Am Sonntagmorgen Im Deutschlandfunk
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Am Sonntagmorgen im Deutschlandfunk Anne Kampf aus Frankfurt am Main Hier ist nicht Mann und Frau… Schöpfung, Gemeinschaft und die Genderfrage 24.02.2019 „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Die Erschaffung des Menschen im ersten biblischen Schöpfungsbericht. Genesis 1,27 nach Martin Luthers Übersetzung. Es scheint ganz klar zu sein: Gott hat zwei Arten von Menschen geschaffen – Männer und Frauen. Diese Bibelstelle und ihre traditionelle Auslegung hat unsere Kultur geprägt, uns eine zweigeschlechtliche Brille aufgesetzt. Wer Lucie Veith begegnet, nimmt eine Frau wahr – wegen des Vornamens, wegen der langen Haare, der Ohrringe und der Stimme. Lucie Veith: „Ich muss wirklich sagen, dass ich manchmal meine Geschlechtlichkeit in einem Gottesdienst, dass die manchmal zur Qual wird, und zwar dann, wenn das Bodenpersonal mich wieder auffor- dert, mich wieder zuzuordnen. Wenn es heißt: Wir wollen den Psalm gemeinsam lesen und die eingerückten Stücke werden von den Männern gelesen und die ausgerückten Stücke von den Frauen. In dem Moment merke ich: Dann bin ich draußen. Dann bin ich nicht mehr dabei. Und dann möchte ich eigentlich gehen.“ Lucie trägt einen XY-Chromosomensatz. Anstelle von Gebärmutter und Eierstöcken befanden sich bei der Geburt Hoden im Bauch, die später entfernt wurden. Lucies Gene und Keimdrüsen sind also männlich, doch die äußeren Geschlechtsmerkmale und die soziale Rolle sind weiblich. Lucie ist eine intergeschlechtliche Person, nicht eindeutig Frau oder Mann. Doch im Alltag ist Lucie ständig gezwungen, sich einem von zwei Geschlechtern zuzuordnen, muss sich immer wieder erklären – und hat oft Herabwürdigungen erlebt. Lucie Veith: „Es kommt von, auch von religiösen Gruppen, die tatsächlich für sich in Anspruch nehmen, es sei unmoralisch. Ich kann nichts für meine Geburt. Was kann daran unmoralisch sein? Diese Normen, die dort geschaffen sind, sind von Menschen geschaffen, nicht von Gott. Und sie sind auch nirgendwo niedergeschrieben. Ich suche die Bibelstelle, die sagt, dass eine bestimmte Körperlichkeit nicht vorhanden sein darf.“ Die Verbindung von Geschlecht und Moral: Sie kommt daher, dass Genesis 1,27 traditionell im Sinne einer „Schöpfungsordnung“ gelesen wird. Wer nicht eindeutig Mann oder Frau ist, scheint gegen die „göttliche“ Ordnung zu verstoßen. Doch Zweigeschlechtlichkeit ist eine kulturelle Norm. Sie wird als naturgegeben betrachtet und als religiöse Vorschrift missverstanden. 1 „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Isolde Karle: „Wir lesen allerdings diesen Bibeltext immer schon vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Auf- fassung von Zweigeschlechtlichkeit, die sehr strikt interpretiert wird.“ Isolde Karle ist Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum. Sie forscht über Geschlechterfragen. Isolde Karle: „Es ist ganz interessant, dass das historisch nicht der Fall ist, sowohl im Mittelalter wie der Antike konnte man sich immer diese In-Betweens vorstellen, die hatten dann unterschiedliche Namen und die hat man unterschiedlich charakterisiert. Aber neuzeitlich ist es dann ganz strikt. Also durch die Entwicklung der Naturwissenschaft denkt man, man könnte sich das ganz klar unterscheiden, und so liest man auch diesen biblischen Text.“ Die Schöpfungsgeschichte zwingt niemanden, sich in ein Mann-oder-Frau-Schema einzuordnen. In Genesis 1,27 steht mehr, als der erste Blick durch die zweigeschlechtliche Brille glauben macht. „Gott schuf den Menschen…“, steht dort: Adam, das Erdwesen, das eine, noch undifferenzierte Menschenwesen. „Androgyn schuf er ihn“, heißt es in einer jüdischen Auslegung. Schon immer gibt es Menschen, die – körperlich oder sozial – weder eindeutig Mann noch Frau sind, oder eben beides gleichzeitig. Sie nennen sich zum Beispiel „Two Spirit People“ in Nordamerika, Hijras in Südasien, intergeschlechtliche Menschen und Transgender in unserer Kultur. Es geht in Genesis 1,27 nicht um die Definition von zwei Geschlechtern und auch nicht um ihr Zusammenleben in der Ehe. Isolde Karle meint, der Text handelt von etwas ganz anderem: von der Gottebenbildlichkeit der Menschen. „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ Isolde Karle: „Das ist insofern eine ganz spannende Geschichte als dieses Bild Gottes, hebräisch zäläm, ei- gentlich altorientalisch immer nur sozusagen für den Pharao galt, der ein Bild von sich errichten lässt und damit die Präsenz Gottes in der Welt auch garantiert, während hier der Schöpfungsbe- richt sagt – in Auseinandersetzung mit dieser altorientalischen Mythologie – jeder Mensch, männlich plus weiblich, soll Gott in der Welt repräsentieren, ist das Bild Gottes. Und zwar geht es da nicht darum, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, sondern zum Bild Got- tes geschaffen ist, das heißt es geht um ne Funktion. Erstaunlicherweise wird hier kein Unter- schied gemacht zwischen Männern und Frauen. Sowohl Männer wie auch Frauen sollen die Welt nach Gottes Willen gestalten und in dieser Hinsicht Gott in dieser Welt repräsentieren.“ 2 Sowohl Männer wie auch Frauen, beide sind „zum Bilde Gottes“ geschaffen. Ein bemerkenswer- ter Text für die patriarchale Kultur, in der er geschrieben wurde. Der Gedanke von Inklusion und Gleichberechtigung steckt darin: Das Geschlecht macht keinen Unterschied. Männer und Frauen und die dazwischen: Alle Menschen sind zum Bilde Gottes geschaffen. Alle Menschen repräsentie- ren Gott in der Welt – unabhängig von Chromosomen, Geschlechtsorganen und sozialen Rollen. „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ Liest man Genesis 1,27 nach der katholischen Einheitsübersetzung, klingt der Vers anders. Lucie Veith fühlt sich darin viel besser aufgehoben als in Luthers Formulierung „Mann und Frau“. Lucie Veith: „Und er schuf sie männlich und weiblich. Da bin ich doch dabei. Ich bin doch eine Mischung aus männlich und weiblich.“ Diese Übersetzung ist außerdem korrekter als „Mann“ und „Frau“, denn im Hebräischen stehen die Adjektive „männlich“ und „weiblich“. So hat Gott die Menschen geschaffen: Als Ganzheit, mit männlichen und weiblichen Anteilen. Die Formulierung „männlich und weiblich“ nimmt der Apostel Paulus im Neuen Testament auf – allerdings mit einem großen „Nein“ davor. In Paulus‘ Brief an die Gemeinden in Galatien heißt es: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ Galater 3, Vers 28 nach der „Einheitsübersetzung“. Paulus‘ Brief richtet sich an Menschen, deren Leben sich radikal verändert hat – durch die Taufe. Für diese Menschen, die in den christlichen Gemeinden in Galatien ihr neues Leben teilen, hat der Apostel eine Botschaft: Durch Jesus Chris- tus seid ihr frei! Isolde Karle: „Er beschreibt damit die neue Identität, die durch die Taufe auf den Namen Jesu geschenkt wird. Diese neue Identität führt zum Leib Christi, also in dem alle in großer Gleichheit mitei- nander verbunden sind, und zwar die Juden und Griechen, Sklave und freie Bürger und eben auch Mann und Frau. Also sozusagen diese Unterschiede relativieren sich durch die Taufe oder werden gar aufgehoben. Das war von der Stratifikation, die in der antiken Gesellschaft eben vorgegeben war, wirklich revolutionär. Und das heißt, das Christentum war nicht nur eine reli- giöse Bewegung, sondern es hat auch tatsächlich eine neue Sozialordnung erst einmal mit sich gebracht.“ „Es gibt nicht mehr männlich und weiblich.“ Die neue Sozialordnung war eine reale Erfahrung in der frühen christlichen Gemeinschaft – auch wenn andere Stellen der Paulusbriefe weniger frau- 3 enfreundlich klingen. Tatsächlich durften Frauen eine Gemeinde leiten oder dem Abendmahl vorstehen. Sie taten ihren Dienst mit Paulus auf Augenhöhe. Und heute? Die Theologin Isolde Karle interpretiert Galater 3,28 so: Isolde Karle: „Geschlecht ist einfach komplett sekundär. Das ist einfach ne Kategorie, die mich nicht ausma- chen sollte. Sondern es geht darum, dass Gott mir bestimmte Gaben gegeben hat, und die ver- suche ich einzusetzen. Und am Schönsten ist es immer, wenn dabei gar nicht mein Geschlecht beobachtet wird, sondern das, was ich als Individuum bin, was ich als Individuum kann, wie ich mich einsetzen kann, was, ähm, ja wer ich auch bin sozusagen, jenseits von der Zuschreibung, Ehefrau, Mutter, sonstwie Frau zu sein. Christus hat uns befreit. Wir sollen nicht wieder – sagt Paulus in Galater – nicht wieder Knechte werden, sondern im Geist dieser Freiheit leben. Und das ist für mich, würde ich sagen, das Entscheidende.“ Im Geist der Freiheit leben. Frei von Zuschreibungen und frei von dem Zwang, sich selbst zuord- nen zu müssen. Bedeutet das: Alle sind gleich? Sollen wir in den christlichen Gemeinden durch eine Brille schauen, die das Geschlecht neutralisiert? Lucie sagt: Nein. Jede Person ist, was sie ist. Lucie Veith: „Ich denke, dass ich, dass man sagen darf: ‚Ich bin eine Frau, ich bin ein Mann, ich bin ich selbst, ich bin weder noch oder sowohl als auch, ich bin divers oder was auch immer‘ – dass man das sein darf, aber es keine Rolle spielt im Verhältnis zu Gott.“ …und auch nicht im Verhältnis zueinander. Dazu braucht es eine neue Brille, die erkennen lässt: Jeder Mensch ist einzigartig, „normale“ Menschen gibt es nicht. Alle leben in einer großen, schönen Schöpfungs-Unordnung. Isolde Karle: „Es war jetzt in der Presse ja sehr ausführlich die Rede von einem