„Seine Zelibatspolemik Wird Ihm Keine Rosen Bringen ...“
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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg KARL-HEINZ BRAUN „Seine Zelibatspolemik wird ihm keine Rosen bringen ...“ Zum Freiburger Moraltheologen Heinrich Schreiber und seinen Kollegen in der Theologischen Fakultät Originalbeitrag erschienen in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins Schau-ins-Land 116 (1997), S. 207 - 225 „Seine Zelibatspolemik wird ihm keine Rosen bringen ... 4 4 Zum Freiburger Moraltheologen Heinrich Schreiber und seinen Kollegen in der Theologischen Fakultät Von KARL-HEINZ BRAUN „Seine Zelibatspolemik wird ihm keine Rosen bringen, sie wurde selbst in Carlsruhe nicht gut aufgenommen; auf jeden Fall war sie unklug und nicht zeit gemäß, allein die Herren Gelehrten wollen coüte qui coüte Aufsehen erregen und kümmern sich weni- ger um Wißenschaft als um dergleichen Albemheiten." 1 So der ehemalige österrei- chische Diplomat Johann Philipp von Wessenberg an seinen Bruder Ignaz Heinrich, den ehemaligen Generalvikar und Bistumsverweser von Konstanz. Beide waren früh in wichtige Ämter des Staates und der Kirche gelangt und — gemessen an ihrem Alter — ebenso früh von diesen enthoben worden. Sie hatten nun nach ihrer Pensio- nierung nicht nur Zeit und Muße, ihre Zeitgenossen kritisch zu beobachten, sie be- saßen mehr noch als diese eine erstaunliche Kompetenz im Umgang mit den meisten Problemen der Zeit. Was Johann Philipp von Wessenberg hier 1834 zeichnet, ist keineswegs ein Gen- rebild ultramontaner Kunst, welche die eigentliche Problematik in den Hintergrund drängt, um die peripheren Farben zur vordergründigen Thematik werden zu lassen; etwa so als ginge es den gegen herrschende kirchliche Sitten und Gepflogenheiten Vorgehenden gar nicht um eine echte Reform, sondern nur um deren eigene Proble- matik, welche sich als Wichtigtuerei und Angeberei manifestiere. 2 Nein, eine solch moralisierende Fassung bietet der aufgeklärte Wessenberg nicht. Seiner Meinung nach hätte Schreiber wissen können und müssen, in welche Komplikationen er sich mit seiner Zölibatskritik hineinbegab. Und schließlich: Viel Lärm um Nichts, zumin- dest um keine wissenschaftlich zu eruierende Streitfrage, so dachte der gut verheira- tete Freiherr. 3 Heinrich Schreiber war den Wessenbergs kein Unbekannter. Seine Eltern, Joseph und Veronica, geborene Koenig 4 waren Bedienstete im Hause Wessenberg gewesen. 5 Als Heinrich 1793 in Freiburg geboren wurde, waren Johann Philipp und Ignaz Heinrich von Wessenberg etwa 19 bzw. 18 Jahre alt. 6 Man wußte voneinander und kannte sich, aber die Wege verliefen bei jeder dieser Persönlichkeiten anders. Bei Schreiber war ein ausführlicher Bildungsweg nicht ins Stammbuch geschrieben. Er fiel jedoch in der Normalschule „durch seine Fähigkeiten und Fleiß” auf, so daß der Vater von den Lehrern gedrängt wurde, den Sohn studieren zu lassen. 7 So besuchte dieser das Freiburger Gymnasium und ab Herbst 1808 die Universität. Die nötige fi- nanzielle Unterstützung erhielt er durch zwei Stipendien, das eine aus der Familien- 207 stiftung Held, das andere aus dem Stiftungsvermögen des Sapienzkollegs, zum einen, weil er bessere Zeugnisse als seine 17 Freiburger Mitbewerber aufweisen konnte, und zum andern, weil der Hungerlohn des Vaters und die Kränklichkeit der Mutter die Lage ohnehin „ganz prekär" erscheinen ließen. 8 In den Kommissionen, welche die Stipendien vergaben, finden sich Namen wie Karl von Rotteck 9, Ferdi- nand Wanker, Moraltheologe und damals (1810) Dekan der Theologischen Fakul- tät'° sowie Thaddäus Rinderle, ein säkularisierter Benediktiner von St. Peter, der als Mathematikprofessorll damals Dekan der philosophischen Fakultät war. 12 Solchen Professoren erschien der junge Mann förderungswürdig. Auch noch als Seminarist im Meersburger Priesterseminar 13 erhielt er das Sapienzstipendium mit der Begrün- dung: „Schreiber hat sich in Sitten und Studium immer rühmlich ausgezeichnet." Nicht nur Wanker, auch Professor Bernhard Boll, der spätere Freiburger Erzbischof 14 und Kontrahent von Schreiber, zeigte sich mit dieser Beurteilung „ganz einverstan- den". 15 Die Freiburger Theologische Fakultät zu Beginn des 19. Jahrhunderts Als Schreiber das Studium an der Freiburger Universität begann, befand sich diese in einer ähnlichen Umbruchssituation, wie sie im politisch-gesellschaftlichen und kirchlich-strukturellen Bereich deutlich geworden war. Dieser waren im vorderöster- reichischen Freiburg seit Maria Theresia Jahrzehnte „ständiger Umänderungen und Reformen" 16 vorausgegangen. In ihnen sollte ein Terrain geschaffen werden, in dem, aufgeklärtes Gedankengut zum geistigen Instrumentarium des ganzen Lebens wer- den konnte. Besonders wichtig war dabei die Ausbildung der Geistlichen, zumal sie als Garanten der gottgefälligen Ordnung Multiplikatoren jener staatlichen Auffas- sung sein sollten, von deren Realisierung man das Staats- und Gemeinwohl abhän- gig ansah. In Freiburg blühte noch jenes Bemühen um „eine kritisch rationale Un- tersuchung des tradierten Materials und damit eine ganz neue und viel Gewohntes umstürzende wissenschaftliche Methode bei der Behandlung historischer Begeben- heiten". 17 Wie damals üblich, begann Schreiber sein Studium mit dem zweijährigen Kursus für Philosophie (1808). Hier hörte er den ehemaligen Jesuiten und späteren Salemer Zisterzienser, den schon erwähnten Bernhard Boll. Nach der Säkularisation war die- ser als Professor der Philosophie an die Freiburger Universität gekommen, welche ihn dann 1809 als Münsterpfarrer präsentierte. Schreiber schildert diesen in seiner 1847/48 verfaßten Autobiographie als nachlässigen, wenig kompetenten Lehrer, der sich den „Anstrich von Freisinnigkeit" gegeben habe. 18 „Mit Nutzen" 19 dagegen hörte er den vormaligen Heidelberger Professor Jakob Schmitt, dessen Freidenker- tum sich an der Philosophie Kants orientierte. 20 Am meisten beeindruckte ihn Karl von Rotteck. Dieser habe ihn „zum eigenen Nachdenken" 21 angeregt und überhaupt eine Liebe zum fleißigen und konzentrierten Studium vermittelt. Nach der Philosophie begann er mit dem Studium der Theologie. Rückblickend schreibt er, „sein Mangel an Welt- und Menschenkenntniß" 22 hätte ihn ebenso dazu bewogen wie die Vorstellung, dadurch rasch die Familie aus der Armut herauszu- führen. 23 An der theologischen Fakultät hatte sich das aufgeklärte Denken bewahren 208 können. Schreibers Lehrer bieten eine gute Illustration dafür, sie fanden jedoch in Schreibers Selbstbiographie keineswegs ein ihren wissenschaftlichen Bemühungen gerecht werdendes Urteil. Johann Leonhard Hug 24 galt für ihn als „gelehrt" und „geistreich", 25 seine Vorlesungen ließen den jungen Schreiber aber „kalt und schlä- ferten ein". 26 Und dennoch verdankte er diesem nüchternen Gelehrten, an den er als junger Student vergeblich herankam, seine spätere Fähigkeit zur Kritik. Wanker da- gegen liebte er als „eigentlichen Mittelpunkt, den sittlichen Schwerpunkt der theolo- gischen Facultät". 27 Der Dogmatiker Schnappinger langweilte ihn, da er „sein latei- nisches Heft mit Komma und Semikolon immer wieder aufs Neue zu dictieren und jeden Satz zuerst wörtlich und sodann gutdeutsch zu übersetzen" 28 pflegte. Beim Kirchenhistoriker Joseph Anton Schinzinger besaß sogar jeder Student dessen Kol- legheft — „schon wegen der Prüfung". 29 Schreibers Interesse ging schon damals über das Theologiestudium hinaus. So be- schäftigte er sich mit natur- und humanwissenschaftlichen Studien im weitesten Sinn,30 auch der Dichter Johann Georg Jacobi beeindruckte ihn. 31 Schreiber schloß sein Studium mit Auszeichnung ab. Für sein späteres Wirken an der theologischen Fakultät scheint mir diese aufgeklärte Professorenschaft fermen- tierend fruchtbar gewesen zu sein, so sehr er diese — besonders die Theologen — spä- ter von der Warte des über sie Hinausgewachsenen aus abwertet. Fast hätte sein Weg zum Priestertum eine Wende erhalten, wenn ihm, wie er vorgibt, 32 ein Mädchen, zu welchem er „in den bittersüßen Zauber einer stillen Anbetung" 33 entflammt war, Be- achtung geschenkt hätte. Doch nichts dergleichen. Sein dreijähriges Theologiestudium führte ihn — kaum 20 Jahre alt — 1814 schließ- lich ins Meersburger Priesterseminar. 34 Die Mutter, für ihn ursprünglich ein primärer Grund, Priester zu werden, war knapp drei Jahre vorher, 1811, gestorben, und seine Schwester, Anna Xaveria Josepha, war gerade dabei, sich für den Lehrberuf vorzu- bereiten. Warum er ins Priesterseminar eintrat? Wir wissen es nicht. Geschätzt hat er es jedenfalls nicht, von Wessenbergs positiv gewürdigten Reformbemühungen ein- mal abgesehen. Dabei hatte er noch das Glück gehabt, mit dem alten Konstanzer Fürstbischof von Dalberg 35 und dem Erfinder des tierischen Magnetismus Dr. Franz Anton Mesmer 36 in Kontakt gekommen zu sein. Gemeinsames mit diesen Persön- lichkeiten fand Schreiber nicht etwa in der Theologie, sondern im weiten Umkreis der Naturphilosophie, welche chemische und physikalische Gesetzmäßigkeiten un- tersuchte und auf deren Bedeutung für das Leben überhaupt anzuwenden trachtete.37 Besonders unverständlich erschien Schreiber die Haltung des Meersburger Kaplans, der dem sterbenden Mesmer bei der „ohnehin nur bedingten Absolution" die Worte „si dignus es" nicht habe beifügen wollen, weil dieser sich angeblich „oft als Natu- ralist geäußert habe". 38 Bis er das zur Priesterweihe notwendige Alter erreicht hatte, verdiente er in Frei- burg seinen Lebensunterhalt mit Hilfsarbeiten in der Universitätsbibliothek und mit Redaktionsarbeiten beim Freiburger Wochenblatt. Allein und ohne Verwandten rei- ste er im September 1815 in die ehemalige Klosterbasilika nach Weingarten,