Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

KARL-HEINZ BRAUN

Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

Originalbeitrag erschienen in: Achim Aurnhammer (Hrsg.): Poeten und Professoren: eine Literaturgeschichte Freiburg in Porträts. Freiburg: Rombach, 2009, S. 169-191 Karl-Heinz Braun

Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

Spätaufklärer, eine gemeinsame Charakteristik. Sie erschließt eine Geistes- verwandtschaft als Verbundenheit beider, als beachtliche Schnittmenge ihres Denkens und Auftretens, die jedoch ihre Grenzen durch persönliche Zu- gangsweisen konturiert. Beide Persönlichkeiten gehören zur Geschichte der Freiburger Universität. Beide erlangten von ihr die Doktorwürde; Heinrich Schreiber durch die Philosophische Fakultät 1821 und 1829 den theologischen Doktor wegen seiner aufgeklärten theologischen Wissenschaftlichkeit. Seine philosophi- sche Habilitation war noch im gleichen Jahr seiner Promotion 1821 ge- schehen.' Ignaz Heinrich von Wessenberg hatte den theologischen Doktor ehrenhalber 1815 erhalten. 2 Schreiber gehörte der Universität als akade- mischer Lehrer in der Theologischen und in der Philosophischen Fakultät an, wirkte sogar als Prorektor. Freiherr von Wessenberg, nicht minder ge- bildet, lehrte nie an der Universität, er stand ihr eher als Gönner im Sinne der Aufklärung gegenüber. Wessenberg - hier muss man ihn zuerst nennen - und Schreiber stehen für eine bestimmte geistige Wachheit, um nicht zu sagen intellektuelle Erwe- ckung, die ihren Nährboden in der katholischen Aufklärung Josephinischer Prägung besaß.' Dies ist zunächst der Hintergrund, vor dem sich beide Persönlichkeiten durchaus eigen und eigenwillig entwickelten.

1 DIETER SPECK, »... von einiger Heftigkeit und Rechthaberei in Meinungen nicht ganz freigesprochen.« Heinrich Schreiber und die Albert-Ludwigs-Universität, Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins Schau-ins-Land< 115 (1996), S. 71-117, hier S. 79-83. 2 WOLFGANG MÜLLER, Fünfhundert Jahre Theologische Promotion an der Universität Frei- burg im Breisgau, Freiburg 1957 (Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitäts- geschichte 19), S. 96, Nr. 635 bzw. S. 46. 3 Zum Kontext: HARM KLUETING (Hg.), Katholische Aufklärung — Aufklärung im katholi- schen Deutschland, in Zusammenarbeit mit NORBERT HINSKE und KARL HENGST, Ham- burg 1993 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 15) (Lit.); ACHIM AURNHAMMER/WIL- HELM KÜHLMANN (Hg.), Zwischen Josephinismus und Frühliberalismus. Literarisches Leben in Südbaden um 1800, Freiburg 2002. Karl-Heinz Braun

1. Was ist Josephinismus?

Ein schillernder Begriff des frühen 19. Jahrhunderts, eben jener Zeit, in der Wessenberg und Schreiber wirkten. 4 Er versucht die Reformen, die im spät- barocken Österreich des 18. Jahrhunderts angeordnet und irgendwie auch rezipiert worden waren, in den Griff zu bekommen. Bereits die gewaltigen Unterschiede so genannter »österreichischer Länder«, die sich »von der belgischen Kanalküste bis nach Siebenbürgen, von Böhmen bis Mailand und von bis Galizien« 5 erstreckten, lassen erahnen, dass die Vorgaben Maria Theresias und Josephs II. auf unterschiedlichen Boden und Verständnis fielen und in den differenzierten Gegebenheiten dementsprechend andere Valenz erhielten. Im politisch hochdifferenzierten Vorderösterreich traf diese Politik auf eine stete Opposition der Stände. Ihre Taktik bestand darin, »sich mit stillem Widerstand bis zum Tode des Kaisers zu gedulden«. 6 Erst recht bei den ein- fachen Leuten fehlte die Begeisterung für Josephs Reformpolitik. Lediglich eine bestimmte Intelligenz begrüßte die Flut an Reformen, Führungsper- sönlichkeiten etwa, die an Neugestaltungen interessiert waren und - wie hier an der Universität Freiburg - Professoren. Die zum Tod von Joseph II. 1790 gehaltene Trauerrede des Freiburger Universitätsrektors, des Juristen Franz Xaver Jellenz, 7 an seine Kollegen dokumentierte dies: »Väter der

4 HARM KLUETING, Einleitung, in: Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschich- te der theresianisch-josephinischen Reformen, hg. von DEMS., Darmstadt 1995 (Aus- gewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit 12a), S. 1; ELISABETH KovÄes (Hg.), Katholische Aufklärung und Josephinismus, Wien 1979; DEREK BEALES, Joseph II., Bd. 1, In the Shadow of Maria Theresia 1741-1780, Cambridge 1987, S. 439: »The origins of the term [josephinism] seem never to have been studied in detail, and in any case would interest us mainly as an element in the mythology that grew up around the emperor after his death«, hier in Distanz zu Elisabeth Koväcs. Auf jeden Fall muss die hohe Wertschätzung Josephs II. bereits zu dessen Lebzeiten angesetzt werden, sie wird nicht erst durch die Begrifflichkeit geschaffen; siehe auch PAUL VON MITROFANOV, Joseph II. Seine politische und •kulturelle Tätigkeit. Aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt von VERA VON DEMELId. Mit einem Geleitwort von DR. HANNS ScHui-ihR,Wien/Leipzig 1910; RUDOLF ZINNHOBLER, Josephinismus, 3LThK, Bd. 5, 1996, Sp. 1008-1010, wobei der Hochjosephinismus zwischen 1780 und 1790 anzusetzen ist (nicht 1740-1780). 5 KLUETING [Anm. 4], S. 1. 6 EBERHARD GOTHEIN, Der Breisgau unter Maria Theresia und Joseph II., Heidelberg 1907 (Neujahrsblätter der Badischen Historischen Kommission NF 10), S. 30. 7 Die Matrikel der Universität Freiburg i.Br. von 1656-1806. Im Auftrage der Archivkom- mission bearb. und hg. von FRIEDRICH SCHAUB, Freiburg i.Br. 1955, S. 892-893, Nr. 1: geboren 1749 in Selzach/Krainjurastudium in Wien, Militärdienst, Prof. iur. can. in Inns- bruck, 1782 Prof. des bürgerl. Rechts in Freiburg, 1797 Direktor der Juristischen Fakultät

170 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

Hohenschule! [...] Gott gebe der Erde mehr Fürsten wie Joseph, und den Fürsten mehr solcher Unterthanen wie Ihr!« 8 Dabei stellten die Reform- maßnahmen im Bereich öffentlicher Religionsausübung die markantesten Weichenstellungen dar, hinter denen vor allem aufgeklärte Intellektuelle ihre Anliegen verwirklicht sahen. Scharf konturiert sprach Jellenz dies in seiner Trauerrede an: Gelebte Religiosität bestehe nicht

in Gelderpressungen, im Müssiggange, in zeit- und sittenverderbenden Wahl- farten, in Bruderschaften, in lächerlichen Vorstellungen, und Verkleidungen hölzerner Bilder, in der Hersagung geist- und herzloser Gebetformeln, in der ei- teln Hofnung auf Wunderwerke, in abergläubischen Andächteleyen, wodurch der Verstand nicht belehrt, das Herz nicht gebessert wird, wenn sage ich, die katholische Religion darinn besteht, so hab ich auch keine, und Joseph hat sie mit Recht vertilgt. 9

Damals ging es um eine Veränderung des gesamten Staatswesens mit sei- ner ökonomischen Ordnung, seinen sozialen Strukturen, seinen Verwal- tungseinheiten und vielem mehr." Für die Religion bedeutete dies eine energische Forcierung einer reduktiven Frömmigkeit, weg von barocker Lust an Effekten. Bei diesem auch auf anderen Gebieten zu beobachtenden Rationalisierungsprozess, bei der Effizienz einen primären Rang einneh- men sollte, stand im religiös-sittlichen Bereich ein gewisser Jansenismus Pate, der sich in der österreichischen Rezeption als »Rigorismus«," Nüch- ternheit, Strenge und als moralische Kontrolle präsentierte. Hinter dem Bestreben nach Reform stand das Interesse an neuen Wertigkeiten. Ne- bensächliche religiöse Formen, die im Barocken durchaus Lebensqualität

in Innsbruck, [gestorben 1805]; abweichende Daten: FRANZ QUARTI-JAL/GEORG WIELAND, Die Behördenorganisation Vorderösterreichs von 1753 bis 1805 und die Beamten in Ver- waltung, Justiz und Unterrichtswesen, Bühl 1977 (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts Freiburg i.Br. 43), S. 288, Nr. 1594. 8 Franz Xaver Jellenz, Trauerrede auf Joseph den Zweyten, Röm. Kaiser, und König. Als die Hoheschule zu Freyburg im Breisgau Ihm ihre lezte Pflicht erwies, Freyburg im Breis- gau 1790, S. 65. 9 Ebd., S. 38. 10 KARL OTMAR FREIHERR VON ARETIN, Der Josephinismus als Problem des katholischen aufgeklärten Absolutismus, in: Österreich im Europa der Aufklärung, Bd. 1, hg. vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie der Österreichischen Akade- mie der Wissenschaften, Wien 1985, S. 509-524, hier S. 518; KLUETING [Anm. 4], S. 6: »[...] erst in ihrer Summe machen sie das aus, was wir Josephinismus< oder >theresianisch- josephinische Reformen< nennen«. 11 PETER HERSCHE, Der Spätjansenismus in Österreich, Wien 1977 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 7; Schriften des Dr. Franz Josef Mayer-Gunthof- Fonds 11), S. 27.

171 Karl-Heinz Braun bedeuten konnten, wurden als petites de'votions, als >Andächteleien< an den Rand gedrängt. Das Wesentliche des Glaubens, eine innerlich-persönliche Gottesbeziehung, hatte im Vordergrund zu stehen. »Im Extremfall« war das Kirchengebäude der Jansenisten »ein kahler Raum ohne Schmuck, Bil- der oder Skulpturen, ihr Altar ein bloßer Tisch oder Block, auf dem es weder Kreuz, noch Leuchter, noch Reliquien gab«.' 2 Solche Reduktionen passten zum josephinischen Programm einer Effizienz- steigerung, und das nicht nur, aber auch aus ökonomischen Gründen. Ein Vortrag der Wiener Hofkanzlei vom 16. Mai 1781 mag programmatisch die Einstellung darlegen:

Die katholische Religion gewinnt ungemein vieles, wenn sie nach und nach in ihre ernsthafte, einfache und mit dem vorhabenden Endzwecke eines öffentli- chen Gebethes zu Gott übereinstimmende Verfaßung bey dem culto externo wie- derum zurückgeführet wird; denn eben derley übertriebene Anwendung des unschicksamen Gepränges ist der Vorwurf in allen protestantischen Büchern, woraus sie den Schluß ziehen, dass unsre Frömmigkeit vielmehr äußerliche Zei- chen, als auf die innerliche Andacht gegründet seye. 13

Das war die Ansicht Josephs II.; auch von Wessenberg und Schreiber hät- ten dies vorbehaltlos unterschrieben. Was jedoch bedeutete »innerliche Andacht«? Hier kam ein italienischer Akzent dazu: Lodovico Antonio Muratori. Seit 1700 betreute er 50 Jahre lang die herzogliche Bibliothek und das Archiv von Modena. Dieser ka- tholische Geistliche (seit 1694)' 4 und Doktor beider Rechte gehörte zu den frühen Protagonisten italienischer Aufklärung. Seine Anregungen gewann er aus der Geschichte. Methodisch-kritisch untersuchte er handschriftliche und gedruckte Quellen, manches aus der weiten Gelehrsamkeit der Bene- diktiner, fasziniert jedoch von der Geschichtsschreibung protestantischer Provenienz." Gottfried Wilhelm Leibniz, mit dem er in regelmäßigem brieflichem Kontakt stand, war hier eine wichtige Bezugsperson."

12 Ebd., S. 29. 13 Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien, Altes Kulturarchiv 11, Gen 59/5/1781, zit. nach HANS HOLLERWEGER, Die Reform des Gottesdienstes zur Zeit des Josephinismus in Öster- reich, Regensburg 1976 (Studien zur Pastoralliturgie 1), S. 95. 14 PETER HERSCHE, Muratori, Ludocivo Antonio, 3LThK, Bd. 7, 1998, Sp. 537-538: gebo- ren 1672 in Vignola, Studium in Mailand, u.a. an der Biblioteca Ambrosiana, seit 1700 Bibliothekar in Modena, gestorben 22.11.1750 in Modena. 15 FABIO MARRI/MARIA LIEBER, Lodovico Antonio Muratori und Deutschland, Frankfurt a.M. u.a. 1997 (Italien in Geschichte und Gegenwart 8), S. 16. 16 Vgl. EDUARD BODEMANN, Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz in der König-

172 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Pris.senberg - Spätaufrlärer

Doch wissenschaftliches Forschen und daraus gewonnene Erkenntnisse dienen zu ihrer praktischen Umsetzung. Uti/itä ist für Muratori nicht ein- fach Nützlichkeit, sondern hilfreiche Praktikabilität." Sein Wertesystem, das Wahre und das Gute (il vero ed il buono), ist als Strebevermögen di- rekt mit dem menschlichen Wollen verbunden, denn alle Disziplinen, so Muratori, wollen wissen und wollen lernen. Erst daraus entsteht eine verant- wortete Praxis. Bildung führt zum Wissen, Philosophie zu den Maximen. des Wissens und Theologie zur Fähigkeit, beides in eine Harmonie zu ge- ben. Theologisches Wissen ist allerdings nicht Spekulation, sondern his- torisch verantwortetes Erschließen von biblischer Offenbarung und ihren markanten Auslegungen durch Konzilien und Kirchenväter. Nicht Gelehrtentum an sich, sondern Menschenfreundlichkeit, die dar- auf aufbaut." Muratoris Rezeption lässt sich nicht einfach durch eine po- litische Präsenz Österreichs in Norditalien im 18. Jahrhundert erklären. Muratori wurde als komplementärer Ansatz zu einer reduktiven Staatsauf- klärung geschätzt. In so genannten Muratori-Zirkeln, etwa in Innsbruck, Salzburg und anderen Städten, las und diskutierte man gemeinsam des- sen Gedanken. Maria Theresia kannte Muratoris Schriften: allen voran sein Buch über die wahre Andacht Della regolata divozione, 1749 erschie- nen. Ihr Handexemplar, auch das ihres Sohnes, befindet sich heute noch in der Österreichischen Nationalbibliothek. Muratori vermittelte keine >kalte< Aufklärung. Bei aller Nüchternheit seiner Überlegungen, seine emotional -emphatische Sprache drängt zum Mitgehen, in Gedanken, Worten und Werken. Während die jansenistische Grundierung josephinischer Verän- derungen eine eigentümliche Strenge und Nüchternheit bedeuteten, ge- stalteten die geistlich an Reformen Orientierten dies inhaltlich, indem sie Muratori als eine Art Bewältigungshilfe internalisierten. Unter Innerlich-

lichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Mit Ergänzungen und Register von GISELA KRÖNERT und HEINRICH LACKMANN, sowie einem Vorwort von KARL-HEINZ WEIMANN, Nachdruck der Ausgabe Hannover 1895, Hildesheim 1966, S. 195-202, Nr. 676; HANS POSER, Leibniz, Gottfried Wilhelm, 3LThK, Bd. 6, 1997, Sp. 777-779: geboren 1646 in Leipzig, wirkte 1670-1672 als Protestant am kurmainzischen Hof, 1672-1676 in Paris, seit 1676 am Hof in Hannover, gestorben 1716 in Hannover. 17 Lodovico Antonio Muratori, I primi disegni della Repubblica. Letteraria d'Italia: Opere del Preposto Lodovico Antonio Muratori giä bibliotecario del serenissimo Signore Duca di Modena, 8, Arezzo 1768, S. 8f. 18 Seine von ihm gegründete »Compagnia della caritä« zeugt von der Vitalität seiner prak- tisch seelsorgerlichen Impulse; Lodovico Antonio Muratori, Della Caritä Cristiana in quanto essa e amore del prossimo, trattato morale, Modena 1723; DERS., Della pubblica felidtä. Oggetto de' buoni Principi, Lucca 1749.

173 Karl-Heinz Braun keit verstand Muratori allgemein die Vorgabe eines überlegenden Bewusst- seins, das im Streben nach dem Guten und dem Wahren seine Entschie- denheit zum Ausdruck bringt, religiös eine liebevolle Zwiesprache mit Gott selber, der nicht in der Abstraktion diffundiert, sondern sich im Gegenüber des Denkens und Lebens, des Menschen lebendig zeigt. Nicht das System eines Jansenismus oder die vielfältigen Anregungen eines aufgeklärten Kirchenhistorikers Muratori waren der Motor der österreichi- schen Aufklärung. Es waren Persönlichkeiten vor Ort, weit mehr als in Frankreich Adlige, höhere Geistliche, Professoren, die innerhalb der jose- phinischen Strukturreformen Aufklärung inhaltlich umsetzten und weiter- gaben. Dieses kulturelle Modell eines gelehrten, menschenfreundlichen, eben aufgeklärten Aristokraten, verkörperten Ignaz Heinrich von Wessen- berg und bescheidener auch Heinrich Schreiber.

2. Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg

Geboren am 4. November 1774 in Dresden, jedoch kein Sachse, sondern Sohn eines breisgauischen Adligen.° Dieser, Philipp Karl von Wessenberg (1717-1794), war damals als Konferenzminister und Oberhofmeister der verwitweten Kurfürstin von Sachsen tätig. Die Mutter (Ignaz Heinrichs), Walburga von Thurn-Valsassina, starb bereits 1781. Ignaz Heinrich erhielt wie seine vier Geschwister" seine erste Erziehung vom Vater selbst. Auch die Liebe zu Joseph II. bekam er hier vermittelt. Kindheit und Jugend verbrachte er seit 1777 im Breisgau, im Sommer im Schloss zu Feldkirch, mitten in der Rheinebene, im Winter im Freiburger Stadtpalais. Freiburgs nähere Umgebung ist die Heimat Wessenbergs. Wie schwärmt er noch später vom herrlichen Ausblick des Freiburger Schloss- bergs, als Schreiber ihm seine Arbeit darüber zusendet."

19 Die Vorfahren, wie die Habsburger ein Aargauer Geschlecht, bis ins Jahr 1207 nachweis- bar, waren Mitte des 16. Jahrhunderts durch Einheirat in den Besitz des österreichischen Lehens Feldkirch, westlich von Bad Krozingen, gelangt. Durch eine weitere Heirat erhiel- ten sie 1681 das Reichsfreiherrendiplom durch die Herrschaft über Ampringen, einem kleinen Ort südlich von Kirchhofen. 20 Vgl. Ignaz Heinrich von Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe, Bd. 2: Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, hg. von KURT ALAND, Freiburg u.a. 1987, S. 922-923: Johann Philipp Nepomuk (1773-1858), dann Maria Wal- burga (1771-1801?), Ignaz Heinrich (1774-1860), Aloys (1776-1830) und später Maria Josepha (1781-1848). 21 Heinrich Schreiber, Der Schloßberg bei Freiburg. Historisches Gemälde. Mit einem Bela-

174 Heinrich Schreiber und .4711.1Z Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

Ignaz Heinrich von Wessenberg

Sein Studium absolvierte er in Augsburg (1790), in Dillingen (1792), wo er u.a. Johann Michael Sailer als Lehrer schätzte, dann 1794 in Würzburg, seit 1796 in Wien.22 Hier begegnete er an der Theologischen Fakultät vollends aufgeklärten Lehrern. Erwähnt sei Matthias Dannenmayer, der ehemali- ge Freiburger Kirchenhistoriker, 23 dessen kirchengeschichtliches Lehrbuch

gerungs = Plane der Stadt Freiburg vom Jahr 1744 und einer perspectivischen Ansicht des damaligen untern Schlosses, Freiburg i.Br. 1844; Neue unveränderte Ausgabe Freiburg i.Br. 1860; Wessenberg an Schreiber, Constanz, 6.4.1844: »Ihr Schloßberg versetzte mich in meine frühere Jugendzeit zurück, in welcher ich so oft die Aussicht von dort genoß. Sie haben ihrer Darstellung großes Interesse zu geben gewußt, zumal für solche, die mit der Oertlichkeit bekannt sind«. Stadtarchiv Freiburg, Nachlass Schreiber, K 8, f. 275, fol. 64. 22 MANFRED WEITLAUFF, Sailer, Johann Michael, 3LThK, Bd. 8, 1999, Sp. 1431-1433: geboren 1751, 1784 Prof. der Ethik und Pastoraltheologie in Dillingen, 1794 entlassen, 1799 Prof. in Ingolstadt bzw. 1800 in Landshut, 1822-1829 Weihbischof, 1829 Bischof in Regensburg, 1832 gestorben. In Würzburg begegnete ihm bereits Karl Theodor Frei- herr von Dalberg, damals Koadjutor des Konstanzer Fürstbischofs sowie des Mainzer Kurfürst-Erzbischofs und des Fürstbischofs von Worms. 23 KARL SUSO FRANK, Dannenmayer, Matthias, 3LThK, Bd. 3, 1995, Sp. 20: geboren 1744 in Öpfmgen (Donau), seit 1764 Studium in Freiburg, 1771 Dr. theol., 1772 Prof. für Polemik,

175 Karl-Heinz Braun

1820 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt werden wird. Die Zeit nach seinem Studienende 1797 widmete Wessenberg dem privaten Weiter- studium zunächst in Feldkirch, dann in , zwischendurch in Re- gensburg, bis er schließlich am 2. März 1802 zum Generalvikar des Kon- stanzer Fürstbischofs von Dalberg 24 ernannt wurde. Mit einem ausgesprochenen Sendungsbewusstsein trat der Siebenundzwan- zigjährige auf, kollegial im Umgang mit den Pfarrern, prägnant in der Vor- gabe inhaltlicher Reformen. Studium und Bildung galten ihm als Grund- voraussetzungen für einen künftigen Geistlichen, der sich durch eine le- benslange Lernfähigkeit als Pädagoge und Seelsorger auszuweisen hatte. Viermal im Jahr mussten die Geistlichen eines Dekanates zusammenkom- men, um in Referaten über pastorale Themen gemeinsam zu reflektieren und zu diskutieren. 25 Die Pfarrer sollten für ihn - ganz josephinisch - stets präsente und vorbildliche, väterliche Persönlichkeiten sein. Ihnen verbot er das Rauchen, den Wirtshaus- und den Theaterbesuch (1803, 1809) und schrieb ihnen eine einfache dunkle Kleidung vor. Das sind die Farben des Jansenismus! Die Gläubigen wollte er zu einer bewussten Teilnahme an Ri- ten und Liturgie heranführen. Die verstehende Mitfeier als Ausdruck re- ligiöser Bildung sollte den Menschen bewegen, zu einer Herzensandacht führen - hier klingt Muratori nach -, motivieren, moralisch vorbildliche Menschen zu werden. Die Gläubigen sollten regelmäßig beichten, und das

ab 1773/74 erster Lehrstuhlinhaber für Kirchengeschichte, 1788 Professor in Wien, 1805 in Wien gestorben. 24 GEORG SCHWAIGER, Dalberg, Karl Theodor Freiherr von (1744-1817), in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, hg. von. ERWIN GATZ, Berlin 1983, S. 110-113: geboren 1744 zu Mannheim, 1788-1800 Koadju- tor des Fürstbischofs von Konstanz, 1788-1802 Koadjutor des Erzbischofs von Mainz und Fürstbischofs von Worms, 1800-1817 Fürstbischof von Konstanz, 1802-1817 Fürst- bischof von Worms, 1802 Kurfürst und Erzbischof von Mainz, Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches, 1803-1817 Administrator und Erzbischof (1805) von Regensburg, gestorben 1817. 25 Niederschlag fanden diese Konferenzen in einer eigens gegründeten Zeitschrift, der sog. Geistlichen Monatsschrift von 1802-1804, die 1804-1827 als Archiv fiir die Pastoralkonfe- renzen fortgesetzt wurde. Als sog. Frühjahrs- und Herbstkonferenzen der in der Seelsorge Tätigen sind sie bis heute im Erzbistum Freiburg noch üblich; MARIA E. GRÜNDIG, »Zur sittlichen Besserung und Veredelung des Volkes«. Zur Modernisierung katholischer Men- talitäts- und Frömmigkeitsstile im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel des Bistums Kon- stanz unter Ignaz H. von Wessenberg, Tübingen 1997, S. 4: »Als grundlegende Quelle dient die Pastoralzeitschrift Archiv für die Pastoralkonferenzen«; ALOIS STIEFVATER, Das Konstanzer Pastoral-Archiv. Ein Beitrag zur kirchlichen Reformbestrebung im Bistum, Konstanz unter dem Generalvikar I.H. von Wessenberg, 1802-1827, Diss. theol., Frei- burg 1940.

176 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer nur bei ihrem eigenen Ortspfarrer. >Geistlose Mechanismen<, wie nebenher Rosenkranzbeten während der Gottesdienste, verbot er strikt, das Bruder- s chaftswesen reduzierte er, Wallfahrten lehnte er ab. Gesellschaftlich engagierte er sich, von 1817 bis 1827 als Vertreter der ka- tholischen Kirche im badischen Landtag, für die Errichtung eines katho- lischen Lehrerseminars in Rastatt, für Gewerbe- und Realschulen ebenso wie für die Gründung der Technischen Hochschule in Karlsruhe 1825. 1811 nahm er sogar mit seinem Fürstbischof von Dalberg am Pariser Nationalkonzil teil. Ihnen war es um die Stärkung der deutschen Kirchen- verhältnisse nach der Säkularisation gegangen. Die Priesterweihe empfing Wessenberg erst 1812 in Fulda. Auf dem Wiener Kongress 1814 dräng- te er auf ein gesamtdeutsches Konkordat und trat für die Rückgabe des säkularisierten Kirchengutes ein, da die Entschädigung der Fürsten für linksrheinische Gebietsverluste inzwischen gegenstandlos geworden war. In Anerkennung von Wessenbergs kirchenpolitischem Einsatz hatte die Fa- kultät ihn zum Doctor honoris causa ernannt, 1815, zu einem Zeitpunkt, als das päpstliche Rom Dalberg dazu zwang, Wessenberg als Generalvikar zu entlassen. Von Dalberg, der zu sehr auf Napoleon" gesetzt hatte und nach dessen Verbannung nach St. Helena keine politische Macht mehr darstell- te, hatte seinen politischen Rückhalt verloren, selbst bei jenen ebenfalls von Napoleon protegierten Fürsten. Dalberg wollte Wessenberg zu seinem Nachfolger. Das Dornkapitel als Wahlgremium spielte mit, nicht dagegen der Papst und seine Ratgeber. Das Papsttum war von Napoleon stark gedemütigt worden und nun, nach Be- seitigung dieses machtbewussten Veränderers der europäischen Landkarte, war in Rom die Überzeugung noch dominanter: weg von der Aufklärung, hin zu einer klar definierten, spezifisch konfessionell organisierten Rich- tung. Gerade die Verbindung Wessenbergs mit Dalberg bot den Römern die klare Zuversicht, dass Wessenberg nur den Untergang der Kirche wol- le und sein einziges Ziel darin liege. Ereignisse, die teils nicht einmal der Wahrheit entsprachen, sondern nur kolportiert worden waren, dienten

26 VOLKER ULLRICH, Napoleon, Reinbek 2006 ['2004]; JEAN TULARD (Hg.), Dictionnaire Napoleon, Paris 1987. N. wurde 1769 in Ajaccio (Korsika) geboren, Offizier bereits vor der Revolution, 1793 General, 1799 Erster Konsul, 1801 Konkordat zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl, das bis 1905 gültig blieb, 1804 Kaiser der Franzosen, 1809 von Papst Pius VII. exkommuniziert, 1812 Russlandfeldzug mit großen Verlusten, 1814 nach Besetzung von Paris durch verbündete Gegner Abdankung und nurmehr Souverän von Elba, 1815 nach einem erneuten Versuch, die Macht zu erlangen, endgültig bei Waterloo geschlagen, lebenslängliche Verbannung auf St. Helena, gestorben 1821 in Longwood (St. Helena).

177 Karl-Heinz Braun lediglich als Bestätigung pauschaler Eindrücke. 27 Wenn in älteren, auch heute noch zitierten Detailuntersuchungen diese oder jene Verordnung für Wessenbergs Ablehnung verantwortlich gemacht wird, so verkennt dies sowohl Vorgehen als auch Arbeitsweise der römischen Behörden damals. Auf diese Weise wurde Wessenberg eben nicht Bischof von Konstanz, wie gelegentlich zu lesen ist." Wie würde er darauf reagieren? Wollte er es wirklich werden? Dafür spricht, dass er - auch auf Anraten des badischen Großherzogs Karl - Ende Juni 1817 eigens nach Rom reiste, um sich zu rechtfertigen. Sein Bruder Johann Philipp, der als österreichischer Diplomat die Machenschaften in der Poli- tik bereits kennen gelernt hatte, wünschte ihm bei seiner Mission:

Der Himmel stärke dich und gebe dir die nöthige Geduld, vor allem aber gräme dich nicht — deinen Freunden ist es gleichgiltig, ob du mit einer spitzigen oder platten Kappe zurükkomst — also denke nicht an die Kappe und handle nach deinem Gewissen — e poi basta!"

Ignaz Heinrich von Wessenberg hielt sich daran. Einen von Kardinalstaats- sekretär Ercole Consalvi" ihm nahe gelegten Widerruf seiner bisherigen Tätigkeit lehnte Wessenberg ab, erklärte jedoch gleichzeitig - nicht ohne Demut - seine grundsätzliche Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit. Für die meisten Kurialen allerdings war ein solches Anerbieten für einen Auf- klärer, noch dazu wie Wessenberg, unmöglich. Roms Ablehnung war für Wessenberg zunächst niederschmetternd schmerzvoll."

27 KARL-HEINZ BRAUN, Die Causa Wessenberg, in: Kirche und Aufklärung - Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860), hg. von DEms., München/Zürich 1989 (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), S. 28-59. 28 So auch im Begleitheft unserer Ausstellung im Artikel von LEA MARQUART, Ignaz Hein- rich von Wessenberg, in: Dichter und Denker in Freiburg. Porträts vom Mittelalter bis zur Moderne. Katalog zur Ausstellung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur Ringvorlesung »Dichter und Denker in Freiburg« im Wintersemester 2006/2007, hg. von ACHIM AURNHAMMER/HANS-JOCHEN SCHIEWER, Heidelberg 2007, S. 65. 29 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich, Fr[ankfurt], 4.8.1817, in: Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, Bd. 2 [Anm. 20], S. 150, Brief Nr. 134; zu Johann Philipp (1773-1858): ebd., S. 7-13, vgl. auch S. 15-26 (Zeittafel). 30 JOSEF GELMI, Consalvi, Ercole, 3LThK, Bd. 2, 1994, Sp. 1301: geboren 1757 in Rom, 1801 an den Verhandlungen zum Konkordat mit Napoleon maßgeblich beteiligt, 1801 von Napoleon gezwungen, sein Amt als Kardinalstaatssekretär niederzulegen, erst 1814 von Pius VII. wieder in dieses Amt eingesetzt, erreichte bei Verhandlungen in Paris, Lon- don und auf dem Wiener Kongress die Wiederherstellung des Kirchenstaates, gestorben 1824. 31 BRAUN [Anm. 27], S. 54-56.

178 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

Je weiter er sich auf seiner Heimreise von Rom entfernte, desto befreiter fühlte er sich; befreit, auch von mancher Enttäuschung. Ihm war bewusst geworden, dass Aufklärung nur dort ankommen kann, wo eine Sehnsucht nach ihr vorhanden ist. Nein, Wessenberg wollte nicht mehr Bischof wer- den. Im Interesse von Kirche und Gesellschaft, so könnte man es heute formulieren, kümmerte er sich als so genannter >Bistumsverweser< - ein Amt, das in Konstanz selbst austariert wurde - um Leitung und Agenden der bischofslosen Diözese von 1817 bis 1827. 32 1821 wurde für das Gebiet des Großherzogtums Baden und der Herzog- tümer Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen ein neues Erzbistum geschaffen mit Sitz in Freiburg. Bei einer von der großherzog- lichen Regierung in Karlsruhe selbst organisierten ersten Bischofswahl" votierten über zwei Drittel aller Stimmen, also 66, für Wessenberg, denn dieser hatte große Verdienste um die aufgeklärte und pädagogisch versierte Ausbildung der jungen Geistlichen im Meersburger Priesterseminar der Diözese Konstanz erworben. Ihnen war er bekannt oder gar vertraut als väterlicher Aristokrat, stets fürsorglich um das Bildungswohl der Alumnen bemüht und interessiert. Sie hatten ihn immer wieder als inspirierenden Pädagogen hilfreich erfahren in Rede und Antwort, Rat und Tat. Diesem. Vatertyp begegnen wir auch bei anderen Persönlichkeiten der Spätauf- klärung österreichischer Prägung, etwa beim Salzburger Fürstbischof Hieronymus Colloredo," mehr noch beim Linzer Bischof Anton Ga11, 35

32 FRANZ XAVER BISCHOF, Das Ende des Bistums Konstanz. Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1802/03-1821/27), Stuttgart 1989 (Münchener Kirchenhistorische Studien 1). 33 HANS J. MÜNK, Die großherzoglich-badische Regierung und ihr erster Kandidat für das Amt des Erzbischofs von Freiburg, Ferdinand Geminian Wanker (1758-1824). Vorge- schichte und Verlauf der »Bischofswahl« und Designation sowie die Ablehnung durch Pius VII. (1822-1824), Freiburger Diözesan Archiv 98 (1978), S. 448-508; KARL-HEINZ BRAUN, und die Erzbischofswahlen in Baden. Ein Beitrag zu seiner Biographie, Freiburg/München 1990 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschich- te 35), S. 36-46. 34 GATZ, Colloredo, Hieronymus Joseph Franz de Paula Graf von [Anm. 24], S. 99-103: geboren 1732 in Wien, Studium in Wien und Rom, 1762-1772 Fürstbischof von Gurk, 1772-1812 (Fürst-)Erzbischof von Salzburg, gestorben 1812 in Wien. 35 ZINNHOBLER, Gall, Joseph Anton, in: Bischöfe der deutschsprachigen Länder [Anm. 24], S. 228-229: geboren 1748 in Weil der Stadt, Besuch des Gymnasiums in Augsburg, der Universität in Heidelberg, des Priesterseminars in Bruchsal, 1772 Priesterweihe für die Diözese Speyer, 1773 Weiterstudium in Wien bei Abt Ignaz von Felbiger, 1778 Hofkaplan, 1779 Pfarrer in Burgschleinitz und Schulaufseher für alle deutschen Schulen Niederöster- reichs, von Joseph II. 1788 zum Bischof von Linz ernannt, 1789 Inthronisation, gestorben 1807 in Linz.

179 Karl-Heinz Braun später auch bei einfachen Geistlichen. Sie alle verkündeten Gott als liebe- vollen Vater und sahen das Ideal des Geistlichen darin, etwas von dieser Zusage Gottes zu verkörpern. Mit der Wahl des ersten Erzbischofs wollte die großherzogliche Regierung eine einseitige Bischofsernennung durch den Heiligen Stuhl verhindern. Großherzog Ludwig (seit 1818) jedoch besaß im Gegensatz zu seinem Vor- gänger Karl kein Interesse weder an Wessenberg noch an dessen Aufklä- rung. Wessenberg war als Generalvikar und Bistumsverweser gegenüber den herrischen Ansprüchen der Karlsruher Regierung souverän aufge- treten, denn sie hatte sich damals von einem spätaufgeklärten auf einen staatskirchlich autoritären Kurs begeben. Daher wurde Wessenberg um einen >freiwilligen Verzicht< gebeten und an seiner Stelle der Freiburger Professor für Moraltheologie Ferdinand Geminian Wanker" favorisiert, da er bereit war, die badischen Staatskirchenvorstellungen umzusetzen. Nach seinem frühen Tod am 19. Januar 1824 fiel Karlsruhes Blick auf den Freiburger Münsterpfarrer Bernhard Boll, ebenfalls Universitätsprofessor, der - obwohl Schwabe aus Stuttgart - erster Erzbischof des so genannten Badischen Landesbistums wurde. 37 Wessenberg verabschiedete sich 1827 in einem Hirtenbrief von Klerus und Gläubigen des Bistums Konstanz. Wie sein gewaltiger Briefwechsel zeigt, hat sich Wessenberg auf ihm gleichgesinnte Kommunikationspartner zu- rückgezogen. Er nutzte die Zeit für Reisen, für Lektüre und eigenes schrift- stellerisches Wirken, das von politischen oder religiös-pädagogischen Wer- ken über kirchenhistorische Arbeiten wie z.B. sein vierbändiges Werk Die

36 HANS J. MÜNK, Wanker, Ferdinand Geminian, 3LThK, Bd. 10, 2001, Sp. 976: geboren 1758 in Freiburg, Philosophie- und Theologiestudium in Freiburg, 1782 Priesterweihe, 1783 Vizerektor des neu errichteten josephinischen Generalseminars in Freiburg, 1788 Dr. theol. und Professor für Moraltheologie in Freiburg, 1822 Nomination zum ersten Freiburger Erzbischof durch den Großherzog, Ablehnung durch den Papst, gestorben 1824. 37 GATZ, Boll, Bernhard, in: Bischöfe der deutschsprachigen Länder [Anm. 24], S. 63-65: geboren 1756 in Stuttgart, 1772 Eintritt in die Gesellschaft Jesu, 1774 Zisterzienser in Salem (Ordensname Bernhard), 1780 Priesterweihe, 1792 Dozent für Kanonisches Recht, Philosophie und Kirchengeschichte in der Zisterzienserabtei Tennenbach (Breisgau), 1805 Professor für Philosophie an der Universität Freiburg, die ihn 1809 als Münster- pfarrer präsentierte, theologische Promotion im gleichen Jahr, 1824 Designation zum ersten Erzbischof von Freiburg durch Großherzog Ludwig I., erst im Mai 1827 erhielt er die päpstliche Bestätigung, im Oktober Bischofsweihe und Inthronisation, gestorben 1836; zu den »Kontinuitäten« des ehemaligen Bistums Konstanz: KARL-HEINZ BRAUN, Konstanzer Traditionen im Erzbistum Freiburg, Freiburger Diözesan-Archiv 110 (1990), S. 261-280.

180 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer großen Kirchenversammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts38 bis hin zu Dramen reicht. Seit seinem 16. Lebensjahr übte er sich »in poetischen Erzeugnis- sen«, bereits 1801 veröffentlichte er zwei kleinformatige Gedichtbände," später 1854 erscheint sein siebter Gedichtband. 4° Die »Dichtkunst« bedeu- tete ihm »eine Labsal und eine Erholung«: Wie dem Psalmisten David sei es ihm dabei ergangen, sie habe sein Gemüt erheitert und »Trost und Freu- de« geschenkt» Jedenfalls versichert Wessenberg, dass seine »literarischen Leistungen«, motiviert aus »Liebe zur Wahrheit«, mit seinem »Leben in. völliger Übereinstimmung stehen«, und als solche seien sie auch zu ver- stehen.42 Wessenberg blieb trotz seiner literarischen Präsenz mit seiner Aufklärung öffentlich im Hintergrund, je älter er wurde, umso mehr. Gehörten die älte- ren Geistlichen meist zu seinen Anhängern, so fremd wurde er in der Mitte des Jahrhunderts den jüngeren, die sich ultramontan gaben, in Anhänglich- keit an das sich innerkirchlich profilierende Papsttum, in deutlicher Distanz zu einem liberalen Staat und seinen gesellschaftlichen Veränderungen. Die Gegner dieser neuen kirchlichen Entwicklung werden meist unter dem Begriff >Wessenbergianer< gefasst. Sie sind jedoch keineswegs mit Wes- senbergs Anliegen identisch, denn sie entwickelten sich weiter, während Wessenberg zurückgezogen blieb. Deshalb konnte er zum Mythos werden, oder anders formuliert: zu einer Persönlichkeit, die ihre Glaubwürdigkeit nicht mehr innerkirchlichen Streitigkeiten aussetzte. Im Rückblick wird darum Wessenbergs Engagement zum harmonischen Modell des christlich überzeugenden, katholisch definierten Glaubens.

38 Ignaz Heinrich von Wessenberg, Die großen Kirchenversammlungen des 15ten und 16ten Jahrhunderts. In Beziehung auf Kirchenverbesserung geschichtlich und kritisch dargestellt, mit einleitender Übersicht der frühern Kirchengeschichte, 4 Bände, Constanz 1840. 39 Ignaz Heinrich von Wessenberg, Meine Erlebnisse, in: Ders., Unveröffentlichte Manu- skripte und Briefe Bd. 1/1: Autobiographische Aufzeichnungen, hg. von KURT ALAND, Freiburg i.Br. u.a. 1968, S. 92: »Im Jahre 1801 beging ich die Thorheit, eine Sammlung von Gedichten nach Zürich zum Druck zu senden. Sie erschien sehr zierlich in zwei Bän- den ... Aber ich ließ mir auch ruhig die Zurechtweisung gefallen, die der gute Jacobi in seiner sanften Milde, und der derbe Nikolai (in der Allgemeinen deutschen Bibliothek) in schonungslosester Weise über meine Gedichte aussprachen«. 40 Ignaz Heinrich von Wessenberg, Sämmtliche Dichtungen, Stuttgart/Tübingen 1834- 1854. 41 Wessenberg, Meine Erlebnisse [Anm. 39], S. 92. 42 Ebd., S. 93: »Sie sind Ein (!) Stück mit meinem Leben«; vgl. auch 0E1 I INGER, Ignaz Heinrich von Wessenberg [Anm. 27], S. 60-84; KOHLMANN, Platonische Spätaufklärung und postjosephinistischer Klassizismus [Anm. 3], S. 347-366.

181 Karl-Heinz Braun

3. Heinrich Schreiber

Heinrich Johann Nepomuk Schreiber-43 und die freiherrliche Familie von Ampringen-Wessenberg waren stets einander bekannt und vertraut. Als Schreiber am 14. Juli 1793 in Freiburg geboren wurde, war sein Vater Jo- seph >Kammerdiener< bei den Wessenbergs, er stammte aus dem Sundgau. Die Mutter hieß Veronica, geborene König, »Tochter eines Ratsherrn und (Stadt)Baumeisters aus Mengen in Schwaben«. Sie war damals eine Bedien- stete im Palais des Freiherrn von Sickingen, wo Heinrich auch zur Welt kam (Behausung Nr. 207)." Heinrich Schreiber modelliert in seiner in späten Jahren geschriebenen Selbstbiographie seine Persönlichkeit für die Nachwelt. Darin wird der Va- ter als ganz der Geistlichkeit Ergebener gezeichnet, im Gegensatz zur Mut- ter, die in religiöser Hinsicht mehr ihrer Überzeugung als fremder Autori- tät gefolgt sei. Damit charakterisiert er sich auch selbst. edenfalls wurde - auch wenn er das hier nicht mehr erwähnt - die Familie der Freiherren von Ampringen-Wessenberg für ihn eine Art Bezugspunkt. So wird es auch in den wenigen noch erhaltenen Briefen zwischen Schreiber und Familienmit- gliedern der Wessenbergs vermittelt. 45 Nach kurzem Besuch der so genannten Normalschule wechselte der 10jäh- rige Heinrich Schreiber an das Freiburger Gymnasium. Hier erwarb er sei- ne hervorragenden Latein- und Französischkenntnisse und erhielt Einsicht in die deutschsprachige Literatur bis Klopstock. 46 Sein Vater war - nach. Heinrichs Auskunft - ein Lebemensch, der sich nur selten zu Hause blik- ken ließ, so dass sich der junge Gymnasiast bereits selbst um seine Familie kümmern musste. Aus ärmlichen Verhältnissen heraus entschloss sich der 15jährige für die Theologie als »Brotstudium«. Zu dessen Voraussetzung

43 Grundlegend: WOLFGANG HUG, Johann Heinrich Schreiber, Aufgeklärter Theologe und Geschichtsschreiber der Stadt Freiburg 1793-1872, in: Lebensbilder aus Baden-Württem- berg, Bd. 19, hg. von GERHARD TADDEY/JOACHIM FISCHER, Stuttgart 1998, S. 204-234. 44 Als Paten fungierten Johann Nepomuk Wetzel, »der Philosophie Befliessener, freyhl. von Sikkl. und Wessenbergl. Amtmanns Sohn, und Anna Riesin, ledige Tochter der Frau Beschliesserin im Sickingl. Hause«: Auszuge aus dem Taufbuche der Münsterpfarrey zu Freyburg im Breisgau (Testor Bern. Galura par.), Boll, Freyburg, 26.7.1824: Stadtarchiv Freiburg, Nachlass Schreiber, K 1/27, Fasc. 9, Heft 1. 45 Leider sind die Briefe Schreibers an Ignaz Heinrich von Wessenberg im Konstanzer Stadtarchiv seit 1953 verschwunden und nur in wenigen Ausnahmen an anderen Stellen noch vorhanden, so dass wir die Gemeinsamkeiten beider nur über gewisse Grundkoor- dinaten erschließen können. 46 HUG [Anm. 43], S. 208.

182 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer

erv u ‚2, ■ ,1 eeir.e3 ,

Heinrich Schreiber gehörte das Studium der Philosophie, zwei Jahre lang; hier hörte er unter anderem den Historiker Karl von Rotteck 47 sowie Bernhard Boll, den spä- teren Erzbischof. Beide stehen in seinem biographischen Rückblick eben- so wenig brillant da wie seine späteren Theologieprofessoren während des anschließenden dreijährigen Studiums - und dies obwohl gerade in der theologischen Fakultät eine josephinische Spätaufklärung selbstverständ- lich nachhallte. Der lernwillige und lernbeflissene Schreiber studierte dar- über hinaus naturwissenschaftliche Themen, unter anderem bei Gustav F. Wucherer," der seit 1807 gleichzeitig als erster Freiburger protestantischer Stadtpfarrer wirkte, oder beim Dichterprofessor Johann Georg Jacobi. 49

47 Vgl. den Beitrag von HANS FENSKE, >Karl von Rotteck und der deutsche Liberalismus', in diesem Band. 48 Heinrich Schreiber, Gedaechtnissrede auf Gust[avj F[riedrichj Wucherer, gehalten bei des Verewigten akademischer Todtenfeier am 9. Mai 1844 in der Universitaetskirche zu Freiburg, Freiburg i.Br. 1844. 49 Vgl. den Beitrag von ACHIM AURNHAMMER, Johann Georg Jacobi und sein Freiburger Dichterkreis um 1800<, in diesem Band. 183 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Kissenberg - Spätaufklärer

Heinrich Schreiber gehörte das Studium der Philosophie, zwei Jahre lang; hier hörte er unter anderem den Historiker Karl von Rotteck 47 sowie Bernhard Boll, den spä- teren Erzbischof. Beide stehen in seinem biographischen Rückblick eben- so wenig brillant da wie seine späteren Theologieprofessoren während des anschließenden dreijährigen Studiums - und dies obwohl gerade in der theologischen Fakultät eine Josephinische Spätaufklärung selbstverständ- lich nachhallte. Der lernwillige und lernbeflissene Schreiber studierte dar- über hinaus naturwissenschaftliche Themen, unter anderem bei Gustav F. Wucherer," der seit 1807 gleichzeitig als erster Freiburger protestantischer Stadtpfarrer wirkte, oder beim Dichterprofessor Johann Georg Jacobi. 49

47 Vgl. den Beitrag von HANS FENSKE, >Karl von Rotteck und der deutsche Liberalismus<, in diesem Band. 48 Heinrich Schreiber, Gedaechtnissrede auf Gust[av] F[riedrich] Wucherer, gehalten bei des Verewigten akademischer Todtenfeier am 9. Mai 1844 in der Universitaetskirche zu Freiburg, Freiburg i.Br. 1844. 49 Vgl. den Beitrag von ACHIM AURNHAMMER, Johann Georg Jacobi und sein Freiburger Dichterkreis um 1800<, in diesem Band.

183 Karl-Heinz Braun

1811 starb Schreibers Mutter, seine Schwester Anna Xaveria Josepha, 1797 geboren, besuchte noch die Schule. Er selbst erkrankte im Frühjahr 1814 an einer Massenepidemie, die von durchziehenden Soldaten verbreitet wur- de. Sein eigener Arzt starb, er überlebte und zog wenige Monate später ins Meersburger Priesterseminar. Auch diese Zeit wird mit dem Groll späte- rer Jahre in seiner Selbstbiographie übermalt. Die darin verwirklichten Reformbemühungen Ignaz Heinrich von Wessenbergs werden ebenso we- nig gewürdigt wie diese Persönlichkeit selbst, der er dort wiederholt bege- gnet ist und die ihn ein Leben lang - fast ein Leben lang - begleitet hat. Schreiber war für die Priesterweihe noch zu jung (1815) und bewarb sich deshalb für eine Hilfstätigkeit in der Freiburger Universitätsbibliothek." Nach seiner Priesterweihe im September 1815 übte er höchst engagiert den Lehrerberuf am Freiburger Gymnasium aus. Wohl überlegt gestaltete er den Unterricht. Seine Notizen, auch Predigtentwürfe, genau vorbereitet, befinden sich in Faszikel 10 seines Nachlasses im Freiburger Stadtarchiv. Ihm selbst gelang es damals, die Archivbestände im nördlichen Hahnen- turm des Münsters zu sichten. Daraus entwickelte sich u.a. sein 1820 zum 700-Jahr-Jubiläum der Stadt erschienenes Münsterbuch. Seit Oktober 1819 wirkte Schreiber als zweiter Kustos an der Freiburger Universitätsbiblio- thek; und es drängte ihn noch weiter. 1821 ließ er sich zum Doktor der Philosophie promovieren, kurz darauf erhielt er auch die Habilitation. Seit 1822 leitete er das Freiburger Gymnasium, nebenher versorgte er das Stadt- archiv und trat mit einigen Veröffentlichungen zur Freiburger Geschichte hervor, so 1828 mit seinem ersten Band des Freiburger Urkundenbuches. Nach dem Tod des Freiburger Moraltheologen Ferdinand Geminian Wan- ker (1824) erhielt der katholische Geistliche Heinrich Schreiber 1826 den. Ruf zu dessen Nachfolge. Sowohl Schreibers Studium als auch dessen Be- such des Wessenbergischen Priesterseminars wie auch seine weitere wis- senschaftliche und pädagogische Tätigkeit bestätigten die Spätaufklärer an der Theologischen Fakultät und die Beamten der Karlsruher Kirchensekti- on, mit Schreibers Berufung eine Fortsetzung des bisherigen Kurses garan- tiert zu haben. Bis dahin hatte jedoch Schreiber keine einzige moraltheo- logische Schrift verfasst, und eine theologische Promotion konnte er eben- falls nicht vorweisen. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Theologische Religionslehre, eine Pflichtvorlesung für alle Studierenden, mit der er im Sommersemester 1827 beachtenswerte 227 Hörer erreichte. Im Druck erschien sie als Allgemeine

50 SPECK [Anm. 1], hier S. 74-79.

184 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg - Spätaufklärer-

Religionslehre 1829 in zwei Bänden. Sein Kollege, der historisch-kritisch ar- beitende Bibliker Johann Leonhard Hug,' rezensierte sie in der Zeitschrift für die Geistlichkeit des Erzbisthums Freiburg 1829, einer gewissen Fortsetzung der Wessenbergischen Zeitschrift Archiv für die Pastoralkonferenzen. Und Hug war es auch, der daraufhin seiner Fakultät vorschlug, Schreiber zum Dok- tor der Theologie zu promovieren. 1832 trat Schreiber mit der spezifischen Moraltheologie an die Öffentlich- keit." Hier setzte er sich mit Gelübde und Eid sowie mit Frömmigkeitsfor- men auseinander. Einem Gelübde sprach er jede Notwendigkeit ab. Ein Christ habe ohnehin »das Recht und die Pflicht«, »das religiös sittliche Bes- sere und Beste zu thun«. 53 Noch schärfer wandte er sich gegen den Zölibat. Er sei »ein unchristliches Institut«. 54 Das Ideal liege in der Ehe, »worin der Geschlechtstrieb seine eben so natürliche als rechtliche und sittliche Aus- gleichung und Befriedigung nach allen Richtungen hin findet«." Schreibers Kritik am Pflichtzölibat kam aus seiner intellektuellen Einstel- lung, sie war kein existentieller Befreiungsversuch, auch nicht singulär oder gar originell, sie gehörte zum Stammdenken katholischer Aufklärung und war in Freiburg wie in Baden und anderswo irgendwie präsent. 56 So hatten noch im April 1828 der Freiburger Jurist Johann Georg Duttlinger" und 23

51 BRAUN, Hug, Johann Leonhard (1765-1846), in: Bischöfe der deutschsprachigen Länder [Anm. 24], S. 334-335; GERALD MÜLLER, Johann Leonhard Hug. Seine Zeit, sein Leben und seine Bedeutung für die neutestamentliche Wissenschaft, Erlangen 1990 (Erlanger Studien 85); WINFRIED HAGENMALER, Johann Leonhard Hug (1765-1846) als Handschrif- tensammler. Die von ihm erworbenen und der Universitätsbibliothek Freiburg i.Br. ver- machten Handschriften im Spiegel seiner Forschungs- und Interessengebiete, Freiburger Diözesan-Archiv 100 (1980), S. 487-500. 52 KARL-HEINZ BRAUN, »Seine Zelibatspolemik wird ihm keine Rosen bringen ...«. Zum Frei- burger Moraltheologen Heinrich Schreiber und seinen Kollegen in der Theologischen Fakultät, Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins >Schau-ins-Land< 116 (1997), S. 207- 225; CHRISTOPH KELLER, Das Theologische in der Moraltheologie. Eine Untersuchung historischer Modelle aus der Zeit des Deutschen Idealismus, Göttingen 1976 (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts 17), S. 330-370. 53 HEINRICH SCHREIBER, Lehrbuch der Moraltheologie, Zweiter Theil, Erste Abtheilung, Freiburg i.Br. 1832, S. 234. 54 Ebd., S. 244. 55 Ebd., S. 241. 56 BRAUN [Anm. 52], S. 213: »Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten sich. Aufklärer - und nicht nur sie - dagegen ausgesprochen. Von den sechs Namen - ein- schließlich Schreibers -, die als Nachfolger für Wanker diskutiert worden waren, hatten sich vier kritisch gegen den Zölibat geäußert.« 57 REN£ BLoY, Johann Georg Duttlinger als Kriminalist, Heidelberg 1990 (Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen 51), S. 1-4 (Biographische Skizze): 1788 in

185 Karl-Heinz Braun katholische Laien die großherzogliche Regierung um Aufhebung des Zö- libates gebeten, ebenso der später ultramontan agierende Karl Zell 58 oder Heinrich Amann," beide Mitglieder der Juristischen Fakultät. An erster Stelle der Z,ölibatskritiker stand jedoch der mehr als freisinnige Kirchenhis- toriker Alexander von Reichlin-Meldeggr der aus der Kirchengeschichte nicht nur eine Fülle von Skandalen zum Thema Zölibat aufführen konnte, was ihm der Tübinger Theologe Möhler" besonders übel nahm, sondern in eigentlichen Fragen der Christologie und Sakramentenlehre längst sogar den Boden einer aufgeklärten Kirchlichkeit verlassen hatte. Erzbischof Bernhard Boll, auch durch den Exegeten Hug dazu bewegt, kritisierte in einem Hirtenbrief vom 13. Juli 1832 die Angriffe auf den Zölibat und wandte sich deshalb an Rom. Papst Gregor XVI. 62 verstärkte autoritativ Bolls bisheriges Vorgehen. Damit war die universitäre Situation gesprengt und zu einer allgemein kirchlichen Angelegenheit geworden." Und Schreibers Kritik fiel in eine politisch aufgebrachte Situation. Die

Lembach (Landgrafschaft Stühlingen) geboren, 1818 a.o. Professor in Freiburg, 1819 o. Professor, gestorben 1841 in Freiburg. 58 FRANZ DOR, Hofrat Karl Zell. Ein Lebensbild, Freiburg i.Br. 1912: geboren 1793 in Mann- heim, Studium in Heidelberg, Göttingen und Breslau, 1821 Prof. der Philologie in Frei- burg, 1841-1842 Lehrer der Prinzen Ludwig und Friedrich in Karlsruhe, 1847-1855 Prof. in Heidelberg, Ruhestand in Freiburg, gestorben 1873 in Freiburg. 59 WILHELM BEHAGHEL, Arnann, Heinrich, in: Badische Biographien, Bd. 1, 1875, S. 4-5: geboren 1785 in Freiburg, 1820-1840 Prof. des Kirchenrechts in Freiburg, gestorben 1849. 60 WALTER TROXLER, Reichlin-Meldegg, Karl Maria Alexander von, BBKL, Bd. 7, 1994, Sp. 1506-1507: geboren 1801, 1828 a.o., 1830 o. Prof. der Kirchengeschichte in Frei- burg, 1832 Übertritt zur protestantischen Kirche und Versetzung an die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg, 1839 a.o., 1840 o. Prof. der Philosophie, gestorben 1877 in Heidelberg; EUGEN SÄGER, Die Vertretung der Kirchengeschichte in Freiburg von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Schulgeschichte der Aufklärung, Freiburg i.Br. 1952 (Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Univer- sitätsgeschichte 1), S. 129-161. 61 HARALD WAGNER, Möhler, Johann Adam, 3LThK, Bd. 7, 1998, Sp. 374-375: geboren 1796 in Igersheim bei Mergentheim, Studium in Ellwangen und Tübingen, Kaplanstätig- keit, Repetent am Wilhelmsstift in Tübingen, 1822 Privatdozent für Kirchengeschichte, 1826 a.o., 1828 o. Prof. für Kirchengeschichte, 1835 Prof. in München, gestorben 1838. 62 GEORG SCHWAIGER, Gregor XVI. (Bartolomeo Alb erto Cappellari), 3LThK, Bd. 4, 1995, Sp. 1023-1024: geboren 1765 in Belluno, 1783 Kamaldulenser in Murano bei Venedig, 1787 Priesterweihe, 1823 Ordensgeneral, 1826 Kardinal, 1831 Papstwahl, Bischofsweihe und Inthronisation, gestorben 1846. 63 BRAUN [Anm. 52], S. 215.

186 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von le.ssenberg - Spätaufklärer

Freiburger Professoren Rotteck" und Welcker" 5 waren seit Herbst 1832 in den Ruhestand versetzt worden - sie hatten die Pressefreiheit auf ihre Fahnen geschrieben - und die Universität war nach Ausschreitungen von Studierenden vor der Hauptwache am Münsterplatz im Juli 1832 für drei Wochen geschlossen worden. Schreiber selbst war nicht bereit, seine Aussagen zu modifizieren, so dass ihn schließlich das großherzogliche Staatsministerium zum 21. April 1836 von der Theologischen Fakultät auf die Lehrkanzel der historischen Hilfs- wissenschaften in die Philosophische Fakultät versetzte. Sichtbar wird, wie sehr Schreibers lebensweltliche Zeitgenossenschaft mit dem Praefix >Spät<- Aufklärer entscheidend für seine Probleme wurde. In einer Zeit der Restau- ration, in der Staat wie Kirche ihre Kräfte neu zu bündeln und zu organi- sieren wussten, gehörten solche Infragestellungen des organisierten Amts- priestertums nicht zu den innovativen Anliegen, weder der katholischen Kirchenbehörde noch des badischen Staates. Wessenbergs älterer Bruder, Johann Philipp, brachte die Angelegenheit auf den Punkt; der verheirate- te Diplomat schrieb:

Seine Zelibatspolemik wird ihm keine Rosen bringen, sie wurde selbst in Carlsruhe nicht gut aufgenommen; auf jeden Fall war sie unklug und nicht zeit gemäß, allein die Herren Gelehrten wollen coüte qui coüte Aufsehen erregen und kümmern sich weniger um Wißenschaft als um dergleichen Albernheiten."

Theologie nicht mehr lehren zu dürfen, schien Schreiber weniger zu schmer- zen als die Art und Weise seiner Versetzung. Und seine neue Aufgabe in der Philosophischen Fakultät besaß nach einer Studienreform keine besondere Bedeutung, so dass Schreiber des Öfteren keine Hörer mehr fand." Es ge-

64 MANFRED FRIEDRICH, Rotteck, Karl Wenceslaus Rodeckher von (Reichsadel 1789), NDB, Bd. 22, 2005, S. 138-140: geboren 1775 in Freiburg, 1797 Dr. iur., 1798 Prof. der >Welt- geschichte< in Freiburg, 1818 Prof. für Staatswissenschaften, natürliches Privat-, Staats- und Völkerrecht an der juristischen Fakultät der Universität in Freiburg, am 13.11.1832 entlassen, 1840 wieder eingesetzt, gestorben 1840 in Freiburg. 65 WILHELM KOSCH, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publi- zistik, fortgeführt von EUGEN KURI, Bern 1963, S. 1179: Welcker, Karl Theodor, geboren 1790 in Oberofleiden (Oberhessen), seit 1814 Prof. in Kiel, 1817 in Heidelberg, 1819 in Bonn, 1823 in Freiburg, 1832 Amtsenthebung, 1840 wieder eingesetzt, 1841 endgültig suspendiert, gestorben 1869 in Heidelberg-Neuenheim. 66 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, 20.11.1834 [Anm. 20], S. 224-225, Brief Nr. 224: und weiter: »Schreibers Schwester soll mit zwei anderen Nonnen in Straßburg im Theater in der weißen Kutte erschienen seyn. Sie sollen ihre Kutten ausziehen.« 67 HUG [Anm. 43], S. 223.

187 Karl-Heinz Braun lang ihm schließlich, Ethik zu lesen und darin Vorurteile und Aberglaube, wie er es nannte, zu bekämpfen und die wahre Humanität dagegen zu set- zen. Dabei entdeckte er - wie andere Zeitgenossen vor allem romantischer Richtung - das Vaterland als geeignete Größe für die wahre Religion und die wahre Menschlichkeit. Auch hierin durchaus an josephinische Selbst- verständlichkeiten anknüpfend, wonach das eigene Land mit seinen Tra- ditionen und seiner konkreten Interessenspolitik bedeutender und kompe- tenter angesehen wurde als eine von außen, d.h. vom Ausland agierende, römische Zentrale. Auch Wessenberg hatte die nationale Frage bereits thematisiert, 1815 in einer anonymen Schrift. Lange hoffte Schreiber, in Wessenberg, seinem da- mals über die Jahre hin vertrauten Briefpartner, einen Bundesgenossen zu finden, als er sich der Bewegung des schlesischen Priesters Johannes Ronge (1813-1887)" anschloss, die im Januar 1845 in Leipzig eine so genannte »romfreie Kirche« gründete, die sich bald darauf »Deutschkatholische Kir- che« nannte. Ihren Höhepunkt erreichte diese Bewegung 1847 mit etwa 80 000 Mitgliedern, die jedoch nach den Revolutionswirren erheblich an Bedeutung verlor." Schreiber war wie Wessenberg davon überzeugt, dass die Menschen nur über ihre Religion in den Staat und in das Gemeinwesen zu integrieren sei- en; auch umgekehrt sei Religion die Garantie für Staat und Gemeinwohl. Nun projizierte Schreiber sein Idealbild zunächst auf ein nationales Kir- chenwesen, in dem gerade Aufklärung und neu aufkommendes romanti- sches Nationalgefühl ihre Heimat finden sollten. Er verstand den Deutsch- katholizismus als »biblisches Christenthum in vernünftiger Forschung und freier Ueberzeugung«, in dem niemand genötigt werde, »etwas mit dem Munde zu bekennen, was er im Herzen verwirft«. 70 Bei aller Sehnsucht des katholisch sozialisierten Aufklärers nach einer hohen Wertschätzung kirch-

68 ANDREAS HOLZEM, Ronge, Johannes, 3LThK, Bd. 8, 1999, Sp. 1295-1296: geboren 1813 in Bischofswalde bei Neisse, 1840 Priesterweihe, 1843 suspendiert, 1845/46 Gemeinde- gründer des Deutschkatholizismus, schloss sich 1848/49 demokratischen Bewegungen an, 1849-1861 Emigrant in England, seit 1863 in Frankfurt am Main, gestorben 1887 in Wien. 69 ANNETI E KUHN, Deutschkatholizismus, 3LThK, Bd. 3, 1995, Sp. 136. 70 Heinrich Schreiber, Deutsch-Katholisches. Die Dr. Hirscher'sche Beleuchtung der Mo- tion des Abgeordneten Zittel in der zweiten Kammer der badischen Landstände, bür- gerliche Gleichstellung der Deutsch-Katholiken betreffend, gegenseitig beleuchtet, 1849, S. 9f.; FRIEDRICH WILHELM GRAF, Die Utopie der nationalen Ökumene. Heinrich Schrei- ber als Theologe des Deutschkatholizismus, Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins >Schau-ins-Land< 116 (1997), S. 227.

188 Heinrich Schreiber und Ignaz Heinrich von Wessenberg — Spätaufklärer licher Gemeinschaft, die dementsprechend kreiert werden sollte, sie war genau jene Trennungslinie, die Wessenberg als zurückgezogener Aufklärer deutlich zog. Schon 1815 hatte Wessenberg die Bedeutung einer gewissen Selbständig- keit der Kirche erkannt und wörtlich geäußert: »Die Kirchenformen der Protestanten verlieren durch ihre Verschmelzung mit dem Staate immer mehr an Kraft.«" Und in einem Brief an Ronge spricht sich Wessenberg deutlich gegen dessen Unternehmen aus: »Nach meiner früheren und auch jetzigen Überzeugung können aber Bestrebungen nach Kirchenreformen nur dann die erwünschte Frucht bringen, wenn sie auf gesetzlichem, ka- nonischem Wege geschehen.« 72 Darüber hinaus vermisste er bei der Sek- te des Deutschkatholizismus die >kirchengeschichtliche Autorität<. In der Geschichte der Kirche liegen für Wessenberg nicht nur die authentischen Wurzeln, in deren Rückbindung erst werden die richtigen Modifikationen für die Gegenwart erfasst. Alle Innovationen verlieren ohne diese Konti- nuität ihre Zuverlässigkeit. Es wäre höchst spannend und aufschlussreich, Wessenbergs Briefwechsel mit Schreiber über diese Frage zu kennen. Leider fehlen seit 1953 späte- stens die Schreiber-Briefe im Wessenberg-Nachlass - und umgekehrt hat Schreiber in seinem Nachlass Wessenbergs Briefe - wie auch die anderer - oft mit der Schere zerschnitten und die Grußformeln am Ende eines Briefes aufgehoben, vor allem, wenn darin die Wertschätzung ihm gegen- über ausgedrückt wurde. Schreiber hat auf diese Weise manche Differenz zwischen sich und Wessenberg gelöscht, war es doch auch unter Spätauf- klärern darum gegangen, je neu das geistige Erbe auszuloten und auf eine veränderte Praxis hin anzuwenden. Wessenberg ist am 9. August 1860 in Konstanz gestorben. Schreiber, der wegen seines Beitritts zum Deutschkatholizismus von der Universität ver- wiesen worden war, lebte seit 1846 im Ruhestand, Wessenberg nicht un- ähnlich. Im gleichen Jahr (14. April 1846) heiratete er vor dem protestanti- schen Pfarrer Anna Fuchs. »Dieser Mann rennt in sein Verderben und ich fürchte dem Elend entgegen«," kommentierte wieder spitz Johann Philipp

71 KARI, KABUS, Ignaz Heinrich von Wessenbergs geistige Gestalt im Lichte seines Kirchen- begriffs. Eine Studie zur Aufklärung im katholischen Deutschland, Diss. phil. masch., Köln 1963, S. 53, zit. nach Heid. Hs. 641, Die Reformationen der Kirche. 72 Ebd., S. 117. 73 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich, 27. März [1846], in: Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, Bd. 2 [Anm. 20], S. 305-306, Brief Nr. 317.

189 Karl Heinz Braun von Wessenberg in einem Brief an seinen Bruder Ignaz Heinrich. 1850 hatte sich Schreiber noch ein Haus erwerben können. Die Straße dort trägt seit 1893, seinem 100. Geburtstag, seinen Namen. Gestorben ist er am 30. November 1872, begraben auf dem Alten Friedhof.

4. Gemeinsames und Eigenprofilierungen

Schreiber und Wessenberg sind Aufklärer! Insofern sie versuchen verant- wortetes, nachvollziehbares Wissen zu vermitteln und dieses zum Aufbau anderer Persönlichkeiten einzusetzen, oder mit Wessenberg 1814 formu- liert: »... jemanden in den Stand setzen, dass er erkennbare Dinge richtig erkennen kann.« 74 Schreiber trägt mehr als die Aufklärer des 18. Jahrhunderts intellektuelle Züge und Vorstellungen, die sich nach Möglichkeit differenzlos in die Ge- staltung von Wirklichkeit einfügen sollen. Schreiber schöpft aus der Ge- schichte und entwickelt sich methodisch zu einem hochkompetenten His- toriker, der den eher theologisch versiert arbeitenden Wessenberg darin übertraf. Und Wessenberg scheut sich nicht, in den wenigen noch erhal- tenen Briefen Schreiber um sein Urteil und seine Hilfe anzugehen. Dabei versichert ihm Wessenberg stets seine aufrichtige und treue Freundschaft, auch nach dessen Auseinandersetzung mit Erzbischof Boll über den Zöli- bat und seiner Versetzung in die Philosophische Fakultät. Wessenberg ist im Gegensatz zu Schreiber ein Aufklärer der Gemeinschaft, der die Ver- änderung institutionell, d.h. allgemein und darum für alle gültig, an- und umsetzen wollte. Schreiber dagegen drängt es, in seinem unmittelbareren Wissens drang daraus gewonnene Markierungen vorzunehmen. Für ihn liegt Authentizität im kurzen Weg von rationalen Überlegungen hin zu de- ren lebenspraktischer Anwendung. Für den noblen Wessenberg dagegen, der mit diesem kurzen Weg zahlreiche Erfahrungen bereits gemacht hat- te, lag im geistigen, intellektuellen Beschäftigen jene Verarbeitung, die sich als Einstellung gegenüber der Praxis auswies. Einsichtige Menschen, so die Bewusstseinslage Wessenbergs, verändern durch ihren Blickwinkel Reali- tät. Geschichtsbetrachtung wird so zu einer Art von Kontemplation. Der jüngere Schreiber ist dafür zu agil, zu unruhig. Die für einen heutigen His- toriker bewundernswerte Quantität und Qualität von Schreibers thema-

74 Ignaz Heinrich von Wessenberg, Ansichten über Volksaufklärung, Archiv für die Pasto- ralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz (1814), 4tes Heft, S. 241.

190 Heinrich Schreiber und Ignaz Heimich von Temenberg — Spätaufklärer tisch breiten Abhandlungen bergen genau jene Faktoren, die ihn weiter trieben und deshalb nicht zur Ruhe kommen ließen. Scheint sich der bürgerliche Aufklärer vom adligen durch diese Agilität, durch diese aufkommende Unruhe zu unterscheiden, oder ist es nur eine Generationendifferenz? Wie repräsentativ wäre dies für andere Zeitgenos- sen? Es sind in Baden gerade die Bürger, die besitzenden und gebildeten, die durchaus spätaufgeklärte Vorstellungen als nährstoffreichen Boden für den Samen ihrer neuen bürgerlichen Welt erkannten, so dass nicht sel- ten - gerade in Baden - ein bürgerlicher Liberalismus als legitimes Erbe der Spätaufklärung angesehen wird. Mit gleichem Recht können sich auch Bereiche der katholischen Welt auf die Spätaufklärung berufen, wenn ich nur daran erinnere, dass zahlreiche Vorstellungen Wessenbergs mit den Reformen des II. Vatikanischen Konzils in den 60er Jahren des letzten Jahr- hunderts ihre Wertschätzung und Umsetzung erhielten. Für die Geschichte der Universität, besonders ihrer Theologischen Fakul- tät, ist die kirchenhistorische Aufarbeitung beachtenswerter und exzellen- ter Aufklärer jedenfalls noch zu leisten.

191