„Ich Bin Doch Immun“ SPIEGEL-Reporter Walter Mayr Über Das Zweite Leben Des SS-Mannes Hans Schneider
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
DEUTSCHLAND Nazis „Ich bin doch immun“ SPIEGEL-Reporter Walter Mayr über das zweite Leben des SS-Mannes Hans Schneider inMannradeltdurchs gläubig“, sich dem „Per- rauchende Deutsch- sönlichen Stab Reichsfüh- Eland. Es ist Kamerad rer-SS“ zuordnet, und Schneider. Er hat 3000 schon gar nicht den Brief, Mark in der Tasche und in dem er zur Beschaf- sein SS-Amt im Villen- fung medizinischer Ge- viertel Berlin-Dahlem or- räte verpflichtet wird – dentlich geräumt – die für Menschenversuche restlichen Akten wurden im Konzentrationslager im Vorgarten aufgetürmt Dachau. und unter russischem Was Schwerte 1945 Bombengewitter zuAsche vermißt, ist Schneiders verbrannt. Befehl ausge- akademischer Rang, sei- führt, endgültiges Entfer- ne Frau und seine 3jähri- nen vom Quartier der ge Tochter. Die Familie Truppe: 26. April 1945. findet später wieder zu Unbeschadet erreicht ihm. Vor Standesbeam- der Offizier Lübeck. Beim ten in München beteuert Holstentor findet er ein Annemarie Schneider Zimmer im Dachgeschoß, nach Kriegsende, ihr da meldet die Stimme Mann sei beim Endkampf der Reichshauptstadt, der seiner SS-Einheit in Ber- Führer sei „biszum letzten lin ums Leben gekom- Atemzug kämpfend“ aus men. Der angeblich Ge- dem Leben geschieden. fallene wartet während- Auch Schneider stellt sich dessen unten auf der Stra- tot. ße. 1947 heiratet sie ihn Noch ehe „Reichsfüh- als Schwerte ein zweites rer-SS“ Heinrich Himm- Mal. ler, sein oberster Dienst- Hans Schneider, sagt herr, am 23. Mai eine Zy- Schwerte, war kein Mör- ankali-Kapsel zerbeißt, ist der. Aufrecht und in ma- Kamerad Schneider be- kellosem Tuch sitzt der reits eine Karteileiche der verschollen Geglaubte Schutzstaffel. Er hat sich exiliert im stillen Chiem- ein wenig umgehört in Lü- gau. Schwerteschneider beck, bei diesem und je- ist jetzt 85, Träger des nem Bekannten. Ein Ent- Bundesverdienstkreuzes lassungspapier aus engli- Erster Klasse, Ehrense- scher Kriegsgefangen- nator der Technischen schaft mit echtem Finger- Hochschule Aachen und abdruck ist schnell be- W. M. WEBER Officier de l’Ordre de la sorgt, dazu ein vorläufiger Hochschul-Pensionär Schneider: „Eine gewisse Lebensfeigheit“ Couronne des König- Ausweis. reichs Belgien. Eine Iko- Schneider, Dr. Hans Ernst, SS- von 35 Jahren, hochgewachsen, stolz ne deutschen Gelehrtentums: formvoll- Hauptsturmführer, geboren am 15. De- und streng. Mit reiner Weste marschiert endet und selbstgerecht bis hart an den zember 1909 in Königsberg, ist ab sofort der Hauptsturmführer ab ins Nach- Rand der Weinerlichkeit. so tot wie das Reich, für das er in feld- kriegsdeutschland. „Ich habe ordentlich promoviert, grauer Uniform und völkischer Mission Manches mußte Kamerad Schneider mich ordentlich habilitiert, bin ordent- Erster Klasse durch die besetzten Nach- zurücklassen in den Kriegswirren, das lich zum Rektor in Aachen gewählt wor- barländer reiste. Kein Wort mehr von wenigste davon vermißt Schwerte. Nicht den“, sagt Schwerte. „Soll das alles Lü- der „Arbeit im Rahmen des großgerma- die Akten, in denen Schneider seiner ge gewesen sein?“ Bei Rilke, dem er nischen Auftrags der SS“ für die „Werte Hoffnung Ausdruck gegeben hatte, das nach dem Krieg eine zweite Promotion und Kräfte unserer Art und Rasse“. niederländische Brudervolk werde „als gewidmet hat, stehe sein Motto ge- Den neuen Paß in der Hand, löst rassisch-blutlicher Organismus“ mög- schrieben: „Du mußt dich ändern.“ Schneider Lebensmittelkarten im be- lichst bald seine Bestimmung im tau- Reporter vom niederländischen Fern- setzten Lübeck – als Hans Schwerte, ge- sendjährigen Reich erkennen. sehsender KRO haben dokumentiert, boren am 3. Oktober 1910 in Hildes- Auch nicht den Erbgesundheitsbo- daß Schwerte Schneider war. Sie haben heim. Ein wiedergeborener Schneider gen, wo „Schneider, Hans Ernst, gott- seine Akten gesichtet und seinen Fall 94 DER SPIEGEL 19/1995 . Niederlande der Kaiserstadt ihre Auf- Daß ihm der Ruf eines gewachsenen wartung machte – er war dabei. Demokraten abgesprochen werden soll, Bei Böll, Graß und Brandt, sagt er verbittert den alten Herrn: „Ich hatte und zeigt auf ein Foto im Flur, fühle die Viren in mir“, sagt er, „aber ich bin er sich politisch zu Hause. Mit Innen- doch immun geworden.“ Wer wie er im minister Schnoor fuhr er in Skiurlaub. Auge des Tornados gestanden habe, Schwerteschneiders Nähe wurde auch mitten in der SS, vergesse das nicht. Im vom Landesherrn Johannes Rau ge- Auge des Tornados, wo er rückwirkend schätzt. Im Auftrag des Landes baute am liebsten säße, ist kein Windhauch der Gewendete Kontakte zu den zu spüren. Hochschulen im Dreiländereck, in den Doch der Mann, der unter der Mit- Niederlanden und Belgien auf. Er, der gliedsnummer 4923958 in den Karteien als SS-Mann jahrelang für die Verbrei- der NSDAP geführt wurde und ab Fe- tung des germanischen Gedankens in bruar 1937 im Sold der SS stand, war den besetzten Anrainerstaaten zustän- zu dicht an jenen, die den Wind säten, dig war. als daß die Unschuldsvermutung vom Er hat einen Lehrstuhl für deutsch- irregeleiteten Schöngeist für ihn gelten jüdische Literatur eingerichtet, er, der könnte. vom später in Nürnberg gehenkten Er sei 1937 in die SS „eingetreten Standartenführer Wolfram Sievers für worden“, sagt er, weil er kurz davor das Hetzblatt „Storm“ belobigt wurde. ein gefälliges Gedicht geschrieben ha- Die Pflicht, den Davidstern zu tragen, be: stand dort geschrieben, sei „ein Schritt „Tief in den Schächten der Zeit auf dem Weg zur völligen Ausrottung, Beten und singen die Hüter nicht mehr und nicht weniger“. größeren Erbes Still schaut der alte Hauptsturmfüh- Dich, verheißene Krone rer auf die sauber in Stein gefaßten Gottes, Deutsches Reich.“ Pfade seines Vorgartens. Sobald er vor die Tür tritt, senkt er die Stimme. Die Dem Bewerbungsschreiben folgt Nachbarn unter der behäbigen Burg 1938 die Berufung ins Rasse- und Sied- von Hohenaschau am Chiemsee müs- lungshauptamt Berlin. Dort sieht der sen nicht mithören. Königsberger erstmals den Reichsfüh- „Daß ich mich am Schicksal der Ju- rer-SS, Heinrich Himmler, der ihn in den unglaublich mitschuldig fühle – der Folge auf Reisen an die großgerma- SS-Offizier Schneider muß man das ständig aussprechen?“ Er nische Peripherie schickt. Der junge „Möglich, daß da was war“ sagt das mit gespielter Verletzlichkeit. Mann mit Hang zum Volkstanz, zu Lai- „Eine gewisse Lebensfeigheit“ räumt enschauspiel und Blockflöte verspricht „Eine deutsche Karriere“ genannt. Das er ein: 1954, als das Gesetz über die ein brauchbarer Stürmer bei der völki- ist untertrieben. Schwerteschneider ist „Illegalen“-Amnestie erlassen wurde, schen Offensive zu werden. Mit SS- die deutsche Karriere. hätte „ich ungestraft Nicht nur, daß er erhobenen Hauptes meinen Namen zurück- in Deutschland überlebt hat und schein- ändern können. Aber bar mühelos den Strom durchschwamm, ich hatte Frau und Kin- der 1945 das Häuflein Aufrechter vom der. Ich stand vor der Heer der Gebeugten trennte. Er steht Habilitation und war für Gut und Böse, für Pest und Serum. bayerischer Beamter. Er hat sich im Selbstversuch entnazifi- Hätte ich fortan Würst- ziert. chen verkaufen sollen?“ Als kritischer Germanist und Refor- Das wäre vielleicht mer war er federführend wie Jahrzehnte gar nicht nötig gewesen zuvor bei der nationalsozialistischen in jener Zeit, da der Volkstumspflege. „Er ist eine Gestalt Kommentator der des deutschen Jahrhunderts“, sagt ein Nürnberger Rassenge- Kollege: „Ein Herrenreiter.“ setze Konrad Adenau- Schwerteschneider selbst sieht sich als ers Staatssekretär war gelehrigen Schüler, der die deutsche und sowohl bei Rich- Lektion gelernt hat. Bei Kriegsende ha- tern wie auch bei Pro- be er einer kleinen Schar Kameraden fessoren unter frischer die Hand zum Schwur gereicht, damit Tünche die braune „ein anderes Deutschland“ entstehe. Er Grundierung weiter- hat dann habilitiert über „Faust und das schimmerte. Doch Faustische“, die „ideologische Verzer- Schwerteschneider hat rung“ unter dem NS-Regime bemängelt länger und dreister mit und sich im Herzen der Aufklärung po- der Lüge gelebt als die sitioniert. meisten. Nun wird er Der hagere Herr mit dem rollenden haftbar gemacht von ei- Königsberger R wurde zur linkslibera- ner Gesellschaft, deren len Leitfigur im klerikalen Aachener Streben nach aufrech- SÜDD. VERLAG Sumpf. Ob Va´clav Havel den Karlspreis tem Gang er selbst be- Deutsche in Holland (1940) in Aachen erhielt oder die Königin der fördert hat. „Großgermanische Spielwiese“ DER SPIEGEL 19/1995 95 . DEUTSCHLAND ten „Trotteln in Den Haag“ Kontakt zu halten, der habe keine Wahl. Schneider bleibt in Den Haag und meldet streberhaft nach Berlin, dem „nicht ganz einfachen Auftrag, Geburts- tagsgeschenke für den Reichsführer-SS“ zu erwerben, sei er in niederländischen Antiquitätenläden nachgekommen. Ein Delfter Fayenceteller, ein altes friesi- sches Uhrkästchen, ja sogar ein Jul- leuchter fielen „nach langem Stöbern“ in seine Hände. Als das Debakel von Stalingrad nicht mehr totzuschweigen ist und Schneider Seite an Seite mit Propagandaminister Goebbels in der Zeitschrift Das Reich den tragischen Mythos vom nordischen Soldaten besingt, ist es vorbei mit harm- losen Botengängen. Das Institut für Wehrwissenschaftli- ULLSTEIN che Zweckforschung im Amt „Ahnener- KZ-Ärzte Holzlöhner, Rascher, Versuchsopfer: „Animalische Wärme“ be“ benötigt medizinische Geräte, die im Alt-Reich nicht mehr zu beschaffen Standartenführern studiert er altgerma- Baum“ plant, um die „Neuordnungs- sind. Den „terminalen“ Versuchen der nische Tänze zur Sonnenwendfeier ein. und Überwachungsarbeit“ in den Nie- Mediziner Sigmund