Der Führer, Mein Onkel
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SERIE – TEIL 10 ❚ HITLERS FRÜHE JAHRE DER FÜHRER, MEIN ONKEL Etliche Verwandte Hitlers wurden nach Kriegsende in die Sowjetunion verschleppt. Nur einer aus der Sippe überlebte und kehrte nach Österreich zurück. / VON WALTER MAYR er Mann, der den Führer „Onkel“ halber den Frosch betäubt, getötet, aufge- mahnende Tafel zeigt Bilder aus jener Zeit nannte, legt wenig Wert auf Fra- schnitten und zerteilt: „Meinem Vater ist nach dem Einmarsch 1938, als die „Stamm- Dgen Fremder. Er spricht nicht gern, das Gruseln gekommen. Onkel Adolf hat häuser“ des Führers mit Girlanden und schon gar nicht von früher. Er lebt sein dann allen die inneren Organe erklärt.“ Hakenkreuzen aufgeputzt wurden zu Wall- Rentnerleben, heimlich, still, leise – in Beim Wirt im Dorf Spital, wo früher Hit- fahrtsstätten der Bewegung. einem lindgrün gestrichenen Haus mit lers Vorfahr Johann Nepomuk Hüttler Bier Johann Schmidt, der Sohn eines Bauern Garten im Waldviertel, einem herben und Wein ausgeschenkt hat, ist heute Jo- aus Mistelbach mit damals 20 Hektar Land, Landstrich am Nordrand Niederöster- hann Schmidt stiller Zeitgenosse rotbacki- ist einer der letzten Lebenden, für die der reichs. ger Stammtischler. Er sitzt auf seiner Holz- Jahrhundertverbrecher Hitler noch eine Es ist das Gesicht, das Johann Schmidt bank, trinkt rubinfarbenen Zweigelt, sagt quasi natürliche Bezugsgröße ist: nicht ka- verrät: die unter leicht fliehender Stirn dazu scherzend: „Die Roten muss man ver- nonisiertes Holocaust-Monstrum, vielmehr mächtig vorspringende Nase, eingerahmt nichten“, und ist sich selbst genug. Keiner der streng gescheitelte Herr mit gestutz- von zwei steilen Falten über der Wurzel, fragt ihn hier nach seinem braunen Ver- tem Oberlippenbart aus dem Familienal- flankiert von eng stehenden und dunkel- wandten, dem toten Führer. Waldviertler bum. Schmidt erst gibt einem Phantom braunen Augen – Hitlers Züge. sind wortkarge Menschen. Kontur – der Hitler-Sippe. BAYERISCHE STAATSBILBLIOTHEK BAYERISCHE FOTOS: ANZENBERGER / AGENTUR M. APPELT Hitler, Ehrenbürger-Urkunde, Hitler-Neffe Schmidt: Spuren wurden getilgt Schmidts Vater Johann und der „Führer“ Lang gezogene Bauerndörfer winden Die Nachkommen von Adolfs Halb- waren Vettern, die Oma und Adolfs Mutter sich an der Grenze zu Böhmen durchs Hü- schwester Angela, verheiratete Raubal, sol- Klara, geborene Pölzl, Schwestern (siehe gelland. Die Häuser stehen geduckt, als len bis heute in Linz und Wels leben, im Grafik). Als Hitlers Neffe zweiten Grades seien sie nach und nach in die Knie ge- Dauerzustand höchster Abschottung. In ih- sagt Schmidt, geboren 1925, wenn er vom to- gangen vor der rauen Natur. Zwischen den rer Nachbarschaft, im Linzer Vorort Leon- ten Führer spricht, bis heute: „der Onkel“. Dörfern verstreut, bezeugen Marterl und ding, liegt das Grab der Hitler-Eltern, in Flott zu Fuß und gut im Bild ist er, der Feldkreuze Volksfrömmigkeit. dem der „k. k. Zollamtsoberoffizial i.P. und alte Mann, aber eher einsilbig, wenn es um In einer der zahllosen Senken schlum- Hausbesitzer“ Alois Hitler nebst Ehefrau alte Geschichten geht. Jene etwa vom Lin- mert Spital, wo, Haus an Haus entlang der zur letzten Ruhe kam. Hitlers 1979 ver- zer Realschüler Hitler, wie der, auf Besuch Hauptstraße, Adolf Hitlers Vater Alois und storbener Lieblingsneffe Leo Raubal hat bei seinen Waldviertler Vettern, mit einem Adolfs Mutter Klara gewohnt haben, lange beim Leondinger Altpfarrer Josef Holz- Laubfrosch in der Hand sachgerechtes bevor sie ein Paar wurden. Hier, im tiefsten mann die Grabgebühren im Voraus bezahlt. Massakrieren predigt: „Schaut’s her, wenn Waldviertel, nicht etwa im Geburtsort Die Nachkommen von Hitlers Halbbru- ich hier den Nerv treffe, dann ist er tot.“ Braunau am Inn, ist Hitlers Wurzelboden. der Alois leben nahe New York auf Long Anschließend, sagt Johann Schmidt, Kein Hinweisschild verweist in Spital auf Island unter falschem Namen. Adolf Hitlers habe Hitler der schlüssigen Beweisführung die ehemaligen Höfe der Eltern, keine Schwester Paula ist 1960 kinderlos und 142 der spiegel 28/2001 kaum beachtet in Berchtesgaden verstor- Als Johann 13 ist, „marschiert“ Onkel schaft – sowohl Tante Johanna als auch der ben, nahe der „Alpenfestung“ ihres Bru- Adolf in Österreich ein. Johanns Vater, seit Cousin Eduard Schmidt gehen gekrümmt ders, dem Obersalzberg. Ihr Grab liegt in 1932 Mitglied der zwischenzeitlich verbo- – erbittet vergeblich ein Treffen auf der Schönau beim Königssee, dem Watzmann tenen NSDAP, wird Bürgermeister und Münchner Landwirtschaftsausstellung 1937 zu Füßen. Ortsbauernführer von Mistelbach; Johann und in Nürnberg 1938. In einem Brief vom 23. Dezember 1955, selbst und der Rest der Waldviertler Sippe Nur Paula Hitler knüpft noch Fäden zwi- unterzeichnet mit dem aus Adolfs früher werden vorübergehend berühmt. schen Reichskanzlei und Ahnengau. Sie Kampfzeit übernommenen Codenamen Im „Ahnengau des Führers“ pflanzen Ak- besucht die Verwandten, bringt Geschen- Wolf, klagt Paula Wolf, die Nachkriegszeit tivisten Adolf-Hitler-Eichen. Die Gemeinde ke, gibt Geld, selbst Goldkronen werden habe in ihrer „Familie weit größere Lücken Groß-Poppen verleiht als erste Österreichs bezahlt – alles im Auftrag des Bruders. Für gerissen, als es vorauszusehen war“. Und Hitler die Ehrenbürgerwürde. Nur Hitler den Vetter Eduard fällt ein eigenes Haus ab sie sorgt sich in der Folge um jenen Ver- selbst ist wenig begeistert vom allgemeinen und für Johann Schmidt junior, immerhin, wandten, dem sie, als er noch ein Wald- Interesse für seine Wurzeln. Er lässt im No- eine HJ-Uniform. viertler Bub war und weit und breit kein vember 1938 verlautbaren, er wünsche kei- Gleichzeitig werden Spuren getilgt in der Krieg in Sicht, schon Gummipanzer ge- ne „Gedenktafeln, die zur Erinnerung an Heimat des Führers. In Döllersheim ver- schenkt hat – um Johann Schmidt. Vorfahren des Führers oder an Aufenthalte schwinden das frisch angelegte Ehrengrab Als Johann 1925 geboren wird, hat „der des Führers selbst dienen sollen“. der Hitler-Großmutter Maria Anna, gebo- Onkel“, aus Landsberger Festungshaft ent- Hitler habe, behauptet sein Biograf Wer- rene Schicklgruber, ebenso der ihrem Sohn lassen, in „Mein Kampf“ bereits sein Ma- ner Maser, schon auf Fronturlaub in Spi- gewidmete Alois-Hitler-Platz und die nifest verfasst. Als Johann die zweite Klas- tal 1918 erhellende Gespräche mit den Spruchbänder „Wir danken dem Retter“. se besucht, wird der Onkel Reichskanzler Schmidts über die eigene, hochgradig inzes- Schließlich werden ganz Döllersheim und in Deutschland. Schmidt senior kauft einen tuös belastete Sippe geführt. Dabei habe er neun weitere Dörfer einem gigantischen Volksempfänger, der in die Küche, wo die erfahren, dass Johann Nepomuk Hüttler, Wehrmachtsprojekt geopfert – dem mit Führerporträts hängen, die donnernde der Bruder des offiziellen Großvaters Jo- 162,5 Quadratkilometer größten Truppen- Stimme aus dem Reich trägt. Wann immer hann Georg Hiedler, mit an Sicherheit gren- übungsplatz Westeuropas. es so weit ist, sagt der Vater ernst: „Der zender Wahrscheinlichkeit sein Opa väter- Einsam im Kanonendonner des öster- Adolf redt.“ licherseits, aber gleichzeitig auch der Opa reichischen Bundesheers, das den Platz von Adolfs Mutter Klara Pölzl sei. Die heute nutzt, steht noch die Ruine der alten wäre demzufolge sowohl Ehefrau als auch Döllersheimer Kirche St. Peter. Dahinter Adolf Hitlers Ahnentafel Nichte von Adolf Hitlers Vater gewesen. liegt das Grab von Pfarrer Zahnschirm, der Johann Martin Die Verbindung von Hitlers Eltern ist erst 1876 durch die von ihm beurkundete Le- Schicklgruber Hiedler durch den Vatikan vom Verdacht der galisierung des unehelichen Hitler-Vaters 1764–1847 1762–1825 Blutschande freigesprochen worden. Alois bewirkt, dass Millionen Deutsche Theresia Anna Maria Johann Schmidt und der Rest der Jahrzehnte später statt mit dem Ruf „Heil Pfeisinger Göschl Waldviertler Sippe werden ab Ende Schicklgruber“ mit „Heil Hitler“ die Welt 1769–1821 1760–1854 1938 in kollektivem, großdeutschem in Schutt legen. Schweigen begraben. Dem kurzen Sommer der Euphorie im Johann Georg Johann Nepomuk Der Führer befürch- Ahnengau des Führers folgen knapp sechs Hiedler Hüttler tet Enthüllungen. Jahre Krieg. Manche Waldviertler wandeln 1792–1857 1807–1888 Seine im Wort- sich mehrfach. So wie sie in der Nacht nach Maria Anna Eva Maria sinn bucklige dem Anschluss 1938 das Kruzifix gegen das Schicklgruber Decker Verwandt- Hakenkreuz eingetauscht haben, so neh- 1795–1847 1792–1873 men sie am 8. Mai 1945 wieder die Haken- VERGANGENHEIT DER GEGENWART DIE Einer außerehelichen Verbindung zwischen Johann kreuzfahnen ab und stellen stattdessen Nepomuk Hüttler (Adolf Hitlers Großvater väterlicherseits, zugleich Urgroßvater mütterlicherseits) und dessen Johanna Walburga Brot und Salz bereit für die aus Osten an- Hüttler Hüttler späterer Schwägerin Maria Anna Alois rückenden Russen. Schicklgruber entstammt 1830–1906 1832–1900 Erst Ende 1955 trifft Johann Schmidt Hitlers Vater, Schicklgruber Alois Schickl- Erste Ehefrau 1837–1903 Johann wieder zu Hause in Mistelbach ein. Auf (ab 1876: Alois Hitler) Josef gruber. Dieser Anna Pölzl Rommeder dem Kriegerdenkmal seines Heimatdorfs, heiratet in dritter Glassl-Hoerer 1828–1902 nahe beim alten Pranger, sieht er den ei- Ehe seine Nichte 1823–1888 Zweite Ehefrau Klara Pölzl (Adolf Franziska genen Namen eingemeißelt – „vermisst“. Hitlers Mutter ist Matzelsberger Mutter und Bruder Adolf stehen an seiner zugleich seine 1861–1884 Cousine) Dritte Ehefrau Seite. Der Schulchor singt zu Ehren des Klara Johanna Theresia Totgeglaubten. Mehr