Lauf- lator of a most sophisticated design--with many, many bahn unter Lenard. Seine ersten Arbeiten277 erschienen decimal places in order to get the accuracy to solve zusammen mit Philipp Lenard und Wilhelm Weick in these equations precisely: the zero points, the poles, den von Wilhelm Wien und Max Planck herausgegebe- and the zero places of the polynomial. I recall whenever nen «Annalen der Physik» im Jahre 1919.278 Eine ei- my colleagues at this time caught a mistake during genständige Arbeit Mayers wurde noch im gleichen this four to six weeks, the whole work was for the birds. Jahr eingereicht, in der er eine Formel des etablierten They had to restart. This was one of the prime motiva- französischen Physikprofessors Paul Langevins kriti- tions of Professor Piloty to look for a computer to do his sierte.279 Diese Ergebnisse fasste er auch in seiner am work in an easier way. When Robert Piloty came back, 5. Januar 1920 eingereichten Dissertation «Ueber das he came back with microfiche of the Whirlwind compu- Verhalten von Molekülen gegenüber freien langsamen ter and also of some of the text of the original work of Elektronen» zusammen. Die Hochschätzung Lenards J. v. Neumann and H. Goldstine from the Institute of drückte sich nicht nur in der Note «summa cum laude», Advanced Study. When I finished my diploma work, sondern auch in der Goldmedaille der Fakultät für die and actually even a little bit before, I was asked by them beste Dissertation des Jahres aus. Trotzdem verfolgte to study this material. I worked together particularly Mayer nicht die akademische Karriere, deren nächster with Robert Piloty on the idea of how to construct a Schritt die Habilitation gewesen wäre, sondern trat tube computer at the Technical University of Munich. Anfang 1922 in die Dienste von Siemens in Berlin. Die I worked four years on that and finished with my Ph.D. kurze Zeit bis ­November 1922 im Energietechnikbe- thesis on this machine. [...] Professor Hans Piloty rea- reich von Siemens resultierte lediglich in ­Patenten. Erst lized soon that it would be very, very valuable to engage im «Schwachstrombereich» bei Siemens und Halske one of his mathematical colleagues in this work. We findet er einen neuen wissenschaftlichen Schwerpunkt, were so fortunate that Professor Sauer from the mathe- in dem auch seine mathematischen ­Fähigkeiten zur matical side showed an interest. [...] Professor Hans Pi- Geltung kommen. Es ist interessant, dass Mayer so den loty and Professor Sauer were like godfathers looking gleichen Weg wie Piloty einschlägt: Von der Starkstrom- down at us.» technik zu der sich rasch entwickelnden Schwach- stromtechnik, wie die Nachrichtentechnik damals ge- Hans Piloty und sein Partner Robert Sauer hatten im nannt wurde. Mayer befasst sich mit Vierpoltheorie Jahre 1955 die Absicht, eine zweite PERM in Transistor- und Echosperren für Fernverbindungen. Dies führt technik zu bauen, was aber die DFG nicht mehr förder- ihn 1926 zu einem ­bemerkenswerten ­Ergebnis280, das te, da inzwischen bei Siemens, SEL, Zuse und Telefun- ken eine industrielle Rechnerentwicklung angefangen wurde.276 Das Interesse an der Transistortechnik zeigt sich auch in den Doktorarbeiten der letzten Jahre der 277 Die wichtigsten Arbeiten Mayers sind aufgeführt in Ära Piloty mit Themen wie «Die nichtlineare Verzer- Feldtkeller/Goetzeler 1994, S. 85–90. rung in A-Verstärkern mit Transistoren bei niedri- 278 Hans Ferdinand Mayer: Über Elektrizitätsleitung durch gen Frequenzen», «Die Verstärkungseigenschaften von freie Elektronen und Träger. In: Annalen der Physik (1919) 365, S. 329–380 und (1920) 366, S. 665–741. Flächentransistoren unter dem Einfluß der Leistungs- 279 Hans Ferdinand Mayer: Kritik zur Wanderungsgeschwind- rückwirkung» und «Über die Anwendung von Tunnel- igkeitsformel Herrn Langevins. In: Annalen der Physik (1920) 367, S. 358–370. 280 Hans Ferdinand Mayer: Über das Ersatzschema der Verstärkerröhre. In: Telegraphen- und Fernsprech-Technik 276 F. L. Bauer: Die Algol Verschwörung». In: Hellige 2004, S. 237. 15 (1926), S. 335–337. 48 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker

Don H. Johnson vor einigen Jahren in zwei Aufsätzen281 Fernsehsendungen. Insgesamt kann gesagt werden, ausführlich gewürdigt hat: Bereits Hermann von Helm- dass die Erweiterung der Kommunikationsmöglichkei- holtz hatte 1853 gezeigt, dass jede (Ohmsche) Schaltung ten über Kabel und Leitungen vor allem durch die Ar- durch eine äquivalente Spannungsquelle mit Innenwi- beiten von Mayer, Küpfmüller und Lüschen bei Siemens derstand dargestellt werden kann, was 30 Jahre später möglich wurde. Der wirtschaftliche Wert und das Po- durch Léon Charles Thévenin wiederentdeckt wurde. tential dieser Erfindungen zeigen sich auch daran, dass Mayer zeigt nun in der Veröffentlichung von 1926, dass Mayer in den Jahren um 1925 bis zu neun Patente pro dies oft vorteilhaft auch durch eine äquivalente Strom- Jahr einreichte, was sich bis 1943 auf 113 Patentan- quelle geschehen kann. In einem internen unveröffent- meldungen und 54 erteilte Patente summierte.285 Die lichten Memorandum kommt im gleichen Jahr Edward internationale Einbindung Mayers erweist sich auch L. Norton bei den Bell Labs zum gleichen Ergebnis. Des- daran, dass einige seiner Veröffentlichungen in den wegen wird dieser Satz im US-Schrifttum und in Lehr- 1930er Jahren auf Französisch erschienen. Der Krieg büchern meist als «Norton’s Theorem» bezeichnet. und natürlich seine KZ-Inhaftierung beendeten für Johnson bemerkt zu Recht, dass die Veröffentlichungs- lange Zeit Mayers Publikationstätigkeit. Erst als er priorität dieser grundlegenden Aussage Mayer zusteht Professor in Cornell war, publizierte er wieder, so seine und schlägt für das Theorem der äquivalenten Strom- Vorlesungsunterlagen und Forschungsarbeiten unter quelle den Namen «Mayer-Norton»-Theorem vor. dem Titel «Pulse Techniques in Communication and Die Probleme der Nachrichtentechnik in den späten Radar» und «Radio Noise Considerations». Von gro- 1920er Jahren betreffen die Weitverkehrstechnik: Wie ßer Wichtigkeit wurde sein Buch über die PCM-Tech- kann man die Leistungsfähigkeit von Kabeln verbes- nik286, das er nicht ohne Stolz mit dem Verfassernamen sern, die nur einen schmalen Übertragungsbereich und «Dr. phil. H. F. Mayer, zeitw. ord. Prof. der Nachrichten- störende Echos aufweisen? Pupinspulen und Schaltun- technik, Cornell University NY» im Jahre 1954 im Verlag gen zur Echokompensation erweiterten den Frequenz- R. Oldenbourg veröffentlichte, nachdem es bereits 1952 bereich von Weitverkehrskabeln, und man konnte so an als Entwicklungsbericht der Siemens und Halske A.G. die Einführung der Trägerfrequenztechnik denken, d. h. erschienen war. Es ist das erste Buch über diese Technik mehrere Gespräche auf unterschiedlichen Frequenzbe- auf Deutsch, eine Technik, die heute das ganze digitale reichen zu übertragen. Zur Trennung der Trägerfre- Zeitalter bestimmt. Mayer beginnt sehr richtig seine quenzsignale waren analoge Filter282 erforderlich. Mit Einleitung mit den Worten: diesen Themen befassten sich die zahlreichen Veröf- «Die Pulscode-Modulation, kurz PCM, ist ein Verfah- fentlichungen Mayers in den Jahren 1925 bis 1939. ren zur Übertragung von Nachrichten wie Sprache und Unter den etwa 30 Arbeiten zu diesem Themenkreis – Musik. Es hat besondere Bedeutung mit der Übertra- von denen hier nur einige typische Schriften zitiert gung auf geräuschgestörten Nachrichtenkanälen und werden – sind auch drei Arbeiten zusammen mit Küpf- hat sich bisher als die wirksamste geräuschmindernde müller, etwa zu Pupinleitungen283, und zwei Veröffent- Übertragungsmethode erwiesen. Die PCM ist ferner ein lichungen zusammen mit Lüschen.284 Der so erweiterte hübsches Beispiel für die moderne Informationstheo- Frequenzbereich der Weitverkehrskabel erlaubte dann rie, deren Prinzipien sich hier in besonders anschauli- auch die Übertragung von Rundfunksendungen und cher Weise erkennen und anwenden lassen.» später, durch die Olympiade 1936 vorangetrieben, von Das Büchlein zeigt, dass Mayer bereits 1952 die revo- lutionären Arbeiten von Shannon, den er ja einige Jahre vorher persönlich kennen lernte, gut kannte. Im Ka-

281 Don H. Johnson: Origins of the equivalent circuit pitel 9 zitiert Mayer auch ausführlich wichtige Ergeb- concept: the voltage-source equivalent. In: Proc. IEEE 90 nisse der Shannonschen Informationstheorie. Mayer (2002) April, S. 636–640 und Proc. IEEE 91 (2003) Mai, versucht auch die Bedeutung der Informationstheorie S. 817–821. 282 Hans Ferdinand Mayer: Über die Dämpfung von Sieb- ketten im Durchlässigkeitsbereich. In: Elektrische Nach- richtentechnik 2 (1925), S. 141–149. 283 Karl Küpfmüller/Hans Ferdinand Mayer: Über Einschwing- vorgänge in Pupinleitungen und ihre Verminderung. In: 285 Privatarchiv Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Bericht über Wissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem Siemens- die Tätigkeit von Dr. H.F. Mayer, Abschrift, gez. Lüschen, konzern 5 (1926) S. 51–79. 21. 9. 1943. 284 Friedrich Lüschen/Hans Ferdinand Mayer: Das neue 286 Mayer 1954 – die zu einem Buch erweiterte deutsche Pupinisierungssystem für Fernsprechleitungen mit Version des Aufsatzes Hans Ferdinand Mayer: Principles erhöhter Grenzfrequenz und Phasenausgleich. In: Elek- of Pulse Code Modulation. In: Advances in Electronics 2 trische Nachrichtentechnik 6 (1929), S. 139–151. (1951), S. 221–260. 49 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker im deutschen Sprachraum bekannt zu machen.287 Hier getreten. Die Information unterliegt Begriffen, die dem liegt er auf der gleichen Linie wie Küpfmüller, der ja Physiker geläufig sind, wie Entropie, Quantisierung, praktisch zur gleichen Zeit seine oben zitierte, auf Unschärferelation usw.» Leider musste Wiener die Reise Shannon beruhende Arbeit zur Entropie der deutschen nach ­Europa und den Vortrag wegen anderweitigen Sprache vorlegt. Zu einer fachlichen Zusammenarbeit Verpflichtungen in den USA absagen. der beiden kommt es jedoch nicht mehr, da ja Küpfmül- ler bei SEL und Mayer bei Siemens verpflichtet war und beide Unternehmen konkurrierten. Die beiden Wissen- schaftler trafen sich jedoch in Fachgremien der Nach- richtentechnischen Gesellschaft (NTG) und des VDE. Mayer hatte sich bereits in Cornell mit der Radioastro- nomie beschäftigt, denn an dieser Universität began- nen sich die Astronomen für stellare Radiowellen zu in- teressieren und kontaktierten die Elektroingenieure. Mayer veröffentlichte diese Untersuchungen288 bei ei- ner Fachtagung des «Ausschusses für Funkortung». Im Übrigen ließen ihm seine Verpflichtungen als Chef des Zentrallabors und Vorstandsmitglied keine Zeit zu ­wesentlichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, außer für gelegentliche Redenausarbeitungen289. Je- doch nahm er als Vorgesetzter großen Anteil an den ­Publikationen seiner Mitarbeiter.290 Auch nach seinem Ruhestand blieb er an Fragen der theoretischen Nach- richtentechnik interessiert. So versuchte er im März 1963 Norbert Wiener für ei- nen Vortrag zu dem «Begriff der Information in der Physik» bei der Hauptversammlung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zu gewinnen. Er schreibt am 5. 3. 1963 an Wiener291: «In der Energietechnik hat man es mit Energie zu tun, und jeder weiss was Energie ist. In der Nachrichtentechnik hat man es mit Nachrich- ten (Information) zu tun, und erst seit kurzem weiss man eigentlich, was «Nachricht» ist, und wie man sie messen kann. Zu den Grundbegriffen Raum, Zeit, Materie (Energie) ist der Begriff der Information hinzu-

287 Hans Ferdinand Mayer: Die Bedeutung der Informations- theorie für die Nachrichtentechnik. In: VDE Fachberichte 17 (1953), S. 1–6. 288 Hans Ferdinand Mayer: Die Sonne als ein Objekt der Radioastronomie. In: Flug-, Wetter- und Astro-Funkortung 1956, S. 26–33. 289 Hans Ferdinand Mayer: Der Mensch und die Nachrich- tentechnik. In: ETZ A , 77 (1956), S. 421–426. 290 Georg Unger, der spätere Professor in Braunschweig, berichtete dem Verfasser (JH), dass er als junger Ingenieur vom Zentrallabor an der Hofmannstraße ins Vorstands- gebäude am Wittelsbacher Platz in München zitiert wurde, um von Mayer, dem damaligen Vorstandsmitglied, über Details einer eingereichten Arbeit Ungers befragt zu werden. 291 MIT-Archives, Norbert Wiener Papers, MC 22, box 324, http://libraries.mit.edu/archives/research/collections/ collections-mc/mc22.html, darunter folder 324: Mayer, Hans F. 50 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

4. Zwei Entwicklungen beeinflussten ab etwa 1860 die Technik und Ingenieure Technik: einerseits ihre Ökonomisierung, andererseits ihre Verwissenschaftlichung. Ingenieure wurden zu- im Nationalsozialismus nehmend zu lohnabhängigen Angestellten in Groß- unternehmen degradiert und verloren damit gestal- terische Freiräume. Gleichzeitig wurde ihnen trotz zunehmend anspruchsvolleren Hochschulstudiums die gesellschaftliche Anerkennung verweigert. Im Staatsdienst waren sie unterrepräsentiert, im prestige- trächtigen Militär waren Ingenieure «Offiziere zweiter Klasse» mit geringeren Befugnissen und Privilegien.292 Der Berliner Ordinarius für Elektrotechnik Adolf Karl Heinrich Slaby konnte aufgrund seiner persönlichen Verbindung zum deutschen Kaiser und preußischen König Wilhelm II. die rechtliche Gleichstellung von Uni- versitäten und Technischen Hochschulen voranbrin- gen. Mit Unterstützung Wilhelm II. erfolgte dieser Schritt 1899 in Preußen durch Verleihung des Promoti- onsrechtes. Die anderen deutschen Staaten zogen nach. Doch sahen sich die Ingenieure auch danach noch ge- genüber Universitätsakademikern benachteiligt.293 Berufsverbände wie der Verein Deutscher Ingeni- eure (VDI) betonten die Leistung der Ingenieure für das Gesamtwohl und setzten sich für ihre stärkere Mitspra- che in Staat und Wirtschaft ein. So sollten in der öffent- lichen Verwaltung das «Juristenmonopol» aufgebro- chen und Unternehmen nicht nur Volks- und Betriebswirten, sondern auch Ingenieuren den Aufstieg in Führungspositionen ermöglichen. In ihrer politi- schen Ausrichtung waren Berufsverbände wie der VDI tendenziell konservativ und unternehmernah, wobei viele Ingenieure eine eigene politische Positionierung

292 Ludwig 1974, S. 17–20. 293 Manegold 1970, S. 270–297. 51 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus vermieden. Es wurde ein angeblich «überparteilicher», lich-industrieller Hinsicht sehr erfolgreich gewesen «wertfreier» Charakter der Technik postuliert, und In- war. Von Liberalen und Sozialdemokraten ausgehende genieuren wurde eine vermittelnde Rolle in der Ausein- politische Reformbestrebungen erfassten eher die Ju- andersetzung zwischen Kapital und Arbeit zugeschrie- risten und Lehrer als die Ingenieure. Im Bereich der ben.294 Außenpolitik vertrat die Mehrzahl der Ingenieure, wie Ausgehend von den USA, fasste auch in Deutschland auch der VDI, einen stramm deutschnationalen Kurs.298 in den 1920er Jahren die «Technokratiebewegung» Fuß. Ingenieure betonten in der Weimarer Republik die Sie postulierte, dass technische Experten viele staat- kulturelle Kreativität ihres Berufs sowie den Fortschritt liche Aufgaben effizienter und gerechter als Politiker für die Gesellschaft, um eine höhere gesellschaftliche erfüllen könnten. Damit gingen teilweise antikapitalis- Wertschätzung zu erreichen. Nicht wenige Ingenieure tische Vorstellungen einher: Ein technokratisch ausge- waren mit den politischen und sozialen Verhältnissen richteter «Staatssozialismus» sollte das Gemeinwohl unzufrieden und gingen auf die Suche nach einer für alle Bürger garantieren und den Eigennutz und die neuen Staatsform und Weltanschauung, z. B. einem Macht des Kapitals eindämmen.295 technokratisch geprägten Gemeinwesen, das gleichzei- In der Weimarer Republik setzten sich die Klagen tig dem Standesbewusstsein und Karrierestreben ihres vieler Ingenieure über mangelnden beruflichen Ein- Berufsstandes entgegenkommen würde.299 Manche fluss und gesellschaftliche Akzeptanz fort. Der Konzen- von ihnen wandten sich bereits damals den Nationalso- trationsprozess in der Industrie intensivierte sich, wo- zialisten zu – die Hälfte aller Ingenieurabgeordneten mit der Handlungsspielraum von Ingenieuren wei- im Reichstag (1918–33) entfiel auf die NSDAP.300 ter eingeengt wurde. Viele von ihnen mussten mit eher Die erstarkenden Nationalsozialisten machten den untergeordneten Tätigkeiten vorlieb nehmen, z. B. im Ingenieuren Avancen, um dieses Wählerpotenzial für Zeichenbüro, und erhielten eine vergleichsweise ge- sich zu nutzen.301 So unterstützte die NSDAP ab 1930 ringe Entlohnung. Rasch ansteigende Absolventenzah- die Forderung nach einem «Reichsministerium für len in den beliebten Ingenieurfächern führten zu ver- Technik». Manche staatssozialistische und antikapita- stärkter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Auch listische Forderungen der Technokratiebewegung fan- Personaleinsparungen infolge von rationalisierter den Entsprechungen in der Ideologie des Nationalsozi- Massenproduktion riefen Angst vor Arbeitslosigkeit alismus. Allerdings rivalisierten in der NSDAP zwei hervor. Unter Ingenieurstudenten grassierte Ende der Flügel miteinander: ein fortschrittsbejahender, tech- 1920er Jahre die Furcht vor Proletarisierung und Ein- nikfreundlicher Flügel und ein sozialromantischer, zu- flussverlust. Nun wurden auch viele Ingenieure auf- mindest der Großtechnik kritisch gegenüberstehender grund der Weltwirtschaftskrise arbeitslos – Anfang der Flügel. Letzterer prophezeite das bevorstehende Ende 1930er Jahre hatten 20 % von ihnen keinen festen Ar- weiterer technischer Entwicklungen und verfolgte als beitsplatz und 50 % kein ausreichendes Einkommen. Ideal eine kleinteilige, ländlich geprägte, von Bauern Dies führte dazu, dass auch in dieser Berufsgruppe die und Handwerkern getragene Volkswirtschaft. Mit der Enttäuschung über die demokratischen Parteien zu- Utopie gesellschaftlicher, rassischer und kultureller nahm.296 Einheit wollten die NS-Technikkritiker den Unbilden In politischer Hinsicht verhielten sich die Ingeni- der Moderne entgehen und den Primat der Politik ge- eure in der Weimarer Republik, wie ihr wichtigster Ver- genüber Wirtschaft und Technik durchsetzen.302 band VDI, in der Regel neutral. Der Anteil von Ingenieu- Nach Begründung einer «Ingenieur-technischen Ab- ren an den Reichstagsabgeordneten sank gegenüber teilung» (ITA) in der NSDAP-Reichsleitung (1931) und ei- dem Kaiserreich signifikant ab.297 Wie viele Akademi- nes «Kampfbundes deutscher Architekten und Ingeni- ker, standen die Ingenieure der neuen Staatsform der eure» (KdAI) im selben Jahr fanden weitere Ingenieure Republik abwartend bis zurückhaltend gegenüber und fürchteten unter den neuen politischen Bedingungen eine soziale Nivellierung. Manche Ingenieure trauerten dem vergangenen Kaiserreich nach, das ja in wirtschaft- 298 ebd., S. 32, 50–52, 66–70. 299 ebd., S. 64, 89. 300 ebd., S. 72. 301 Zum Verhältnis Technik und Nationalsozialismus siehe 294 Ludwig 1974, S. 20–27; Jarausch 1990, S. 20–22. Ludwig 1974, S. 73–102; Steffen Reiche: Architektur und 295 Renneberg/Walker 1994, S. 4f.; Ludwig 1974, S. 53–57; Ingenieurwesen zur Zeit der nationalsozialistischen Jarausch 1990, S. 48, 60–63. Gewaltherrschaft. Rede zur Eröffnung des Symposions am 296 Ludwig 1974, S. 63–72; Jarausch 1990, S. 40f., 82. 10. Mai 1995. In: Kuder 1977, S. 58–64. 297 Jarausch 1990, S. 32, 70. 302 Bavaj 2003, S. 142. 52 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

ihre Heimat in der NSDAP, doch blieb die große Mehr- dieser Gruppe sicherlich auch Karriereerwartungen heit dieses Berufsstands reserviert. Denn der Rationali- eine Rolle.305 tät des Ingenieurberufs standen irrationale Ziele der Nach dem 30. Januar 1933 trat jeder sechste Hoch- Nationalsozialisten entgegen, der grundsätzlich inter- schullehrer der TH München in die NSDAP ein. Die nationalen Ausrichtung des Ingenieurs der ausgeprägte Motive waren allerdings sehr verschieden: Manche Nationalismus und das Autarkiestreben der National- vollzogen einen wirklichen Gesinnungswandel, andere sozialisten.303 passten sich an oder wollten Karriere machen, wieder Erst ab 1933 wandten sich Ingenieure verstärkt der andere suchten sich damit gegen staatliche Eingriffe Partei und ihren Gliederungen zu. Erstens betrachteten zu wappnen, und einige Hochschullehrer nahmen das sie den neuen Staat als Chance, endlich ihre Forderun- Parteibuch, um bedrohte Angehörige oder Mitarbeiter gen nach größerer Mitsprache und Anerkennung zu zu schützen.306 Natürlich übte der Staat Druck auf verwirklichen. Zweitens erkannte man die Möglichkei- Hochschullehrer aus, in die Partei einzutreten, doch ten beruflicher Selbstverwirklichung und Karriere im war der Druck an den traditionell autonomen Hoch- Zuge staatlich gelenkter Großprojekte wie der Arbeits- schulen weit geringer als etwa im Schuldienst oder in beschaffung, dem Siedlungsbau, dem Autobahnbau der staatlichen Verwaltung. Zwar versuchten Staat und und der Aufrüstung. Drittens schlossen sich Ingenieure Partei durch vielfältige Maßnahmen die Kontrolle über gerade deshalb der NSDAP und ihren Untergliederun- das Hochschulwesen zu gewinnen – so wurden die gen an, um zu verhindern, dass der sozialromantische, Hochschulen 1933 personell «gesäubert», das «Führer- technikkritische Parteiflügel die künftige Politik be- prinzip» wurde in ihren Satzungen oktroyiert, bei Beru- stimmte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass viele fungsverhandlungen erfolgten Einmischungen, und in der Endphase der Weimarer Republik an den Techni- neuen, von der Partei beeinflussten Institutionen wie schen Hochschulen vom Nationalsozialistischen Deut- der «Dozentenschaft» wurden Mitspracherechte einge- schen Studentenbund (NSDStB) radikalisierte Ingeni- räumt –, doch wurde die akademische Selbstverwaltung eurstudenten nun ins Berufsleben eintraten und in der nicht grundsätzlich abgeschafft, und an den Hochschu- Partei aktiv wurden. Weiterhin waren Ingenieure in der len blieben größere Freiräume als in anderen Instituti- NSDAP aber unterrepräsentiert, verglichen etwa mit Ju- onen erhalten. risten oder Ärzten.304 Verbände wie der VDI vollzogen 1933 freiwillig eine Wie an den Universitäten hatte der Nationalsozialis- Selbstgleichschaltung, suchten aber gleichzeitig ihre mus auch an den Technischen Hochschulen zunächst Autonomie zu wahren. Bald mussten sie freilich erken- bei den Studierenden Zustimmung gefunden. Seit dem nen, dass sich in einem totalitären Staat alle Bereiche Ende der Weimarer Republik verfolgten die Hochschul- der herrschenden Führung und Ideologie unterordnen lehrer deren zunehmende Radikalisierung mit Sorge, mussten. Im Mai 1934 gingen die technisch-wissen- gestanden aber nationalsozialistischen Studierenden – schaftlichen Vereine im neu gegründeten «National- im Unterschied zu ihren sozialistischen und kommu- sozialistischen Bund Deutscher Technik» (NSBDT) auf. nistischen Kommilitonen – immerhin anerkennens- Der unter Führung des NSDAP-Hauptamtes für Technik werte vaterländische Motive zu. So bildete der NSDStB stehende NSBDT trat an die Stelle des aufgelösten KDAI. an der TH München, wo Hans Piloty lehrte, seit 1930 die Dr. Fritz Todt tolerierte als Reichswalter des NSBDT und stärkste AStA-Fraktion, und 1932 erzielte die vom NS- Leiter des Hauptamtes für Technik aber den Fortbe- DStB geführte Listenverbindung bei der letzten freien stand der technisch-wissenschaftlichen Vereine und ge- AStA-Wahl 43,0 % der Stimmen. Hingegen gab es unter währte ihnen eine weitreichende Selbstverwaltung, so- den Ordinarien der TH München zu dieser Zeit nur ein lange sie den Primat der Partei nicht in Frage stellten. einziges NSDAP-Mitglied. Wenn ihre Hochschullehrer Ein solches Vorgehen bildete im NS-Staat die Ausnahme parteipolitisch organisiert waren, gehörten sie mehr- und trug natürlich dazu bei, Ingenieure an den natio- heitlich den Deutschnationalen, den Liberalen oder der nalsozialistischen Staat heranzuführen. Todt wurde Bayerischen Volkspartei an. Eine größere Zahl beken- 1938 zum Leiter des VDI ernannt.307 nender Nationalsozialisten fand sich im akademischen Todt propagierte eine ästhetische und idealistische Mittelbau. Neben politischer Überzeugung spielten bei «Deutsche Technik», die sich von der materialistischen

305 Martin Pabst: Die Geschichte der Technischen Universität München. In: Herrmann 2006, Bd. 1, S. 220, 226f. 303 Jarausch, S. 99f.; Ludwig 1974, S. 79–90. 306 ebd., S. 232–234. 304 Ludwig 1974, S. 105–109; Jarausch 1990, S. 100, 136. 307 Ludwig 1974, S. 116–125; Jarausch 1990, 100. 53 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

Technik des Kapitalismus und des Marxismus abheben gegenüber den NS-Machthabern ihre Berechtigung und dem Wohl der «Volksgemeinschaft» dienen sollte. nachweisen und boten zudem größere Angriffsflächen Durch die ideologische Überhöhung der Technik sollte für ideologische Auseinandersetzungen. So versuchten auch die Stellung des Ingenieurs im Staat gestärkt wer- nationalsozialistische Wissenschaftler, einer «Jüdi- den. Auf der Plassenburg bei Kulmbach richtete Todt schen Mathematik» eine «Deutsche Mathematik», ei- ein Schulungszentrum der «Deutschen Technik» ein, ner «Jüdischen Physik» eine «Deutsche Physik» gegen- wo die von ihm erstrebte Verbindung von Technik, Na- überzustellen. Fächern wie der Physik standen die turnähe, Schönheit und sozialem Nutzen gelehrt Nationalsozialisten zudem auch deshalb kritisch ge- wurde. Als «Generalinspekteur des deutschen Straßen- genüber, weil sie im Unterschied zu den Ingenieurwis- wesens» suchte er diese Ziele beim Großprojekt Auto- senschaften einen hohen Anteil von jüdischen Wissen- bahnbau in die Tat umzusetzen. Mit der Popularisie- schaftlern aufwiesen. Diese wurden nach 1933 aus ihren rung der Technik wollte er ihre gesellschaftliche Ämtern verdrängt und in die Emigration getrieben. 313 Aufwertung erreichen. So plante Todt die Errichtung ei- Auch wenn junge, «geniale» Erfinder- und Unter- nes «Hauses der Deutschen Technik» in München, um nehmerpersönlichkeiten wie Willy Messerschmitt und ihre leistungsmäßige und kulturelle Bedeutung vor Au- Ferdinand Porsche im NS-Staat gefeiert wurden, blieb gen zu führen. Auch setzte er sich dafür ein, dass in das Ansehen der Technik doch vergleichsweise mäßig. Staat und Wirtschaft mehr Ingenieure in Führungsstel- Eine Karriere in Wehrmacht, Partei und Verwaltung ge- len gelangten.308 noss deutlich höheres Sozialprestige. Ingenieure kriti- Mit Todt hatte sich der fortschrittsbejahende, tech- sierten einen weiterhin unzureichenden Einfluss in nikfreundliche Flügel in der NSDAP durchgesetzt. Expo- Staat und Gesellschaft. Das einst von der NSDAP ver- nenten des sozialromantischen Flügels, wie Gottfried sprochene «Reichsministerium für Technik» wurde Feder, wurden auf einflusslose Posten abgeschoben. Ge- nicht errichtet. Die Technischen Hochschulen klagten mäß heutigem Forschungsstand agierte der NS-Staat über vom Staat bewusst niedrig gehaltene Studenten- durchaus technikbejahend und modernisierend, was zahlen, über unzureichende Mittel und über den Druck, auch führende Akteure wie Adolf Hitler und Joseph anstelle von Grundlagenforschung in erster Linie Auf- Goebbels so sahen.309 In der Tat vertrugen sich irratio- tragsforschung betreiben zu müssen. Ende der 1930er nale Ziele mit technokratischen Methoden. Der US- Jahre herrschte ein Mangel an Ingenieuren, ihre Gehäl- Historiker Jeffrey Herf sieht im Nationalsozialismus ter waren eingefroren und vergleichsweise niedrig.314 «reaktionäre Modernität»310, sein deutscher Kollege Konrad Jarausch attestiert der Mehrheit der Ingeni- Rolf Peter Sieferle bezeichnet ihn als «technokratische eure, dass sie sich pragmatisch mit dem NS-Staat arran- Bewegung in romantischem Gewand».311 gierten, auch wenn sie «Exzesse» kritisierten und sich Die Einbindung der Technikwissenschaften in den als Experten ungenügend eingebunden sahen. Mit Par- NS-Staat vollzog sich reibungsloser als die Einbindung teistellen, der Verwaltung und Industrielobbys hätten der Mathematik und der Naturwissenschaften. Einer- sie karrierefördernde Allianzen geschlossen. Brücken- seits waren die technischen Fächer wenig geeignet für funktion habe der unter Ingenieuren bereits vor 1933 ideologische Kontroversen, andererseits waren sie an- verbreitete Nationalismus gehabt. Ingenieure hätten wendungsorientiert, weswegen die Nationalsozialisten daher außenpolitische oder militärische Erfolge der ihren grundsätzlichen Nutzen für die «Volksgemein- NS-Regierung mit Zustimmung aufgenommen. Hinge- schaft» nicht bezweifelten. Hitler hatte denn auch ein gen sei nur eine kleine Minderheit unter ihnen nach- Faible für Ingenieure, während er Juristen oder Lehrer haltig von der nationalsozialistischen Ideologie erfasst verabscheute.312 Zudem drängten Ingenieurwissen- bzw. radikalisiert worden.315 Michael Wildt argumen- schaftler auf die praktische Verwertung ihrer Ergeb- tiert mit Rückgriff auf Hannah Arendt, dass eine dezisi- nisse und suchten daher eine Kooperation mit den onistische, weltverändernde Rassenideologie eher mit neuen Machthabern. Anders verhielt es sich bei der Ma- den Geisteswissenschaften als mit den Naturwissen- thematik und den Naturwissenschaften. Sie mussten schaften vereinbar war – das Führerkorps des Reichs-

313 Herbert Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse: Natur- 308 Ludwig 1974, S. 172–174; Seidler 1988, S. 39–50, 75–85. und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie. 309 Bavaj 2003, S. 142–145. In: Meinel/Voswinckel 1994, S. 24f.; Renneberg/Walker 310 zit. nach Lorenz/Mayer 2004, S. 3. 1984, S. 9f. 311 Sieferle 1984, S. 221. 314 Jarausch 1990, S. 158–160. 312 Jarausch 1990, S. 133. 315 ebd. 1990, S. 139f., 153–157, 168–170. 54 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

sicherheitshauptamtes habe sich denn auch in erster hindert.321 Wenn die deutsche naturwissenschaftlich- Linie aus Juristen, Historikern, Philologen, Germanis- technische Forschung weiter einen hohen Standard ten, Volkskundlern und Zeitungswissenschaftlern rek- hatte, so war dies ihrem hohen Niveau vor 1933 und den rutiert.316 fortdauernden Handlungsspielräumen von Institutio- Rüdiger Hachtmann betont freilich, dass der Natio- nen wie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu verdan- nalsozialismus keine konsistente Weltanschauung, ken.322 sondern ein offenes «Weltanschauungsfeld» mit den Die Industrieforschung blieb bis Ende der 1930er Eckpfeilern Rassismus/Antisemitismus, Antimarxis- Jahre weitgehend dem staatlichen Einfluss entzogen. mus, Militarismus und Nationalismus war. So musste Die durch staatliche Großaufträge angeregte Mengen- man z. B. nicht notwendigerweise bekennender Antise- konjunktur führte hier aber ebenfalls zu einer langfris- mit sein, um beim Nationalsozialismus Anschluss zu tigen Vernachlässigung der Forschungs- und Investi- finden.317 Gemäß Hans Mommsen ist nicht der Grad der tionstätigkeit. Die Zahl der Patentanmeldungen ging Übereinstimmung mit weltanschaulichen Zielsetzun- zurück.323 gen für die Beurteilung als Nationalsozialist entschei- Adolf Hitler und andere hochrangige NS-Funktio- dend, sondern «die Ausschließlichkeit, mit der diese näre verfügten über keine akademische Bildung und Ziele unter Hintansetzung jeglicher humaner und nor- hegten daher Ressentiments gegenüber Intellektuellen mativer Bindungen umgesetzt werden».318 und Wissenschaftlern. Grundsätzlich genoss geistige Auch gab es nach Hachtmann nicht nur den Idealty- Arbeit bei vielen Nationalsozialisten nur geringe Wert- pus des «ideologischen NS-Eiferers», sondern auch den schätzung und rangierte hinter körperlicher Arbeit, «politischen Macher», «den NS-Intellektuellen» und Wehrdienst und sportlichen Leistungen. Bezeichnen- den «technokratischen NS-Funktionär». Gerade mit derweise wurde eher das Genie des Erfinders als die in- letzterem Typus hätten «anpassungswillige Teile der al- genieurwissenschaftliche Leistung herausgestellt.324 ten Eliten» kooperiert, aus dem Streben nach Macht Hachtmann relativiert in einer jüngeren Untersu- und beruflichem Aufstieg wie auch aufgrund einer teil- chung allerdings die These, dass der Nationalsozialis- weisen politischen Identifikation.319 mus grundsätzlich antiintellektuell und wissenschafts- Naturwissenschaftlich-technische Forschung war feindlich gewesen sei. Zwar seien die neuen Macht- zunächst ein «Stiefkind des Systems»320. Die Etats der haber gegen politisch exponierte Intellektuelle der Technischen Hochschulen und ihrer Institute blieben Weimarer Zeit aus dem linken, liberalen wie rechtskon- niedrig bzw. wurden durch Einsparungen sogar noch servativen Lager vorgegangen. Doch seien Wissen- verringert. Nur der Straßenbau und die Luftfahrtfor- schaftler durchaus umworben worden: «Spätestens ab schung erhielten ab 1933/34 umfangreichere Mittel. 1936 wurden Akademiker und Experten mit offenen Ar- Erst allmählich erfolgte eine Zentralisierung und staat- men angenommen, immer unter der Bedingung, daß liche Instrumentalisierung der naturwissenschaftlich- sie sich nicht in die unter den nationalsozialistischen technischen Forschung. Im Gefolge des ersten «Vierjah- Führungsfiguren ausgefochtenen Kontroversen ein- resplans» (1936) setzte eine großzügigere staatliche mischten, daß sie die Vorgaben des Regimes und seiner Forschungsförderung ein. Die 1936 gegründete «Reichs- maßgeblichen Funktionsträger ohne Widerspruch ak- stelle für Wirtschaftsausbau» finanzierte an Techni- zeptierten und sich darauf beschränkten, lediglich die schen Hochschulen «Institute des Vierjahresplanes» Umsetzbarkeit der Ziele zu diskutieren. Schließlich hat- und koordinierte die Zusammenfassung von Industrie- ten sie sich in ihrem Handeln auf ihre Fachgebiete und und Hochschulforschung. Im Frühjahr 1937 wurde ein Wissenschaftsdisziplinen zu beschränken.»325 Reichsforschungsrat (RFR) gegründet. Doch kamen diese Anstrengungen spät, sie konzentrierten sich auf bestimmte Bereiche wie die Luftfahrt- und Raketenfor- schung und wurden durch Kompetenzstreitigkeiten be- 321 Ludwig 1974, S. 216–229; Herbert Mehrtens: Kollaborations- verhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS- Staat und ihre Historie. In: Meinel/Voswinckel 1994, S. 23f. 322 Macrakis 1993, S. 199, 202f. 316 Wildt 2002, S. 141. 323 Feldenkirchen 1995, S. 137f. 317 Hachtmann 2007, S. 315–318. 324 Ludwig verweist darauf, dass Hitler bereits in seinem pro- 318 Hans Mommsen: Faustischer Pakt der Ostforschung mit grammatischen Buch «Mein Kampf» darauf verwiesen dem NS-Regime. Anmerkungen zur Historikerdebatte. habe, dass sich Technik in Abhängigkeit von der «schöpfe- In: Schulze/Oexle 1999, S. 271. rischen Kraft und Fähigkeit der einzelnen Person» ent- 319 Hachtmann 2007, S. 318–323. wickele (Ludwig 1974, S. 228). 320 Ludwig 1974, S. 210. 325 Hachtmann 2007, S. 314. 55 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

Gemäß Monika Renneberg und Mark Walker ist der Der fähige Organisator Dr. Fritz Todt wurde am 23. NS-Staat als dynamische Koalition von konkurrieren- Fe-bruar 1940 mit entsprechenden Sondervollmachten den Machtblöcken wie NSDAP, SS, Wehrmacht, Groß- zum «Generalinspekteur für den Vierjahresplan» er- industrie, Beamtentum u. a. zu verstehen, wobei der nannt, am 17. März 1940 wurde er «Reichsminister für persönliche Zugang zur unangefochtenen Führungsfi- Bewaffnung und Munition», und am 29. Juli 1941 «Ge- gur Adolf Hitler entscheidenden Einfluss auf die jewei- neralinspektor für Wasser und Energie».332 Zur Erfül- ligen Erfolgschancen hatte. Technikwissenschaftler lung seiner vielfältigen Aufgaben zog er Ingenieure aus und Ingenieure hätten zunächst in der öffentlichen dem NSBDT und seiner Behörde für das Straßenwesen Verwaltung nur geringen Einfluss errungen. Doch habe heran, als «Wehrkreisbeauftragte» setzte er Leiter der sich ihre Position ab 1936 und vor allem mit Kriegsbe- Gau- und Kreisämter für Technik ein und räumte damit ginn ab 1939 zunehmend verbessert.326 Der zuneh- Ingenieuren auch Einfluss auf militärische Angelegen- mend technisierte Krieg gab den Ingenieuren Statuser- heiten ein.333 Die von ihm 1938 gegründete, nach mili- höhung und Aufstiegsmöglichkeiten, während Lehrer tärischen Prinzipien geführte Bautruppe «Organisa- und Juristen im Krieg an Bedeutung verloren.327 In spe- tion Todt» erhielt im Lauf des Krieges eine immer ziellen Institutionen, wie der 1936 errichteten Vierjah- größere Bedeutung. resplanbehörde und dem 1940 errichteten Reichsmi- Der bereits 1922 der NSDAP beigetretene Todt war nisterium für Bewaffnung und Munition (ab 1943 überzeugter und loyaler Nationalsozialist, doch zeigte Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion) er fachliches und politisches Verantwortungsbewusst- hätten Technikwissenschaftler und Ingenieure zuneh- sein. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion mend Kompetenzen und Ressourcen an sich gezogen, analysierte er das deutsche Rüstungspotenzial und gipfelnd in den zahlreichen, sich mitunter konterkarie- führte am 29. November 1941 bei einer Besprechung in renden «Sonderbeauftragten» der letzten Kriegsjah- der Reichskanzlei Berlin vor Hitler aus, dass der Krieg re.328 unter rüstungswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht Im Unterschied zur politisch ausgerichteten, gesell- mehr zu gewinnen sei und politisch beendet werden schaftlich verantwortungsbewussten Technokratiebe- müsse.334 Hitler schloss die Aufnahme von Friedensver- wegung der 1920er Jahre beschränkten sich diese Tech- handlungen jedoch kategorisch aus und betonte, «daß nokraten auf eine ausschließlich dienende Funktion. es eine Kapitulation vor dem Fehlen technischer Mög- Der nationalsozialistischen Führung stellten sie zur Er- lichkeiten nicht gibt»335. Vergeblich bemühte sich der reichung ihrer ideologischen Ziele «wissenschaftliche, auch z. B. über die Behandlung der sowjetischen Kriegs- technische und bürokratische Rationalität und Effizi- gefangenen entsetzte Todt um Unterstützung für seine enz der Mittel»329 zur Verfügung. Haltung bei Partei, Wehrmacht und Industrie. In der Technokraten waren nach Renneberg und Walker Nacht von 7. auf 8. Februar 1942 soll es im Führerhaupt- «eine der mächtigsten und letzten Säulen des national- quartier «Wolfsschanze» zu einer lang dauernden und sozialistischen Staates»330. Gemäß Alfred Gottwald und problematischen Aussprache zwischen Hitler und Todt Silke Klewin spielte politische Überzeugung dabei nur gekommen sein.336 Beim Heimflug stürzte Todt tödlich eine untergeordnete Rolle: «Mit einem allgegenwärti- ab. Offiziell handelte es sich um einen Unfall, die Um- gen Ehrgeiz, Egoismus, Gehorsam und profanen Zeit- stände sind bis heute nicht restlos geklärt.337 umständen sind die Motive der handelnden Personen Todts Nachfolger in allen Ämtern wurde der Archi- häufig besser bezeichnet als mit fanatischem Natio- tekt und «Generalbauinspektor für die Reichshaupt- nalsozialismus.»331 stadt» Albert Speer. Er trieb die kriegswirtschaftliche Mobilisierung voran und reduzierte den noch be- trächtlichen Anteil der Verbrauchsgüterproduktion. Erstmals wurde eine «Zentrale Planung» für Erzeugung 326 Monika Renneberg/Mark Walker: Naturwissenschaftler, Techniker und der Nationalsozialismus. In: Ich diente nur und Verteilung eingerichtet. Speer baute das von Todt der Technik 1995, S. 15–22. 327 Jarausch 1990, S. 171, 178. 328 Monika Renneberg/Mark Walker: Naturwissenschaftler, Techniker und der Nationalsozialismus. In: Ich diente nur 332 Thamer 1986, S. 715 bzw. 720f. der Technik 1995, S. 15–22. 333 Ludwig 1974, S. 190f. 329 ebd., S. 20. 334 Ludwig 1974, S. 388–392; Seidler 1988, S. 352–359. 330 ebd., S. 20. 335 zit. nach Ludwig 1974, S. 389. 331 Alfred Gottwald/Silke Klewin: Technik. Macht. Krieg. 336 Speer 1969, S. 207; Ludwig 1974, S. 402f.; Seidler 1988, Vorbemerkungen zu Buch und Ausstellung. In: Ich diente S. 365–367. nur der Technik 1995, S. 12. 337 Seidler 1988, S. 382–391. 56 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

geschaffene System der «Selbstverantwortung der In- und Kriegsproduktion». Siemens-Mitarbeitern standen dustrie» aus. Auftragsvergabe und Produktion wurde 10 von 18 Arbeitsgruppen vor; 55 Siemens-Mitarbeiter in dezentralen, fertigungsnahen «Hauptausschüssen» leiteten weitere Untergliederungen. Vom wissenschaft- und «Hauptringen» organisiert, die in «Sonderaus- lich-technischen Informationsaustausch dürfte in ers- schüsse» bzw. «Sonderringe» unterteilt waren. Damit ter Linie der Siemens-Konzern profitiert haben. war der Übergang zur unternehmensübergreifenden Gleichzeitig war die Unternehmensführung bemüht, Serien- und Massenfertigung möglich. Auf dem Gebiet das eigene wissenschaftliche und technische Wissen zu der Konstruktion und Entwicklung wurden «Kommissi- bewahren.341 onen» eingerichtet.338 Im Bereich der Wissenschaft erfolgte ab 1942 eine Aufrüstung bzw. Kriegswirtschaft bescherten der In- «Selbstmobilisierung», die von einem großen Teil der dustrie immense neue Aufgaben und Produktionsstei- Wissenschaftler unterstützt wurde. Die Forscher er- gerungen, so auch im Fall des Siemens-Konzerns, des hielten mehr Autonomie und zusätzliche finanzielle Arbeitgebers von Küpfmüller und Mayer. Von den Sie- Mittel zugestanden. Neben Loyalität, Patriotismus und mens-Schuckert-Werken kamen Elektromotoren für (zumindest partieller) politischer Zustimmung dürfte Werkzeugmaschinen in der Rüstungsindustrie, elektro- das Streben nach Anerkennung und Statuserhöhung technische Geräte für Beleuchtung und Antrieb in allen eine wesentliche Rolle gespielt haben.342 Federführend Waffengattungen, elektrische Antriebe und Ausrüstun- agierte der Hannoveraner Maschinenbauprofessor gen für die Artillerie, elektrische Antriebe von Bordwaf- Werner Osenberg. Im Juni 1943 wurde er Leiter des Pla- fen und Bordgeräten für die Luftwaffe, starkstromtech- nungsamtes des Reichsforschungsrates und baute es nische Anlagen für Flugplätze, Kabelanlagen für die zur Schaltzentrale für den «totalen Kriegseinsatz der Nachrichtentruppe und Scheinwerfer für die Marine. deutschen Wissenschaft» aus.343 Im Schwachstrombereich entwickelte und lieferte Sie- Im Krieg forcierte der NS-Staat die Verzahnung von mens & Halske Telefonie- und Telegraphieapparaturen industrieller, universitärer und staatlicher Forschung für die Nachrichtentruppe, Funkgeräte, Feuerkontroll- sowie deren Instrumentalisierung für die Kriegfüh- anlagen für Flugzeuge und Schiffe, elektrische Steue- rung, wie z. B. ab 1943 im Bereich der Hochfrequenzfor- rungen für Torpedos und Regelanlagen für U-Boote, schung. Dies gab neue Entfaltungsmöglichkeiten für Radargeräte sowie Steuerungen für die V2-Rakete.339 Ingenieur- und Naturwissenschaftler. Doch sollten sich Im September 1944 beschäftigte der Gesamtkonzern gerade während des Krieges die Folgen jahrelanger 246 490 Menschen, darunter 45 301 Ausländer (zu die- ­Vernachlässigung der Forschung und des wissenschaft- sem Zeitpunkt überwiegend Zwangsarbeiter), 4693 lichen Nachwuchses auf zahlreichen Gebieten nachtei- Kriegsgefangene und 3882 KZ-Häftlinge. Eine Größen- lig bemerkbar machen. ordnung von rund 250 000 Mitarbeitern wurde erst Auch wenn sich während des Kriegs die Arbeitsbe- wieder 1965 erreicht. Produktion und Absatz wurden dingungen durch Gehaltsstopp, enorme Überstunden, immer stärker der unternehmerischen Entscheidung das Verbot des Stellenwechsels und schmale Lebens- entzogen. Der Siemens-Konzern war jedoch mit Erfolg mittelrationen für Kopfarbeiter verschlechterten, äu- bestrebt, die staatliche Einflussnahme zu begrenzen ßerten Ingenieure kaum offene Kritik am NS-Staat, ge- und eine gewisse Autonomie im Bereich der Forschung, schweige denn offenen Widerstand.344 Entwicklung und Produktion zu wahren. Bis in die ers- Hatte Speers Rüstungsministerium zunächst nur ten Kriegsjahre hinein konnte neben der Rüstungspro- Kompetenzen in der Heeresrüstung, so konnte es diese duktion die zivile Stammproduktion weitgehend auf- 1943 auf die Marine und 1944 auf die Luftwaffe ausdeh- rechterhalten werden.340 nen. Unter und neben dem Technokraten Speer stiegen Dem Siemens-Konzern gelang es, im Bereich der im Laufe des Krieges ähnlich gesinnte, systemloyale so- Elektrotechnik einen dominierenden Einfluss zu errei- wie mit brachialen Methoden agierende Ingenieure in chen. So leitete Friedrich Lüschen den «Hauptring elek- hohe Machtpositionen auf, so Karl-Otto Saur, Chef des trotechnischer Erzeugnisse» und den «Hauptausschuss Nachrichtentechnik», Küpfmüller die «Kommission für Nachrichtenmittel beim Reichsleiter für Rüstung 341 Erker 1993, S. 53f. 342 Herbert Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie. In: Meinel/Voswinckel 1994, S. 27; Lorenz/Meyer 2004, 338 Erker 1993, S. 16–18. S. 8 339 Feldenkirchen 1995, S. 153f.; Zwangsarbeit erinnern e.V. 343 Grüttner 2004, S. 127; Ludwig 1974, S. 237f., 243–245, 2006, S. 64f. 251–256, 262–271; Grüttner 2004, S. 127. 340 Erker 1993, S. 46–54. 344 Jarausch 1990, S. 191–193. 57 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus

Technischen Amtes im Rüstungsministerium und Stell- Kurz vor Kriegsende machten sich bei einem Teil vertreter Speers, ab 1944 außerdem Leiter des neu der Wissenschaftler und Ingenieure Skrupel bemerk- ­errichteten «Jägerstabs», und Gerhard Degenkolb, Lei- bar. So unterliefen Rüstungsminister Speer und andere ter des «Hauptausschusses für Schienenfahrzeuge» Verantwortliche den Befehl Hitlers vom 19. März 1945 (1942/43) und des «Sonderausschusses A4» (1943/44) zu weitreichenden Zerstörungsmaßnahmen im Reichs- zur Produktion von V2-Raketen im Rüstungsministe- gebiet. Im Siemens-Konzern fand er dabei im stellver- rium sowie «Sonderbeauftragter für den Sonderaus- tretenden Vorstandsvorsitzenden Friedrich Lüschen schuss F2» und «Bevollmächtigter für die Me-262–Ferti- einen gleichgesinnten Partner. Unter Einsatz seines Le- gung (1945).345 bens gab Lüschen getarnte Gegenbefehle weiter.348 In Konkurrenz zu Speers Rüstungsministerium ge- Nach der deutschen Niederlage zogen sich viele Wis- wann die SS in den letzten Kriegsjahren zunehmenden senschaftler und Ingenieure auf die zum Ausgang des Einfluss in der Kriegswirtschaft. Sie stellte «Arbeits- 19. Jahrhunderts verbreitete Position einer angeblich kommandos» mit KZ-Häftlingen an Rüstungsfirmen «unpolitischen» und «wertfreien» Technik zurück und ab und rief auch eigene SS-Rüstungsbetriebe in Kon- schoben die Verantwortung für deren Einsatz den zentrationslagern ins Leben. Auch in der SS machten natio­nalsozialistischen Politikern zu.349 Im Unter- ­Ingenieure Karriere. Besonders gefürchtet war der schied zu diesen wurden sie auch kaum zur Verantwor- ­rücksichtslos vorgehende und mit diktatorischen Voll- tung gezogen. Die technokratischen Eliten wurden in machten ausgestattete Hans Kammler, Diplomingeni- das Nachkriegsdeutschland integriert, und die Alliier- eur der Fachrichtung Hochbau an der TH Danzig, ten bedienten sich gerne ihrer beruflichen Fähigkei- SS-Obergruppenführer und Generalmajor der Waffen- ten.350 Dabei hatten sie nicht nur die politischen und SS, Leiter der Amtsgruppe C (Bauwesen) im SS-Wirt- militärischen Ziele der NS-Führung unterstützt, son- schafts- und Verwaltungshauptamtes (ab 1942), außer- dern auch Methoden wie Zwangsarbeit in großem Um- dem «Sonderbeauftragter des Reichsführers SS für das fang mitverantwortet. Welche desaströsen Folgen dies A4-Programm» (ab 1943) und «Generalbevollmächtig- haben konnte, zeigt das Beispiel der V2-Rakete: Mehr ter für Strahl­flugzeuge» (1945). Kammler hatte die Menschen starben bei ihrer Produktion als durch ihren Oberaufsicht über alle Bauten in KZ-Lagern inklusive Einsatz – mindestens 20 000 KZ-Häftlinge aufgrund Gaskammern und Krematorien. Ab September 1943 war miserabler Lebens- und Arbeitsbedingungen, Krank- er für die Untertageverlegung der V2-Raketenprodukti- heiten und Misshandlungen.351 onsstätte Dora-Mittelbau bei Nordhausen verantwort- Albert Speer schloss 1969 seine Erinnerungen mit lich, ab August 1944 auch für den Einsatz der V2-Rake- den Worten: «Entscheidende Jahre meines Lebens habe te.346 Das Beispiel Kammler zeigt, wie sehr die immer ich der Technik gedient, geblendet von ihren Möglich- mächtiger werdende SS empfänglich für die Nutzung keiten. Am Ende, ihr gegenüber, steht Skepsis.»352 Seine technischer ­Rationalität und Effizienz war. Die SS und pathetischen Ausführungen waren freilich irreführend. ihr Führer Heinrich Himmler interessierten sich für na- Denn in erster Linie hatte er dem Nationalsozialismus turwissenschaftlich-technische Forschung und verga- gedient, nicht der Technik. ben eigene Forschungsaufträge. Bis zum Sommer 1944 konnte die deutsche Industrie die Rüstungsproduktion trotz zunehmender Bomben- angriffe und der immer stärkeren Verknappung von ­Arbeitskräften und Rohstoffen steigern. Danach sanken die Produktionszahlen.347 Ingenieure wie Kammler und Degenkolb suchten die Kriegsrüstung noch bis zur letz- ten Minute mit brachialen Methoden anzutreiben. 348 Siemens-Forum, Archiv, 13/Lt 721 Bd. 2, Dr. Heinz Küppenbender, Zeugnis, 1. 3. 1952, Karl Frydag, Erklärung, Doch konnten auch intensivierte Betriebsverlagerun- Kassel 14. 2. 1952, Dietrich Stahl, Erklärung an Eides Statt, gen, «Notprogramme» und «Gewaltaktionen» die Nie- Lindau 19. 2. 1952; Speer 1969, S. 436f.; Feldenkirchen 1995, derlage schließlich nicht verhindern. S. 214. 349 Herbert Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie. In: Meinel/Voswinckel 1994, S. 28f. 350 Renneberg/Walker 1994, S. 16. 345 Ludwig 1974, S. ; Klee 2005, S. 521; Gottwaldt in Dumjahn’s 351 Alfred Gottwald/Silke Klewin: Technik. Macht. Krieg. Jahrbuch für Eisenbahnliteratur, Mainz 14 (1997), S. 24–45. Vorbemerkungen zu Buch und Ausstellung. In: Ich diente 346 Klee 2005, S. 297; Agoston 1993, S. 18 bzw. 151f. nur der Technik 1995, S. 13. 347 Feldenkirchen 1995, S. 150. 352 Speer 1969, S. 525. 58 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

5. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Gemeinsame Wege in Wissen- Januar 1933 beschritten die drei Wissenschaftler unter- schiedliche politische Wege. Die konservativ orientier- schaft und Forschung – ten Wissenschaftler Mayer und Piloty lehnten den NS-Staat entschieden ab und suchten Distanz zum getrennte Wege in der Politik: Regime zu wahren. Piloty gab sich allenfalls nach au- ßen loyal und ging mit kritischen Äußerungen an der Das Verhalten von Küpfmüller, Hochschule an die Grenze des Möglichen. Mayer radi- kalisierte seine ablehnende Haltung zu aktivem Wider- Mayer und Piloty im NS-Staat stand. Küpfmüller trat ab 1933 diversen NS-Organi- sationen bei und brachte es bis Kriegsende zum und Krieg SS-Obersturmbannführer. Im Folgenden soll versucht werden, den politischen Weg der drei Wissenschaftler in den Jahren 1933–45 und die zugrunde liegenden Motive aufzuzeigen.

Karl Küpfmüller soll sich in den 1920er Jahren in der Mitte des politischen Spektrums positioniert haben. So erinnerte sich ein damaliger Siemens-Kollege, dass sich Küpfmüller zur Weimarer Demokratie bekannt und die liberale Vossesche Zeitung gelesen habe.353 Ein Kollege aus seiner Danziger Hochschulzeit (1928–35) äußerte, dass sich Küpfmüller in den letzten Jahren der Weima- rer Republik NS-kritisch geäußert und die nationalsozi- alistische Kriegs- und Bauernverherrlichung abgelehnt habe.354 Einer Partei gehörte er, wie auch Piloty und Mayer, in den Weimarer Jahren nicht an.

353 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Julius Wallot, Bestätigung, Karlsruhe-Durlach, 20. 12. 1946. 354 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Prof. Walter Seitz, TH München, Politisches Zeugnis, München 3. 1. 1947. 59 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Am 1. 9. 1933 trat Küpfmüller in Danzig in die Sturm- — dem NS-Kraftfahrkorps/NSKK (1933–45), abteilung (SA) ein.355 In Berlin war er dann im Stab der — dem NS-Lehrerbund/NSLB (1933–35), SA-Brigade 6 aktiv. Am 1. 4. 1937 trat er mit dem Dienst- — dem NSD-Dozentenbund/NSDDB (1935–37), grad Rottenführer (Obergefreiter) aus der SA aus und — der Deutschen Arbeitsfront/DAF (1937–45), wurde zum gleichen Datum mit dem Dienstgrad Ober- — der NS-Volkswohlfahrt (1935–45) sowie – durch scharführer (Feldwebel) und der Mitgliedsnummer Übernahme als VDE-Mitglied – 294587 in die Allgemeine (SS) übernom- — dem Nationalsozialistischen Bund der Technik/ men. Außerdem trat er zum 1. 5. 1937 mit der Mitglieds- NSBDT (1935–1945).358 nummer 4834225 in die NSDAP ein. Der Parteieintritt Nach dem Krieg suchte Küpfmüller bei der Beantwor- war durch die zuvor erfolgte Lockerung der am 1. 5. 1933 tung alliierter Fragebögen und bei der Verteidigung im verhängten Aufnahmesperre möglich geworden.356 Spruchkammerverfahren Mitgliedschaften und Funkti- In der SS war er ab dem Zeitpunkt seiner ersten Be- onen nach Möglichkeit zu minimieren. So wollte er in förderung zum Untersturmführer (Leutnant) am 1. 8. Danzig nur dem NSKK und erst 1935 in Berlin der SA 1939 dem Stab des SS-Oberabschnitts Spree als Führer beigetreten sein. Aus NSKK bzw. SA sei er jeweils ausge- zugeordnet und wurde mehrfach befördert: treten, als ihm die Ableistung von Diensten gedroht — am 9. 11. 1940 zum Obersturmführer habe, und jedes Mal sei er ohne eigenes Zutun an an- (Oberleutnant), dere Parteigliederungen überwiesen worden.359 Küpf- — am 30. 1. 1942 zum Hauptsturmführer müller behauptete gar, nie SS-Vollmitglied gewesen zu (Hauptmann), sein. Er habe keine Beiträge oder Zuwendungen an die — am 9. 11. 1943 zum Sturmbannführer SS abgeführt, keinen Dienst geleistet und keine Ämter (Major) und übernommen sowie keine internen Informationen — am 20. 4. 1944 zum Obersturmbannführer aus der SS erhalten.360 Seine SS-Ränge habe er lediglich (Oberstleutnant). ehrenhalber aufgrund seiner wissenschaftlichen Ver- Zum Vergleich sei bemerkt, dass der Leiter des für die dienste erhalten.361 Die SS habe ihn in «in Ruhe Organisation der Deportation der Juden zuständigen gelassen»362. In Bezug auf seine Ämter in der Rüstungs- Referats im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Adolf forschung räumte Küpfmüller lediglich «Sonderaufga- Eichmann, denselben SS-Rang eines Obersturmbann- ben für die Kriegsmarine» ab 1940 ein, wofür er ein führers erreichte. Leider wissen wir nichts darüber, «kleines Büro» in Berlin-Zehlendorf eingerichtet be- ­welche Aufgaben Küpfmüller als SS-Angehöriger im kommen habe.363 ­Offiziersrang erfüllte. Allgemein ist die Aktenlage bei der Allgemeinen SS schlecht, isb. in Bezug auf die örtli- chen SS-Stürme.357 Erhalten ist lediglich Küpfmüllers 358 Zugrunde gelegt werden die Angaben der NSDAP- und SS-Personalakt, der Eintrittsdatum, Beförderungen und SS-Personalakten: BArchB, SSO/SS, 227 A, Dr. Karl Küpf- müller, SS-Personalbogen sowie Lebenslauf [handschrift- damit verbundenen Schriftwechsel dokumentiert, so- lich], Karl Küpfmüller, Berlin, undatiert; BA, Reichskartei wie Schriftwechsel des Rasse- und Siedlungshauptam- NSDAP, 3200, M0040, Küpfmüller Karl. Die Angaben auf tes-SS, das z. B. für Heiratsgenehmigungen zuständig seiner Karteikarte im REM weichen davon ab: NSKK-Mit- war. gliedschaft 1. 9. 1933–1. 5. 1934, dann SA-Mitgliedschaft ab 1. 5. 1934. BArchB, R4901/13269, Küpfmüller Christian, Darüber hinaus gehörte Küpfmüller einer Reihe wei- Friedrich, Karl [Karteikarte]. terer NS-Organisationen an: 359 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Lagerspruchkammer Internierungslager Hammel- burg, Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage Küpfmüller. 360 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, Fragebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von 355 Zugrunde gelegt werden die Angaben der NSDAP- und Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946, SS-Personalakten: BArchB, SSO/SS, 227 A, Dr. Karl Karl Küpfmüller, 20. 1. 1947. Küpfmüller, SS-Personalbogen sowie Lebenslauf 361 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, [handschriftlich], Karl Küpfmüller, Berlin, undatiert; BA, Küpfmüller an Leiter des Internierungslagers, Hammel- Reichskartei NSDAP, 3200, M0040, Küpfmüller Karl. Die burg 24. 2. 1947. Angaben auf seiner Karteikarte im REM weichen davon 362 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, ab: NSKK-Mitgliedschaft 1. 9. 1933–1. 5. 1934, dann SA-Mit- Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, gliedschaft ab 1. 5. 1934. BArchB, R4901/13269, Küpfmüller Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage Christian, Friedrich, Karl [Karteikarte] Küpfmüller. 356 Wetzel 2009, S. 74–90. 363 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 357 Hein 2010, S. 8. Fragebogen aufgrund des Gesetzes zur Befreiung vom 60 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Auch wenn ihm zugute zu halten ist, dass er sich als bei seinen Beschuldigungen. Er hatte auch ausgesagt, Internierungshäftling beim Ausfüllen der Fragebögen dass Küpfmüller ein Versetzungsgesuch bewusst ver- nicht auf schriftliche Unterlagen stützen konnte, so ist schleppt habe, als ein Siemens-Mitarbeiter wegen sei- ein Bemühen um Verharmlosung doch offenkundig. ner «volljüdischen» Frau vor Kriegsende akut bedroht Die Lagerspruchkammer folgte freilich weitgehend war. Nur durch Flucht habe dieser Kollege der Verfol- Küpfmüllers Einlassungen und stufte ihn als «Mitläu- gung entkommen können.368 Bei der Verhandlung fer» ein. In ihrem Urteil stützte sie sich auch auf von stellte sich heraus, dass der Betroffene Ladendorf selbst der Verteidigung aufgebotene Entlastungszeugen, dar- war, was seine subjektive Verbitterung gegenüber Küpf- unter auf den Unternehmer und Leiter der Bayerischen müller erklärt. Das Gericht konnte jedoch nicht klären, Landesvereinigung der elektrotechnischen Industrie, ob dieser wirklich von diesem Vorfall gewusst hat. Küpf- Dr. Lothar Rohde, der eine jüdische Mutter hatte und müller stritt dies kategorisch ab.369 wegen seiner Funkaktivitäten mit England am 9. Sep- Möglicherweise vermuteten die Rich­ter bei den Aus- tember 1944 verhaftet und mit der Todesstrafe bedroht sagen der Betriebsräte auch eine politische Tendenz: worden war.364 Rohde war zunächst im Reichssicher- Denn in den Nachkriegsjahren besetzten mitunter heitshauptamt inhaftiert, dann im KZ Groß-Rosen, wo Kommunisten in Betrieben Schlüsselpositionen und er im Auftrag der SS leitender Konstrukteur von Agen- suchten Wirtschaftsführer aus ideologischen Erwägun- tenfunkgeräten war und Mayer getroffen haben könnte. gen mit pauschalen Vorwürfen zu diskreditieren. Schließlich kam er in das KZ Dachau, aus dem er sich Erstaunlich ist, dass das Gericht Küpfmüllers offen- beim Herannahen der Amerikaner am 26. April 1945 kundig geschönte Darstellung seiner NS-Mitgliedschaf- auf abenteuerliche Weise selbst befreite.365 ten nicht als negativ wertete. Vom Berlin Document Hingegen schenkten die Richter den Belastungszeu- Center der US-Militärregierung hatten die Richter ex- gen der Anklage keinen Glauben. Der Siemens-Betriebs- akte Personaldaten auf Grundlage der NSDAP-Mit­ ratsvorsitzende Wilhelm Ladendorf und ein Betriebsrat gliederkartei und seines SS-Personalakts erhalten, wo- mit Namen Hellbig lasteten, gestützt auf eine Ausspra- mit die Diskrepanzen offenkundig waren. Auch che mit weiteren Betriebsräten und Obleuten, Küpf- glaubten die Richter Küpfmüller und seinem Entlas- müller mit eher allgemein gehaltenen Vorwürfen tungszeugen Rohde, dass der SS-Rang ein «Ehrenrang» NS-Aktivismus an («In der zentralen Entwicklungslei- war, ohne diese unbewiesene Behauptung nachzuprü- tung S&H war er bis kurz vor Schluss positiv im natio- fen. In der Tat gab es SS-Ehrenränge, so wurde der 1933 nalsozialistischen Sinne tätig.»366). Außerdem pranger- eingesetzte Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler ten sie seine hohen Ämter in der Rüstungsforschung von Heinrich Himmler im selben Jahr zum «SS-Stan- an, machten dabei jedoch inhaltliche Fehler. Die angeb- dartenführer ehrenhalber» ernannt.370 Doch wurden lich von Küpfmüller geleitete «Marineversuchsstelle solche Verleihungen in den SS-Personalakten doku- Steglitz» existierte nicht, es handelte sich offenkundig mentiert. In Küpfmüllers SS-Akt findet sich kein ent- um eine Verwechslung. Hellbig räumte denn auch spä- sprechender Hinweis – im Gegenteil: Die Initiative zum ter ein, die geäußerten Beschuldigungen nur vom SS-Beitritt ging 1937 von ihm selbst aus. Auch ­waren Hörensagen zu kennen.367 Hingegen blieb Ladendorf SS-Ehrenränge grundsätzlich Offiziersränge371, doch wurde dem Ordinarius der TH Berlin Küpfmüller im Aufnahmejahr 1937 lediglich der bescheidene SS- Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946, Dienstgrad eines Oberscharführers (entspricht Feld- Karl Küpfmüller, 20. 1. 1947 bzw. Küpfmüller an Lager- webel) zuerkannt. Seine Beförderungen erfolgten auf spruchkammer, Hammelburg 29. 6. 1947. 364 Privatarchiv Rudolf F. Staritz, Besprechungsprotokoll der Grundlage regulärer und stets positiver Beurteilun- RSHA Berlin und Stapoleitstelle München, Reichenau gen seines SS-Oberabschnitts. Dabei wurde ihm durch- 27. 11. 1944. – Darin ist auch vermerkt, dass sich für die eingezogenen 55% Firmenanteile Rohdes bereits 197 (!) Interessenten gemeldet hätten. 365 «Ein Forscher gegen Hitler», Süddeutsche Zeitung vom 11. 5. 1947; persönliche Mitteilung Rudolf Staritz, 20. 6. 2007. 368 ebd. 366 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 369 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. Betriebsrat ZKL/ZEL an Entnazifizierungskommission, 1897, Dr. Erwin Hölzler an Lagerspruchkammer Hammel- Ladendorf, Hellbig, Siemensstadt 20. 5. 1947 burg, München 17. 10. 1947; dto., Protokoll der öffentlichen 367 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage Küpfmüller. 1897, Betriebsrat ZKL/ZEL an Entnazifizierungskom- 370 Helmut M. Hanko: Kommunalpolitik in der «Hauptstadt mission, Ladendorf, Hellbig, Siemensstadt 20. 5. 1947; der Bewegung». In: Broszat/Fröhlich/Grossmann 1981, Nichtöffentliche Sitzung des Amtsgerichtes Berlin-Mitte, S. 336. Berlin 14. 8. 1947. 371 Hein 2010, S. 171. 61 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg weg bescheinigt, ein überzeugter und zuverlässiger Na- SS-Mitgliedschaft als «Organisationsverbrechen» und tionalsozialist sowie begeisterter SS-Mann zu sein.372 ahndeten sie strafrechtlich. Damit wäre die Fortfüh- Natürlich war die SS an dem herausragenden Wis- rung einer akademischen Karriere sicherlich massiv senschaftler interessiert, wie bei seiner Aufnahme ex- erschwert worden. US-Amerikaner und Franzosen gin- plizit ausgeführt: «Küpfmüller soll trotz Überschrei- gen nicht so weit.376 tung der Altersgrenze in die SS aufgenommen werden, Pauschal folgte die Spruchkammer den Argumenten da er in Anbetracht seiner hervorragenden Kenntnisse des Entlastungszeugen Rohde, obwohl dessen Aussage auf dem Gebiete der Fernmeldetechnik für die Nach- eindeutig falsche Fakten enthielt und von übergroßer richtentruppe von besonderem Wert ist.»373 Im Beför- Sympathie für den Beschuldigten geprägt war, den derungsvorschlag seines SS-Oberabschnitts vom Ja- Rohde bereits während der Internierungszeit als freien nuar 1942 wurden seine wissenschaftlichen Verdienste Mitarbeiter anstellte.377 gewürdigt und ihm darüber hinaus attestiert: «Der SS Auch Küpfmüllers offenkundiger Versuch, seine ho- steht SS-Ostuf. Dr. [sic!] Küpfmüller trotz seiner außer- hen Funktionen in der Rüstungsforschung zu minimie- ordentlichen Arbeitsbelastung stets zur Verfügung.».374 ren, wurde ihm nicht negativ ausgelegt. Hierbei ist frei- Eine mit seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten ver- lich zu berücksichtigen, dass die US-Amerikaner jedem bundene Bevorzugung ist in den Akten aber nicht er- Deutschen grundsätzlich zugestanden, die Kriegsan- kennbar. Zwar fand die Verleihung des prestigeträchti- strengungen seines Landes in gutem Glauben unter- gen Dr. Fritz Todt-Preises in Gold (8. 2. 1944) Eingang in stützt zu haben, solange damit keine Kriegsverbrechen seinen SS-Personalakt. Doch stellte das SS-Personal- verbunden waren. Sein Verteidiger argumentierte denn hauptamt drei Wochen nach der Preisverleihung die auch mit dem patriotischen Pflichtbewusstsein seines von seinem SS-Oberabschnitt beantragte Beförderung Mandanten.378 zum SS-Obersturmbannführer bis auf weiteres zurück. Glaubwürdig sind sicherlich die übereinstimmen- Zum einen legte man ihm seine konfessionelle Bin- den Einlassungen Küpfmüllers und diverser Zeugen der dung negativ aus – er blieb in der evangelischen Kirche, Verteidigung, dass er sich mit politischen Aussagen in und der Vater seiner zweiten Frau war evangelischer der NS-Zeit zurückhielt, Studierende, Untergebene und Pfarrer –, zum anderen wurde er aufgefordert, mit ei- Kollegen nicht zu beeinflussen suchte, in derSS und an- nem gynäkologischen Gutachten über seine Ehefrau deren NS-Organisationen nicht hervortrat sowie in Ein- zu beweisen, dass seine Ehe nicht absichtlich kinderlos zelfällen Verfolgten half. So bescheinigte ihm die Tech- geblieben war.375 Pflichtschuldig lieferte Küpfmüller nische Universität Berlin: den geforderten Nachweis, dass seine Ehefrau keine «Über seine Tätigkeit ist zu sagen, dass er hier an der Kinder empfangen könne, und wurde mit Wirkung Technischen Hochschule niemals in nazistischer Form vom 20. 4. 1944 zum SS-Obersturmbannführer beför- aufgetreten ist oder für die Naziregierung geworben dert. hat, wie es vielfach bei anderen Professoren der Nazi- Küpfmüller hatte Glück, dass er 1945 von der bri- zeit der Fall war. Er hat sich stets objektiv geäussert tischen in die US-amerikanische Besatzungszone ge- und auch seinen Studenten niemals irgendwelche wechselt war. Denn mit Einstufung der SS als «verbre- Werbetätigkeit für das nazistische Regiem [sic!] aufge- cherische Organisation» durch das Nürnberger Mili- zwungen, bzw. die Studenten angeregt, sich nazistisch tärtribunal (1946) werteten die Briten bereits die bloße zu betätigen und in die entsprechenden Organisatio- nen einzutreten.»379

372 So heißt es im Personalantrag vom 24. 9. 1943: 376 Hein 2010, S. 10. «SS-Hauptsturmführer Prof. Küpfmüller ist ein überzeug- 377 So hatte Rohde ausgeführt, Küpfmüller sei weder Mitglied ter Nationalsozialist und tadelloser SS-Führer.» (BArchB, der SS noch der NSDAP gewesen, was aber durch die vor- SSO/SS, 227A (ehem. BDC), Schmeller, Führer des SS-Ober- liegenden NSDAP- und SS-Personalakten widerlegt wurde abschnitt Spree, Berlin 24. 9. 1943. (StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 373 BArchB, RS, D391, 1013f., Der Chef des SS-Hauptamtes, Bayerische Landesvereinigung der elektrotechnischen SS-Ergänzungsamt, an Rasse- und Siedlungshauptamt-SS, Industrie e.V. an Sonderministerium, Dr. Lothar Rohde, Berlin 25. 10. 1937. München 7. 3. 1947). 374 BArchB, SSO/SS, 227A (ehem. BDC), SS-Oberabschnitt 378 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Spree, SS-Brigadeführer Schmeller, Betriff: Beförderungs- Dr. jur. Schwerdtfeger an Vorsitzenden Spruchkammer bei vorschlag, Berlin 6. 1. 1942. – Einen (Ehren-)Doktorgrad der Lagerspruchkammer Hammelburg, Bad Kissingen, erheilt Küpfmüller erst 1944 verliehen. 1. 11. 1947. 375 BArchB, SSO/SS, 227A, Reichsführer-SS, SS-Personal- 379 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, hauptamt, SS-Hauptsturmführer Emmerich, an SS-Ober- TU Berlin, Fakultät für Maschinenwesen, Abt. Elektrotech- abschnitt Spree, 29. 2. 1944. nik, Prof. Dr. Leithäuser, 20. 5. 1947. 62 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Ähnlich wie diverse weitere Arbeitskollegen sagte ende abzuwenden gesucht.384 Doch war er noch bis zum Hans Bartels, der Leiter der Küpfmüller unterstellten 8. Mai 1945 für das Oberkommando der Marine tätig. Zentralen Erprobungsstelle (ZE) von Siemens & Halske, Die Vielzahl seiner NS-Mitgliedschaften und hohen aus: Ämter in der Rüstungsforschung ist ohne eigenes Zu- «Er hat niemals auch nur den geringsten politischen tun sicherlich nicht zu erklären. So fällt auf, dass Küpf- Druck auf seine Untergebenen ausgeübt oder Parteige- müller im September 1933 in Danzig gleich in drei NS- nossen bevorzugt. Er war nach wie vor in seiner Einstel- Organisationen, nämlich die SA, das NSKK und den lung zu seinen Untergebenen von einer unbestechli- NSLB, eintrat. Außerdem unterzeichnete er das «Be- chen Objektivität.»380 kenntnis der Professoren an den deutschen Universitä- Unabhängig vom umstrittenen Fall Mayer (siehe un- ten und Hochschulen zu Adolf Hitler», das am 11. No- ten) soll sich Küpfmüller gemäß Zeugenaussagen in vember 1933 auf einer Festveranstaltung in Leipzig mehreren Fällen für bedrängte Mitarbeiter eingesetzt unter dem Titel «Mit Adolf Hitler für des deutschen Vol- haben, was angesichts recht konkreter Zeugenaussagen kes Ehre, Freiheit und Recht!» vorgetragen wurde.385 glaubwürdig erscheint. So gab der Siemens-Angestellte Die 1919 infolge des Versailler Vertrages gebildete und Doktorand Küpfmüllers in Danzig, Wilhelm Artus, «Freie Stadt Danzig» stand unter dem Protektorat des nach dem Krieg zu Protokoll, dass er 1943 bei einer Aus- Völkerbundes, repräsentiert durch einen Hochkommis- landsreise nach Belgrad wegen abfälliger Äußerungen sar (damals Joost Adriaan van Hamel aus den Nieder- von dortigen SS-Stellen denunziert worden sei. Küpf- landen). Auch hier befanden sich die Nationalsozialis- müller persönlich habe er es zu verdanken, dass die Ge- ten im Aufwind: Bei der Volkstagswahl im Novem- stapo die Angelegenheit in Deutschland nicht weiter- ber 1930 hatte die NSDAP die DNVP und das Zentrum verfolgt habe und eine drohende KZ-Haft abgewendet überflügelt und war mit 16,4 % zweitstärkste Partei worden sei. Küpfmüller habe erreichen können, dass hinter der SPD geworden. In der folgenden Wahl vom Artus nur mit einem Reiseverbot belegt worden sei.381 28. Mai 1933 erreichte die NSDAP mit 50,03 % eine abso- Der Siemens-Mitarbeiter Erwin Hölzler sagte aus, dass lute Mehrheit und stellte die Danziger Stadtregierung ihn Küpfmüller beim Doktorexamen gedeckt habe, als (bis September 1933 unter Einschluss des Zentrums). Hölzler wegen der jüdischen Verwandtschaft seiner Viele Danziger versprachen sich von der NSDAP eine Ehefrau Schwierigkeiten bekommen habe.382 Außer- schnellstmögliche Wiedervereinigung mit dem Reich dem soll sich Küpfmüller bei Admiral Dönitz für den und die Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit. Im wissenschaftlichen Leiter des Nachrichtenmittel-Ver- April 1935 konnte sich die NSDAP auf 59,3 % steigern, suchs-Kommandos und dessen Mitarbeiter eingesetzt verfehlte aber die angestrebte Zwei-Drittel-Mehrheit. haben, nachdem diese wegen «Sabotage der Kriegsan- Wie ihre große Schwester, stärkte auch die Danziger strengungen» denunziert worden waren.383 NS-Regierung ihre Machtstellung durch Verabschie- In den letzten Kriegsjahren soll Küpfmüller desillu- dung eines «Ermächtigungsgesetzes» (24. 6. 1933). Juden sioniert gewesen sein. Gemäß Aussagen von Mitarbei- und NS-Gegner wurden aus dem Staatsdienst entfernt; tern hat er die brutale Verfolgung der Widerständler im Mai 1934 erfolgte das Verbot der KPD, und 1937 löste vom 20. Juli 1944 verurteilt, die diplomatische Beendi- sich die letzte Oppositionspartei auf.386 gung des offenkundig verlorenen Krieges befürwortet, Der im Juni 1933 zum Senator für Wissenschaft, sich und andere vom Volkssturm ferngehalten sowie – Kunst und Volksbildung ernannte Adalbert Böck wie sein Vorgesetzter Friedrich Lüschen – befohlene (NSDAP) betrieb die «Gleichschaltung» des wissen- Zerstörungen von Siemens-Einrichtungen bei Kriegs- schaftlichen und kulturellen Lebens in Danzig. So for- derte er im Juli 1933 anlässlich der Berufung des Chemi- kers und späteren Nobelpreisträgers Adolf Butenandt eine nochmalige Erklärung der Abteilung über dessen 380 Siemens-Forum München, Archiv, Lt 714 / Küpfmüller, Hans Bartels, an Dr. Meine, Personalreferent, Siemensstadt «arische Abstammung» und politische Zuverlässig- 2. 5. 1947. 381 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Wilhelm Artus, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg 10. 12. 1946. 382 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 384 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. Erwin Hölzler an Lagerspruchkammer Hammelburg, 1897, Alfred Sacklowski, Eidesstattliche Erklärung, Göttin- München 17. 10. 1947. gen 31. 1. 1947 bzw. Dr. Ewald Buchmann. Eidesstattliche 383 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Erklärung, Heidenheim 25. 2. 1947. Dr. Ewald Buchmann, Eidesstattliche Erklärung, Heiden- 385 Nat.-soz. Lehrerbund Deutschland/Gau Sachsen o.J., S. 132. heim 25. 2. 1947. 386 Böttcher 31999, S. 56–59; Loew 2011, S. 203–208. 63 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg keit.387 1947 kam die Spruchkammer zu dem Ergebnis, ­Hinsicht von der Propaganda der NSDAP beeinflussen dass der damalige Danziger TH-Rektor Professor Otto liess [...]»393 Eberhard Heuser 1933 der NSDAP beigetreten sei, um in Politisches Wohlverhalten begünstigte natürlich seinem Amt mehr Rückhalt gegenüber dem erstarken- auch die Karriere. 1934 wurden der Mathematiker Ernst den Nationalsozialismus zu haben.388 Pohlhausen zum Rektor und Küpfmüller zum Vizerek- Es fällt auf, dass weder Rektor Heuser (Ordinarius tor der TH Danzig gewählt. Man kann davon ausgehen, für Landwirtschaft) noch Vizerektor Fritz Krischen dass das Kollegium nach der «Säuberung» des Lehrkör- (Ordinarius für Allgemeine Kunstgeschichte, Bauge- pers durch die NS-Stadtregierung politisch «zuverläs- schichte und Formenlehre der Antike) jenes Bekenntnis sige» Kandidaten wählte. Rektor Pohlhausen wurde den der Professoren zu Adolf Hitler unterzeichneten. Doch Erwartungen gerecht. So teilte er im Februar 1935 allen schlossen sich 42 von 68 Danziger TH-Professoren dem Mitgliedern des Lehrkörpers mit: Aufruf an, eine sehr hohe Zahl.389 Dies spricht eher für «Wir wollen es vermeiden, dass die gute nationalso- freiwillige Anpassung und Zustimmung als für politi- zialistische Gesinnung der weit überwiegenden Mehr- schen Druck an der Hochschule. heit unserer Assistenten dadurch in gewissen Zweifel Das politische Klima in Danzig war damals von An- gezogen wird, dass einzelne Assistenten den Beitritt schlusswünschen an das Deutsche Reich und Polen- zum N.S.L.B. (auf dem Wege über die Danziger Dozen- furcht geprägt. Ein Papier des Reichsministeriums für tenschaft) verweigern. Ich bitte daher, in die Anträge Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung hob aner- auf Einstellung von Assistenten künftig die Mitteilung kennend hervor, dass die «alte völkische Vorposten- aufzunehmen, dass der Einzustellende bereit ist, dem stellung Danzig» von Anfang an für die nationalsozia- N.S.L.B. beizutreten.»394 listische Weltanschauung «mehr aufgeschlossen war Im selben Jahr leitete der Rektor sein Vorwort zum als manche andere Landschaft Deutschlands»390. Die «Danziger Hochschulführer» – fast prophetisch – mit TH Danzig verstand sich als Bastion des Deutschtums den Worten ein: «Der Nationalsozialismus ist Schicksal im Osten. So hieß es im Vorwort des «Danziger Hoch- für das deutsche Volk geworden», und er fuhr fort: «Die schulführer 1930/31», Sinn und Zweck «dieses Büch- deutschen Hochschulen – und mit ihnen die Danziger leins» sei es, «Kunde zu geben von einer Hohen Schule Hochschule – [...] müssen ausgerichtet sein nach dem im deutschen Osten» und «Herzen zu wecken im Wollen des Führers».395 Im selben Hochschulführer Kampfe für deutsche Art»391. Über das politische Klima beschrieb Küpfmüller das Studium der Elektrotechnik, an der Technischen Hochschule und der Medizinischen allerdings rein fachlich und ohne weitere politische Akademie schreibt der Stadthistoriker Peter Oliver Stellungnahme.396 Loew: «Doch Bildung schützt vor Dummheit nicht, und Auch wenn sich Küpfmüller an den Nationalsozialis- so begleiteten viele Angehörige der Danziger Bildungs- mus anpasste, damals möglicherweise auch mit dessen eliten Hitlers Weg in den Krieg, bei dem der Freien Stadt Zielen sympathisierte, so geben die Akten doch keinen eine besondere Rolle zukommen sollte, mit großer Hinweis darauf, dass er sich während seiner Danzi- Zustimmung.»392 ger Zeit politisch hervortat. Ganz anders sein Nachfol- Auch Küpfmüller dürfte von der herrschenden ger Professor Hans Schwenkhagen: In seiner elektro- deutschnationalen, zunehmend nationalsozialistisch technischen Vorlesung äußerte das SA-Mitglied im überlagerten Atmosphäre angesteckt worden sein. Sein Oktober 1937 unverhohlene Kritik am polnischen «Kor- Danziger Kollege Walter Seiz sagte 1947 aus: «Später ridor» und provozierte damit diplomatische Protest- musste ich [...] feststellen, dass er sich in mancher noten der Republik Polen an den Senat der Freien Stadt Danzig.397

387 APG, Politechnika w Gdańsku, APG 988/40 Butenandt, Adolf, Technische Hochschule Danzig, Abteilung für Che- 393 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. mie, Klemm, an Senator Boeck, Danzig-Langfuhr 6. 7. 1933. 1897, Prof. Walter Seiz, TH München., Politisches Zeugnis, 388 BayHStA, MK 43218 Dr. Heuser Otto Eberhard, Spruch- München 3. 1. 1947. kammer München-Land, Az 257/46–Grä. 2345, Wenig- 394 APG, Politechnika w Gdańsku, APG 988/346 Oberländer, Rüttgers, Besi. Lehner, Riedl, München 23. 4. 1947. Theodor, Technische Hochschule Danzig, Rektor Pohl- 389 Darunter auch der spätere Nobelpreisträger Adolf hausen an sämtl. Mitglieder des Lehrkörpers, Danzig- Butenandt. Hochschullehrerstatistik gemäß Technische Langfuhr 20. 2. 1935. Es handelte sich um den National- Hochschule Danzig 1933/34, S. 15–27. sozialistischen Deutschen Lehrerbund (NSLB). 390 zit. nach Heiber 1994, S. 23. 395 Dr. Ernst Pohlmann, Rektor: Vorwort. In: Deutsche Studen- 391 Geleitwort von Prof. Dr-Ing. E.h. Otto Lienau, Rektor. tenschaft Danzig 61935, ohne Paginierung. In: Deutsche Studentenschaft Danzig 1930/31, S. 7. 396 Karl Küpfmüller: «Elektrotechnik». In: ebd., S. 55–56. 392 Loew 2011, S. 217 397 Schwenkhagen soll beim Zeichnen einer Figur an der 64 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Im Jahr 1935 gelang Küpfmüller dann mit 38 Jahren In einem Schreiben vom 10. 5. 1935 an das Reichser- der Sprung auf den begehrten Lehrstuhl für Elektro- ziehungsministerium im Rahmen der Berufungsver- technik der prestigeträchtigen TH Berlin. Doch fällt auf, handlungen hatte Küpfmüller die «Zersplitterung der dass er ihn nach nur zwei Jahren aufgab, um wieder zu verschiedenen zur Elektrotechnik gehörenden Räume Siemens & Halske zu wechseln und in die Leitung des und Laboratorien» beklagt und einen Neubau gefor- Wernerwerks F einzutreten.398 dert, zumindest Modernisierung und Erweiterungen Anscheinend hatte sich Küpfmüller Mitte der 1930er der bestehenden Räume und Modernisierung der Büro- Jahre mit Vorschlägen für eine Verbesserung des akade- und Laborausstattung binnen drei Jahren. Man wollte mischen Nachwuchses an die NSDAP gewandt. In sei- ihn unbedingt an der TH Berlin halten. Der «Reichs- nem Entnazifizierungsverfahren behaupteten Betriebs- und Preuß. Minister für Wissenschaft, Erz. und Volksbil- räte, dass er von der NSDAP sogar in leitender Stelle mit dung» forderte in einem Schreiben vom 15. 2. 1937 an Ausbildungsfragen betraut worden sei.399 Dies stritt den Preußischen Finanzminister im Rahmen der Blei- Küpfmüller ab, er habe aus eigenem Entschluss Stel- beverhandlungen für Küpfmüller einen sofortigen Ins- lung genommen, damit aber keinen Erfolg gehabt: «In titutsneubau mit einer Bausumme von 2,25 Mio. RM.403 meinem Abschiedsgesuch habe ich zum Ausdruck ge- Dies ließ sich offensichtlich nicht realisieren. Am bracht, dass ich mit den damals eingeführten Maßnah- 27. 4. 1937 schrieb die NS-Dozentenschaft der TH Berlin men in der Ausbildung des akademischen Nachwuch- an das Reichserziehungsministerium, Küpfmüller sei ses nicht einverstanden war».400 Auch sagte er aus, dass ausgeschieden, «da von keiner Stelle die Zusage zu er- ihn nationalsozialistische «Geringschätzung der Wis- reichen war, dass das elektrotechnische Institut in aller senschaften und die daraus folgende Vernachlässigung Kürze einmal modernisiert werden würde».404 Gleich- derselben» sowie Einschränkung seiner akademischen zeitig forderten die Dozenten am 19. 4. 1937, ebenso wie Freiheit zur Aufgabe seines Lehrstuhls bewogen hät- parallel dazu die Fakultät, das Ministerium auf, Küpf- ten.401 Die geäußerte Kritik mag zutreffend sein – die müller über eine Honorarprofessur weiter an die Wissenschaften genossen in der Tat bei der häufig nicht TH Berlin zu binden, was auch erfolgte. akademisch gebildeten NS-Elite eine eher geringe Wert- Küpfmüllers Personalakt im Reichserziehungsmi- schätzung, und an der TH Berlin erfolgten massive poli- nisterium verweist außerdem darauf, dass das Indus- tische Interventionen von Seiten des aktivistischen Ber- trieangebot sehr attraktiv war: liner Gaudozentenbundführers Oberingenieur Dr. Willi «Es liegt auf der Hand, daß das Angebot der Firma Willing, der an Küpfmüllers Fakultät eine Dozentur und Siemens & Halske, hinter dem fast unbeschränkte Mit- später eine Professur für Elektrizitätswirtschaft inne- tel stehen, für Professor Küpfmüller außerordentlich hatte.402 Doch gab es zwei andere Motive, die sicherlich verlockend sein muß, zumal sein Berliner Institut, das bedeutsamer für seine berufliche Veränderung waren: bereits vor 25 Jahren als veraltet angesehen werden erstens die ungenügende Ausstattung seines Lehrstuhls, mußte, heute in keiner Weise mehr den bescheidenen zweitens die hohe Attraktivität des Industrieangebots. Anforderungen genügt, die an ein solches Institut ge- stellt werden müssen (...)»405, so das REM. Bereits 1932 hatte Siemens & Halske versucht, Küpf- müller zurückzugewinnen, und ihm die Leitung des Tafel ausgeführt haben: «Hier legen wir eine Grenze, die 406 ganz willkürlich ist, so wie der polnische Korridor.» (APG, Zentrallaboratoriums angeboten. Nun wurden ihm Politechnika w Gdańsku, APG 988/227, Diplomatischer umfangreiche Sachmittel, eine ansehnliche Gewinnbe- Vertreter der Rep. Polen in Danzig, Uebersetzung, i.V. T. teiligung und die Erteilung einer Generalbevollmächti- Perkowski, Danzig 15. 10. 1937). 398 Siemens Forum München, Archiv, 13 / Lt 714, Siemens & gung angeboten. Auch wurde ihm in Aussicht gestellt, Halske, Witzleben an Küpfmüller, Berlin 25. 11. 1936. 399 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Betriebsrat ZKL/ZEL an Entnazifizierungskommission, Ladendorf, Hellbig, Siemensstadt 20. 5. 1947. 400 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 403 BArchB, R 4901, 23310. Küpfmüller an Lagerspruchkammer z.Hd. Herrn Schubert, 404 ebd. Hammelburg 29. 6. 1947. – Das Abschiedsgesuch ist in sei- 405 BArchB, R4901, 23310, Der Reichs- u. Preuß. Minister für nem Personalakt im Reichserziehungsministerium leider Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Zschintzsch, an nicht erhalten, ebenso wie die geschilderten Stellung- Preußischen Finanzminister, Berlin 15. 2. 1937. – Die Hoch- nahmen. schule sah auch keine Möglichkeit, die entsprechenden 401 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Mittel für eine Modernisierung des Instituts einzuwerben, Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, um Küpfmüller halten zu können. Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947. 406 Siemens-Forum München, Archiv, 13 / Lt 714, Siemens & 402 Heiber 1994, S. 27, 30, 238, 427. Halske, E. Thürmel an Küpfmüller, 23. 3. 1932. 65 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg die Verantwortung für die gesamte technische Entwick- bestens geeignet, denn Willing wählte nur «erstklassige lung des F-Werk-Gebiets zu übernehmen, was schließ- Fachleute, die auch politisch einwandfrei sind»410, aus. lich 1941 erfolgte.407 Sein Wechsel in die Industrie war Küpfmüller scheute sich nicht, am Institut für somit eher der eigenen Karriere als einer Kritik am NS- Schwingungsforschung den Posten eines Vorgängers Staat geschuldet. (Professor Hans Salinger) zu übernehmen, der auf Wil- Küpfmüller weitete seine Mitgliedschaften in NS- lings Betreiben als «Vollblutjude» entlassen worden Organisationen seit 1933 allmählich aus, gipfelnd 1937 war.411 Auch nahm es Küpfmüller hin, dass der Direk- in seinem Eintritt in die NSDAP und SS. Dieses Vorge- tor des Instituts, sein früherer Vorgesetzter und hen mag in Zusammenhang mit der schrittweisen Fes- Mentor bei der Deutschen Reichspost Professor Karl tigung der nationalsozialistischen Herrschaft im Deut- Willy Wagner, unter dem Vorwand des Missbrauchs sei- schen Reich stehen: Je stärker die NSDAP Fuß fasste, nes Dienstwagens und anderer unterstellter Unregel- desto größer wurde seine Bereitschaft, sich zu arrangie- mäßigkeiten aus politischen Gründen entfernt wurde. ren. In diese Richtung deutet eine von einem Siemens- Wagner hatte sich den Zorn der NS-Funktionäre zugezo- Kollegen überlieferte Aussage Küpfmüllers aus jenen gen, da er in seinem Institut die Hand über jüdische Jahren: «Später sagte er mir einmal, daß sich ein ­Eintritt Mitarbeiter hielt. Man griff daraufhin zu Schikanen in die Partei wohl früher oder später nicht vermeiden und schließlich zu einer gefälschten Revision der Insti- liesse, um seine Fähigkeiten in den Dienst der Technik tuts-Geschäftsführung.411a Andererseits gibt es keinen zu stellen. Man könne sich nicht in den Schmollwinkel Hinweis darauf, dass Küpfmüller an diesen Machen- zurückziehen».408 schaften aktiv beteiligt war. Die Protokolle der Abtei- In seinen zahlreichen Beurteilungen durch Hoch- lungsvorsteherbesprechungen der Jahre 1936/37 bele- schul-, Partei- und SS-Stellen ist unisono zu lesen, dass gen, dass er sich nur zu fachlichen oder organisatorischen Küpfmüller ein guter und engagierter Nationalsozialist Fragen zu Wort meldete.412 Dass schließlich 1937 nicht sei. Auch wenn er diese Ideologie vielleicht nicht ver­ Küpfmüller, sondern der gleichzeitig mit ihm berufene innerlicht hatte, war er zumindest bemüht, bei den Professor Heinrich Fassbender (Leiter der Abteilung III ­relevanten Stellen diesen Anschein zu erwecken. für Hochfrequenztechnik) zum Direktor des Instituts Von seinen NS-Mitgliedschaften konnte Küpf-müller für Schwingungsforschung ernannt wurde, mag ein beruflich profitieren. So wurde er im Juni 1936 als neuer weiterer Grund für die Rückkehr Küpfmüllers in die In- Leiter der Abteilung I (Fernmeldetechnik) am Hein­rich- dustrie gewesen sein. Möglicherweise hatte er darauf Hertz-Institut für Schwingungsforschung (HHI) in Ber- gehofft, Institutsdirektor zu werden. lin eingesetzt.409 Diese Tätigkeit wurde in Personalunion Auffällig ist, dass Küpfmüller just zu jenem Zeit- mit seinem TH-Lehrstuhl ausgeübt. Der NS-Gaudozen- punkt in die SS und NSDAP eintrat, als er sich von sei- tenbundführer Oberingenieur Dr. Willi Willing war nem Amt als Ordinarius an der TH Berlin beurlauben zum 1. 1. 1936 als kommissarischer Direktor am HHI ein- ließ. Im Fall der NSDAP war der Zeitpunkt des Eintritts gesetzt geworden, um eine politische «Säuberung» und (1. 5. 1937) durch die Lockerung der am 1. Mai 1933 ver- Neuausrichtung des von der Gesellschaft für Schwin- gungsforschung unterhaltenen Instituts durchzufüh- ren. Da Willing eine Personalunion der Abteilungs­ 410 HHI, Will-HHI-1e, Dr. Willi Willing an Dr. Hubmann, vorsteher mit den Lehrstuhlinhabern der TH Berlin Vereinsführer der Studiengesellschaft für Schwingungs- anstrebte, lag die Ernennung Küpfmüllers nahe. Offen- forschung, Berlin, 21. 10. 1935. kundig erschien ihm der SA-Mann Küpfmüller aber 411 «Der Leiter der Abteilung Fernmeldetechnik, Professor Salinger, ist augenblicklich auf Antrag von Präsident auch vom politischen Standpunkt für diese Aufgabe K.W. Wagner beurlaubt, da er Vollblutjude ist. Er wird am zweckmäßigsten entlassen. Die Leitung dieser Abteilung erhält der ordentliche Professor Küpfmüller. Zu seiner Unterstützung wird auf die freie Planstelle von Professor Salinger noch ein Fachmann eingestellt.» (HHI, Will- 407 Siemens-Forum München, Archiv, 13 / Lt 714, Siemens & HHI-1b / Will-HHI-1c, Willi Willing an Dr. Hubmann, Halske, Witzleben an Küpfmüller, Berlin 25. 11. 1936 bzw. Vereinsführer der Studiengesellschaft für Schwingungs- Küpfmüller, Rundschreiben «D» Nr. 104, von Buol, Berlin forschung, Berlin, 21. 10. 1935). Salinger emigrierte 1936 in 5. 4. 1941. die USA und arbeitete für die Farnsworth Television & 408 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Radio Corp. in Fort Wayne, Indiana. Julius Wallot, Bestätigung, Karlsruhe-Durlach, 20. 12. 1946. 411a Baganz 2013, S. 119 f. 409 HHI, 16.06. 1936, Az Will-HHI-8, Bl. 1–14, Niederschrift 412 Siehe die Niederschriften der Abteilungsvorsteherbe- über die erste öffentliche Sitzung des wissenschaftlichen sprechungen im Archiv des Fraunhofer-Instituts für Nach- Ausschusses der Studiengesellschaft für Schwingungs- richtentechnik/Heinrich-Hertz-Institut (Will−12a−HHI bis forschung e.V. am 16. Juni 1936. Will−20−HHI). 66 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

hängten Mitgliedersperre mitbestimmt413, doch im Fall senorganisation, die SS eine elitäre Gemeinschaft und der SS war er frei gewählt. Möglicherweise suchte er «Staat im Staat». 1933 traten nicht wenige Deutsche aus sich Rückendeckung für seine Industriekarriere zu ver- bürgerlichen und adligen Kreisen in die SS ein, um schaffen, und verließ die durch die Röhm-Affäre diskre- sich von der «proletarischen» SA abzusetzen und einer ditierte, einflusslos gewordene SA. Sein schneller Auf- als diszipliniert und respektabel geltenden Elite mit stieg in der Rüstungsforschung wurde durch die SS- und schicken schwarzen Uniformen anzuschließen.419 Bei NSDAP-Mitgliedschaften sicherlich unterstützt. der blutigen Entmachtung der SA im Jahr 1934 demons- Es ist nicht davon auszugehen, dass von seinem trierte die SS aber erstmals ihre Brutalität. Weiterhin neuen Arbeitgeber Druck ausging, NS-Organisationen ging von der Organisation eine elitäre Faszination aus, beizutreten. Der 1941 verstorbene Vorstandsvorsitzende doch zunehmend verbreitete sie auch Furcht und Carl Friedrich von Siemens stand den Nationalsozialis- Schrecken. Dies war durchaus im Sinn ihres Führers ten kritisch-distanziert gegenüber und suchte die Auto- Heinrich Himmler: «Ich weiß, dass es manche Leute in nomie der Firma zu verteidigen. Im Vorstand gab es Deutschland gibt, denen es schlecht wird, wenn sie die- Unterstützer der Nationalsozialisten (wie Rudolf Bin- sen schwarzen Rock sehen, wir haben Verständnis dafür gel, Mitglied des Freundeskreises des Reichsführers-SS und erwarten nicht, dass wir von allzu vielen geliebt Heinrich Himmler) und Gegner (wie Heinrich von werden.»420 Ein Jahr vor Küpfmüllers Eintritt hatte die Buol).414 Küpfmüllers direkter Vorgesetzter Friedrich SS die Kontrolle über die Polizei übernommen und ver- Lüschen stand gemäß Nachkriegsaussagen dem Natio- fügte damit über einen gefürchteten Überwachungs- nalsozialismus kritisch gegenüber, suchte dessen Ein- und Einschüchterungsapparat, gestützt auf Instru- fluss im Betrieb zu minimieren und vermied es lange, mente wie die Gestapo, den (SD) und der NSDAP beizutreten.415 die Konzentrationslager. Die SS stellte besondere For- Auch wenn Küpfmüller seine berufliche Karriere da- mationen auf, um die KZ-Häftlinge zu bewachen, die mals politisch abzusichern suchte, war er doch kein sog. SS-Wachverbände, die ab 1936 als SS-Totenkopfver- klassischer «Nutznießer». Dies hatte auch das Spruch- bände firmierten.421 kammerurteil verneint, gestützt auf Aussagen wie die- In ideologischer Hinsicht betrachtete sich die SS als jenige von Professor Walter Seiz: «Seine glänzende be- Speerspitze der NS-Bewegung und nahm nur besonders rufliche Laufbahn jener Zeit verdankte er nur seinen befürwortete Anwärter auf, an die hohe Anforderungen überragenden Fähigkeiten und Leistungen, nicht ir- und Erwartungen gestellt wurden. So führte SS-Richter gendwelchen parteipolitischen Einflüssen.»416 Immer- Paul Scharfe aus: «Der SS-Mann nimmt gegenüber dem hin hatte er 1935 nicht nur von der TH Berlin, sondern einfachen Pg [Parteigenossen, Vf.] natürlich eine Son- ein Jahr zuvor von der TH Stuttgart einen Ruf erhal- derstellung ein, insbesondere dadurch, dass er die Be- ten417, und auch die TH Dresden hätte ihn 1935 gerne an wegung und ihren Führer nötigenfalls durch Hergabe die Spitze eines Berufungsvorschlags gesetzt, doch war seines Lebens zu schützen hat. Diese Sonderstellung er zu diesem Zeitpunkt bereits vergeben.418 [...] hat selbstredend eine Sonderbehandlung des SS- Mit dem Eintritt in die Allgemeine SS überschritt Mannes im Gefolge.422 Küpfmüller 1937 den Rubikon. Die NSDAP war eine Mas- Wie Bastian Hein in seiner neu erschienenen Habili- tationsschrift über die Allgemeine SS schreibt, eröff- nete die Aufnahme in die Allgemeine SS die Zugehörig- 413 Juliane Wetzel: Die NSDAP zwischen Öffnung und Mit- keit zu einer politischen und gesellschaftlichen Elite gliedersperre. In: Wolfgang Benz, Hg.: Wie wurde man mit der Aussicht auf Karriereförderung. Doch seien den Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, S. 74–90. 414 Erker 1993, S. 38f.; Feldenkirchen 1995, S. 212f. über 200 000 Mitgliedern aus allen Schichten der Ge- 415 Siemens 1952, S. 366; Siemens-Forum, Archiv, 13/Lt 721 Bd. 2, sellschaft (davon 90 % wie Küpfmüller nebenberuflich) Dr. Heinz Küppenbender, Zeugnis, 1. 3. 1952, Karl Frydag, auch erhebliche Zumutungen auferlegt worden.423 Die Erklärung, Kassel 14. 2. 1952, Dietrich Stahl, Erklärung an SS unterzog die Anwärter einem Ausleseprozess, so Eides Statt, Lindau 19. 2. 1952. 416 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, mussten sie sich einer ärztlichen und rassekundlichen Prof. Walter Seiz, TH München, Politisches Zeugnis, Musterung unterziehen, ihre Gesinnungstreue doku- München 3. 1. 1947. 417 BArchB, R4901, 23310, Der Reichs- u. Preuß. Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Zschintzsch, an Preußischen Finanzminister, Berlin 15. 2. 1937. 419 Höhne 1989, S. 125f. 418 BArchB, R4901, 13597, Kurtzbach, Vorstand Mechanische 420 Zit. nach Höhne 1989, S. 7. Abteilung der TH Dresden über Rektor an Reichsministe- 421 Hein 2010, S. 90f. rium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung, 422 Zit. nach Höhne 1989, S. 140. Dresden 18. 11. 1935. 423 Hein 2010, S. 307f. 67 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg mentieren und einen weit zurückreichenden Ahnen- Bindeglied bei der Mobilisierung und Disziplinierung nachweis zum Nachweis ihrer «arischen» Abstammung der deutschen Gesellschaft, auch wenn nicht alleSS -An- erbringen.424 Mit der Aufnahme unterlagen sie einer gehörigen den hoch angesetzten Erwartungen entspra- systematischen Mobilisierung, Disziplinierung und chen.433 weltanschaulichen Schulung.425 Der SS-Eid forderte Den Zeitgenossen war der qualitative Unterschied Gehorsam gegenüber den Führern bis in den Tod.426 zwischen Partei und SS wohl bewusst. Beispielsweise SS-Mitglieder mussten sich der Weisungsbefugnis des trat jeder sechste Hochschullehrer der TH München ab Reichsführers-SS Heinrich Himmlers unterstellen und 1933 der NSDAP bei. Hingegen sind unter ca. 140 Hoch- einem besonderen Ehrenkodex unterwerfen, beispiels- schullehrern der Jahre 1933–35 ganze zwei SS-Vollmit- weise waren sie zur unbedingten Satisfaktion mit der glieder bekannt.434 Der aktivistische THM-Rektor Lutz Waffe gegenüber anderen SS-Angehörigen verpflichtet. Pistor wurde Mitglied zahlreicher NS-Organisationen, Auch unterstanden sie einer internen SS-Disziplinarge- soll sich aber von einer nahe liegenden SS-Mitglied- richtsbarkeit.427 An zwei Werktagen pro Woche und schaft bewusst fern gehalten haben.435 zwei Sonntagen pro Monat mussten SS-Männer in ih- Nur wenige namhafte Ingenieure in Deutschland ren Stürmen Dienst ableisten. Er umfasste sportliche schlossen sich der SS an. Bekanntester Vertreter war der und wehrsportliche Betätigung, Kameradschaftsveran- Raketenforscher und Technische Direktor der Heeres- staltungen und weltanschauliche Schulungen. Für über versuchsanstalt Peenemünde Wernher von Braun. 1938 35-Jährige, wie im Fall Küpfmüllers, galten freilich ver- trat er der NSDAP, 1940 der Allgemeinen SS bei, wo er es minderte zeitliche Anforderungen.428 SS-Angehörige bis zum Sturmbannführer (Major) brachte, einen Rang wurden für besondere Aufgaben wie Sammlungstätig- niedriger als Küpfmüllers letzter Rang. Die Forschung keit, Wahlkampfhilfe und Organisation von politischen geht davon aus, dass von Braun diesen Schritt aus Veranstaltungen herangezogen.429 Nach Kriegsaus- ­Opportunismus unternahm: Um alle verfügbare Unter- bruch wurde erwartet, dass sich Angehörige der Allge- stützung für seine Lebensvision, den Raketenbau, zu meinen SS zur Waffen-SS meldeten bzw. die durch Ein- bekommen, wollte er sich die Unterstützung der mäch- berufungen verwaisten Ränge der Polizei und der tigen, an wissenschaftlichen Entwicklungen interes- KZ-Wachmannschaften auffüllten.430 sierten SS sichern.436 Verlangt wurden eine einwandfreie nationalsozia- Küpfmüller akzeptierte mit dem Eintritt in diesen listische Gesinnung und «rassenbewußtes» Verhalten. politischen «Orden» eine weitreichende Einschrän- SS-Angehörige wurden zu einer«arischen» und «erbge- kung seiner beruflichen und privaten Freiheit, was er sunden» Eheschließung im Alter von 25–30 Jahren und bald zu spüren bekam. So musste er sich um eine nach- der Zeugung von mehreren Kindern aufgefordert. Ent- trägliche Genehmigung des Rasse- und Siedlungs- sprechende Unterlagen über sich und die Braut (bis hin hauptamtes-SS für seine Wiederverheiratung bemühen zu Fotos im Badeanzug) waren dem Rasse- und Sied- und hierfür die «arische» Abstammung seiner Braut lungshauptamt der SS einzureichen, das der Ehe zu- nachweisen, wurde nach eigenen Angaben gedrängt, stimmen musste.431 Gemäß Heinrich Himmler war aus der Kirche auszutreten (was er aber wie viele SS-An- die Religionszugehörigkeit in der SS grundsätzlich Pri- gehörige nicht tat), und hatte sich wegen der Kinderlo- vatsache, doch war eine antiklerikale Tendenz offen- sigkeit seiner Ehe zu rechtfertigen.437 Möglicherweise kundig. Eine kirchliche Trauung galt als unerwünscht. wurde er mit Bezug auf seine SS-Mitgliedschaft als In- Ersatzweise organisierte die SS «Eheweihen» wie auch formant über Vorgänge und Personen bei Siemens & «Namensweihen» und «Totenweihen».432 Bastian Hein Halske vom SD bzw. der Gestapo abgeschöpft. Und als erkennt der Allgemeinen SS eine größere Bedeutung für den NS-Herrschaftsapparat zu, als es bisher in der Forschung der Fall war. Er sieht in ihr ein zentrales 433 ebd., S. 313. 434 zit. nach Martin Pabst: Geschichte der Technischen Universität München. In: Herrmann 2006, Bd. 1, S. 232; Auswertung von HATUM-Personalakten durch den Vf.. 424 ebd., S. 113–125. 435 ebd., S. 232f., 260f. 425 ebd., S. 312. 436 Neufeld 2009, S. 151–153. Himmler misstraute ihm 426 ebd., S. 126. später allerdings; im März 1944 wurde Braun von der 427 Höhne 1989, S. 140. Gestapo kurzfristig wegen Verdachts auf Defaitismus, 428 Hein 2010, S. 309, 314. Wehrkraftzersetzung und Vorbereitung zur Flucht nach 429 ebd., S. 267. Großbritannien verhaftet. Interventionen u. a. von 430 ebd., S. 271–284. Seite Albert Speers führten zu seiner Freilassung 431 Höhne 1989, S. 146f. (ebd., S. 204–210). 432 Hein 2010, S. 244–253. 437 hierzu ausführlich S. 61. 68 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Wissenschaftler stand er unter dem latenten Druck, Das Urteil über seine Person müsste allerdings revi- seine Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst der SS diert werden, wenn sich der Verdacht bestätigen würde, zu stellen, ungeachtet damit möglicherweise verbunde- dass Küpfmüller 1943 Mayer bei der Gestapo angezeigt ner moralischer Zumutungen. hat. Dessen Ehefrau Betty war bis zu ihrem Tod der fes- Auch Küpfmüller war der qualitative Unterschied ten Überzeugung, dass Küpfmüller «aus Karriereneid, zwischen NSDAP- und SS-Mitgliedschaft wohl bewusst. aus wissenschaftlichem Neid und wegen völlig unter- So trug er im Betrieb das Parteiabzeichen, vermied es schiedlicher politischer Ansichten»441 eine wesentliche aber tunlichst, als SS-Mitglied erkannt zu werden.438 Rolle bei der Verhaftung ihres Mannes gespielt habe. Nur einmal, im Jahr 1943, wurde er von Kollegen in SS- Bei ihren Bemühungen um die Freilassung ihres Man- Uniform als Sammler für das Winterhilfswerk des Deut- nes hatte sie sich an diverse Mitarbeiter von Siemens & schen Volkes gesehen, anscheinend aber außerhalb des Halske gewandt (so Hermann von Siemens, Friedrich Firmengeländes.439 Es fällt auch auf, dass er zu seinem Lüschen, Alfred Sacklowski), doch dezidiert nicht an SS-Personalakt nicht, wie die meisten anderen SS-Ange- Küpfmüller.442 hörigen, ein Bild in Uniform, sondern ein solches in Zi- Mayer selbst hatte Küpfmüller freilich im Septem- vil einreichte. ber 1947 in einem ausführlichen Schreiben an die La- Zwingend war der Eintritt in die SS sicherlich nicht, gerspruchkammer entlastet: zumal Küpfmüller ja bereits mit dem Eintritt in die «Ich bin vielmehr davon ueberzeugt, dass K. nach NSDAP eine genügende politische Loyalitätsbekun- meiner Verhaftung alles getan hat, meine Freilassung dung abgab. Eine Verbindung zur SS hätte Küpfmüller zu erwirken, und als sich dieses als unmoeglich heraus- zudem über eine SS-Fördermitgliedschaft etablieren stellte, mir Verguenstigungen zu erwirken. Er besuchte können, die sich auf finanzielle Zuwendungen be- mich im Herbst 43 im KZ Dachau und erreichte durch schränkte.440 Sog. F.M.S.S. waren keine Mitglieder der SS ein [sic!] Ruecksprache mit dem damaligen Komman- und unterstanden nicht der Weisungsbefugnis Himm- danten Weiss, dass ich im Lager Dachau gewisse Ver- lers. Nicht wenige Wirtschaftsführer und Professoren guenstigungen erhielt. Er setzte sich auch dafuer ein, beschritten diesen harmloseren Weg einer Annähe- dass meiner Frau das Gehalt ungekuerzt weiter gezahlt rung. Offenkundig suchte Küpfmüller 1937 aus freien wurde, wodurch meine Familie von materieller Not be- Stücken für seine industrielle und wissenschaftliche wahrt blieb. [...] Dr. Lueschen, der Vorgesetzte Kuepf- Karriere Rückhalt bei der SS, der einflussreichsten Kraft muellers, erzaehlte mir nach der Befreiung, dass K. sei- im NS-Staat – mit allen damit verbundenen Risiken. nen ganzen Einfluss bei Speer eingesetzt haette [sic!] Wahrscheinlich war eine Mischung aus (vielleicht mich wieder aus dem KZ herauszubekommen und dass nur anfänglicher) politischer Begeisterung und karrie- er – Lueschen – 2 mal bei dem Gestapochef Kaltenbrun- reorientiertem Opportunismus für Küpfmüllers Hin- ner gewesen sei. Es sei nichts weiter zu erreichen gewe- wendung zum Nationalsozialismus verantwortlich. Als sen als eine Niederschlagung des zuerst beabsichtigten NS-Aktivist trat er nicht hervor. Wie es seinem zurück- Schauprozesses vor dem Volksgerichtshof. Jedenfalls haltenden Naturell entsprach, machte Küpfmüller haette ich es ihm und K. zu verdanken, dass ich ‹den seine politische Positionierung nach außen nicht deut- Kopf noch auf den Schultern trage›.»443 Mayer konnte lich. Kollegen und Mitarbeiter reagierten daher völlig im Spruchkammerverfahren nicht als Zeuge vernom- überrascht, wenn sie im Zuge der Recherchen zu die- men werden, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits sem Manuskript erfuhren, dass er hochrangiges SS-Mit- wieder in den USA aufhielt.444 glied war. Formale und inhaltliche Gesichtspunkte sprechen dafür, dass es bei diesem Schreiben Mayers nicht um

438 Sein Mitarbeiter Alfred Sacklowski sagte nach dem Krieg aus: «Dass Herr Küpfmüller in der NSDAP war, war ja am Abzeichen zu erkennen, daß er in der SS war, habe ich aber 441 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 4. 5. 2008. erst sehr spät, so etwa 1943 erfahren.» (StAN, Spk Ansbach- 442 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 17. 5. 2013. Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Alfred Sacklowski, 443 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Eidesstattliche Erklärung, Göttingen 31. 1. 1947) H.F. Mayer, Headquarter Air Material Command, Wright 439 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Field, Dayton, Ohio, an Internierungslager Hammelburg, Dr. Erwin Hölzler an Lagerspruchkammer Hammelburg, Lagerspruchkammer, zur Zeit Berlin-Siemensstadt, München 17. 10. 1947. – Nach eigener Nachkriegsaussage 24. 9. 1947. trug er nie im Betrieb SS-Uniform. (StAN, Spk Ansbach- 444 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Küpfmüller an 1897, Spruchkammer des Internierungslagers Hammel- Lagerspruchkammer, Hammelburg 29. 6. 1947). burg, Spruch, AZ K-809/BAS.-II VI/148–47, Hammelburg 440 Höhne 1989, S. 132f.. 4. 11. 1947. 69 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

­einen aus Gefälligkeit erstellten «Persilschein» han- ruar 1947 das ehemalige NSDAP-Mitglied «Staatsrat» delte. Solche «Persilscheine» wurden meist von den Be- Hans Plendl, der bei Telefunken die militärische Radio- troffenen bzw. deren Rechtsanwälten angefragt. Häufig Navigation («Knickebein») entwickelt hatte und Himm- wurden sie vorformuliert, so dass wichtige entlastende ler den Vollzug einer Entwicklungsstelle im KZ Dachau Punkte in der juristisch exakten Formulierung enthal- unter der Leitung des Häftlings Mayer gemeldet hat- ten waren. «Persilscheine» ähneln sich daher in forma- te.448 Auch der oben genannte Dr. Herbert F. Raabe war ler und inhaltlicher Hinsicht. Musste die Wahrheit stark ab 1947 auf der Patterson-Wright Air Force Base tätig, geschönt werden, dann hielten die Verfasser die Erklä- wurde aber von Mayer nicht wiedererkannt.449 rungen kurz und allgemein. Mayer scheint seine Meinung über Küpfmüller aller- Mayers Schreiben wurde während seines Deutsch- dings im Lauf der Jahre revidiert zu haben, möglicher- land-Aufenthalts in Berlin-Siemensstadt verfasst. Wahr- weise unter dem Einfluss seiner Ehefrau. So führte er scheinlich erfuhr er beim Besuch seiner Firma von bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde eines Dr.-Ing. Küpfmüllers Internierung und wurde von Siemens-Mit- E.h. der TH Stuttgart im Jahr 1956 als seinen Mentor bei arbeitern gedrängt, eine entlastende Erklärung zu ver- Siemens nur den verstorbenen Dr. Lüschen an, nicht fassen. Der Korpsgeist im Siemens-Führungskreis mag seinen langjährigen Vorgesetzten und Koautor Küpf- auch eine Rolle gespielt haben. Das Schreiben ist aus- müller.450 Nach Aussage seines Sohnes Peter hatte führlich und persönlich gehalten und ähnelt keiner an- Küpfmüller «Hausverbot» bei der Familie Mayer.451 Im deren abgegebenen Erklärung. In den Akten ist nicht beruflichen Umgang war Mayer freilich um korrek- erkennbar, dass das Schreiben von dem Betroffenen tes Vorgehen bemüht: Als der Gang des neuen Zentral- oder dessen Rechtsanwalt erbeten wurde. laboratoriums in München mit den Porträts aller bis­ Für eine ehrliche Stellungnahme spricht auch die herigen Leiter geschmückt werden sollte, ließ er auch Tatsache, dass Mayer damals für ein strenges Vorgehen von Küpfmüller ein solches anfordern – dieser hatte gegenüber NS-Belasteten plädierte. Als ihm Ende 1945 ­bekanntlich die Leitung während der KZ-Haft Mayers in der vakante Lehrstuhl für Fernsprech- und Telegra- den Jahren 1943–45 kommissarisch übernommen.452 phentechnik der TH Berlin angetragen wurde, bezeich- Küpfmüller lehnte die Bitte mit der Begründung ab, nete er den Oberingenieur Dr. Herbert F. Raabe, der an dass er ja nur «aushilfsweise» amtiert habe.453 der TH Berlin zu Küpfmüllers Zeiten über das Abtast- In seinen Unterlagen bewahrte Mayer eine eides- theorem promoviert hatte, wegen dessen früherer stattliche Erklärung aus dem Jahr 1949 von Wilhelm NSDAP-Mitgliedschaft als unzumutbar. Daraufhin be- Mierendorf auf, einem mit einer Jüdin verheirateten kam ein anderer Wissenschaftler dessen Stelle. Mayer Mitarbeiter des Zentrallaboratoriums. Der im Ersten nahm die Professur schließlich aber nicht an.445 Bei Weltkrieg schwerkriegsbeschädigte Mierendorf sagte ­Siemens & Halske wirkte Mayer 1945/46 als unbelastete darin aus, dass er als in Mischehe lebender Deutscher Führungskraft an der politischen Überprüfung von im Oktober 1944 vom Gestapo-Beauftragten in der Zen- Mitarbeitern mit. Dabei setzte er sich dafür ein, dass tralen Entwicklungsleitung Dr. Geuter mit der Strafver- ehemalige NS-Aktivisten konsequent aus dem Betrieb setzung zur «Organisation Todt» bedroht worden sei.454 entfernt wurden. Doch war er bereit, echten Mitläufern Drei Wochen lang habe er bei Direktor Küpfmüller eine zweite Chance zu gewähren.446 um Unterstützung nachgesucht, doch sei ihm kein Bei seiner Tätigkeit auf der Patterson-Wright Air Force Base in Dayton (Ohio) klagte Mayer, dass er mit ehemaligen Nationalsozialisten zusammenarbeiten 448 Schreiben des Staatrates Dr. Ing. H. Plendl an Heinrich 447 Himmler vom 7. Januar 1944 (Dachau, Ausstellung im Haus musste. Darunter befand sich beispielsweise ab Feb- der Bayerischen Geschichte). Internet-Dokument: http:// www.hdbg.de/dachau/pdfs/08/08_03/08_03_06.PDF. 449 Privatarchiv Peter Noll, Dr. Herbert P. Raabe, Potomac, MD: Erinnerungen an meine Studien-, Forschungs- und 445 Privatarchiv Peter Noll, Dr. Herbert P. Raabe, Potomac, MD: Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule Berlin, nicht Erinnerungen an meine Studien-, Forschungs- und Leh- ­datiert. rtätigkeit an der Technischen Hochschule Berlin, n.d. 450 Privatarchiv Peter Mayer, Rede von Hans F. Mayer 446 Siemens-Forum, Archiv, Nachlass Dr. Mayer, Hans Ferdi- anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der nand, I 8, Aktennotiz über eine Besprechung mit Hr. Dipl. TH Stuttgart, 28. 11. 1956. Ing. Adolf Weis, früher Entwicklungs-Abt. f. magnetische 451 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. Werkstoffe, Berlin-Siemensstadt, 21. 12. 1945; Mayer an 452 Siemens-Forum, Archiv, 68 / Li 186, Hölzler an Küpfmüller, Dr. Zimmermann, Berlin-Siemensstadt 1. 2. 1946. München 20. 5. 1958. 447 Privatarchiv Peter Noll, Dr. Herbert P. Raabe, Potomac, 453 Siemens-Forum, Archiv, 68 / Li 186, Küpfmüller an Hölzler, MD: Erinnerungen an meine Studien-, Forschungs- und Darmstadt 2. 6. 1958. Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule Berlin, n.d. 454 Geuter schrieb sich möglicherweise «Geutter», siehe S. 24. 70 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

­Gesprächstermin eingeräumt worden, und Dr. Geuter so die Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters der Or- habe ihn weiter schikaniert. Schließlich habe er eine ganisation. Küpfmüller könnte zudem den Gestapo- Unterredung mit Hermann von Siemens führen kön- Beamten Strübing über die SS gekannt haben, da nen, der ihm seine Hilfe zugesichert habe. Kurz darauf dieser ebenfalls seit 1937 Mitglied dieser Organisation habe er zusammen mit seiner Frau aus Berlin fliehen war.460 können. Er schloss seine Erklärung mit der Feststellung: Mayer räumte in späteren Lebensjahren gegenüber «Nach dieser Unterredung und in der Art, in der sie ge- seinem Sohn Peter ein, dass ihn Küpfmüller im führt wurde, war es mir klar, dass ich auf eine Unter- Konzentra­tionslager Dachau besucht habe, doch habe stützung von seiten des Herrn Prof. Küpfmüller nicht dieser ­Besuch berufliche Gründe gehabt. Bemühungen rechnen konnte. [...] Nach meiner Auffassung wäre es zur ­Erleichterung seines Schicksals seien ausschließlich für Herrn Prof. Küpfmüller ein Leichtes gewesen, mei- vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Fried- nem Wunsche Rechnung zu tragen, insbesondere, da rich Lüschen ausgegangen und mit der Ehefrau Betty sich ja in ähnlich gelagerten Fällen Betriebsführer an- Mayer koordiniert worden.461 In ähnlicher Weise hatten derer Werke der Firma mit Erfolg für die vom Nazi-Re- sich 1947 auch der Siemens-Betriebsratsvorsitzende gime Verfolgten eingesetzt hatten.»455 Wilhelm Ladendorf und der Betriebsrat Hellbig geäu- Im Dezember 1966 schrieb Mayer an einen ehemali- ßert: «Antifaschisten konnten auf seine [Küpfmüllers, gen Kollegen: Vf.] Unterstützung nicht sonderlich rechnen, wie der «Der damalige Kriminalkommissar Strübing in der Fall des Herrn Dr. H. F. Mayer, der 1943 in das KZ-Lager Prinz-Albrecht-Strasse, der damals meinen ‹Fall› bear- Dachau gebracht wurde, ergeben hat.»462 beitete, war ein sehr geschwätziger Mann. So sagte er Küpfmüller stellte den Sachverhalt in seiner Vertei- z. B., die Gestapo hätte die allerbesten Beziehungen zu digungsschrift gegenüber der Spruchkammer freilich Prof. Küpfmüller, er sei einer ihrer besten Mitarbeiter völlig anders dar: und SD-Agenten. Tatsächlich war ja auch K. der rang- «Im Juli 1943 wurde mir von der Hauptpersonal- höchste und oberste SD-Agent bei Siemens im Bereich stelle der Siemenswerke mitgeteilt, dass M. ohne jede Siemensstadt und hat – nach Strübing – über alle leiten- Vorankündigung von der Gestapo verhaftet worden sei. den Herrn der Firma laufend der Gestapo berichtet.»456 In einer sogleich stattfindenden Besprechung bei dieser Eine solche Praxis war durchaus üblich. Schreiber er- Stelle, bei der ein Beamter der Gestapo anwesend war, läutert am Beispiel von Sachsen, wie der Sicherheits- teilte dieser als Verhaftungsgrund unter anderem mit, dienst (SD) der SS einen Führerkreis einflussreicher dass M. ausländische Rundfunksender abgehört und Persönlichkeiten um sich sammelte und ein hochran- die Nachrichten weiter verbreitet habe; auch habe er giges Agentennetzwerk rekrutierte.457 Der SD führte seine Haushälterin aufgefordert, ausländische Sender ca. 30 000 «Konfidenten» (V-Leute).458 Von hochrangi- zu hören. Herr Dr. Lüschen und ich machten sofort dar- gen SS-Mitgliedern wurde natürlich kooperatives Ver- auf aufmerksam, dass Herr Dr. Mayer unersetzlich sei halten erwartet. Auch die Gestapo rekrutierte «Perso- und an wichtigen Rüstungsaufgaben arbeite. Wir wand- nen, die aufgrund ihrer Stellung und ihres Berufes ten uns ferner schriftlich, Herr Dr. Lüschen auch münd- verpflichtet waren, auch die Beobachtungen, die ihnen lich, an den Minister Speer und baten mit der gleichen mehr oder weniger privat zugingen, weiterzuleiten»459, Begründung, die Freilassung von M. zu erwirken. Dies gelang zwar nicht, es wurde uns aber mitgeteilt, dass mit Rücksicht auf die große Bedeutung von M. von ei- 455 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, ner Verhandlung Abstand genommen werde. Weitere Erklärung, Wilhelm Mierendorf [sic?], Berlin-Siemenns- stadt, 4. 1. 1949. Versuche bei verschiedenen SS-Dienststellen, die Frei- 456 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, lassung von M. zu erreichen führten nur zu dem Erfolg, H.F. Mayer an Obering. Gerhard Mücke, Berlin, München 17. 12. 1966. 457 Carsten Schreiber: Eine verschworene Gemeinschaft. Regionale Verfolgungsnetzwerke des SD in Sachsen. Omnipresent? Gestapo, society and resistance. In: Crew In: Wildt 2003, S. 69–75. 1994, S. 189). 458 Daus/Stolle 2008, S. 79. 460 Strübing wurde am 1. 9. 1942 zum Obersturmführer be- 459 Zit. nach ebd., S. 78. – Die Effizienz des Geheimdienst- fördert, was dem Dienstgrad Oberleutnant entsprach apparates war gemäß neueren Forschungen trotz (BArchB, SSO (ehem BDC), 167B; Johannes Strübing geb. der hohen Zahl von Zuträgern aber beschränkt. Das 24. 2. 1907 [Karteikarte]). NS-Regime konnte sich eher aufgrund mangelnden 461 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 20. 12. 2010. Widerstands der Bevölkerung als aufgrund seines Ge- 462 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, heimdienstapparats an der Macht halten (Klaus-Michael Betriebsrat ZKL/ZEL an Entnazifizierungskommission, Mallmann/Gerhard Paul: Omniscent, Omnipotent, Ladendorf, Hellbig, Siemensstadt 20. 5. 1947. 71 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg dass er gewisse Erleichterungen erhalten sollte und Zwei weitere Siemens-Mitarbeiter bestätigten nach dass ich ihm einige Geräte und Hilfsmittel für wissen- Kriegsende unabhängig voneinander den Einsatz Küpf- schaftliche Arbeiten zustellen konnte.»463 müllers für Mayer. So sagte Dr. Ewald Buchmann aus, In seiner Spruchkammerverhandlung sagte Küpf- dass sich Küpfmüller nach der Verhaftung Mayers im müller aus: Jahr 1943 zusammen mit der Firmenleitung um dessen «1943 konnten wir erreichen, daß Mayer wenigstens Freilassung bemüht habe. Ende 1944 habe Küpfmüller im KZ forschen durfte und Erleichterung erhielt. [...] ihm gegenüber erwähnt, dass er beabsichtige, Mayer aber freigekommen ist er nicht, er hat seine Haltung nie aus dem KZ herauszuholen.468 Glaubwürdiger auf- verleugnet. [...] Ich habe erreicht, ihn in Dachau besu- grund eines konkreten Indizes erscheint die Aussage chen zu können, uns wurde zugesagt, daß er nicht ver- von Alfred Sacklowski, der den von Küpfmüller verfass- handelt würde, wo ihm die Todesstrafe gedroht hätte. ten Entwurf einer Bittschrift für Mayer selbst in den Auch Dr. Lüschen hat sich sehr für ihn eingesetzt. Was ­Akten gesehen haben will.469 Dokumente, die einen er brauchte, schickten wir ihm.»464 Einsatz für die Freilassung Mayers belegen, sind freilich Zweifel an einer Denunziation Mayers durch Küpf- nur bezüglich Lüschen überliefert, nicht bezüglich müller erscheinen angebracht. So waren die Anschuldi- Küpfmüller.470 gungen Ladendorfs und Hellbigs, wie oben ausgeführt, Sollte sich Küpfmüller um die Freilassung Mayers recht pauschal, beruhten teilweise auf Hörensagen und bemüht haben, so könnte er dies natürlich auch in waren möglicherweise politisch begründet. Und selbst heuchlerischer Absicht betrieben haben, um eine vor- diese Belastungszeugen hatten ausgeführt, dass von ei- hergehende Denunziation zu verschleiern. Doch exis- ner Denunziationstätigkeit Küpfmüllers nichts be- tiert kein Beweis dafür, dass Küpfmüller Mayer beim kannt sei.465 Die Behauptungen von Kriminalkommis- SD oder der Gestapo angezeigt hat. Auch wäre die Mo- sar Strübing über Küpfmüllers Informantentätigkeit tivlage nicht schlüssig: Küpfmüller war Mayers Vorge- waren möglicherweise verhörtaktisch motiviert – als setzter, konnte also von dessen Entfernung nicht profi- Beweis für eine erfolgte Denunziation Mayers durch tieren. Als Wissenschaftler war Küpfmüller zweifelsohne Küpfmüller können sie nicht herangezogen werden. So noch bedeutender als Mayer, weswegen auch in dieser hatte Strübing beim Verhör Harro Schulze-Boysens von Hinsicht ein Konkurrenzmotiv unwahrscheinlich ist. der «Roten Kapelle» zu Desinformation mittels ge- Politisch bekannte sich Küpfmüller zwar zum National- fälschten Beweismaterials und gefälschter Aussagen sozialismus, fiel aber nicht durch Fanatismus auf und gegriffen.466 Und selbst wenn Küpfmüller als hochran- hatte nachweislich in einigen Fällen Mitarbeiter vor NS- giges SS-Mitglied vom SD abgeschöpft wurde, wäre da- Nachstellungen in Schutz genommen. Zudem herrschte mit noch nicht bewiesen, dass er Mayer belastet hat. damals im höheren Führungskreis von Siemens & Küpfmüller hätte seine Stellung im Gegenteil auch Halske ein ausgeprägter Korpsgeist – die Denunziation ­nutzen können, um bedrängten Mitarbeitern zu helfen. eines langjährigen engen Mitarbeiters erscheint auch In dieser Richtung argumentierte er selbst bei seinem aus diesem Grund eher unwahrscheinlich. Entnazifizierungsverfahren: «Ich habe NS-Kritiker ge- Schließlich weisen auch bei Siemens & Halske die schützt. 1939/40 konnte ich die Verhaftung Mayers Spuren in eine andere Richtung. Als Belastungszeugen durch Bürgschaft mitverhindern. Ich war ja damals traten 1943 bei der Gestapo die Firmenmitarbeiter SS-Sturmführer».467 Dr. Fernau, Goetsch und Geuter auf 471; letzterer war, wie oben erwähnt, «Gestapo-Beauftragter» in der Zent-

463 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Küpfmüller an Lagerspruchkammer, Hammelburg 468 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 29. 6. 1947. Dr. Ewald Buchmann, Eidesstattliche Erklärung, Heiden- 464 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, heim 25. 2. 1947. Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg. 469 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, ­Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage Dr. A. Sacklowski, Eidesstattliche Erklärung, Hannover Küpfmüller. 23. 10. 1947. 465 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 470 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Fritz Betriebsrat ZKL/ZEL an Entnazifizierungskommission, Lüschen an Betty Mayer, Berlin-Siemensstadt 26. 8. 1943; Ladendorf, Hellbig, Siemensstadt 20. 5. 1947. Fritz Lüschen an Betty Mayer, Berlin-Wannsee [undatiert, 466 Coppi/Danyel/Tuchelt 1994, S. 148. Anfang 1944] 467 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 471 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg. stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage ­«Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans Küpfmüller. ­Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. 72 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

ralen Entwicklungsleitung der Firma.472 Mayer schil- nur die Belegschaft, sondern pflegten sie auch zu be- derte denn auch den Hergang der Denunziation im Juni spitzelten, wie z. B. im Fall der Firma Messerschmitt A.G. 1945 recht detailliert: Augsburg gerichtlich nachgewiesen.477 «Während des Krieges wurde meine Einstellung ge- Bei den in den 1960er Jahren gegen Johannes Strü- gen den Nationalsozialismus immer radikaler. Ich bing eingeleiteten strafrechtlichen Untersuchungen scheute mich nicht, z. B. im Kasino in schärfster Weise wurde der Fall Mayer nicht angesprochen, und Strübing gegen die Kriegsverbrechen Stellung zu nehmen. Wie nahm von sich aus dazu keine Stellung.478 Die Berliner ich erst jetzt erfahren habe, wurden meine Äußerungen Justiz ermittelte wegen Mordverdachts in anderem Zu- von 2 Kollegen, Dr. Fernau und Oberingenieur Goetsch, sammenhang – wohl deshalb, weil Mord im Gegensatz laufend notiert und der Gestapo gemeldet. Ich sollte zu Folter, wie sie Strübing z. B. bei Harro Schulze-Boyen wiederholt verhaftet werden, dem Eingreifen der Fir- angewandt hatte479, nicht verjährt war. Dabei konzent- menleitung gelang es jedoch unter Hinweis auf meine rierte sich die Ermittlungen auf die auf Anordnung wissenschaftlichen Leistungen, die Verhaftung immer des Reichssicherheitshauptamtes erfolgte Exekution wieder niederzuschlagen.»473 sowjetischer Kriegsgefangenen, deren Zahl allein im Für eine Schuld Fernaus und Goetschs mag auch Reich bei mindestens 38 000 lag.480 Als Mayer Strübing sprechen, dass beide bei Kriegsende Suizid verübten.474 im Jahr 1963 ausfindig machte – die Beschäftigung Denunziantentum war in der Firma Siemens damals des früheren Gestapobeamten beim Bundesamt für verbreitet. So soll ein Dipl.-Ing. Hofer mit dem makab- Verfassungsschutz hatte einen aufsehenerregenden ren Spitznamen «Der Siemens-Henker» Hunderte von SPIEGEL-Bericht ausgelöst481 –, gab dieser an, sich nicht Kollegen denunziert oder zur Entlassung gebracht an den Fall erinnern zu können.482 haben. Auch er suchte bei Kriegsende den Freitod.475 Letztlich werden die Hintergründe von Mayers Ver- Darüber hinaus wurde Mayer möglicherweise von haftung nicht mehr in allen Einzelheiten zu klären sein. einem Betriebsobmann der Deutschen Arbeitsfront Der Siemens-Mitarbeiter Erwin Hölzler äußerte 1947: (DAF) namens Rüppel angezeigt: 1961 korrespondierte «Zum Fall Mayer wissen wohl nur K. [Küpfmüller] selbst Mayer mit Ernst Becker, dem ehemaligen stellvertreten- und der verstorbene Dr. Lüschen Bescheid.»483 Einige den Abwehrbeauftragten der Firma, um mehr über die Küpfmüller entlastende Angaben in seinem Schrei- Hintergründe seiner Verhaftung zu erfahren. Becker ben hatte Mayer in der Tat nur aus zweiter Hand von gab an, dass ein gewisser Rüppel, Betriebsobmann der DAF und nachweislich SD-Angehöriger, Mayer bereits seit längerer Zeit wegen des Abhörens feindlicher Sen- 477 Vier Jahre für Messerschmitt-Obmann. Ein Hauptschul- der, NS-Gegnerschaft und vermeintlich «nichtarischer» diger kam noch billig weg. Schwäbische Landeszeitung, Abstammung im Visier gehabt habe. Möglicherweise Augsburg 25. 7. 1947. – Darüber hinaus könnte auch von den habe Rüppel über den SD-Unterabschnitt, den SD-Ober- Abwehrbeauftragten eine Denunziation ausgegangen sein. Ab 1940 waren die betrieblichen Abwehrbeauftragten bei abschnitt und die Staatspolizeileitstelle Berlin das Ge- Siemens & Halske nicht mehr der Wehrmacht, sondern der heime Staatspolizeiamt im Reichssicherheitshauptamt Polizei unterstellt und erhielten ihre dienstlichen An- Berlin informiert und damit die Verhaftung Mayers weisungen von der Gestapo. Sie waren verpflichtet, auch ausgelöst.476 Eine solche Erklärung erscheint durchaus über die Gesinnung von Mitarbeitern zu berichten (Siemens 1952, S. 349f.). plausibel. Die Betriebsobleute der Deutschen Arbeits- 478 LBe, B Rep 057–01, Nr. 148; B Rep 057–01, Nr. 428; B Rep. front waren ausgesuchte, nicht selten fanatische Natio- 057–01 Nr. 4029 Beistück I (Ablichtungen aus dem Ver- nalsozialisten. Sie betreuten und indoktrinierten nicht fahren 1 Js 16/49 StA Lüneburg gegen Dr. Manfred Roeder); B Rep. 057–01 Nr. 3013 Strübing, Hans (Johannes). 479 Coppi/Danyel/Tuchel 1994, S. 148 ; Mallmann/Angrick 2009, S. 18. 472 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, 480 Wildt 2002, S. 344. Wilhelm Mierendorf [sic?], Erklärung, Berlin-Siemensstadt, 481 Pätsch: Absolut sichere Quelle. DER SPIEGEL, 40 (1963). 4. 1. 1949. Internet-Dokument: http://www.spiegel.de/spiegel/ 473 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin- print/d-46172126.html. (Zugriff 30. 5. 2012). Charlottenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. 482 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. – Die 474 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- Ermittlungen gegen Strübing führten zu keiner Anklage, stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß und es kam zu keinem Verfahren gegen ihn. 1963 schied ­«Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans er nach Bekanntwerden seiner Vergangenheit aus dem ­Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. Bundesamt für Verfassungsschutz aus (Coppi/Danyel/ 475 LBe, C Rep 901, Nr. 288, Regierungs- und Baurat Verlohr Tuchel 1994, S. 154). an Ing. Günther, Charlottenburg 3. 10. 1946. 483 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 476 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Ernst Erwin Hölzler an Lagerspruchkammer Hammelburg, Becker an H. F. Mayer, Köln-Weidenpesch 7. 9. 1961. München 17. 10. 1947. 73 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Lüschen erfahren. Mayers Sohn Peter mutmaßt, dass Eintritt gedrängt), und ebenso regelmäßig beantwor- Lüschen bei diesem Gespräch Küpfmüller durch falsche tete Piloty die Frage mit der lakonischen Bemerkung Angaben schützen wollte484 – doch warum? Aus Angst «Fehlanzeige».489 vor einem Verlust des hochbegabten Wissenschaftlers Gemäß seinem Sohn Robert lehnte Hans Piloty die Küpfmüller für die Firma? Belege oder Anzeichen hier- Nationalsozialisten vor allem deshalb ab, weil er sie für für gibt es nicht. Die dramatischen Umstände des Zu- Kriegstreiber hielt. Nach der Lektüre von Hitlers Buch sammentreffens von Lüschen und Mayer im zerstörten «Mein Kampf» habe er keinen Zweifel über die aggressi- Berlin nach dem Einmarsch der Sowjets dürften jeden- ven Absichten der Nationalsozialisten gehabt.490 Darü- falls nicht zu firmenpolitischen Rankünen eingeladen ber hinaus missfielen ihm die Usurpation staatlicher haben. Aufgaben durch die Partei und deren rüde Eingriffe in Eine zweifelsfreie Entlastung Küpfmüllers ist nicht Justiz und Verwaltung. Charakteristisch hierfür war möglich. Doch ist eine Denunziation Mayers durch sei- seine Auseinandersetzung mit einem Vertreter der NS- nen Vorgesetzten und langjährigen Kollegen nicht be- DAP-Ortsgruppe München-Ludwigstraße. Aus Sicht des wiesen und nach Aktenlage eher unwahrscheinlich. Parteigenossen Oberdick trug sich der Vorfall folgen- dermaßen zu: Bei Hans Piloty ist, wie bei Mayer, eine nationale und «Ich war lediglich im Winter einmal bei ihm [Piloty, patriotische Einstellung zu konstatieren, wie sie im aus- Vf.], um ihm zu sagen, daß er doch die Schneemassen gehenden Kaiserreich für alle Schichten des Bürger- vom Bürgersteig wegräumen möchte. Als ich sagte, daß tums (und Teile der Arbeiterschaft) typisch war. Eine ich im Auftrag der NSDAP komme, erklärte er mir, daß solche Gesinnung war auch in seiner Familie verbrei- er sich von der Partei diesbezüglich keine Befehle geben tet.485 Folgerichtig engagierte sich Piloty nach der Nie- lassen, sondern lediglich Anordnungen der Polizei derlage im November 1918 im Freikorps Epp und in der Folge leiste. Ich habe ihm klipp und klar meine Mei- «Schwarzen Reichswehr» (siehe S. 13). nung gesagt, worauf er dann umgänglicher wurde. Je- Schon vor der NS-Machtübernahme galt Piloty als denfalls hatte ich damals das Gefühl, daß er von der Kritiker der Nationalsozialisten.486 Während der Jahre Partei nichts wissen wolle, was mir nun von Pg. Ros 1933–45 zählte er zum Kreis der von NS-Stellen argwöh- auch bestätigt wurde.»491 nisch beobachteten «üppig florierende[n] Opposi­ Vor dem Hintergrund seiner familiären Herkunft tion»487 an der TH München, die z. B. bei politisch moti- dürfte Piloty den Nationalsozialisten auch wegen ihrer vierten Berufungsprojekten dem Regime hinhaltenden häufig proletarischen Herkunft und ihrer antisemiti- Widerstand entgegensetzte. scher Gesinnung ablehnend gegenübergestanden ha- Piloty trat zwei NS-Organisationen bei, die aller- ben. Denn er stammte aus einer großbürgerlichen Fa- dings vergleichsweise unbedeutend waren: 1933 dem milie, und zwei seiner Urgroßeltern mütterlicherseits NS-Lehrerbund, 1940 der NS-Volkswohlfahrt – letzterer waren jüdischer Abstammung.492 Organisation freilich erst «auf besondere Aufforde­ Piloty war in der TH München als NS-Gegner be- rung»488 durch Parteistellen. Vielleicht suchte er sich kannt und wagte sich mit seiner Kritik an die Grenzen damit eine gewisse Rückendeckung zu verschaffen. des Möglichen, was Staats- und Parteistellen nicht ver- Dem Druck, in die Partei einzutreten, widerstand er: borgen blieb. So schrieb der Gauführer des NSD-Dozen- Regelmäßig wurden die Hochschullehrer befragt, ob tenbunds Dr. Otto Hörner im April 1940: sie der NSDAP angehörten (und damit indirekt zum «Prof. Piloty ist der Typ des Intellektuellen, der be- wusst mit seiner Kritik zersetzend und herabsetzend wirken will. Er versucht dabei, diese Kritik mit seiner Besorgnis um die Zukunft zu tarnen. Unter Bezug- 484 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. nahme auf die Besorgnis bringt er ständig Bedenken ge- 485 Persönliche Mitteilung Robert Piloty, Darmstadt 1. 3. 2010. 486 BArchB, DS, B0038, 41ff., Piloty, Hans, Gauamtsleiter Bau- gen die Politik des Führers und seiner Mitarbeiter vor. mann, Ausführliches Gesamturteil, München 26. 9. 1940. Sein Verhalten macht auf die Studierenden den Ein- 487 BArchB, DS/Wissenschaftler, A0019, Ferber Erwin, NSDAP, Amt N.S.D.-Dozentenbund, Reichsamtsleiter Schultze an Prof. Bachér, München 27. 1. 1936. 488 BArchB, DS/Wissenschaftler, B0038, 41ff., Piloty, Hans, 489 HATUM, PA Piloty, Hans. Gauamtsleiter Baumann, Ausführliches Gesamturteil, 490 Persönliche Mitteilung Robert Piloty, Darmstadt 1. 3. 2010. München 26. 9. 1940. – Anscheinend ist Piloty nicht dem 491 BArchB, DS/Wissenschaftler, B0038, 41ff., Piloty Hans, Pg. NSD-Dozentenbund, der im Juli 1935 gegründeten akade- Oberdick an Ortsgruppe München-Ludwigstraße, mischen Nachfolgeorganisation des NS-Lehrerbundes, München 10. 4. 1940. beigetreten. 492 Angaben aus dem BayHStA MK 43277. 74 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

druck einer ausgesprochen nicht nationalsozialisti- Aufgrund dieser Einschätzung wurde die Berufung schen Haltung.»493 von Piloty und fünf weiteren Münchener Wissenschaft- Bereits früh versuchten Staats- und Parteistellen, Pi- lern verhindert, die Gauleiter Adolf Wagner als «untrag- loty auszuschalten. So wurde Professor Kurt Schnauffer bar für die Berufung in die Akademie»499 bezeichnet (Ordinarius für Flugmotorenkunde) Ende 1936 auf hatte. Im Gegenzug musste die Bayerische Akademie seine Pflicht als SS-Mitglied hingewiesen und aufgefor- der Wissenschaften 1940 sechs nationalsozialistisch dert, der rassischen Herkunft Pilotys nachzugehen. ausgerichtete Professoren der TH München und der Schnauffer sagte nach dem Krieg aus, dieses Ansinnen Ludwig-Maximilians-Universität München ohne or- abgelehnt zu haben.494 1941 leitete das Reichserzie- dentliche Wahl aufnehmen.500 hungsministerium eine Überprüfung der «deutschblü- Es fällt auf, dass bei der Mehrzahl der von Piloty in tigen Abstammung» Pilotys ein. Sie kam zum Ergebnis, der NS-Zeit betreuten Dissertationen als Korreferent dass dieser im Sinne der Nürnberger Rassengesetze Professor Winfried Otto Schumann ausgewählt wurde. «Arier» war, obgleich zwei seiner Urgroßelternteile Auch diesem offenkundigen NS-Kritiker wurde im «Volljuden» waren.495 Maßnahmen gegen ihn könnten Frühjahr 1940 die Aufnahme in die Bayerische Akade- nicht ergriffen werden – zwischen den Zeilen ist ein mie der Wissenschaften trotz erfolgter Vorwahl verwei- «leider» spürbar. gert. Offenbar bestand zwischen Piloty und Schumann Als Piloty 1940 in die Bayerische Akademie der Wis- ein enges Vertrauensverhältnis, möglicherweise auch senschaften aufgenommen werden sollte, wurde er in politischer Hinsicht. ­einer ausführlichen politischen Überprüfung unterzo- Im Juni 1944 schlug der Rektor der TH München Pro- gen. Manche hielten ihn noch nicht für überzeugt fessor Piloty für das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse («Dem Nationalsozialismus steht Befragter noch etwas (eine Massenauszeichnung) vor, da er «über Gebühr» fremd gegenüber, wenngleich er auch nach Aussen hin Forschungsaufträge für alle Waffengattungen ausge- den Schein eines Nationalsozialisten zu wahren ver- führt habe.501 Aufgrund seiner nationalen und patrioti- sucht.»496), andere für distanziert («Dr. Piloty steht der schen Einstellung dürfte es Piloty zumindest in den Bewegung vollkommen interesselos gegenüber. Von ­ersten Kriegsjahren als selbstverständliche Pflicht be- ihm kann höchstenfalls legales Verhalten erwartet wer- trachtet haben, die militärischen Anstrengungen sei- den»497), wieder andere für einen gefährlichen NS-Geg- nes Vaterlandes zu unterstützen. Mit entsprechenden ner, so der Gauführer des NSD-Dozentenbunds Hörner: Aufträgen suchte er aber auch Mitarbeiter vor der Ein- «Wegen seiner geringschätzigen Haltung gegenüber berufung zur Wehrmacht zu bewahren.502 In diesem allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammen- ­Zusammenhang kam es zum Streit mit der Hoch- hängt, ist seine Tätigkeit als Hochschullehrer vom poli- schulleitung: In einer Fakultätssitzung warf Piloty am tischen Standpunkt aus eine Belastung für die Hoch- 27. Februar 1943 der zentralen Mobilmachungsstelle schule. Die Berufung eines solchen im negativen Sinne der Hochschule nichttransparentes Verhalten vor. Der aktiv wirkenden Wissenschaftlers an die Bayer. Akade- Prorektor erteilte ihm daraufhin vor versammelten mie der Wissenschaften ist daher untragbar.»498 Kollegen eine Rüge. Anforderungen für Unabkömm- lichkeits-Stellungen mussten fortan nicht mehr vom Rektor, sondern von den Institutsdirektoren gezeichnet 493 BayHSta, MK 43277, NSDAP, Gau München-Oberbayern, werden, die damit gegenüber dem Kriegsgericht per- N.S.D.-Dozentenbund, Gutachten über Professor Dr. Hans sönlich verantwortlich wurden.503 Piloty, München (geb. 1894) (Elektrotechnik), Gaudozenten- führer Dr. Otto Hoerner, München 15. 4. 1940. 494 BayHSta, MK 58943, Prof. Schnauffer an Prof. Endres, München 15. 1. 1948. 499 Bayerische Akademie der Wissenschaften, Archiv, Wahlakt 495 BayHSta, MK 43277, Der Direktor des Reichssippenamtes 1940, Bl. 18, Stabsleiter des Bayerischen Staatsministers an Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volks- für Unterricht und Kultus an den Präsidenten Alexander bildung, Betrifft: Abstammung des Professors Hans Piloty von Müller, 23. 5. 1940 («Dazu teile ich Ihnen folgendes München, Berlin 21. 1. 1942. mit: Untragbar für die Berufung in die Bayer. Akademie 496 BArchB, DS/Wissenschaftler (ehem. BDC), B0038, 41ff., erscheinen dem Herrn Minister folgende Herren [...]»). NSDAP-Ortsgruppe München-Ludwigstraße, Ortsgruppen- 500 Meissner 1959, S. 36–38; Stoermer 1995, S. 103–105. – leiter Scheide, München 9. 4. 1940. Die Mitgliedschaft der sechs oktroyierten Mitglieder 497 BArchB, DS/Wissenschaftler (ehem. BDC), B0038, 41ff., wurde 1945 beendet. NSDAP, Gaupersonalamtsleiter, München 15. 5. 1940. 501 HATUM, PA Piloty Hans, Vorschlagsliste Nr. 3 für die 498 BayHSta, MK 43277, NSDAP, Gau München-Oberbayern, Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse (ohne N.S.D.-Dozentenbund, Gutachten über Professor Dr. Hans Schwerter), Rektor Pistor, München 6. 6. 1944. Piloty, München (geb. 1894) (Elektrotechnik), Gaudozenten- 502 Persönliche Mitteilung Robert Piloty, Darmstadt 1. 3. 2010. führer Dr. Otto Hoerner, München 15. 4. 1940. 503 HATUM, PA Piloty Hans, Piloty an Rektor Pistor, Mün- 75 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Hans Ferdinand Mayer trat 1917 der pflichtschlagen- Nach der NS-Machtübernahme trat Mayer lediglich den und unbedingte Genugtuung mit der Waffe geben- 1933 der Deutschen Arbeitsfront (DAF) bei, der er bis den Burschenschaft Frankonia Heidelberg in der Deut- 1940 angehörte, von 1940–45 war er Mitglied der Natio- schen Burschenschaft bei und trug von scharfen Partien nalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV)509, und er mehrere «Schmisse» davon.504 Dies spricht wie bei führte Sammlungen für das «Winterhilfswerk des deut- ­Piloty für eine deutschnationale bzw. nationalkonser- schen Volkes» durch.510 Dies waren Kompromisse, die vative Einstellung (wofür gerade die Burschenschaften er als leitender Siemens-Angestellter sicherlich nicht standen), zumal Mayer den Beitritt von sich aus suchte vermeiden konnte. und keiner Familientradition folgte.505 Doch wird er im Seine Ablehnung des NS-Regimes ließ Mayer 1933 in Mitgliederverzeichnis der Frankonia von 1926 nicht der Firma noch nicht erkennen. Im privaten Umfeld mehr geführt.506 Entweder war er nur vorläufiges machte er freilich keinen Hehl aus seiner Gesinnung: Mitglied («Fuchs») und erreichte keine Vollmitglied- Mit seinem Schwager, einem SA-Mann, führte er heftige schaft oder er ist als «Alter Herr» bald wieder ausgetre- Diskussionen, schließlich erteilte er ihm Hausverbot.511 ten – ein in einem studentischen Lebensbund recht sel- Zunächst schwankte Mayer zwischen patriotischer tener Schritt. Interessant wäre, warum Mayer der Loyalität zu seinem Vaterland und Ablehnung der Burschenschaft auf diese oder jene Weise den Rücken Nationalsozialisten und ihres Führers Hitler. Der Jah- kehrte. ­Natürlich kann ein solcher Schritt persönliche reswechsel 1938/39 markiert dann den Übergang zum Gründe gehabt haben. Denkbar sind aber auch politi- aktiven Widerstand, indem er dem bedrängten jüdi- sche Motive. Denn gerade nach dem Ersten Weltkrieg schen Mädchen Martyl zur Ausreise verhalf. Nach dem verstärkten sich die antisemitischen und völkischen deutschen Angriff auf Polen und dem daraus resultie- Tendenzen in den Burschenschaften. 1920 führte die renden Krieg mit Großbritannien und Frankreich über- Deutsche Burschenschaft als einer der ersten studenti- schritt Mayer endgültig die Schwelle von der inneren schen Dachverbände den verpflichtenden Nachweis Emigration zur aktiven Gegnerschaft. Seine offen aus- «arischer» Abstammung bei Neumitgliedern ein.507 gesprochene Maxime lautete nun: «Eine Bestie wie Möglicherweise stießen diese Tendenzen Mayer ab. ­Hitler sollte den Krieg nicht gewinnen.»512 Sein Sohn Peter erinnert sich, dass sein Vater einen tole- Sehr freimütig äußerte er nun, was er dachte. Unge- ranten, aufgeklärten Konservatismus verkörperte. Von achtet der während des Krieges verbreiteten Postzensur seiner waffenstudentischen Vergangenheit wollte er schrieb er am 19. Mai 1940 von einem Kuraufenthalt in nichts mehr wissen. Seinen Kindern erzählte er, dass er Bad Reinerz (Schlesien) an seine Mutter: sich die Gesichtsnarben bei einem Autounfall zugezo- «Ich hatte Dir und uns gerne gewünscht, dass wir gen habe.508 unser Leben in Ruhe und Frieden leben dürften und dass wir ohne Sorgen genießen könnten was wir durch Fleiß erarbeitet haben. Allein der Satan ist auf die Welt gekommen und brutale Gewalt, Lüge und Betrug sind chen 1. 3. 1943; Aktennotiz betr. Fakultätssitzung vom oben auf. Millionen von Menschen, die weiter nichts 27. 2. 1943 wollen als in Ruhe und Frieden zu leben wurden verge- 504 Johnson 2007 (unveröff.), S. 40–42. waltigt und an einem Tag wird vernichtet, was fleißige 505 Satzungsmäßiges Ziel der Burschenschaft Frankonia war es, ihre Mitglieder zu Persönlichkeiten heranzubilden, Menschen in Jahren erarbeitet haben. Mach dir nichts «denen das Deutschtum und das deutsche Volk die höchs- daraus, alles Unrecht rächt sich auf Erden und das Gute ten Güter sind.» (Universität Würzburg, Institut für Hoch- wird doch Sieger bleiben.»513 schulkunde, Archiv, Bestand Burschenschaft Frankonia zu Heidelberg, Verfassung der Burschenschaft Frankonia zu Heidelberg angenommen auf dem Bundeskonvent vom 27. 7. 1919, S. 5). 506 Universität Würzburg, Institut für Hochschulkunde, 509 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- Archiv, Verzeichnis der Alten Herren der Burschenschaft stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß Frankonia zu Heidelberg, 1926. – Die Burschenschaft «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans Frankonia Heidelberg hat Anfragen zu Mayer unbeant- Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. wortet gelassen. 510 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, 507 So hatte der Dachverband 1896 erstmals eine antijüdische Dr. A. Sacklowski, Eidesstattliche Erklärung, Hannover Resolution verabschiedet, und 1920 führte die Deutsche 23. 10. 1947. Burschenschaft als einer der ersten studentischen Dach- 511 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. verbände den verpflichtenden Nachweis «arischer» 512 Zit. nach Jones 1989, S. 323, darin wörtlich wiedergegeben Abstammung bei Neumitgliedern ein. (Brunck 1999, ein Brief Mayers an Jones vom 18. 7. 1967 (Übersetzung Vf.) S. 153–161). 513 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Hans 508 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. F. Mayer an Emilie Mayer, Bad Reinerz 19. 5. 1940. 76 5. Das Verhalten im NS-Staat und Krieg

Mayer blieb gegenüber der damals einsetzenden willing to oppose Hitler’s tyranny and to help secure a ­Siegesbegeisterung immun (fünf Tage vor Abfassung free and better world.»519 seines Briefes war die französische Maas-Verteidigung Jones berichtet auf Grundlage seines nach dem bei Sedan zusammengebrochen), und hielt an seiner Krieg mit Mayer geführten Gedankenaustauschs aber kompromisslosen moralischen Verurteilung Hitlers auch, das dieser zerrissen war zwischen der Loyalität zu fest. Zentrale Motive für die Radikalisierung Mayers wa- seinem Vaterland und der Vorstellung, dass nur ein bri- ren, wie bei Piloty, die antijüdischen Maßnahmen des tischer Sieg über Deutschland Hitler zu Fall bringen Regimes und die NS-Kriegspolitik. So äußerte er sich würde. Mayer habe deshalb im Oktober 1940 vergeblich auch 1967 in einem Brief gegenüber Reginald Victor versucht, diesem Dilemma durch Emigration zu entge- Jones.514 Ein Schlüsselerlebnis war die ihm entgegenge- hen. Er sei bestrebt gewesen, über die US-Konsularbe- brachte Ablehnung bei einem USA-Besuch Ende 1938 hörden in Berlin die Emigration für sich und seine Fa- als Reaktion auf die antijüdischen November-Pogrome milie vorzubereiten. Aufgrund entsprechender Verbote in Deutschland.515 Über diese Vorkommnisse wurde der deutschen Behörden sei dies aber nicht mehr mög- auch ausführlich in US-amerikanischen Zeitschriften lich gewesen.520 berichtet, so am 11. 11. 1938 in der New York Times516 oder Früher als viele andere entschloss sich Mayer bereits am 28. 11. 1938 im «Life Magazine» unter den Über- 1939 zu aktivem Widerstand. Dabei ging er, nicht schriften «Germany takes an awful revenge on its jews» ­unähnlich dem gleichzeitig aktiven Hitler-Attentäter Ge- und »The democracies pray for German jews»517. Der org Elser, völlig auf sich gestellt und nur seinem weltläufige Wissenschaftler dürfte nicht nur über diese ­Gewissen folgend vor. Verbindungen mit anderen Oppo- Ausschreitungen moralisch empört gewesen sein, son- sitionellen suchte Mayer nicht. Sein Vorgehen war gera- dern auch die zunehmende Isolation Deutschlands, sei- dezu tollkühn – von ungeheurem Selbstvertrauen ge- ner Wirtschaft und Wissenschaft, befürchtet haben. trieben, wollte er die Bedrohung seiner Person und Nach Kriegsende schrieb Mayer rückblickend: Angehörigen nicht wahrhaben.521 Dass Mayer mit einem «Als Wissenschaftler und Ingenieur ist meine Todesurteil rechnen musste, wenn der Verrat des «Oslo- Grundeinstellung unpolitisch gewesen; ich gehörte nie Reports» bekannt geworden wäre, zeigt z. B. der Fall des einer Partei an. Als rechtlich denkender Mensch empör- Braunschweiger Chemie-Professors Siegfried Hilpert, ten mich die Untaten des Nationalsozialismus in im- der wegen «Landesverrats und Feindbegünstigung» am mer steigendem Maße, insbesondere die Behandlung 10. 10. 1941 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt der Judenfrage, das Brechen von Staatsverträgen, dann wurde522. im Krieg die rücksichtslose Unterdrückung aller Le- Der Konservative Mayer entwickelte sich zum ent- bensrechte in den besetzten Ländern und in Deutsch- schiedenen NS-Gegner. Der von ihm gewählte Weg war land selbst. Ich haßte Hitler schließlich so sehr, daß ich doppelt problematisch und sicherlich nicht leichten ihn ermordet hätte, wenn ich dazu die Gelegenheit ge- Herzens gewählt: Als langjähriger Siemens-Mitarbeiter habt hätte.»518 gab er Firmengeheimnisse preis, und als deutscher Pat- Mayer reiste regelmäßig beruflich nach Großbritan- riot entschloss er sich zu kalkuliertem Landesverrat. In nien und war eng mit Henry Cobden Turner befreun- einer Güterabwägung hielt Mayer den Sturz des NS-Re- det, den er als Verbündeten betrachtete, wie er 1967 gimes für wichtiger als die Verteidigung des Vaterlan- rückblickend äußerte: des. Durch die Weitergabe deutscher Rüstungsprojekte «Looking back to those times, I would say today, that an die Briten sollte ein militärischer Sieg Hitlers verhin- in all probability the ‹Oslo Report› would not have been dert und ein Ende des NS-Regime herbeigeführt werden. written if I had not known Mr. Cobden Turner so well. Dabei nahm er in Kauf, dass der Feind seine militäri- For he was my ally, and thus I felt as an ally of England, schen Informationen zur Bekämpfung deutscher Lands- leute nutzte. Diese Form des Widerstands war in der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit nicht populär. Mayer 514 Jones 1989, S. 321, darin wörtlich wiedergegeben ein Brief zog es vor, nach 1945 über seine Taten zu schweigen. Mayers an Jones vom 18. 7. 1967. 515 Bode, 1989. 516 Jews Are Ordered To Leave Munich, New York Times, 11. 11. 1938. 519 Jones 1989, S. 323, darin wörtlich wiedergegeben ein Brief 517 The Democracies Pray for German Jews, Life Magazine, Mayers an Jones vom 18. 7. 1967. 11. 11. 1938. Internet-Dokument: http://www.life-magazines. 520 Jones 1989, S. 325. com/mag.php?d=112838. 521 Zu Elser siehe Renz 2007, S. 161–182. 518 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Dr. H. F. Mayer, Berlin-Charlot- 522 Szabo 2000, S. 579f. Das Todesurteil wurde freilich im tenburg 21. 6. 1945, Lebenslauf. August 1942 in eine Haftstrafe umgewandelt (ebd.). 77 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

6. Der alliierte Sieg und der Zusammenbruch des Natio- Umgang mit dem nalsozialismus stellten die Sozialpyramide auf den Kopf. Küpfmüller unterlag mit seinem hohen SS-Rang «Dritten Reich» am und seinen zahlreichen Funktionen und Auszeichnun- gen in der Rüstungsforschung dem «Automatic Arrest», Beispiel von Küpfmüller, d. h. der präventiven Internierung hoher Funktionäre des NS-Staats durch die US-Besatzungsmacht. Hinge- Mayer und Piloty gen wurden unbelastete Persönlichkeiten wie Mayer und Piloty in der US-Zone an ihrer beruflichen Wir- kungsstätte zur Mitwirkung bei der Entnazifizierung herangezogen, Leitungsfunktionen wurden ihnen übertragen, und beide Wissenschaftler folgten Einla- dungen zu Forschungsaufenthalten in den USA.

Allerdings konnte auch Karl Küpfmüller nach über zweijähriger Lagerhaft und Entnazifizierung durch eine deutsche Spruchkammer rasch wieder gleichziehen. Zunächst schien ihm gar überhaupt kein Karriereknick zu drohen, denn die britische Kriegsmarine machte ihm Avancen. Dann wurde er in der US-Zone interniert, konnte jedoch eine privilegierte Behandlung inklusive Arbeitserlaubnis erreichen.523 Auch sein Spruchkammerurteil fiel erstaunlich milde aus.524 Dass ein als «Hauptschuldiger» in Gruppe I angeklagter SS-Obersturmbannführer 1947 in erster Instanz rechtskräftig als «Mitläufer» in Gruppe IV ein- gestuft wurde, ist höchst ungewöhnlich. Immerhin war die SS ein Jahr zuvor im Urteil des Nürnberger Mili-

523 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Bayerische Landesvereinigung der elektrotechnischen Industrie e.V. an Sonderministerium, Dr. Lothar Rohde, München 7. 3. 1947. 524 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Spruchkammer des Internierungslagers Hammelburg, Spruch, AZ K-809/BAS.-II VI/148–47, Hammelburg 4. 11. 1947. 78 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

tärtribunals als «verbrecherische Organisation» klas­ waren für die begehrte Einstufung in die V. Gruppe der sifiziert worden. Selbst die Herabstufung eines als «Entlasteten» anzusetzen: «Entlastet ist: wer trotz einer «Hauptschuldig» Angeklagten zum «Minderbelaste- formellen Mitgliedschaft oder Anwartschaft oder eines ten» (Gruppe III) kam damals nur selten vor.525 anderen äußeren Umstandes sich nicht nur passiv ver- Laut dem «Gesetz zur Befreiung von Nationalsozia- halten, sondern nach dem Maß seiner Kräfte aktiv lismus und Militarismus» vom 5. März 1946 musste ihn Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewalt- die Anklage – auf der Grundlage einer widerlegbaren herrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten Vermutung – in die I. Gruppe der Hauptschuldigen ein- hat.» (Art. 13). Eine solche Einstufung war für Küpfmül- reihen, da er der Allgemeinen SS als «Offizier abwärts ler natürlich unerreichbar, weswegen er und sein Ver- bis und einschließlich Sturmbannführer [Major]»526 teidiger von Anfang an auf «Mitläufer» plädiert hatten. angehörte (Anlage, Teil A). Freilich sollten formelle Be- Zwar kommt der Historiker Lutz Niethammer in sei- lastungen nicht allein ausschlaggebend sein: Die Beur- nem Standardwerk mit dem provozierenden Titel «Die teilung des Einzelnen hatte «in gerechter Abwägung Mitläuferfabrik» zum Ergebnis, dass die bayerischen der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsäch­ Spruchkammern ab 1947 zunehmend mildere Urteile lichen Gesamthaltung»527 (Art. 2) zu erfolgen. Für die fällten und mittlere bzw. höhere Parteifunktionäre II. Gruppe der «Belasteten», aufgeteilt in «Aktivisten, sowie einfache Waffen-SS-Angehörige nun häufig als Militaristen, Nutznießer», wurden geringere Schuldkri- «Mitläufer» einstuften. Doch hätten Mitglieder der terien angesetzt. Hierunter fielen vermutungsgemäß Allgemeinen SS mit einem solchen Urteil erst nach beispielsweise Angehörige der Allgemeinen SS unter- 1949, zum Auslaufen der Entnazifizierung, rechnen halb des Ranges eines Sturmbannführers. Mildernde können.529 Umstände konnten zur Einstufung in die III. (Bewäh- Da in dem Spruchkammerverfahren sowohl Belas- rungs-)Gruppe der «Minderbelasteten» führen, die sich tungs- wie Entlastungszeugen gehört und deren Argu- bis zur endgültigen Einstufung einer zwei- bis dreijähri- mente in der Urteilsbegründung eingehend abgewogen gen Probezeit stellen und ihre Eignung für die freiheit- wurden, ist nicht davon auszugehen, dass Ankläger und lich-demokratische Grundordnung nachweisen muss- Richter Küpfmüller von vorneherein schonen wollten. ten. Für die IV. Gruppe der «Mitläufer», denen nicht Auch gibt es keine Anzeichen für den damals verbreite- mehr Haft bzw. Arbeitslager, sondern lediglich eine ten «Zeugenstreik», d. h. die Weigerung von Belastungs- ­finanzielle Sühnemaßnahme drohte, definierte das Ge- zeugen, vor Gericht zu erscheinen und eine in der Be- setz eigentlich verhältnismäßig strenge Kriterien: völkerung unpopuläre Aussage zu machen.530 «Mitläufer ist: wer nicht mehr als nominell am Natio- Erfolgreich wandte Küpfmüller Verteidigungsstrate- nalsozialismus teilgenommen oder ihn nur unwesent- gien an, wie sie laut Rüdiger Hachtmann viele Deutsche lich unterstützt und sich auch nicht als Militarist erwie- praktizierten.531 Abgesehen von fragwürdigen Behaup- sen hat.»528 (Art. 12). Eng begrenzte Voraussetzungen tungen («SS-Ehrenrang»), argumentierte er mit Forma- lien, z. B. dem Nichttragen einer Uniform, der Nichtent­ richtung von Beiträgen, der nicht erfolgten formellen 525 Der SS-Hauptsturmführer und SD-Angehörige Helmut Verpflichtung, der Befreiung vom Dienst und der Nicht- Joachim Fischer wurde 1947 von einer Lagerspruchkammer übernahme von Ämtern und Funktionen in der SS. Dem (Darmstadt) in der US-Zone als «Hauptschuldiger» an- geklagt und zum «Minderbelasteten» herabgestuft: Vorwurf des «Militarismus» begegnete er mit dem Ver- «Damit konnte ich mehr als zufrieden sein, denn es kam weis auf patriotische Motive: «Unsere Arbeiten haben kaum einmal vor, dass jemand in Gruppe I angeklagt wir nicht aus Freude am Krieg gemacht, sondern weil und dann abschließend in Gruppe III eingestuft wurde.» 532 (Fischer 1985, S. 251) wir glaubten, unserem Vaterlande damit zu dienen.» 526 Ministerium für Sonderaufgaben o.J., S. 34. Seine am 1. 5. 1937 begonnene NSDAP-Mitgliedschaft spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Denn nur bei einem vorher erfolgten Eintritt sollte laut Gesetz eine vermutungs- pung eingetreten oder verantwortlich ist; 3. wer die gemäße Einstufung in Gruppe II (Belastete) erfolgen, bei Aufrüstung zu diesen Zwecken förderte.» (Art. 8) (ebd., S. 9). Ausübung von Parteiämtern bis herunter zum Amtsleiter Die Unterstützung der Kriegsanstrengungen des eigenen einer Kreisleitung eine Einstufung in Gruppe I der Landes fiel im Grundsatz nicht unter diesen Begriff. Hauptschuldigen (ebd., S. 33). 529 Niethammer 21994, S. 621f. 527 Ministerium für Sonderaufgaben o.J., S. 6. 530 Füssl 1997, S. 231. 528 Ministerium für Sonderaufgaben o.J., S. 15. «Militarismus» 531 Hachtmann 2007, S. 315–322. wurde freilich eng definiert: «Militarist ist: 1. wer das 532 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Leben des deutschen Volkes auf eine Politik der miitäri- Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, schen Gewalt auszurichten suchte; 2. wer für die Beherr- ­Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage schung fremder Völker, ihre Ausnutzung und Verschlep- Küpfmüller. 79 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

Auch grenzte er sich von vermeintlich «echten Natio- wird, unsere schwer darnieder liegende Wirtschaft wie- nalsozialisten» ab und betonte weltanschauliche Dif­ der aufzubauen.»535 ferenzen, z. B. dokumentiert durch seinen Einsatz für Die Aufnahme dieser Passage bot auch Gewähr jüdische Mitarbeiter.533 Gerade in späteren Stadien der ­dafür, dass das Urteil bei der Überprüfung durch die Entnazifizierung reichten deutschen Spruchkammern US-Militärregierung nicht kassiert würde. Denn die solche Argumente häufig für die Einstufung als «Mit- Militärregierung erkannte der Rekrutierung von Fach- läufer» aus. Doch argumentiert Hachtmann, dass für kräften für den Wiederaufbau inzwischen größere Be- die Beurteilung als Nationalsozialist nicht formale deutung zu als der rigorosen Bestrafung aller NS-Akti- ­Kriterien, sondern der Grad der Einsatzbereitschaft visten. ­entscheidend war. Außerdem habe der weltanschau- Im Urteil fehlten übliche Formulierungen, die dem lich nicht kohärente Nationalsozialismus vielfältige Beschuldigten demokratische Läuterung und Integrati- Möglichkeiten eines ideologischen Anschlusses eröff- onsfähigkeit attestieren. Anscheinend hielten die Richter net. Wie er am Beispiel der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Küpfmüllers fachliche Fähigkeiten für so herausragend ausführt, seien viele deutsche Wissenschaftler von ei- und seine politische Belastung für so vernachlässigbar, nem «tiefverwurzelten Nationalismus» geprägt gewe- dass sie auf diesen Aspekt nicht eingingen. sen, gepaart mit deutschem Überlegenheitsgefühl und Durch die Einstufung als «Mitläufer» ermöglichten imperialistischen Ambitionen. Auch wenn viele von ih- ihm die Richter die nahtlose Fortsetzung seiner Karri- nen nach dem Krieg ein «unpolitisches» Verhalten für ere im Nachkriegsdeutschland. Denn bereits «Belaste- sich reklamierten, hätten sie sich doch auf dieser ten» (Klasse II) drohte Arbeitslager, ihr Vermögen war Grundlage bereitwillig in den Dienst des NS-Regimes ganz oder teilweise einzuziehen, die Rechts- und Pensi- gestellt.534 onsansprüche verfielen, und für mindestens fünf Jahre Angesichts seines hohen SS-Rangs mussten bei wurde ihnen eine leitende Tätigkeit in der freien Wirt- Küpfmüller freilich zwei weitere Gesichtspunkte hinzu- schaft untersagt.536 Die Wiederaufnahme einer Hoch- kommen, um ihm zur ausgesprochen milden Ein­ schulkarriere war «Belasteten» verwehrt und allenfalls stufung als «Mitläufer» zu verhelfen. Erstens konnte «Mitläufern» möglich, die freilich zusätzliche Unbe- Küpfmüller entlastende Stellungnahmen von gleich denklichkeitserklärungen von Hochschulseite benötig- zwei KZ-Opfern (Mayer und Rohde) vorbringen. Ihre ten (siehe unten). Aussagen wurden in der Urteilsbegründung denn auch An dieser Stelle drängt sich ein Vergleich mit dem besonders gewichtet. Zweitens konnte er von seiner he- Germanisten Hans Ernst Schneider auf, dessen Fall 1995 rausragenden fachlichen Qualifikation und den Erfor- einen akademischen Skandal auslöste. Schneiders dernissen des Wiederaufbaus profitieren, wie auch ­politischer Weg in der NS-Zeit ähnelte verblüffend dem- viele andere Ingenieure und Naturwissenschaftler. jenigen Küpfmüllers: Wie dieser trat er 1933 der SA bei, Mehrfach wird in dem vierseitigen Spruch auf die her- wechselte ebenfalls 1937 in die SS und schloss sich in ausragenden wissenschaftlichen Leistungen Küpfmül- diesem Jahr auch der NSDAP an. Als arbeitsloser junger lers verwiesen, und zum Schluss führen die Richter in Akademiker war Schneider 1933 freilich weit stärker fast wörtlicher Übernahme von Rohdes Argumentation von materieller Not und beruflicher Perspektivlosig- aus: keit getrieben als der bereits arrivierte Jungordinarius «Der Betroffene ist ein international anerkannter Küpfmüller. Im «Persönlichen Stab des Reichsführers- Fachmann und es wurde ihm besonders hoch ange- SS Heinrich Himmler» und im Amt brachte rechnet, dass er sich verpflichtet hat, sein ganzes Wis- es Schneider zum SS-Hauptsturmführer, zwei Stufen sen und Können der bayerischen Elektro-Industrie zur unter dem Rang von Küpfmüller. Nach Kriegsende ließ Verfügung zu stellen und er somit tatkräftig mithelfen er sich für tot erklären, nahm eine falsche Identität als «Hans Schwerte» an, heiratete seine «Witwe» er- neut, promovierte ein zweites Mal und erhielt nach der

533 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage 535 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. Küpfmüller bzw. Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, Frage- 1897, Spruchkammer des Internierungslagers Hammel- bogen aufgrund des Gesetzes zur Befreiung vom National- burg, Spruch, AZ K-809/BAS.-II VI/148–47, Hammelburg sozialismus und Militarismus vom 5. März 1946, Karl 4. 11. 1947. Küpfmüller, 20. 1. 1947 bzw. Küpfmüller an Lagerspruch- 536 TUDA, TH 25/01, Nr. 405–4 Küpfmüller, Karl, Abriß des kammer, Hammelburg 29. 6. 1947. Lebens- und Bildungsganges, Küpfmüller, Stuttgart 534 Hachtmann 2007, S. 1211f. 30. 6. 1951. 80 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

Habilitation 1965 ein Ordinariat an der RWTH . mens539 nicht an, sondern ging als Leiter der gesamten In den Jahren der Studentenrevolte amtierte er als Rek- wissenschaftlichen Entwicklung und Vorstandsmit- tor (1970–73) und profilierte sich durch linksliberale An- glied zur Standard-Elektrik-Gesellschaft in Stuttgart. sichten, die dem damaligen Zeitgeist entgegenkamen. Im Februar 1951 schlug die Fakultät für Maschinen- Als Hochschulbeauftragter für die Beziehungen Nord- wesen der TH Stuttgart Küpfmüller, einen Wissen- rhein-Westfalens mit den Niederlanden und Belgien ar- schaftler von «Weltruf», für eine Honorarprofessur beitete Schneider/Schwerte gar auf demselben Gebiet, vor. Die Lücke im Lebenslauf in den Jahren 1945–48 wie von 1940–42 als SS-Mann in den besetzten Gebieten wurde im Antrag nicht näher erläutert; auf politische Niederlande und Flandern. Seiner Enttarnung kam er Belastungen wurde kein Bezug genommen.540 Mög­ 1995 durch Selbstanzeige zuvor.537 licherweise kannten die Professoren Küpfmüllers Im Gegensatz zu Küpfmüller, der seine NS- und SS- Spruchkammerbescheid gar nicht. Als dieser den Perso- Vergangenheit im Spruchkammerverfahren lediglich nalbogen der Hochschule ausfüllte, vermerkte er als Er- herunterzuspielen suchte, griff Schneider zu vorsätzli- gebnis der politischen Prüfung «Mitläufer». Die Sparte cher Identitätsfälschung. Seine politische Belastung «Militär-Verhältnisse» ließ er unausgefüllt.541 Auf An- war freilich höher als diejenige Küpfmüllers, hatte er forderung des baden-württembergischen Kultusminis- doch, wenn auch nur als Hauptsturmführer (Haupt- teriums reichte er seinen Spruchkammerbescheid mann), hauptamtlich für die SS und im engsten Umfeld nach. Mangels Aktenüberlieferung542 ist keine Aussage Himmlers gearbeitet. Zudem vertrat er ein – auch in sei- darüber möglich, ob sein Fall im Ministerium zu Dis- nen eigenen Schriften – stark von der NS-Ideologie kussionen führte. Ungeachtet seines früheren hohen durchdrungenes geisteswissenschaftliches Fach, Küpf- SS-Ranges wurde er im Juni 1951 zum Honorarprofessor müller hingegen die ideologieferne Elektrotechnik. Die ernannt.543 Eine politische Unbedenklichkeitserklä- akademische Laufbahn wäre Schneider sicherlich ver- rung von Seiten der Hochschule forderte das Kultusmi- wehrt geblieben, wenn er seine SS-Karriere offenbart nisterium nicht an. Wahrscheinlich waren die Anforde- hätte, und er hätte eine fachnahe Anstellung wohl al- rungen bei der Ernennung von Honorarprofessoren lenfalls als Verlagslektor oder dergleichen erreichen auch vergleichsweise niedrig. können. Offenkundig war es Schneider/Schwerte unge- Kurze Zeit später, im September 1951, erhielt Küpf- mein wichtig, weiterhin wissenschaftlich als Germanist müller einen Ruf auf den Lehrstuhl für Elektrotechnik zu arbeiten. Dafür war er auch bereit, eine riskante Le- der TH Darmstadt. Im Berufungsvorschlag auf den benslüge aufrecht zu halten. 1. Platz gesetzt, wurden wiederum seine herausragen- Küpfmüller war nach Kriegsende nicht demselben den fachlichen Qualitäten betont: «[...] Herr Küpfmül- Druck wie der Germanist Schneider/Schwerte ausge- ler ist nicht nur in Deutschland der weitaus bedeu- setzt. Als Ingenieurwissenschaftler konnte er von Wie- tendste Vertreter seines Fachs, sondern er ist als deraufbau und Wirtschaftswunder profitieren. Selbst international führende Persönlichkeit anzusehen.»544 wenn ihm aufgrund politischer Belastung die Wieder- Der Darmstädter Fakultät waren Küpfmüllers NS- und aufnahme einer akademischen Karriere verwehrt wor- SS-Mitgliedschaften und Ämter bekannt. Ausführlich den wäre, hätte er eine vielversprechende fachliche wurde dieser Sachverhalt im Gutachten diskutiert, um Karriere in der Industrie fortsetzen können. mögliche Hindernisse für eine Berufung aus dem Bei Siemens & Halske beschäftigte sich in der ersten Weg zu räumen. Denn im Unterschied zur Anstellung in Jahreshälfte 1947 eine Entnazifizierungskommission mit Küpfmüller und sammelte Stellungnahmen unter 538 den Mitarbeitern. Wahrscheinlich stand seine Rück- 539 Winfried Oppelt: Ergänzung zum Nachruf auf Karl kehr zur Debatte. Möglicherweise aufgrund der negati- Küpfmüller, Darmstadt, 23. 1. 1981. In: Sckommodau 1980, ven Stellungnahme des Siemens-Betriebsrates nahm Einlegeblatt. 540 Universität Stuttgart, Archiv, 57/1373, Dekan der Fakultät Küpfmüller im Juni 1948 ein Stellenangebot von Sie- für Maschinenwesen an der Technischen Hochschule Stuttgart an Rektor Prof. E. Siebel, Stuttgart 12. 2. 1951. 541 Universität Stuttgart, Archiv, 57/1373, Personalbogen, Karl Küpfmüller, Stuttgart 17. 3. 1951. 542 Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart sind keine Akten erhalten. 537 Zum Fall Schwerte/Schneider siehe König/Kuhlmann/ 543 Universität Stuttgart, Archiv, 57/1373, Kultusminister Schwabe 1997, Loth/Rusinek 1998, S. 143–245. Dr. Schenkel an Küpfmüller, Stuttgart 6. 6. 1951. 538 Siemens-Forum München, Archiv, 13 / Lt 714. Personal- 544 TUDA, TH 25/01, Nr. 405–4, Berufungsvorschlag für die referat, Dr. Meine, an Entnazifizierungskommission der Nachfolge des ordentlichen Professors der Elektro- Siemens-Betriebe, Herrn Krietling, Berlin-Siemensstadt technik Dr. Dr.-Ing. E.h. Hans Busch, Darmstadt, 26. 9. 1951, 19. 5. 1947. Gundlach, Lebrecht, Vieweg, Scheubel. 81 6. Umgang mit dem «Dritten Reich» der Privatwirtschaft benötigten «Mitläufer» im Hoch- dort gelehrt hatten), dass ein Beitritt zu Danziger schuldienst damals noch zusätzliche politische Un- NS-Organisationen angesichts der deutsch-polnischen bedenklichkeitserklärungen von Rektor, Senat und Fa- Rivalität als Bekenntnis zum Deutschtum und nicht als kultät. Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschau- Der Berufungsausschuss lehnte sich eng an das ung zu werten sei. Auch wenn diese Aussage in man- Spruchkammerurteil an und bürgte für Küpfmüllers chen Fällen zutreffen mochte, konnte sie keine Allge- demokratische Gesinnung: meingültigkeit beanspruchen. Die vage Formulierung «Während des Krieges arbeitete er in kamerad- lässt vermuten, dass die Befragten Küpfmüller in Dan- schaftlicher Weise mit seinen jüdischen Mitarbeitern zig gar nicht persönlich kennen gelernt hatten. Dr. Deutschmann und Dr. Jacobi zusammen; bei der Die «politische Überprüfung» Küpfmüllers durch Verhaftung des Herrn Dr. Mayer wegen antifaschisti- die Hochschule wurde vom Hessischen Kultusministe- scher Betätigung setzte er sich mit seiner ganzen Per- rium akzeptiert. Es hielt «keine weiteren Bemerkungen sönlichkeit dafür ein, dass dieser wieder aus der Haft zu diesem Thema»545 für notwendig. Küpfmüller wurde entlassen wurde (vergl. das anliegende Verhandlungs- 1952 zum ordentlichen Professor an der TH Darmstadt protokoll der Spruchkammer des Internierungslagers ernannt, und bereits drei Jahre später wurde er zum Hammelburg vom 4. November 1947). Während seiner Rektor der Hochschule gewählt. Es ist erstaunlich, dass Tätigkeit in Danzig war er genötigt, 1934 in das NSKK die seit Dezember 1950 von der SPD geführte hessische einzutreten. Aus Besprechungen mit Kennern der da- Landesregierung einen ehemaligen SS-Obersturm- maligen Danziger Verhältnisse erfuhr der Berufungs- bannführer ohne weitere aktenkundige Bedenken zum ausschuss, dass für einen solchen Schritt nicht der Ge- Ordinarius und Rektor ernannte. Dabei war Hessen bei sichtspunkt «Partei» bestimmend war, sondern dass es der Entnazifizierung keineswegs lax vorgegangen, und sich um ein Bekenntnis zum deutschen Vaterland han- im 1949 beschlossenen Abschlussgesetz war ein Passus delte, das gegen die polnischen Einflüsse zu kämpfen enthalten, dass bei Einstellung und Beförderung von hatte. Um dem Zwang eines Dienstes im NSKK zu ent- Beamten deren politische Vergangenheit zu berück- gehen, trat Herr Kupfmüller noch in Danzig in einen sichtigen sei.546 Nachrichtensturm der SA über. Nach seiner Berufung Bei Küpfmüllers Berufung in die Akademie der Wis- an die Technische Hochschule Berlin konnte er sich senschaften und der Literatur in Mainz im Jahr 1954 dem Einfluss der SA nicht wieder entziehen. Im Jahr wurde seine politische Vergangenheit schon nicht 1938 wurde er vom SS-Oberabschnitt «Spree» in Berlin mehr diskutiert. Im Wahlvorschlag wird Küpfmüller als zum Oberscharführer der allgemeinen SS ernannt, «eine international führende Persönlichkeit»547 auf ohne bis dahin Mitglied dieser Organisation gewesen seinem Fachgebiet bezeichnet. Seine Vita in den Jah- zu sein. In den nachfolgenden Jahren wurden von ren 1945–48 wurde verkürzt und beschönigend darge- ­dieser Stelle weitere Ernennungen ausgesprochen, zu- stellt: letzt im Jahre 1944 die Ernennung zum Obersturm- «Der Zusammenbruch machte seiner Industrietätig- bannführer. Herr Küpfmüller hat in der SS niemals eine keit ein Ende. Sofort begann er wieder mit wissenschaft- Tätigkeit ausgeübt, ist niemals als Mitglied verpflichtet lichen Forschungsarbeiten. [...] Als der Wiederaufbau worden und hat keinen Dienst geleistet; auch Mit- der deutschen Industrie voranging, kehrte Herr Küpf- gliedsbeiträge hat er nie bezahlt. Seine Anwartschaft in müller in die Industrie zurück.»548 der NSDAP war mit der Zugehörigkeit zur SS zwangsläu- Solche Formulierungen waren typische Chiffren der fig verknüpft. Herr Küpfmüller hat sich niemals positiv Adenauer-Zeit für politische Belastung, Entlassung und im nationalsozialistischen Sinne betätigt. [...] Der Be­ langdauernde Entnazifizierung. Den Zeitgenossen war rufungsausschuss ist einstimmig der Ueberzeugung, in diese Sprache vertraut; viele von ihnen nahmen die persönlicher und politischer Hinsicht die volle Verant- verborgene Botschaft mit Sympathie für den Betroffe- wortung für seinen Vorschlag übernehmen zu kön- nen auf. nen.» Man übernahm damit im Wesentlichen fragwürdige Eigenaussagen Küpfmüllers aus dem Spruchkammer- 545 HHStA, Abt. 504, Nr. 11086, Kultusministerium, Metzger, an Direktor des Landespersonalamtes Hessen, Wiesbaden urteil. Ein neuer Aspekt waren Untersuchungen der 28. 3. 1952. ­Fakultät über die politische Lage im Danzig der Jahre 546 Schuster 1999, S. 418–420, 364f. 1933–35. Die Ausschussmitglieder folgten der Argumen- 547 AWLMA, Personalakt Küpfmüller, Karl, 30. 7. 1954, Wahl- vorschlag, Vieweg, Justi, Wezler, Inhoffen, Jordan, Haupt, tation von «Kennern der damaligen Danziger Verhält- Seewald, 3. 12. 1953 nisse» (wahrscheinlich Darmstädter Professoren, die 548 ebd. 82 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

Bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre er- ­unter dem Namen Gesamtdeutscher Block/Bund der reichte Küpfmüller hohe wissenschaftliche und wissen- Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) 5,9 Pro- schaftspolitische Ämter. So war er von 1955–57 Vor­ zent der Zweitstimmen und zog in den Bundestag ein. sitzender des Verbandes Deutscher Elektroingenieure Sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene galt der BHE (VDE) und von 1956–59 Vizepräsident der Deutschen als regierungsfähig und war an Unions- wie SPD- Forschungsgemeinschaft (DFG).549 1963 wurde der be- geführten Koalitionen beteiligt.554 Nicht nur der BHE liebte Hochschullehrer an der TH Darmstadt emeritiert setzte sich für politisch Belastete ein: Auch die FDP und von den Studenten mit einem Fackelzug verab- warb im Bundestagswahlkampf 1949 mit dem populi- schiedet.550 stischen Motto «Schlußstrich drunter! Schluss mit Ent- Als Vergleichsfall für einen schnellen Wiederauf- nazifizierung, Entrechtung, Entmündigung. Schluss stieg nach 1945 sei der – Küpfmüller aus gemeinsamer mit dem Staatsbürger 2. Klasse. Wer staatsbürgerliche Rüstungsforschung wohlbekannte – Technische Physi- Gleichberechtigung will, wählt FDP.»555 ker Abraham Esau angeführt. Gemäß seinem NS-kriti- Die neuere Forschung ist zum Ergebnis gekommen, schen Kollegen Max von Laue gebärdete sich Esau «als dass Ende der 1940er Jahre ein kollektives «Beschwei­ ein Haupt-Repräsentant des Nationalsozialismus unter gen»556 der jüngsten Vergangenheit einsetzte. Zwar den deutschen Physikern».551 Wegen seiner Mitverant- wurden Verbrechen nicht verschwiegen, doch wurden wortung für die Aneignung des Vermögens der Firma die Geschehnisse so kommuniziert, dass sich eine Philips wurde er nach Kriegsende an die Niederländer große Mehrheit der Deutschen entlastet fühlen konnte. übergeben. Nach Freilassung aus dortiger Gefangen- Ein verbreitetes Denkmuster war die Trennung zwi- schaft erhielt Esau 1949 eine Honorarprofessur an der schen einer «verbrecherischen» NS-Führungsschicht RWTH Aachen. 1953 wurde ihm die Leitung eines Insti- und dem angeblich eingeschüchterten, verführten oder tuts für Hochfrequenztechnik in Mülheim/Ruhr über- ahnungslosen Normalbürger. Auch wurden Verbrechen tragen, das zur Deutschen Versuchsanstalt für Luft- häufig mit sakraler Sprache dämonisiert, so dass sich fahrt (DVL) gehörte. Ein Jahr vor seinem Tod erhielt die Frage kaum mehr stellte, ob sich der einzelne Deut- Esau 1954 einen Ehrendoktor der Medizinischen Fakul- sche im Alltagsleben schuldig gemacht hat.557 tät der Universität Freiburg im Breisgau.552 Der Physiker Natürlich war es psychologisch nachvollziehbar, Fritz Schröter schrieb 1959 in seinem Artikel über Abra- dass die Deutschen nicht an eigene Schuld erinnert ham Esau in der «Neuen Deutschen Biographie: «Als werden wollten, vor allem nicht auf individueller Basis. Folge dieser offiziellen Stellung traf ihn beim Zusam- Die Menschen blickten lieber nach vorne als zurück menbruch von neuem ein unverdientes Schicksal in und richteten ihre Energien auf die Wiederankurbelung Gestalt holländischer Gefangenschaft bis 1948.»553 der zerstörten Wirtschaft, was bald in einem unerwarte- Die Fälle Küpfmüller und Esau führen beispielhaft ten deutschen «Wirtschaftswunder» resultierte. Auch vor, welch schnelle Fortschritte die Sozialisation von lenkte der sich verschärfende Kalte Krieg von der Aufar- politisch Belasteten zwischen 1949 und 1955 machte beitung der NS-Vergangenheit ab, nicht nur bei den und wie gering das Schuldbewußtsein in der Bevölke- Deutschen, sondern auch bei den westlichen Sieger- rung war. Viele Deutsche meinten, genug für die NS- mächten. Er akzentuierte zudem die aktuellen Verbre- Untaten gebüßt zu haben, für die man Hitler und einen chen des Kommunismus, womit die nationalsozialisti- kleinen Kreis hoher NS-Funktionäre verantwortlich schen Verbrechen in den Hintergrund rückten. machte. Entsprechend verbreitet waren in der Bevölke- Mit großer Selbstverständlichkeit beanspruchten rung Sympathien für NS-Belastete. Damals agierte eine viele Deutsche eine eigene Opferrolle. Sie bestritten politische Partei mit dem Namen «Bund der Heimat- nicht das Leid von Juden und anderen Verfolgten in den vertriebenen und Entrechteten» (BHE) – die «Entrechte- Jahren 1933–45, doch war die Ansicht verbreitet, dass ten» waren diejenigen, die von politischen Sanktionen betroffen waren, z. B. «amtsverdrängte» Hochschulleh- rer. Bei der Bundestagswahl 1953 erreichte die Partei 554 Nach Übertritt seiner meisten führenden Politiker in die CDU/CSU Anfang der 1960er Jahre wurde der BHE bedeutungslos (Treue 1975, S. 232–234). 555 Ernst Piper: Schatten der Vergangenheit. In den Behörden 549 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Nebenämter der Nachkriegszeit erreichten viele führende Nationalsozi- seit 1952, Küpfmüller, 7. 9. 1977. alisten ihre Wiederverwendung. In: Das Parlament (2012) 550 Persönliche Mitteilung Gertrud Bickelhaupt, 28. 1. 2012. 46–47 vom 12. 11. 2012. 551 zit. nach Klee, S. 139. 556 Frei 2012, S. 9 bzw. 15, Norbert Frei: Vergangenheitspolitik 552 Fritz Schröter: Esau, Abraham, in NDB 4 (1959), S. 640f. in den fünfziger Jahren. In: Loth/Rusinek 1998, S. 79. 553 ebd. 557 hierzu Frei 2012, S. 33. 83 6. Umgang mit dem «Dritten Reich» die Deutschen durch Millionen Kriegstote, Zerstörung Kritiker dieser These bestreiten zwar nicht bedenkliche ihrer Städte, langjährige Gefangenschaft bzw. Internie- Kontinuitäten, z. B. in Justiz und Behörden, doch stellen rung, Hunger und Entbehrung, Flucht und Vertreibung, sie ein intentionales Kartell in Abrede und verweisen Gebietsverluste sowie die Teilung ihres Vaterlandes in- auf fortdauernde Bemühungen zur Aufarbeitung der zwischen genug gebüßt hätten. Zudem resultierte der NS-Zeit.562 Im Jahr 2012 veröffentlichte der langjährige Abschluss der juristischen Entnazifizierung in einer Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, ei- «kollektiven Entlastungswirkung»558: Die Betroffenen nen Aufsatz in der Süddeutschen Zeitung mit dem auf meinten, durch Geld- oder Haftstrafen ausreichend ge- Giordano Bezug nehmenden, provokativen Titel «Un- sühnt zu haben, die Nichtbetroffenen hielten sich für ser letzter Stolz» und führte neben anderen Beispie- entlastet. Als die Bundesrepublik auch noch materielle len die kontinuierliche Arbeit seines 1949 gegründeten Wiedergutmachung an NS-Opfer gewährte, erachteten Instituts zur NS-Aufarbeitung an.563 viele Deutsche endgültig den Zeitpunkt für gekommen, Häufig wird postuliert, dass das «Beschweigen» der einen «Schlussstrich» unter die jüngste Vergangenheit NS-Vergangenheit und eine großzügige Integration von zu ziehen, in politischer, juristischer wie moralischer NS-Belasteten für das Gelingen des westdemokrati- Hinsicht. schen Experiments sozialpsychologisch und politisch An den Universitäten suchte man die als «Ausnah- notwendig gewesen sei.564 Das zutiefst verunsicherte mesituation» dargestellte NS-Zeit mit der Fokussierung bürgerliche Selbstbewusstsein habe weitere Erschütte- auf eine «zweckfreie» Wissenschaft zu überwinden. Die rungen nicht vertragen. Der Burgfrieden zwischen von den Alliierten nach Kriegsende verfügte Amtsent- ­Tätern und Opfern habe eine homogene Nachkriegsge- hebung belasteter Hochschullehrer wurde gemäß Win- sellschaft hervorgebracht, und eine zweite Chance für fried Loth überwiegend «als unverdiente Härte» emp- integrierbare NS-Eliten habe dem neuen westdeut- funden und in vielen Fällen in den 1950er Jahren wieder schen Staat zur notwendigen politischen Stabilität ver- zurückgenommen. Hierzu trugen rechtliche Bestim- holfen. Argumentiert wurde auch, dass aufgrund der mungen wie das «131er Gesetz» bei, das den meisten we- großen Dimension der NS-Verbrechen nur eine allmäh- gen politischer Belastung entlassenen Beamten eine liche Aufarbeitung psychologisch erträglich gewesen Rückkehr oder zumindest großzügige Versorgungsbe- sei. Gemäß Ulrich Herbert war das Verfahren zwar mo- züge ermöglichte.559 ralisch fragwürdig, aber effektiv und erfolgreich.565 Ingenieure postulierten eine angebliche «Wertneu­ Kritischer äußert sich Norbert Frei, der beispiels- tralität» der Technik und distanzierten sich damit von weise die Frage aufwirft, warum keine weitreichendere der Übernahme politischer Verantwortung in der NS- Einbindung von Emigranten anstelle einer Weiter­ Zeit. Auch hatten sie Glück, dass ihre Kenntnisse drin- beschäftigung NS-Belasteter erfolgte.566 Er konstatiert gend für den Wiederaufbau benötigt wurden, und die eine maßgeblich von Bundeskanzler Konrad Adenauer Besten ihres Fachs wurden von den Alliierten umwor- geprägte und auf einem breiten Konsens fußende ben. Gert Hortleder nennt die Ingenieure denn auch «Vergangenheitspolitik»: scharfe Abgrenzung von nati- «Sieger der Niederlage», die «von Zerstörung und Auf- onalsozialistischem Gedankengut, jedoch Duldung na- bau gleichermaßen» profitiert hätten.560 tionalistischer Vorstellungen; harte Bestrafung der NS- Umstritten ist, ob eine gründliche Aufarbeitung der Haupttäter, jedoch Einbindung von leicht und mittel jüngsten Vergangenheit von Politik, Justiz, Wirtschaft belasteten Beamten und Fachkräften im Dienst von und Medien fahrlässig oder absichtlich versäumt Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Mit einem sol- wurde. Der Publizist Ralph Giordano prägte den Vor- chen Kurs konnte man laut Frei auch Wähler gewinnen, wurf von der «Zweiten Schuld» der Bundesrepublik bei den Betroffenen selbst wie bei großen Teilen der Be- Deutschland. Die Eliten des jungen westdeutschen völkerung. An ausgewählten Themenbereichen, wie Staates hätten nicht nur eine Vergangenheitsbewälti- dem von breiten Schichten getragenen Engagement für gung bewusst verhindert, sondern auch stark belastete die Freilassung verurteilter Kriegsverbrecher, zeigt er NS-Funktionäre in großer Zahl resozialisiert und ihnen hohe Posten in Staat und Verwaltung zugeschanzt.561 562 so Kittel 1993. 563 Horst Möller: Unser letzter Stolz. Süddeutsche Zeitung, 9. Juni 2012. 558 ebd. 2012, S. 14. 564 So Lübbe 1983, S. 579–599. 559 Wilfried Loth: Verschweigen und Überwinden: Versuch 565 vgl. Ulrich Herbert: NS-Eliten in der Bundesrepublik. einer Bilanz. In: Loth/Rusinek 1998, S. 354. In: Loth/Rusinek 1998, S. 93–115. 560 Hortleder 1970, S. 140. 566 vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik in den fünfziger 561 Giordano 1987. Jahren. In: Loth/Rusinek 1998, S. 79–92. 84 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

auf, wie CDU/CSU und SPD den nationalistisch argu- Angestoßen durch kritische Studenten, intensivierte mentierenden Parteien BHE, DP und FDP sowie interes- sich in den 1968er Jahren die Diskussion der jüngsten sierten Lobbygruppen Freiräume gewährten und ihnen deutschen Vergangenheit. Ideologisch motivierte Über- immer wieder aus wahltaktischen Gründen entgegen- spitzungen und Pauschalverurteilungen waren jedoch kamen.567 nicht immer hilfreich, um die Generation der Väter zu Jüngere Forschungen haben herausgearbeitet, dass einer Selbstreflexion zu motivieren. die Adenauer-Jahre auch ein recht problemloses ideolo- Wie viele andere Deutsche in den 1950er und 1960er gisches Andocken für NS-Belastete ermöglichten. Zwar Jahren zog es auch Küpfmüller vor, über seine Biogra- war der Antisemitismus nun politisch geächtet, doch phie zu schweigen. Seine wenigen Äußerungen zu die- wurde aus dem Feindbild des «Bolschewismus» im Kal- sem Thema deuten darauf hin, dass er sich in der deut- ten Krieg das Feindbild des «Sowjetkommunismus». schen Bevölkerung verbreitete Argumentationsmuster Großraumideen der NS-Zeit konnten nun auf das Pro- zu eigen machte571: formaljuristische Finessen, Beru- jekt der europäischen Einigung übertragen werden. fung auf Pflichterfüllung, Beanspruchung einer eige- Politisches Vormachtstreben mutierte zu wirtschaftli- nen Opferrolle sowie Selbstrechtfertigung mit dem Ar- chem Vormachtstreben. Deutsches Soldatentum feierte gument, dass man auf seinem Posten Schlimmeres mit der Wiederbewaffnung eine Renaissance, und die verhütet habe. So strich Küpfmüller wohl zustimmend von ehemaligen Berufssoldaten und Kriegsteilneh- in einer von den Internierten herausgegebenen Ham- mern angestrebte pauschale «Ehrenrettung» der Wehr- melburger Lagerzeitung eine Passage mit Rotstift an, macht fiel vor diesem Hintergrund auf fruchtbaren wonach fast alle Lagerinsassen nur aufgrund einer For- politischen Boden.568 malbelastung und nicht aufgrund eines Urteils arre- Ab Ende der 1950er Jahre wurde die «Schlussstrich- tiert seien und damit in erster Linie die Angehörigen Mentalität» allmählich in Frage gestellt. Rudolf Dahren- bestraft würden.572 Gegenüber seinem Kollegen Win- dorf stellte die These auf, dass die inzwischen erreichte fried Oppelt äußerte er später, dass er gerade aufgrund materielle Sicherheit und politische Normalisierung seiner NS-Mitgliedschaften «manches Unheil verhin- den Deutschen die Furcht vor kollektiven alliierten dern konnte».573 Strafmaßnahmen nahmen und politische Selbstrefle- Mitarbeiter und Kollegen Professor Küpfmüllers wie xion erlaubten.569 Vergangenheitsbewältigung wurde sein Siemens-Mitarbeiter Alfred Sacklowski, die Assis- aber auch durch beharrliche Initiativen einzelner Bür- tenten Franz Jenik und Bernhard Cramer, seine Schüler ger angestoßen. Aufsehen erregende Strafprozesse wie Eberhard Hänsler und Horst Ohnsorge, sein Kollege der Ulmer «Einsatzgruppenprozess» (1958), der Jerusa- Professor Werner Endres und seine Darmstädter Sekre- lemer «Eichmann-Prozess» (1961/62) und der Frank­ tärin Gertrud Bickelhaupt beschreiben ihn als gewis- furter «Auschwitz-Prozess» (1963–65) schockierten die senhaften, dabei freundlichen Menschen, der neben Öffentlichkeit und führten die persönliche Schuld seiner beruflichen Tätigkeit nicht viele Interessen und von Menschen in unteren und mittleren Positionen Ablenkungen hatte. So sagte Sacklowski im Spruch- vor Augen. Staatlicherseits wurden nun verstärkte An- kammerverfahren aus: «Persönlich war der Betroffene strengungen unternommen, die NS-Jahre aufzuar­ wenig zugänglich, seine Wissenschaft war ihm das beiten, so lief 1963 die viel beachtete Fernsehdoku­ ­wesentliche, alles andere trat zurück [...]»574 Gertrud mentation «Das Dritte Reich». Auch wuchs nun eine junge Generation heran, die die nationalsozialistische Herrschaft und den Krieg allenfalls als Kinder erlebt 571 Dirk von Laak: Trotz und Nachurteil. Rechtsintellektuelle hatte und ihren Eltern unbefangen kritische Fragen im Anschluß an das «Dritte Reich». In: Loth/Rusinek 1998, stellte.570 S. 63f. 572 Privatarchiv Sakuth. Nachlass Küpfmüller, Schicksale in Zahlen. In: Mitteilungsblatt und Zeitung des Internie- rungslagers Hammelburg, September 1947. Nr. 17, S. 1. – Die 567 Frei 2012, S. 163–306. US-Militärregierung hatte freilich auch keine besonderen 568 Axel Schildt: Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Anstrengungen unternommen, um politische Bildung Öffentlichkeit der Nachkriegszeit. In: Loth/Rusinek 1998, in den Internierungslagern zu fördern (Horn 1992, S. 34–44; Dirk von Laak: Trotz und Nachurteil. Rechtsin- S. 204–206). tellektuelle im Anschluß an das «Dritte Reich». In: Loth/ 573 Winfried Oppelt: Nachruf auf Karl Küpfmüller. In: Rusinek 1998, S. 69f. Sckommodau 1980, S. 71.. 569 nach Marc von Miquel: Aufklärung, Distanzierung, Apolo- 574 StAN, Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897, gie. Die Debatte um die Strafverfolgung von NS-Verbrechen Lagerspruchkammer Internierungslager Hammelburg, in den sechziger Jahren. In: Frei/Steinbacher 2001, S. 65. Protokoll der öffentlichen Sitzung am 4. 11. 1947, Aussage 570 ebd., S. 53–58 Sacklowski. 85 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

­Bickelhaupt zitierte seinen Ausspruch: «Wenn ich nicht Manche halten Schneider/Schwerte für einen karriere- arbeiten kann, hat das ­Leben keinen Sinn.»575 Als Per- orientierten Betrüger, andere für einen Feigling, der son sei Küpfmüller sehr ausgeglichen, niemals zornig, sich seiner Biographie nicht stellte. Wieder andere wer- großzügig, korrekt und ernst gewesen, seinem Wesen ten seinen Lebensweg nach 1945 als konsequenten Akt nach Idealist. Die Assistenten habe er an den For- der Wiedergutmachung: Nur als Schwerte habe der schungsgeldern beteiligt.576 Seine Ehefrau habe einmal einstige SS-Funktionär Schneider einen konsequenten geäußert: «Wenn man mit so einem Wissenschaftler Gegenentwurf zu seiner Vergangenheit leben können, verheiratet ist, hat man nicht viel davon.»577 Überein- und zwar sowohl als hochschulpolitisch aktiver Rektor stimmend wurde berichtet, dass sich Küpfmüller zu wie auch als Mitbegründer einer ideologiekritischen ­politischen Fragen nicht geäußert habe.578 Von den Be- Germanistik.581 Küpfmüllers Leben entbehrte solcher fragten, die ihn nach dem Krieg kennen lernten, wusste Dramatik. Weder täuschte er die Öffentlichkeit noch be- kaum jemand etwas von seiner NSDAP-Mitgliedschaft, trieb er aktive Vergangenheitsbewältigung. Küpfmüller geschweige denn von seiner SS-Vergangenheit. schwieg über die Jahre 1933–45 und vermied politische Auch seine Involvierung in die Rüstungsforschung Stellungnahmen. Auch ist nicht bekannt, ob die räumli- im Zweiten Weltkrieg erwähnte Küpfmüller nur selten che Nähe des Frankfurter «Auschwitz-Prozesses» (1963– und dann nur annäherungsweise. So verkündete er 65) bei Küpfmüller zu irgendwelchen Reaktionen ge- am 1. Februar 1975 vor der Wissenschaftlichen Gesell- führt hat. schaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Dies war durchaus typisch. Viele Ingenieure hatten Frankfurt am Main lapidar: «Für die Kriegsmarine ihre Karriere nach Kriegsende nahtlos fortsetzen kön- hatte ich die über den Firmenbereich hinausgehende nen und waren nicht bereit, kritisch zu reflektieren, Aufgabe der Entwicklung von elektronischen Hilfsmit- dass sie sich dem NS-Staat als technische Funktionse- teln zum Schutz der U-Boote übernommen.»579 Dies lite zur Verfügung gestellt und die «Selbstverantwor- war allenfalls ein Teil seiner Aufgaben gewesen: Weder tung der Industrie» bzw. «Selbstmobilisierung der Wis- erwähnte er seine Forschungs- und Entwicklungsarbei- senschaft» mitgetragen hatten. Wurden sie darauf ten zur Steuerung von Abwurfbomben, Raketen und angesprochen, verteidigten sie sich in der Regel damit, Torpedos noch seine hohen Ämter in der Rüstungsfor- dass sie als «unpolitische» Ingenieure ihre Pflicht er- schung. füllt und keinen Einfluss auf übergeordnete Entschei- Auch zu tagespolitischen Fragen hielt sich Küpfmül- dungen der NS-Führung gehabt hätten. So wies der we- ler nach Möglichkeit zurück und vermied eindeutige gen seiner engen Kollaboration mit dem NS-Regime Stellungnahmen. So äußerte er 1977 in einem Gespräch und dem unzählige Menschenleben fordernden Einsatz mit Professor Werner Endres allenfalls verhaltene Kri- von KZ-Arbeitern beim Bau der V2-Rakete Anfang der tik an der Forderung nach einer radikalen Hochschulre- 1970er Jahre in die Kritik geratene Wernher von Braun form: Neue Organisationsformen im Hochschulwesen jede persönliche Verantwortung von sich.582 seien zweifellos notwendig, doch «wenn versucht wird, Eine Ausnahme war der Luftfahrtingenieur und Veränderungen zu rasch zu betreiben», bestehe eine Nachkriegsunternehmer Ludwig Bölkow. Nach dem «Gefahr des Überschwingens und der Instabilität».580 ­Abitur war er der NSDAP und der SA beigetreten und Hier drängt sich wieder ein Vergleich mit Schneider/ hatte während des Krieges als junger Entwicklungsin- Schwerte auf, der als Rektor der RWTH Aachen einen de- genieur im Dora-Mittelwerk die menschenverachtende zidiert linksliberalen Kurs verfolgte und eine «Demo- Behandlung von KZ-Arbeitern erlebt. Er war einer der kratisierung» des Hochschulwesens unterstützte. Die wenigen Angehörigen seiner Generation, der sich der Bewertungen seiner Person klaffen weit auseinander. eigenen Vergangenheit stellte, seine damalige Naivität z. B. im Bezug auf den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen eingestand und persönliche Mitverant- 575 Persönliche Mitteilung Gertrud Bickelhaupt, 3. 3. 2010. 576 ebd. 577 ebd. 578 Persönliche Mitteilungen Eberhard Hänsler, 1. 3. 2010, Horst Ohnsorge, 14. 1. 2011 und Gertrud Bickelhaupt, 581 So Peter Tepe: «Sein Lebensweg nach 1945 ist insgesamt 28. 1. 2012. (trotz aller opportunistisch-allzumenschlichen Anteile) 579 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Wissenschaft- auch ein gelungener Versuch der individuellen Bewälti- lichen Gesellschaft der Joh. Wolfg. Goethe-Universität in gung eines Schuldproblems, die ziemlich einzigartig Frankfurt am Main, Sitzung am 1. Februar 1975, «Vorstel- dasteht.» (Peter Tepe: Überwindung – Wandlung – Anpas- lung». sung – Tarnung? Arbeit am Fall Schneider/Schwerte. In: 580 Werner Endres: Professor Dr.-Ing. E.h. Karl Küpfmüller Loth/Rusinek 1998, S. 244). 80 Jahre alt. In: ntz 30 (1977) 10, S. 775. 582 Neufeld 2009, S. 559. 86 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

wortung akzeptierte.583 Als Folge dieser Erkenntnis for- bereits in seiner Danziger Zeit, wie man mir erzählte – derte Bölkow die Ingenieure auf, das eigene Handeln dieser Bewegung angeschlossen. Als ich ihn näher kritisch zu hinterfragen. ­kennenlernte – lange nach dem Krieg – hat er darüber In Ehrungen, Laudationes und Nachrufen wurde die nur selten gesprochen. Er nahm aber an, daß alle von politische Vergangenheit Küpfmüllers nicht erwähnt, dieser Seite seiner Vergangenheit wußten, und zumin- was in den 1970er Jahren durchaus noch zeit­typisch dest für die, die in der Elektrotechnik tätig waren, trifft war. Eine Ausnahme bildete die Laudatio anlässlich sei- dies ja wohl auch zu. Aber er sagte mir einmal, daß er ner Ehrenpromotion an der Universität Erlangen 1976. durch seinen Einfluß, den er infolge seines frühzeitigen Eher launig wurde dabei seine Nachkriegsinternierung Beitritts hatte, manches Unheil verhindern konnte. erwähnt, ohne auf die Hintergründe einzugehen: Dies sprach nach dem Kriege für ihn und machte es «Nach Kriegsende befand er sich in guter Gesell- ihm möglich, wieder Fuß fassen zu können. Das Haus schaft einige Zeit im Internierungslager Hammelburg, Siemens hatte sich von ihm – als einem Belasteten – einer alten Weinstadt bei Bad Kissingen, wo er den be- ­getrennt, er befand sich in einem Lager.»586 Oppelt kannten Krebsforscher Hermann Druckrey kennen- schloss seinen Nachruf mit den Worten: «Karl Küpf- lernte. Die Folge war ein Buch von beiden über «Dosis müller hat die Höhen und die Niederungen des Lebens und Wirkung» (Sänger, Berlin 1948), worin erstmals durchschritten. Er war ein Mensch! Lassen wir ihn als die nachrichtentechnische Denkweise mit ihren Er­ Menschen in unserer Erinnerung bestehen!»587 satzschaltbildern auf biologische Prozesse angewandt Veröffentlicht wurde die Würdigung 1980 in einem wurde.»584 Sammelband der Universitätsgesellschaft zusammen Natürlich war Küpfmüllers politische Biographie mit weiteren acht Nachrufen. Sie sind deutschen Ge- den älteren Fachkollegen zumindest teilweise bekannt. lehrten unterschiedlicher Fachgebiete gewidmet, die Doch wahrten sie Stillschweigen. Seine Assistenten zwischen 1885 und 1979 gelebt haben. Dabei ist bemer- wussten nichts von seinen NS-Mitgliedschaften und kenswert, dass nur Oppelt auf die NS-Jahre explizit Be- NS-Ämtern, geschweige denn die Studierenden.585. Da- zug nimmt. Bei einem Nachruf klingt indirekt an, dass mit blieben ihm in den 1968er Jahren Angriffe erspart. der Verstorbene ein Gegner der Nationalsozialisten Wäre Küpfmüllers SS-Rang bekannt gewesen, hätten die war, sein Schüler vermeidet aber eine explizite Bezug- studentischen Aktivisten den Emeritus nach dem nahme.588 Bei den restlichen sieben Nachrufen fehlt Motto «Unter den Talaren ist der Muff von 1000 Jah- jeglicher Verweis auf den politischen Kontext der Jahre ren» sicherlich attackiert – gerade an der rebellischen 1933–45, geschweige denn auf die Einstellung der Ver- TH Darmstadt, von der die noch rebellischere Universi- storbenen gegenüber dem Nationalsozialismus. tät Frankfurt am Main nicht weit entfernt war. ­­ Oppelt war seiner Zeit voraus – und musste seine Erst nach Küpfmüllers Tod setzte sich ein Nachruf ­Offenheit büßen. Denn ungeachtet der zurückhalten- kritisch mit seiner Vergangenheit auseinander. Profes- den Formulierung stießen seine Ausführungen bei sor Winfried Oppelt führte am 6. Mai 1978 in einer Sit- Küpfmüllers Witwe und dessen Siemens-Kollegen Er- zung der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Jo- win Hölzler auf massives Missfallen. Oppelt wurde hann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main aus: «Zum Bild eines Menschen gehört der Irrtum. Auch 586 Winfried Oppelt: Nachruf auf Karl Küpfmüller. In: Küpfmüller hat geirrt. So glaubte er in dem Nationalso- Sckommodau 1980, S. 1980, S. 71 [69–72]. zialismus eine Bewegung zur Erneuerung Deutschlands 587 ebd., S. 72 588 Hermann Hartmann hebt in seinem Nachruf auf den entstehen zu sehen und hatte sich schon frühzeitig – Mineralogen Herbert O’Daniel dessen lebenslanges prinzipielles Eintreten für die akademische Freiheit her- vor. Aus diesem Geist heraus habe er sich denn auch bei der Wiedergründung der Universitäten nach dem Krieg dafür eingesetzt, dass alle abzuweisen seien, «die durch 583 So schildert Bölkow in seiner Autobiographie, wie er Paktieren mit Unmenschlichkeit und Ungeist wesentlich mehrfach KZ-Arbeiter antraf, bei Messerschmitt Augsburg, korrumpiert waren.» (Hermann Hartmann, Nachruf auf im KZ Flossenbürg oder beim Jägerstab im Harz, doch sich Herbert O’Daniel. In: Sckommodau 1980, S. 58). Indirekt nicht hinreichend über deren Lebensbedingungen infor- kann man daraus schließen, dass O’Daniel ein Gegner mierte (Bölkow 1994, S. 97–99). des Nationalsozialismus war. In der Tat verhielt es sich so: 584 [H.W. Schüßler:] Karl Küpfmüller zum 80. Geburtstag, Als überzeugter NS-Kritiker wurde er in seiner Karriere eine Würdigung seines bisherigen Lebenswerks. In: AEU 31 massiv behindert (siehe HATUM PA Prof. Streck, Betr.: (1977) 9, S. 399. Anstellungsvertrag des a.o. Assistenten am Mineralog.- 585 Persönliche Mitteilung Eberhard Hänsler, Darmstadt Geolog. Institut Herr Dr. H. O’Daniel, Dr. Streck, Führer 1. 3. 2010. der Dozentenschaft, an Rektor, München 25. 4. 1934). 87 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

­genötigt, bei Drucklegung noch eine «Ergänzung zum «Nichtbetroffene» und «Entlastete» hatten ein vorbe- Nachruf auf Karl Küpfmüller» als Einlageblatt anzufü- haltloses Rückkehrrecht. «Mitläufer» konnten allen- gen – ein ungewöhnlicher Vorgang: falls in einem ordentlichen Verfahren mit mehreren «Zu meinem Nachruf auf Karl Küpfmüller in Band Kandidaten neu berufen werden und benötigten zu- XVII, Nr. 2, Seite 69 bis 72 (1980) erhielt ich von Frau sätzlich politische Unbedenklichkeitserklärungen vom Küpfmüller und von Dr.-Ing. Erwin Hölzler, einem frü- Rektor und den Gremien der Hochschule. Piloty war be- heren Mitarbeiter und Schüler von Küpfmüller, weitere strebt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die TH Mün- Angaben. Aus ihnen geht hervor, daß das Haus Siemens chen sollte nicht, wie manch andere deutsche Hoch- sich nie von Küpfmüller getrennt hat, auch nicht wäh- schule, in den Ruf eines sicheren Hafens für Ehemalige rend seiner Internierung durch die Militärregierung. geraten. Großzügiger war er in der Frage der Ruhe- Von der Internierungslager-Spruchkammer wurde er standsbezüge: In der Regel empfahl er deren Gewäh- als ‹Mitläufer› und nicht als ‹Belasteter› eingestuft und rung.593 Sorgfältig beschäftigte sich Piloty mit jedem erhielt nach seiner Entlassung sowohl von der Firma Einzelfall und holte das Urteil von Kollegen und Zeit- Siemens als auch von anderen Firmen Angebote zur zeugen ein. Auch legte er Wert auf die gewissenhafte Mitarbeit.»589 Überprüfung aller Berufungsverfahren im Zeitraum Bemerkenswert ist, dass Oppelts Ausführungen 1933–45, da er deren Rechtmäßigkeit wegen verbreite- nicht nur keine Diskussion auslösten, sondern völlig ten politischen Drucks grundsätzlich anzweifelte.594 unbeachtet blieben. Im Artikel von Helmut Mielert Wie folgende Statistik verdeutlicht, konnten in der in der «Neuen Deutschen Biographie» von 1982 fehlt Tat zahlreiche belastete Hochschullehrer der TH Mün- jeglicher Bezug auf Küpfmüllers hohe Ämter in der chen nicht in den Hochschuldienst zurückkehren:595 ­Rüstungsforschung, auf NS-Mitgliedschaften und Nachkriegsinternierung, obwohl der Verfasser Oppelt explizit als Quelle zitiert.590 Auch das 1996 vom VDE Entlassungen von Hochschullehrern herausgegebene «Lexikon der Elektrotechniker» unter- der TH München 1945/46 595 lässt diesbezügliche Angaben und trägt noch zur Ver- schleierung von Küpfmüllers Vergangenheit bei. So Fakultät Anzahl Entlassene Wiedereingestellt findet sich in dem dortigen Eintrag der missverständli- Hochschul- bis 1953 auf die che Satz: «Nach dem Zweiten Weltkrieg war K. von 1946 lehrer (Prozentzahl bezogen auf 1945/46 die Gesamtzahl Entlassener) bis 1948 bei Rohde & Schwarz in München in der Ent- wicklung tätig.»591 Allgemeine Erst Michael Grüttners «Biographisches Lexikon zur Wissenschaften 51 32 (63 %) 18 (56 %) nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik» (2004) Bauwesen 21 13 (62 %) 4 (31 %) enthüllte Küpfmüllers NS-Mitgliedschaften einschließ- lich seines hohen SS-Rangs.592 Maschinenwesen 24 13 (54 %) 4 (31 %) Landwirtschaft 15 11 (73 %) 3 (27 %)

Hans Piloty gehörte 1945 an der TH München zur Min- Brauwesen 8 4 (50 %) 2 (50 %) derheit der unbelasteten, im Amt belassenen Hoch- schullehrer und wurde in den «Reinigungsausschuss» der Hochschule berufen. Nach seiner Rückkehr aus den Gesamt 119 73 (61 %) 31 (42 % der Entlassenen) USA erklomm er schnell weitere Karrierestufen: Von davon ordent- 1948–51 amtierte er als Rektor, von 1951–53 als Prorektor, liche und a.o. von 1956–59 als Dekan und Prodekan. Professoren 59 38 (64 %) 11 (29 % der Entlassenen) Sein Rektorat fiel just in jene Jahre, als entlasse- ne Hochschullehrer nach erfolgter Entnazifizierung in den Hochschuldienst zurückzukommen suchten. Nur 593 So schrieb Piloty an einen aus politischen Gründen entfernten Professor, dessen Rückkehr von Rektor, Senat und Fakultät nicht befürwortet wurde: «Wir haben uns 589 Winfried Oppelt: Ergänzung zum Nachruf auf Karl stets dafür eingesetzt, daß finanzielle Härten vermieden Küpfmüller, Darmstadt, 23. 1. 1981. In: Sckommodau 1980, wurden.» (HATUM, PA Peppler Wilhelm, Rektor Piloty an Einlegeblatt. Peppler, München 3. 2. 1949). 590 Helmut Mielert: Küpfmüller, Karl, in NDB 13 (1982), S. 230. 594 ebd. 591 Jäger 1996, S. 222. 595 Martin Pabst: Geschichte der Technischen Universität 592 Grüttner 2004, S. 102f. München. In: Herrmann 2006, Bd. 1, S. 360 88 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

Zu den abgelehnten Kandidaten gehörte der entlas- ­eines 1936 durch politische Verfolgung in den Suizid ge- sene Maschinenbauprofessor Kurt Schnauffer – ein in- triebenen Professors noch 1985 bitter beklagte.599 teressanter Vergleichsfall zu Küpfmüller, da Schnauffer einer der ganz wenigen Hochschullehrer der TH Mün- Ähnlich wie Küpfmüllers NS-Vergangenheit in der aka- chen war, der der SS angehörte. Seine Biographie demischen Fachwelt kein Thema war, blieben auch ­ähnelte derjenigen Küpfmüllers: Mitglied der Allgemei- Widerstand und KZ-Haft von Hans Ferdinand Mayer nen SS (1934–45, höchster Rang allerdings nur Ober­ bei Siemens unerwähnt. In den meisten Artikeln und sturmführer [Oberleutnant]), also drei SS-Rangstufen Würdigungen anlässlich von Ehrungen und Geburtsta- unter Küpfmüller, Mitglied der NSDAP (1937–45) und gen wird darauf kein Bezug genommen. Eine Ausnahme des NSD-Dozentenbundes (1937–45). Nach mehrjähriger war der Vortrag seines Mitarbeiters Erwin Hölzler auf Lagerinternierung wurde Schnauffer wie Küpfmüller einem Kolloquium anlässlich des 40-jährigen Firmen- als «Mitläufer» eingestuft. Zahlreiche externe Fürspre- jubiläums von Mayer und seinem Mitarbeiter Rudolf cher unterstützten seine Wiederverwendung im Hoch- Tamm im Jahr 1962. Darin führte Hölzler aus: schuldienst. Doch widersetzte sich Piloty zusammen «Die letzten Kriegsjahre mußte Dr. Mayer, wie be- mit Senat und Fakultät konsequent einer Neuberufung kannt, in Konzentrationslagern verbringen, weil er sich – selbst die Bitte des von Schnauffer mobilisierten zu offen über das herrschende Regierungssystem und Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard um über das Kommende aussprach. Nur glücklichen Um- nochmalige Überprüfung konnte daran nichts än- ständen ist es zu verdanken, daß er durchkam.»600 dern.596 Mit der Formulierung «wie bekannt» ist der Lauda- Umso erstaunlicher ist, dass sich Piloty gemäß Aus- tor offenkundig bemüht, die jahrzehntelange Nicht- sage seines Sohnes bei der Entnazifizierung für Küpf- erwähnung von Mayers NS-Verfolgung augenzwin- müller verwendet hatte.597 Er befürwortete 1954 auch kernd zu rechtfertigen. Das Thema Konzentrationslager dessen Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wis- wurde im Konzern verständlicherweise nicht gern ge- senschaften als korrespondierendes Mitglied und be- hört, waren doch in den Lagern Auschwitz, Buchenwald, merkte sogar, dass der Zusammenbruch «Küpfmüller Flossenbürg, Groß-Rosen und Ravensbrück Fertigun- eine Fülle von unverdienten Demütigungen und Ent- gen für Siemens eingerichtet worden. Hinzu kam der behrungen brachte [...]»598 Möglicherweise kannte Arbeitseinsatz von KZ-Außenkommandos an Firmen- ­Piloty Küpfmüllers SS-Rang nicht, doch dessen NSDAP- standorten.601 Im ­Oktober 1945 hatte Siemens & Halske Mitgliedschaft und hohe Ämter in der Rüstungsfor­ in einer Rechtfertigungsschrift behauptet, dass viele schung waren ihm sicherlich nicht verborgen geblie- Häftlinge infolge vergleichsweise guter Behandlung ben. Für Pilotys Haltung gibt es zwei Erklärungen: und geschützter ­Unterbringung überlebt hätten. So 1. Er sah in Küpfmüller keinen überzeugten NS-Aktivis- seien die 200 vorher im Steinbruch eingesetzten Häft- ten; 2. Er erachtete Küpfmüllers wissenschaftliche Be- linge des KZ Groß-Rosen für die leichteren Schlosser-, deutung für so groß, dass er dessen akademische Karri- Klempner- und Elektromontagearbeiten dankbar gewe- ere nicht gefährden wollte. Wahrscheinlich trafen beide sen. Ihre Werkstätten seien nach Siemens-Gepflogen- Gesichtspunkte zu. Seine Wortwahl («eine Fülle von un- heiten eingerichtet gewesen, und die Häftlinge hätten verdienten Demütigungen und Entbehrungen») zeigt die gleichen ­Arbeitsbedingungen wie Belegschaftsmit- zudem, dass auch Piloty vom herrschenden Zeitgeist in glieder genossen.602 Dabei wurde freilich verschwie- der Wissenschaft beeinflusst war. Auch an der TH München wurde jahrzehntelang

über die NS-Jahre geschwiegen. Zwar suchten Rektoren 599 Deutsches Museum, Archiv, NL 129 (Spangenberg Hein- wie Hans Piloty frühere NS-Aktivisten von der Hoch- rich), 002, Berthold Spangenberg an Studentenvertretung schule fernzuhalten. Doch blieb z. B. das Schicksal von der TUM, München 9. 5. 1985. – Der Bauingenieurprofessor Berthold Spangenberg der TH München wurde wegen NS-Opfern der Hochschule lange tabu, wie der Sohn regimefeindlicher Äußerungen 1934 suspendiert. Das Ministerium für Unterricht und Kultus betrieb gegen ihn ein Disziplinarverfahren. Schwere Depressionen trieben ihn 1936 in den Suizid. 596 BayHStA, MK 58943, Schnauffer Kurt 600 Siemens-Forum, Archiv, 10 / Lp 672, E. Hölzler: Festliches 597 Persönliche Mitteilung Robert Piloty, Darmstadt 1. 3. Kolloquium «40 Jahre Nachrichtentechnik mit My und Ta» 2010. Unbekannt ist, wann und für welchen Zweck diese am 2. 10. 1962. Experimentalvortrag, S. 24. Unterstützung erfolgte. Ein schriftliches Zeugnis ist nicht 601 Feldenkirchen 1995, S. 206–210. erhalten. 602 LBe, C Rep. 902–02–05, Nr. 86, Einsatz ausländischer 598 Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Archiv, Zivilarbeiter, Kriegsgefangener, Juden und KZ-Häftlinge Personalakt Küpfmüller, Karl, Wahlvorschlag. im Hause Siemens, 31. 10. 1945 [ohne Unterschrift]. 89 6. Umgang mit dem «Dritten Reich» gen, dass die Häftlinge weiterhin ausschließlich der Dritten Reich»607 erwähnt, ohne aber große Resonanz Disziplinargewalt ihrer SS-Aufseher unterstanden. zu finden. Auch liegen über die Behandlung von KZ-Häftlingen im Sein Sohn Peter berichtete, dass Mayer nicht über Arbeitseinsatz unterschiedliche Aussagen vor. So gaben Widerstand und Verfolgung zu sprechen pflegte.608 nach Kriegsende frühere Häftlinge aus dem Frauen-KZ Seine Widerstandstätigkeit als «Oslo Person» offen- Ravensbrück zu Protokoll, dass das Siemens-Kom- barte er nicht einmal innerhalb der eigenen Familie. mando die schlechtesten Arbeitsbedingungen genos- Dokumente, die seine Urheberschaft belegten, depo- sen und von der Firma die wenigsten Nahrungsmittel nierte er in einem Bankschließfach. Mit dem britischen erhalten habe.603 Ein nach Ravensbrück abgestellter Physiker und ehemaligem Geheimdienstmitarbeiter Siemens-Meister sagte aus, dass die vom Direktorium Dr. Reginald Victor Jones vereinbarte er, dass seine Ur- verlangten Leistungen nicht zu schaffen gewesen wä- heberschaft am «Oslo Report» erst nach seinem Tod ren. Personalchef Wolf-Dietrich von Witzleben sei wie- enthüllt würde. Seinem Sohn Peter gab sich Mayer erst derholt persönlich zu Besprechungen im Konzentrati- in hohem Alter als Verfasser zu erkennen. Und die Be- onslager gewesen. Über Ober- und Betriebsingenieure denken der Witwe gegenüber einer Veröffentlichung sei der Druck an die Meister weitergegeben worden. waren noch so groß, dass Jones auf ihren Wunsch das «Immer wieder wurde betont, dass es sich im KZ Rav. Geheimnis erst nach ihrem Tod bekannt machte. [sic!] nur um Verbrecher usw. handle. Jede Rücksicht- Gemäß der Aussage seines Sohns Peter fürchtete nahme gegenüber Häftlingen wurde bestraft, trotzdem Mayer berufliche und persönliche Nachteile.609 Denn es sich um gute Menschen handelte.»604 in den 1950er und 1960er Jahren war selbst der Wider- Von der für die Besatzungsmächte verfassten Recht- stand des 20. Juli 1944 noch stark umstritten. So klagte fertigungsschrift abgesehen, beschäftigte sich die 1958 Erika Canaris, die Witwe des im April 1945 hin­ Firma Siemens lange nicht mehr mit diesem heiklen gerichteten Chefs der deutschen Abwehr Wilhelm Thema. Denn in KZ-Arbeit involvierte Führungskräfte ­Canaris: «Für uns gibt’s doch nur eines: Schild an die setzten ihre Karriere nach 1945 fort. So baute von Witz- Haustür ‹Hier wohnen Verräter›.»610 Viele Deutsche leben nach erfolgreicher Entnazifizierung den Siemens- lehnten Verrat, und insbesondere Landesverrat, prinzi- Konzern als Vorstandsvorsitzender (1947–49) wieder piell ab, auch wenn er idealistisch motiviert und der Be- auf und amtierte bis Mitte der 1960er Jahre als Perso- kämpfung einer Diktatur geschuldet war. So wurde der nalvorstand und Aufsichtsratsvorsitzender.605 Es ver- Widerstand der «Roten Kapelle» jahrzehntelang nega- wundert daher nicht, dass Mayers KZ-Haft kaum Er- tiv bewertet, indem die Motive auf landes­verräterische wähnung fand und auch dieser es vorzog, nicht darüber Aktivitäten zugunsten der Sowjetunion reduziert wur- zu sprechen. Letztlich ordnete sich Mayer damit dem den. Die Angehörigen dieser Widerstandsgruppe sind «Siemens-Korpsgeist» unter: Nichts tun und sagen, was bis heute nicht rehabilitiert.611 Wenngleich offen natio- der Firma schaden könnte. Erst 1995 griff der von Sie- nalsozialistische Propaganda in der Adenauer-Zeit be- mens mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit be- kämpft und geächtet wurde (Signalwirkung hatte das auftragte Wirtschaftshistoriker Wilfried Feldenkirchen 1952 vom Bundesverfassungsgericht verhängte Verbot das sensible Thema des Arbeitseinsatzes von KZ-Häft- der Sozialistischen Reichspartei Deutschlands), so lingen in seiner Firmengeschichte der Jahre 1918–45 wurde doch eine weitreichende Toleranz gegenüber na- auf.606 tionalistischen Ansichten praktiziert.612 Mayers Inhaftierung und Forschungstätigkeit in Jones fürchtete so stark um Mayers persönliche Konzentrationslagern wurde bereits 1974 in Karl-Heinz Sicherheit, wenn seine Urheberschaft am Oslo-Report Ludwigs Standardwerk «Technik und Ingenieure im

607 Ludwig 1974, S. 261, 490 (der Nachname Mayer wird 603 LBe, C Rep 901, Nr. 288. allerdings irrtümlich mit «Maier» wiedergegeben). 604 LBe, C Rep 901, Nr. 288, Fritz Voigt an Landesverband der 608 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. SED Deutschlands, Berlin, o.D. (Eingang 10. 3. 1947). 609 ebd. 605 DIE SIEMENSSTADT – Ein Lexikon der Siemensstadt in 610 Zit. nach Joachim Käppner: «Ich trug Dich so fest bei mir. Berlin: Wolf-Dietrich von Witzleben. Internet-Dokument: Das war sehr schön zu fühlen.» Süddeutsche Zeitung vom https://w3.siemens.de/siemens-stadt/witzleb0.htm 11. 2. 2011. (Zugriff 18. 6. 2013). – Bemerkenswerterweise wurde auch 611 Franziska Augstein: Die Moderne und die Reaktionäre, von Witzleben nach Kriegsende vorgeworfen, «Vertrauens- Süddeutsche Zeitung vom 17. 5. 2010; Rainer Blasius: mann der Gestapo» bei Siemens gewesen zu sein Vom anderen Widerstand. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Der liebe Gott von Siemens. Witzlebens frisch-fröhlicher vom 20. 7. 2012. Krieg. In: DER SPIEGEL (1947) 10 vom 8. 3. 1947, S. 2 f.). 612 Norbert Frei: Vergangenheitspolitik in den fünfziger 606 Feldenkirchen 1995, S. 165–169. Jahren. In: Loth/Rusinek 1999, S. 90f. 90 6. Umgang mit dem «Dritten Reich»

bekannt würde, dass er 1954 vom Chef des britischen sage Mayers über Lebens- und Arbeitsbedingungen in Auslandsgeheimdienstes MI6 die Zusage einholte, unterschiedlichen Konzentrationslagern.621 Ein unbe- Mayer für den Fall einer nationalsozialistischen Renais- darfter Leser könnte gar den Eindruck gewinnen, dass sance in der Bundesrepublik Deutschland ein Exil in Mayer nicht als Häftling, sondern als leitender Firmen- einem sicheren Drittland zu verschaffen.613 Der Vor- mitarbeiter Einblick in das Innenleben von Konzen­ gang dokumentiert seine persönliche Verbundenheit trationslagern hatte, z. B. im Rahmen der Auftragsver- mit Mayer und verweist darüber hinaus auf damalige gabe und Auftragsüberwachung. Stillschweigen über britische Ängste, auch wenn ein solches Szenario bei- die nationalsozialistische Periode nach 1945 ist ein ver- spielsweise vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse bindendes Element in den so unterschiedlichen Bio­ nicht sehr wahrscheinlich war. graphien der Elektroingenieure Küpfmüller, Mayer und Mayer schwieg auch, weil er keine öffentlichen Eh- Piloty. Die Gesellschaft schwieg, wie auch die Betroffe- rungen und Belohnungen anstrebte, wie er gegenüber nen selbst. Jones bekräftigte.614 Er erachtete sein Verhalten als Selbst innerhalb von Familien blieben die Jahre selbstverständliche Bürgerpflicht. Erst auf Drängen sei- 1933–45 lange Zeit tabu. Hierfür waren auch psychologi- nes Sohnes Peter stellte er in Bayern einen Antrag auf sche Gründe verantwortlich. NS-Opfer taten sich wie Entschädigung als NS-Opfer, der aber aufgrund von alle Opfer schwer, über ihr Leid zu sprechen, und unter Fristablauf zu spät kam.615 den geschilderten Rahmenbedingungen fiel es ihnen Nach seiner Pensionierung beschäftigte sich Mayer doppelt schwer zu reden. NS-Belastete hatten ebenfalls nochmals mit den Umständen seiner Verhaftung. Klä- psychologische Hemmungen, eigene Schuld einzuge- ren konnte er den Sachverhalt nicht. Nur noch wenige stehen und darüber zu reden. Darüber hinaus zogen sie Zeitzeugen waren ausfindig zu machen, und deren Be- es verständlicherweise vor zu schweigen, um persönli- reitschaft zu Auskünften war begrenzt. che Nachteile zu vermeiden. Staatliche Initiativen zur Als Thilo Bode im Jahr 1989 Mayers Urheberschaft kollektiven Aufarbeitung der Vergangenheit – man am «Oslo Report» in der Süddeutschen Zeitung einer denke an die in Chile, Peru, Südafrika und anderen Staa- breiten Öffentlichkeit präsentierte616, stießen seine ten eingerichteten Wahrheits- und Versöhnungskom- Ausführungen im Hause Siemens auf wenig Begeiste- missionen – gab es im Nachkriegsdeutschland nicht. rung.617 Weiterhin war es der Firma anscheinend unan- Küpfmüller, Mayer und Piloty starben zwischen genehm, einen «Verräter» von Firmen- und Staatsge- 1969 und 1980. Die von der 1968er Generation angesto- heimnissen in ihren Reihen zu haben.618 In der 1994 ßene «Vergangenheitsbewältigung» erlebten sie allen- erschienenen Siemens-Publikation «Pioniere der Wis- falls in ihren Anfängen. Erst nach dem Tod der drei Wis- senschaft bei Siemens» wird im Porträt Hans Ferdinand senschaftler wurde in den 1980er Jahren sowohl die Mayers zwar dessen KZ-Haft kurz erwähnt, nicht populäre wie auch die wissenschaftliche Aufarbeitung aber dessen Urheberschaft am «Oslo Report» – obwohl der NS-Jahre intensiviert. Eine Zäsur war die Ausstrah- der Autor Bodes Artikel «The Oslo Person» wie auch lung der emotionalisierten US-amerikanischen Fern- Lothar Schoens NDB-Artikel über Mayer619, der dessen sehserie «Holocaust» im Januar 1979, die eine intensive Urheberschaft am «Oslo Report» anspricht, explizit als öffentliche Diskussion anregte.622 Inzwischen lassen Quellen anführt (!).620 Und ein Jahr später erwähnt der immer mehr Unternehmen und öffentliche Einrichtun- Erlanger Wirtschaftshistoriker Wilfried Feldenkirchen gen die eigene Rolle in jener Zeit durch Forschungsvor- in seiner 774 Seiten starken, offiziösen Firmenge- haben untersuchen. Die Fälle Küpfmüller und Mayer schichte der Jahre 1918–1945 die Schlüsselgestalt Mayer zeigen, dass die Aufarbeitung noch nicht abgeschlos- lediglich in einer Anmerkung. Darin zitiert er unkom- sen ist. mentiert eine dem Siemens-Archiv entnommene Aus-

621 Feldenkirchen 1995, S. 553f. (Anm. 146). – Das Buch erschien 1999 auch in einer englischen und einer 613 Jones 1989, S. 327. koreanischen Ausgabe. Feldenkirchen war jahrzehntelang 614 ebd. beratend für die Siemens AG tätig und leitete ab 1992 615 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 20. 12. 2010. die Siemens-Foren. (Siemens AG, Zum Tod von Professor 616 Bode 1989. Dr. Feldenkirchen [25. Oktober 1947–21. Juni 2010], 617 Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 14. 12. 2009. München 22. 6. 2010. Internet-Dokument: https://www. 618 ebd. siemens.com/press/de/pressemitteilungen/?press=/de/ 619 Lothar Schoen: Mayer, Hans Ferdinand, in NDB 16 (1990), pressemitteilungen/2010/corporate_communication/ S. 539f. axx20100677.htm [Zugriff 13. 2. 2013]). 620 Andrée Michel: Hans Ferdinand Mayer 1895–1980. 622 Wilke 2004, Internet-Dokument: http://www.zeitgeschichte- In: Feldtkeller/Goetzeler 1994, S. 85–90. online.de/md=FSHolocaust-Wilke (Zugriff 18. 3. 2011). 91 7. Resümee

7. Während der Leiter der Zentralen Entwicklung bei Sie- Resümee mens & Halske Karl Küpfmüller zunehmend höhere Ämter in der deutschen Rüstungsforschung bekleidet, verrät sein langjähriger Mitarbeiter und Leiter des Zen- trallaboratoriums Hans F. Mayer sensibelste Rüstungs- und Firmengeheimnisse an die Alliierten. Während Küpfmüller immer höhere SS-Ränge erreicht, hört Mayer «Feindsender», kritisiert offen das Regime und verbreitet nachts hitlerfeindliche Aufrufe. Als Mayer verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert wird, be- sucht ihn dort sein Siemens-Vorgesetzter Küpfmüller im damaligen Rang eines SS-Hauptsturmführers. Sein Arbeitgeber gibt Mayer nicht auf – hohe Siemens-Re- präsentanten verwenden sich für ihn beim Rüstungs- minister und der SS, ein Prozess vor dem Volksgerichts- hof bleibt ihm vorerst erspart, im Konzentrationslager darf er an kriegswichtigen Firmenaufträgen forschen, und seine Familie bezieht weiterhin sein Direktorenge- halt. Nach der deutschen Niederlage kehren sich die Ver- hältnisse um: Küpfmüller wird Kriegsgefangener und bald sogar Häftling in Dachau, das nun ein Gefängnis für mutmaßliche Kriegsverbrecher beherbergt.623 Wie zwei Jahre zuvor sein Mitarbeiter Mayer, schreibt nun Küpfmüller aus der Haft mit Bleistift zensierte Kurz- briefe an seine Ehefrau. Im Internierungslager Ham- melburg erreicht er, wie zuvor Mayer im KZ, eine privi-

623 Diese Gegenüberstellung soll nicht implizieren, dass die Lebensbedingungen gleich waren. Zwar bestanden gerade in der Anfangszeit der US-Lager 1945/46 mitunter sehr schlechte Aufenthaltsbedingungen, und es kam zu Aus- schreitungen der Bewacher gegen die Internierten (Horn 1992, 146f., 173–175), doch waren die Verhältnisse in den US-Internierungslagern nicht mit den miserablen und mörderischen Verhältnissen in deutschen Konzentra- tionslagern gleichzusetzen. 92 7. Resümee

legierte Stellung und darf wissenschaftlich arbeiten. Das Verhalten von Karl Küpfmüller ist überwiegend als Der von seinem USA-Aufenthalt kurzzeitig nach opportunistische Anpassung an die NS-Diktatur zu Deutschland beurlaubte Mayer besucht ihn zwar nicht, werten. Wie auch Piloty und Mayer gehörte er der ver- doch gewährt er ihm ein ausführliches Entlastungs- gleichsweise gemäßigten «Frontgeneration» an, nicht schreiben für die Entnazifizierung. Auch im Fall Küpf- der radikaleren «Kriegsjugendgeneration»625, die den müller versucht die Firma, die Hand über ihren ehema- Krieg nur vom Hörensagen kannte, dies als persönli- ligen Mit­arbeiter zu halten: Ernst von Siemens stellt ches Manko empfand, Soldatentum heroisierte und be- ihm eine beratende Tätigkeit in Aussicht, im Mitarbei- sonders empfänglich für antibürgerliche Radikalisierung terkreis werden entlastende Stellungnahmen für das war. Es gibt bei Küpfmüller keine Hinweise auf eine Spruchkammerverfahren gesammelt, und nach erfolg- feste ideologische Überzeugung, jedoch auf ein starkes ter Entnazifizierung wird ihm wahrscheinlich eine Streben nach Aufstieg und Anerkennung. Der Schlüssel ­erneute Anstellung angeboten. zum Verständnis Küpfmüllers dürfte seine ungewöhn- Unter dem Dach des Hauses Siemens legten leitende liche Biographie sein: einfache soziale Herkunft, Real- Mitarbeiter erstaunlich konträre Haltungen gegenüber schule, nichtakademisches Ingenieurstudium am Tech- dem NS-Staat an den Tag. Ein ausgeprägter Korpsgeist nikum, Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg, rasche gerade im höheren Führungskreis sorgte indes für Soli- Bewährung in der Industrie, Ruf auf ein Ordinariat im darität und eine gewisse Abschottung gegenüber staat- Alter von nur 31 Jahren ohne abgeschlossenes Universi- lichen Eingriffen. Doch war es keine «heile Siemens- tätsstudium und ohne Promotion. Im gleichen Maß, Welt»: Auch in dieser Firma waren Informanten und wie Küpfmüller auf seine beruflichen Erfolge stolz war, Denunzianten tätig. suchte er weitere Bestätigung, Anerkennung und Aus- Zweifelsohne profitierten Mayer wie Küpfmüller zeichnung. Charakteristisch in diesem Zusammenhang von ihren herausragenden wissenschaftlichen Fähig- ist die Anekdote, dass er es seinem zukünftigen Schwie- keiten. Dadurch konnten sie während der Haft- bzw. gersohn im Familienkreis verübelte, bei der Anrede den Internierungszeit einen privilegierten Status erlangen, «Professor» vergessen zu haben.626 Und seine Vorstel- und Mayer bewahrten seine Kenntnisse wahrscheinlich lungsrede beim Eintritt in die Wissenschaftliche Gesell- vor dem Fallbeil. Auch das ausgesprochen milde schaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Spruchkammerurteil Küpfmüllers und sein schneller Frankfurt am Main begann er am 1. Februar 1975 mit beruflicher Wiederaufstieg in der Bundesrepublik sind den koketten Worten: «Herr Präsident, meine Herren. in erster Linie mit seinen herausragenden Fähigkeiten Ich habe kein reguläres Hochschulstudium und keine zu erklären. Einen Wissenschaftler solchen Formats reguläre berufliche Laufbahn gehabt.»627 mochten Kollegen wie Hans Piloty, ja selbst ehemalige Der nationalsozialistische Staat bot dem 1933 am Be- KZ-Häftlinge wie Mayer und Rohde, nicht im Abseits ginn einer vielversprechenden Karriere stehenden ­stehen sehen. 35jährigen Wissenschaftler ungeahnte Möglichkeiten In der von aktivistischer Unterstützung über op­ für die Umsetzung seiner herausragenden Fähigkeiten portunistische Anpassung, passive Akzeptanz, innere in der Nachrichtentechnik, aber auch breiten Raum für Emigration, begrenzte Unbotmäßigkeit bis zu aktivem persönliche Bestätigung, Anerkennung und Auszeich- Widerstand reichenden Grundtypologie möglicher Hal- nung. Schrittweise näherte sich Küpfmüller ab 1933 tungen gegenüber dem NS-Staat bzw. jeglicher Dikta- dem Nationalsozialismus an. Schließlich trat er 1937 gar tur624 repräsentieren die Biographien der drei Nach- in die Allgemeine SS ein, die die politische und geistige richtentechniker die Grundhaltungen Elite innerhalb der NS-Bewegung repräsentierte. Küpf- — opportunistische Anpassung müller stieß zur einflussreichsten und prestigeträch- (Küpfmüller), tigsten, aber zugleich gefürchtetsten NS-Gliederung. — begrenzte Unbotmäßigkeit Damit hob er sich von anderen «Opportunisten» und (Piloty), «Anpassern» ab – zur Förderung seiner Karriere hätte — aktiver Widerstand die gleichzeitig aufgenommene NSDAP-Mitgliedschaft (Mayer). zweifelsohne genügt. Nur vor dem Hintergrund der

625 Peukert 1987, S. 25–31. 626 Persönliche Mitteilung Siegfried Sakuth, 28. 9. 2011. 627 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Wissenschaft- 624 Diese von den Vf. entwickelte Grundtypologie ist offen liche Gesellschaft an der Joh. Wolfg. Goethe-Universität, für individuelle Differenzierungen. Sitzung am 1. Februar 1975, «Vorstellung». 93 7. Resümee

­besonderen Biographie Küpfmüllers wird dieser SS-Bei- zum allerletzten Kriegstag gewesen sein. «Zusammen tritt verständlich. Zum Aktivisten scheint er in der SS mit Ehrgeiz, Karrieredenken und genuinen Erkenntnis- nicht mutiert zu sein – berufliche Selbstverwirklichung interessen setzte ein solcher Nationalismus Leistungs- und Anerkennung blieben der Fokus seines Handelns, potenziale frei, die im Effekt dem Regime zugute schon bald unter den Bedingungen der Kriegsrüstung, kamen»630, konstatiert Hachtmann im Bezug auf die die er mit dem ihm eigenen Pflichtbewusstsein wie KWG-Wissenschaftler. Ein solches Votum mag auch auf auch aus wissenschaftlicher Neugier bis zur letzten Mi- Küpfmüller zutreffen. Doch hielt er sich stets mit politi- nute unterstützte. Das Resümee von Alfred Gottwald schen Aussagen zurück, weswegen ein belastbares Ur- und Silke Klewin dürfte auch auf Küpfmüller zutreffen: teil in dieser Hinsicht nicht möglich ist. «Mit einem allgegenwärtigen Ehrgeiz, Egoismus, Ge- Quellenaussagen verweisen darauf, dass Küpfmül- horsam und profanen Zeitumständen sind die Motive ler in einigen Fällen seinen Einfluss bei NS-Behörden der handelnden Personen häufig besser bezeichnet als nutzte, um Verfolgten zu helfen. Andererseits kann mit fanatischem Nationalsozialismus.»628 nicht ausgeschlossen werden, dass er unter dem Druck Wie wichtig ihm seine Ehrungen und Anerkennun- seiner SS-Zugehörigkeit zu Überwachungs- bzw. Verfol- gen aus der Zeit bis 1945 blieben, zeigt ein Dokument gungsmaßnahmen beitrug. Beweise hierfür lassen sich aus seinem Nachlass. Kurz vor seinem Tod ließ Küpf- in den überlieferten Quellen freilich nicht finden. müller seinen beruflichen Werdegang, seine wissen- Nach 1945 war Küpfmüller wie viele seiner Kollegen schaftlichen Veröffentlichungen, Ämter, Auszeichnun- zur kritischen Reflexion seines Handelns und Über- gen und Preise für die Nachwelt zusammenstellen. Auf nahme von persönlicher Verantwortung nicht bereit, dem Blatt «Auszeichnungen und Ehrungen» fügte er und er wurde dazu auch nicht gedrängt. hand- bzw. maschinenschriftlich seine Verwundungen im Ersten Weltkrieg, das Verwundetenabzeichen in Hans Pilotys Verhalten ging über innere Emigration Schwarz von 1918, den Dr. Fritz-Todt-Preis von 1944 und bzw. «widerwillige Loyalität»631 gemäß dem Terminus das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwer- von Wilhelm Deist hinaus und reichte bis zu begrenzter tern vom April 1945 hinzu – in der ihm eigenen Kor­ Unbotmäßigkeit, wofür vergleichsweise viele überlie- rektheit merkte er an, dass die entsprechenden Ver­ ferte Belege für NS-kritisches Verhalten sprechen. Nach leihungsurkunden vorhanden seien.629 Nur wenige außen verhielt er sich so konform wie nötig, doch Wissenschaftler seiner Generation dürften im Jahr 1977 schirmte er seinen akademischen Verantwortungsbe- Auszeichnungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg reich von NS-Eingriffen so weit wie möglich ab und ließ erwähnt haben. in seinen Äußerungen eine unüberhörbare regimekriti- Doch war Küpfmüller sicherlich kein «unpoliti- sche Haltung erkennen. Damit sandte er auch Signale scher» Wissenschaftler. Auch bei ihm gab es wohl eine an gleichgesinnte Kollegen, Mitarbeiter und Studenten. Übergangszone zwischen Anpassung und Unterstüt- In Sachfragen wagte der temperamentvolle Bayer be- zung. Gemäß Rüdiger Hachtmanns Studie zur Kaiser- grenzte Konfrontationen mit NS-Funktionären oder Wilhelm-Gesellschaft (KWG) herrschte bei vielen Wis- NS-Organisationen. senschaftlern ein «tiefverwurzelter Nationalismus, der Der Konservative Piloty erkannte früh die Radikali- mit imperialistischen Ambitionen sowie einem deut- tät und Militanz der Nationalsozialisten und sah in ih- schen Überlegenheitsgefühl aufgeladen war und mili- nen nicht, wie manch andere Konservative im Jahr 1933, tärische Stärke als Selbstverständlichkeit einschloss» – eine vermeintlich positive «nationale» Kraft. Seine Dis- von solchem Denken mag auch der an der stramm tanz zu den Nationalsozialisten ist sicherlich auch deutschnationalen TH Danzig sozialisierte Küpfmüller durch seine großbürgerliche Herkunft und seine jüdi- nicht frei gewesen sein. Der Nationalismus ermöglichte schen Vorfahren mütterlicherseits zu erklären. Als er- ein ideologisches Andocken an den NS-Staat und mag klärter Konservativer und Patriot befand sich Piloty ein Antriebsfaktor für seinen beharr­lichen Einsatz bis freilich in einem Dilemma, das sich nach Kriegsaus- bruch verstärkte. Er lehnte das NS-Regime ab, sah sich jedoch seinem Vaterland verpflichtet. Piloty übernahm

628 Alfred Gottwald/Silke Klewin: Technik. Macht. Krieg. Vorbemerkungen zu Buch und Ausstellung. In: Ich diente nur der Technik 1995, S. 12. 630 Hachtmann 2007, S. 1211f. 629 Privatarchiv Sakuth, Nachlass Küpfmüller, Auszeichnun- 631 Deist 1989, S. 224–239. – Martin Broszat und Elke Fröhlich gen und Ehrungen. Prof. Dr.-Ing. E.h. Karl Küpfmüller, verwenden für alle Formen partieller Opposition und Stand 1. 3. 1977. – Das Eiserne Kreuz II. Klasse hat er an- Autonomiewahrung gegenüber dem NS-Staat den breiten scheinend zu erwähnen vergessen (siehe S. 12). Sammelbegriff «Resistenz» (Broszat/Fröhlich 1987, S. 61). 94 7. Resümee

denn auch in größerem Umfang kriegswichtige For- wagte begrenzte Unbotmäßigkeit, Mayer sogar aktiven schungsaufträge, die er freilich auch dazu nutzte, um Widerstand. Auch am gescheiterten Staatsstreich vom Studenten und Mitarbeiter an der Hochschule zu hal- 20. Juli 1944 waren zahlreiche Konservative beteiligt, ten. Zu aktivem Widerstand rang er sich nicht durch. wobei viele von ihnen deutlich später als Piloty und Hierfür mag auch die Sorge um Ehefrau und Kinder Mayer auf Distanz zum NS-Regime gegangen sind. Auf eine Rolle gespielt haben. der Tagung der Reichs- und Gauleiter am 24. Februar 1945 sah es Adolf Hitler als «unsere große Unter- Hans Ferdinand Mayer radikalisierte seine frühe Ab- lassungssünde» an, das konservative Lager nicht ge- lehnung des Nationalsozialismus nach Kriegsausbruch nauso energisch wie die linken Gegner bekämpft zu zu aktivem Widerstand. Er gehörte keiner Partei oder haben.633 politischen Bewegung an, die ihn dazu motiviert oder In quantitativer Hinsicht waren opportunistische dabei unterstützt hätte, und war besonders stolz dar- Anpassung (Küpfmüller) und begrenzte Unbotmäßig- auf, als «Einzelgänger»632 Widerstand geleistet zu ha- keit (Piloty) verbreitete Grundhaltungen während der ben. Seine Haltung entsprang einem moralischen Rigo- NS-Zeit. Viele deutsche Biographien changierten in rismus, gepaart mit starker Willenskraft und einem ­jenen Jahren zwischen diesen beiden Polen, wobei die gehörigen Maß Impulsivität. Den Antisemitismus und Anpassung sicherlich überwog. Nach 1945 suchten die Militarismus der NS-Regierung lehnte er immer ent- Betreffenden häufig einzelne Akte der Unbotmäßigkeit schiedener ab. Ein Schlüsselerlebnis war die Reaktion zu akzentuieren, ja zu angeblichem Widerstand aufzu- der US-Öffentlichkeit auf die antijüdischen Ausschrei- werten, während sie über ihren alltäglichen Opportu- tungen der Nationalsozialisten am 9. November 1938, nismus kein Wort verloren. Nicht so Piloty: Es ist nicht die Mayer während seiner beruflichen Nordamerika- bekannt, dass er mit seinem NS-kritischen Verhalten re- reise miterlebte. Überhaupt dürfte die Internationalität nommierte. Umso plausibler dürfte daher seine Einstu- Mayers einen wesentlichen Einfluss auf seine Haltung fung als partiell unbotmäßiger NS-Gegner sein. gehabt haben. Mayer hörte die Meinungen und Reakti- Aktiver Widerstand gegen das NS-Regime war hinge- onen der Außenwelt auf die Entwicklungen in Deutsch- gen auf einen sehr kleinen Personenkreis beschränkt land und war dadurch der offiziellen Propaganda in ge- und gerade unter Ingenieuren äußerst selten. Wer Wi- ringerem Maß ausgeliefert. derstand leistete, stützte sich in der Regel auf ein par- Nach dem deutschen Angriff auf Polen und der dar- teipolitisches, militärisches, gewerkschaftliches oder auffolgenden britischen Kriegserklärung an das Deut- kirchliches Netzwerk von Gleichgesinnten, nicht selten sche Reich ließ Mayer seine letzten Bedenken fallen konnte er auf Unterstützung aus dem Ausland zäh- und betrieb einen geradezu tollkühnen Individualwi- len. Individual­widerstand war ein rarer Einzelfall, und derstand. Dabei griff er auch zu kalkuliertem Landes- er hatte nach 1945 keine Lobby. Weder Parteien noch verrat, um Krieg und NS-Regime so schnell als möglich Militärs noch Gewerkschaften noch Kirchen waren zu beenden. Da auch Mayer einen konservativen Hin- an der Würdigung eines Hans Ferdinand Mayer oder ei- tergrund hatte, dürfte ihm dieser Schritt nicht leicht ge- nes Georg Elser interessiert. Umso mehr verdient es fallen sein. Anders als Piloty stellte er die moralische Mayers bemerkenswerter Werdegang überliefert zu Verpflichtung zum Widerstand über das Gebot der werden. Loyalität zu Vaterland und Arbeitgeber sowie die Rück- So rasch sich die Biographien der drei Ingenieure der sichtnahme auf die eigene Familie. Gemäß dem Theo- Nachrichtentechnik nach 1933 politisch auseinander rem Max Webers handelte Mayer gesinnungsethisch, entwickelten, so schnell kehrte nach Kriegsende wieder Piloty verantwortungsethisch. Mayer hatte Glück, dass «Normalität» ein. Mayer und Piloty arbeiteten ab Mai der Gestapo der «Oslo-Report» unbekannt blieb, seine 1945 für den Wiederaufbau, Küpfmüller war 1948 reso- fachlichen Fähigkeiten ihm bis auf weiteres die Todes- zialisiert. Die drei Nachrichtentechniker setzten ihre strafe ersparten und seine Familie nicht von Verfol- berufliche Karriere fort, und in Wirtschaft und Wissen- gungsmaßnahmen betroffen wurde. schaft wurde über die jüngste Vergangenheit kaum Als prinzipienfeste Konservative lehnten Piloty und mehr gesprochen. Auch Mayer schwieg, wohl wissend, Mayer schon früh den Nationalsozialismus ab. Piloty dass in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wie

632 LBe, C Rep. 118–01, Nr. 2202, Magistrat von Berlin, Haupt- 633 «Wir haben die linken Klassenkämpfer liquidiert, aber stadt der DDR, Abt. für Sozialwesen, Hauptausschuß leider haben wir dabei vergessen, auch den Schlag gegen «Opfer des Faschismus», Fragebogen Dr. Mayer Hans rechts zu führen. Das ist unsere große Unterlassungs- Ferdinand, Mayer, 21. 6. 1945. sünde.» (zit. nach Below 1980, S. 403). 95 7. Resümee auch bei seinem Arbeitgeber Siemens Widerstand nicht der Bundesrepublik der 1990er Jahre war die Aufarbei- auf einhellige Sympathie stieß – insbesondere dann, tung der NS-Jahre nun breiter gesellschaftlicher Kon- wenn er Landesverrat beinhaltete. Auch bei den Recher- sens. chen zu dieser Veröffentlichung waren vereinzelt Vor- Alle drei Persönlichkeiten sind als Wissenschaftler behalte gegen Mayers Verhalten zu hören. große Vorbilder. In ihrem politischen Verhalten wäh- Anscheinend hatte Küpfmüller nach dem Krieg rend der Jahre 1933–45 sind ihre Lebensläufe exemp­ nicht die Größe, Mayer auf die jüngste Vergangenheit larisch für Verhaltensoptionen der wissenschaftlich- anzusprechen, obwohl sie sich regelmäßig auf Indus­ technischen Elite in der NS-Zeit. Jedem Leser sei es trie- und Hochschulveranstaltungen, Kongressen und überlassen, über die drei Wissenschaftler ein eigenes Gremiensitzungen trafen. Küpfmüller verweigerte sich Urteil zu fällen. Die drei Biographien mögen ihm darü- einer öffentlichen Selbstkritik, betrachtete die NS-Peri- ber hinaus als Anregung dazu dienen, sich damit aus­ ode als abgeschlossenes Kapitel und suchte neue Aufga- einanderzusetzen, wie er selbst unter vergleichbaren ben und Ehrungen. Der herrschende Zeitgeist in der politischen Bedingungen handeln würde. Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre trug frei- lich auch nicht dazu bei, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie zu fördern. Ob Küpfmüller pri- vat zu kritischer Selbstreflexion fand, wissen wir nicht. Selbst mit engen Mitarbeitern und Verwandten sprach der stets reserviert auftretende Professor nicht über die Vergangenheit. Mayer verübelte Küpfmüller dieses beharrliche Schweigen und ging auf immer größere Distanz zu sei- nem langjährigen Kollegen. Hinzu kam der zuneh- mende Verdacht, dass Küpfmüller zu seiner Verhaftung beigetragen haben könnte. Gleichzeitig schätzte Mayer seinen Kollegen als herausragenden Wissenschaftler. Ein Vorfall verdeutlicht wie kein anderer seinen Zwie- spalt: Als Mayer im September 1970 einen Bericht der «Stuttgarter Nachrichten» über die Verleihung des Wer- ner-von-Siemens-Rings an Küpfmüller mit Empfang durch den baden-württembergischen Ministerpräsi- denten las, zerriss er spontan den Artikel. Doch setzte er die Schnipsel später wieder sorgfältig zusammen und archivierte den Bericht.634 Erst 1989, ein Jahrzehnt nach Mayers Tod, konnte das Geheimnis um die «Oslo Person» enthüllt werden. Dass Mayers Urheberschaft auch dann noch im Sie- mens-Konzern ein Tabu blieb und genauso wie seine In- haftierung und Forschungstätigkeit im Konzentrati- onslager in der offiziösen Siemens-Geschichte der Jahre 1918–45 keine Erwähnung fand, ist erstaunlich. Denn in

634 Privatarchiv Peter Mayer, Nachlass Hans F. Mayer, Pioniere der Wissenschaft, Stuttgarter Nachrichten 26. 9. 1970 (zerrissen und wieder zusammengeklebt). Zuerkennung und feierliche Verleihung lagen zeitlich weit auseinander. Damaliger baden-württembergischer Ministerpräsident war Dr. Hans Filbinger, der 1978 nach Bekanntwerden seiner NS-Mitgliedschaften und der von ihm beantragten oder gefällten Todesurteile als Marineankläger bzw. Marinerichter im Zweiten Weltkrieg vom Amt zurücktrat. 96 Anhang

Anhang 635 Der «Oslo Report» 1. Ju 88 Programm. Ju 88 ist ein zweimotoriger Langstre- ckenbomber und hat den Vorteil dass er auch als Sturz- bomber verwendet werden kann. Es werden im Monat mehrere Tausend, wahrscheinlich 5000, hergestellt. Bis April 40 sollen 25–30 000 Bomber allein von dieser Sorte fertiggestellt sein.

2. Franken. Im Hafen von Kiel liegt das erste deutsche Flugzeugmutterschiff. Es soll bis April 40 fertiggestellt sein und heisst636 «Franken».

3. Ferngesteuerte Gleiter. Die Kriegsmarine entwickelt ferngesteuerte Gleiter, d.s. kleine Flugzeuge von etwa 3 m Spannweite und 3 m Länge die eine grosse Spreng- ladung tragen.637 Sie haben keinen motorischen An- trieb und werden von einem Flugzeug aus grosser Höhe abgeworfen. Sie enthalten a) einen elektrischen Höhenmesser, ähnlich des wireless altimeter (Bell Syst. Tech. J. Jan. 39, p. 222). Dieser bewirkt dass der Gleiter in etwa 3 m über dem Wasser abgedangen [recte: abgefangen, Vf.] wird. Er fliegt dann horizontal mit Raketenantrieb weiter.

635 Übertragung des 7-seitigen Typoskripts aus UK, Public Records Office, PRO, Air Ministry, AIR/40/2572 636 Das scharfe ß ist durchweg als ss geschrieben. Mayer schrieb die Briefe auf der Schreibmaschine seines Osloer Hotels, die über kein scharfes ß verfügte. Er war um gutes Deutsch bemüht, was auch Jones lobend bemerkte. Die Rechtschreib- und Grammatikfehler entstanden bei der in Großbritannien angefertigten Abschrift (Persönliche Mitteilung Peter Mayer, 3. 5. 2013). 637 Es hat den Anschein, dass die Umlautpunkte von Hand eingefügt wurden. 97 Der «Oslo Report»

b) Eine Fernsteuerung mittels UKW-Wellen in Form wand rückten deutsche Flammenwerfer vor und nah- von Telegraphiesignalen, durch die der Glieder men vor den Bunkern Aufstellung. Gegen diese Flam- [recte: Gleiter, Vf.] nach rechts oder nach links oder menwerfer erwiesen sich die Bunker als machtlos und grade aus gesteuert werden kann, z. B. von einem die Bunkerbesatzung kam entweder um oder musste Schiff oder einem Flugzeug aus. sich ergeben. Der Gleiter soll so gegen die Bordwand eines feindli- chen Schiffs gelenkt werden und dort soll die Sprengla- 8. Flieger-warngerät. Bei dem Angriff der englischen dung abfallen und unter Wasser explodieren. Flieger auf Wilhelmshafen Anfang September639 wur- Die Geheimnummer ist FZ21638 (Ferngesteuerte [recte: den die englischen Flugzeuge schon 120 Km vor der Ferngesteuertes, Vf.] Zielflugzeug). Die Erprobungsstelle deutschen Küste festgestellt. An der ganzen deutschen ist in Peenemünde, an der Mündung der Peene, bei Wol- Küste stehen Kurzwellensender mit 20 KW Leistung, die gest [recte: Wolgast, Vf.] in der Nähe von Greifswald. ganz kurze Impulse, von der Dauer 10. 5 sec. aussenden. Diese Impulse werden von den Flugzeugen reflektiert. 4. Autopilot. Unter der Geheimnummer FZ10 wird in In der Nähe des Senders ist ein drahtloser Empfänger, Diepensee bei Berlin ein Autopilot entwickelt (Ferngest. der auf die gleiche Welle abgestimmt ist. Dort trifft also Flugzeug) das von einem bemannten Flugzeug aus ge- nach einiger Zeit die vom Fugzeug reflektierte Welle ein steuert werden soll um z. B. Ballonsperren zu zerstören. und wird von einem Braunschen Rohr registriert. Aus dem Abstand des Sendeimpulses und des reflektierten 5. Ferngesteuerte Geschosse. Das Heereswaffenamt Impulses kann man die Entfernung des flugzeuges (HWA) ist die Entwicklungsstelle für das Heer. Diese [recte: Flugzeuges, Vf.] ersehen. Da der Sendeimpuls viel Stelle befasst sich mit der Entwicklung von Geschossen stärker ist als der reflektierte Impuls wird der Empfän- von 80 cm Kaliber. Es wird hierbei ein Raketenantrieb ger während des Sendeimpulses gesperrt. Der Sendeim- verwendet, die Stabilisierung erfolgt durch eingebaute puls wird auf dem Braunschen Rohr durch ein örtliches Kreisel. Die Schwierigkeiten beim Raketenantrieb lie- Zeichen markiert. In Verbindung mit dem Ju 88 Pro- gen darin, dass das Geschoss nicht gradeaus [recte: ge- gramm werden überall in Deutschland bis zum April 40 radeaus, Vf.] fliegt sondern unkontrollierbare Kurven solche Sender installiert. macht. Es hat daher eine drahtlose Fernsteuerung, mit der der Abbrand des Zündsatzes der Rakete gesteuert Gegenmassnahmen. Mittels besonderer Empfänger, wird. Diese Entwicklung ist noch in den Anfängen und die Impulse von der Dauer 10–5 – 10–6 sec. aufnehmen die 80 cm Geschosse sollen später für die Maginotlinie können, muss man die Wellenlänge der in Deutschland eingesetzt werden. gesendeten Impulse feststellen und dann auf den glei- chen Wellenlängen Störimpulse aussenden. Diese Emp- 6. Rechlin. Dieses ist ein kleiner Ort am Mueritzsee, fänger können an Land stehen, auch die Sender, da die nördlich Berlin. Dort befinden sich die Laboratorien Methode sehr empfindlich ist. und Entwicklungsstellen der Luftwaffe, Lohnender An- Während diese Methode in grossem Umfang einge- griffspunkt für Bomber. führt wird, ist ein anderes Verfahren in Vorbereitung, welches mit 50 cm Wellen arbeitet. Siehe fig. 1640. Der 7. Angriffsmethode für Bunker. Die Erfahrungen im Transmitter641 T sendet kurze Impulse aus die mit ei- Feldzug gegen Polen haben gezeigt, dass mit einem ge- nem elektrischen Hohlspiegel stark gerichtet sind. Der wöhnlichen direkten Angriff gegen Bunker nicht ange- Receiver R steht unmittelbar neben dem Sender und kommen [«werden» ist zu ergänzen, Vf.] kann. Die pol- hat ebenfalls eine Richtantenne. Er empfängt die reflek- nischen Bunkerstellungen wurden daher durch tierten Impulse. T und R sind über eine künstliche Lei- Gasgranaten vollkommen eingenebelt, wobei die Ver- tung miteinander verbunden, deren Uebertragungszeit neblung wie ein Vorhang immer tiefer in die Bunker- stetig veränderlich ist. Diese künstliche Leitung hat stellungen vorgetragen wurde. Die polnische Mann- ­folgenden Zweck: der Empfänger ist für gewöhnlich schaften wurden so gezwungen, sich in die Bunker zurückzuziehen. Unmittelbar hinter der Verneblungs- 639 Der erste Luftangriff auf Wilhelmshaven erfolgte völlig überraschend bereits am 4. September 1939. 638 FZ 21 war gemäß Fritz Trenkle die Siemens-interne 640 Es sind keine Figuren in den Archiven erhalten. Bezeichnung für den Gleiter – ein Indiz für die Urheber- 641 Dass hier und später das englische Wort verwendet wird, schaft eines Siemens-Mitarbeiters an dem «Oslo Report» deutet auf die Vertrautheit des Verfassers (Mayer) mit der (Jones 1989, S. 274). englischsprachigen Literatur hin. 98 Anhang

­gesperrt und kann keine Impulse empfangen. Der Im- eine zweite, höhere Frequenz aus, z. B. 1500 pps und puls, der von T drahtlos ausgesendet wird, läuft auch vergleicht auch hiervon den Phasewinkel [recte: Pha- über die künstliche Leitung und macht den Empfänger senwinkel, Vf.] 150 pps also eine Grobmessung, 1500 für eine ganz kurze Zeit wirksam. Wenn die Uebertra- pps eine Feinmessung. gungszeit der künstlichen Leitung gleich ist der Lauf- zeit des reflektierten drahtlosen Impulses, kann dieser 10. Torpedos. Die deutsche Marine hat 2 neue Arten von vom Empfänger auf einem Braunschen Rohr registriert Torpedos. werden. Mann kann mit diesem Verfahren sehr genau a) Man will z. B. Convoys von 10 Km Entfernung aus die Entfernung z. B. eines Flugzeuges messen und es ist angreifen. Solche Torpedos haben einen drahtlosen sehr unempfindlich gegen Störungen, da der Empfän- Empfänger, der 3 Signale empfangen kann. Mit ger immer nur sehr kurze Zeit geöffnet ist. diesen Signalen kann man von dem Schiff, welches das Torpedo geschossen hat, oder von einem 9. Flieger-Entfernungsmessgerät. Wann Flieger zum Flugzeug aus, das Torpedo nach links, nach rechts Angriff in ein feindliches Land fliegen, ist es wichtig für oder gradeaus steuern. Es werden lange Wellen sie zu wissen, wie weit sie vom Ausgangsort ent- verwendet, die gut in das Wasser eindringen, in der fernt sind. Für diesen zweck [recte: Zweck, Vf.] wird in Ordnung von 3 Km-Wellen. Diese sind mit kurzen Rechlin folgendes Verfahren entwickelt: Tonfrequenzsignalen moduliert welche die Am ausgangsort [recte: Ausgangsort, Vf.] steht ein Steuerung des Torpedos veranlassen. Auf dieser drahtloser Sender (6 m. Welle), der mit einer Niederfre- Weise soll das Torpedo in grosse Nähe des Convoy quenz f moduliert ist. Das Flugzeug, das in der Entfer- gelenkt werden. Um nun ein Schiff wirklich zu nung a ist, empfängt die 6 m Welle und erhält nach der treffen sind am Kopf des Torpedos 2 akustische

Demodulation die Niederfrequenz f. [andere Lesart f0, Empfänger (Mikrofone) welche einen Richtempfän- Vf.] Mit dieser Niederfrequenz moduliert es seinen ei- ger darstellen. Mit diesem Empfänger wird der Lauf genen Sender, der eine etwas andere Wellenlänge hat. des Torpedos so gesteuert, dass es von selbst auf die Die so modulierte Welle des Flugzeugs wird am Aus- akustische Geräuschquelle läuft. Wenn also das gangsort empfangen und demoduliert. Die so erhaltene Torpedo drahtlos in eine Entfernung von wenigen Niederfrequenz f. wird mit der örtlichen Niederfre- 100 m von dem Schiff gebracht worden ist, läuft es quenz f. verglichen. von selbst auf das schiff [recte: Schiff, Vf.] los, da Beide unterscheiden sich durch den Phasewinkel [recte: jedes Schiff wegen seiner Maschinen akustische Phasenwinkel, Vf.] Geräusche macht. Mit akustischen und drahtlosen 4 f a/C [recte: 4 f π a/C , Vf.] (a = Entfernung des Flug- Störsignalen kann man sich Verhältnissmässig zeugs, C = Lichtgeschwindigkeit). Durch Messung der leicht dagegen schützen. Phase kann man also die Entfernung des Flugzeugs b) Die zweite Art von Torpedo ist wahrscheinlich messen und man kann dem Flugzeug seinen Standort diejenige, mit der die Royal Oak643 versenkt wurde. mitteilen. Damit die messung [recte: Messung, Vf.] Diese treffen nicht die Schiffswand sondern eindeutig ist muss der Phasewinkel [recte: Phasenwin- explodieren unter dem Schiffsboden. Die Auslö- kel, Vf.] gleich 2 [recte: 2π sein, Vf.] . sung der Zündung erfolgt magnetisch und beruht auf folgendem Prinzip: Fig. 2. Die Vertikalkompo- [Die folgenden 2 Zeilen finden sich abgesetzt am Ende nente des magnetischen Erdfelds ist überall des Abschnittes 10, gehören aber offensichtlich hierher, ungefähr dieselbe, wird aber durch das Schiff S Vf.] verändert, sodass bei A und C [recte: B (?), Vf.] ein Man wählt daher eine niedrige Freq. f, z. B. 150 pps642, schwächeres Feld, bei C ein stärkeres Feld ist. Ein dann ist gerade für 1000 Km der Phasewinkel [recte: von links kommendes Torpedo läuft also erst im Phasenwinkel, Vf.] gleich 2 [recte: 2π, Vf.] . normalen Feld, dann im schwächeren Feld usw.

Mit einer so tiefen Frequenz erhält man jedoch keine Im kopf torpedo [recte: Kopf des Torpedo, Vf.] rotiert sehr grosse Genauigkeit. Man sendet daher gleichzeitig nach Art eines Erdinduktors eine Spule um eine hori-

642 Hier wird die in der angelsächsischen Fachliteratur mehr gebräuchliche Frequenzbezeichnung pps 643 Die «Royal Oak» wurde am 14. Oktober 1939 – («period per second», Perioden oder Pulse per Sekunde) also 3 Wochen vor der Abfassung des Oslo Reports – statt Hz verwendet. durch ein deutsches U-Boot bei Scapa Flow versenkt. 99 Der «Oslo Report» zontale Achse. An den Klemmen dieser Spule entsteht Fig. 2 zeigt einen elektrischen Zeitzuender. Es ist das hierdurch eine leichspannung [recte Gleichspannung, gleiche Prinzip, nur ist an Stelle des mechanischen Kon- Vf.] , die der Vertikalkomponente des magn. Erdfelds takts eine Glimmlampe G., welche nach einer ganz be- proportional ist. In Reihe mit dieser Spannung lieft stimmten Zeit zuendet. Diese Zeit kann durch die werte ([recte: läuft, Vf.] ) eine gleichgrosse Gegenspannung. [recte: Werte Vf.] der Kondensatoren und Widerstaende So dass kein Strom fliessen kann, solange das Torpedo eingestellt werden. sich in normalen Erdfeld befindet. Kommt jedoch das Torpedo nach A, so ist dort das Erdfeld kleiner und die Die neueste Entwicklung verwendet Glimmlampen mit Spannung an der rotierenden Spule sinkt. Die beiden Gitter, Fig. 3. Wenn man die Batteriespannung so wa- entgegengesetzten Spannungen sind nicht mehr gleich ehlt, dass sie etwas unterhalb der Zuendspannung liegt gross, es fliesst ein Strom und betätigt ein Relais wel- und wenn das Gitter isoliert ist, kann man durch Vera- ches die Zündung auslöst. Die Verzögerung ist so ge- enderung der Teilkapazitaeten C12 und C23 die Lampe wählt, dass die Explosion grade unter den Schiffsboden zur Zuendung bringen. Es genuegen schon ausseror- erfolgt. dentlich kleine Veraenderung (recte Veraenderungen, Vf.) der Teilkapazitaeten. Fig. 4 zeigt den prinzipiellen Vielleicht kann man sich gegen solche Torpedos schüt- Einbau in einem Geschoss. Der Kopf K des Geschosses zen, indem man längs des Schiffes ein Kabel ausspannt, ist isoliert und liegt am Gitter der Glimmlampe. Fliegt etwa in Höhe des Schiffsboden und möglichst weit von das Geschoss z. B. an einem Flugzeug vorbei, so werden der Schiffswand entfernt. Wenn man durch dieses Ka- die Teilkapazitaeten etwas veraendert, und die Lampe bel einen passend gewählten Gleichstrom schickt, kann zuendet wodurch das Geschoss explodiert. Man kann man ebenfalls ein magnetisches Feld erzeugen und den den Zuender auch so einstellen dass alle Geschosse in gefährlichen Punkt A weit ausserhalb des Schiffs verle- einem ganz bestimmten Abstand ueber dem Erdboden, gen. Das Torpedo wird dann zu früh explodieren. Viel- z. B. in drei Meter Hohe [recte: Hoehe, Vf.] explodieren. leicht ist es auch möglich durch passend gewählte Kom- pensationsspulen die Verzerrung des magnetischen Eine solche Lampe mit Gitter lege ich bei, es gibt eine Erdfelds durch die Riesenmassen des Schiffs zu kom- verbesserte Lampe bei der das Gitter aus einem Ring be- pensieren. steht. [hier folgt der nach oben am Ende des Abschnittes 9 ge- hörende Einschub, Vf..] Der Abwurf-Zuender für Bomben hat die Bezeichnung Nr. 25, die Fertigung soll von 25,000 Stueck in Oktober 140/6/11/39 ELEKTRISCHE ZUENDER FUER 1939 auf 100,000 Stueck ab April 1940 gesteigert wer- FLIEGERBOMBEN UND ARTILLERIEGESCHOSSE644 den. Diese Zuender werden in Sömmerda in Thuringen [recte: Thueringen, Vf.] an der Eisenbahn Sangershau- In Deutschland geht man von den mechanischen Zuen- sen-Erfurt hergestellt. Die Firma heisst Rheinmetall. dern ab und will dafür elektrische Zuender verwenden. Alle Z. für Fliegerbomben sind schon elektrisch. Fig. 1 zeigt das Prinzip. Wenn die Bombe das Flugzeug ver- lässt wird ueber einen Gleitkontakt der Kondensator C1 aus einer Batterie mit 150 Volt aufgeladen. Dieser laedt über den Widerstand R den Kondensator C2 auf. C2 ist erst geladen wenn die Bombe in einer ungefährlichen Entfernung vom Flugzeug ist. Wenn die Bombe auftrifft, schliesst sich ein mechanischer Kontakt K und der Kon- Seiten 100/101: densator entlaedt sich über die Zündspule Z. Der Vorteil Deutsche Abschrift des Oslo Reports: ist, dass die Bombe niemals scharf sein kann, wenn sie «Oslo Report from UK Public Records Office»645 am Flugzeug haengt; man kann daher mit Bomben un- Teilversion (S. 7) des Oslo Reports gefaehrlich landen.

644 Der folgende Teil ist offensichtlich mit einer anderen Schreibmaschine geschrieben. Die Umlaute sind ausge- schrieben. 645 PRO, Air Ministry, AIR/40/2572 (Auszüge). 100 Anhang 101 Der «Oslo Report» 102 Anhang

NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer SS Bibliographie R 3 Reichsministerium für Bewaffnung und Munition (ab 1. Quellen 1943 Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion) R 21 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und a) unveröffentlichte Quellen Volksbildung R 26 III Beauftragter für den Vierjahresplan Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, R 4901 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Archiv (AWLMA) Volksbildung Personalakt Küpfmüller, Karl, 30. 7. 1954 NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit

Archiwum Państwowe w Gdańsku / Staatsarchiv Danzig Bundesarchiv Koblenz (BArchK) (APG) Z/42/IV, 4984, Strübing Johannes Bestand Politechnika w Gdańsku (Technische Hochschule Danzig): Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg (BArchF) APG 988/227 Küpfmüller, Karl RH 8/I Heereswaffenamt APG 988/228 Küpfmüller, Karl RL 39 Forschungsinstitute der Luftwaffe APG 988/40 Butenandt, Adolf RM 6 Leitung der Kriegsmarine APG 988/346 Oberländer, Theodor RM 105 Marinewaffenamt APG 988/464 Seiz, Obering. BBC in Baden

Deutsches Museum (DM), München, Archiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) NL 129 (Spangenberg Heinrich) Bayerisches Staatsministerium für Sonderaufgaben (MSo) 7. 3. Durchführung der Entnazifizierung Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des 8. 1. Internierungs- und Arbeitslager Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Archiv, Berlin (BStU) Bayerisches Staatsministerium für Unterricht MfS – HA IX 11, FV 98/66, Bd.-Nr. 494 und Kultus (MK) MK 43218 Dr. Heuser Otto Eberhard Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik, MK 43277 Piloty, Hans Heinrich-Hertz-Institut, Archiv, Berlin (HHI) MK 58943, Schnauffer, Kurt Will-1a-HHI bis Will-20–HHI Office of Military Government for Bavaria (OMGB) KW−80e−HHI Economics Division, General and Miscellaneous

Intelligence Division, and Civil Internement Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (HHStA) Camps Abt. 504, Nr. 1292 Fakultät für Elektrotechnik der TH Civil Administration Division, Denazification Branch Darmstadt 1952–1972 Abt. 504, Nr. 11086 Personalakte Küpfmüller, Karl Bayerische Akademie der Wissenschaften, München, Archiv Historisches Archiv der Technischen Universität München Personalakt Karl Küpfmüller (HATUM) Personalakt Hans Piloty PA Peppler Wilhelm Wahlakt 1940 PA Piloty Hans PA Prof. Streck Bayerisches Kriegsarchiv, München

Abt. II, Nr. 9382/33 Piloty, Hans Institut für Zeitgeschichte, München, Archiv (IfZ) OMGUS 2/176/5 FINAD Bundesarchiv Berlin (BArchB)

NSDAP-Mitgliederkartei (ehem. Berlin Document Center) Internationaler Suchdienst (ITS), Bad Arolsen, RS/Rasse- und Siedlungshauptamt (ehem. Berlin Document Digitales Archiv Center) Individuelle Unterlagen, Dr. Hans Ferdinand Mayer, 147451, DS/Wissenschaftler (ehem. Berlin Document Center) 1280807, 1307305, 1310569, 1621384, 4113585, 4113743, SSO/SS-Führerpersonalakten (ehem. Berlin Document 9894652, 9914008, 9937936, 9946919, 9947091, 9947281, Center) 9947494, 10705818 103 Bibliographie

KZ-Gedenkstätte Dachau, Archiv VvA Lüschen Fritz I – IV Akt Prof. Dr. Hans F. Mayer VvA Spandöck I Datenblatt Mayer, Johann [sic!] WP Dr. Mayer, Hans Ferdinand Nachlass Dr. Mayer, Hans Ferdinand (ohne Signatur) Landesarchiv Berlin (LBe) B Rep 057–01, Nr. 148 Staatsarchiv München (StAM) B Rep 057–01, Nr. 428 Spk K 1327 Dr. Pistor, Lutz B Rep. 057–01 Nr. 4029 Beistück I (Ablichtungen aus dem Verfahren 1 Js 16/49 StA Lüneburg gegen Dr. Manfred Staatsarchiv Nürnberg (StAN) Roeder) Spk Ansbach-Land, Küpfmüller, Karl, geb. 6. 10. 1897 B Rep. 057–01 Nr. 3013 Strübing, Hans (Johannes) C Rep. 118–01, Nr. 2202 Dr. Mayer, Hans Ferdinand Technische Universität Darmstadt, Archiv (TUDA) C Rep. 375–01–12 Nr. 7077 TH 21/01, Nr. 228 Fakultät für Elektrotechnik C Rep. 902–02–05, Nr. 86 TH 21/01, Nr. 253 Fakultät für Elektrotechnik C Rep. 901, Nr. 288 TH 25/01, Nr. 405–4 Küpfmüller, Karl

Massachusetts Institute of Technology Institute, Technische Universität München, Registratur Archives and Special Collections, Cambridge, V 176, 1 Institut für Nachrichtentechnik Massachusetts (MIT Archives) Norbert Wiener Papers, MC 22 Universitätsarchiv Stuttgart (UAS) Akt 57/1313 Küpfmüller, Karl Museum für Verkehr und Technik, Archiv, Berlin Firmenarchiv AEG-Telefunken, Telefunken GmbH Universität Würzburg, Institut für Hochschulkunde, Archiv Bestand Burschenschaft Frankonia zu Heidelberg Privatarchiv Peter Mayer, Kolbermoor Nachlass H. F. Mayer (unsigniert) Verband der Elektrotechnik, Elektronik, Informations- technik e. V., Archiv, Frankfurt a.M. Begründungen, Laudationes, Urkunden zu VDE-Ehrenring- Privatarchiv Peter Noll, Berlin preisträgern Küpfmüller, Mayer, Piloty Dr. Herbert P. Raabe, Potomac, MD: Erinnerungen an meine Studien-, Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Interviews mit Zeitzeugen Technischen Hochschule Berlin, nicht datiert Gertrud Bickelhaupt (ehem. Sekretärin von Karl Küpfmüller), Darmstadt, mit J. Hagenauer, 3. 3. 2010 und Privatarchiv Rudolf F. Staritz, Bamberg 28. 1. 2012 (telefonisch) Besprechungsprotokoll RSHA Berlin und Stapoleitstelle Prof. Bernhard Cramer (Assistent von Küpfmüller) München, Reichenau 27. 11. 1944 (Kopie) mit den Vf., 01.03. 2010 Prof. Werner Endres (Kollege von Karl Küpfmüller im Privatarchiv Siegfried Sakuth, Darmstadt Fachausschuss 1 der ITG), Telefongespräch mit J. Hagenauer, Nachlass Karl Küpfmüller (unsigniert) Mai 2008. Prof. Eberhard Hänsler (Schüler von Karl Küpfmüller), Public Records Office, Kew/England (PRO) Darmstadt, mit den Vf., 1. 3. 2010 Air Ministry (AIR), AIR/40/2572 Dr. Franz Jenik (Assistent von Küpfmüller), Rosenheim, Telefongespräch mit J. Hagenauer, 13.05. 2008

Siemens-Forum München, Archiv Peter Mayer (Sohn von Hans F. Mayer), Kolbermoor, mit den Vf., 14. 12. 2009 und 20. 12. 2010 4 / Lf 841 Professor Horst Ohnsorge (Schüler von Karl Küpfmüller), 10 / Lc 14 Blaubeuern, Telefongespräch mit J. Hagenauer, 14. 1. 2011 10 / Lp 672 Prof. Robert Piloty (Sohn von Hans Piloty), Darmstadt, 13 / Lt 714 Küpfmüller mit den Vf., 1. 3. 2010 13 / Lt 721 Bd. 1 und 2 Dr. Lüschen Siegfried Sakuth (Schwiegersohn von Karl Küpfmüller), 63 / Ld 571 Nachlass Kloss Darmstadt, mit den Vf., 28. 9. 2011 68 / Li 186 Zentral-Laboratorium Prof. Hans-Georg Unger (früherer Siemens-Mitarbeiter), VvA Küpfmüller, Karl Braunschweig, mit J. Hagenauer, 28.06. 2010 104 Anhang

b) veröffentlichte Quellen Interviews William Aspray, Interview: # 172 for the IEEE History Manuskripte Center and Rutgers, The State University of New Jersey. Alfred Thoma: Laudatio Willy Wagner [= Laudatio aus IEEE History Center, July 1, 1993. Internet-Dokument: unveröffentlichter Autobiographie von A. Thoma], www.ieeeghn.org. (Zugriff 20. 12. 2011) URL: http://www.ulrichthoma.de/laudatio Friedrich Wilhelm Hagemeyer: Tonbandinterview mit Karl Küpfmüller, aufgezeichnet Ende der 1970er Jahre. Bücher und Aufsätze Internet-Dokument: http://www.weisses-rauschen.de/ 75 Years of Rohde & Schwarz, Hg.: 75 Years of Rohde & page4/page4.html (Zugriff 20. 12. 2011). Schwarz. From two-man lab to global group. In: Rohde & Schwarz News 48 (2008) 198 (Beilage) 2. Darstellungen Nikolaus von Below: Als Hitlers Adjutant 1937–45, Mainz, 1980 a) Nachschlagewerke Ludwig Bölkow: Erinnerungen, München 1994 Deutsches Marine-Archiv. Internet-Dokument: Deutsche Studentenschaft Danzig (Hg.): http://www.deutsches-marinearchiv.de Danziger Hochschulführer 1930/31, Danzig 1930 Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur national- Deutsche Studentenschaft Danzig (Hg.): sozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004 Danziger Hochschulführer 1935, Danzig 61935 Kurt Jäger (Hg.): Lexikon der Elektrotechniker, Berlin 1996 Fachbereich Elektrotechnik der TU Darmstadt (Hg.): Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Karl Küpfmüller zum 100. Geburtstag, Darmstadt 1997 Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2005 Helmut Joachim Fischer: Erinnerungen. Teil I: Neue Deutsche Biographie (NDB), Berlin 1 (1953) – 24 (2010) Von der Wissenschaft zum Staatssicherheitsdienst. Teil II: Feuerwehr für die Forschung ( = Quellenstudien Siemens AG: DIE SIEMENSSTADT. Ein Lexikon der der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, Siemensstadt in Berlin. Internet-Dokument: http:// Bd. 3 bzw. 6), Ingolstadt 1984 bzw. 1985 w3.siemens.de/siemens-stadt Walther Meissner: Die schwierige Lage der Akademie b) Bücher und Aufsätze unter der nationalsozialistischen Regierung und der Wiederaufbau in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Agoston, Tom: Teufel oder Technokrat? Hitlers graue In: Geist und Gestalt 1959, S. 36–38. Eminenz, Hamburg 1993 Hans Piloty: Die Rolle des Geistes in der Nachrichten- Aleida Assmann/Ute Frevert: Geschichtsvergessenheit – ­technik. Vortrag von Prof. Dr. Hans Piloty, Rektor der Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Technischen Hochschule München, anlässlich der Jahres- Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999 feier am 3. Dezember 1948, München 1949. Carina Baganz: Diskriminierung. Ausgrenzung, Ministerium für Sonderaufgaben: Gesetz zur Befreiung Vertreibung. Die Technische Hochschule Berlin während von Nationalsozialismus und Militarismus, München o.J. des Nationalsozialismus, Berlin 2013. [1946] Riccardo Bavaj: Die Ambivalenz der Moderne im National- Nat.-soz. Lehrerbund Deutschland/Gau Sachsen (Hg.): sozialismus. Eine Bilanz der Forschung, München 2003 Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universi- Friedrich L. Bauer, Hg.: 40 Jahre Informatik in München täten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem 1967–2007 (= Festschrift, hg. vom Informatik Club e.V.), nationalsozialistischen Staat, Dresden o. J. [1933] München 2007 Technische Hochschule Danzig: Vorlesungsverzeichnis Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. des Studienjahrs 1933/34, S. 15–27. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 1: Die Organisation des Terrors, Band 2: Frühe Lager, Periodika Dachau, Emslandlager, Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, Band 6: Das Parlament, Bonn (heute Berlin) 1ff. (1951ff.) Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof, München München DER SPIEGEL, Hamburg 1ff. (1947ff.) 22006; 2005; 2005; 2006; 2007 Frankfurter Allgemeine Zeitung 1ff. (1949ff.) Thilo Bode: The Oslo Person. Feuilleton-Beilage zur New York Times, New York 1ff. (1851ff.) Süddeutschen Zeitung, 16/17. 12. 1989 Life Magazine, New York 1ff. (1936ff.) Hans Viktor von Böttcher, Die Freie Stadt Danzig, Bonn 31999 Schwäbische Landeszeitung (seit 1959: Augsburger Martin J. Bollinger: Warriors and Wizards: The Development Allgemeine Zeitung), Augsburg 1ff. (1945ff.) and Defeat of Radio-Controlled Glide Bombs of the Third Stuttgarter Nachrichten, Stuttgart 1ff. (1946ff.) Reich, Annapolis, MD 2010 Süddeutsche Zeitung, München 1ff. (1945ff.) Martin Broszat/Elke Fröhlich: Alltag und Widerstand – Bayern im Nationalsozialismus, München/Zürich 1987 105 Bibliographie

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Teknisk Tidskrift (1931) 9 und 10 Toxicology, 1ff. (1973ff.) Abkürzungen VDE-Fachberichte, 1ff. (1926ff.) AEG Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft Aktien- gesellschaft Wissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem Siemenskonzern, 1ff. (1921ff.) APG Archiwum Państwowe w Gdańsku (Staatsarchiv Danzig) Zeitschrift für Krebsforschung, 1ff. (1904ff.) AStA Allgemeine Studentenausschuss Zeitschrift für Naturforschung, 1ff. (1946ff.) AWLMA Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Archiv BAdW Bayerische Akademie der Wissenschaften Bildnachweis BArchB Bundesarchiv Berlin Küpfmüller jung (S. 11) BArchF Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg Privatarchiv Siegfried Sakuth, Darmstadt BArchK Bundesarchiv Koblenz Piloty jung (S. 11) BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Historisches Archiv der Technischen Universität München BBC British Broadcasting Corporation (HATUM) BHE Bund der Heimatvertriebenen und Mayer jung (S. 11) Entrechteten Historisches Archiv der Technischen Universität München B.H.F. Bevollmächtigter für Hochfrequenzforschung Küpfmüller mittelalt (S. 15) Privatarchiv Siegfried Sakuth, Darmstadt BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Piloty mittelalt (S. 15) Deutschen Demokratischen Republik, Archiv, Privatarchiv Robert Piloty, Darmstadt Berlin Mayer mittelalt (S. 15) CCIF Comité Consultatif International des Télécom- Privatarchiv Robert Piloty, Darmstadt munications Grandes Distances Küpfmüller alt (S. 31) CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands Privatarchiv Siegfried Sakuth, Darmstadt CIC Counter Intelligence Corps (USA) Piloty alt (S. 31) Museum für Verkehr und Technik, Archiv, Berlin CSU Christlich-Soziale Union Mayer alt (S. 31) DAF Deutsche Arbeitsfront Privatarchiv Peter Mayer, Kolbermoor DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft Goldene Cedergren-Medaille (S. 39) DIN Deutsches Institut für Normung e.V Privatarchiv Siegfried Sakuth, Darmstadt DM Deutsches Museum München, Archiv Bayerischer Verdienstorden (S. 39) DNVP Deutschnationale Volkspartei Bayerische Staatskanzlei, München DP Deutsche Partei Gauß-Weber-Medaille (S. 39) E.h. Ehrenhalber Gerhard Hund FDP Freie Demokratische Partei Oslo Report (S. 100 f.) F.M.S.S. Fördermitglied der Schutzstaffel UK Public Records Office, Kew Garden GB/BHE Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimat­ vertriebenen und Entrechteten Gestapo Geheime Staatspolizei HATUM Historisches Archiv der Technischen Universität München HHI Heinrich-Hertz-Institut für Schwingungs- forschung (heute Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik) HHStA Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden HL Horizontal-Lot IBM International Business Machines Corporation IfZ Institut für Zeitgeschichte ITA Ingenieur-technische Abteilung ITS International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) 109 Abkürzungen

JCS Joint Chiefs of Staff (USA) UAS Universitätsarchiv Stuttgart Ju Junkers USG Unterseebot-Such-Gerät KDAI Kampfbund deutscher Architekten und V2 Vergeltungswaffe 2 Ingenieure VDE Verband Deutscher Elektroingenieure KWG Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Verband der Elektrotechnik, Elektronik KZ Konzentrationslager und Informationstechnik) LBe Landesarchiv Berlin VDI Verein Deutscher Ingenieure Me Messerschmitt Vf. Verfasser MI6 Military Intelligence, Section 6 V-Leute Verbindungsleute (Großbritannien) WM Wehrmacht MIT Massachusetts Institute of Technology WW-TEL Technische Entwicklung der Wernerwerke MPG Max-Planck-Gesellschaft ZE Zentrale Erprobungsstelle NSBDT Nationalsozialistischer Bund Deutscher ZK Zentrales Konstruktionsbüro Technik ZL Zentrallaboratorium NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDDB Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund NSDStB Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NTG Nachrichtentechnische Gesellschaft NVK Nachrichtenmittel-Versuchs-Kommando OKM Oberkommando der Marine PCM Puls-Code-Modulation PERM Programmgesteuerte Elektronische Rechenmaschine München Pg. Parteigenosse PTT Post-, Telefon- und Telegraphiebetriebe (Dänemark) PTR Physikalisch-Technische Reichsanstalt REM Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung RFR Reichsforschungsrat PRO Public Records Office (Großbritannien) RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule S&H Siemens & Halske SA SD Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS SEL Standard Elektrik Lorenz SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StAN Staatsarchiv Nürnberg SVK Sperr-Versuchs-Kommando TH Technische Hochschule THM Technische Hochschule München Tuda Technische Universität Darmstadt, Archiv TVA Torpedo-Versuchsanstalt 110 Anhang

Fiehler, Karl 60 Personenregister Fischer, Helmut Joachim 18f. Karl Küpfmüller, Hans Piloty Foley, Frank 22 und Hans Ferdinand Mayer sind nicht aufgenommen. Franke, Rudolph 16 Frei, Norbert 83 Adenauer, Konrad 83 Friedeburg, Hans-Georg von 30 Arendt, Hannah 53 Gauster-Fileck, Wilhelm 21 Artus, Wilhelm 62 Georgii, Walter 20 Bachér, Franz 16 Gerlach, Walther 20 Baeyer, Adolph von 13 Geutter (oder Geuter, Vorname unbekannt) 24, 70–72 Bauer, Friedrich Ludwig 46 Giordano, Ralph 83 Borgsmüller (Vorname nicht bekannt) 25 Goebbels, Joseph 53 Baeyer, Eugenie von 13 Goetsch (Vorname unbekannt) 24, 72 Bartels, Hans 62 Goldstine, Herman H. 47 Becker, Ernst 72 Gottwald, Alfred 55, 93 Benda, Ernst 24 Grüttner, Michael 87 Bernstorff, Ingeborg Gräfin von 24 Gürner (Vorname nicht bekannt) 46 Bickelhaupt, Gertrud 84 Hachtmann, Rüdiger 9, 54, 78f., 93 Bingel, Rudolf 66 Hänsler, Eberhard 84 Bisell, Chris 43 Helmholtz, Hermann von 48 Bode, Thilo 40, 90 Hein, Bastian 66f. Böck, Adalbert 63 Heisenberg, Werner 42 Bölkow, Ludwig 85f. Hellbig (Vorname nicht bekannt) 60, 70f. Bormann, Martin 27 Herbert, Ulrich 83 Braun, Wernher von 35, 37, 67, 85 Herf, Jeffrey 53 Buchmann, Ewald 71 Heuser, Otto Eberhard 63 Buol, Heinrich von 25, 37, 66 Hilberg, W. 45 Burrows, Charles R. 37 Hilpert, Siegfried 76 Busch, Hans 35 Himmel, Margerite 24 Butenandt, Adolf 34, 44, 63 Himmler, Heinrich 20, 26f., 57, 66f., 69 Canaris, Erika 89 Hitler, Adolf 19, 20, 53–55, 76, 94 Canaris, Wilhelm 89 Hölzler, Erwin 22, 35, 39, 45, 62, 73, 87f. Cramer, Bernhard 84 Hörner, Otto 73f. Dahrendorf, Rudolf 84 Hofer (Vorname unbekannt) 72 Debus, Karl Heinrich 35 Holmblad, Niels 22f. Defregger, Franz Ritter von 13 Hortleder, Gert 83 Defregger, Maria 13 Jacobi (Vorname nicht bekannt) 81 Degenkolb, Gerhard 57 Jarausch, Konrad 10, 53 Deutschmann (Vorname nicht bekannt) 81 Jenik, Franz 45, 84 Dönitz, Karl 18, 20, 30, 62 Johnson, Don H. 48 Döring, Fritz 22, 36 Jones, Reginald Victor 23, 40, 76, 89f. Dornier, Claude 31 Kadrnozka, Leo 13 Drewnowski, Kazimierz 26 Kaltenbrunner, Ernst 68 Druckrey, Hermann 34, 42, 44, 86 Kammler, Hans 28, 57 Ehard, Hans 88 Karweik, Else 22 Eichmann, Adolf 59 Karweik, Erich 22 Einstein, Albert 14 Karweik, Martyl 22, 75 Elser, Georg 76, 94 Kelly, Mervin 22 Endres, Werner 84f. Kersten, R. 45 Erdmann, Kurt 30 Kimmel, Hermann 28 Esau, Abraham 26–28, 82 Klewin, Silke 55, 93 Fassbender, Heinrich 65 Konieczny, Alfred 27, 29 Feder, Gottfried 53 Krischen, Fritz 63 Feldenkirchen, Wilfried 89f. Küpfmüller, Eva (geb. Lukan) 16, 61, 85, 87, 91 Feldtkeller, Richard 43 Ladendorf, Wilhelm 60, 70f. Fernau, Wilhelm 24, 72 Langevin, Paul 47 111 Personenregister

Laue, Max von 12, 82 Sacklowski, Alfred 20, 68, 71, 84 Lauterbacher, Hartmann 20 Sakuth, Siegfried 10 Leilich, Hans-Otto 46 Saldern, Dietrich von 26 Lenard, Philipp 14, 26, 47 Salinger, Hans 65 Loew, Peter Oliver 63 Samelson, Klaus 46 Loth, Winfried 83 Sauer, Robert 35f., 46, 47 Ludwig, Karl-Heinz 8, 89 Saur, Karl-Otto 56 Lüschen, Friedrich («Fritz») 12, 14, 16, 17, 19, 22, Scharfe, Paul 66 24–26, 37, 43f., 48, 56f., 62, 66, 68–73 Schecher, Heinz 46 Lukan, Eva 16 Schnauffer, Kurt 74, 88 Macha (Vorname nicht bekannt) 46 Schneider, Erich 20 Maier, Helmut 9 Schneider, Hans Ernst 79f., 85 Marko, Hans 36, 45 Schoen, Lothar 90 Mayer, Betty Charlotte (geb. Stutius) 14, 25f., 28f., 32, Schreiber, Carsten 70 38–40, 68, 70 Schröder, Martin 27–29 Mayer, Eugen 23 Schröter, Fritz 82 Mayer, Peter 10, 24, 39, 69f., 73, 75, 89f. Schulze-Boysen, Harro 25, 71f. Mayer, Wilhelm 14 Schumann, Winfried Otto 35f., 74 Mayer, Wilhelm-Dietrich 22 Schwenkhagen, Hans 64 Meißner, Alexander 24 Schwerte, Hans 79f., 85 Messerschmitt, Wilhelm («Willy») 53 Seiz, Walter 63, 66 Mielert, Helmut 87 Shannon, Claude E. 37f., 42, 45, 49 Mierendorf, Wilhelm 69 Sieferle, Rolf Peter 53 Mittelstaedt, Horst 45 Siemens, Carl Friedrich von 66 Möller, Horst 83 Siemens, Ernst von 31f., 36, 92 Mommsen, Hans 54 Siemens, Georg 17 Neuman, John von 47 Siemens, Hermann von 26, 38, 68, 70 Niethammer, Lutz 78 Slaby, Adolf Karl Heinrich 50 Norton, Edward L. 42, 48 Sommerfeld, Arnold 21, 36 Nyquist, Harry 42f. Speer, Albert 26f., 55–57, 68, 70 Oberdick (Vorname nicht bekannt) 73 Steinbuch, Karl 45 Ohnsorge, Horst 45 Strübing, Johannes 24–26, 70–72 Oliver, Bernard M. 38 Struppler, Albrecht 36 Oppelt, Winfried 84, 86f. Stutius, Betty Charlotte 14 Orlich, Ernst 16 Tamm, Rudolf 22, 35 Osenberg, Werner 19f., 56 Thévenin, Léon Charles 48 Pierce, John R. 38 Thiessen, Peter Adolf 20 Piloty, Karl von 13 Todt, Fritz 52f., 55 Piloty, Oskar 13 Turner, Henry Cobden 22, 40, 76 Piloty, Robert 36, 42, 46f., 73 Van Hamel, Joost Adriaan 62 Pistor, Lutz 33, 67 Wagner, Adolf 74 Planck, Max 12, 47 Wagner, Karl Willy 12, 65 Plendl, Hans 27f., 69 Walker, Mark 55 Pohl, Oswald 26 Weber (Vorname nicht bekannt) 27, 29 Pohlhausen, Ernst 63 Weber, Max 94 Porsche, Ferdinand 53 Weick, Wilhelm 47 Proebster, Walter E. 46 Wenzel (Vorname nicht bekannt) 38 Proksch, Erika 24 Wien, Wilhelm 4 Raabe, Herbert F. 38, 42, 69 Wiener, Norbert 38, 45, 49 Renneberg, Monika 55 Wildt, Michael 53 Ribbentrop, Joachim von 25 Wilhelm II. (Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen) 50 Riedel, Elisabeth 12 Willing, Willi 64f. Rohde, Lothar 33f., 60f., 79, 92 Witzleben, Wolf-Dietrich 36, 37, 89 Rüppel (Vorname nicht bekannt) 72 Wolff, Karl 24f. 5 Saal, Rudolf 36, 46 Wunderlich, Volker 44 Sabais, Heinz Winfried 35 Zemanek, Heinz 45 Bayerische Akademie der Wissenschaften

ABHANDLUNGEN – Neue Folge Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse

978 3 7696 2559 2 Nummer 169: 978 3 7696 0966 0 Nummer 174: Richard Höfling, Eine erweiterte Riff-Typologie und Friedrich L. Bauer, Christoph Haenel, ihre Anwendung auf kretazische Biokonstruktionen. Übersehene numerische Aspekte in der Geschichte 1997. 127 S., 34 Tafel, geb., E 81,00 der Kettenbrüche. 2007. 32 S., brosch., E 7,00

978 3 7696 2560 8 Nummer 170: 978 3 7696 0969 1 Nummer 175: Undine Uhlig, Die Rhinocerotoidea (Mammalia) aus der unteroligozänen Spaltenfüllung Möhren 13 Dieter Launert, Nicolaus Reimers Ursus, bei Treuchtlingen in Bayern. Stellenwertsystem und Algebra in der Geodaesia 1999. 254 S., 116 Textabb., 4 Tafeln, geb., E 50,00 und Arithmetica (Nova Kepleriana Neue Folge, Heft 9). 2007. 120 S., brosch., E 24,00

978 3 7696 2561 5 Nummer 171: 978 3 7696 0972 1 Nummer 176: Stefan Götz, Rudisten-Assoziationen der keltiberischen Oberkreide SE-Spaniens: Friedrich L. Bauer, Die Komödie der Irrungen im Paläontologie, Palökologie und Sediment-Organismus- Wettstreit der Kryptologen. E Wechselwirkungen. 2008. 19 S., brosch., 10,00 2001. 112 S., 42 Textabb., 17 Tafeln, geb., E 28,90 978 3 7696 2564 6 Nummer 177: 978 3 7696 2562 2 Nummer 172: Markus Weber, Mikrometeorologische Prozesse Wolfgang Schmidt, Ablagerungsmilieu, bei der Ablation eines Alpengletschers. E Verwitterung und Paläoböden feinklastischer 258 S., brosch., 68,00 Sedimente der Oberen Süßwassermolasse Bayerns. 2002. 247 S., 49 Abb. und 29 Tabellen im Text, 27 Tafeln und 3 Blockbilder, geb., E 62,00

978 3 7696 2563 9 Nummer 173: Franz Josef Schötz, Zur Geschichte der Botanik an der Universität Ingolstadt 1472–1800. Die Botanik als Teil der Medizin. 2006. 224 S., 31 Abb., 5 Tafeln, geb., E 54,00