konstruktiv Beilage zum bref Magazin Theologisches aus Bern N° 42 / 2018

Ja! Mut zur Krise: 1919–2019 Inhalt Editorial «Warum Karl Barths Theologie ihre beste Zeit noch vor 3 Zu zweit im Gebirge sich hat» – dafür hat Ralf Frisch in seinem gerade im tvz Karl Barths Freundschaft mit Eduard Thurneysen Matthias Zeindler erschienenen Buch «Alles gut» überzeugende Gründe angebracht und dabei einmal mehr die unverbrauchte Ak- 5 «Da, nehmt, ergreifet, habet!» – Wie tönen Barths Safenwiler Predigten heute? tualität der Theologie Barths unter Beweis gestellt. Und David Plüss diese trifft nicht nur auf die ebenso kühne wie Gelassen- heit schenkende Grosserzählung der vielbändigen Kirch­ 7 Mut zur Theologie – Karl Barths «eiserne Rationen» im Konfirmandenunterricht lichen Dogmatik zu, sondern gilt ebenso für die geradezu Stefanie Lorenzen expressionistischen Römerbrief-Kommentare Barths aus den Jahren 1919 und 1922. 8 «Don’t be a maybe» – oder: Karl Barth, der Raucher Matthias Käser-Braun Eruptiv brach die eigenwillige, gegen die Not des Predigt- amtes und die vollends angesichts des Ersten Weltkriegs 10 «Ich wünsche diese Zeit herbei …» – nicht mehr zu verbergende Krise von Theologie und Kirche Karl Barth und das Frauenstimmrecht Ruth Hess angehende, verwegene neue Sicht auf den Römerbrief des Apostel Paulus in die Wüste des ersten Nachkriegsjahres 12 Karl Barths «Entdeckerfreude» und der Glaube ein. Gemeinsam mit dem Tambacher Vortrag Der Christ in Benjamin Schliesser der Gesellschaft machte sie ihren Autor weit über die Gren- 14 Die christliche Gemeinde soll kein «stummer Hund» sein! zen der Schweiz bekannt, provozierte Wellen heftiger Be- Karl Barth und die Diakonie zwischen Kirche und Staat geisterung und scharfen Widerspruchs und katapultierte Christoph Sigrist den aargauischen Pfarrer auf eine Honorarprofessur für 15 Die Entzweiung zwischen Leonhard Ragaz und Karl Barth – Reformierte Theologie in Göttingen. Ertrag und Kosten der Krise Anlässlich 100 Jahre Römerbrief I haben Kirchen in Martin Sallmann Deutschland und der Schweiz für 2019 das Karl Barth-Jahr 17 Karl Barth und der Neoliberalismus «Gott trifft Mensch» ausgerufen. Die Berner Theologische Luca Di Blasi Fakultät läutet es mit diesem konstruktiv-Heft ein – über- 18 Gott ist Gott – zeugt davon, dass die so steil und schroff, apodiktisch und oder: die Wiederentdeckung der Alterität Gottes polemisch anmutende frühe Dialektische Theologie des Magdalene L. Frettlöh Störenfrieds Karl Barth auch heute mit ihrem antibürgerli- 20 Karl Barth beim Denken zusehen chen Impetus kräftig aus der Ruhe zu bringen vermag. Ein Werkstattbericht zur Annotation und Kommentierung Wir danken allen, die mit ihren Beiträgen Einblicke in die von Barths Einführung in die evangelische Theologie bewegten Safenwiler Jahre Barths (und darüber hinaus) Dominik von Allmen-Mäder gegeben haben. Dr. Peter Zocher vom Karl Barth-Archiv 21 Neues aus der Fakultät verdanken wir mehr als nur die Bildvorlagen und Ab-

24 Buchpublikationen druckrechte. Möge das diesjährige konstruktiv-Heft seinen Leser_in- nen das eine oder andere herzhafte Lachen entlocken und sie zu eigenen Barth-Lektüren verlocken. Bedienen Sie sich dabei doch der Barth’schen props, die dazu einladen, die Welt auch mal durch Barths Brille wahrzunehmen oder konstruktiv Beilage zum bref Magazin, sich einen Bart(h) zuzulegen, der an den Gegebenheiten Pfingstweidstrasse 10, 8005 Zürich, Telefon 044 299 33 21. kratzt. Dass das freilich nicht ohne rauchende Köpfe (und Redaktion Magdalene L. Frettlöh & Matthias Käser-Braun. Pfeifen) geht, einem allemal der Kragen platzen kann, um Gestaltung Matthias Käser-Braun. Barth'sche Intermezzi Luana S. Hauenstein & Manuel Zimmermann. dann doch wieder den Hut zu ziehen, werden aufmerksa- Produktion Reformierte­ Medien Zürich. me Leser_innen rasch in Erfahrung bringen. Druck Jordi­ AG, Aemmenmattstrasse 22, 3123 Belp. Herausgeberin ­Theologische Fakultät der Universität Bern. Matthias Käser-Braun & Magdalene L. Frettlöh

2 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Zu zweit im Gebirge Karl Barths Freundschaft mit Eduard Thurneysen

Dr. Matthias Zeindler, Titularprofessor für Dogmatik (Institut für Systematische Theologie)

Die Theologie des «frühen» Barth ist ohne die Die vielen Gespräche sind weit mehr als blosse Kirche weiterverwendet. So lässt Barth den Freundschaft mit Eduard Thurneysen nicht Geselligkeit, sie sind Ausdruck eines geteilten Kollegen am 27. Juli 1915 wissen: «Am letzten denkbar. Im September 1921, kurz vor seinem Unbehagens, einer gemeinsamen Ratlosigkeit. Sonntag habe ich deine Predigt noch einmal Umzug nach Göttingen, schreibt er an Thur- Die Aufgabe, nun wöchentlich den Menschen gehalten, aber ein wenig anders und lange neysen: «[G]anz abgesehen davon, dass ich oh- das Evangelium zu verkündigen, führt den nicht so schön» (67). Weiter lädt man sich ein, ne dich wahrscheinlich heute noch missmutig beiden jungen Pfarrern deutlich vor Augen, in der Gemeinde des Anderen Versammlun- bei Schleiermacher oder auch im Sozialismus dass die theologischen Grundlagen, die ihnen gen und Bibelstunden zu halten. Und immer drin steckte». Und weiter: «[D]enn du siehst von ihren verehrten akademischen Lehrern mehr werden sowohl Barth als auch Thurney- nach wie vor irgendwie weiter als ich, bist ir- vermittelt worden sind, nicht mehr tragen. sen zu Vorträgen und Aufsätzen eingeladen, gendwie der ‹Andere› in mir, dem ‹Nächsten› Gleichzeitig fühlen sie sich aber weit davon die wiederum im engen Austausch entstehen. [sic!], auf den es eigentlich ankommt» (520). entfernt, über einen besseren Weg zu verfü- Barth weiss um seinen heftigen, manchmal Deutlicher hat Barth selten ausgedrückt, was gen. «Woher soll die notwendige neue Orien- polemischen und apodiktischen Charakter. er einem einzelnen Menschen verdankt. tierung kommen?» (10) Man muss sich die La- Und er bewundert deshalb an seinem Freund Entsprechend niedergeschlagen klingen die ge von Barth und Thurneysen als eigentliche dessen umsichtige und verständigungsorien- zwei, als die enge Gemeinschaft durch Stellen- Nullpunkt-Situation vorstellen. Nicht selten tierte Art: «Wie traurig macht es mich oft, dass wechsel beider an ihr Ende kommt. Als Thurn­ wird das Predigen zur tiefen Not, Barth spricht gerade das, was du so fein kannst, das Einge- eysen 1919 eine neue Pfarrstelle in St. Gallen einmal von einer «apriorischen Unmöglich- hen auf die Leute, das Alle ganz Ernstnehmen antritt, schreibt er schon bald: «Ich seufze viel keit» desselben (247). Mehr als einmal seufzt und mit ihnen Tragen, bei mir so ausgeschlos- nach Dir – warum müssen wir auch so weit Thurneysen, das Pfarrersein sei ein «grund- sen scheint» (269). Öfter kommt es vor, dass er auseinanderliegen!» (396) Und schon vorher, sätzlich verfehlter Beruf» (90). Und es fällt das Thurneysen bittet, unter einen Antwortbrief als er von der Wahl des Freundes gelesen hat, Wort von der «Wüstenwanderung», auf der noch etwas «Hornbrillig-Umsichtiges» (397) gesteht Barth, dass er «eigentlich nur betrübt» man sich befinde (315). zu schreiben, damit auf der Gegenseite Ver- sei, «wie bei einer Beerdigung, wo man immer stimmung vermieden werden könne. denkt, es könne gar nicht sein» (346). Als Barth Fruchtbare Produktionsgemeinschaft 1917 treten Barth und Thurneysen mit ei- seine Göttinger Professur antritt und sich die Es bleibt freilich nicht beim Seufzen und Kla- nem gemeinsamen Predigtband an die Öffent- räumliche Distanz nochmals vergrössert, no- gen in den Studierstuben der Leutwiler und lichkeit: «Suchet Gott, so werdet ihr leben!» tiert schliesslich Thurneysen: «Ich komme mir Safenwiler Pfarrhäuser. Bald einmal entwi- Darin verzichten die beiden Pfarrer bewusst ganz verlassen und abgekappt vor. Dein Schritt ckelt sich eine beträchtliche gemeinsame Pro- auf die Angabe, von wem welche Predigt führt auch mich ins Dunkle, macht mich ein- duktion. Predigten und Unterrichtslektionen stammt. Die «Doppelautorschaft», so Thurney- sam und unsicher» (487). werden ausgetauscht und öfter in der eigenen sen, ist «Zeichen unsrer Verbundenheit» (255).

Gemeinsam erlittene Predigtnot Die beiden jungen Theologen kannten sich bereits als Studenten, eine Freundschaft ent- stand aber erst, als sie in nahegelegenen Kirchgemeinden im Aargau ihre ersten Pfarr- stellen innehatten. Nachdem Barth am 1. Juni 1913 von Safenwil nach Leutwil zu Thurney- sens Amtseinsetzung gewandert war, ent- stand sehr schnell ein reges Hin und Her von Besuchen und häufigen Briefen. Beide hatten Photo: Karl Barth-Archiv, . weder Telefon noch Auto, also verfügte man sich entweder zu Fuss oder per Velo ins Pfarr- haus des Anderen. Der Briefwechsel zwi- schen beiden umfasste zuletzt rund 1000 Briefe, diejenigen aus der Pfarramtszeit (1913–1921) sind greifbar im ersten von drei Bänden in der Barth-Gesamtausgabe. Zu Brie- fen und Treffen – mit oder ohne Ehefrauen – kamen regelmässige Predigtbesuche, Unter- richtsvertretungen, Reisen zu Tagungen und gemeinsame Ferien. Alles in allem eine Ge- sprächsgemeinschaft von einer seltenen In- tensität.

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 3 Und Barth kommentiert den Entscheid so: stützer, als Mit-Ausleger und unermüdlicher sie dialogisch, nicht monologisch» (Bohren, «Unsere Kampf- und Arbeitsgemeinschaft Gesprächspartner. 85) entstand. Er generalisiert seine Beobach- wird umso stärker wirken, als wir sie durch Als Barth 1920 eine Überarbeitung des «Rö- tung zur These: «Das Gespräch ist der Geburts- sich selber wirken lassen» (253). merbriefs» an die Hand nimmt, wird ihm ort aller Theologie» (Bohren, 77). Es lohnt sich, schnell klar, dass dies nicht ohne substantielle diese Anregung – Theologie als wesenhaft ge- Das Seil gespannt halten! Eingriffe vor sich gehen kann. Im Oktober be- meinschaftlich – auch im Barth-Jahr 2019 neu «Kampf- und Arbeitsgemeinschaft»: Beides richtet er dem Freund, dass das Buch eines zu bedenken. muss man hören, will man die Stimmung ver- Abends angefangen habe, «sich zu häuten, d.h. stehen, von welcher die Freundschaft Barth – ich bekam die Erleuchtung, dass er so wie er Literatur Thurneysen in dieser Zeit getragen wurde. So jetzt ist, unmöglich einfach abgedruckt wer- Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwech- fruchtbar das gemeinsame Arbeiten war, so den darf, sondern an Haupt und Gliedern refor- sel Bd. 1: 1913–1921 (GA V.3), bearbeitet und deutlich führten die kritischen Töne nach vie- miert werden muss» (435). Sofort meldet ihm hg. von Eduard Thurneysen, Zürich 1973 len Seiten die beiden in eine gewisse Isolation. Thurneysen die Bereitschaft zur Mitarbeit: (Seitenzahlen im Text beziehen sich auf Der deutsche Theologe Martin Rade beklagt bei «Lass mich weiter Stück für Stück teilnehmen» diesen Band). einem Besuch in Safenwil ein «‹prophetisches (437). Von nun an gehen in kurzen Abständen Karl Barth, Der Römerbrief, Zollikon-Zürich Selbstbewusstsein›, das uns veranlasse, so auf- immer neue Manuskriptpartien von Pfarrhaus (1922) 1947. zutreten, als ob wir der Christenheit Gott erst zu zu Pfarrhaus. Thurneysen bringt am gesamten Eduard Thurneysen, «Das Römerbriefmanu- bringen hätten» (204). Bei einer Vortragsreise Werk laufend seine Bemerkungen an, die skript habe ich gelesen». Eduard Thurney- wird Barth klar, «wie sehr wir eigentlich wegen Barth in der Regel tel quel übernimmt, und sens gesammelte Briefe und Kommentare Hochmut weithin übel beleumundet sind» wiederholt liest man deshalb in Briefen Sätze aus der Entstehungszeit von Karl Barths (294). Und Thurneysen verdankt eine zugesand- wie diese: «Du hast ja auch aus den neuen Römerbrief II (1920–1921), hg. von Katja te Predigt Barths als «eine Stimme aus den Klüf- Druckbogen gesehen, dass ich deine Sätze Tolstaja, Zürich 2015. ten, in die wir uns offenbar auch für das Urteil meistens einfach wörtlich abschreibe» (472). Rudolf Bohren, Prophetie und Seelsorge. sonst Wohlmeinender begeben haben» (402). Im Vorwort zur zweiten Fassung des «Römer- Eduard Thurneysen, Neukirchen-Vluyn 1982. «Wie traurig macht es mich oft, dass gerade das, was du so fein kannst, das Eingehen auf die Leute, das Alle ganz Ernstnehmen und mit ihnen Tragen, bei mir so ausgeschlossen scheint.»

Das alpine Bild dient den beiden aber auch bei briefs» verkündet Barth deshalb der Leser- der Beschreibung ihrer Gemeinschaft. Ange- schaft: «Kein Spezialist wird dahinter kom- sichts von zu erwartenden «Couloirs, Firnhal- men, wo in unserer auch hier bewährten den, Gletscherspalten» gilt für Thurneysen An- Arbeitsgemeinschaft die Gedanken des einen fang 1921: «Wir müssen vor allem dafür anfangen, die des andern aufhören» (Barth, sorgen, dass das Seil zwischen uns zweien Römerbrief, XVIII). stets gehörig gespannt bleibt» (460). Derselbe Als ob er dieses Rätsel ungelöst lassen woll- Thurneysen findet während des Korrigierens te, hat Eduard Thurneysen in der Edition des der Predigten für den Predigtband ein Bild aus Briefwechsels mit Barth seinen Anteil an den der Maschinenwelt für das gemeinsame Arbei- Römerbriefen durch Kürzungen und teilweise ten: «Ich habe mich stellenweise eigentlich Weglassung seiner eigenen Briefe bewusst zu- wundern müssen über das gute Ineinander- rückgenommen. Durch grosse Bescheidenheit greifen unserer Räder» (235). Während Barth hat er damit die theologiegeschichtliche Rele- dem Freund sagen kann, dieser habe ihn «ja vanz seiner Mitarbeit am «Römerbrief» deut- schon ein paarmal besser verstanden als ich lich geringer erscheinen lassen, als sie tatsäch- mich selber» (237). lich war. Eine neue Briefedition, welche sämtliche Briefe und Kommentare aus der Ent- Die «Römerbriefe» stehungszeit der zweiten Römerbrief-Fassung Im Juli meldet Barth Thurneysen das erste zugänglich macht, korrigiert dieses Bild. Sie Mal, dass er «mit exegetischen Forschungen macht die Arbeitsweise der Freunde, die in den im Römerbrief» befasst sei (146). Nur gelegent- bisher greifbaren Briefen erst andeutungswei- lich lässt sich danach aus den Briefen entneh- se ersichtlich ist, Schritt für Schritt nachvoll- StoppelBARTh men, dass Karl Barth an einer umfänglich- ziehbar. en Auslegung des Römerbriefs arbeitet. Das [frühes Stadium der Schreiben geht freilich nicht ohne Selbstzwei- Theologie aus dem Gespräch Anstössigkeit Barths] fel voran; so fragt der Autor im Februar 1918: Die Aargauer Arbeitsgemeinschaft zwischen «Ob der liebe Gott dieses Geschreibe eigentlich den zwei jungen Pfarrern hat für den Heidel- will?» (265), worauf ihm der Freund zurufen berger Homiletiker und Thurneysen-Biogra- muss: «Den Römerbrief darfst du unter keinen phen Rudolf Bohren einen paradigmatischen Umständen verbrennen» (266). Nach Erschei- Charakter. Bohren ist der Auffassung, dass die nen des Buches nennt Barth Thurneysen den damaligen Aufbrüche nicht allein inhaltlicher «ersten Mitschuldigen» daran (304). Was die- Art waren. «Das Neue an der Erneuerung evan- ser zweifelsohne war: als Anreger und Unter- gelischer Theologie war nicht zuletzt dies, dass

4 konstruktiv Beilage zum bref Magazin «Da, nehmt, ergreifet, habet!» – Wie tönen Barths Safenwiler Predigten heute?

Dr. David Plüss, o. Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie (Institut für Praktische Theologie)

Karl Barth stieg 1919 im aargauischen Safenwil Schweizer Predigtpreises 2013 erarbeitet ha- sonanz sowohl bei den Jüngern als auch in der mit wenigen Ausnahmen jeden Sonntag auf ben: Wir fragten danach, (1) ob die Predigt rhe- Safenwiler Gemeinde geht Barth im Folgenden die Kanzel, obwohl er durch das Erscheinen sei- torisch-handwerklich gut gemacht sei und ob hin und her. Dabei bleibt er hart am Ball und nes Römerbriefkommentars und die dadurch sie unsere Aufmerksamkeit zu erregen und gerät an keiner Stelle in einen abstrahierenden ausgelösten Resonanzen sehr in Anspruch ge- wachzuhalten vermöge, (2) ob sie existentielle Modus. nommen war. Er hat sich in gut reformierter Erfahrungen der Hörerinnen und Hörer plausi- Manier nicht an eine Perikopenordnung gehal- bel in den Blick nehme und in hilfreicher Wei- Erfahrung hinter der Erfahrung ten, sondern die Lectio continua gepflegt: Im Ja- se bearbeite, (3) ob die Predigt neue Einsichten Dazu passt, dass Barth in dieser Predigt an nuar legte er Kapitel 14 des Johannesevangeli- vermittle und die Gemeinde im besten Sinne keiner Stelle als steiler Dogmatiker mit deduk- ums aus und von Februar bis April Matthäus 9 bilde, (4) wie mit dem Bibeltext umgegangen tivem Gestus auftritt wie in anderen seiner und 26. In den Sommermonaten war der Ephe- werde, (5) ob die Predigt eine prägnante und Texte aus der Zeit (vgl. Voigt, 188ff.), sondern serbrief an der Reihe und im Herbst wiederum theologisch gehaltvolle Kernbotschaft vermitt- als Erfahrungstheologe, der Jesu Sprechakt Matthäus, diesmal Kapitel 18. le und (6) wie sich die Predigerin oder der Pre- performativ ausleuchtet. Das bei Johannes an- Der Weg auf die Kanzel fiel ihm auch nach diger selber einbringe. gesprochene Erschrecken nimmt er als Steil- einigen Jahren im Pfarramt noch immer nicht vorlage für die Thematisierung von allerlei leicht. Das Leiden darunter war bekanntlich Rhetorik des direktiven Trostes ein wesentlicher Motor für die Kommentie- Wie ist die Predigt rhetorisch gestaltet? Ich zi- rung des Römerbriefs, mit der er indes dieses tiere den Bibeltext und die ersten Sätze der «Jesus hat die Jünger nicht Leiden nicht zu lindern, aber ins rechte Licht Predigt: zu setzen versuchte. So schrieb er an Eduard Johannes 14,1: Jesus sprach zu seinen Jün- einmal gefragt, ob sie denn Thurneysen in jenen Tagen: gern: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubet an auch erschrocken seien in «Der Kampf um das Wort wird mir in Safen- Gott und glaubet an mich! «Es ist ein volles, wil so schwer, ich leide bei jeder Predigt so un- rückhaltloses Anbieten in diesen Worten. Gar dem Sinn, wie ein Christ ter dem Bewusstsein der Differenz von Verheis­ nichts stellt Jesus zwischen sich und die Er- erschrocken sein muss: er- sung und Erfüllung, dass ich mich oft eher schrockenen hinein, keine Schranke, keine Be- zurücksehne nach den Fleischtöpfen Ägyp- dingung, keine Frage. Wie ein Bergstrom, der schrocken über die Grösse tens, wo man den Leuten doch ‹etwas› zu bie- alle Hindernisse überwindet, alles mitreisst, der menschlichen Sünde, ten hat […]. Unterdessen und im Blick auf diese kommt dieses Anbieten des Heilands zu ihnen letzte Notwendigkeit [sc. die Wiederkunft und zu uns: da, nehmt, ergreifet, habet! Die erschrocken über das Heer Christi] bleibt dann doch wieder nichts übrig, Liebe treibt die Furcht aus! Furcht ist nicht in der Übel, das die Welt als sich wandernd unter die Erwägungen von der Liebe! (vgl. 1 Joh 4,17f.)» (13). Röm. 4 zu stellen, also doch zum Wüsten- und Während viele Predigten mit einführenden heimsucht, erschrocken Pilgerstand Ja zu sagen, zu warten und auch und zuweilen langatmigen Kommentaren auf über die Macht des Teufels die anderen mit ihrem Drängen nach Zeichen der Metaebene beginnen und etwa die histori- und Wundern (mit dem sie etwas Richtiges schen Hintergründe des Bibeltextes erläutern, und des Todes, erschrocken vertreten) warten – oder in die Heilsarmee zie- ist dies hier nicht der Fall. Barth geht ohne Um- über sich selbst.» hen zu lassen» (Barth-Thurneysen-Briefwech- schweife zur Sache. Er wiederholt und ver- sel, 312.316). stärkt die unmittelbare Konfrontation der Jün- Wie lesen wir Barths frühe Predigten heute? ger mit Jesu Trost. Er versteht den Zuspruch als Ängsten und Schrecken, die die Jünger damals Wie würde das Urteil ausfallen, wenn sie in «voll», «rückhaltlos», «wie ein Bergstrom, […] und die Safenwiler Gemeinde heute, die Men- der Jury des Schweizer Predigtpreises begut- der alles mitreisst» – und vollzieht einen ent- schen aller Zeiten umtrieben: achtet würden? Darum geht es im Folgenden. sprechenden Sprechakt, der alles mitreisst: «Er hat sie nicht einmal gefragt, ob sie denn Ich kommentiere die erste im Jahr 1919 an ei- «Da, nehmt, ergreift, habet!» Hinzu kommen auch erschrocken seien in dem Sinn, wie ein nem Sonntag gehaltene Predigt (Predigten die Resonanz, die Reaktionen und möglichen Christ erschrocken sein muss: erschrocken 1919, 13–19). Barth hat sie am 5. Januar in Sa- Rückfragen, die Jesu direktiver Trost bei den über die Grösse der menschlichen Sünde, fenwil und Ürkheim gehalten und mit ihr die Hörenden auslösen könnte, von denen wir im erschrocken über das Heer der Übel, das die fortlaufende Auslegung von Johannes 14 be- verlesenen Text aber nichts erfahren. Hier Welt heimsucht, erschrocken über die Macht gonnen. Mein Kommentar richtet sich nach wird der Prediger aktiv und kreativ. Zwischen des Teufels und des Todes, erschrocken über den Kriterien, die wir als Jury des ersten Jesu Trost-Direktive und der imaginierten Re- sich selbst. Die Furcht, in der er sie offenbar

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 5 gesehen hat, konnte doch gerade so gut bloss Menschen, seinem meist verdeckten Wissen Die schroffe Dialektik, die wir im Römerbrief- eine kleine menschliche, persönliche Furcht darum und seiner Frage nach Gott. Barth zielt kommentar finden, bleibt hier aus. Barth reicht sein, so dass es sich gar nicht lohnte, ihr mit so entschieden auf Erfahrungen: Erfahrungen der Gemeinde die Hand und zieht sie heraus. gewaltigem Trost zu begegnen. Sicher war's des Alltags, die Barth durchaus ernst nimmt. zum grossen Teil solch eine kleine menschli- Ernster, als viele sie selber nehmen. Und zwar Bringt sich der Prediger ein? che Furcht, die wie die Furcht, die wir haben in dadurch, dass er sie über sich selbst aufklärt Wie authentisch ist die Safenwiler Predigt? Sie unseren Gedanken über Gesundheit, Auskom- und in einen christlich-theologischen Hori- ist es durch und durch. Barth gibt sich mit sei- men, Familie, Politik. Aber Jesus hat nicht da- zont einrückt. Barth zielt auf die Erfahrung nem Leiden an der Predigt, mit seiner theolo- nach gefragt. Er hat das Kleine in ihnen gese- hinter der Erfahrung und eine Erfahrung mit gischen Leidenschaft und expressiven Rheto- hen, aber er hat sozusagen darüber hinweg- der Erfahrung. Sie soll der Gemeinde vor Au- rik «rückhaltlos» in die Predigt hinein. Er gesehen, er hat ohne weiteres angenommen, gen geführt und in befreiender Weise bespro- schont sich in keiner Weise. Das verwendete dass hinter dem kleinen dummen das grosse chen werden. «wir» ist weder ein Pluralis Majestatis noch göttliche Erschrecken in ihnen sei. Er hat sie vereinnahmend, sondern ein eigenes Erwägen ganz ernst genommen und ihnen zugetraut, Homilie und Bildung und Ringen, in das er die Gemeinde hinein- dass sie mit ihm erschrocken seien über die Bildet Barths Safenwiler Predigt? Ja, durchaus! nimmt: «Wir könnten das nicht, wenn wir vielen Schwierigkeiten, die Gott jetzt bereitet Allerdings nicht in einem bildungsbürgerli- schon wollten! Es ist gleichzeitig auch das Ge- werden auf der Erde, über all die Fesseln und chen Sinn und Gestus, sondern als Aufklärung genteil wahr und noch wahrer: doch wir könn- Bande, mit denen die Menschen jetzt sich und menschlicher Alltagssorgen, indem Barth die- ten, wenn wir wirklich wollten. Wann werden Andere plagen, sodass es zu keiner Freiheit se mit einer verblüffenden Vehemenz in einen wir wirklich wollen, dass der Bergstrom der Gottes kommen kann» (13). anderen, dem Menschen grundsätzlich uner- Liebe, der die Furcht austreibt, auch von uns Barth nimmt das menschliche Erschrecken schwinglichen Referenzrahmen verschiebt. ausgehen kann?» (15) In dieses Wir schliesst ernst, und zwar in seiner ganzen Bandbreite: Dabei geht der Schub nicht vom Prediger aus, sich Barth nicht nur ein, sondern ist von An- von den kleinteiligen, alltäglichen Geld- und sondern von Christus: «Er hat sie also schon, fang an drin. Gesundheitssorgen bis hin zum «metaphysi- was das menschliche oder göttliche Erschre- schen Gruseln» (Matter, 55), dem Erschrecken cken betraf, nicht auf dem Boden stehen las- Fazit über die Abgründe des Menschen, über die sen, wo sie gewiss standen, sondern sofort auf Wie würde die Predigtpreis-Jury wohl urtei- Niedertracht, die riesigen Katastrophen und seinen Boden genommen, um ihnen von da len? Ich weiss es nicht. Die Predigt würde wohl das unermessliche Leiden des erst kürzlich be- aus zu zeigen, was eben von da aus zu sehen die Geister scheiden und keinen Preis gewin- endeten Krieges. Dabei werden die Alltagssor- war» (14). Glauben lernen als Refraiming und nen. Aber dass sie starke Resonanzen erzeug- gen nicht kleingeredet, aber entschieden relati- Perspektivenwechsel, als Verschieben des eige- te, scheint mir gewiss. Mich jedenfalls hat sie viert und verbunden mit der Zeitgeschichte, nen Standpunktes, was nach Barth durch den kräftig in Bewegung versetzt und nicht nur mit sozialen und politischen Umbrüchen und direktiven Trost Jesu bei den Jüngern initiiert mein homiletisches Nachdenken angeregt. – für Barth zentral – mit den Abgründen des wurde und durch die Wiederholung, Überset- zung und Auslegung im Medium der Predigt Literatur in Safenwil initiiert werden soll. Bildung wäre, Karl Barth – Eduard Thurneysen, Briefwechsel Bd. so verstanden, ein durch die Predigt eröffneter I: 1913–1921 (GA V.3), hg. von Eduard Thurney- (nicht bewirkter!), befreiender Perspektiven- sen, Zürich 1972. wechsel. Karl Barth, Predigten 1919 (GA I.39), hg. von Her- mann Schmidt, Zürich 2003 (die Seitenzahlen im Bibelpredigt Text beziehen sich auf diesen Band. Barths Safenwiler Predigt ist Bibelpredigt Simon Butticaz/Line Dépraz u.a. (Hg.), Ausgespro- durch und durch. Und zwar in zweifacher Hin- chen reformiert. Predigten (Schweizer Predigt- sicht: Der Bibeltext gibt nicht nur den Inhalt preis 2014), Zürich 2014. vor, sondern auch den Gestus. Barth räsoniert Mani Matter, Us emene lääre Gygechaschte. Bern- nicht auf der Metaebene über den Bibeltext, deutsche Chansons, Zürich/Köln 1972. sondern verbleibt im Raum des Textes und Friedemann Voigt, Predigt als theologischer Be- leuchtet diesen aus, spricht aus diesem heraus. griff. Die Predigtlehre Karl Barths, in: Christian Er nimmt die Bewegung und Sprechrichtung Albrecht/Martin Weeber (Hg.), Klassiker der des Jesuswortes auf und gibt ihm eigene Wor- protestantischen Predigtlehre, Tübingen 2002, te und die eigene Stimme. Und zwar in einer 184–201. Weise und Tonlage, dass sie im aargauischen Safenwil gehört und verstanden werden kann.

«Da, nehmt, ergreifet, habet!»: die theologische Message In Barths Predigt eine gehaltvolle theologische Aussage zu finden, fällt nicht schwer: «Da, nehmt, ergreifet, habet» den Trost des Glau- bens. Barth erörtert diesen nicht, sondern spricht ihn zu. Die Predigt ist Verkündigung, Zuspruch, Trost. Sie ist viva vox evangelii, zu- mindest dem Anspruch und der rhetorischen Gestalt nach. Wie sie gewirkt hat, wissen wir nicht. Wenn er von Jesus sagt, er habe «ihnen gleich die Hand gegeben und sie, ohne mit ih- nen zu disputieren, herausgezogen» (14), so Photo: Karl Barth-Archiv, Basel. gilt dies auch für Barth und seine Safenwiler.

6 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Mut zur Theologie – Karl Barths «eiserne Rationen» im Konfirmandenunterricht

Dr. Stefanie Lorenzen, Dozentin für Religionspädagogik (Institut für Praktische Theologie)

Ja! Mut zur Krise – den hat Pfarrer Barth. Neu- Strukturelement allerdings bleibt über die Jah- Barths Unterrichtskonzept ist also nicht in lich hat er sich mit dem Fabrikanten Hochuli re unverändert: Zu jeder Lektion gibt es Leit- dem Sinne performativ, wie es heute diskutiert angelegt. Der Konfirmandenunterricht soll sätze, die das Wesen der «Sache» für die Kon- wird: Es geht nicht um das probeweise Durch- nicht am Samstagabend oder am Sonntag firmand_innen auf den Punkt bringen sollen. führen religiöser Rituale oder um liturgisches stattfinden, sondern während der Arbeitszeit. Sie sind «nicht zum Auswendiglernen, son- Lernen. Es geht um eine kognitive Angelegen- Das hat dem Fabrikanten nicht gepasst, und dern als Bügel zum Aufhängen für das Ge- heit, um das Denken eines Gedankens oder noch besser: um die Erfahrung mit dem Den- ken eines Gedankens und um die daraus resul- «Leitsätze sind nicht zum Auswendiglernen, sondern als tierende Schlussfolgerung: Weil Gott Gott ist, können Menschen die Lebendigkeit seines Bügel zum Aufhängen für das Gedächtnis.» Wirkens nur dadurch erfassen, dass sie ihre ei- gene Begrenztheit im Denken Gottes erfahren. Sich im Christentum einüben, das bedeutet, jetzt ist er aus der Kirche ausgetreten. Aber ge- dächtnis, später zum Wiederholen» (57), so diese Erfahrungen mit dem Denken immer gen das Fabrikgesetz, das die Arbeitszeiten re- Barth im Vorbereitungsheft zu seinem zweiten wieder zu machen, und also immer wieder zu gelt und dabei auch den Religionsunterricht Jahrgang (1910/11). Die Leitsätze sind Elemen- dem Satz zu kommen: Gott ist Gott! Dieses berücksichtigt, kann er nichts machen. Deswe- taria seiner Theologie, die er den Jugendlichen «Einüben» sieht Barth nicht als Verkündi- gen sitzen sie jetzt hier, die Konfirmand_innen offensichtlich ohne Bedenken zumutet. gung: Der kirchliche Unterricht soll, anders als aus Safenwil, im Saal des Pfarrhauses, um halb Diese elementare, den jungen Menschen zu- die Predigt, «belehren» (so KD I/1, 51). sieben in der Früh, während die Kolleg_innen gedachte Theologie ist auch heute noch anre- Liest man durch die weiteren Paragraphen, schon mit der Schicht beginnen. Die Hefte lie- gend. Barth theologisiert nicht mit den Jugend- die dieses «Einüben» als eine Art «Dogmatik gen auf ihren Knien. Alle sind bereit zum Dik- lichen, wie das heute angestrebt wird. Aber er im Kleinen» durchbuchstabieren, kommen ei- tat der Leitsätze. bemüht sich um eine Theologie für diese Ju- nem durchaus Zweifel an der Jugendgemäss- Karl Barth bildet sich nichts auf seinen Un- gendlichen. Im letzten Jahr seiner Safenwiler heit des Programms. Hat Barth seine Konfir- terricht ein – aber er nimmt ihn sehr ernst. Er Zeit gibt er seinem Unterricht ein übergreifen- mand_innen morgens um halb sieben wirklich will, dass die Jugendlichen etwas daraus mit- des Motto mit didaktischem Einschlag: «Ein- erreicht mit seinen gehaltvollen Merksätzen, nehmen. Was er vorträgt, soll Hand und Fuss übung im Christentum» (363) – so lautet die die einiges zu denken aufgeben? Was die Teil- haben, soll Überzeugung sein. Deswegen ar- Überschrift in den Vorbereitungsheften der nehmenden beeindruckt hat und woran sie beitet er auch nicht einfach nur nach dem Ka- Jahrgänge 1920/21 und 1921/22. Ebenso wie sich auch später noch erinnerten, das war die techismus und gibt Vorgefertigtes aus der man ein Theater- oder Musikstück einübt, so Atmosphäre, die sich rund um diese Theologie Schublade weiter. Nein, er führt ein eigenes kann man sich offensichtlich auch im Chris- und diesen Theologen im Konfirmandenun- Vorbereitungsheft. Jedes Jahr verändert er, ex- tentum einüben. Das bedeutet: Man nimmt die terricht verbreitete: der Eindruck unbedingter perimentiert, verwirft, fügt Neues hinzu. Ein Partitur des Christentums in Gebrauch. Von Ernsthaftigkeit, verbunden mit dem Anliegen, aussen erscheint diese Partitur nur als eine An- diesen Jugendlichen etwas «mitgeben» zu wol- sammlung toter Buchstaben, zum Klingen len als «eiserne Ration» (XXIII) fürs Leben. bringt man das Stück erst, wenn man es übt. «Welche ‹eiserne Ration› Theologie brau- Das aber meint hier zugleich: Wenn man sich chen diese Jugendlichen für ihr Leben?» – Das selbst darin einübt, sich also verwickeln lässt, wäre nicht die schlechteste Frage für die Vor- sich einbringt. Der erste Leitsatz dieses Jahr- bereitung von Konfirmandenunterricht im gangs lautet: «Die Unterweisung ist eine Ein- Jahre 2019. übung» (405). Und weiter: «Wir sollen es ler- nen, Gottes Wort zu hören, d.h. den sehr Literatur ungewohnten Gedanken zu denken, daß Gott Karl Barth, Konfirmandenunterricht 1909–1921 lebt. Damit werden wir nicht fertig werden, un- (GA I.18), hg. von Jürgen Fangmeier, Zürich 1987 ser Leben wird darüber hingehen und zuletzt (die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf werden wir soweit sein wie am Anfang. Wenn diesen Band). DamenBARTh wir einsehen, daß das so sein muß, weil Gott Karl Barth (KD), Die Kirchliche Dogmatik. Bd. I/1, Gott ist, dann hat die Einübung schon begon- Zollikon-Zürich 1932. [Barth der Frauen] nen» (ebd.).

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 7 «Don’t be a Maybe» – oder: Karl Barth, der Raucher

Matthias Käser-Braun, Assistent und Doktorand in Dogmatik und Religionsphilosophie (Institut für Systematische Theologie)

Wer raucht, hat ein Imageproblem. Wer raucht wenn ich als geouteter Theologe zugleich rau- Und als im Evangelischen Pressedienst mitge- und Theologe ist, kann sein Image – zumin- che. Dabei haben der freiheitsliebende Marl- teilt wurde, dass es den Konzilsvätern während dest kurzfristig, denn «Rauchen ist tödlich» – boro-Mann – freilich nicht so sehr derjenige, des Zweiten Vatikanischen Konzils erlaubt sei, aufpolieren. Von den vermeintlich professio- der längst zum Outlaw der Plakatwände wur- in der Peterskirche zu rauchen, war sich Barth nellen Moralist_innen wird nämlich ge­­­mein- de und kurz darauf an Lungenkrebs starb – gewiss: «Jetzt muß das Konzil gelingen!» (Barth ­hin erwartet, den Genuss von Tabak zu krimi- und die Theologin zumindest Eines gemein- 1963, 122.) In der Kirchlichen Dogmatik kam nalisieren. Tun sie es nicht, wirken sie – sam: Wer als Theologin im 21. Jahrhundert Barth nicht umhin, hinsichtlich der Anthropo- inmitten eines geradezu manisch gesunden, auch mal raucht, gibt sich als unzeitgemässe logien seiner Fachkollegen zwar nicht despek- weil vegan und low carb orientierten Lebens – Zeitgenossin. Lernen lässt sich das vom rau- tierlich, aber doch mit einer kritischen und nahezu anziehend. Passiert mir jedenfalls chenden Kirchenvater des letzten Jahrhun- gleichsam schelmischen Spitze anzumerken, ständig: Evoziere ich dezidierte Irritation, derts: Karl Barth. «daß keiner dieser Apologeten es für der Er- wenn ich mich in einer Bar gegenüber Unbe- Bei «der doppelten Wanderung durch den wähnung würdig hielt, daß unter allen Wesen kannten zu meiner Profession bekenne, so Römerbrief […] und bei so mancher Predigt» scheinbar nur der Mensch zu lachen und zu kommt mir blanke Verwunderung entgegen, (Barth 1931, 165) begleitete Barth seine Pfeife. rauchen pflegt» (Barth, KD III/2, 96). Lachen und rauchen – das waren für Barth anthropolo- gische differentiae spezificae. Auf die Frage ei- nes Studenten, ob auf den Schreibtisch eines Theologen nicht ein Kruzifix gehöre, meinte denn Barth: «Nein, dahin gehört der Tabakbeu- tel!» (Von Taube, 307.) Mensch wird freilich – um zumindest einigen wenigen (vermeintlich) professionellen Moralist_innen nach der Pfeife zu tanzen – anmerken müssen, dass sich über Photo: Karl Barth-Archiv, Basel. die «Freiheit in der Beschränkung» (Barth, KD III/4, § 56) bzw. die Beschränkung in der Freiheit, wonach auch Rauchen in der Ordnung sein muss, bei Barth zumindest streiten lässt: Als 1932 auf einer Reise nach Koblenz die Spit- ze seiner Pfeife bricht, er diese bei Ankunft so- fort in Reparatur gibt und nun Zigarren «als vorläufigen Ersatz» (Barth 1932, 252) rauchen muss, die aber leider «wirklich unglaublich schlecht [ziehen]» (a.a.O., 253), beklagt er sich bei Charlotte von Kirschbaum, sie könne sich nicht vorstellen, «was für eine Belastung des Gemüts das bedeutet» (ebd.). Barth hat eben zeitlebens geraucht, auch noch als er 1964 in ei- nem Brief an Fritz Lieb bekennt, über die «verheerende[n] Wirkungen […] ja jetzt von Amerika her gründlich unterrichtet» (Barth 1964, 239) zu sein. Während es früher – nicht nur als Ersatz, sondern etwa mit seinem Freund Eduard Thurneysen – auch mal Zigarren sein durften, beschränkte er sich fortan auf die Pfei- fe. Dass Barth jedoch allen Ernstes dachte, Pfei- fe zu rauchen sei gesu(e)nd(er), ist zu bezwei- feln. Aber Barth ging eben nicht trotz, sondern wegen seiner hellwachen Zeitgenossenschaft nicht immer mit der Zeit.

8 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Wer heute als Raucher_in mit der Zeit gehen ganz schön unbequem werden. Etwa so unbe- Karl Barth (1964), An Prof. Dr. Fritz Lieb, Degers- will, schliesst sich indes der Kultur des Nieder- quem, wie es heute ist, Raucher_in zu sein – heim (Kanton St. Gallen), in: Briefe 1961–1968 garens an: Dieser angeblich gesündere Tabak mensch denke an den äusserst planungsinten- (GA V.6), hg. von Jürgen Fangmeier und Hinrich wird nicht verbrannt, sondern nur erhitzt. Das siven Akt des Rauchens aufgrund der Stoevesandt, Zürich 1979, 237–239. Rauchgerät auf der Höhe der Zeit heisst darum beschränkt verfügbaren bzw. der das Rau- Karl Barth (KD), Die Kirchliche Dogmatik I/1– Iqos: Die E-Zigarette des Tabakkonzerns Philip chen duldenden Orte. Und selbst auf den Leu- IV/3, Zollikon-Zürich 1932ff. Otto von Taube, Andacht zum Kreuze, in: Eckart Jahrbuch 28 (1959), 307f. «Vor allem: in necessariis keinen Schritt nachgeben, in dubiis sich nichts merken lassen, in aliis die Pfeife nicht ausgehen lassen.»

Morris besteht aus einem Mundstück mit aus- enberger Karl Barth-Tagungen sind die Rau- tauschbarer Flüssigkeitspatrone, einem Ver- cher_innen an einer Hand abzuzählen, dampfer und einem wieder aufladbaren Akku. während es doch früher geradezu ein identity- Man will anscheinend sein Marken-Image auf- marker war, wenigstens dort (s)eine Pfeife an- polieren, weshalb der Mutter­­konzern von zuzünden. Marlboro in der Schweiz seit kurzem auf Wer- Nun könnte es ja sein, dass selbst diese Kri- bung für konventionelle Zigaretten verzichtet sen die Gelassenheit der Theologin und ihrer und stattdessen den Elektro-Stängel bewirbt, immer wieder neu zu reformierenden Theolo- der mit seinem weissen und geradezu unschul- gie herausfordern. Vielleicht machen sie so ge- digen Design an den Schwangerschaftstest aus lassen, dass der Theologe des 21. Jahrhunderts der Apotheke erinnert. Das Ganze nennt sich angesichts des Gesundheitspuritanismus auch dann fortschrittliches Rauchen. mal raucht und mit Marlboro sagen kann: Dass jedoch Fortschritt «ein aufs tiefste «Don’t be a Maybe.» Barth schien das zeitwei- dubioser Begriff» (Barth, KD IV/1, 787) ist, lig ähnlich zu sehen und – wieder einmal – tri- wusste bereits Barth. Darin liegt denn auch adisch zu bezeugen: «Vor allem: in necessariis begründet, warum er zeitlebens von der Zeit­­- keinen Schritt nachgeben, in dubiis sich nichts genossenschaft, nicht aber der Zeitgemässheit merken lassen, in aliis die Pfeife nicht ausge- der Theologie sprach. Während die Zeitge- hen lassen.» (Barth 1922, 30.) mässheit für die Modernität und damit für ei- ne Theologie auf der sogenannten Höhe der je- Literatur weiligen Zeit steht, meint Barth mit der Karl Barth (1922), 22. Januar 1922, in: Karl Barth Zeitgenossenschaft die Gleichzeitigkeit göttli- – Eduard Thurneysen. Briefwechsel Band II: cher und menschlicher Zeit. Theolog_innen 1921–1930 (GA V.4), hg. von Eduard Thurneysen, müssen sich auch mal gleichzeitig machen Zürich 1974, 27–30. können, denn in der Theologie zählt nicht der Karl Barth (1931), Barth an Thurneysen, 9. August Fortschritt, sondern die Reformation. «Sem- 1931, in: Karl Barth – Eduard Thurneysen. per reformari heißt aber nicht: immer mit der Briefwechsel Band III 1930–1935 (GA V.34), hg. Zeit gehen, den jeweiligen Zeitgeist als Richter von Caren Algner, Zürich 2000, 164–169. über wahr und falsch walten lassen, sondern: Karl Barth (1932), Koblenz: B H, 11.10.1932, in: zu jeder Zeit und in Auseinandersetzung mit Karl Barth – Charlotte von Kirschbaum. Band I: jedem Zeitgeist nach der dem unveränderli- 1925–1935 (GA V.45), hg. von Rolf-Joachim Erler, chen Wesen der Kirche entsprechenden Ge- Zürich 2008, 252f. stalt, Lehre, Ordnung, Dienstleistung fragen.» Karl Barth (1963), Gespräch mit Göttinger Studen- (Ebd.) Vor die Herausforderungen der Zeit ge- ten, in: Gespräche 1963 (GA IV.41), hg. von stellt, kann dies für den Theologen auch mal Eberhard Busch, Zürich 2005, 121–165.

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 9 «Ich wünsche diese Zeit herbei …» – Karl Barth und das Frauenstimmrecht

Ruth Hess, Doktorandin in Dogmatik (Institut für Systematische Theologie)

Anfang 1919 – zeitgleich mit dem Erscheinen ein. In einer Predigt über Bildung vom Juli auffassung ein und klagt seine Verweigerung von Karl Barths erstem Römerbriefkommen- 1910 kommentiert Barth wenig später zustim- scharf an. Anders als Cohen macht Barth an tar – konnten Frauen in Deutschland erstmals mend: «Man will neuerdings ja auch den Frau- diesem Punkt jedoch die Frauenfrage explizit uneingeschränkt wählen und sich wählen las- en das Stimmrecht geben […]. Man spricht da- und platziert sie so in der Herzkammer seiner sen. Als Vorreiter in Europa war Finnland die- mit aus, dass man auch die Frauen als frühen politischen Ethik. Diese Zuspitzung sen Schritt schon 1906 gegangen. Schlusslicht gebildete Glieder der öffentlichen Gemein- ist in jeder Hinsicht bemerkenswert! Mit ihr blieb Liechtenstein 1984. Auch in der Schweiz schaft anerkennt, und das ist gut und recht so.» schwenkte der junge Theologe auf eine sollte das Frauenstimmrecht bekanntlich noch Aber, so der gerade 24-Jährige weiter, «nun ist ungleich radikalere Linie ein als noch 1910. länger auf sich warten lassen. Erst 1971 setzte es an den Frauen zu zeigen, dass sie gebildet Ja, die Begründungsfigur dreht sich nachge- es sich auf eidgenössischer Ebene durch. Wie sein wollen, dass jene Anerkennung keine Illu- rade um: Nicht die Frauen müssen ihre Taug- beschwerlich das politische Ringen darum sion ist» (Barth 1910, 541f.). Argumentativ be- lichkeit zur politischen Mitbestimmung aller- selbst zu diesem Zeitpunkt noch war, erzählt wegte er sich damit auf der Linie dessen, was erst beweisen, sondern der Staat kann sein Regisseurin Petra Volpe in ihrem preisgekrön- Hardmeier als «Tatbeweis» charakterisiert hat: Wesen nur realisieren, wenn er diese garan- ten Spielfilm Die göttliche Ordnung (2017). Frauen sollten durch aktives Interesse ihre Be- tiert. Im zeitgenössischen Diskurs bezog Dabei hatten emanzipatorische Bestrebun- fähigung zur politischen Teilhabe allererst be- Barth damit eine rare Position. Denn «[w]enn gen auch hierzulande schon früh, manifest seit legen. «Aus dem Gebot der Gerechtigkeit überhaupt, wurde das Frauenstimmrecht als den 1870er Jahren, eingesetzt. Die führenden wurde ein ‹Gebot der Billigkeit›» (Hardmeier, eine Frage der politischen Opportunität, Köpfe, Frauen wie Männer, kamen namentlich 90). Ebendieses stand für Barth offenbar in nicht aber als eine grundsätzliche staatsrecht- aus der liberalen, protestantischen Oberschicht Frage, weil relativ wenige Frauen seiner Ge- liche oder demokratietheoretische Frage be- der Westschweiz (vgl. Joris/Witzig, 448 u.ö.). meinde sich zur Wahl registrieren liessen – ei- handelt» (Hardmeier, 39). 1891 gründete sich denn auch in Genf der erste ne Hürde, die für Männer gar nicht galt! Sein fortschrittliche Frauenverein, die Union des Schlachtruf gegen die kleingeistigen Hinter- femmes des Genève. Hierauf rollte «Anfang der gründe lautete: «Politische Bildung!» (Barth 1890er Jahre […] eine feministische Welle von 1910, 542) «Solange die Bürgerpflicht West nach Ost über die Schweiz» (Hardmeier, 53). Neben sozialen Fragen stand dabei zuneh- Safenwil: Demokratietheorie und bloss Männerrecht ist, mend auch die politische Mitbestimmung von Alltagspraxis ist sie noch nicht, was sie Frauen auf der Agenda. Dem kam Barth nach seinem Wechsel ins aar- Was nun überraschen mag: Der junge Theo- gauische Landpfarramt sogleich nach. Schon sein soll.» loge Karl Barth stimmte alsbald und immer em- in seinem ersten öffentlichen Vortrag in Safen- phatischer in diesen progressiven Diskurs ein. wil, gehalten im Oktober 1911 auf Einladung des örtlichen Arbeitervereins, setzt er mit ei- Zwei Jahre später setzte er die Agitation in einer Genf: Im Epizentrum der frühen Frauen­ nem leidenschaftlichen Plädoyer für die De- Predigt zum Bettag fort und gab ihr nun noch bewegung mokratie auch die politische Gleichberechti- eine alltagspraktische Wendung. Das Suchet Im September 1909 kam Barth als Vikar nach gung von Frauen auf die Agenda. Der Staat, der Stadt Bestes aus Jes 29,7 verlangt, so Barth, Genf. 1907 war hier auch der erste kantonale dessen Sinn nach Barth darin besteht, Freiheit nach einer «lebhafte[n] Teilnahme» aller am Po- Stimmrechtsverein der Schweiz, die Associati- und Ordnung zu vermitteln und so Revolution litischen (Barth 1913, 507). Frauen adressiert der on genevoise pour le Suffrage féminin, entstan- und Konservatismus gleichermassen zu trans- Prediger dabei in zweifacher Weise: Einerseits den. Zwei Jahre später schloss man sich mit zendieren, muss, will er sich selbst gerecht wer- sieht er bei ihnen aufgrund ihres Geschlecht- mehreren Schwestervereinen zum Schweiz­ den, zuvorderst dafür sorgen, «dass wirklich scharakters besonders ausgeprägte Vorbehalte erischen Verband für Frauenstimmrecht (SVF) Allen Gelegenheit gegeben wird, in der Bürger- gegenüber dem Feld der Politik, andererseits zusammen. Das politische Klima imponierte pflicht ihr Menschenrecht auszuüben». Dem- aber auch eine besonders fortgeschrittene poli- sich offenbar auch dem jungen Barth. Bereits nach bedarf aber auch die Demokratie notwen- tische Urteilskraft. Erstere gilt es zu überwin- drei Monate nach seinem Stellenantritt spielt dig «eines weiteren Ausbaus durch den, letztere fruchtbar zu machen. Umso ein- er während einer Weihnachtsfeier an der deut- Heran­­­ ziehung­ der Frau zur Mitausübung des dringlicher hofft Barth erneut auf das schen reformierten Schule noch ganz beiläufig Bürgerrechts. Solange die Bürgerpflicht blos[s] Frauenstimmrecht: «Vielleicht ist die Zeit nicht auf die Stimmrechtsdebatte an und zieht Männerrecht ist, ist sie noch nicht[,] was sie fern, wo auch ihr Frauen dabei sein werdet. Ich durchaus optimistisch in Erwägung, dass sein soll» (Barth 1911, 374f.). wünsche diese Zeit herbei» (ebd.). Bis es soweit schon die versammelte Schülerinnengenerati- Barth schloss hier erklärtermassen an Her- ist, empfiehlt er, Gestaltungsspielräume im fa- on in dessen Genuss kommen könnte (vgl. mann Cohen an, ging in der Sache aber zu- miliären Alltag auszunutzen: «Unterdessen Barth 1909, 18). gleich über diesen hinaus. Auch dessen ‹Sys- könnt ihr Frauen einen grossen Einfluss aus- Im folgenden Frühjahr führte die Genfer tem der Philosophie› (1904) setzt das üben durch eure Männer. Es macht einen Unter- Kirche das aktive (nicht das passive!) Frauen- allgemeine und gleiche Wahlrecht als Funda- schied aus, ob einer eine Frau zu Hause hat, de- stimmrecht für kirchliche Angelegenheiten ment und zugleich Ausdruck seiner Staats- ren Gedanken ein wenig über Haushalt und

10 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Küche hinausgehen, oder eine solche, der alles kunftsfamilie: Vater Fritz gehörte 1896 zu den recht angeregt. Die verhaltene Resonanz kann gleichg[ü]ltig ist […]. Seid ihr Frauen von der ers- Gründern der Christlich-sozialen Gesellschaft als «Spiegelbild für die kritische Haltung der ten Art. Wenn es ihrer mehr gäbe, es sähe ganz des Kantons Bern, die auch für Frauenrechte heranwachsenden Elite der Schweiz» gelten anders aus im Aargau und in der Welt» (ebd.). eintrat, und stand in engem Kontakt mit be- (Hardmeier, 60; vgl. 68). Barths ambivalentes Auch durch die Kindererziehung, «Buben und kannten Frauenrechtlerinnen wie Helene von Verhältnis zu seinem Corps könnte ihn bewo- Mädchen», wie Barth betont (ebd.), kann staats- Mülinen (vgl. Hardmeier, 52.72.91). Sein viel- gen haben, konträr zu votieren. In seinem stu- bürgerliche Verantwortung befördert werden. beachteter Vortrag Die Frauenfrage und das dentischen Referat Zofingia und Soziale Frage Christentum (1902) befürwortete neben diver- (1906) plädiert er tatsächlich dafür, die «sozia- Hintergründe sen emanzipatorischen Reformen auch das le Frage mit all ihren Unterproblemen» (Barth Die Debatte um das Frauenstimmrecht sollte Frauenstimmrecht. Anders als später sein 1906, 80) ernst zu nehmen. Die Frauenfrage Barth zeitlebens nicht mehr loslassen. Bis in Sohn sah er es allerdings noch weniger als de- taucht explizit aber noch nicht auf. die 1960er Jahre hinein äusserte er sich gele- mokratietheoretisches Proprium denn als Aus- War der Boden also womöglich schon berei- gentlich dazu, so prominent in Christenge- druck geistlichen Fortschritts in Christentum tet, so spricht doch viel dafür, dass erst der meinde und Bürgergemeinde (1946). Seine In- und Kirche. Genfer Kontext den jungen Theologen nach- terventionen brachten ihn 1959 gar in das Eine zweite Spur führt zur Studentenverbin- haltig für die Frauenstimmrechtsdebatte sen- Ehrenkomitee des SVF (vgl. Barth 1959, 459). dung Zofingia, der Barth 1904 beitrat. Ihr Zen- sibilisiert hat. Typisch für Barth ist, dass er sich Wo liegen die Wurzeln für Barths klare Hal- tralausschuss hatte 1896 und dann wieder die Sache erst fernab der liberalen Avantgarde, tung? Eine erste Spur führt zu seiner Her- 1901 eine Befassung mit dem Frauenstimm- in der Einsamkeit der Provinz, stringenter zu eigen machte. Auch seine wachsende Beein- flussung durch die Sozialdemokratie – sie for- derte das Frauenstimmrecht schon seit 1904 – mag sich ausgewirkt haben. Die brisantere Frage dürfte freilich sein, wie Barths unbeirrtes Eintreten für die politische Gleichstellung von Frauen zu seiner späteren Geschlechtertheologie passt, die bekanntlich von einer unhintergehbar asymmetrischen Ordnungsfigur reguliert wird. Diese Frage wird weitere Forschung klären müssen.

Literatur Karl Barth (1906), Zofingia und soziale Frage, in: Kleinere Vorträge und Arbeiten 1905–09 (GA III.21), hg. von Hans-Anton Drewes und Hinrich Stoevesandt, Zürich 1992, 61–103. Karl Barth (1909), Ansprache bei der Weihnachts- feier der deutschen reformierten Schule in Genf, in: Vorträge und kleinere Arbeiten 1909–1914 (GA III.22), hg. von Hans-Anton Drewes und Hinrich Stoevesandt, Zürich 1993, 16–18. Karl Barth (1910), Predigt über Jak 3,13–17, in: Predigten 1907–1910 (GA I.53), hg. von Simon Weinrich und Peter Zocher, Zürich 2018, 531–548. Karl Barth (1911), Menschenrecht und Bürger- pflicht, in: GA III.22, aaO., 361–379. Karl Barth (1913), Predigt über Jeremia 29,7, in: Predigten 1913 (GA I.8), hg. von Nelly Barth/ Gerhard Sauter, Zürich 1976, 490–508. Karl Barth (1959), An die Frauenzentrale Basel, in: Offene Briefe 1945–1968 (GA V.15), hg. von Die- ther Koch, Zürich 1984, 458f. Sybille Hardmeier, Frühe Frauenstimmrechtsbewe- gung in der Schweiz (1890–1930). Argumente, Strategien, Netzwerk und Gegenbewegung, Zürich 1997. Elisabeth Joris/Heidi Witzig (Hg.), Frauengeschichte(n). Dokumente aus zwei Jahr- hunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz, Zürich 21987.

Otto Baumberger, Plakat «Wollt Ihr solche Frauen? – Frauenstimmrecht Nein», 1920 (Lithografie 127x90 cm). © 2018, ProLitteris, Zurich | Foto: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung, ZHdK.

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 11 Karl Barths «Entdeckerfreude» und der Glaube

Dr. Benjamin Schliesser, ao. Professor für Neues Testament (Institut für Neues Testament)

Anfang der 1950er Jahre schliesst Barth den (Mk 9,23), der «kaum anders als primär von Je- Barths exegetische Erkenntnis zur pistis wur- ersten Band seiner Versöhnungslehre ab (KD sus verstanden werden» könne (Ebeling, 97). de verschmäht. Noch im Veröffentlichungs- IV/1), «weithin in intensivem, in der Hauptsa- Der Gedanke, dass Jesus selbst zu den «Glau- jahr des Kommentars erschienen die ersten che stillem, Gespräch mit Rudolf Bultmann», benden» zu zählen sei, stösst uns auf eine der Besprechungen. Die Rezension des Basler Kir- wie er im Vorwort schreibt. Als er auf den aufregendsten Debatten der vergangenen Jahr- chengeschichtlers Paul Wernle erwartete «Glauben und seinen Gegenstand» zu spre- zehnte in der Bibelwissenschaft, genauer: in Barth mit besonderer Anspannung, war er chen kommt, wird der Ton allerdings laut und der Paulusforschung. In den Paulusbriefen be- doch als Repräsentant liberaler Theologie ein scharf, und auch wenn der Name Bultmanns gegnet an Kernstellen die Wendung «Christus- wichtiges Gegenüber. Wernle hielt die «neue» nicht fällt, so ist er doch allgegenwärtig. Unver- glaube» (pistis Christou: Röm 3,22.26; Gal 2,16. Deutung des Glaubens für «gänzlich unmög- söhnlich spottet Barth über «neuzeitliche 20; 3,22). Ist hier vom Glauben an Christus oder lich»: «Es ist einfach nicht wahr, dass die Fra- Glaubenslehren», für die «das wahrhaft bren- vom Glauben bzw. der Treue Christi die Rede? ge der persönlichen Seligkeit des Einzelnen nende Problem der Christen» ihre eigene Exis- Die Grammatik lässt beides zu. Veröffentli- nicht im Zentrum des Römerbriefs steht» tenz und das Phänomen ihres Glaubens sei. Sie chungen zum Thema füllen mittlerweile ganze (Wernle, 167). Barths Marburger Lehrer Adolf fangen da an, wo er, Barth, endigen will, näm- Bücherregale, und für manche steht und fällt Jülicher konnte sich die Bemerkung nicht ver- lich beim Glauben. Sein Einwand richtet sich an der Beantwortung dieser Frage die gesamte kneifen, dass an dieser Stelle die «Entdecker- gegen die «Unbescheidenheit» solcher Glau- Theologie des Paulus. Bei aller Streitlust wird in freude» Barths wohl etwas überschäumte, benslehren: «Sie stellten die christliche Wahr- der jüngeren Diskussion weithin vergessen, von der er im Vorwort geschrieben hatte (Jüli- heit so dar, als sei das ihre höchste Ehre, rund dass gerade von Karl Barth und seinem ersten cher, 92). um das christliche Individuum mit seinem Römerbriefkommentar entscheidende Impulse Barth antwortete auf die Kritik. Zunächst mit bisschen Glauben rotieren zu dürfen, und man für die Variante «Treue Christi» ausgingen! einem Brief an Wernle, auf vier doppelseitig be- musste noch froh sein, wenn sie dieses nicht Eine Entdeckungsreise zu den Anfängen des schriebenen grossformatigen Blättern. Ein eige- geradezu als ihren Produzenten und Herrn Barth’schen Glaubensverständnisses lohnt ner Abschnitt widmet sich der Frage der pistis. darstellten. Solche Wichtigtuerei kann dem sich. In der Aufbruchstimmung seiner Römer- «Es wundert mich doch, dass Sie auch hier so christlichen Individuum nicht verstattet wer- brieflektüre «knorzte» er an den «Felsklötzen» rasch ablehnen. Besonders darum, weil ich mir den» (KD IV/1, 828). Röm 3,20–31 herum, wie er im September ja alle Mühe gab, die Bedeutung ‹Glauben› im- mer gleichzeitig, manchmal vorwiegend zu Worte kommen zu lassen. Mussten nicht die ur- «Die Entscheidung in Gott ruft der Entscheidung im sprünglichen Hörer dieses Wortes immer Beides zugleich hören, und liegt nicht gerade in diesem Menschen … Und das heißt Glauben: die Treue Gottes Doppelsinn, für den uns einfach das deutsche bejahen.» Wort fehlt, die eigentümliche Rasanz dieses Be- griffs?» (Barth, Römerbrief 1919, 642). Auch im Vorwort zur zweiten Auflage des Gegen Barths Polemik formierte sich schon 1916 an Eduard Thurneysen schreibt (Barth- Römerbriefkommentars nimmt das Problem bald heftiger Widerstand. Gerhard Ebeling et- Thurneysen-Briefwechsel, 152). Ein beachtli- breiten Raum ein: «Ein Wort noch über eine wa meint, man sei eigentlich zu einer scharfen cher Klotz muss ihm damals schon das gewe- Einzelheit. Der Übersetzung von pistis mit Erwiderung gezwungen, er ziehe es aber vor, sen sein, was gemeinhin mit «Glaube» ‹Treue Gottes› ist eine Wichtigkeit beigemessen «mit unpolemischer Sachlichkeit dem Glau- wiedergegeben wird. Im Kommentar von 1919 worden, die sie für mich jedenfalls nicht hatte. bensbegriff alle Aufmerksamkeit – nicht am provoziert er durch die Aussage, dass der Jülicher hat ja sogar gemeint, um dieser Sache Ende, sondern von Anfang an – zu widmen» menschliche Glaube in Gottes Treue, und zwar willen habe ich jene ‹Entdeckerfreude› emp- (Ebeling, 65 Anm. 1). Auf der Suche nach dem «in seiner in Jesus erwiesenen Treue wurzelt» funden, von der mein erstes Vorwort etwas ro- «Anfang» des Glaubens stösst Ebeling in sei- (Barth, Römerbrief 1919, 96). Der Vergleich der mantisch redete» (Barth, Römerbrief 1922, 22). nem einflussreichen Aufsatz «Jesus und Glau- Manuskripte mit der Druckfassung belegt ein- Nun folgt der Hinweis, dass nicht er der Entde- be» auf Jesus selbst. Jesus weckt nicht nur drücklich, wie sich Barth zunächst vorsichtig cker der Neuerung sei, sondern Rudolf Liech- Glauben, sondern ist selbst Glaubender. «Es dieser Deutung annähert und sich dann seiner tenhan, der mit Johanna Barth, der Cousine dürfte unmöglich sein, angesichts der Art und Sache immer gewisser wird. «Die Entschei- Karl Barths, verheiratet war. Liechtenhan habe Weise, wie Jesus vom Glauben redet, ihn selbst dung in Gott ruft der Entscheidung im Men- ihn seinerzeit per Brief auf die Möglichkeit die- vom Glauben auszunehmen.» Ebeling denkt schen … Und das heißt Glauben: die Treue Got- ser Übersetzung aufmerksam gemacht und sei an den Satz «Alles ist möglich dem, der glaubt» tes bejahen» (Barth, Römerbrief 1919, 100). «unterdessen auch öffentlich dafür eingetre-

12 konstruktiv Beilage zum bref Magazin ten» (ebd.). In der Tat sprang Liechtenhan sei- merhin schon in die Fussnoten geschafft hat, Gerhard Ebeling, Jesus und Glaube, in: ZThK 55 nem angeheirateten Vetter zur Seite. Doch ist ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. (1958), 64–110. auch er der Auffassung, dass Barths «Entde- Theologisch ist Barths Einfall keine Quis- Adolf Jülicher, Ein moderner Paulusausleger, in: ckerfreude» ihn «zu einer allzu einseitigen quilie, sondern ein Umsturz. Dass er dazu ChW 34 (1920), 453–457.466–469. Konsequenz der Durchführung verleitet» sein exegetisches Fündlein aus der Römer- Rudolf Liechtenhan, Zur Frage nach der Treue (Liechtenhan, 192) habe. Barth lässt sich von brieflektüre eigentlich gar nicht braucht, zeigt Gottes, in: KBRS 34 (1919), 192f. den Einwänden durchaus beeindrucken, je- schon das zitierte Vorwort der zweiten Aufla- Paul Wernle, Der Römerbrief in neuer Beleuch- denfalls vordergründig: «Auf den allgemeinen ge des Kommentars, in dem er nonchalant zu- tung, in: KBRS 34 (1919), 163f.167–169. Protest hin habe ich die Zahl der Stellen, an de- rückrudert. Die Vorordnung der (objektiven) nen ich diese Übersetzung vorziehe, etwas be- Treue Gottes vor der (subjektiven) Antwort schränkt … und kann im übrigen nur beteu- des Menschen bleibt aber ein unverrückbarer ern, dass ich mit ihr lediglich auf das Schillern Felsklotz in seinem dogmatischen Entwurf. des Begriffs hinweisen will …» (Barth, Römer- Manche Fragen zum Wesen des Glaubens brief 1922, 22). Jahre später, in der «Kurzen Er- bleiben, die nicht nur an Barth, sondern auch klärung des Römerbriefes» (1956), lässt Barth an Paulus zu richten sind: Wie verhalten sich die Übersetzung «Treue Gottes» mit wenigen – Gottes Treue und menschlicher Glaube zuein- freilich wichtigen – Ausnahmen ganz fallen. ander? Kann von Gottes Treue, von der Offen- Der Sache – am Anfang Gottes Wahrheit barung der pistis (Gal 3,23) überhaupt gespro- und Wahrhaftigkeit, am Ende das Anerken- chen werden, ohne dass vom Glauben des nen, Erkennen, Bekennen des Menschen – Menschen gesprochen wird, und sei es nur bleibt er treu. Die eingangs zitierte Polemik aus von seinem «bisschen Glauben»? In welchem der Versöhnungslehre führt vor Augen, dass Verhältnis steht der offenbarte Glaube zum Barth gar nicht so sehr auf exegetische Argu- Bewusstsein, zum Glauben «im Herzen» mente angewiesen ist. «Was aber ist der Glau- (Röm 10,9)? Vielleicht ist es heute an der Zeit, be?», fragte Barth schon in einem vorigen Ab- wieder mehr um den schillernden Glauben zu schnitt. Glaube heisst «dasjenige menschliche rotieren und ihn neu zu entdecken – immer- Tun, das der Treue Gottes treue, authentische, hin hat ihn Paulus, so Bultmann zu Recht, «in sachgemässe Antwort gibt, das der Realität den Mittelpunkt der Theologie» (Bultmann, und Existenz des durch Gottes Freispruch ge- 218) gestellt. schaffenen gerechtfertigten Menschen gerecht wird» (KD IV/1, 689). Literatur Was ist also der Glaube, die pistis? Exege- Karl Barth (KD), Die Kirchliche Dogmatik. Bd. tisch hat Barth richtig gesehen, dass der Be- IV/1, Zollikon-Zürich 1953. griff vieldeutig ist. Wenn Paulus pistis sagt, ist Karl Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919 je nach Zusammenhang nicht nur «Glaube» zu (GA II.16), hg. von Hermann Schmidt, Zürich hören, sondern auch «Vertrauen», «Treue», «Lo- 1985. yalität», «Zutrauen», «Glaubwürdigkeit», Karl Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922 Hundertjahre- «Wahrhaftigkeit», «Zuverlässigkeit». Die (GA II.47), hg. von Cornelis van der Kooi und gegen-wärtige Paulusforschung interessiert Katja Tolstaja, Zürich 2010. BARTh sich zunehmend für die kulturelle Enzyklopä- Karl Barth, Kurze Erklärung des Römerbriefes, die der Adressatengemeinden des Paulus und München 1959. [unkonventionell, senkrecht entdeckt dabei das «Schillern» des Glaubens Karl Barth, Brief an P. Wernle vom 24. Oktober von oben gewachsen, ohne neu. Dass die ersten Hörer_innen zuallererst 1919, in: Der Römerbrief (Erste Fassung), a.a.O., modischen Anknüpfungspunkt «Treue Gottes» oder gar Gottes «in Jesus erwie- 638–646. und mit grosser Breitenwirkung] sene Treue» verstanden, ist allerdings (trotz Karl Barth – Eduard Thurneysen. Briefwechsel Bd. Röm 3,3) fraglich. Auch zur Wiedergabe der I: 1913–1921 (GA V.3), bearbeitet und hg. von Edu- Wendung pistis Christou mit «Glaube/Treue ard Thurneysen, Zürich 1973. Christi», die von Barth inspiriert wurde und Rudolf Bultmann, Art. pisteuo, in: ThWNT 6, die es in der New Revised Standard Version im- Stuttgart 1959, 174–182.197–230.

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 13 Die christliche Gemeinde soll kein «stummer Hund» sein! Karl Barth und die Diakonie zwischen Kirche und Staat

Dr. Christoph Sigrist, Titularprofessor für Diakoniewissenschaft (Institut für Systematische Theologie)

In Safenwil, dem Ort von Karl Barths erstem in seiner ganzen Weite und Tiefe: mit ihrem che und Wertegemeinschaften mit kirchlicher und einzigem Gemeindepfarramt, waren im Zeugnis dient sie Gott und dient sie den Men- Prägung einen Resonanzraum bilden. Jahr 1920 587 von insgesamt 780 Arbeiter_in- schen» (KD IV/3, 1020). Damit deutete Barth Diakonie ist politische Arbeit, indem sie zu- nen in der Strickerei Hochuli und in der Webe- auf die politische Dimension dieses sozialen sammen mit anderen religiösen Gemeinschaf- rei, Färberei und Dampfsäge der Familie Hüs- Geistes hin: «[D]ie christliche Gemeinde als sol- ten in einer pluralen Gesellschaft Wurzelbe- sy tätig. Die Löhne waren extrem niedrig und che würde zum stummen Hund, ihr Dienen zu handlungen im Sozialen initiiert. eine gewerkschaftliche Organisation gab es einem Dienern vor den herrschenden Gewal- Wenn ich ein Fazit aus meiner 30-jährigen nicht. Das motivierte den jungen Karl Barth zu ten, wenn sie sich scheuen würde, die Übel, Erfahrung als Pfarrer zunächst in einer kleinen seinem Engagement im «Arbeiterverein». mit denen sie im Einzelnen konfrontiert ist, Berggemeinde, dann in der zentralen Kirche ei- Nicht die Kanzel, sondern die Werkbank sei auch in ihren sozialen Wurzeln anzugreifen» ner Kleinstadt und schliesslich am Grossmüns- der Ort der Erfahrung des Wortes Gottes, stell- (KD IV/3, 1023f.) ter in Zürich ziehen sollte, dann dieses, dass te Karl Barth in einem Brief an Peter Barth am Als Pfarrer in Safenwil und als Theologe in Karl Barth in seiner Berufung in Safenwil die 29.8.1912 fest: «Und im Übrigen wartet man Basel hat Karl Barth diesen in der Praxis seiner Arbeit eines Pfarrers sowohl praktisch gelernt besser ab, ob etwas Konkretes vorliegt […]. Da Gemeinde eingeübten diakonischen Angriff als auch theoretisch durchdacht haben muss. geht dann dem Volk auf einmal mehr das Licht auf die sozialen, gesellschaftlichen Übel auf als mit 100 sozialen Predigten […]. Nur theologisch und kirchlich reflektiert. Mit der Literatur nicht ins Blaue hinein pülvern, das habe ich programmatischen Schrift Christengemeinde Karl Barth (1946), Christengemeinde und Bürgerge- hier einige Mal getan» (Busch, 81). Karl Barth und Bürgergemeinde übte er kurz nach dem meinde, in: Rechtfertigung und Recht/Christen- ergriff Partei zugunsten der Arbeiter_innen, Zweiten Weltkrieg Protest gegenüber einer gemeinde und Bürgergemeinde/Evangelium und ohne dass er schon zu diesem Zeitpunkt Mit- schweigenden Kirche und einer sich selbst ver- Gesetz, Zürich 1998, 49–82. glied der sozialdemokratischen Partei war. Der göttlichenden Staatsautorität. Die soziale Bewe- Karl Barth (KD), Die Kirchliche Dogmatik. Bd. Präsident der Safenwiler Kirchenpflege, ein gung als «der eigentliche Inhalt der Person Je- IV/3,2, Zollikon-Zürich 1959. Neffe des Fabrikanten Walter Hüssy, trat des- su» (Barth 1911, 387) – das lehrte ihn die Karl Barth (1911), Jesus Christus und die soziale halb unter Protest zurück. Die Arbeiterfrage, arbeitende Bevölkerung in Safenwil – ist nichts Bewegung, in: Vorträge und kleinere Arbeiten das Problem des Alkoholkonsums und die De- anderes als die politische Bewegung der Diako- 1909–1914 (GA III.22), hg. von Hans-Anton batte um den Einsatz militärischer Macht nie, die sich in der Solidarität mit dem Gerings- Drewes und Hinrich Stoevesandt, Zürich 1993, führten den jungen Pfarrer zu einer wegwei- ten zeigt (Mt 25,40.45). Dennoch vergingen wei- 380–409. senden Einsicht, die er am 17. Dezember 1911 tere 48 Jahre, bis diese politische Dimension der Eberhard Busch, Karl Barths Lebenslauf. Nach in einem Vortrag zum Ausdruck brachte: «Der Diakonie – «die Übel […] in ihren sozialen Wur- seinen Briefen und autobiographischen Texten, zeln anzugreifen» (KD IV/3,1020) – auch kir- München 1975. chenpolitisch in der Magna Charta der europäi- Konferenz Europäischer Kirchen, Bratislava-Erklä- «Nur nicht ins Blaue schen Diakonie, der sogenannten rung – Auf dem Weg zu einer Vision von Diako- Bratislava-Erklärung, verankert wurde. nie in Europa. Eine Einladung zur Teilnahme an hinein pülvern, das habe ich Wenn die Gemeinde kein stummer Hund dem Prozess des Handelns und Nachdenkens, in: hier einige Mal getan.» sein soll, dann führt uns die Barth'sche Lesart Theodor Strohm (Hg.), Diakonie an der Schwelle zwei grundlegende Dinge vor Augen. Erstens: zum neuen Jahrtausend. Ökumenische Beiträge Die christliche Diakonie wird im modernen zur weltweiten und interdisziplinären Verständi- eigentliche Inhalt der Person Jesu läßt sich in Wohlfahrtsstaat niemals überflüssig sein (vgl. gung, Heidelberg 2000, 542–547. die beiden Worte: soziale Bewegung zusam- KD IV/3, 1024). Zweitens: «Gemeinde ohne menzufassen […]. Der Geist, der vor Gott gilt, ist diakonische Verantwortlichkeit wäre nicht der soziale Geist» (Barth 1911, 387.397). Barths christliche Gemeinde» (ebd.). Für die aktuelle Vortrag mit dem Titel «Jesus Christus und die Situation der Diakonie zwischen Kirche und soziale Bewegung» wurde zudem in der sozia- Staat kann daraus folgende Kriteriologie eines listischen Tageszeitung «Der Freie Aargauer» nicht stummen, sondern bellenden Hundes ab- abgedruckt (vgl. Busch, 82). geleitet werden: Einige Jahrzehnte später berief sich Barth Diakonie als helfendes Handeln im Kontext wiederum auf diesen Geist Gottes als sozialen von Kirche und Gesellschaft ist theologische Geist. In der Versöhnungslehre der Kirchli- Arbeit, insofern sie die soziale Bewegung Jesu chen Dogmatik entfaltete Barth den «Dienst Christi kontextualisiert und sowohl auf die so- BARtheologie der Gemeinde» insgesamt als Diakonie: «‹Dia- zialen Brennpunkte vor Ort hin als auch global konie› heißt ja schlicht und allgemein ‹Dienst- auslegt. [Theologische Praxis leistung›, kennzeichnet also nicht nur ein be- Diakonie ist kirchliche Arbeit, wo christli- bei Pfeife und Bier] stimmtes Tun der Gemeinde, sondern ihr Tun ches Handeln, institutionelle Formen von Kir-

14 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Die Entzweiung zwischen Leonhard Ragaz und Karl Barth – Ertrag und Kosten der Krise

Dr. Martin Sallmann, o. Professor für Neuere Geschichte des Christentums und Konfessionskunde (Institut für Historische Theologie)

«Die Barthsche Theologie ist vielleicht der die kritische Haltung gegenüber Kirche und rich. Dort unterstützte er 1912 den Zürcher Ge- größte Kummer meines Lebens geworden», so Pfarramt, die Ragaz eigen war. neralstreik und wandte sich damit vom Bür- schrieb Leonhard Ragaz vor Weihnachten 1926 Barths Äusserungen hinterliessen bei Ragaz gertum ab. Als Folge davon trat er 1913 der an die Schriftstellerin Julie Schlosser in tiefe Spuren, verstand er sie doch nicht allein Sozialdemokratischen Partei bei. (Ragaz, Briefe II, 348). Mit dem Erscheinen der als sachliche, theologische Kritik, sondern als Im gleichen Jahr war auch Karl Barth die Par- beiden Römerbriefkommentare von 1919 und persönliche Ablehnung. Noch in seinem auto- teimitgliedschaft angetragen worden. Barth 1922 war eine tiefgreifende Entzweiung zwi- biografischen Rückblick liess Ragaz sich zu war seit 1911 Pfarrer der Kirchgemeinde Safen- schen Ragaz und Barth offensichtlich gewor- scharfen Bemerkungen hinreissen: Die auf- wil (Kt. Aargau), wo er sich für die Anliegen der den. Wie war es dazu gekommen? Und was wa- kommende dialektische Theologie habe dem Arbeiterschaft engagierte. So hielt er einen Vor- ren Ertrag und Kosten dieser Entfremdung? Verlangen nach Autorität nachgegeben, den trag über «Jesus Christus und die soziale Bewe- Mit der zweiten Fassung des Römerbriefs Pessimismus gegenüber menschlichen Dingen gung», der in der sozialistischen Tagespresse von 1922 hatten sich der Ton und die Abgren- aufgenommen und der Geringschätzung des aufgenommen wurde und die Fabrikanten im zung verschärft. War der Name Ragaz in der Menschen Vorschub geleistet. «Sie wurde eine Dorf zu scharfen Reaktionen herausforderte. ersten Fassung des Römerbriefs noch nicht sublimere Form des Faschismus» (Ragaz, Die soziale Frage erkannte Barth aber auch in gefallen, kritisierte Barth jetzt ausdrücklich Mein Weg II, 190). Beide Kontrahenten haben weiteren Zusammenhängen wie Alkoholismus dessen Rücktritt als Professor für Systemati- sich nicht geschont – nicht in der inhaltlichen und Militarismus. In dieser Zeit begegnete sche und Praktische Theologie in Zürich. Es und auch nicht in der persönlichen Auseinan- Barth über seinen Freund Eduard Thurneysen gebe keine «Menschenmöglichkeiten», die dersetzung. Es ist wohl nicht übertrieben, von den massgeblichen Persönlichkeiten der religi- das Diesseits mit dem Jenseits verbinden. einer menschlichen Tragödie zu sprechen. ös-sozialen Bewegung: und «Kein allmählicher Übergang, kein stufen- Die religiös-soziale Bewegung hatte sich im Leonhard Ragaz. Er engagierte sich in diesen mäßiger Aufstieg, keine Entwicklung etwa ist ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts for- Kreisen, las die «Neuen Wege» und nahm an der Schritt über diese Grenze, sondern ein jä- miert. 1903 hatten in Basel die Bauarbeiter ge- deren «Konferenzen» teil. Mit dem Ersten Welt- her Abbruch hier, ein unvermittelter Anfang streikt. Ragaz predigte am Tag des Streikab- krieg weitete Barth seine Kritik der etablierten eines ganz andern dort» (Barth, Römerbrief bruchs im Basler Münster und stellte sich Theologie aus, trat jetzt der sozialdemokrati- 1922, 330). Als Beispiel verwies Barth auf Ra- dabei auf die Seite der Arbeiter. Im gleichen schen Partei bei und hielt Vorträge über «Krieg, gaz, der dazu aufgefordert habe, aus der hoff- Jahr erschien das Buch «Sie müssen! Ein offe- Sozialismus, Christentum», «Kriegszeit und nungslosen Kirche in die bessere Welt der nes Wort an die christliche Gesellschaft», in Gottesreich» oder «Religion und Sozialismus». Laien überzusiedeln. Barth jedoch sah keine dem Hermann Kutter die Sozialdemokratie In diese Zeit fielen auch die persönliche Begeg- menschlichen Wege vom Diesseits ins Jen- verteidigte, weil er in ihr die Erfüllung der Ver- nung mit in Bad Boll und die literarische Beschäftigung mit dessen Va- ter. Noch 1916 wurde Barth zum Präsidenten «Kein allmählicher Übergang, kein stufenmäßiger Aufstieg, der religiös-sozialen Konferenzen gewählt. An- statt die nächste Konferenz vorzubereiten, liess keine Entwicklung etwa ist der Schritt über diese Grenze, er jedoch Ragaz wissen, die Konferenzen seien sondern ein jäher Abbruch hier, ein unvermittelter Anfang aufzulösen, weil jetzt nicht Zeit für Taten, son- dern für die Stille sei. Diese Linie betonte er zu- eines ganz andern dort: denn was als Gnadenerlebnis sätzlich in einer Rezension von Blumhardts allenfalls in kontinuierlicher Fortsetzung anderer religiöser «Hausandachten». Der eigenen Sache sei gegen- wärtig besser mit Hausandachten als mit Ab- Erlebnisse namhaft gemacht werden könnte, das steht als handlungen gedient, nicht mit eigenem Tun, solches noch diesseits.» sondern mit stillem Warten auf Gottes Tun. Be- reits hier zeigten sich deutliche Tendenzen der Entfremdung zwischen Barth und Ragaz. seits, keine Verbindungen vom Menschen zu heissungen Gottes und zugleich das Gericht In dieser bewegten Zeit begann auch Barths Gott. Alle diese Versuche, und seien sie noch über die etablierte christliche Kirche sah. 1906 Arbeit am Römerbrief. Darin hielt er immer so radikal, gehörten, so meinte er, auf die Sei- trafen sich erstmals Gesinnungsgenossen um wieder fest, dass es den Menschen nicht zuste- te der menschlichen Sünde. Mit einem offen- Kutter und Ragaz zu einer Zusammenkunft. he, Gottes Standpunkt für sich einzunehmen, sichtlichen Hinweis auf die «Neuen Wege», Ins gleiche Jahr fiel auch der Auftakt für die dass sie sich weder als Einzelne noch als Grup- die Monatsschrift der religiös-sozialen Bewe- Zeitschrift «Neue Wege», die zum massgebli- pen gegenüber anderen auf Gottes Seite wäh- gung, die von Ragaz herausgegeben wurde, chen Publikationsorgan der religiös-sozialen nen könnten, dass vielmehr alle gemeinsam bezeichnete Barth daher den Versuch, neue Bewegung werden sollte. 1908 wechselte Ra- Gott gegenüberstünden. Gott und Mensch – Wege in Kirche und Gesellschaft zu gehen, gaz als Ordinarius für Systematische und und damit auch Religion, Kirche, Moral – seien als Wahn. Und wieder wandte er sich gegen Praktische Theologie an die Universität Zü- einander entgegengesetzt. Auch das Reich

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 15 Gottes liege nicht auf der Linie einer Entwick- als Organisation, die für sich geehrt, gepflegt tes ausging. Ragaz versuchte, die Welt und das lung menschlicher Möglichkeiten, sondern und gemehrt werden müsse. Daher stehe die Kir- Leben in ihr von Gott her zu deuten, um das En- schaffe in dieser Welt ein ganz Neues. Pazifis- che dem Reich Gottes im Weg, weil dort Gott al- gagement auf ihn hin, auf das Kommen des Rei- mus und Sozialdemokratie seien nicht das lein gelte. Nach dem Krieg unterstützte Ragaz ches Gottes auszurichten. Damit war natürlich Reich Gottes, denn sie gehörten in das alte die Idee des Völkerbunds, der 1920 gegründet die Gefahr verbunden, sich mit einzelnen Be- menschliche Reich. Sie seien zwar Kritik und wurde. Die Entwicklung weg von der bürgerli- wegungen zu stark zu identifizieren und diese Protest gegen die Entwicklungen der Welt, aber chen Gesellschaft, der Rückzug von der etablier- religiös zu ideologisieren, wie Barth es ihm vor- selbst eben auch innerweltlich. Diese Kritik ten Kirche und die Zuwendung zur Arbeiter- warf. Umgekehrt hatte Barth geflissentlich wurde dann in der zweiten Auflage des Römer- schaft und den Kräften, die eine neue übersehen, dass auch Ragaz wesentliche Teile briefs radikalisiert und auch auf Barths eigene gesellschaftliche Ordnung suchten, kulminier- seiner Kritik teilte. Nicht zu Unrecht wurde da- theologischen Denkversuche und die prakti- ten in seinem Rücktritt als Professor. Ragaz hat- rauf hingewiesen, dass auf der Seite Barths schen Handlungsweisen angewendet – und na- te sich nicht nur intellektuell, sondern auch per- «auch ein Stück theologischer Überheblichkeit türlich auch auf die religiös-soziale Bewegung. sönlich enorm engagiert und exponiert. mit im Spiel gewesen sein dürfte» (Ragaz, Brie- fe II, 18). Theologischer Ertrag war die Schär- fung der Wahrnehmung für die Differenz zwi- schen Gott und Mensch, was zentral für die Einschätzung der Situation in der Zwischen- kriegszeit und des aufkommenden Faschismus sein sollte. Die Kosten der gnadenlosen Kritik auf beiden Seiten waren die menschlichen Ent- zweiungen – nicht allein zwischen den Kontra- henten, sondern auch unter ihrer Anhänger- schaft.

Literatur Leonhard Ragaz in seinen Briefen, Bd. 2: 1914– 1932, hg. von Christine Ragaz, Markus Mattmül- ler und Arthur Rich, Zürich 1966. Leonhard Ragaz, Mein Weg, Bd. 1–2, Zürich 1952. Karl Barth, Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922 (GA II.47), hg. von Cornelis van der Kooi und Katja Tolstaja, Zürich 2010.

Photo links: Franz Schmelhaus, Zürich (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:(UAZ)_AB.1.0777_Ragaz.jpg), (UAZ) AB.1.0777 Ragaz, als gemeinfrei gekennzeichnet. | Photo rechts: Karl Barth-Archiv, Basel.

In der gleichen Zeit war Ragaz gesellschaftspoli- In beiden Römerbriefkommentaren Barths hat- tisch und auch literarisch ausserordentlich pro- te Ragaz immer auch die eigene Theologie und duktiv. Bei Kriegsausbruch tat er nach eigener die Praxis der religiös-sozialen Bewegung wie- Bekundung ein Gelübde, sein zukünftiges Leben derentdeckt. Tatsächlich nahm Barth wesentli- dem Kampf gegen den Krieg zu widmen. Er kri- che Begriffe aus dieser auf, etwa Religion oder tisierte die bisherige Friedensbewegung scharf, Reich Gottes. Während Barth aber – mit Bezü- weil sie zu wenig konsequent den Krieg abge- gen zu Blumhardt und Kutter – die Polarität HipsterBARTh lehnt habe. Ragaz ging es um eine grundsätzli- zwischen Gott und Mensch, zwischen Religion che Überwindung des Krieges und damit aus- und Wort Gottes, Reich Gottes und menschli- [äusserliches Merkmal drücklich um eine neue Stufe der menschlichen cher Welt, messerscharf herausarbeitete, teilte innerlicher Abwendung vom Entwicklung. Er versuchte, die pazifistischen Ragaz zwar die Kritik an Gesellschaft und Kir- Neoliberalismus] Kräfte innerhalb und ausserhalb der Kirche zu che, suchte aber zugleich danach, wie Gottes sammeln, setzte sich für Dienstverweigerer ein Wirklichkeit sich jetzt schon ausbreitete. Im und forderte einen Zivildienst. Während der Kampf gegen den Militarismus und für den Pa- Kriegszeit verschärfte er seine Kritik an der eta- zifismus, gegen die etablierte Gesellschaft und blierten Kirche, die er als gefährliche Verhüllung für die Arbeiterschaft sah er sich eingebunden des Reichs Gottes beurteilte. Kirche sei Religion in die Dynamik, die vom werdenden Reich Got-

16 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Karl Barth und der Neoliberalismus

Dr. Luca Di Blasi, Assoziierter Professor für Philosophie (Institut für Systematische Theologie)

In den vergangenen Jahren haben sich zwei nunft. Noch seine späte Dankesrede zur Verlei- daher utopielos gewordener Liberalismus, prominente Schweizer Rechts- oder Neolibera- hung des Nobelpreises richtet sich schon im dessen vormals utopische Energien nun auf le, Roger Köppel und Christoph Blocher, wie- Titel gegen die «Anmaßung des Wissens». den Kampf gegen etwas Anderes – den Sozia- derholt auf Karl Barth berufen, etwa wenn sie Bei Barth wie bei Hayek findet sich eine ex- lismus – gerichtet werden. Er ist hierin vom sich gegen die «bequemen Kirchen» mit ihrem plizite Absage an den neuzeitlichen Rationalis- ersten Moment an im präzisen Sinn des Wor- «unbiblischen Gesäusel von sozialer Gerech- mus. Barth stellte Descartes’ «Cogito ergo tes reaktionär. tigkeit» (Köppel, 3) wandten. sum», ähnlich wie schon Franz von Baader Barths politisches Denken dagegen war von Das erscheint zu abwegig, um sich damit ge- hundert Jahre zuvor, ein «Cogitor, ergo sum, einer doppelten Enttäuschung geprägt: dem nauer auseinanderzusetzen. Karl Barth trat ich werde gedacht, deshalb bin ich» (Barth, moralischen Schiffbruch der liberalen Theolo- 1915 der Sozialdemokratischen Partei bei und Auferstehung, 23) entgegen, während sich gie und der Sozialdemokratie, von der er noch wandte sich nicht nur von der liberalen Theo- Hayek gegen einen neuzeitlichen «Kult der kurz vor dem Ersten Weltkrieg meinte, es sei ihr logie ab, sondern auch vom politischen Libera- Vernunft» richtete und gegen einen von Des- «sachlich unmöglich [...], mit Kapitalismus, Na- lismus und sogar, schon vor dem Ersten Welt- cartes ausgehenden «rationalistischen Konst- tionalismus und Militarismus den innern Frie- krieg, gegen den Linksliberalismus Friedrich ruktivismus» (Hayek, 84.74). den zu schließen» (Barth, Hilfe, 778). Eben die- Naumanns. Liberaler Individualismus war für Bei Barth wie bei Hayek schliesslich korres- se Ansicht wurde wenig später enttäuscht, als ihn gleichbedeutend mit Egoismus und Selbst- pondiert eine Vernunftkritik mit einem Ele- die deutsche Sozialdemokratie 1914 die Kriegs- vergötzung, liberale Freiheit eine «Herrenlo- ment des Glaubens oder Vertrauens in etwas kredite und damit den Krieg unterstützte. sigkeit unter der Herrschaft der Sünde» (Barth, Grösseres, die Vernunft Übersteigendes. Bei Diese doppelte Enttäuschung erleichterte Römerbrief, 242), das Konkurrenzprinzip ein Barth ist es natürlich Gott als der ganz Andere. eine Abständigkeit gegenüber politischen auf Dauer gestellter Krieg aller gegen alle. Bei Hayek ist es das Vertrauen darauf, dass auch Ideologien, die Barth davor bewahrte, christ- Die Vorreiter dessen, was später Neolibera- – bzw. nur – ohne menschliche Intention «spon- liche Zukunftshoffnung mit konkreten, etwa lismus genannt wurde und zur Zeit, im Bünd- tane Ordnungen» entstehen oder emergieren. planwirtschaftlichen Programmen, zu ver- nis mit Rechtspopulisten, im Begriffe ist, die Will man die Gründe dieser Parallelen ge- wechseln. Im Gegenzug war er aber auch letzten Reste einer solidarischen Politik auszu- nauer untersuchen, wird man die bereits von immun gegen die Versuchung, in einen tilgen, Ludwig von Mises (1881–1973) und Max Weber beobachtete Nähe zwischen pro- utopielos verhärteten, selbst gegenüber ekla- Friedrich von Hayek (1899–1992), bejahten testantischer Ethik und dem Geist des Kapita- tantesten Ungerechtigkeiten taub und blind hingegen nicht nur all das entschieden – Indi- lismus berücksichtigen müssen. Auch die Bie- gewordenen, verbissen antisolidarischen vidualismus, Konkurrenzprinzip, liberale nenfabel des hugenottisch geprägten Bernard Neoliberalismus abzugleiten. Und es ist diese Freiheit –, sie wandten sich Anfang der 1920er Mandevilles und die Metapher der «unsichtba- Verbindung aus doppelter Abständigkeit und Jahre zudem ebenso entschlossen wie pole- ren Hand» beim calvinistisch beeinflussten engagierter Zukunftshoffnung, die, wie mir misch gegen den Sozialismus und gegen alle Adam Smith sind wichtige Scharnierstellen, scheint, wieder aktuell geworden ist, nach- Versuche einer sozialen Mässigung oder Bän- an denen man den Übergang von einer calvi- dem nach dem real existierenden Sozialismus digung des Kapitalismus. auch der Neoliberalismus seine Glaubwürdig- Allerdings gibt es doch eine bemerkenswer- keit weitgehend eingebüsst hat. te Parallele zwischen Barth und dem frühen «Cogitor, ergo sum, Neoliberalismus, die den aktuellen Vereinnah- Literatur mungsversuchen den Schein von Berechti- ich werde gedacht, deshalb Karl Barth, «Die Hilfe», in: Die Christliche Welt 28 gung verleihen mag. Sie besteht darin, dass bin ich.» (1914), 774–778. hier wie da die menschliche Erkenntnis und Karl Barth, Die Auferstehung der Toten. Eine ihre Grenzen ins Zentrum des Denkens rücken. akademische Vorlesung über I. Kor. 15, Zollikon- Das gilt für Barth, von dem Michael Weinrich nistischen Vorsehungslehre zu einer moder- Zürich 1953. schreibt: «Das, was für die Reformation die nen Marktgläubigkeit untersuchen kann. Karl Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919 Rechtfertigungslehre war, an der sich alles Gerade vor dem Hintergrund eines Ver- (GA II.16), hg. von Hermann Schmidt, Zürich Weitere für die Theologie entscheidet, ist im gleichs zwischen dem frühen Barth und dem 1985. 20. Jahrhundert für Barth die Frage nach der frühen Neoliberalismus zeigt sich aber auch Friedrich August Hayek, «Arten des Rationalis- angemessenen Erkenntnis der Offenbarung, ein entscheidender Unterschied, der über po- mus,» in: Wirtschaftstheorie und Wissen. die er ganz auf die Seite Gottes rückt.» litische Gegensätze hinausgeht: Hayek hatte Aufsatze zur Erkenntnis- und Wissenschaftsleh- In ähnlicher Weise rücken Erkenntnis – und zunächst mit dem Sozialismus sympathisiert re, hg. von Viktor Vanberg, Tübingen 2007, Erkenntnisgrenzen – auch im Neoliberalismus und bekehrte sich, besonders durch von Mi- 75–89. ins Zentrum der Theorie: Nicht nur verstand ses angeregt, 1922 zum Neoliberalismus. Die- Roger Köppel, Glosse: «Biblisch», in: ideaSpektrum Hayek Preise als Informationssignale für die ser entstand mit dem Ende der Habsburger- 49 (2017), 3. Marktteilnehmer; seine zentrale, wesentlich monarchie und damit in einer doppelten Michael Weinreich, Gott, der ganz Andere. Karl durch von Mises’ «Gemeinwirtschaft» aus Konstellation: dem Sieg des liberalen Bürger- Barths Neujustierung der Theologie im 20. Jahr- dem Jahr 1922 beeinflusste Einsicht war jene tums und der Angst vor dem Bolschewismus. hundert – URL: https://www.evangelische-aspek- der Grenzen einer das komplexe Marktgesche- Man kann daher zuspitzen: Der Neoliberalis- te.de/gott-der-ganz-andere/ (Hervorhebung LDB, hen überschauen und planen wollenden Ver- mus ist von seiner Geburt an ein siegreicher, aufgerufen am 12.07.2018).

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 17 Gott ist Gott – oder: die Wiederentdeckung der Alterität Gottes

Dr. Magdalene L. Frettlöh, o. Professorin für Dogmatik und Religionsphilosophie (Institut für Systematische Theologie)

Was haben in der zweiten Hälfte des Ersten Stufen eine neue, einheitliche Aufgabe und wil», wie ihn seine Kritiker nannten, den Weg Weltkriegs das Künstlercafé und Cabaret Vol- Verheissung gegeben hat. Umwertung aller aus der Krise, indem er diese radikal theolo- taire in der Spiegelgasse der Zürcher Altstadt Werte!» (Barth 1919, 57.) Der Affront gegen ei- gisch verschärft: Den Römerbrief lesend, of- und der Garten des Pfarrhauses am Kirchrain ne bürgerliche Christlichkeit könnte – allemal fenbart sich ihm Gott selbst als die Krise des im argauischen Safenwil gemeinsam? in der Schweiz – kaum grösser sein, wenn Menschen. Nicht der erbärmliche Zustand der Barth dies mit christentumskritischer Pointe Nachkriegswelt, sondern Gott ist das Subjekt «Dada ist Dada» und «Gott ist Gott» – oder: zeitdiagnostisch konkretisiert: «Ist die feierli- der Krise: «Der wahre Gott ist […] der aller Ge- der Krisenerfahrung expressionistisch che Ehrfurcht vor dem Geld, wie sie nirgend so genständlichkeit entbehrende Ursprung der Raum geben deutlich ist wie in ‹christlichen Kreisen›, etwa Krisis aller Gegenständlichkeit, der Richter, Nun, an beiden Orten ereignete sich eine Revo- vor Gott besser als der gemeine Diebstahl? das Nicht-Sein der Welt» (Barth 1922, 118). lution, die auf die Erschütterung durch den Unsre in religiöse und moralische Leiden- Damit aber wird Barth zum Autor einer pro- Krieg antwortete. Dabei könnten die Protago- schaft umgesetzte ungebändigte Sexualität et- phetischen Theologie und tritt in die Tradition nisten der beiden Bewegungen gar nicht unter- wa besser als der vom Gesetz verworfene Ehe- der alttestamentlichen (Unheils-)Propheten. Ih- schiedlich genug sein. Und doch ist ihrer radi- bruch? Unser Eifer für unsre ‹Sache› und nen bedeutete der Prozess, den Gott seinem kalen Opposition gegen die Kriegsbegeisterung unsre kalte Gleichgültigkeit für die Hauptsa- Volk machte, gerade nicht, dass Gott mit Israel des europäischen Bürgertums Entscheidendes che etwa weniger ‹Raub am Heiligtum› als der fertig ist. Analog wird auch bei Barth der funda- gemeinsam, wenn es dort «Dada ist Dada» und Götzendienst der Weltleute?» (Barth 1919, mentale Angriff Gottes auf die Welt und den hier «Gott ist Gott» heisst. 60f.) Das Ernstnehmen der Alterität Gottes Menschen zum Aufweis des bleibenden Interes- Im Frühjahr 1916 begründeten in Zürich, stösst die Vertreter_innen vermeintlich so heh- ses und der unverbrüchlichen Treue Gottes: «Im dem Epizentrum der europäischen Avantgar- rer christlicher Werte vor den Kopf. Das in Christus […] redet Gott, wie er ist, und straft den de während des Kriegswütens, Hans Arp, Em- Christus angebrochene Reich Gottes setzt an- Nicht-Gott dieser Welt Lügen. […] Er bekennt my Hennings, Hugo Ball und andere internati- dere Massstäbe. Die bürgerliche Moral hat sich zu uns, indem er die Distanzen zwischen onale Künstler im Exil die experimentelle ebenso ausgedient wie der idealistische Fort- uns und ihm schafft und wahrt. Er begnadigt Kunstrichtung des Dadaismus. Sie protestier- schrittsgedanke. uns, indem er unsre Krisis einleitet, indem er ten, Konventionen parodierend und Traditio- Sich ausdrücklich auf Barth berufend, hat uns ins Gericht bringt» (Barth 1922, 65). nen ad absurdum führend, gegen die men- Fulbert Steffensky im Gespräch mit Dorothee schenverachtende Grausamkeit des Krieges. Sölle seinerseits die Alterität Gottes stark ge- Verrückte Performances, Laut- und Simultan- macht: «Vielleicht möchte ich zu meinem eige- «Gott begnadigt uns, indem gedichte und surrealistisch anmutende Colla- nen Trost und zum Trost der Welt in diesem gen mischten das bürgerliche Zürich auf. Dem Gespräch die Wahrheit retten, dass Gott an- er unsre Krisis einleitet.» Ver- und Zerstörenden des Krieges begegneten ders ist als wir. Im Augenblick stehen wir ja un- die Künstler_innen mit irritierender Anti­ ter dem modischen Zwang, ihn durch uns Je mehr das theologische Werk Barths wächst, kunst. Ihr Nonsens demaskierte die Sinnlosig- selbst zu erklären: er hat keine anderen Kräfte desto stärker tritt die Wahrnehmung des göttli- keit des Kriegstreibens. als unsere eigenen; er ist ein so nettes Kerlchen chen Ja in den Vordergrund. Barths ReVision der Nur wenig später sass der Safenwiler Pfarrer wie wir selber. In solchen Tagen schreit man Prädestinationslehre in Gestalt der Lehre von Karl Barth im Garten seines Pfarrhauses und las geradezu nach Karl Barth. […] Die Aussagen Gottes Gnadenwahl ist mitten im Zweiten Welt- den Römerbrief des Paulus, als läse er ihn zum über die Grösse, die Heiligkeit und die Anders- krieg eine einzige Hommage auf das Ja Gottes, ersten Mal. Und während Barth «sich sachlich heit Gottes sind doch mein Versprechen und das niemanden ausschliesst: «Gott sagt Ja. […] In- beteiligt neben Paulus [stellte], statt [sich] im ge- mein Segen. Ich brauche mehr, als ich bin. Die dem er Ja sagt zu ihm [sc. dem Geschöpf], ist Ja lassenen Abstand des Zuschauers ihm gegen- Welt braucht mehr, als wir alle zusammen sind zu ihm gesagt: ohne Wenn und Aber, ohne Hin- überzustellen» (Barth 1919, 4), evozierte seine und aufbringen können. Das Gotteskerlchen, tergedanken und Vorbehalt, nicht vorläufig, son- Pauluslektüre eine geradezu expressionistische dem die Heiligkeit, sein Geheimnis und sein dern abschliessend, nicht in halber, sondern in Kultur-, Religions-, Theologie- und Kirchenkri- grösserer Reichtum abgesprochen sind, ist mir ganzer, nicht in zeitlicher, sondern in ewiger tik. Gott in seiner ganzen Alterität wurde ihm einfach zu wenig» (Sölle/Steffensky, 22.25.) Treue» (KD II/2, 32). Während die traditionellen dabei zur entscheidenden Wirklichkeit. Prädestinationslehren mit der Scheidung der Sich mit Paulus identifizierend, charakteri- Die Krise als Gnade – oder: das im Nein Menschheit in von Ewigkeit her Erwählte und siert Barth den Neuaufbruch seiner Theologie: verborgene Ja Verworfene Furcht und Schrecken verbreiten, «Das ist eben das entscheidend Neue ‹meines Zur expliziten Theologie der Krise wird Barths bringt Barth das Erwählungshandeln Gottes als Evangeliums›, dass jetzt etwas Gewisseres als dialektische Pauluslektüre erst mit seiner «die Summe des Evangeliums» (KD II/2, 1) zur Religion und Moral in der Welt wirksam und zweiten Bearbeitung des Römerbriefs. In ihr Sprache. Was für eine radikale Entängstigung! wichtig geworden, dass der Arm Gottes jetzt in sei, so notiert Barth nicht ohne Übertreibung Der in dieser vorbehaltlosen Weise sich mit dem der ganzen Menschheit in Bewegung gekom- im Vorwort, «von jener ersten sozusagen kein Menschen verbündende Gott von KD II/2 ist men ist, dass Gott selber nun die Gottesfrage Stein auf dem andern geblieben» (Barth 1922, aber kein anderer als der ganz andere Gott der aufgeworfen und so den Menschen auf allen 5). Nun beschreitet «der rote Pfarrer von Safen- beiden Römerbrief-Kommentare.

18 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Die Menschlichkeit des ganz anderen Gottes bei sollten wir es uns doch gefallen lassen, dass um, dass Gott es gut machen wird, mehr noch: – oder: Theologie als Theanthropologie Gott längst, wie Barth nicht müde wird zu be- dass Gott es bereits gut gemacht hat, fällt so Wiederholt hat Barth seine eigene Entdeckung zeugen, alles für uns getan hat. Genau dies be- verdammt schwer. Vielleicht könnte ja das der Alterität Gottes im Schatten der Katastro- gründet ja die grosse Gelassenheit der Karl Barth-Jahr 2019 ein Anlass sein, sich in phe des Ersten Weltkriegs erinnert. Dabei Barth’schen Theologie und nicht weniger den ihr zu üben als einer Lebenskunst, die gerade spart er keineswegs an Selbstkritik. Die gehört Witz, den Humor und die (Selbst-)Ironie Karl den Reformierten noch nie leichtgefallen ist. für ihn konstitutiv zur Theologie als kritischer Barths. Darum rät Ralf Frisch nicht zufällig zu Wissenschaft. Barth bekennt, dass sich im «einer christlichen Kunst des Seinlassens im Literatur: Laufe der Jahre in seinem Reden von Gott die Anschluss an Karl Barth […], weil wir vielleicht Karl Barth (1919), Der Römerbrief (Erste Fassung) Gewichte verschoben haben. Er spricht gar von nur zu retten sind, wenn wir hin und wieder 1919 (GA II.16), hg. von Hermann Schmidt, Retraktionen früherer Positionen. Damit meint auf Abstand zu uns selbst und zu unseren Ma- Zürich 1985. er aber keine Absage an diese, sondern ihre chenschaften gehen und uns aus jener heilsa- Karl Barth (1922), Der Römerbrief (Zweite Fassung) präzisere Reformulierung. Standen zunächst men Distanz wahrnehmen, aus der uns auch 1922 (GA II.47), hg. von Cornelis van der Kooi das totaliter aliter der Göttlichkeit Gottes und Gott wahrnimmt, wenn er uns liebt, erhält und und Katja Tolstaja, Zürich 2010. die fundamentale Diastase zwischen Gott und sein lässt […] Nimmt man Karl Barth ernst […], Karl Barth (KD), Die Kirchliche Dogmatik. Bd. II/2, Mensch, Gott und Welt im Vordergrund, ge- dann bleibt dem Menschen vor Gott nichts an- Zollikon-Zürich 1942. winnt nun die in Jesus Christus offenkundige deres übrig, als in seinen menschlichen Gren- Karl Barth (1956), Die Menschlichkeit Gottes (ThSt Menschlichkeit Gottes immer mehr Raum in zen und Möglichkeiten guter Dinge Mensch zu 48), Zollikon-Zürich 1956. Barths Denken. sein und sich daran genügen zu lassen, dass Karl Barth (1962), Einführung in die evangelische So räsoniert er 40 Jahre später über jene An- das eigentliche revolutionäre Drama längst ge- Theologie, Zollikon-Zürich 1962. fänge der Dialektischen Theologie: «Schien es schehen ist. Es hat sich am eigenen Leib Gottes Ralf Frisch, Alles gut. Warum Karl Barths Theolo- uns nicht doch ein Stück weit zu entgehen, dass abgespielt» (Frisch, 181). gie ihre beste Zeit noch vor sich hat, Zürich 2018. die Göttlichkeit des lebendigen Gottes – und mit Doch diese Gelassenheit, etwas gut sein zu Dorothee Sölle/Fulbert Steffensky, Zwietracht in ihm wollten wir es doch zu tun haben – ihren lassen, das noch nicht gut ist – im Wissen dar- Eintracht. Ein Religionsgespräch, Zürich 1996. Sinn und ihre Kraft nur im Kontext seiner Ge- schichte und seines Dialogs mit dem Menschen und also in seinem Zusammensein mit diesem hat? […] Gott bedarf keines Ausschlusses der Menschlichkeit, keiner Nicht-Menschlichkeit oder gar Unmenschlichkeit, um wahrhaft Gott zu sein. […] Seine freie Bejahung des Menschen, seine freie Teilnahme an ihm, sein freies Eintre- ten für ihn – das ist Gottes Menschlichkeit, […] seine Menschenfreundlichkeit» (Barth 1956, 10.14f.). Diese Einsicht hat Barth in seiner letz- ten Basler Vorlesung, der Einführung in die evangelische Theologie, dazu veranlasst, Theo- logie als «Theanthropologie» (Barth 1962, 18 u. ö.) zu entfalten. Es macht gerade Gottes Gött- lichkeit aus, dass Gott nur zusammen mit dem Menschen Gott sein will. Ein menschenloser Gott ist, nachdem sich Gott für den Menschen entschieden hat, ein Widerspruch in sich selbst. Wie könnte der menschgewordene Gott ohne den Menschen Gott sein (wollen)?!

Das Drama ist gespielt – oder: die ZuMutung der Gelassenheit Doch noch der späte Barth bleibt ein dialekti- scher Theologe und ein verwegen-revolutionä- rer Prophet des ganz Anderen, der Mut zur Kri- se schenkt: «Eben im Gericht wird hier Gnade geübt und geschenkt; eben im Tod wird hier Leben erweckt und gelebt. Eben in Demut darf und soll hier Mut gefasst werden. Eben wer sich hier beugt, darf und muss hier aufstehen. Eben in der Erkenntnis, dass mit unserer Macht hier gar nichts getan ist, darf und muss hier mutig gehandelt werden» (Barth 1962, 175f.). Diese Sätze aus der Gebets-Vorlesung der Einführung könnten wortwörtlich auch im zweiten Römerbrief-Kommentar stehen. Ein solches Reden von Gott kommt aber ei- ner narzisstischen Kränkung des Menschen gleich, der sich selbst konstituieren, sich selbst rechtfertigen und durch Enhancement-An- strengungen ständig optimieren möchte. Da- Faksimile: Karl Barth-Archiv, Basel.

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 19 Karl Barth beim Denken zusehen Ein Werkstattbericht zur Annotation und Kommentierung von Barths Einführung in die evangelische Theologie

Dominik von Allmen-Mäder, Doktorand in Dogmatik und Religionsphilosophie (Institut für Systematische Theologie)

Sein «Schwanengesang» sei diese letzte Vorle- crucis ganz zentral. Die «billig und leicht anzu- Im Barth-Jahr mit Barth denken sung, die er 1962 in Basel gehalten habe. Das eignende Gnade» spielt auf Dietrich Bonhoef- Das Zielpublikum ist breit: Gerade der Anno- sagt Barth im Vorwort über seine Einführung fer an, der in seinem Buch «Nachfolge» billige tationsband wird für Studierende und Barth- in die evangelische Theologie. Für Barths Ver- und teure Gnade unterscheidet (vgl. Bonhoef- Einsteiger_innen hilfreich sein, denn er hältnisse ist es eines seiner schmalsten Bänd- fer, 29–43). Schlussendlich nimmt Barth mit kombiniert Barth im Originaltext mit Hinter­ chen. Und der Titel weckt die Erwartung, dass diesem Satz auch eine Gedankenfigur auf, die grundwissen, weiterführenden Hinweisen in es hier um eine unspektakuläre Abhandlung er ausführlicher schon in § 17 seiner Kirchli- den Annotationen und werkgeschichtlichen der Fächer der Theologie, ihrer Methoden und chen Dogmatik entwickelt hat, wo er den Be- Einsichten. Und die Community von Barth- Themen gehe. All das verführt dazu, die Ein- griff «Religion» kritisch aufarbeitet. Expert_innen dürfte sich für beide Bände führung zur Seite zu legen und gleich zu den Die Liste liesse sich fortführen, aber der ebenso interessieren. Denn die Einführung er- buchstäblich gewichtigeren Werken überzuge- Punkt ist schon deutlich geworden: Das ge- hielt in der Barth-Forschung bislang noch we- hen, zu den beiden Römerbriefkommentaren, naue Hinhören auf Barths «Schwanengesang» nig Aufmerksamkeit. Für die kritische Ge- zur Kirchlichen Dogmatik … Aber Barth wäre befördert viele Schätze an den Tag. Diese samtausgabe der Werke Barths (GA) ist sie nicht Barth, würde er unter dem kokettieren- Schätze für Leser_innen sichtbar(er) und zu- nicht vorgesehen. Darum unternimmt der den Label «Schwanengesang» nicht äusserst gänglich zu machen, ist das Ziel der Doppelpu- Kommentarband eine eingehende Interpreta- dichte und höchst lebendige Gedanken entfal- blikation zur Einführung, die am Institut für tion der 17 Vorlesungen und erprobt die The- ten. Im Gespräch mit vielerlei Menschen, Zita- Systematische Theologie in Arbeit ist. Sie ver- se, dass es sich bei der Einführung auf weite ten, Schriften und seinem eigenen Werk folgt dafür Barths Denken in Nahaufnahme. Strecken um Barths Pastoraltheologie han- spinnt er ein Netz von Anspielungen, Querver- Wo Barth blitzschnell seinen Denkweg zu- delt. Nirgends sonst in seinem Werk zeigt sich weisen und grossen Begriffen – teils innerhalb rücklegt, zoomen Annotationen und Kom- Barth derart an der Situation des Theologen/ von wenigen Zeilen und meist ohne, dass er das besonders hervorheben würde. Wer genau hinschaut – und «Augen hat zu sehen» –, kann «Da ich nicht gut einstündig Dogmatik ankündigen Barth dabei beim Denken zusehen. konnte, wollte ich die Gelegenheit dieses Schwanengesangs Barth in Zeitlupe ergreifen, mir selbst und den Zeitgenossen in Kürze Ein Beispiel: Im Kapitel über «Die Hoffnung» kritisiert Barth: darüber Rechenschaft abzulegen, was ich auf dem Feld «Die Gnade der angeblichen, der von Men- der evangelischen Theologie fünf Jahre als Student, zwölf schen ersonnenen Götter pflegt – dem Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ent- Jahre als Pfarrer und dann vierzig Jahre lang als Professor sprechend – keine wirkliche, nämlich keine auf allerlei Wegen und Umwegen bis jetzt grundsätzlich frei sich schenkende, sondern eine bedingte, vom Menschen in angeblich guten Werken zu erstrebt, gelernt und vertreten habe.» verdienende und zu erwerbende – und sie pflegt keine sub contrario verborgene, keine in mentare heran und fragen nach: Woher hat er der Theologin interessiert wie hier. Davon radikaler Gefährdung des Menschen ihm zu- das? Wie kommt er auf jenes? Hat er schon ein- zeugt nicht zuletzt der für ihn ungewöhnliche gewendete, keine richtende, sondern eine ihm mal etwas Ähnliches geschrieben? Revidiert er Begriff der Theanthropologie. irgendwie direkt angebotene und zugängliche, nicht gerade eine seiner Positionen? Erscheinen wird die Doppelpublikation Mit- verhältnismässig handlich, billig und leicht te des Barth-Jahres 2019 beim Theologischen anzueignende Gnade zu sein.» Nebeneffekte und Vorgeschichte des Projekts Verlag Zürich – und hoffentlich viele Leser_in- Allein in diesem Satz sind mindestens drei Nicht nur en passant dient das Projekt auch der nen finden, die Barth nicht nur beim Denken Gesprächspartner_innen auszumachen, mit Nachwuchsförderung: Neben Magdalene L. zusehen, sondern mit ihm gemeinsam (und) denen Barth seine Kritik an zu flachen Gottes- Frettlöh sind im Herausgabe-Team mit Matthi- über ihn hinaus und bisweilen auch ganz an- bildern entwickelt, die keine echte Hoffnung as Käser-Braun und Dominik von Allmen-Mä- ders als er denken möchten. zu schenken vermögen. Zunächst die Bibel, ge- der zwei Doktoranden beteiligt. Für die Anno- nauer Genesis 6,5ff.: «Als aber der Herr sah, tierung und Kommentierung weiterer Kapitel Literatur dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden zeichnen ebenfalls Doktorierende und ein Stu- Karl Barth, Einführung in die evangelische Theolo- und alles Dichten und Trachten ihres Herzens dent verantwortlich. Die Gruppe hat sich ab gie, Zürich 1962/92017. nur böse war immerdar [...].» Das sub contrario September 2017 monatlich getroffen, um erste Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge (DBW 4), hg. von geht zurück auf Luther. Dem war die Erkennt- Entwürfe zu diskutieren. Dabei konnte sie auf Martin Kuske und Ilse Tödt, Gütersloh 32002. nis, dass sich Gott «unter gegensätzlichem An- ausführlich protokollierte Oberseminare von Gerhard Ebeling, Luther. Einführung in sein Den- blick, Empfinden und Erfahren» (Ebeling, 273; 2015 und 2016 aufbauen, in denen die Einfüh- ken, Tübingen 62017. WA 18, 633, 9) verbirgt, für seine theologia rung einem close reading unterzogen wurde.

20 konstruktiv Beilage zum bref Magazin Neues aus der Fakultät

Ehrenpromotion Des Weiteren sind an der Fakultät drei neue Profes- gile and Incomprehensible Humanity: Augstine’s Apo- Die Theologische Fakultät verlieh 2017 den Doctor suren zu vermelden: Mathias Wirth, Ass.Professor für phatic Approach to the Human Being». Sie organisier- honoris causa dem Künstlerpaar Elazar Benyoëtz und Systematische Theologie/Ethik, seit 1.8.2018 – Institut te im Mai 2018 ein vom SNF gefördertes Symposium Metavel: Elazar Benyoëtz, dem Begründer der Biblio- für Systematische Theologie; Georgiana Huian, Ass.Pro- «The Sense of Divinity». Zum 1.9.2018 wurde sie zur graphia Judaica; dem Aphoristiker und Lyriker, der jü- fessorin, seit 1.9.2018, und Peter-Ben Smit, ao. Professor Assistenzprofessorin für Systematische Theologie und disches Dichten und Denken in der deutschen Sprache (auf 1.10.2018), beide für Systematische Theologie und Ökumene an unsere Fakultät berufen. nach der Shoah neu belebt hat. Metavel, der Kabbala‐ Ökumene – Institut für Christkatholische Theologie. Seit 1.2.2018 arbeitet Dr. Peter Lötscher als Wissen- Gelehrten; der Miniaturenmalerin und Kalligraphin, schaftlicher Mitarbeiter im Forschungsteilprojekt «The die biblische Bücher und andere Texte der jüdischen Institut für Altes Testament One God: Conflict Zone and Concept of Integration» Tradition in expressiv‐symbolische Sprachbilder setzt. Obwohl Profn. Silvia Schroer als Vizerektorin und Prof. (geleitet von Proff. Richard King und Rainer Hirsch- Dem israelischen Künstlerpaar, das in Wort und Bild Andreas Wagner als Dekan stark anderweitig belastet Luipold) im Rahmen der Interfakultären Forschungs- die Welt der Bibel und des Judentums neu sehen und waren, führte das Institut zwei Tagungen durch. kooperation (IFK) «Religious Conflicts and Coping hören lehrt und dessen Werk zur Inspirationsquelle Vom 23.–25.11.2017 fand die internationale Fachta- Strategies». auch für die christliche Theologie geworden ist. gung «Images in Transition. The Southern Levant and Die Dissertation von Dr. Jan Rüggemeier zur «Poetik Its Imagery between Near Eastern and Greek Traditions der markinischen Christologie» wurde mit dem Armin Promotionen (from 5th to 3rd Century BCE)» statt, die im Rahmen Schmitt Preis für Biblische Textforschung ausgezeich- Zum Doktor bzw. zur Doktorin der Theologie wurden des SNF-Projektes «Die Bildwelt Palästinas/Israels zwi- net, und die Dissertationsschrift von Michael Jost er- im Akademischen Jahr 2017/2018 promoviert: schen Ost und West» an der Universität Bern durchge- hielt noch vor Abschluss des Promotionsverfahrens den Am 16.11.2017 Kathrin Brodbeck: Was soll Fatima führt wurde. Preis der «Fondation pour l'enseignement du judaïsme tun? Dilemmageschichten und Netzwerkkarten als Vom 6.–11.05.2018 fand auf dem Monte veritá im à l'Université de Lausanne (FEJUNIL)». Schlüssel zu Religiosität, Werten und Identität von Kongresszentrum der ETH Zürich (CSF) das internatio- Im Januar begann das gemeinsam mit dem IPT und Jugendlichen. Prof. em. Christoph Morgenthaler/Bern, nale Symposium «Archaeology of Mind. Interdisciplna- dem Inselspital durchgeführte Projekt «Epilepsy and Prof. Stefan Huber/Bern und Prof. Christoph Käppler/ ry Exploration in the Field of Old Testament Thinking» Subjective Spirituality: An Interdisciplinary Approach» Dortmund. Insigni cum laude. statt. Die große Tagung mit ca. 50 Teilnehmenden wur- zur Frage der religiösen Selbst- und Fremdinterpretati- Am 30.11.2017 Eva Tyrell: Strategies of Persuasion in de von Prof. Andreas Wagner (Bern) in Zusammenar- on von Epilepsie in Geschichte und Gegenwart (geför- Ancient Greek and Hebrew Narrative Histories: a Com- beit mit Prof. Jürgen van Oorschot (Erlangen) organi- dert durch die Scherbarth-Stiftung). parative Study of the Hebrew Bible and Herodotus’ Hi- siert und widmete sich der Frage, wie die Eigenart des Vom 22.–25.8.2017 fand in Bern die Tagung «Ale- stories. Prof. René Bloch/Bern, Prof. Ernst Axel Knauf/ Denkens des Alten Testaments im Dialog mit anderen xandria – Hub of the Hellenistic World» mit Vorträ- Bern, Prof. Jonathan Price/Tel Aviv. Summa cum laude. Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Neurologie, Evolu- gen von internationalen Fachleuten aus einem breiten Am 09.1.2018 Tim Frank: Food Storage in Ancient tionsbiologie, Kongnitionswissenschaft u.a.) zeitgemäss Spektrum an Disziplinen statt. Der Dekan der Yale Divi- Israel and Judah. Profn. Silvia Schroer/Bern und Prof. erfasst und beschrieben werden kann. nity School, Prof. Greg Sterling, hielt einen öffentlichen Ernst Axel Knauf/Bern. Magna cum laude. Darüberhinaus wurde eine Tagung zu «Intertextua- Abendvortrag zum antiken Alexandria aus der Sicht Am 12.4.2018 Judith Hèlène Stadler: Michal – Toch- lität und die Entstehung des Psalters» (13./14.4.; LMU des Geographen Strabo. Vom 16.–18.3.2018 veranstal- ter Schauls, Frau Dawids – Liebende. Leidende. Wider- München) durch das strukturierte Doktoratsprogramm tete das INT in Verbindung mit der Theologischen Fa- ständische. Prof. Ernst Axel Knauf/Bern, Profn. Silvia Basel-Bern-Zürich mitfinanziert. kultät der Universität Basel (Prof. Moisés Mayordomo) Schroer/Bern. Magna cum laude. PD Dr. Anna Zernecke, Assistentin am IAT, wurde ein internationales und ökumenisches Symposium Am 25.6.2018 Melanie Werren: Würde und Demenz. als Ordentliche Professorin für Altes Testament an die anlässlich des 80. Geburtstages von Prof. em. Ulrich Grundlegung einer Pflegeethik anhand der Würde von Universität Kiel berufen und tritt ihre Stelle dort zum Luz unter dem Titel «Neues Testament und Kirche». In Menschen mit Demenz. Prof. Torsten Meireis/Berlin, 1.9.2018 an. diesem Jahr war das INT Gastgeber des europäischen Prof. Frank Mathwig/Bern, Prof. Johannes Eurich/Hei- Im HS 2017 haben das IAT und das INT gemeinsam Forschungsnetzwerks zu Plutarch. Die in Zusammenar- delberg. Summa cum laude. ein neues Veranstaltungsformat etabliert. Einmal pro beit mit der Universität Groningen organisierte Tagung Semester sollen nun im Rahmen einer «Offenen Bib- vom 28.–30.6.2018 stand unter dem Thema «Plutarch Fakultät / Dekanat lischen Sozietät» bibelwissenschaftliche Themen und and the Ancient Religious Landscape». An der «Nacht Im vergangenen akademischen Jahr hat die von Profn. ihre gesamttheologische sowie gesellschaftliche Bedeu- der Forschung» war das INT mit dem Thema «Lost in Katharina Heyden geleitete Interfakultäre Forschungs- tung diskutiert werden. Zu den Titeln «Sola scriptura - Translation» und der Replika einer Gutenberg-Drucker- kooperation (IFK) «Religious Conflicts and Coping Last oder Lust?» (HS 2017) und «Eint sie, oder entzweit presse vertreten. Strategies» unter massgeblicher Beteiligung von sie? Die Bibel und die Einheit der Kirche» (FS 2018) Mitglieder des INT waren im In- und Ausland an ei- Forschenden der Theologischen Fakultät ihre Arbeit tummelten sich nun bereits zweimal Fachvertreter_in- ner Vielzahl von wissenschaftlichen Fachtagungen und aufgenommen. Über 45 Professor_innen sowie Nach- nen verschiedener theologischer Disziplinen, engagier- kirchlichen Veranstaltungen beteiligt. wuchswissenschaftler_innen verschiedener Fächer, te Studierende und weitere Interessierte auf diesem Fakultäten und Universitäten erforschen in diesem neuen Podium. Die nächste Offene Biblische Sozietät Institut für Judaistik Rahmen in 12 Teilprojekten die religiösen Dimensi- ist für den 23.10.2018 geplant. Im Frühjahrssemester 2018 wurde das Institut für Ju- onen von Konflikten und die Möglichkeiten ihrer Be- daistik 10 Jahre alt. Es darf auf eine sehr erfolgreiche arbeitung. Nähere Informationen unter www.religious- Institut für Neues Testament Dekade zurückschauen: Die Berner Judaistik ist fest eta- conflicts.unibe.ch. Am 3.10.2017 hielt Prof. Benjamin Schliesser seine bliert und international zu einer wichtigen Adresse für Profn. Angela Berlis ist seit dem 1.8.2018 Dekanin Antrittsvorlesung zum Thema «Vom Jordan an den Forschung und Lehre geworden. Im Berichtsjahr wurde der Theologischen Fakultät und löst Prof. Andreas Tiber. Wie die Jesusbewegung in den Städten des Rö- Dr. Stefan Münger, Co-Direktor des Kinneret Regional Wagner in dieser Funktion ab. Prof. Andreas Wagner mischen Reiches ankam». Die urbanen frühchristlichen Projects, von der Universitätsleitung zum Assoziierten bleibt intermistisch im Herbstsemester 2018 in der Fa- Zentren werden am INT zu einem neuen Arbeits- und Professor berufen. Dr. Eva Tyrell schloss ihre Disserta- kultätsleitung und vertritt Prof. Rainer Hirsch-Luipold Forschungsbereich ausgebaut. tion (Doppeldoktorat an der Universität Bern und an als Vizedekan für Forschung, Planung und Finanzen Dr. Dr. Georgiana Huian forscht seit 1.9.2017 mit der Tel Aviv University) mit summa cum laude ab. während dessen Forschungssemester. Vizedekan für einem Bundes-Exzellenz-Stipendium, betreut von Prof. Nach Ablauf ihrer Assistenz wurde sie durch Dr. Ilana Studium und Lehre ist wie bisher Prof. David Plüss. Rainer Hirsch-Luipold, am INT mit einem Projekt «Fra- Wartenberg ersetzt, die vom University College Lon-

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 21 don nach Bern kam und sich zu einem mediävistischen stentums und Konfessionskunde konnte Assistent fünf Bände der von Mitgliedern des IST hrsg. tvz-Reihe Thema habilitiert. Dr. Daniel Barbu, Oberassistent im Gergely Csukás seine Dissertation über eine pietistische «reformiert!» eines großen und sichtlich vergnügten Institut, wurde auf Januar 2018 nach Paris berufen Zeitschrift einreichen. Er wird als Oberassistent an das Auditoriums. Den Festvortrag «Reformierte Theologie (CNRS «Laboratoire d’Études sur les Monothéismes»). Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte in – quo vadis?» hielt Prof. Michael Welker aus Heidel- Im Berichtsjahr hat eine erfreuliche Zahl Studierender Zürich wechseln. Steffen Götze, der aus Münster nach berg/Princeton. den neuen Minor-Studiengang «Judaistik» angetreten. Bern kam, arbeitet seit dem HS 2017 neu als Assistent Am 20.2.2018 wurde in Kooperation mit der Univer- und schreibt an einer Dissertation über Lessing. Zu- Institut für Praktische Theologie sität Fribourg das aus einer Tagung hervorgegangene sammen mit Prof. Heinrich R. Schmidt, Historiker, und Abteilung Seelsorge, Religionspsychologie und Reli- Buch Yehezkel Kaufmann and the Reinvention of Je- PD Dr. Christian von Zimmermann, Germanist, wird gionspädagogik wish Biblical Scholarship vorgestellt. Am 14.5.2018 im Rahmen des IFK das Forschungsteilprojekt «Rheto- Zum ersten Mal in der Schweiz haben Angehörige ver- hielt Prof. Michael Brenner/München vor einem gros- riken konfessioneller Identität und Alterität. Religions- schiedener Religionen gemeinsam einen Studiengang sen Publikum die zweite Dr. Lutz Zwillenberg Lecture kriege in der Schweiz zwischen Reformation und Libe- im Bereich religiöse Begleitung besucht. Unter den Teil- zum Thema «Was ist ein jüdischer Staat? Staat, Nati- ralismus» durchgeführt. Als Doktorandinnen konnten nehmer_innen des CAS «Religious Care in Migration on und Religion in Israel». Weitere Gastvorträge im Dominique Juen, Theologin, und Janine Scheurer, Hi- Contexts» befanden sich drei Muslima, fünf Muslime Institut wurden gehalten von Prof. Jonathan Price/Tel storikerin, gewonnen werden. (darunter drei Imame), ein Hindupriester und zwei Aviv, Dr. Dominik Sauerländer/Aarau, Dr. Greti Dinko- Auch in der Lehre kam es zu einer erfreulichen in- Christen (darunter ein reformierter Pfarrer). An der va-Bruun/Toronto und Dr. Annette M. Böckler/Zürich. terdisziplinären Kooperation mit dem Institut für Ger- feierlichen Diplomübergabe am 28.5.2018 in der Aula Im Berichtsjahr wurde im Rahmen des Berner IFK- manistik: Die Ringvorlesung «Christlich-literarisches nahm Bundesrätin Simonetta Sommaruga teil. Forschungsprojekts «Religious Conflicts and Coping Engagement in Geschichte und Gegenwart. Kurt Marti Dr. Katie Givens Kime und Dr. Claudia Kohli Rei- Strategies» das Teilprojekt «The Use and Abuse of the Gedächtnisvorlesung» fand im HS 2017 statt. chenbach führten Ende April 2018 mit Fördergeldern Israel/Palestine Conflict» mit zwei neuen Mitarbeiten- der Mittelbauvereinigung den Workshop «Psychology den (Mylène Socquet-Juglard und Dr. Simon Mastran- Institut für Systematische Theologie of Religion in the 21st Century: Medicine, Materialism, gelo) lanciert. Von Seiten des SNF wurde das Sinergia- Nach fünf Semestern Vakanz konnte zum 1.8.2018 and the Place for Impossible Stories» mit Prof. Jeffery Projekt «Lege Josephum! Ways of Reading Josephus in die Professur für Systematische Theologie/Ethik (Nach- Kripal/USA durch. the Latin Middle Ages» bewilligt, das, in Kooperation folge Prof. Torsten Meireis) besetzt werden. Wir heis- Das von Profn. Isabelle Noth und Prof. Rainer mit dem Institut für Klassische Philologie und dem In- sen Dr. Mathias Wirth als neuen Kollegen herzlich am Hirsch-Luipold gemeinsam mit dem Schlaf-Wach-Epi- stitut für Historische Theologie, 2019 beginnen wird. IST willkommen, wo er nun eine Assistenzprofessur lepsie-Zentrum der Universitätsklinik für Neurologie mit tenure track innehat. Wirth, 1984 in Köln geboren, eingereichte Projektgesuch «Epilepsy and Subjective Institut für Historische Theologie hat mit einer preisgekrönten Arbeit über «Distanz des Spirituality: An Interdisciplinary Approach» wurde Das IHT konnte in diesem Jahr den Hans-Sigrist-Preis Gehorsams. Theorie, Ethik und Kritik einer Tugend» von der Scherbarth Stiftung bewilligt. für das Gebiet «Historical Research on Eastern Chris- (Tübingen 2016) in Hannover promoviert und forsch- Zusammen mit der PH Bern organisierte Dr. Stefa- tianity» vergeben. Ausgezeichnet wurde Profn. Helen te zuletzt mit einem Stipendium der Alexander von nie Lorenzen die Jahrestagung des Fachdidaktikforums Murre-van den Berg/Leiden für ihre Forschungen zum Humboldt-Stiftung an der Divinity School der Yale Ethik, Religion, Kultur am 5./6.6.2018 zum Thema syrischen Christentum. Am 1.12.2017 fand unter Mit- University. «Empirische Forschungslandschaft Schweiz im Fachbe- wirkung der Preisträgerin ein Symposium zum Thema Und es gibt weitere erfreuliche Personalia zu berich- reich ‹Ethik, Religionen, Gemeinschaft›». Neben zwei «Language and Religion in the (Re)Making of Syriac ten: Am Ende des FS 2018 wurden PD Dr. Luca Di Blasi thematischen Vorträgen zur empirischen Unterrichts- Christian Communities» statt. Die Berner Absolventin zum Assoziierten Professor und PD Dr. Christoph Si- forschung gab es Gelegenheit, empirische Forschungs- Rahel Schär erforscht seit dem 1.1.2018 als Sigrist-Fel- grist zum Titularprofessor ernannt. Am 30.4.2018 ver- projekte zu diskutieren und Einblick in die aktuelle low im Rahmen ihrer Dissertation die Vernetzung der teidigte Melanie Werren ihre Doktorarbeit über «Wür- didaktische Forschungslandschaft zum neu etablierten Jura-Klöster in der Spätantike. de und Demenz. Grundlegung einer Pflegeethik anhand Schulfach ERG zu erhalten. Bereits zum vierten Mal richtete das Institut einen der Würde von Menschen mit Demenz» (summa cum Als IFK-Teilprojektleiterin konnte Profn. Isabelle Abend «Historische Theologie im Gespräch» aus, dies- laude). Werren wird nun auf eine PostDoc-Stelle (Ethik) Noth Dr. Jessica Lampe anstellen. Vom 8.–10.7.2018 mal zum Thema: «Sola scriptura! Allein die Schrift?» wechseln. Auch kam der Vorschlag für die diesjährige fand die von der Abteilung mitverantwortete Jahresta- An der Abteilung für Ältere Geschichte des Chri- Ehrenpromotion aus dem IST. gung der International Association for Spiritual Care stentums und der Interreligiösen Begegnungen wur- Matthias Käser-Braun erhielt im Oktober 2017 die am Union Theological Seminary in New York (USA) de die interdisziplinäre Forschung intensiviert: Das von Fakultätspreise für das beste Masterexamen und die statt. Dr. Claudia Kohli Reichenbach leitete die General Profn. Katharina Heyden gemeinsam mit dem Histo- beste Masterarbeit, die inzwischen als Band 5 in der Assembly, Dr. Jessica Lampe hielt den Eröffungsvortrag riker Prof. Stefan Rebenich geleitete IFK-Teilprojekt tvz-Reihe «reformiert!» erschienen ist (siehe Buchpu- zu «Internal Religious and Spiritual Struggles» und beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Konzilien blikationen). Cristina Betz ist zum 1.8.2018 auf die As- Doktorand Pfr. Frank Stüfen bot einen Workshop zu geeignete Formen der Bearbeitung religiöser Konflikte sistenz von David Plüss am IPT gewechselt, gehört aber Seelsorge im Strafvollzug an. waren. In diesem Zusammenhang forschen neu Dr. Jes- weiterhin als Doktorandin im SNF-Projekt «Tod und Abteilung Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie sica van’t Westeinde und Liliane Marti am Institut. Im Gender» zum IST. Die erfolgte Einwerbung von Forschungsgeldern im SNF-Projekt zum byzantinischen Streit um die Ener- Innerhalb des IFK-Forschungsprojekts «Religious Rahmen der Interfakultären Forschungskooperation gien Gottes wurde die Zusammenarbeit mit Kolleg_in- Conflicts and Coping Strategies», das am 1.3.2018 star- zum Verhältnis von Religion und Konflikt hat auch nen in Griechenland verstärkt. tete, leitet Prof. Luca Di Blasi das Teilprojekt «Unver- die Abteilung Homiletik, Liturgik und Kirchentheo- Ein Höhepunkt in der Lehre war das gemeinsam nehmen zwischen den Religionen» und kooperiert da- rie in Beschlag genommen. Für das Teilprojekt über mit Prof. David Plüss in Grindelwald durchgeführte in- bei mit Prof. Xinzhang Zhang/China. Dr. Elad Lapidot/ religiöse Rituale als Formen der Darstellung und terdisziplinäre Blockseminar «Das Pfarramt zwischen Berlin arbeitet als PostDoc in diesem Projekt mit. Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte und Gewal- Spiritualität und Professionalisierung – in Antike und Unter Leitung von Dominik von Allmen fand am terfahrungen konnte die Religionswissenschaftlerin Gegenwart». Ihr Forschungssemester nutzte Profn. 24./25.5.2018 ein sehr anregendes Doktorats-Symposi- Agnes Schubert aus Basel gewonnen werden. Kirsten Katharina Heyden vor allem für die Übersetzung und on mit dem Titel «Wie hast du’s mit der Wahrheit?» Jäger, die das Kleidungsverhalten von Pfarrerinnen Kommentierung des «Religionsgesprächs am Per- statt, bei dem neben Doktorierenden auch Prof. Martin und Pfarrern erforscht, verliess nach vier Jahren die sischen Hof», eines spätantiken griechischen Disputa- Doll/Düsseldorf, B. Gaus/taz Berlin, Prof. Franz Gruber/ Assistenzstelle. Cristina Betz hat ihre Nachfolge an- tionsromans. In der Lehre wurde sie von Prof. Gregor Graz, Prof. Andreas Krebs/Bonn; PD Hans Lichtenber- getreten. Sie erforscht die theologische Deutung von Emmenegger aus Fribourg mit einer Vorlesung zur My- ger/Schlangenbad, Prof. Joachim Negel/Fribourg und Stillgeburten, deren juristische Regelung und rituelle stik bei den Kirchenvätern vertreten. Joulia Strauss/Berlin/Athen mitwirkten. Gestaltung. An der Abteilung für Neuere Geschichte des Chri- Am 4.6.2018 erfreute sich die Vernissage der ersten An der Nacht der Forschung der Universität Bern am

22 konstruktiv Beilage zum bref Magazin 26.9.2017 beteiligte sich die Abteilung HLK mit einem der Vernissage zum gleichnamigen Buch sprach u.a. geführt wird. Die gesamte Tagung wurde filmisch do- Stand zum Thema «Kirche zu verkaufen – Kirchen- Nationalrätin Margaret Kiener Nellen. Lehraufträge in kumentiert. Für Datenbank und Dokumentation siehe: umnutzungen in der Schweiz». Auf grosses Interesse orthodoxer Theologie wurden von Dr. Stefanos Athana- www.schweizerkirchenbautag.unibe.ch. stiess die Datenbank Kirchenumnutzungen, beliebt war siou und Dr. Mariam Kartashyan wahrgenommen. Im Die reformierte Liturgie- und Gesangbuchkonferenz ausserdem das Quiz «Wie gut kennen Sie die Berner FS 2018 las Prof. George G. Pothen/Indien über Religi- veranstaltete in Zusammenarbeit mit dem KLi, den Kirche». Ausserdem gab es eine Ausstellung, eine Hör- onen in Indien. Fachstellen für Aus- und Weiterbildung und den Got- station, einen Chatroom, einen Büchertisch und für die Gemeinsam mit dem Schweizerischen Rat der Reli- tesdienstfachstellen verschiedener Kantonalkirchen Kleinen eine Playmobilkirche. gionen, der Schweizerischen Gesellschaft für Theologie am 30.8.2017 die erste «Werkstatt Gottesdienst und und dem Haus der Religionen organisierte das ICKath Musik» in Zug. Unter dem Titel «Reformiert feiern – Institut für Empirische Religionsforschung am 17.11.2017 eine gut besuchte interreligiöse Tagung Spiel mit Wort und Musik» ging es um die vielfältigen Das Team des Instituts für Empirische Religionsfor- zum Thema «‹Wenn Deine Wahrheit nicht meine ist.› Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Wort und schung (IER) konzentrierte sich auch im Studienjahr Wahrheitsanspruch und Pluralität der Religionen in Musik im Gottesdienst. Auch am Gottesdienstforum 2017/18 auf die Durchführung von mehreren trans- der Schweiz». Im Januar 2018 fand ein internationales des Bereiches Theologie der Reformierten Kirchen disziplinären, vom SNF geförderten Projekten zu den Doktorandenkolloquium in Bern mit Doktorierenden Bern-Jura-Solothurn im März 2018 mit dem Thema Forschungsschwerpunkten «Religiöse Pluralität und in- aus Sibiu und Bern unter Leitung von Prof. Daniel «Verkündigung durch Kunst» war das Kompetenzzen- terreligiöser Friede» (Projekte zu Xenosophie, zu Säkula- Buda (Sibiu und ÖRK) und Profn. Angela Berlis statt. trum beteiligt. Der ökumenische Arbeitskreis Liturgik rität und Säkularismus sowie zu Interreligiösen Partner- Ein mehrtägiges Forschungskolloquium brachte Prof. des KLi beschäftigte sich im Juni 2018 mit dem christ- schaften) und «Religion in Osteuropa» (internationale Jürgen Werbick/Münster und Pater Stephan Horn/ katholischen systematischen Theologen Adolf Thür- Projekte mit Kolleg_innen in Russland, Rumänien und Bad Wurzach als Experten nach Bern. Am 8./9.6.2018 lings (1844–1915) und seinen Vorlesungen zu Liturgik. Georgien). In den Forschungsprojekten zu Xenosophie fand anlässlich des 125-jährigen Bestehens der eng mit Gemeinsam mit Profn. Katharina Heyden gestalteten und Säkularität sowie in den drei Osteuropäischen Staa- unserer Institution verbundenen «Internationale(n) Mitarbeitende des KLi an der Konferenz der Europe- ten wurde die Datenerhebung erfolgreich abgeschlossen. Kirchliche(n) Zeitschrift» (www.ikz.unibe.ch) eine Ta- an Association for the Study of Religions im Juni ein Neben der Forschung hat das IER im Berichtszeitraum gung statt, die sich u.a. mit der Open-Access-Strategie anregendes Panel zu multireligiösen sakralen Räumen. auch Dienstleistungen erbracht. So wurde das Praxispro- befasste. Gastvorträge hielten im HS 2017 Prof. Jürgen 2015 fand in Bern der fünfte Internationale Kon- jekt «Dialogue en Route» der interreligiösen Arbeitsge- Werbick/Münster, Prof. Mel Robeck/Pasadena und – im gress für Kirchenmusik statt, im August 2017 erschien meinschaft (IRAS COTIS) in deren Auftrag evaluiert. Rahmen des fakultären Mentoringprogramms – Profn. ein umfangreicher Sammelband mit Referaten und Im HS 2017 wurde Dr. Christophe Monnot, der im Jenny Dixon/Auckland sowie im FS 2018 Profn. Anto- Workshop-Beiträgen sowie einer Dokumentation der Säkularitätsprojekt mitarbeitete, als Dozent an die The- nia Moropoulou/Athen, letztere über die Restauration Konzerte und Gottesdienste, die im Rahmen der Ta- ologische Fakultät der Universität Strasbourg berufen. der Grabeskapelle in Jerusalem. gung stattfanden (siehe Publikationen). Ende des FS 2018 organisierte das IER eine Reihe mit Wir freuen uns, dass die orthodoxe Theologin Geor- Neben Tagungen und Publikationen gehörten auch vier Gastvorträgen zum Thema Spiritualität (Prof. Con- giana Huian aus Bukarest (Ass.Prof. mit tenure track) das regelmässig stattfindende Forschungskolloquium stantin Klein/München, Dr. Sarah Demmrich/Münster, und der altkatholische Theologe Peter-Ben Smit (a.o. Gegenwartsliturgik sowie zahlreiche weitere Lehrange- Prof. Tatjana Schnell/Innsbruck, Prof. Christina aus der Prof.) aus Amsterdam ab HS 2018 gemeinsam auf die bote zu den Aktivitäten des KLi. U.a. konnte im Rah- Au/Zürich). Neben «Religiöse Pluralität» und «Religion Professur für Systematische Theologie und Ökumene men des Praktischen Semesters zum ersten Mal ein in Osteuropa» soll das Thema «Spiritualität» ein drit- berufen wurden. Blockseminar mit der Kirchenmusikausbildung der ter Forschungsschwerpunkt des IER werden. Ebenfalls Hochschule der Künste Bern (HKB) zu «Lied und Li- gegen Ende des FS 2018 wurde Prof. Stefan Huber von Koordinationsstelle für praktikumsbezogene theolo- turgie» für Student_innen beider Institutionen durch- der Zeitschrift RELIGIONS eingeladen, als «guest editor» gische Ausbildung (KOPTA) geführt werden. eine Sonderausgabe zum Thema «empirical research on Walter Hug wurde nach 24 Jahren bei der KOPTA am religion» herauszugeben. Die Lehrveranstaltungen des 31.7.2018 pensioniert. Die Leitung der KOPTA und des Aus- und Weiterbildung Seelsorge (AWS) IER wurden von vielen Studierenden besucht und von Lernvikariats übernimmt Andreas Köhler-Andereggen. Die AWS baut zurzeit ihren Schwerpunkt im Bereich ihnen positiv evaluiert. Im Berichtszeitraum wurden Martina Schwarz wird neue Leiterin des Praktischen Spital- und Klinikseelsorge weiter aus. Um gezielt für zwei Doktorandinnen des IER ins Doktoratsprogramm Semesters (PS), Carsten Heyden neuer Verantwort- die komplexen Aufgaben der Seelsorge im interdis- aufgenommen sowie mehrere Bachelor- und Masterar- licher für religionspädagogische Ausbildung im Prak- ziplinären und interreligiösen Setting auszubilden, beiten erfolgreich betreut. tischen Semester und im Lernvikariat (LV). konzipiert die AWS unter der Projektleitung von Dr. Zusammen mit dem Ausbildungskonkordat gab es Claudia Graf neue Kursmodule auf DAS- und MAS- Institut für Christkatholische Theologie im September 2017 zum zweiten Mal die Perspekti- Stufe. Im Januar 2018 wurde Pfr. Lukas Stuck als Stu- Die Universitätsleitung rief 2017 dazu auf, sich als in- ventage für Theologiestudierende, an denen über 45 dienleiter für die Weiterbildung in Altersseelsorge in ternationale Universität zu profilieren. Das «Institut für Studierende teilgenommen haben. Am Praktischen Se- Heimen und Gemeinden gewählt. Erneut hat sich im Christkatholische Theologie» (ICKath) ist seit je inter- mester 2018 nehmen 8 Studierende teil. Im Herbstse- letzten Jahr gezeigt, dass das flexible modulare Angebot national ausgerichtet. Zehn (Mutter-)Sprachen werden mester beginnt das Lernvikariat mit einer Gruppe von des Weiterbildungsprogramms heutigen Bedürfnissen hier gesprochen, das mehrkonfessionelle Profil spiegelt 17 Studierenden. Im Rahmen des CAS-Studienganges entspricht, da die Nachfrage für Kurse der fünf Studi- den Radius christkatholischer kirchlicher Dialoge und «AusbildungspfarrerIn» schlossen mehrere Teilneh- engänge anhaltend gross ist. In den studiengangüber- Partnerschaften wider. Im HS 2017 nahmen drei neue mer_innen die Weiterbildung 2017 erfolgreich ab. greifenden B-Modulen wurden im letzten Jahr Pfarr- Doktorierende aus Serbien, Indien und Neuseeland, im personen, Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen FS 2018 eine aus der Schweiz ihr Doktoratsstudium auf. Kompetenzzentrum Liturgik (CAS Spiritual Care) und in der religiösen Begleitung Am 16.9.2017 fand in Zusammenarbeit mit Bischof Am 25.8.2017 fand zum zweiten Mal der vom Kom- Tätige, u.a. mit islamischem und hinduistischem Hin- und Synodalrat ein «Schnuppernachmitttag für am petenzzentrum Liturgik (KLi) initiierte Schweizer tergrund (CAS Religious Care in Migration Contexts), Studium Interessierte» statt, im Anschluss daran prä- Kirchenbautag statt. Gut 150 Entscheidungsträger_in- gemeinsam ausgebildet. Folgende Personen haben bei sentierte sich das ICKath in der «Nacht der Forschung» nen aus Kirche, Denkmalpflege und Öffentlichkeit der AWS die Studienleitung inne: Pfrn. Christina So- der Universität mit Kurzvorträgen zum Thema «Der re- nahmen daran teil. In Referaten, Podiums- und Publi- land (CPT), Pfr. Frank Stüfen (SSMV), Pfrn. Dr. Karin ligiöse Soundtrack des Lebens». Am 23.3.2018 lud das kumsdiskussionen wurden anhand konkreter Beispiele Tschanz (SYSA), Pfr. Hansueli Minder (AKHS), Pfrn. ICKath zu einem «Tag der Offenen Tür» ein. Probleme und Perspektiven im Umgang mit Kirchen- Saara Folini und Pfr. Dr. Jacques-Antoine von Allmen Im HS 2017 nahm Prof. Douglas Pratt die Vertretung umnutzungen debattiert. Im Hinblick auf die Tagung (LOS). Die Geschäftsleitungsstelle von Dr. Claudia. Koh- der vakanten Professur in Systematischer Theologie hatten PD Dr. Johannes Stückelberger und Ann-Kathrin li Reichenbach wurde per 1.8.2018 auf 50% aufgestockt wahr; seine Veranstaltung über religiösen Extremismus Seyffer eine Datenbank Kirchenumnutzungen (mit 200 und in eine Dozentur umgewandelt. war Teil des internationalen Vorlesungsprogramms; bei Einträgen) erstellt, die online zugänglich ist und fort-

konstruktiv Beilage zum bref Magazin 23 Buchpublikationen 2017 / 2018

• Angela Berlis, Anne-Marie Korte und • Katharina Heyden und Henrike • Douglas Pratt und Angela Berlis (Hg.), Kune Biezeveld † (Hg.), Everyday Life Manuwald (Hg.), Übertragungen Belief Diversity and Lived Experience and the Sacred: Re/configuring Gender heiliger Texte in Judentum, Christentum of Religion (Special Themed Issue/Bern Studies in Religion, Leiden/Boston 2017. und Islam. Fallstudien zu Formen Interreligious and Oecumenical Studies, und Grenzen der Transposition. 4), Studies in Interreligious Dialogue • Luca Di Blasi, Dezentrierungen. Beiträge Hermeneutische Untersuchungen zur 27/2, Leuven 2017. zur Religion der Philosophie im 20. Theologie, Tübingen 2018. Jahrhundert, Berlin/Wien 2018. • Jan Rüggemeier, Die Poetik der • Martin Hirzel und Frank Mathwig (Hg. markinischen Christologie. Eine • Dozentur für Diakoniewissenschaft der deutschsprachigen Ausgabe): Amy kognitiv-narratologische Exegese (Hg.). 2018. Jahrbuch Diakonie Schweiz Nelson Burnett/Emidio Campi (Hg.), (WUNT II/458), Tübingen 2017. 2. URL: http://bop.unibe.ch/JDS. Die schweizerische Reformation. Ein Handbuch, Zürich 2017. • Martin Sallmann und Matthias • Magdalene L. Frettlöh (Hg.), «Gottes Zeindler (Hg.), Dokumente der Berner kräftiger Anspruch». Die Barmer • Simon Hofstetter und Esther Gaillard Reformation: Disputationsthesen, Theologische Erklärung als reformierter (Hg.), Heim- und Verdingkinder. Die Reformationsmandat und Synodus, Schlüsseltext (reformiert! 3), Zürich Rolle der reformierten Kirchen im 19. im Auftrag des Synodalrates der 2017. und 20. Jahrhundert, Zürich 2017. Reformierten Kirchen Bern-Jura- Solothurn, Zürich 2013, 2. Auflage 2017. • Magdalene L. Frettlöh und Matthias • Michael R. Jost und Jörg Frey (Hg.), Käser-Braun (Hg.), Zitat und Gottesdienst und Engel im antiken • Silvia Schroer und Stefan Münger (Hg.), Zeugenschaft. Eine Spurensuche im Judentum und frühen Christentum Khirbet Qeiyafa in the Shephelah. Werk von Elazar Benyoëtz (Erev-Rav- (WUNT II/446), Tübingen 2017. Papers presented at a Colloquium of the Hefte: Israelitisch denken lernen 8), Swiss Society for Ancient Near Eastern Uelzen 2017. • Matthias Käser-Braun, Judas Ischarioth: Studies held at the University of Bern, «Überlieferer» des Evangeliums. September 6, 2014 (Orbis Biblicus et • Thomas Gartmann und Andreas Marti Karl Barths erwählungstheologische Orientalis 282), Fribourg/Göttingen 2017. (Hg.), Der Kunst ausgesetzt. Beiträge Interpretation der biblischen des 5. Internationalen Kongresses für Judasgestalt (reformiert! 5), Zürich 2018. • Christoph Sigrist, Gerry Hofstetter Kirchenmusik, 21.–25. Oktober 2015 in und Alexandra Steinegger (Hg.), Bern (Publikationen der Schweizerischen • Ralph Kunz und Matthias Zeindler (Hg.), Schattenwurf Zwingli. 500 Jahre Musikforschenden Gesellschaft. Serie Alle sind gefragt. Das Priestertum aller Reformation in der Schweiz, Zürich II / Publications de la Société Suisse de Gläubigen heute (denkMal 9), Zürich 2017. Musicologie. Série II), Bern et al., 2017. 2018. • Christoph Sigrist, Anna Reinhart und • Christina Harker, The Colonizers’ • Christoph Morgenthaler, David Plüss Ulrich Zwingli. Von der Tochter eines Idols. Paul, Galatia, and Empire in New und Matthias Zeindler, Assistierter Gastwirts zur Frau des Reformators. Testament Studies (WUNT II/460), Suizid und kirchliches Handeln. Roman-Biografie, Freiburg i. Br. 2017. Tübingen 2018. Fallbeispiele – Kommentare – Reflexionen, Zürich 2017. • Jürgen van Oorschot und Andreas • Michaela C. Hastetter und Stefanos Wagner (Hg.), Anthropologie(n) des Athanasiou (Hg.), «Ut Unum sint». • Katrin Müller, Lobe den Herrn, Alten Testaments. (Veröffentlichungen Zur Theologie der Einheit bei Joseph meine «Seele». Eine kognitiv- der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Ratzinger/Papst Benedikt XVI., linguistische Studie zur næfæš des Theologie 42), Leipzig, 2. Auflage 2018. Regensburg 2018. Menschen im Alten Testament (BWANT 215), Stuttgart 2018. • Matthias Zeindler und David Plüss (Hg.), • Jan Hermelink und David Plüss (Hg.), «In deiner Hand meine Zeiten …». Das Predigende Bilder. Was die Homiletik • Douglas Pratt, Religious Extremism. Kirchenjahr – reformierte Perspektiven, von Kunstwerken lernen kann, Leipzig Rejecting Diversity, London 2017. ökumenische Akzente (reformiert! 4), 2017. Zürich 2018.