Elicura Chihuailaf – Ein Mapuche-Dichter
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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Bäume mit blauen Wurzeln Begegnungen mit Elicura Chihuailaf Von Karl-Ludolf Hübener Produktion: DLF 2012 Redaktion: Ulrike Bajohr Sendung: Freitag, 16.06.2017, 20.10-21.00 Uhr Regie: Fabian von Freier Sprecher: Volker Niederfahrenhorst, Jochen Langner, Susanne Flury, Florian Seigerschmidt, Hans Bayer, Hartmut Stanke, Claudia Holfzapfel, Frank Voß , Walter Gontermann Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - 1 MUSIK O-TON: (Take 1/Elicura liest/Mapu + Span) ZITAT: Initiation Mein Traum hat sich verwandelt In Energie, die lebt Und die Tür zu meiner Seele öffnet ihr Gesang formt diese Worte Gesang, vom Blau getragen. ERZ: Ein Gedicht, verfasst und gelesen von Elicura Chihuailaf. In Mapudungun, der Sprache der Ureinwohner Chiles. O-TON: (Elicura) ÜBERS: “Ohne mir dessen bewusst zu sein, hat mich die Poesie erfaßt, denn ich bin in einer poetischen Umgebung aufgewachsen.“ O-TON: (Badilla) ÜBERS: “Die Poesie der Mapuche stützt sich auf Werte, die sehr eng mit ihrer eigenen Kultur verbunden sind, deshalb schreiben die meisten auch auf Mapudungun.“ ATMO: ERZ: Eine Demonstration von Mapuche-Indianern, eingekesselt von schwer bewaffneten Polizisten. Ein Protest unter vielen. Er richtet sich gegen Zellulosefabriken und Baumplantagen, tritt ein für die Rückgabe ihrer Ländereien. Für die Freilassung gefangener Mapuche. 2 O-TON: (Gabriel Salazar) ÜBERS: „Es handelt sich dabei nicht nur um politische Gefangene, sondern im Grunde unterliegt dem Ganzen ein latenter Rassismus. Die Rechte dieser uralten Ethnie auf ihr Land nicht anzuerkennen, ist eine Form von Rassismus.“ ZITAT: (Chihuailaf) „Wir stehen einem System gegenüber, das die gesamte Menschheit in die Selbstzerstörung treibt. Es führt zur Zerstörung des Lebens, der Tiere und der Pflanzen.“ ATMO: ZITAT: (Chihuailaf) Die Steine haben eine Seele sagt unser Volk deshalb darf man nicht vergessen mit ihnen zu sprechen Es gibt positive Steine die die Machi-Schamanen auf ihre Kultrung-Trommel legen damit sie tanzen und es gibt negative Steine Die glänzen wie Glas Und spenden bloß Schatten vom Licht MUSIK: ANSAGE: Bäume mit blauen Wurzeln Begegnungen mit Elicura Chihuailaf Feature von Karl-Ludolf Hübener 3 ATMO ERZ: Markt in Temuco, der Hauptstadt der IX.Region Chiles, auch Araukarien genannt. Im Hintergrund Türme aus Glas und Beton, Banken und Wohnblocks. Auf dem Markt bunte Kontraste. Vor Bündeln und Säcken voller Gemüse, Früchte und Gewürze hocken Mapuche-Frauen. Zweirädrige Pferdekarren ziehen vorbei, streben stadtauswärts. In der Nähe fährt der Bus nach Cunco ab. Die vorübergleitende Landschaft: sanfte Hügel, überragt vom schneebedeckten Vulkan „Llaima“. Die Fahrt führt an umzäunten Wiesen vorbei, an rechteckig begrenzten Getreidefeldern, durch Baumhaine oder Brombeerhecken getrennt. Kulturlandschaft, geprägt von den Einwanderern aus Europa. In Dörfern und Kleinstädten ein- und zweistöckige Häuser, umrankt von Lupinen, Rosen oder Geranien. Kirsch- und Apfelbäume wachsen auf kurz geschorenen Rasen. Hin und wieder wird der Blick in die Weite von eintönigen Mauern versperrt: Von Pinien- oder Eukalyptusplantagen. Überquert wird ein breiter Bach, schmutzig trüb das Wasser. ATMO: ERZ: Wenige Kilometer hinter Cunco biegt ein breiter Waldweg ab. Zu beiden Seiten wildes Gestrüpp. Gemäßigter Regenwald, voller unterschiedlicher Grüntöne. Dazwischen rötlich leuchtende Fuchsien. O-TON: (Elicura) 4 ÜBERS: “Hier gibt es noch Wälder, die nicht durch die Brille des Profits betrachtet werden, sondern mit einem Blick voll zärtlicher Umarmungen. Sie wurden von unseren Vorfahren und von unseren nächsten Verwandten, von unseren Eltern, gehegt. Hier werden noch immer einheimische Bäume angepflanzt.“ ERZ: Elicura Chihuailaf. Er trägt Jeans, dazu ein dunkelbraunes T- Shirt. Kräftiger Bart. ATMO: ERZ: Zwei Hunde balgen sich im wuchernden Gras. Holzscheite sind aufgeschichtet. Bretter liegen herum. Zwei Rosenstauden wirken wie verloren. Im rechten Winkel zueinander stehen zwei hölzerne Bauten. Ein Haus ist neu, großräumig, mit ausladender Terrasse. Das andere eher eine große Hütte – mit braunrotem Zinkdach und leuchtend blauen Wänden aus Holz. Hier, im blauen Haus, ist der 59-jährige Poet aufgewachsen. ZITAT: (Chihuailaf) Das blaue Haus, in dem ich geboren wurde, liegt auf einem Hügel umgeben von hualle-Eichen, einem Weidenbaum, von Nussbäumen, Kastanienbäumen von einer frühlingshaften Duftakazie mitten im Winter - von einer Sonne süß wie Ulmenhonig – Von Fuchsien, umschwirrt von Kolibris von denen wir nicht wussten, ob sie wirklich oder nur eingebildet waren. So flüchtig! 5 ERZ: Elicura Chihuailaf blättert in einem schmalen Gedichtband. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, mit einem Anflug von Melancholie. Dann blickt er auf und beobachtet, wie sich die Dämmerung über die Landschaft legt. Das Herdfeuer hellt das schmale Gesicht auf. In einer Ecke auf einem Sofa sitzt seine Mutter. Die 94-jährige summt – kaum hörbar. ZITAT: (Chihuailaf) An den Abenden hörten wir Gesänge Erzählungen und Wahrsagungen Um das Feuer herum sitzend, Den Duft des Brotes atmend Gebacken von meiner Großmutter Von meiner Mutter oder von Tante Maria Während mein Vater und mein Großvater –…- Aufmerksam und voller Respekt beobachteten. Ich erzähle von den Erinnerungen an meine Kindheit, nicht von einer idyllischen Gesellschaft. Dort, so scheint mir, erfuhr ich, Was Poesie ist. Die Erhabenheit des täglichen Lebens, aber vor allem einzelne Dinge das Leuchten des Feuers, der Augen, der Hände. ATMO: ERZ: Elicura Chihuailaf Nahuelpan – schon der Name verspricht Poesie: Elicura - der durchsichtige Stein. Chihuailaf - Nebel, der sich über den See ausbreitet. Nahuelpan – der Puma. 6 Elicura wächst in der Gemeinschaft „Quechurewe“ auf. Man verständigt sich in Mapudungun. Damit er auch die spanische Sprache erlernt, ziehen seine Eltern vom Land in die Kleinstadt Cunco. Er besucht dort die Grundschule. Es ist sein erster Kontakt mit dem geschriebenen Wort. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Bücher etwas für wincas, wie Mapuche die Nicht- Mapuche nennen. O-TON: (Elicura) ÜBERS: “Die Bücher, die ich in die Hand bekam, erzählten doch nichts über die Mapuche-Welt, nichts darüber, wie sich unser Leben gestaltet. Sie erzählten nichts über die Rituale, die wir erleben. Nichts davon wie meine Leute hinter der Hütte, im Garten oder im Haus beten. Doch da war gleichzeitig etwas, was mich sehr angesprochen hat. Mir wurden Welten eröffnet, die ich nicht kannte. Mich hat immer schon die Erzählkunst angezogen. Ich habe viele Erzählungen verschlungen und dabei die chilenische Erzählkunst kennengelernt und später noch andere universellere Ausdrucksformen.“ ERZ: Nach der Grundschule in Cunco zieht er nach Temuco um. Dort schließt er den Unterricht am Lyzeum „Pablo Neruda“ mit der Hochschulreife ab. An der Universität in Concepción studiert und spezialisiert er sich auf Geburtshilfe in der Medizinischen Fakultät. Doch den Beruf wird er niemals ausüben. Zu sehr hat ihn bereits die Literatur gepackt. Während der Schulzeit hatte er sich an kleinen Erzählungen versucht. Inzwischen hat er zahlreiche Bücher veröffentlicht – zumeist zweisprachig: in Mapudungun und Spanisch: „Der Winter und sein Bild“, „Im Land der Erinnerung“, „An Ufer eines 7 blauen Traums“. Sie sind in mehrere Sprachen übersetzt. Der Gedichtband „Von blauen Träumen und Gegenträumen“ hat bereits die sechste Auflage erreicht. Der vielfach preisgekrönte Dichter und Erzähler hat essayistische und poetische Beiträge in in- und ausländischen Kulturzeitschriften veröffentlicht. Einige Verse sind von der bekannten Musikgruppe „Illapú“, aber auch von dem Komponisten Eduardo Cáceres vertont worden. MUSIK: ZITAT: (Chihuailaf) Von der Schöpfung erzählten sie Von der Wiederkehr Von der Welt der Mapuche, von schützenden Mächten, von Vulkanen, Blumen und Vögeln, ERZ: Elicura Chihuailaf ist nicht der einzige indigene Poet Chiles, doch sicherlich einer der bedeutendsten. Er ist Generalsekretär der Gruppe indigener Schriftsteller Chiles. Längst setzen sich Literaturexperten mit der indigenen Poesie auseinander. Die poetische Tradition Chiles, die beispielsweise mit Namen wie Pablo Neruda verbunden ist, habe wohl auch ein wenig auf die Kultur der Mapuche abgefärbt, meint der Literaturkritiker Sergio Badilla 8 O-TON: (Badilla) ÜBERS: “Wir können in der Poesie der Mapuche auch ein Echo auf so große Schriftsteller wie Neruda wiederfinden. Neruda ist ja bekanntlich mit dem Süden Chiles, mit der Umwelt, dem Ökosystem des Südens verbunden.“ ERZ: Der verstorbene, weithin angesehene Autor und Essayist Volodio Teitelboim warnte allerdings davor, die Poesie der Mapuche als Ergebnis des spanischsprachigen Einflusses zu betrachten: ZITAT: (Teitelboim) „Wir sollten uns davor hüten zu behaupten, dass die Dichtkunst mit der spanischen Sprache nach Chile kam, denn Wort und Melodie existierten bereits vorher.“ O-TON: (Elicura) ÜBERS: „In unserer Poesie kommt vieles zusammen: Unsere Versammlungen und Gesänge basieren auf poetischen Worten. Die Heilungsgesänge der machi sind wie Gedichte. Mapuche, die in den Gemeinschaften geboren sind und dort wohnen bleiben, leben in einer Umgebung voller Poesie.“ ERZ: Elicura Chihuailaf bringt seine Zeilen zunächst in Mapudungun, der Sprache der Erde, zu Papier. Er nennt seine