Konzert Herzogsägmühle 6
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Klassik Heute E m p f e h l u n g Künstlerische Qualität: Klangqualität: Gesamteindruck: Besprechung: 22.08.19 Sonus Eterna 37423 1 CD • 62min • 2019 ↓ Werke und Interpreten ↓ Bestellen bei jpc Am 25. August wäre der in Illinois geborene Gordon Sherwood 90 Jahre alt geworden. Der einstige Student von Philipp Jarnach, Aaron Copland und Goffredo Petrassi wurde in späten Jahren hierzulande populär durch den berührenden Dokumentarfilm ‚Der Bettler von Paris‘, der den einmaligen Lebensstil des komponierenden Weltenbummlers nachzeichnet, der sich nach indischem Yogi-Vorbild mit Betteln das bescheidene Geld verdiente, um in der übrigen Zeit kreativ tätig sein zu können, wofür er auf seinen Reisen Inspiration empfing. Er wäre allerdings wohl bitter verarmt verstorben, hätte er nicht die Pianistin Masha Dimitrieva kennengelernt, für die er sein Klavierkonzert schrieb und die sich um ihn kümmerte. Als er 2013 in der bayerischen Provinz starb, hinterließ er ihr seinen musikalischen Nachlass, welchen sie seither mit Hingabe pflegt – ein Glücksfall auch insofern, als sie eine hervorragende Pianistin und Musikerin ist. Nach einer ersten Folge von Klavier-Solowerken hat sich Masha Dimitrieva nun mit der Sopranistin Felicitas Breest zusammengetan, um eine erste Folge der kompletten Klavierlieder Sherwoods einzuspielen, die der Komponist sämtlich auf eigene Texte setzte. Diese Texte weisen ihn als so außergewöhnlich begabten wie auch vielseitigen und den Zeitgeist mit leichter Hand erfassenden Lyriker aus – so vielseitig und scheinbar komplett mühelos wie auch als Komponist. Sherwood war einerseits ein Chamäleon, konnte in jedem beliebigen Stil mit vollendeter Meisterschaft schreiben. Andererseits, und das ist noch erstaunlicher und singulär in dieser Kombination, hat er doch auch einen Personalstil, der mit bestehender Natürlichkeit und Beredtheit durch alles hindurchscheint. Sherwood war, gerade auch in den kleinen Formen und Besetzungen, ein großer, massiv unterschätzter Komponist, der aus jedem Material etwas Substanzielles und Anregendes schaffen konnte. Die vier hier aufgenommenen Liederzyklen entstanden zwischen 1967 und 1976 und sind bei aller Sophistication zugleich so eingängig wie die Songs der großen Pop-Songwriter jener Zeit. Ein frappierendes Phänomen der Verbindung der Kulturen! Felicitas Breest hat ihrer Stimme Natürlichkeit und Zerbrechlichkeit bewahrt. Am besten ist sie in den populären Idiomen, also in den herrlich karikierenden Six Songs for Women’s Fashion of the 1960s op. 53, die die verwirrende Tour de Force durch die widersprüchlichen Moden im mit keuscher Musik konterkarierenden Topless Bathing Suit gipfeln lassen und danach augenzwinkernd einen fiktiven ‚Mixi‘-Stil propagieren, und in den Five Blues Songs op. 60 von 1976 (beide Zyklen entstanden in Kenia). Wie Felicitas Breest die Blues Songs in all ihrer zauberischen Wunderlichkeit und niemals lärmenden Ekstase erblühen lässt, das dürfte schwerlich nachzuahmen sein. Masha Dimitrieva begleitet diese populären Songs mit besonderer stilistischer Anpassungsfähigkeit. Sie ist am meisten in den ernsteren, dunkleren (und hier: früheren) Liedern zuhause, also den Five Love Songs op. 24 (komponiert 1967 nach Abschluss des Studiums bei Petrassi in Rom) und den besonders tristen Five Songs for the Winter op. 30 (komponiert 1968 in Beirut, wo es wohl eher nicht so kalt war, aber es geht hier nicht weniger um seelische Kälte und Zurückweisung!). Der Winter Wind daraus, endend mit dem Tod des Protagonisten, klingt wie eine Hommage an Schuberts Erlkönig, das beschließende Retrospect gehört zu den berührendsten Liedern einer ganzen Epoche. Besondere Erwähnung verdient, wie Masha Dimitrieva weit über eine klassische Begleitfunktion hinaus das polyphone Geschehen, auch in seinen unauffälligsten Schattierungen, lebendig hält und überall mit Leben erfüllt, ohne in die Verlegenheit zu geraten, in Extravaganzen abzugleiten. Das ist bewusstes Gestalten.Sherwoods Musik ist, wie experimentierfreudig sein Geist auch war, stets (erweitert oder traditionell) tonal und unmittelbar kommunizierend. Der Hörer nimmt an einem Prozess teil, der voller Überraschungen steckt, die keiner außermusikalischen Mittel und keiner Schockeffekte bedürfen, sondern dem natürlichen Ausdrucksbedürfnis eines Künstlers entspringen, der in der ganzen Welt und all’ ihren Ausdrucksformen zuhause ist und dabei keinen Bruchteil seiner kindlichen Entdeckerfreude eingebüßt hat: immer frisch, nie eindimensional, unergründlich musikalisch. Dem werden die Aufführenden mit immenser Hingabe und feinfühliger Intensität gerecht, und eine fein balancierte Aufnahmetechnik sowie ein ansprechender Booklettext ergänzen das ansprechende, anregende Bild. Abgesehen von ein paar Druckfehlern bei den abgedruckten Liedtexten hätte lediglich das Backcoverfoto der beiden Musikerinnen denn doch ein größeres als Briefmarken-Format verdient, zumal auch hier nichts zu verstecken wäre. Christoph Schlüren [22.08.2019] .