Intellektuelle Im Banne Des Ns.Pdf
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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus Karl Corino (Hrsg.). – 1. Aufl. – Hamburg: Hoffmann und Campe, 1980. (Bücher zur Sache) ISBN 3-455-01020-2 NE: Corino, Karl [Hrsg.] Copyright © 1980 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg Schutzumschlaggestaltung Jan Buchholz und Reni Hinsch Gesetzt aus der Aldus-Antiqua Satz Otto Gutfreund, Darmstadt Druck und Bindearbeiten Clausen & Bosse, Leck/Schleswig Printed in Germany Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader Inhalt Vorwort Eberhard Jäckel Hitler und die Deutschen Versuch einer geschichtlichen Erklärung 7 Karlheinz Deschner Michael Schmaus – einer statt vieler 26 Jürgen Schröder Benn in den dreissiger Jahren 48 Dietmar Polaczek Richard Strauss – Thema und Metamorphosen 61 Laszlo Glozer Plastik im Dienst des Grossdeutschen Reiches: Arno Breker 81 Werner Brede Institutionen von rechts gesehen: Arnold Gehlen 95 Franz Schönauer Der Schöngeist als Kollaborateur oder Wer war Friedrich Sieburg? 107 Hans Sarkowicz Zwischen Sympathie und Apologie: Der Schriftsteller Hans Grimm und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus 120 Harald Kaas Der faschistische Piccolo: Arnolt Bronnen 136 Karsten Witte Der barocke Faschist: Veit Harlan und seine Filme 150 Horst Koegler Vom Ausdruckstanz zum «Bewegungschor» des deutschen Volkes: Rudolf von Laban 165 Iring Fetscher Hans Freyer: Von der Soziologie als Kulturwissenschaft zum Angebot an den Faschismus 180 Gerhard Mauz Ernst Forsthoff und andere... 193 Günter Maschke Im Irrgarten Carl Schmitts 204 Nachwort Karl Corino 242 Vorwort Eberhard Jäckel Hitler und die Deutschen Versuch einer geschichtlichen Erklärung* Hitler und die Deutschen haben, als sie Zeitgenossen waren und zusammen Geschichte machten, einander nur selten bei ihren ei- gentlichen Namen genannt. Hitler redete sie zumeist nicht als «Deutsche» an, sondern als «Deutsche Volksgenossen und -genossinnen», und wenn er von ihnen sprach, bevorzugte er die Kollektivform der Einzahl und sagte «das deutsche Volk» oder «der Deutsche». Etwa: Der deutsche Junge muss «zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl» sein, oder: «Dem deutschen Soldaten ist nichts unmöglich.» Die Deutschen ihrerseits nannten ihn, auch wenn sie sich unter- einander mit «Heil Hitler» begrüssten, fast ausnahmslos den Führer, und die vorgeschriebene Anrede lautete «Mein Führer». Zutrau- lichere Bezeichnungen, wie viele Staatsmänner sie erhalten, waren durchaus unüblich, und es wäre ganz undenkbar gewesen, dass eine jubelnde Menge etwa «Adolf» gerufen hätte. Dies scheint ein eher unpersönliches Verhältnis anzudeuten. Ob Hitler und die Deutschen einander geliebt oder gefürchtet haben, was sie voneinander dachten, wie vor allem der eine aus ihnen her- vorging, das ist natürlich eine andere Frage, die in einer geschichtli- chen Erklärung eine Antwort finden mag. Was zunächst wiederum Hitler angeht, so wusste er zwar, wie er schon in seinem Buch «Mein Kampf» geschrieben hatte: «Das erste Fundament zur Bildung von Autorität bietet stets die Popularität.» * Vortrag vor der Historischen Gesellschaft Stuttgart im Grossen Sitzungs- saal des Rathauses am 15. Oktober 1979. 7 Aber ganz abgesehen davon, dass er den Satz sofort einschränkte und «in der Macht, in der Gewalt» die zweite Grundlage jeder Auto- rität erblickte, von ihm ist auch im Anflug kein Wort überliefert wie dasjenige, das die Grabstätte Napoleons ziert: «Ich wünsche, dass meine Asche am Ufer der Seine ruhen möge mitten unter dem Volk, das ich so geliebt habe.» Man muss sehr bezweifeln, dass Hitler die Deutschen geliebt hat, und übrigens wollte er nicht einmal an der Spree begraben sein, sondern in Linz an der Donau. So wie Alexander der Grosse kein Grieche, Napoleon kein Fran- zose, Stalin kein Russe war, so kam auch Hitler von aussen, von ausserhalb jedenfalls der Grenzen des kleindeutschen Nationalstaa- tes, und er konnte von den Deutschen so distanziert sprechen, als gehöre er nicht eigentlich zu ihnen. «Da bin ich auch hier eiskalt», sagte er im Krieg in einer Bemerkung bei Tische, «wenn das deut- sche Volk nicht bereit ist, für seine Selbsterhaltung sich einzusetzen, ganz gut: dann soll es verschwinden.» Derartiges sagte er sogar in öffent- licher Rede, etwa im Dezember 1940 vor Offiziersanwärtern: Wenn es seinen Lebensanspruch nicht durchsetzen kann, «dann wird die- ses Volk vergehen», und er werde ihm dann, so fügte er bei anderer Gelegenheit hinzu, «keine Träne nachweinen». Gewiss wollte er Deutschland gross machen, grösser als es je in der Geschichte gewesen war. Aber er scheute sich nicht zu sagen, es ginge darum, das deutsche Volk «zur Grösse zu zwingen». Auf die Deutschen als Einzelne, auf ihr Wohl und ihr Glück kam es ihm dabei weniger an als auf das deutsche Blut, das er kalten Herzens vergoss, um das Land auszudehnen. Die Deutschen hingegen haben ihn eher geliebt als gefürchtet. Auch wenn wir die Allgemeinheit dieser Aussage natürlich nachprü- fen müssen und es sogleich tun werden, so viel ist unbestreitbar: Gezweifelt, gestöhnt und aufbegehrt wie unter einem Tyrannen haben die Deutschen unter Hitler nicht. Von aussen hat man ihn ihnen wegnehmen müssen, und erst dann, dann allerdings sofort, war der Bann gelöst, der sie über zwölf Jahre aneinandergebunden hatte. Vielleicht bezeichnet kaum etwas das Verhältnis der Deutschen zu Hitler so treffend wie eine Redensart, die in jener Zeit umging und 8 die lautete: «Wenn das der Führer wüsste!» Anwendbar und ange- wendet gleichermassen auf die kleinen Widrigkeiten des täglichen Lebens wie auf die grossen Schrecken des Regimes, enthob sie den Führer, der sich doch nicht um alles kümmern konnte, der Verant- wortung im Einzelnen und erhob ihn zugleich auf den Rang einer Unantastbarkeit. Ich gebe dafür ein dokumentarisches Beispiel. Als zu Anfang des Krieges die Geisteskranken zu Zehntausenden getötet wurden, da schrieb im November 1940 eine Kreisfrauenschaftsführerin, also gewiss keine Gegnerin des Regimes, an die Frau des Obersten Richters der NSDAP: «Jetzt klammern die Menschen sich noch an die Hoffnung, dass der Führer um diese Dinge nicht weiss, nicht wissen könne, sonst würde er dagegen einschreiten.» Und weiter: «Die Sache muss vor das Ohr des Führers gebracht werden, ehe es zu spät ist, und es muss doch einen Weg geben, auf dem die Stimme des deutschen Volkes das Ohr seines Führers erreicht!» Doppelte Täuschung! Hitler wusste natürlich, was da vor sein Ohr gebracht werden sollte. Es kam ja aus seinem Munde und war sein Befehl. Weit wichtiger aber noch: nicht nur erreichte ihn auch das Entsetzen des Volkes, er erhörte es sogar, nahm den Befehl zurück und liess die Aktion beenden. Ganz allgemein überhaupt beruhte das Verhältnis der Deutschen zu Hitler auf Täuschung, auf bewusster Täuschung von seiner und auf Selbsttäuschung von ihrer Seite. Er verheimlichte ihnen seine Pläne, obwohl er genau wusste, was er wollte, und sie erkannten ihn nicht einmal dann als den Urheber, wenn er seine Absichten in die Tat umsetzte. Sie vergalten ihm seine Täuschung mit Vertrauen und vertrauten selbst im schlimmsten noch darauf, nicht sie würden getäuscht, sondern er. Am Anfang allerdings war er ganz offen gewesen. In den zwanzi- ger Jahren hatte er immer wieder gesagt und geschrieben, dass ein neuer Krieg geführt werden müsse, um für Deutschland Lebensraum zu erobern, und er hatte auf das Genaueste die innen- und aussenpo- litischen Massnahmen genannt, die zur Vorbereitung erforderlich seien. Er hatte immer wieder gesagt und geschrieben, dass die Juden entfernt werden müssten, und hatte hinzugefügt, ein solcher Vor- 9 gang sei und bleibe «aber ein blutiger». Sogar das Giftgas hatte er in diesem Zusammenhang erwähnt, und dies alles in seinem Buch «Mein Kampf», das schon vor 1933 in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet war. Ebenso unzweifelhaft aber ist, dass die Deutschen ihm die Herr- schaft nicht zur Durchführung dieses Programms übertrugen. Späte- stens seit den denkwürdigen Reichstagswahlen vom September 1930, als erstmals so viele Deutsche für ihn stimmten, dass seine Kanzler- schaft in greifbare Nähe rückte, spätestens seitdem hat Hitler die Deutschen und die Welt getäuscht. Von seinen Kriegsplänen musste er schon allein deswegen in der Öffentlichkeit schweigen, um die Gegner nicht zu warnen. Dies wiederum kann nun freilich nicht heissen, dass die Deut- schen ganz ahnungslos waren. Dass mit der pluralistischen Parteien- demokratie Schluss sein und an ihre Stelle eine straffe Alleinherr- schaft – treten würde, das wussten die Deutschen nicht nur, das woll- ten diejenigen auch, die für ihn stimmten. Und dass er ein Feind der Juden war, das wussten sie auch und nahmen es zumindest in Kauf, wenn sie es nicht geradezu billigten. Wie Hitler an die Macht kam, ist eine äusserst umstrittene und verwickelte Sache, auf die wir noch zurückkommen werden. Wie- viele Deutsche für ihn stimmten, ist dagegen einfach und schnell zu sagen. Ungefähr jeder dritte Deutsche, der zur Wahl ging, hat Hitler mindestens einmal seine Stimme gegeben. Ein Drittel, nicht mehr und nicht weniger. Selbst als er schon an der Macht war, in den Märzwahlen des Jahres 1933, die nicht mehr frei waren und doch noch andere Möglichkeiten liessen, stimmten weit mehr als die Hälfte aller Deutschen nicht für Hitler. Wie sie danach zu ihm standen, ist in Zahlen natürlich nicht mehr zu fassen. Zwar wurden gelegentlich Volksabstimmungen veranstal- tet, aber ausser zwischen Ja und Nein gab es nichts mehr zu wählen. Auch die amtlich verkündeten Wahlergebnisse, die anfangs an ein- zelnen Orten noch bis zu einem Viertel