Medien Der Entscheidung 2016
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Repositorium für die Medienwissenschaft Rolf F. Nohr, Tobias Conradi, Florian Hoof u.a. (Hg.) Medien der Entscheidung 2016 https://doi.org/10.25969/mediarep/14842 Veröffentlichungsversion / published version Buch / book Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Nohr, Rolf F.; Conradi, Tobias; Hoof, Florian (Hg.): Medien der Entscheidung. Münster: LIT 2016 (Medien'welten. Braunschweiger Schriften zur Medienkultur 27). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14842. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: http://nuetzliche-bilder.de/bilder/wp-content/uploads/2020/09/ Conradi_Hoof_Nohr_MedienDerEntscheidung_Onlineausgabe.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung - Nicht kommerziell - Weitergabe unter Attribution - Non Commercial - Share Alike 3.0/ License. For more gleichen Bedingungen 3.0/ Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere information see: Auskünfte zu dieser Lizenz finden Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/ http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/ Tobias Conradi / Florian Hoof / Rolf F. Nohr (Hrsg.) Medien der Entscheidung Medien ’ Welten Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, herausgegeben von Rolf F. Nohr Band 27 Lit Verlag Münster/Hamburg/Berlin/London Lit Tobias Conradi / Florian Hoof / Rolf F. Nohr (Hrsg.) Medien der Entscheidung Lit Bucheinbandgestaltung: Tonia Wiatrowski / Rolf F. Nohr unter Verwendung eines Fotos von Florian Hoof Buchgestaltung: © Roberta Bergmann, Anne-Luise Janßen, Tonia Wiatrowski http://www.tatendrang-design.de Satz: Rolf F. Nohr Lektorat: Philippe Crackau © Lit Verlag Münster 2016 Grevener Straße / Fresnostraße 2 D-48159 Münster Tel. 0251-23 50 91 Fax 0251-23 19 72 e-Mail: [email protected] http://www.lit-verlag.de Chausseestr. 128 / 129 D-10115 Berlin Tel. 030-280 40 880 Fax o30-280 40 882 e-Mail: [email protected] http://www.lit-verlag.de/berlin/ Die Onlineausgabe dieses Buches ist deckungsgleich mit der 1. Auflage der Druckversion. Die Onlineausgabe ist lizenziert unter Creative Common (Namensnennung - Nicht-kommerzi- ell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0) Unported Lizenz.(http://creativecommons. org/licenses/by-nc-sa/3.0/deed.de) Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Gedruckt mit Mitteln der HBK Braunschweig ISBN 978-3-643-13548-3 Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Tobias Conradi, Florian Hoof, Rolf F. Nohr 7 Medien der Entscheidung – Einleitung Serjoscha Wiemer 23 Von der Matrix zum Milieu. Zur Transformation des Entscheidungsbegriffs zwischen homo oeconomicus und evolutionärer Auslese Martin Doll 47 Der Staat als automatisiertes Warenwirtschaftssystem: Edward Bellamys utopischer Ausblick auf volkswirtschaftliche Planbarkeit im Jahr 2000 Eva Schauerte 67 Von Delphi zu Hyperdelphi – mediale Praktiken des Beratens und die Entscheidung des Unentscheidbaren Kerstin Hoffmann 87 Das Entscheidungsblatt im Unternehmensplanspiel – Medium der Entscheidungshilfe oder einschränkender Entscheidungsrahmen? Florian Muhle / Josef Wehner 111 Algorithmus und Entscheidung. Anspruch und Empirie personalisierter Medienangebote im Internet Andreas Weich / Julius Othmer 131 Unentschieden? Subjektpositionen des (Nicht-)Entscheiders in Empfehlungssystemen am Beispiel von Amazon Inhaltsverzeichnis 5 151 Ralf Adelmann Modellierungen der Unentschlossenheit: Empfehlungssysteme als Kampfzone popkultureller Entscheidungsprozesse 171 Manuela Klaut Verfahren im Videotape 187 Alexander Zons Die Entscheidung des Films 209 Hartmut Winkler Don’t be a Maybe. Entscheidungslust, Entscheidungsdruck und Entscheidungsnot unter den Bedingungen der Moderne 227 AutorInnennachweis 231 Abbildungsnachweis 6 Inhaltsverzeichnis Tobias Conradi, Florian Hoof, Rolf F. Nohr Medien der Entscheidung – Einleitung Entscheidung als epistemologisches Feld Den Begriff der ›Entscheidung‹ aufzurufen führt »Choose life. Choose a job. Choose a career. fast zwangsläufig auch dazu, über den Status Choose a family. Choose a fucking big televi- des Subjekts und seine (Un-)Freiheit nachzu- sion. Choose washing machines, cars, com- denken. Die Freiheit zur Entscheidung wird ge- pact disc players and electrical tin open- meinhin (und manchmal eher intuitiv bis naiv) ers. Choose sitting on that couch watching mit der Fähigkeit des Menschen gleichgesetzt mind-numbing, spirit-crushing game shows, angesichts verschiedener Wahlmöglichkeiten stuffing fucking junk food into your mouth. eine bewusste Entscheidung treffen zu können. Choose rotting away in the end of it all, pis- So wird die Produktdiversifizierung schnell zum sing your last in a miserable home, nothing Synonym für Freiheit und die Produktwahl zum more than an embarrassment to the sel- sinnstiftenden Entscheidungsakt. Es bedarf an fish, fucked up brats you spawned to re- dieser Stelle aber nicht (nur) des ›Entscheidungs- place yourself. Choose your future. Choose verweigerers‹, wie Renton, einer der Protago- life... But why would I want to do a thing like nisten aus Irvine Welshs Trainspotting, um die that?« Fragwürdigkeit einer solchen Setzung aufzuzei- gen. Die vorgebliche Rationalität von Entscheid- Trainspotting, Irvine Welsh 1993, S.187 barkeiten, Entscheidungshandeln und Entschei- dungskonsequenzen wird auch durch einen Perspektivwechsel brüchig, der die Entscheidung nicht mehr als performanten Willensakt veranschlagt, sondern als symbolische Markierung für ein eher dif- fuses Feld von Handlungsakten und Prozessualitäten, denen erst ex post über die begriffliche Aufladung ›Entscheidungsfreude‹, Rationalität und Beherrsch- barkeit zugeschrieben wird. Entscheidungen sind paradox, so die Beobachtung Niklas Luhmanns. Ihm zufol- ge sind sie non-lineare Operationen, die einen Bruch zwischen zwei Zuständen markieren; das Entscheiden wird erst in der Rückschau zu dem logisch-rationalen Verfahren verklärt, als das es uns anmutet: Einleitung 7 »Von jeder Gegenwart aus wird die Vergangenheit als nicht mehr änderbar, die Zukunft dagegen als noch änderbar beobachtet. Komplementär dazu läßt die Entscheidung sich durch die Vergan- genheit nicht determinieren. Sie konstruiert die Alternativität ihrer Alternative unter dem Ge- sichtspunkt ›was sein könnte‹; und sie konstruiert sie in ihrer Gegenwart. Was künftige Gegen- warten betrifft, geht die Entscheidung aber davon aus, daß es einen Unterschied machen wird, ob und wie sie getroffen wird. Also: keine Bindung an die (nicht mehr änderbare) Vergangen- heit, wohl aber Selbstbindung in Richtung auf die (noch änderbare) Zukunft.« (Luhmann 1993, 291 ; Herv. i. O.) Der Akt des Entscheidens, das willkürliche »Draw a distinction« (Spencer- Brown 1972, 3) bezeichnet einen arbiträren Zeitpunkt, zu dem aus einer prin- zipiell unendlichen Anzahl an Wahl- und Verhaltensmöglichkeiten eine präfe- riert wird. Im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs hingegen werden Ent- scheidungen in den wenigsten Fällen (noch zumal unter der analytischen Per- spektive Luhmanns) als willkürlich und paradox aufgefasst. Ganz im Gegen- teil ist die Entscheidung hier ein wirkmächtiges Moment der Stillstellung und Festlegung. Ein kurzer etymologischer Abriss der Figur des Entscheidens deutet darauf hin, dass es sich dabei um eine grundlegende Tätigkeit handelt: Im Mittelhochdeut- schen verweist das Entscheiden ab dem 14. Jahrhundert auf den Richterspruch, der zunächst durch die Trennung und somit Bestimmung von Aussagen und Ansichten zur »richtigen Entscheidung« führen sollte (vgl. Kluge 2011, 249). Die ›Trennung‹ beinhaltet hierbei noch den älteren Wortstamm, das althochdeut- sche skeidan oder mittelhochdeutsche scheiden (ebd., 798), was wiederum den engen Zusammenhang zwischen der Unterscheidung und der Entscheidung be- glaubigt. Entschieden werden kann nur, was als getrennt, verschieden und in- sofern als Alternative betrachtet werden kann. Im heutigen Gebrauch des Terminus verweist die ›trennende Entscheidung‹ auf einen Prozess, der die Kontingenz und die Optionalität des Zukünftigen (vorgeblich) minimiert. Die Praxis des Entscheidens ist Teil und Grundlage wirkmächtiger Narrative und ausgeklügelter decision-environments. Ein epi- stemologisches Feld, das sich aus Ansätzen der Wahrscheinlichkeitstheorie, der mathematischen Spieltheorie, rational-choice-Ansätzen, Simulationstheo- rie oder Sozialpsychologie speist, konstituiert eine ›Rationalität der Entscheid- barkeit‹. Diese Rationalität kulminiert in der fast transzendent überhöhten, ursprünglich aus dem Repertoire des Industriemanagements entsprungenen Gestalt des ›Top-Entscheiders‹. Diese Figur, die Entscheidungen ›ohne zu zau- dern‹ fällt, für jede Konsequenz einzustehen verspricht und ihre Entschei- 8 Einleitung dungen gestützt auf einen ›Apparat des Faktenwissens‹ trifft, ist zu einem handlungsleitenden Motiv in vielen gesellschaftlichen Bereichen geworden – zumindest als Wunschkonstellation, die als Gegenentwurf zum intuitiv ent- scheidenden, ›von seinem Bauchgefühl‹ getriebenen Manager-als-Künstler-Ty- pus gelten mag. Zögern, Aufschieben, Nicht-Entscheiden werden mit neuen Begriffen, etwa dem des ›Prokrastinierens‹, pathologisiert. Entscheidungsfreudige werden zö- gerlichen, möglicherweise dem Müßiggang zugeneigten Charakteren vorge- zogen. Befeuert wird dieser Blick auf die Entscheidung nicht zuletzt durch das social engineering zeitgenössischer Unternehmensberatungen,