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Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse Abhandlungen München, Neue Folge 178 Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse Abhandlungen München 2014, Neue Folge 178 Anpassung, Unbotmäßigkeit und Widerstand Karl Küpfmüller, Hans Piloty, Hans Ferdinand Mayer – Drei Wissenschaftler der Nachrichtentechnik im «Dritten Reich» Joachim Hagenauer Martin Pabst Vorgetragen in der Gesamtsitzung der BAdW am 19. Oktober 2012 ISSN 0005 6995 ISBN 978 3 7696 2565 3 © Bayerische Akademie der Wissenschaften München, 2014 Layout und Satz: a.visus, München Druck und Bindung: Pustet, Regensburg Vertrieb: Verlag C. H. Beck, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany www.badw.de www.badw.de/publikationen/index.html Später sagte er mir einmal, daß sich ein Eintritt in die Partei wohl früher oder später nicht vermeiden liesse, um seine Fähigkeiten in den Dienst der Technik zu stellen. Man könne sich «nicht in den Schmollwinkel zurückziehen». Ein Kollege über Karl Küpfmüller Prof. Piloty ist der Typ des Intellektuellen, der bewusst mit seiner Kritik zersetzend und herabsetzend wirken will. Er versucht dabei, diese Kritik mit seiner Besorgnis um die Zukunft zu tarnen. Unter Bezugnahme auf die Besorgnis bringt er ständig Bedenken gegen die Politik des Führers und seiner Mitarbeiter vor. Der Gauführer des NSD-Dozentenbunds über Hans Piloty Eine Bestie wie Hitler sollte den Krieg nicht gewinnen. Hans Ferdinand Mayer Inhalt 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit – eine vergleichende Betrachtung am Beispiel von drei Wissenschaftlern der Nachrichtentechnik 7 2. Lebensläufe und Karrieren: Karl Küpfmüller, Hans Piloty, Hans Ferdinand Mayer 11 3. Die wissenschaftlichen Leistungen der drei Nachrichtentechniker 41 4. Technik und Ingenieure im Nationalsozialismus 50 5. Gemeinsame Wege in Wissenschaft und Forschung – getrennte Wege in der Politik: Das Verhalten von Küpfmüller, Mayer und Piloty im NS-Staat und Krieg 58 6. Umgang mit dem «Dritten Reich» am Beispiel von Küpfmüller, Mayer und Piloty 77 7. Resümee 91 Anhang 96 Der Oslo Report 96 Bibliographie 102 Bildnachweis 108 Abkürzungen 108 Personenregister 110 Bayerische Akademie der Wissenschaften Weitere Publikationen 12 7 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit 1. Die international renommierten Ingenieure der Nach- Verhaltensoptionen richtentechnik Karl Küpfmüller (1897–1977), Hans Piloty (1894–1969) und Hans Ferdinand Mayer (1895–1980) in der NS-Zeit – eine gehörten derselben Generation an. Sie haben sich gut gekannt, beruflich zusammengearbeitet und teilweise vergleichende Betrachtung gemeinsam publiziert. Alle drei Wissenschaftler gingen im Kaiserreich zur Schule, begannen ihr Berufsleben in am Beispiel von drei der Weimarer Republik, setzten ihre Karriere im «Drit- ten Reich» fort, erlebten Krieg, Zusammenbruch und Wissenschaftlern der Wiederaufbau, erreichten schließlich hohe Stellungen und Auszeichnungen in der Bundesrepublik Deutsch- Nachrichtentechnik land und gingen fast gleichzeitig 1962/63 in den Ruhe- stand. Wie im Ingenieurwesen üblich, wechselten sie im Lauf ihrer beruflichen Tätigkeit teilweise mehrfach zwischen Hochschule und Industrietätigkeit. Im klei- nen Kreis der Nachrichtentechniker begegneten sie sich immer wieder – auf wissenschaftlichen Kongressen und Firmenveranstaltungen, bei Forschungsvorhaben, in Fachgremien und Verbänden. Alle drei waren Solda- ten im Ersten Weltkrieg (Piloty und Mayer als Kriegs- freiwillige), und sie wurden geprägt durch die schwere Zeit danach infolge der deutschen Niederlage und der Folgen des Versailler Vertrags. Doch unterschieden sich ihre Lebensläufe signifi- kant in einem Punkt: dem Verhalten in der NS-Zeit. Einer der drei Wissenschaftler wurde nicht nur NSDAP- Mitglied, sondern auch hoher SS-Führer, der zweite wählte den Weg begrenzter Unbotmäßigkeit, der dritte entschloss sich zu aktivem Widerstand, wurde in Kon- zentrationslagern inhaftiert und entkam nur knapp dem Tod. Ihre Lebensläufe sind exemplarisch für Ver- haltensoptionen der wissenschaftlich-technischen Elite unter den Bedingungen einer Diktatur. Typisch für die Mehrheit ihres Berufsstandes sind sie freilich nicht. In ihrer großen Mehrheit stellten In- genieure ihre Kenntnisse und Fähigkeiten dem natio- 8 1. Verhaltensoptionen in der NS-Zeit nalsozialistischen Staat zur Verfügung, ohne dies poli- wissenschaftsgeschichtlichen3 Darstellungen sowie in tisch zu hinterfragen. Manche von ihnen traten der der fachwissenschaftlichen Literatur4. Küpfmüller er- NSDAP bei, manche nicht; offener Aktivismus war sel- hielt anlässlich seines 100. Geburtstags von den Fach- ten. Die verbreitete Haltung war eine technokratisch bereichen der Elektrotechnik der Technischen Universi- geprägte Loyalität, die von den Betroffenen nach 1945 tät Darmstadt posthum eine Festschrift gewidmet.5 zumeist als «unpolitisch» charakterisiert wurde. Wenn Mayers Rolle als Urheber des 1939 an die Briten über- Kritik geäußert wurde, entzündete sie sich in der Regel mittelten «Oslo Report» wurde seit 1989 von mehreren an bestimmten Sachentscheidungen der politischen Verfassern dargestellt, die auch dessen Auswirkungen Führung. Die vergleichende Betrachtung von Küpfmül- auf die alliierte Kriegführung aufzeigen.6 Außerdem ler, Piloty und Mayer ist denn auch deshalb so lohnend, liegt in den USA zu Mayer ein unveröffentlichtes bio- weil das Verhalten der drei Wissenschaftler so stark di- graphisches Manuskript vor.7 vergiert, und dies vor dem Hintergrund fortdauernder Die Rolle von Technik und Ingenieuren im National- fachlicher Zusammenarbeit. sozialismus wurde 1974 durch die bahnbrechende Ha- In dem von der Technischen Universität München bilitationsschrift von Karl-Heinz Ludwig untersucht.8 dankenswerterweise geförderten Forschungsprojekt In den folgenden Jahrzehnten sind weitere wichtige hat ein Elektrotechnik-Professor mit einem Historiker Untersuchungen zu diesem Thema hinzugekommen.9 zusammengearbeitet. Ziel war es, die Biographien von Küpfmüller, Piloty und Mayer mit besonderer Berück- sichtigung ihres Verhaltens in der NS-Zeit vergleichend Universität München, München 1993, S. 145f., und darzustellen und zu bewerten. Insbesondere sollte un- Wolfgang A. Herrmann (Hg.): Technische Universität München – Geschichte eines Wissenschaftsunternehmens, tersucht werden, warum die drei Wissenschaftler bei Bd. 2, Berlin 2006, S. 899–902. vergleichbarer Sozialisation nach 1933 so unterschied- 3 So Küpfmüller in Helmut Maier: Rüstungsforschung im liche Wege beschritten, wie sich ihr Innenverhältnis Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002; entwickelte und wie Fachwelt und Öffentlichkeit darauf ders.: Forschung als Waffe. Rüstungsforschung in der Kai- reagierten. Überblicksweise werden auch ihre wissen- ser-Wilhelm-Gesellschaft und das Kaiser-Wilhelm-Institut schaftlichen Leistungen gewürdigt. für Metallforschung 1900 bis 1945/48 (= Geschichte der Die Biographien sind nicht nur exemplarisch für Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, hg. von Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder im Auftrag Verhaltensoptionen der wissenschaftlich-technischen der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft, Elite in der NS-Zeit, sondern auch für deren Rezeption Bd. 16), Göttingen 2007. in der Bundesrepublik Deutschland. Dem Umgang mit 4 etwa in Nachrufen und Würdigungen in der «Nachrich- tentechnischen Zeitschrift» und in der «Frequenz». der Vergangenheit in der Nachkriegszeit am Beispiel 5 Fachbereiche der Elektrotechnik der TU Darmstadt (Hg.): von Küpfmüller, Piloty und Mayer ist daher ein eigenes Karl Küpfmüller zum 100. Geburtstag, Darmstadt 1997. Kapitel gewidmet. 6 Reginald V. Jones: Reflections on Intelligence, London 1989; Louis Brown: A Radar History of World War II: Tech- nical and Military Imperatives, Bristol 1999; Don H. Johnson: Origins of the equivalent circuit concept: the voltage-source equivalent. In: Proc. IEEE 90 (2002) April, S. 636–640 und Proc. IEEE 91 (2003) Mai, S. 817–821; Forschungsstand und Quellenlage Bollinger, Martin J.: Warriors and Wizards: The Develop- ment and Defeat of Radio-Controlled Glide Bombs of the Zu den drei Wissenschaftlern wurden bisher keine Mo- Third Reich, Annapolis, MD 2010. nographien veröffentlicht, geschweige denn eine ver- 7 Don H. Johnson: The Oslo Person. The Biography of Hans Ferdinand Mayer (Rice University, Houston, Texas), Stand gleichende Darstellung ihrer Lebenswege. Küpfmüller, 2007 (unveröff.) Piloty und Mayer finden Erwähnung in biographischen 8 Karl-Heinz Ludwig: Technik und Ingenieure im Dritten Nachschlagewerken1, in hochschulgeschichtlichen2 und Reich, Düsseldorf 1974. 9 So Monika Renneberg/Mark Walker (Hg.): Science, Technology and National Socialism, Cambridge 1984; Konrad H. Jarausch: The Unfree Professions. German 1 Helmut Mielert: Küpfmüller, Karl. In: Neue Deutsche Bio- Lawyers, Teachers, and Engineers, 1900–1950, New York/ graphie (NDB) 13 (1982), S. 230; Margot Fuchs: Piloty, Hans, Oxford 1990; Ulrich Kuder: Architektur und Ingenieurwe- in NDB 20 (2001), S. 446f.: Lothar Schoen: Mayer, Hans sen zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Ferdinand. In: NDB 16 (1990), S. 539f.; Kurt Jäger (Hg.): Lexi- 1933–1945, Berlin 1997; Werner Lorenz/Torsten Meyer kon der Elektrotechniker, Berlin 1996, S. 222f., 245, 292f. Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus 2 So Küpfmüller in Technische Universität Darmstadt (Hg.): (= Cottbusser Studien zur Geschichte der Technik, Arbeit Technische Bildung in Darmstadt, Bd.