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Der Wandel des ländlichen Raumes im Gebiet um Cluj-Napoca Knappe, Elke; Benedek, Josef

Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Knappe, E., & Benedek, J. (1995). Der Wandel des ländlichen Raumes im Gebiet um Cluj-Napoca. Europa Regional, 3.1995(4), 1-14. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-48470-7

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ELKE KNAPPE & JOSEF BENEDEK

Rumänien gehört zu den Ländern, deren lichen Bedingungen nur wenig Ackerland als Sitz von Verwaltung, Dienstleistungen Wirtschaft traditionell stark agrarisch ge- und lebten vorwiegend von der Viehwirt- und Geschäften.Die Entwicklung der klei- prägt war. Bedeutsam waren der Anbau schaft. Sie konnten sich den Kollektivie- neren und peripher gelegenen ländlichen von Mais und Weizen sowie die Ausfuhr rungsbestrebungen erfolgreich entziehen Orte wurde sehr eingeschränkt (CUCU von Fleisch (SOMESAN 1941). Sowohl das und weiterhin als Einzelbauern wirtschaf- 1977). Diese Dörfer erhielten keine Ver- Produktionsniveau als auch die Produkti- ten. waltungs- und Dienstleistungseinrichtun- vität der Landwirtschaft waren allerdings Die Schaffung großer Einheiten in der gen, die Infrastruktur wurde vernachläs- im Vergleich zu anderen europäischen Tier- und Pflanzenproduktion erbrachte sigt, Genehmigungen für bauliche Maß- Ländern niedrig (PUTLITZ 1921). Wenn- durchaus nicht den von der Regierung nahmen wurden nicht erteilt. Damit sollte gleich nach dem Ende des Zweiten Welt- erwarteten Aufschwung der landwirt- eine größere Konzentration der Siedlun- krieges die Industrialisierung des Landes schaftlichen Produktion. Neben der nach gen erreicht werden. Dies bedeutete einen erklärtes Ziel der Regierungspolitik war, wie vor vorhandenen Abneigung der Bau- starken Eingriff in ein gewachsenes länd- blieb der Stellenwert der Landwirtschaft ern gegen die Kollektivierung, die sich in liches Siedlungssystem, dessen Auswir- mit 14 % am produzierten Nationalein- sinkender Arbeitsbereitschaft äußerte, war kungen auch gegenwärtig noch sichtbar kommen (1984) unvermindert hoch. es vor allem die Tatsache, daß der Staat die sind (Länderberichte Rumänien 1992, Die große Bedeutung der Landwirt- Landwirtschaft als Quelle des Wirtschafts- 1995). schaft für die Volkswirtschaft des Landes wachstums für die anderen Wirtschafts- In der zweiten Hälfte der 80er Jahre und die lange bäuerliche Tradition waren zweige nutzte. Zugunsten des industriel- wurde die „Systematisierung“ verstärkt, der Anlaß dafür, in einem ausgewählten len Aufbaus wurde in die Entwicklung der die landwirtschaftliche Produktion und das Beispielgebiet in Rumänien die Erschei- Landwirtschaft wenig investiert, im Zeit- Leben im ländlichen Raum sollten in den nungsformen des gegenwärtig stattfinden- raum von 1961-1986 waren es nur 15,5 % Agroindustriellen Komplexen ablaufen. den Transformationsprozesses im ländli- der Gesamtinvestitionen der Volkswirt- Damit war eine weitere Konzentration der chen Raum näher zu untersuchen. schaft (Anuarul Statistic al Romaniei Produktion und eine enge Verflechtung 1988). Dies hatte zur Folge, daß die Ar- des dörflichen Lebens mit den Landwirt- Rumäniens Landwirtschaft bis 1990 beitsproduktivität im Vergleich zu den schaftsbetrieben verbunden. Da sich je- Mit der Errichtung des kommunistischen anderen sozialistischen Ländern niedrig doch die Arbeits- und Lebensbedingun- Machtsystems nach dem Ende des Zwei- blieb (ROUBITSCHEK 1960). Sowohl das gen der Beschäftigten dieser Betriebe im ten Weltkrieges begann eine neue Etappe Produktionsprofil als auch die Menge der Vergleich zu denen der Industriearbeiter der Landwirtschaftspolitik. Relativ früh – abzuliefernden Produkte wurden vom Staat nicht entscheidend verbesserten, war das März 1945 – führte man eine Bodenre- reglementiert und ließen der Eigeninitiati- Bestreben, das Land zu verlassen und in form durch und enteignete zunächst allen ve der in der Landwirtschaft Tätigen keine die Stadt überzusiedeln, nach wie vor sehr Landbesitz über 50 ha sowie den Besitz Spielräume. Es kam zeitweise sogar zu groß. Um den Zustrom in die Städte zu von der Regierung mißliebigen Personen. einer Lebensmittelknappheit auf dem Lan- stoppen, wurden die Zuzugsmöglichkei- Analog dem Entwicklungsmuster der de. Dies war nicht nur dem niedrigen Pro- ten sehr stark eingeschränkt. Davon profi- sowjetischen Landwirtschaft strebte man duktionsumfang geschuldet, sondern auch tierten Dörfer in der Nähe der Städte, da den Übergang zu einer großflächig betrie- einer Steigerung der Agrarexporte (1980 sie die Menschen aufnahmen, die in der benen Landwirtschaft an. Zum einen wur- waren es z. B. 12,7 % der Gesamtexporte), Stadt eine Arbeit, aber keine Wohnmög- den aus dem nicht an die Bauern verteilten die dazu beitragen sollten, die Auslands- lichkeit gefunden hatten. Die Entwick- Bodenbesitz Staatsgüter gebildet, die vor verschuldung abzubauen. Die geringe Ver- lung der in den peripheren Gebieten gele- allem als Mustergüter sowie zur Pflanzen- gütung der Kollektivmitarbeiter im Zu- genen Dörfer stagnierte demgegenüber und Tierzucht dienten. Die privat wirt- sammenhang mit mangelnder Infra- (VÖLKL 1995), hohe Abwanderungszah- schaftenden Bauern brachte man über ver- struktur in den Dörfern und einer forcier- len machen dies deutlich. So verloren z. B. schiedene organisatorische Zwischenstu- ten Industrialisierung führte zu einer Ver- die peripheren Gemeinden des Bezirkes fen dazu, sich zu Kollektivwirtschaften schlechterung der Lebensbedingungen auf Mureº zwischen 1956 und 1992 20-30 % zusammenzuschließen. Dieser Prozeß war dem Lande, und es begann eine Abwande- ihrer Bevölkerung (BENEDEK 1995). im wesentlichen im Jahre 1962 abgeschlos- rung vor allem der jüngeren Arbeitskräfte sen. Es waren nunmehr große Landwirt- in die Stadt. In dieser Zeit (1974) begann Entwicklung nach 1990 schaftsbetriebe mit 2000 bis 5000 ha Land- die rumänische Regional- und Stadtpla- Nach dem Umsturz im Dezember 1989 wirtschaftlicher Nutzfläche und großen nung („Systematisierung“), eine Rangfol- beschritt Rumänien den komplizierten Weg Tierbeständen entstanden (POP 1995). Eine ge der ländlichen Siedlungen aufzustel- des Umbaus von Staat, Wirtschaft und Ausnahme bildeten die Bauern der Berg- len. Ziel war die Schaffung großer funk- Gesellschaft. Durch demokratische Refor- regionen. Sie hatten auf Grund der natür- tionaler Einheiten mit einem Zentraldorf men und den Aufbau einer Marktwirt-

1 Rumänien Verwaltungsgliederung und Bevölkerungsdichte 1992

2 Botoºani Einwohner / km Satu Mare Maramureº Suceava < 60

Bistriþa Iaºi 60 - 79 Sâlaj Nassaud 80 - 99 Neamþ Bihor Cluj 100 -119 Mureº Vâslui Harghita 120 und mehr Bacãu Arad Alba Covasna Sibiu Galaþi Braºov Vrancea Timiº Hunedoara

Buzãu Caras - Severin Prahova Brãila Vâlcea Argeº Tulcea Gorj Dambo- vita Ialomita Mehe- Bucu- dinþi reºti Cãlãraºi Olt Constanþa Dolj Giurgiu Teleorman 0 50 100 150 km Kartographie: IfL 1996, Maßstab: ca. 1 : 4,5 Mio. M. Zimmermann

Abb. 1: Verwaltungseinteilung und Bevölkerungsdichte Rumäniens 1992 Quelle: Recensãmîntul Populaþiei ºi Locuinþelor 1992 schaft suchte es einen Ausweg aus seiner geschlachtet werden mußten. Der Tierbe- Die Situation im ländlichen Raum des schwierigen wirtschaftlichen Lage. stand sank rapide und damit auch die Pro- Bezirkes Cluj Für die Landwirtschaft bedeutete dies duktion tierischer Erzeugnisse. Die Auf- Der im Nordwesten Rumäniens, in Trans- einen sehr schnellen Beginn der Privati- teilung des Landes war zwar, wie schon silvanien gelegene Bezirk Cluj (rum.Judeþ ) sierung. Bereits im Februar 1991 wurde erwähnt, per Gesetz frühzeitig fixiert wor- wurde als Beispielgebiet (Abb. 1) ausge- ein Gesetz zur Privatisierung der Land- den, aber die praktische Durchführung war wählt, da er zu den gut entwickelten Re- wirtschaft erlassen. Die früheren Eigentü- durch zahlreiche Probleme bei der genau- gionen Rumäniens gehört (SURD &TOMASI mer erhielten ihr Land zurück (bis zu en Grenzfestlegung für die einzelnen Teil- 1990), mithin davon ausgegangen werden 10 ha); gleichzeitig wurde es möglich, stücke – bei deren Vermessung – gekenn- kann, daß sich hier der Übergangsprozeß Land zu pachten bzw. es zu verpachten zeichnet. Solange diese Besitzstreitigkei- zur Marktwirtschaft mit seinen Einfluß- (IANOS 1992). Damit verbunden war die ten nicht beigelegt waren, wurden die Fel- größen deutlicher und schneller erkennen Auflösung der früheren Landwirtschaftli- der oft nicht bearbeitet, und folglich fehl- läßt als in strukturschwächeren Landestei- chen Produktionsgenossenschaften. Die- ten diese Flächen in der pflanzlichen Pro- len. ser Prozeß verlief nicht ohne Probleme duktion. Die aufgeteilten Flächen waren Mit 110 EW/km² zählt der Bezirk Cluj und hatte einen beträchtlichen Rückgang sehr klein – 5 Mio. Besitzer für 9 Mio. ha zu den dicht besiedelten Gebieten Rumä- der landwirtschaftlichen Produktion zur Land. Dies entspricht einer durchschnittli- niens. Dabei hat die von 31 % (1930) auf Folge. Eine Ursache lag unter anderem chen Betriebsgröße von 1,8 ha. Es man- 67 % (1992) kontinuierlich angewachsene darin, daß der Auflösungsprozeß dieser gelte an Maschinen, Geräten, Saatgut, Dün- städtische Bevölkerung den größeren An- Betriebe relativ planlos und oft zerstöre- gemitteln und vor allem auch an Kenntnis- teil (Recensãmîntul Populaþiei ºi risch verlief, da durch die jahrzehntelange sen zu Betriebsführung und Marketing Locuinþelor 1992). Der ländliche Raum erzwungene Mitgliedschaft der Bauern in sowie an Kapital (Anuarul Statistic al des Bezirkes bietet mit Ausnahme der ge- den Genossenschaften eine große Abnei- României 1992). Weiterhin kam erschwe- birgigen Abschnitte günstige natürliche gung gegen die kollektive Art der land- rend hinzu, daß 43 % der Landbesitzer Voraussetzungen für die Landwirtschaft. wirtschaftlichen Produktion bestand. Vor ihren Wohnsitz in der Stadt hatten und Es können Weizen, Zuckerrüben, Mais, allem die großen Komplexe der Tierpro- 60 % älter als 60 Jahre sind. Kartoffeln und Gemüse mit gutem Erfolg duktion wurden zerschlagen und die Tier- Auf dieser Basis muß die rumänische angebaut werden. Für die Tierhaltung eig- bestände aufgeteilt. Viele Bauern hatten Landwirtschaft ihren Weg in die Marktwirt- nen sich auch die Hanglagen, sie geben weder Stallungen noch Futterreserven für schaft gehen – eine schwierige und sicher Weidemöglichkeiten für Rinder und Schafe die Tiere, so daß vor allem viele Rinder nicht kurzfristig zu lösende Aufgabe. (GRIMM 1985).

2 EUROPA REGIONAL 3(1995)4 Auch im Bezirk Cluj war die Landwirt- gungen (Zusammenschluß von mehreren tablen Betriebsgrößen zu kommen und für schaft bis zum Jahre 1989 sehr stark kol- Familien) und Juristische Personen den Markt zu produzieren. Das Problem lektiviert, eine Ausnahme bildeten die (Abb. 4). Betrachtet man die prozentuale der größeren Betriebe besteht zum einen Bergdörfer, wo sich die Bauern der Kol- Zuordnung des Ackerlandes der einzelnen darin, daß die Kreditbedingungen für die lektivierung entziehen konnten. Dennoch Gemeinden des Bezirkes zu den drei Be- dringend erforderlichen Investitionen – in war die privat genutzte Fläche im Ver- triebsformen, so fällt neben der schon er- Maschinen, Geräte, Saatgut, Düngemittel gleich zur kollektiv bzw. staatlich genutz- wähnten Besonderheit der Bergregionen und Pestizide – als ungünstig angesehen ten gering (vergl. Tab.1). auf, daß die Vereinigungen auf den guten werden und daß zum anderen Absatz und Das Niveau der landwirtschaftlichen Böden im Südosten dominieren – hier ist Vermarktung schlecht organisiert sind. Produktion war im Durchschnitt nicht sehr man eher zur Zusammenarbeit bereit und Tritt der Staat als Aufkäufer auf, so zahlt er hoch, die Getreideerträge lagen unter nutzt den Vorteil der großen Flächen. Die niedrige Preise und die Bauern müssen oft 40 dt/ha, die Milchleistung einer Kuh über- Rechtsform der Juristischen Person ist lange auf ihr Geld warten. Die Verarbei- stieg nicht 3000 kg/Jahr. Der Arbeitskräf- wenig verbreitet, die Voraussetzungen tungsindustrie ist noch nicht vollständig teeinsatz war demgegenüber mit 20 AK dafür waren nicht in dem Maße vorhanden privatisiert und oft sehr kapitalschwach, wie z. B. in der ehemaligen DDR durch die so daß sich auch hier die mangelnde Zah- Betriebsform Landwirtschaftliche Nachfolge der früheren LPG. Die bereits lungsmoral und -fähigkeit negativ aus- Nutzfläche in ha erwähnte große Abneigung gegen die wirkt. Die ersten privaten Zwischenhänd- Staatsbetriebe 145.790 Kollektivwirtschaften in Rumänien führte ler nutzen diese Situation aus und bieten Kooperativen 254.767 zu einer sehr raschen Auflösung dieser den Bauern ebenfalls vergleichsweise nied- Privatbetriebe 32.738 Betriebe durch die Landaufteilung auf die rige Preise an. Damit gestaltet es sich für Mitglieder bzw. die früheren Besitzer. die Bauern schwierig, das für dringend Tab. 1: Anteil der Betriebsformen an der Der Anteil der einzelnen Betriebsfor- benötigte Investitionen erforderliche Ka- LNF im Bezirk Cluj 1982 men an der Ackerfläche des Bezirkes Cluj pital zu erwirtschaften. Quelle: Anuarul Statistic al Republicii Socialiste România macht diese Tendenz ebenfalls sehr deut- Gut erreichbare Absatzorte für die land- 1983 lich (vergl. Tab. 2). wirtschaftlichen Produkte – außer dem pro 100 ha beträchtlich hoch ( MORARU Die schnelle Vorgehensweise bei der Zentrum Cluj-Napoca – sind noch die Städ- 1992). Die Ausstattung der Dörfer mit Privatisierung bewirkte eine sehr starke te , , , und Cîmpia Dienstleistungseinrichtungen, ihre Infra- Zersplitterung der Flächen. Bei der Auf- Turzii. Man sieht um diese Städte herum struktur und der bauliche Zustand der Ge- teilung von Maschinen und Geräten konn- kleinere Flächengrößen. Dies hängt ein- bäude hingen in hohem Maße davon ab, ob ten nicht alle Mitglieder der Kooperativen mal damit zusammen, daß in Stadtnähe oft das Dorf ein Zentraldorf im Rahmen des berücksichtigt werden. Damit ist eine Ten- intensivere Landwirtschaft (Gemüsebau) agroindustriellen Komplexes war oder denz zur Extensivierung der landwirt- betrieben wird, zum anderen gehören die nicht. War es kein Zentrum, möglicher- schaftlichen Produktion verbunden, die Flächen oft Besitzern, die in der Stadt weise sogar zur Absiedelung vorgesehen, erzielten Überschüsse sind gering – die leben und nur nebenher etwas Landwirt- so waren meist Ausstattung und Infra- schaft für den Eigenbedarf betreiben. struktur sehr vernachlässigt worden. Die- Betriebsform Ackerfläche in ha se Situation bildete die Ausgangslage für Privatbauern 161.667 Transformationsprozesse in ausge- die Privatisierung der Landwirtschaft und Vereinigung 16.090 wählten Dörfern deren Überführung in die Marktwirtschaft. Juristische Personen 9.587 Die allgemein beschriebenen Auswirkun- Die geringsten Probleme mit der Priva- gen des Wandels des ländlichen Raumes tisierung bestanden in den Gebirgsdörfern Tab. 2: Anteil der unterschiedlichen wurden 1994/95 in verschiedenen Regio- im Südwesten des Bezirkes, da sich hier Betriebsformen an der Ackerfläche im Bezirk nen näher untersucht (Abb. 5). Ausge- die Verhältnisse am wenigsten geändert Cluj (Stand: 15.07.1994) wählt wurden vier Dörfer, die hinsichtlich Quelle: Direcþia Generalã pentru Agriculturã ºi hatten. Diese Gebiete haben die niedrigste Alimentaþie Jud. Cluj Lage- und Wirtschaftsstruktur deutliche Bodenqualität (Abb. 2); es wird wenig Unterschiede aufweisen: Ackerbau betrieben, die Viehwirtschaft Bauern betreiben vorrangig Subsistenz- • Mãriºel – ein Bergdorf in peripherer überwiegt. Die Mehrheit der Bauern wirt- wirtschaft. Lage, schaftet nach wie vor individuell, es sind Gegenwärtig entwickelt sich eine wei- • Mihai Viteazu – ein Dorf in Tallage in dieser Region nahezu keine landwirt- tere Erscheinungsform – die Verpachtung mit günstiger Verkehrsanbindung in schaftlichen Vereinigungen oder andere landwirtschaftlicher Flächen. Nachdem unmittelbarer Nachbarschaft des indu- größere Betriebe entstanden. Die Einzel- unmittelbar zu Beginn der Privatisierung striellen Ballungsraumes Turda-Cim- betriebe hatten zwar eine durchschnittlich bei den Privatbauern wenig Interesse be- pia Turzi, größere Landwirtschaftliche Nutzfläche als stand, durch Pacht ihre Flächen zu vergrö- • Turea – ein Dorf in Tallage mit un- die Privatbetriebe in den tiefer gelegenen ßern bzw. ihre zurückerhaltenen Flächen günstiger Verkehrsanbindung, Gebieten des Bezirkes(Abb. 3), aber durch zu verpachten, hat sich dies gegenwärtig • Sîniacob – ein Dorf im Hügelland in die Höhenlage und die geringe Ertragsfä- gewandelt. Ältere Landbesitzer und sol- peripherer Lage und mit schlechter higkeit des Bodens ist eine intensive land- che, die in der Stadt wohnen, möchten Verkehrsanbindung. wirtschaftliche Produktion nicht möglich. gern ihr Land verpachten, da sie nicht in In den besseren Lagen des Bezirkes der Lage sind, es selbst zu bewirtschaften. Die Gemeinde Mãriºel Cluj findet man 1994 neben den Einzelbe- Vor allem jüngere Privatbauern streben Die Gemeinde Mãriºel (s. 4. Umschlag- trieben auch landwirtschaftliche Vereini- zunehmend danach, durch Zupacht zu ren- seite) ist eines der zahlreichen Bergdörfer

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r r IfL 1996 Kartographie: R. Bräuer t Buza u

Cãtina s M

i Cãmãraºu Taga Unguraº

B Sînmartin º

Mociu e

Palatca r

Mica u Viiºoara Fizeºu Gherla Luna

Cuzdrioara m Sic

Cãianu a Mintiu Gherla Cãlãraºi

DEJ r Chiuieºti Cãºeiu

CÎMPIA TURZII GHERLA

TURDA a Ploscoº Bonþida

Iclod M Cîþcãu Aiton Jichiºu de Jos Aluniº Sãnduleºti Vad Moldoveneºti Mihai Viteazu Dãbîca Corneºti Borºa Bobîlna Petreºtii de Jos Vultureni CLUJ-NAPOCA a Iara Recea- Cristur

Baciu j Floreºti Aºchileu Sãvãdisla

Bãiºoara b a Gilãu

Valea Ierii

Gîrbãu l Aghireºu Sînpaul

l Cãpuºu Mare

Mãriºel Rîºca a Mãguri- Rãcãtãu sehr gut gut mittel schlecht gebirgig, sehr schlecht Mãnãstireni Izvoru Criºului

A Cãlãþele Ertragsfähigkeit: (nach Gemeinden) HUEDIN Beliº

S Sîncraiu Mãrgãu Poieni Sãcuieu Cuicea

r o Bezirksstadt kreisfreie Stadt Stadt Gemeinde Bezirksgrenze Stadtgrenze Gemeindegrenze suburbanisierte Gemeindegebiete h i B Maßstab ca. 1 : 650 000 Bezirk Cluj Ertragsfähigkeit der Böden 0 10 20 30 km

Abb. 2: Verteilung der Ertragsfähigkeit der Böden im Bezirk Cluj Quelle: Dir. Jud. pt. Agriculturã Cluj

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IfL 1996 Kartographie: R. Bräuer t Buza u

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i Cãmãraºu Taga Geaca Frata Unguraº

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Palatca r Tritenii de Jos Suatu

Mica u Viiºoara Fizeºu Gherla Luna Ceanu Mare

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Cãianu a Mintiu Gherla Cãlãraºi

DEJ r Chiuieºti Cãºeiu

CÎMPIA TURZII GHERLA

TURDA Jucu a Ploscoº Cojocna Bonþida

Iclod M Cîþcãu Aiton Apahida Jichiºu de Jos Aluniº Sãnduleºti Vad Moldoveneºti Mihai Viteazu Dãbîca Tureni Corneºti Borºa Bobîlna Petreºtii de Jos Feleacu Vultureni CLUJ-NAPOCA a Chinteni Panticeu Iara Ciurila

Recea- Cristur j Floreºti Aºchileu Sãvãdisla

Bãiºoara b

Sînpaul a Gilãu

Valea Ierii

Gîrbãu l Aghireºu

l Cãpuºu Mare

Mãriºel

Rîºca a Mãguri- Rãcãtãu > 5,1 0,4 - 1 1,1 - 2 2,1 - 3 3,1 - 5 Mãnãstireni Izvoru Criºului

A Cãlãþele Durchschnittliche Größe in ha / Eigentümer (nach Gemeinden) HUEDIN Beliº

S Sîncraiu Mãrgãu Poieni Sãcuieu Cuicea

r o Bezirksstadt kreisfreie Stadt Stadt Gemeinde Bezirksgrenze Stadtgrenze Gemeindegrenze suburbanisierte Gemeindegebiete h i B Maßstab ca. 1 : 650 000 Durchschnittliche Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche Bezirk Cluj 0 10 20 30 km

Abb. 3: Durchschnittliche Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Bezirk Cluj 1994 Quelle: Dir. Jud. pt. Agriculturã Cluj

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IfL 1996 Kartographie: R. Bräuer t Buza u Cãtina

Cãmãraºu s M i Frata Sînmartin Taga

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Ceanu Mare Palatca r Fizeºu Gherla Tritenii de Jos

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Cãlãraºi r Cãºeiu Chiuieºti CÎMPIA TURZII GHERLA

Bonþida

Cuzdrioara TURD a Iclod

Ploscoº M Apahida Cîþcãu Cojocna Aluniº Jucu Jichiºu de Jos Sãnduleºti Vad Aiton Tureni Mihai Viteazu Moldoveneºti Borºa Corneºti Dãbîca Petreºtii de Jos Bobîlna Feleacu Vultureni

CLUJ- NAPOCA a Ciurila Iara

Panticeu Recea- Cristur Chinteni j Baciu Sãvãdisla Floreºti Aºchileu

Sînpaul

Bãiºoara b a Gilãu

Gîrbãu Ierii

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l Cãpuºu Mare

Mãriºel a Rîºca Mãguri- Rãcãtãu Valea Izvoru Criºului andere juristische Person landwirtschaftliche Vereinigung Einzelbauer

A HUEDIN Mãnãstireni Beliº Sîncraiu

S 0 % Cãlãþele 50 100 Flächenanteil in % des Ackerlandes (nach Gemeinden) Mãrgãu Poieni Sãcuieu Cuicea

r o Bezirksstadt kreisfreie Stadt Stadt Gemeinde Bezirksgrenze Stadtgrenze Gemeindegrenze suburbanisierte Gemeindegebiete h i B Maßstab ca. 1 : 650 000 Flächenanteil der unterschiedlichen Betriebsformen Bezirk Cluj 0 10 20 30 km

Abb. 4: Verteilung der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebsformen im Bezirk Cluj 1994 Quelle: Dir. Jud. pt. Agriculturã Cluj

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IfL 1996 Kartographie: R. Bräuer t Buza u

Sîniacob Cãtina s M

i Cãmãraºu Taga Geaca Frata Unguraº

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Palatca r Tritenii de Jos Suatu

Mica u Viiºoara Fizeºu Gherla Luna Ceanu Mare

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Cãianu a Mintiu Gherla Cãlãraºi

DEJ r Chiuieºti Cãºeiu

GHERLA CÎMPIA TURZII

TURDA Jucu a Ploscoº Cojocna Bonþida

Iclod M Cîþcãu Aiton Apahida Jichiºu de Jos Aluniº Sãnduleºti Vad Moldoveneºti Mihai Viteazu Dãbîca Tureni Corneºti Borºa Bobîlna Petreºtii de Jos Feleacu Vultureni CLUJ-NAPOCA a Chinteni Panticeu Iara Ciurila

Recea- Cristur j Baciu Floreºti Aºchileu Sãvãdisla

Bãiºoara b a Gilãu

Turea

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Gîrbãu l Aghireºu Sînpaul

l Cãpuºu Mare

Mãriºel Rîºca a Mãguri- Rãcãtãu Valea Mãnãstireni Izvoru Criºului

A Cãlãþele HUEDIN Beliº

S Sîncraiu Mãrgãu Poieni Sãcuieu Cuicea

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Bezirksstadt kreisfreie Stadt Stadt Gemeinde Bezirksgrenze Stadtgrenze Gemeindegrenze suburbanisierte Gemeindegebiete o h i B Maßstab ca. 1 : 650 000 Bezirk Cluj Administrative Übersicht und Lage der untersuchten Beispielsdörfer 0 10 20 30 km

Abb. 5: Lage der Beispielgemeinden im Bezirk Cluj

7 Transsilvaniens, in denen sich Wirtschafts- ihre Produkte rechnen konnten, nunmehr Beschäftigtenstruktur weise und Struktur des dörflichen Lebens der Gemeinde Mãriºel 1992 danach streben müssen, marktgerecht zu auch in der Zeit der kommunistischen produzieren und geeignete Absatzmärkte Herrschaft nicht so entscheidend änderten 14% zu finden. Einem effektiven Betreiben der wie in den tiefer gelegenen ländlichen Landwirtschaft steht der geringe Flächen- Gebieten Rumäniens. umfang pro Betrieb entgegen, eine Ver- Mãriºel liegt in der Bergregion des 13% größerung ist nur schwer möglich, da die Bezirkes Cluj (Gilãu-Muntele Mare). Als dörfliche Struktur und die Besitzverhält- typische Streusiedlung umfaßt sie ein sehr nisse recht festgefügt sind. Somit wird die 73% großes Territorium (76 km2), die Einzel- vorhandene Fläche, vor allem die Weide, höfe befinden sich zumeist inmitten des intensiv genutzt, was nicht ohne Gefahr zugehörigen Landes. Die 1951 Einwohner für die Bodenstruktur und den Erhalt der (1992) leben in 622 Höfen, 19 % der Vegetationsdecke ist. Das starke Bewei- Einwohner sind über 60 Jahre alt. Die primärer Sektor den führt auf den schwachwüchsigen Berg- Beölkerungsentwicklung war seit 1910 nur sekundärer Sektor weiden schnell zum Überweiden und zur tertiärer Sektor IfL 1996 geringen Schwankungen unterworfen, Graphik: R. Bräuer Erosion. Vor allem die wieder ansteigende wenngleich nach 1966 ein leichter Rück- Rinderhaltung (pro Kuh mit 40.000 Lei gang erkennbar eintrat (Abb. 6). Nach Abb. 7: Beschäftigtenstruktur in Mãriºel vom Staat gefördert) wirkt sich negativ Aussagen der Gemeindeverwaltung (1995, Quelle: Gemeindeverwaltung Mãriºel aus. Ein weiteres Merkmal des stattfin- mündl. Mitteilung) ist die Abwanderung denden Wandels ist die steigende Anzahl der jungen Leute aus dem Dorf in die Stadt (Abb. 7). Da die natürlichen Bedingungen der Pferde. Wie in allen europäischen Län- für den Ackerbau ungünstig sind, werden dern hatte auch in Rumänien die Zahl der Einwohnerentwicklung nur etwas Getreide (meist Hafer), Kartof- Pferde nach dem Zweiten Weltkrieg im des Dorfes Mãriºel 1910 bis 1992 feln und Gemüse für den Eigenbedarf an- Zusammenhang mit der einsetzenden Me-

Einwohner gebaut. Die Durchschnittsgröße des Ak- chansierung in der Landwirtschaft stark 2 500 kerlandes sind 4-5 ha, davon allein kann abgenommen. Nunmehr ist ein Anwach- 2 000 eine Familie nicht leben. Ein wichtigerer sen der Pferdebestände in den ländlichen 1 500 Zweig ist die Tierhaltung – es werden Regionen Rumäniens zu bemerken. Dies 1 000 Schafe, Rinder, Pferde und Schweine ge- ist auch in Mãriºel der Fall. Gab es Mitte 500 halten (Tab. 3). 1994 440 Pferde, waren es im Mai 1995 lt. 0 Für die landwirtschaftliche Produktion Auskunft der Gemeindeverwaltung schon 1910 1930 1966 1992 stehen 3262 ha Landwirtschaftliche Nutz- 550. Die Aufzucht von Pferden und der IfL 1996 Handel mit ihnen hat sich zu einem ein- Graphik: R. Bräuer träglichen Geschäft entwickelt. Dabei han- Tierart Anzahl delt es sich um Arbeitspferde, die in vielen Abb. 6: Einwohnerzahlen der Gemeinde Pferde 440 Landwirtschaftsbetrieben eingesetzt wer- Mãriºel Rinder 1.535 Quelle: Comisia Nationalã pt. Statistica den, da Traktoren entweder nicht verfüg- Schweine 1.770 bar oder aber zu teuer sind. Die Bauern in – der Hauptursache des Bevölkerungs- Schafe 4.235 Mãriºel nutzen die Pferde auch als Trans- rückganges – nur noch unbedeutend, da es Geflügel 18.000 portmittel, da sie ihre Produkte, wie z. B. durch die hohe Arbeitslosigkeit in den Kartoffeln und Vieh, auf dem Markt in Städten kaum noch freie Arbeitsplätze gibt. Tab. 3: Private Tierhaltung in der Gemeinde Gilãu (ca. 35 km ) und auch noch weiter Die Ausstattung des Dorfes mit Ge- Mãriºel (30.06.1994) entfernt absetzen. Das Streben nach Alter- schäften und öffentlichen Einrichtungen Quelle: Dir. Jud. pt. Agricultura Cluj nativen und vor allem auch nach einer sowie seine Infrastruktur stellen sich wie weiteren Einnahmequelle hat in Mãriºel folgt dar: Das Dorf ist Sitz der Gemeinde- fläche, darunter nur 480 ha Ackerland, zur dazu geführt, daß die Waldnutzung sehr verwaltung, es kann von der Europastraße Verfügung (Direcþia Generalã pentru intensiviert wurde. Der Wald ist zum Teil 60 über Gilãu erreicht werden, eine weite- Agriculturã ºi Alimentaþie Cluj). Dies Privateigentum, zum Teil gehört er dem re Straßenverbindung führt nach der Stadt unterstreicht nochmals die Bedeutung der Staat, der den Bauern bestimmte Bestände Huedin. Alle Häuser besitzen Elektrizi- Tierhaltung für die landwirtschaftliche zur Nutzung übergibt. Im Ergebnis der tätsanschluß, Wasser- und Abwasserlei- Produktion. intensiven Nutzung stehen von den ehe- tungen gibt es nicht. Der örtlichen Versor- Diese Strukturen bestehen im Dorf mals dichten Wäldern mitunter nur noch gung dienen drei Genossenschaftsläden Mãriºel schon über viele Jahrzehnte. Sie die Waldränder, im Inneren des Waldes sowie 11 kleine private Geschäfte, eine blieb auch in der Zeit des Sozialismus befinden sich große Kahlschläge. Das Holz Post und eine Apotheke. Zwei Ärzte leben erhalten, außer einer relativ kurzlebigen wird entweder von den Bauern selbst als und arbeiten im Dorf, es sind zwei Kirchen Schafhaltergenossenschaft hat es keine Bauholz genutzt oder aber mit Pferdefuhr- und fünf Schulen (zwei 8-Klassenschulen, Kollektivierungen gegeben. Nunmehr muß werken ins Tal gebracht, wo der Bedarf an drei Vierklassenschulen) sowie ein Kul- sich der Ort den veränderten Bedingungen Bauholz sehr hoch ist und ein guter Preis turhaus vorhanden. der Marktwirtschaft anpassen. Das bedeu- erzielt werden kann (Abb. 8). Insgesamt ist Der Haupterwerbszweig der Bevölke- tet, daß die Bauern, die bis 1989 mit stabi- jedoch die Situation in Mãriºel so, daß die rung ist die Land- und Forstwirtschaft len Preisen und gesichertem Absatz für Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft

8 EUROPA REGIONAL 3(1995)4 wenig Mobilität und versucht, an den über- lieferten Wirtschaftsformen festzuhalten. Im Streben nach Sicherung der Einkünfte wird der Naturraum stark belastet, wo- durch die zukünftige Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft in Frage gestellt erscheint. Ein Veränderung der landwirtschaftlichen Nutzungsweise ist nicht erkennbar. Die noch relativ hohe Anzahl junger Menschen im Dorf läßt sich eher auf den gegenwärtigen Mangel an Arbeitsplätzen in der Industrie als auf den Wunsch, als Bauer in Mãriºel zu bleiben, zurückfüh- ren. Hinzu kommt, daß es die große Zer- splitterung der Flächen nahezu unmöglich macht, einen Betrieb zu vergrößern, um eine bessere Rentabilität zu erreichen. Wenngleich das Dorf gegenwärtig noch einen in sich geschlossenen Eindruck macht, ist dennoch für die Zukunft Skepsis Abb. 8: Holztransport mit Pferdefuhrwerken (Foto: E. KNAPPE) angebracht, wenn es nicht gelingt, die Er- werbsmöglichkeiten im Ort zu diversifi- zwar die Eigenversorgung zu sichern ver- lediglich in 23 Wohnungen des Ortes Bad zieren und die verkehrstechnische Infra- mag, es mangelt jedoch oft an ausreichen- bzw. Innentoilette vorhanden sind. Bei struktur zu verbessern. den Geldeinkünften sowohl für den eige- diesem für die Zukunft des Dorfes zwei- nen Bedarf als auch für die Finanzierung fellos wichtigen Prozeß kommt der auf der Die Gemeinde Mihai Viteazu erforderlicher Investitionen für den Land- Basis des Gesetzes Nr. 46/1994 neuge- Das zweite Beispiel ist typisch für die wirtschaftsbetrieb. Durch die schlechte gründeten Gesellschaft für Agrotourismus, fruchtbaren Tallagen Transsilvaniens. Finanzlage der Dorfbewohner sind die Wirtschaft und Kultur (ARTREC) sicher Mihai Viteazu ist ländlich geprägt, aber Steuereinkünfte der Gemeinde auch sehr eine bedeutende Rolle zu. Sie soll der durch die gute Verkehrslage und die Stadt- bescheiden, und es fehlt an Geld für den Förderung des Tourismus dienen und und nähe gibt es außer der Landwirtschaft auch dringend erforderlichen Straßenbau inner- die daran interessierten Landwirte beraten andere Erwerbsmöglichkeiten. Bis 1989 halb des Dorfes. (Tribuna Economia 1995). war das Dorf vollständig kollektiviert. Eng damit verbunden ist die Durch- Eine weitere Möglichkeit zur Verbes- Zur Gemeinde gehören drei Dörfer: führbarkeit des Gedankens, die Lage im serung der Einkommenssituation der Land- Mihai Viteazu, Corneºti und Cheia. Die Dorf durch den Tourismus zu verbessern. bevölkerung ist nach wie vor die Suche Lage im Arieºtal, unweit der beiden Städ- Dabei denkt man zum einen daran, daß nach einem Arbeitsplatz außerhalb der te Turda und Cîmpia Turzii, an einer gut sich Menschen aus der Stadt in Mãriºelein Landwirtschaft, was sich aus den genann- ausgebauten Straße ist als sehr verkehrs- Wochenendhaus errichten – die ersten ten Gründen relativ schwierig gestaltet. günstig anzusehen und hat sich auf die Landverkäufe, die dem Verkauf von Flä- Erste Anfänge (sie sind zwar noch eng mit Entwicklung der Gemeinde posititv aus- chen zum Bau von Sommerhäusern gal- der Landwirtschaft verbunden) sind in der gewirkt. Am meisten hat das Gemeinde- ten, fanden bereits statt. Auf diese Weise Einrichtung einer Reparaturwerkstatt für zentrum Mihai Viteazu davon profitiert. sind bis Mitte 1995 160 Sommerhäuser Fahrzeuge und landwirtschaftliche Ma- Hier gibt es neben dem Elektro- auch Gas- entstanden. Zum anderen hofft man auf schinen sowie in der Wiedergründung von und Wasserleitungsanschluß sowie Tele- Wanderer und Naturfreunde, die der herr- Milchsammelstellen für den privat betrie- fon. lichen Bergwelt einen Besuch abstatten. benen Milchhof in Beliº zu sehen. Direkt Die Gemeinde hat einen Busanschluß, Nun ist die Gemeindeverwaltung gefor- außerhalb der Landwirtschaft gibt es Ar- sie besitzt 7 Geschäfte, 3 Schulen, 2 Post- dert, um diese Entwicklung in eine für den beitsmöglichkeiten im nahe gelegenen ämter, eine Arztpraxis, zwei Kirchen, eine Ort positive Richtung zu lenken. Das heißt, Wasserkraftwerk, ca. 100 Arbeitskräfte Bibliothek und drei Kulturhäuser. In der sie muß dafür Sorge tragen, daß sich diese ausMãriºel arbeiten dort. Dies ist aber fast Gemeinde leben insgesamt 5604 Einwoh- Erholungsfunktion nicht schneller entwik- die einzige zumutbare Möglichkeit für ner in drei Siedlungen (Mihai Viteazu – kelt als die erforderliche Infrastruktur, und Tagespendler, um in der Industrie zu ar- 4304 Einw., Cheia – 554 Einw., Corneºti sie muß durch den Bau von Gaststätten beiten. – 746 Einw.). Generell ist die Einwohner- und auch von Geschäften diesen ersten Zusammenfassend kann zum Ort zahl seit 1991 leicht rückläufig (Abb. 9). Tourismusanfängen eine tragfähige Basis Mãriºel gesagt werden, daß er als Beispiel Interessant ist, daß Mihai Viteazu zwi- schaffen. Daraus könnten die dringend für die in Rumänien zahlreichen peripher schen 1966 und 1985 einen starken Bevöl- benötigten außerlandwirtschaftlichen Ar- gelegenen Bergdörfer stehen kann, deren kerungszuwachs zu verzeichnen hatte. Dies beitsplätze für die Bevölkerung entstehen. Struktur sich über Jahrzehnte hinweg er- ist auf die günstige Lage zum Industrie- Derzeit stehen für eine Übernachtung halten hat und in denen eine bodenständi- zentrum um Turda und Cîmpia Turzii zu- nur Privatquartiere zur Verfügung, wobei ge bäuerliche Bevölkerung lebt. Sie zeigt rückzuführen. Der direkte Zuzug zur Stadt dies auch dadurch eingeschränkt wird, daß auch unter den veränderten Bedingungen war durch gesetzliche Bestimmungen na-

9 wirtschaftliche Nutzfläche bearbeitete. Einwohnerentwicklung der Gemeinde Beschäftigtenstruktur der Mihai Viteazu 1910 bis 1992 Nach der Rückgabe des Landes an die Gemeinde Mihai Viteazu 1992 früheren Eigentümer wurde die Koopera- Cheia Einwohner Cheia tive aufgelöst. Es besteht als juristische 8 % 1000 900 Person noch ein Milchviehbetrieb mit 800 700 1 028 Rindern, alle anderen Tierarten wer- 30% 600 500 den nunmehr privat in kleinen Einzelbe- 400 300 trieben gehalten. Die neu entstandenen 200 100 Privatbetriebe umfaßten im Durchschnitt 0 eine Landwirtschaftliche Nutzfläche von 1910 1930 1966 1992 1,20 ha. Es entstand eine landwirtschaftli- che Vereinigung mit 279 ha Ackerland, 62% Einwohner Corneºti welche aus arbeitstechnischen Gründen 1000 900 vor allem Getreide produziert. Gemüse 800 wird im wesentlichen nur zur Selbstver- Corneºti 700 15 % 600 sorgung angebaut. Das Problem besteht 500 darin, daß die Technik veraltet oder aber 400 31% 300 zu teuer ist. Die Kleinbauern ersetzen die 200 Technik vielfach durch Handarbeit und 100 0 den Einsatz tierischer Zugkräfte. Sobald 1910 1930 1966 1992 jedoch mehrere Familien kooperieren und wieder auf größeren Flächen arbeiten, tritt Einwohner Mihai Viteazu das Problem der fehlenden Traktoren und 6000 Maschinen bzw. des nicht vorhandenen 54 % 5000 Kapitals zum Erwerb neuer technischer 4000 Ausrüstungen deutlicher hervor. Mihai Viteazu 3000 Erfolgversprechender erscheint der 2000 Weg, den zwei junge Landwirte aus Mihai 15 % 1000 Viteazu einschlugen. Sie kauften zum ei- 26 % 0 genen Land noch 8 ha zu, so daß ihnen zur 1910 1930 1966 19851992 Zeit 40 ha gehören, 110 ha pachteten sie von ca. 200 Eigentümern, so daß sie nun- mehr einen Betrieb von 150 ha Ackerland IfL 1996 Graphik: R. Bräuer bewirtschaften. Die einzelnen Schläge sind zwischen 5 und 60 ha groß, mithin gut für Abb 9: Einwohnerzahlen der Gemeinde einen Maschineneinsatz geeignet. Der Mihai Viteazu Betrieb verfügt über einen kleinen eigenen 59 % Quelle: Comisia Nationalã pt. Statistica Maschinenpark, der zumindest die Durch- primärer Sektor sekundärer Sektor hezu unmöglich, deshalb zog man so nahe führung der landwirtschaftlichen Grund- tertiärer Sektor wie möglich an die Stadt heran und pen- arbeiten gestattet. Mit 10 ständigen Mitar- IfL 1996 Graphik: R. Bräuer delte täglich zur Arbeit. Dies kann man beitern wird eine breite Palette an land- auch den Beschäftigtenstrukturen entneh- wirtschaftlichen Kulturen angebaut – Ge- men (Abb. 10). Im Gegensatz zum Bauern- treide, Kartoffeln, Zwiebeln, Bohnen und Abb. 10: Beschäftigtenstruktur in Mihai dorf Mãriºel sind hier mehr als 50 % der anderes Gemüse. Der Betrieb erwirtschaf- Viteazu Erwerbstätigen in der Industrie beschäf- tet die größten Einnahmen durch seinen Quelle: Gemeindeverwaltung Mihai Viteazu tigt. Der tertiäre Sektor spielt im kleinsten ausgedehnten Gemüseanbau, für den er hen Ertrag und damit einer guten Arbeits- Dorf, in Cheia, nahezu keine Rolle, im durch die Stadtnähe einen guten Absatz- qualität gewahrt ist. Der Betrieb könnte Verwaltungssitz Mihai Viteazu sind je- markt hat. Sein Gemüse vermarktet der seine Erträge noch beträchtlich steigern, doch schon 26 % der Beschäftigten im Betrieb selbst und legt dadurch auch den wenn er seine Gemüseflächen beregnen Dienstleistungssektor tätig. Preis selbst fest. Bei Getreide ist er daran könnte. Hier wird ein allgemein auftreten- Auch wenn die Landwirtschaft in der gebunden, es einer zentralen Aufkaufstel- des Problem sichtbar: Zur Zeit der soziali- Beschäftigtenstruktur nicht dominierend le anzubieten, welche ihrerseits selbst den stischen Planwirtschaft besaß die Genos- ist, sind die Voraussetzungen für das Be- Preis vorgibt. senschaft in Mihai Viteazu (wie viele an- treiben der Landwirtschaft doch sehr gün- Saisonal beschäftigt der Betrieb bis zu dere Genossenschaften auch) ein ausge- stig. Der Talboden ist fruchtbar, und es 140 Arbeitskräfte für die Pflege der gro- dehntes Bewässerungssystem. Dieses Sy- gedeiht ein breites Spektrum landwirt- ßen Gemüseflächen. Diese Leute stam- stem umfaßte große zentrale Wassergrä- schaftlicher Kulturen. Einziger limitieren- men vor allem aus den Bergregionen. Sie ben, Pumpstationen und eine Anzahl klei- der natürlicher Faktor können nicht aus- erhalten für die Arbeit kein Geld, sondern nerer Entnahmestellen. Mit der Auflösung reichende Niederschläge sein. einen vorher festgelegten Anteil des Ertra- der großen Landwirtschaftsbetriebe blieb Bis zur Wende 1989 gab es im Ort eine ges (im Durchschnitt 30 %). Dadurch wird die Bewässerung zunächst ungenutzt. Sie Genossenschaft, welche 3501 ha Land- gesichert, daß das Interesse an einem ho- durchzog das Land vieler Kleinbetriebe,

10 EUROPA REGIONAL 3(1995)4 denen der Unterhalt und die Betreibung haftet ihr noch immer an (COCEAN & SURD Kalksteinabbau, einige pendeln auch nach dieser sehr energieintensiven Anlage zu 1995). Cluj-Napoca. teuer und aufwendig war. Auch gegen- Insgesamt gesehen haben auch die Be- Die Bevölkerungsentwicklung ist leicht wärtig ist es den nunmehr entstandenen wohner von Mihai Viteazu ihre Probleme rückläufig, allerdings nicht so stark wie in zwei größeren Betrieben nicht möglich, mit dem Übergangsprozeß zur Marktwirt- anderen Dörfern in vergleichbar periphe- die Anlage wieder nutzbar zu machen. schaft, aber die wirtschaftliche Entwick- rer Lage (Abb. 12). Dieses Problem des Vorhandenseins tech- lung verläuft hier dynamischer. Die Fak- Bis 1989 arbeiteten in der Gesamtge- nischer Anlagen, welche für ganz andere toren günstige Verkehrslage, Stadtnähe meinde zwei landwirtschaftliche Genos- Betriebsgrößen und Wirtschaftsformen und natürliche Gunst durch guten Boden senschaften auf 3 099 ha Landwirtschaft- dimensioniert sind, als sie sich nunmehr sind die Basis für eine weitere Aufwärts- unter marktwirtschaftlichen Bedingungen entwicklung der Landwirtschaft und dar- Einwohnerentwicklung herausgebildet haben, ist im ländlichen über hinaus bei Besserung der allgemei- des Dorfes Turea 1910 bis 1992 Raum Rumäniens oft anzutreffen. nen Wirtschaftslage für die weitere An- Einwohner Dies trifft zum Beispiel auch für die siedlung von Pendlern, die außerhalb der 1000 900 großen Stallanlagen zu, die nunmehr oft Landwirtschaft tätig sind. 800 700 leer stehen und dem Verfall preisgegeben 600 500 sind. Auch der Milchviehbetrieb in Mihai Das Dorf Turea 400 300 Viteazu hat große Existenzprobleme, und In diesem Dorf zeigt sich eine ähnliche 200 sein Fortbestand ist unklar. Die Stadtnähe 100 Situation wie in Mihai Viteazu. Es wurde 0 könnte zwar ein Absatzmarkt für Milch jedoch einer näheren Untersuchung unter- 1910 1930 1966 1992 und Milchprodukte sein, aber es fehlt eine zogen, weil es hier weiterhin einen aus der IfL 1996 leistungsfähige Verarbeitungsindustrie. früheren Kooperative hervorgegangenen Graphik: R. Bräuer Demgegenüber werden sich die Markt- Landwirtschaftsbetrieb gibt. fruchtbetriebe sicherlich behaupten kön- Turea hat 582 Einwohner (1992) und Abb. 12: Einwohnerzahlen des Dorfes Turea nen, vor allem dann, wenn es ihnen ge- gehört zur Gemeinde Gîrbau, ebenso wie Quelle: Comisia Nationalã pt. Statistica lingt, ihre Absatzmöglichkeiten evtl. durch die DörferCorneºti, Viºtea und Nadãºelu Bildung von Absatzgenossenschaften wei- gehört, Die erwerbstätige Bevölkerung ist licher Nutzfläche. Nach der Reprivatisie- ter zu verbessern. Die größeren Flächen nahezu zu gleichen Teilen in Industrie und rung wurden die Genossenschaften aufge- erlauben den Einsatz von Maschinen und Landwirtschaft beschäftigt, der tertiäre löst, es entstanden zahlreiche kleine Ein- damit ein rationelles Arbeiten. Dies be- Sektor spielt nur eine geringe Rolle zelbauernwirtschaften mit einer durch- deutet für die Zukunft allerdings auch ei- (Abb. 11). Turea besitzt eine Schule, zwei schnittlichen Betriebsgröße von 4,7 ha. Im nen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in Kirchen, ein Geschäft, 114 Telefonan- unterschied zu den anderen Dörfern ließen der Landwirtschaft. Für die Gemeinde schlüsse und eine Wasserleitung. Sehr die Bauern dieses Dorfes ihre Flächen Mihai Viteazu, die stadtnah und verkehrs- zusammen und bewirtschafteten diese günstig liegt, sollte sich das weniger nega- Beschäftigtenstruktur weiterhin gemeinsam in Form einer land- tiv bemerkbar machen als z. B. in dem der Gemeinde Turea 1992 wirtschaftlichen Vereinigung. In erster peripher gelegenen BergdorfMãriºel . Lei- Linie ist dies darauf zurückzuführen, daß der sind zur Zeit die Arbeitsplätze in der 36% ein leitender Mitarbeiter der früheren Kol- Industrie noch mehr gefährdet als in der lektivwirtschaft im Dorf großes Ansehen Landwirtschaft, da die großen Industrie- genoß. Er wurde deshalb zum Vorstand betriebe den Übergang zur Marktwirtschaft 89% der neuen Vereinigung gewählt, wodurch nur schwer vollziehen können. Ein Teil die in anderen Dörfern zu beobachtende der Betriebe mußte gänzlich schließen, große Zersplitterung ehemals zusammen- andere befinden sich in finanziellen 82% hängender Flächen verhindert wurde. Nicht Schwierigkeiten, somit sind die Chancen vermeidbar war die restlose Verteilung für einen Arbeitsplatz in der Industrie ge- der Tierbestände und damit verbunden die nug. Davon profitiert der ländliche Raum Zerstörung der Stallanlagen. Die ökono- insofern, als daß ein Teil der jüngeren primärer Sektor mische Situation der Vereinigung ist ge- sekundärer Sektor Bevölkerung, der sonst in die Städte abge- IfL 1996 genwärtig als gut einzuschätzen, sie be- tertiärer Sektor wandert wäre, im Dorf verbleibt und dort Graphik: R. Bräuer wirtschaftet 400 ha Ackerfläche, auf der auch arbeitet. Mit einer Besserung der Weizen, Gerste, Mais, Zuckerrüben und wirtschaftlichen Lage der Industrie wird Abb. 11: Beschäftigtenstruktur in Turea Kartoffeln angebaut werden. Die Mitglie- der Abwanderungsprozeß allerdings si- Quelle: Gemeindeverwaltung Gilãu der erhalten ihre Vergütung in Form von cher wieder einsetzen. Denn selbst in einer nachteilig ist, daß es keinen Anschluß an Geld und Naturalien. Die meisten Dorfbe- solchen natürlichen Gunstlage wie in der den öffentlichen Nahverkehr hat. Dadurch wohner besitzen Vieh, welches sie vor- Gemeinde Mihai Viteazu ist die Arbeit in kommt die Nähe zur Bezirkshauptstadt wiegend zur Selbstversorgung halten und der Landwirtschaft für die Jugend wenig Cluj-Napoca (ca. 25 km) im Wirtschafts- das sie mit den von der Vereinigung aus- attraktiv, die Verdienstmöglichkeiten leben des Dorfes, im Gegensatz zu Mihai gegebenen Naturalien füttern. Für die Ver- ebenfalls. Hinzu kommt, daß die Land- Viteazu, nicht so deutlich zum Tragen. einigung erweist es sich zunehmend als wirtschaft zu Zeiten Ceauºescus wenig Die nicht in der Landwirtschaft Tätigen nachteilig, daß sie als reiner Marktfrucht- Ansehen genoß, und dieses Negativimage arbeiten vorwiegend im nahegelegenen betrieb darauf angewiesen ist, die Ernte-

11 produkte entweder dem Staat oder einem wenn neben dem dominierenden Land- Einwohnerentwicklung privaten Händler unmittelbar nach der wirtschaftsbetrieb z. B. noch ein oder meh- des Dorfes Sîniacob 1910 bis 1995 Ernte zu verkaufen. Dadurch ist sie ge- rere Handwerksbetriebe entstehen wür- Einwohner zwungen, die angebotenen Preise zu ak- den und der Ort einen Anschluß an das 600 zeptieren bzw. muß sehr lange auf die öffentliche Verkehrsnetz bekommen wür- 500 Bezahlung warten, da sowohl der Staat als de. Dann könnte auch die kurze Entfer- 400 auch Verarbeitungsbetriebe eine schlech- nung nach Cluj für Turea und seine Per- 300 te Zahlungsmoral aufweisen. Diesen spektiven nutzbar sein. 200 Zwängen versucht man nun dadurch zu 100 entgehen, daß Lagermöglichkeiten ge- Das Dorf Sîniacob 0 schaffen werden, um dadurch den Absatz- 1910 1930 1966 1992 Dieser Ort befindet sich schon außerhalb 1995 zeitpunkt selbst zu bestimmen. Des weite- des Bezirkes Cluj im Bezirk Mureº, je- IfL 1996 ren ist geplant, eine Mühle und eine Bäk- doch bedeutet diese Verwaltungszugehö- Graphik: R. Bräuer kerei zu installieren. Dadurch kann man rigkeit für den Ort keine veränderteten nicht nur dem Preisdiktat bei Getreide Entwicklungsbedingungen im Vergleich entgehen, sondern es entstehen auch neue zu den anderen Dörfern. Er wurde ausge- Abb. 13: Einwohnerzahlen des Dorfes Arbeitsplätze. Da die Vereinigung eine wählt, weil der Verlauf der Dorfgeschich- Siniacob beträchtliche Mitgliederzahl hat (600), ist Quelle: Comisia Nationalã pt. Statistica, eigene te typisch ist für eine Reihe kleiner und Erhebungen die Belastung durch Personalkosten auch verkehrsungünstig gelegener Dörfer, de- bei niedrigen Löhnen hoch und alternative ren Bewohner nahezu ausschließlich von aufzulassenden Dörfer eingestuft und so- Arbeitsplätze außerhalb des eigentlichen der Landwirtschaft leben. mit begann der unaufhaltsame Abstieg. Landwirtschaftsbetriebes sind für die Ver- Der Ort ist nur durch eine unbefestigte Das Dorf erhielt weder Wasser- noch Gas- einigung und auch für das Dorf wichtig. Stichstraße vom Verwaltungszentrum leitung, die Schule wurde geschlossen, Man bemüht sich nunmehr auch wieder Atintis aus zu erreichen (Abb. 13). Die und es gibt keinen Laden mehr. Keines der darum, einen Schweinestall zu errichten, natürlichen Voraussetzungen zum Betrei- Häuser besitzt einen Telefonanschluß. Ein um durch die Schweinemast die Einkom- ben von Landwirtschaft sind gut, und die Pfarrer kommt nur zu bestimmten Zeiten mensmöglichkeiten zu verbessern. Aber Bodenqualität besser als in Turea. Das und hält in der Kirche für die Gläubigen es ist schwierig und teuer, die in der Hektik Dorf nahm deshalb nach der Jahrhundert- einen Gottesdienst ab. Eine Busverbin- der Genossenschaftsauflösung zerstörten wende zunächst eine Aufwärtsentwick- dung nach Aþintis oder Luduº existiert Gebäude wieder herzurichten. lung und hatte 1930 etwa genau so viele nicht. Die Landwirtschaft wurde bis 1989 Wichtig für die Zukunft des Dorfes ist Einwohner wie Turea (Abb.14). In der von Aþintis aus organisiert, Siniacob hatte es, neben einem wirtschaftlich starken Ceauºescu-Ära wurde es jedoch in die als einzige Funktion noch die des Woh- Landwirtschaftsbetrieb auch die anderen Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß vor allem die jungen Leute am Ort bleiben. 350 Lage des Dorfes Sîniacob Da die Kommunen hierfür bislang wenig Bogota 0 1 2 km 358,5 getan haben, versucht die Vereinigung Maßstab 1 : 50 000 durch eigene Initiative für die Schule, den Kindergarten und eine Arztpraxis ein Ge- bäude zu errichten. Man hofft, daß damit die jungen Familien wieder eher bereit 405 sind, im Dorf wohnen zu bleiben. Die ul Nähe der Großstadt Cluj vermochte dem reº Mu Ort keine positiven Impulse zu geben, 300 dazu sind die Verkehrsverbindungen zu schlecht. Die Zukunft des Dorfes hängt in hohem Maße vom wirtschaftlichen Erfolg 50 300 414,2 3 des einzigen großen Landwirtschaftsbe- 393 Aþintiº 300 triebes ab. Dies kann dann von Nachteil 400 l sein, wenn die derzeit sehr erfolgreiche Aþintiºu Sîniacob Leitung z. B. aus Altersgründen ihre Auf- r ilo c n gabe abgibt, und kein geeigneter Ersatz u 0 L 35 0 5 gefunden werden kann. Die Mehrheit der 3 Mitglieder der landwirtschaftlichen Ver- 0 0 446 einigung arbeitet in der gleichen Weise 4 wie früher in der Genossenschaft und ist 00 0 nur für einen Teilbereich im Betrieb zu- 4 0 4 0 0 0 35 4 ständig. An ein selbständiges Arbeiten und IfL 1996 427 Petrilaca Treffen von Entscheidungen sind sie nicht Kartographie: R. Bräuer gewöhnt. Für eine Zukunftssicherung wäre es sicher als vorteilhaft einzuschätzen, Abb. 14: Lage des Dorfes Siniacob (eigener Entwurf)

12 EUROPA REGIONAL 3(1995)4 nens. Da man jedoch weder besonders gut gemeinden läßt sowohl Gemeinsamkeiten ten im ländlichen Raum eher vergrößert im Ort wohnen konnte noch bequem zur als auch große Unterschiede beim Über- wurden. Große Defizite in der örtlichen Arbeit zu pendeln vermochte, sank die gang von der sozialistischen Planwirtschaft Selbstverwaltung erschweren den ohne- Bevölkerungszahl drastisch und erreichte zur Marktwirtschaft in Rumänien erken- hin nicht einfach zu bewältigenden Trans- 1995 die Anzahl von 24 Einwohnern, alle nen. Gemeinsam ist allen Beispielen, daß formationsprozeß. Erste Ansätze zur Be- im Rentenalter. Das Land, welches die die Menschen aus einer Phase der relati- wältigung der anstehenden Aufgaben sind Bauern zurückerhielten, haben sie an die ven Sicherheit in einem gut bekannten erkennbar. So schuf man das Amt für landwirtschaftliche Vereinigung in Aþintis Umfeld einen neuen Weg mit vielen Un- Raumplanung, das einen Entwicklungs- verpachtet, sie erhalten für den Acker 15 % bekannten gehen müssen. Sie werden plan des Bezirkes Cluj ausgearbeitet hat des Ertrages als Pachtzins, für die Weide- dazu gezwungen, sich mit unzureichenden und sich sowohl um die Landwirtschaft als nutzung bekommen sie nichts. Die im Dorf Rahmenbedingungen auseinanderzuset- auch um den Naturschutz und die industri- wohnenden Menschen sind darauf ange- zen, mit der Gesetzgebung im allgemei- elle Umstrukturierung bemüht. Dabei kann wiesen, daß sie sich mit Nahrungsmitteln nen und der Agrargesetzgebung im beson- sicher davon ausgegangen werden, daß selbst versorgen. Benötigen sie andere deren, mit dem schleppenden Verlauf der vor allem in den peripheren ländlichen Dinge oder sind z. B. Arztbesuche u. ä. Privatisierung der verarbeitenden und der Regionen in der nahen Zukunft die Land- erforderlich, müssen sie per Taxi in die Zulieferindustrie, mit Inflation, unzurei- wirtschaft noch der Haupterwerbszweig 12 km entfernte StadtLuduº gefahren wer- chenden Kreditbedingungen und eigener der Bevölkerung sein wird. Deshalb ist es den. Kapitalschwäche, mit veraltetem oder un- dort für den Fortbestand lebensfähiger Gegenwärtig sind nur noch 12 Häuser geeigneten bzw. nicht vorhandenen Ma- Dörfer und für deren Basis, der Landwirt- bewohnt. Die Einwohner sind nach ihrer schinenpark und mit dem Wegfall einer schaft, von großer Bedeutung, daß solche eigenen Aussage wenig motiviert, im Dorf Reihe von Sozialleistungen und Verwal- Betriebsgrößen entstehen, die ein effekti- zu verbleiben, da sie für den Ort keine tungsaufgaben, welche früher die land- ves Betreiben der Landwirtschaft ermög- Perspektive sehen und die Lebensbedin- wirtschaftlichen Genossenschaften oder lichen. gungen unerträglich sind. Einige der die Staatsgüter wahrgenommen haben. Dieser Prozeß wird sich nicht zwangs- Grundstücke werden gegenwärtig als Für die untersuchten Dörfer läßt sich läufig durchsetzen, und seine Verwirkli- Wochenend- und Sommeraufenthalt ge- verallgemeinernd herausstellen, daß die chung kann auch nicht den Bauern allein nutzt. Dies könnte für die Zukunft eine Entwicklung des ländlichen Raumes in überlassen werden. Hier ist der Staat ge- Möglichkeit sein, um das Fortbestehen der Phase des Übergangs zur Marktwirt- fordert, dessen Agrargesetzgebung Rah- des Dorfes zu gewährleisten. Wenn sich schaft von zwei Tendenzen bestimmt wird. menbedingungen schaffen muß, die es der die ökonomische Basis der Bewohner der Das sind zum einen die Privatbauern, die rumänischen Landwirtschaft ermöglichen, nahegelegenen Städte Iernut, Luduº oder auf den reprivatisierten, meist sehr kleinen ihre lange Tradition und Erfahrungen sinn- auch Turda stabilisiert, ist es denkbar, daß Flächen eine von Handarbeit geprägte ex- voll mit den durch den Systemwandel be- sich der auch aus anderen Ländern be- tensive Landwirtschaft (Subsistenzwirt- dingten neuen Handlungsspielräumen zu kannte Trend nach einem Sommerhaus schaft) betreiben, und zum anderen die kombinieren. durchsetzt und damit solche Orte wie Sî- Großbetriebe, die intensiv und marktori- niacob wieder interessant werden. Gegen- entiert produzieren. Der Wunsch, nicht wärtig spielt auch noch eine Rolle, daß die mehr in einer Genossenschaft oder einem Literatur Stadtbewohner durch das Betreiben einer Staatsbetrieb tätig zu sein, sondern indivi- Anuarul Statistic al României (1994). Buka- kleinen Subsistenzwirtschaft versuchen, duell zu wirtschaften, war in Rumänien rest. ihre Einkünfte etwas aufzubessern. Sie offensichtlich stärker ausgeprägt als in Anuarul Statisticc al Republicii Socialiste haben allerdings nicht die Absicht, im Ort anderen ost- und südosteuropäischen Re- România (1982, 1983, 1988). Bukarest. zu wohnen, bzw. werden diese Art der formstaaten (KLEIN & GÖRING 1995). Dies BADEA, L., et al. (Hrsg.) (1984): Geografia Landnutzung dann aufgeben, wenn sich hatte die beschriebene große Zersplitte- României. Bd. 1, Bukarest. die wirtschaftliche Lage gebessert hat. rung der landwirtschaftlichen Flächen und BENEDEK, J. (1994): Strategii de dezvoltare Insgesamt sind die Möglichkeiten für eine nahezu vollständige Auflösung der ruralului. Bukarest. die Zukunft des Dorfes doch eher unge- großen Stallanlagen zur Folge. Dadurch COCEAN, P., & V. SURD (1995): Die Entwick- wiß. Es besteht durchaus die Gefahr, daß sank der Umfang der landwirtschaftlichen lungsmuster der Landwirtschaft in Transsil- vanien und Maramures zwischen 1938 und Produktion und deren Effizienz. Das Stre- Sîniacob in absehbarer Zeit aufhört zu 1993. In: Südosteuropa Aktuell 19. S. 161- existieren. ben nach Verkleinerung der Betriebsein- 172. heiten ist in einer Zeit des harten Konkur- Grecu, F. (1992): Munþii Apuseni. Realizãri in Zusammenfassung und Ausblick renzkampfes innerhalb der europäischen Cercetarea Suprafeþelor de Eroziune. In: Wie bereits eingangs erwähnt, befand sich Landwirtschaft als verhängnisvoll und Studii ºi Cercetãri de Geografie. S. 91-98. Rumäniens Landwirtschaft zur Zeit des nicht dem allgemeinen Entwicklungstrend CUCU, V. (1977): Sistematizarea Teritoriului si Umsturzes 1989 bereits in einer schwieri- entsprechend anzusehen. Localitailor din . Bukarest. gen Lage. Das Sinken der Agrarprodukt- Die Kompliziertheit der zukünftigen GREGORI, I., & A. SCHASER (Hrsg.) (1993): ion hatte bereits vor dem Umsturz begon- Entwicklung des ländlichen Raumes be- Rumänien im Umbruch. Bochum. GRIMM, F. (1985): Rumänien. Landeskundli- nen, es war lediglich den geschönten Sta- steht darüberhinaus auch darin, daß durch cher Überblick. Leipzig. tistiken der Ceauescu- Zeit nicht so deut- die extrem zentralistische Siedlungshier- GRIMM, F. (1993): Rumänien und seine Regio- lich zu entnehmen. archie in der Ceauºescu-Ära und das oft nen. In: Europa Regional, 2, S. 12-21. Eine zusammenfassende Betrachtung willkürliche Zusammenfassen mehrer GROTHUSEN, K. 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14 EUROPA REGIONAL 3(1995)4