Per Bahn auf die oder gar aufs Faulhorn?

Autor(en): Werren Regula / Werren, Peter

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 276 (2003)

PDF erstellt am: 24.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-656780

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http://www.e-periodica.ch PETER UND REGULA WERREN

Per Bahn auf die Grosse Scheidegg oder gar aufs Faulhorn?

Die Höhenwanderung von der Schynige Gletschern übte eine starke Anziehungskraft aus. Platte via Faulhorn nach der First gehört heute Berühmte Landschaftsmaler, Künstler und zu den beliebten Klassikern bei Wanderfreun- Schriftsteller hielten die einzigartige Natur- den. Der liebliche Bachsee und das Faulhorn Schönheit in ihren Werken fest und verbreiteten mit seinem grandiosen Rundblick - einem so ihren Ruf weit in die Welt hinaus. Die Indus- der schönsten im ganzen Berner Oberland - trialisierung und das Aufkommen der Eisenbah- locken jährlich Scharen von Wanderlustigen in nen begünstigten die Entwicklung des Reisever- diese weitgehend noch unberührte Gegend. kehrs, indem die Reisezeiten kürzer und das Rei- Die wenigsten dieser Leute sind sich bewusst, sen erschwinglicher wurde. In der Folge ent- dass vor hundert Jahren beinahe eine Eisen- stand überall eine grosse «Eisenbahneuphorie» bahn auf den Faulhorngipfel gebaut worden und damit auch ein Wettlauf zur «Eroberung» wäre. Ebenso war eine Bahnverbindung zwi- des Faulhorns und der Grossen Scheidegg mit sehen und geplant. einer Bergbahn. Heute beinahe eine unvorstellbare Idee, aber Bahnpioniere und Geschäftsleute bemerkten damals war sie gar nicht so abwegig. gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf der Ei- senbahnkarte im Berner Oberland eine Verbin- dungslücke zwischen Meiringen und Grindel- Wie es

123 das Faulhorn. Die Ini- tianten behaupteten, dass eine solche Bahn- Verbindung für die um- liegende Bevölkerung eine dringende Not- wendigkeit sei und dem allgemeinen Ver- kehrsbedürfnis ent- spreche. Zuerst reichte Elias Flotron ein neues Zahnradbahnprojekt ein. Er wollte in erster Linie eine Touristen- bahn bauen, «um die Schaulust des fremden reisenden Publikums zu befriedigen». Es waren wohl auch wirt- schaftliche Interessen Projekt der «Station Faulhorn» von Hetzel und Fischer dabei, denn Flotron war Hotelier, Baumeis- ter und Bahnbauer. die Projektarbeiten bald stillgelegt. Nach der Zusammen mit ihm versprachen sich Meirin- Eröffnung der Brtinigbahnstrecke Alpnach— ger Geschäftsleute zusätzliche Touristenbesu- Meiringen-Brienz 1888 entstanden auch im che und eventuell sogar mehrere neue Hotel- Haslital, zumindest auf dem Papier, etliche bauten entlang der Strecke. Die projektierte Bahnprojekte. Elias Flotron, Hotelier in Schat- Bahnlinie führt vom Bahnhof Meiringen aus tenhalb, erhielt 1897 zusammen mit dem und überwindet den steilen Eingang in das Financier Franz Josef Bucher aus Luzern die Reichenbachtal in zwei Kurven, wobei sie Konzession für den Bau und Betrieb einer zweimal den Reichenbach überquert, das erste Zahnradbahn Meiringen-Grosse Scheidegg- Mal dicht beim grossen Wasserfall. Dort soll- Grindelwald. Ein von der Dorfgemeinde Mei- te, in der Nähe der 1899 eröffneten Drahtseil- ringen eingereichtes Projekt wurde in Bern bahn, eine zusätzliche Bahnstation entstehen. mit der Begründung nicht berücksichtigt, die Die Linie führt weiter der Strasse entlang ins Meiringer beabsichtigten bloss die Durchkreu- Gschwandtenmaad, verlässt ab der grossen, zung des Projektes Flotron und Bucher. Wegen ebenen, von dunklen Tannenwäldern und im- grosser Streitigkeiten der beiden Männer um posanten Felsen umgebenen Weidfläche den die Drahtseilbahn zum Reichenbachfall bei S aumweg und steigt rechts an den Hängen des Meiringen, seit 1899 in Betrieb, geriet das kon- Schwarzhorns empor. Das Projekt vermeidet zessionierte Scheideggbahnprojekt ins Stocken. den direkten Einbezug des Faulhorngipfels in die Linienführung, doch sollte eine Station am idyllischen Bachsee entstehen. /Ve«e ßa/mproy'ete Der Ingenieur Hetzel und der Financier Fi- scher, beide aus Basel, sahen den Bau einer In den Jahren 1904/05 entstanden zwei neue Transitbahn, einer direkten Verbindung zwi- Bahnprojekte um die Grosse Scheidegg und sehen Grindelwald und Meiringen mit einer

124 Abzweigung zum Faulhorn, vor. Bereits Überwindung der grossen Höhendifferenz den 1830-32 war auf dem Faulhorn das höchstge- Einbau einer Standseilbahn vor. Mit einer an- legene Gasthaus in den Alpen erbaut worden. schliessenden Schmalspurbahn sollte die Ver- Es war ein solides Steingebäude, doch die ein- bindung zur Schynige-Platte-Bahn, eröffnet fachen Unterkünfte lagen laut dem Baedecker- 1893, hergestellt werden. Es war sogar die Re- Reiseführer von 1859 weit hinter denjenigen de von einer weiteren Abzweigung via Tschin- der Rigi zurück. Zu Fuss, auf Maultieren, gelfeld über Axalp hinab zum Hotel Giess- Pferden oder in Sänften stieg, ritt oder schau- bach. kelte damals die illustre Touristenschar trotz- dem Jahr für Jahr auf den Gipfel. Ein Pferd von Grindelwald aufs Faulhorn kostete 1908 Para/Ze/ôa/î/î z'n Grz'«

125 WETTBEWERB Bedeutende Schweizerinnen und Schweizer nahmen und auf Grund der Widrigkeiten not- gedrungen ein gemeinsames «Initiativ- Arthur Honegger Comité» gründeten. ist als Schweizer 1892 in Le Havre geboren und in Paris 1955 gestorben. Unter den Komponis- Die ten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt er eine bedeutende indem Stellung ein, Die vereinigten Initianten reichten bald da- er deutsches und französisches Kulturerbe rauf zwei Konzessionsgesuche ein: für eine fruchtbar zur Verschmelzung brachte. König Scheideggbahn und für eine Faulhornbahn. David, Judith und Johanna auf dem Scheiter- 1907 stimmten Stände- und Nationalrat den häufen sind seine bekanntesten Werke. Konzessionen zu. Die Bahnprojekte hatten ein etwas geändertes Aussehen. Anders als bisher S/ehe Weffbewerbsfragen auf Se/te S3. bestand das Projekt der Scheideggbahn aus ei- ner reine Adhäsionsbahn. Ähnlich wie bei den punkt dieser Bahn zu den beiden Scheidegg- Alpenbahnstrecken am Gotthard und Lötsch- bahnprojekten lag darin, dass die Strecke zwi- berg war vorgesehen, die beidseitigen Anstiege sehen Bahnhof und Oberem Gletscher genau bis zur Passhöhe durch Kehrschleifen und identisch verlaufen sollte. Kehrtunnels zu überwinden. Bei einer Stre- ckenlänge von 51 Kilometern wäre der Fahr- preis 2. Klasse für die einfache Strecke auf Die Einigung stattliche Fr 21.- zu stehen gekommen. Das Faulhornbahnprojekt erhielt im Bewilligungs- Um die durch Bundesbern zu vergebende verfahren einen grossen Abstrich. Gemäss der Bahnkonzession entbrannte zwischen den Empfehlung des Bundesrates, der Strecke Faul- Initianten ein heftiges Seilziehen. Mit Briefen horn bis Schynige Platte die Zustimmung zu und Plänen versuchte jeder, die Konzessions- verweigern, erteilten die Eidgenössischen Räte vergäbe zu seinen Gunsten zu beeinflussen. der Faulhornbahn lediglich die Konzession für Doch es herrschte nicht überall Freude über den Abschnitt Grosse Scheidegg bis Faulhorn. die Bahnprojekte. Zunehmend meldeten Priva- te und Interessengemeinschaften, vorab die Bernische Vereinigung für Heimatschutz, Be- Das £We Jes 7"rawms denken an über die drohende Verbauung der Alpenwelt mit Bahnen. Der schönen unberühr- Ab dann wurde es ruhiger um die beiden ten Natur sollten nicht spekulative Hotel- und Bahnprojekte. Einerseits waren im Berner Bahnprojekte aufgezwungen werden, die bei Oberland bereits etliche Bergbahnen in Betrieb, einem mit Sicherheit eintretenden späteren die Konkurrenz grösser, die Finanzierung Abklingen des Booms nicht mehr rückgängig schwieriger, die Aussicht auf Rendite kleiner, zu machen wären. Auch das Ausland verfolgte und andererseits eroberten die Postautomobile die vielen Bahnprojekte mit Skepsis. In Lon- über neue Passstrassen die Alpenregion. Ganz don wurde Ende 1905 sogar eine «Gesell- verschwand die Bahnidee indes selbst in der schaft zum Schutz der schweizerischen Natur- Zeit des Ersten Weltkriegs nicht, denn Jahr um Schönheiten» gegründet. Kein Wunder also, Jahr ersuchten die beiden Gesellschaften um dass die Initianten es nicht leicht hatten, die eine Fristverlängerung für die Konzession Konzessionshürde zu nehmen, und sich Sor- der Scheidegg- und Faulhornbahn. Schliess- gen zu machen begannen, ob überhaupt eines lieh endete in den Zwanzigerjahren mit dem ihrer Projekte es schaffen würde. So lag es auf Auslaufen der Konzessionen der Bahntraum der Hand, dass sie miteinander Kontakt auf- «Grosse Scheidegg und Faulhorn».

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