Parasiten Und Sirenen
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Bernhard J. Dotzler, Henning Schmidgen (Hg.) Parasiten und Sirenen Literalität und Liminalität hrsg. v. Achim Geisenhanslüke und Georg Mein | Band 6 2008-09-02 10-50-16 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 027f188247580624|(S. 1 ) T00_01 schmutztitel - 870.p 188247580632 Bernhard J. Dotzler (Dr. phil.) ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Regensburg. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet der Medialitätsforschung unter besonderer Berücksichti- gung der Geschichte digitaler Medien und der Schnittstellen zwi- schen Medien- und Wissenschaftsgeschichte. Henning Schmidgen (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin. Schwer- punkte seiner Tätigkeit sind die Geschichte experimenteller Lebens- wissenschaften, das Verhältnis von Zeit und Wissen sowie die Ent- wicklung Virtueller Laboratorien. 2008-09-02 10-50-17 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 027f188247580624|(S. 2 ) T00_02 seite 2 - 870.p 188247580648 Bernhard J. Dotzler, Henning Schmidgen (Hg.) Parasiten und Sirenen. Zwischenräume als Orte der materiellen Wissensproduktion 2008-09-02 10-50-17 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 027f188247580624|(S. 3 ) T00_03 titel - 870.p 188247580656 Die Übersetzungen im vorliegenden Band wurden im Rahmen des Programms »Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften« durch die Volkswagenstiftung, Hannover, gefördert. (Projekt: »Die Experimentalisierung des Lebens«, MPIWG) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 transcript Verlag, Bielefeld This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Resonator aus Glas, entnommen aus: Hermann von Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. 3. Aufl., Braunschweig: Vieweg, 1870. S. 73, Abb. 16a Satz: Christine Fraunhofer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-870-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] 2008-09-02 10-50-17 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 027f188247580624|(S. 4 ) T00_04 impressum - 870.p 188247580664 INHALT Einleitung Zu einer Epistemologie der Zwischenräume BERNHARD J. DOTZLER &HENNING SCHMIDGEN 7 Parasitäre Verhältnisse Wirt oder Gast? Interaktionen zwischen Literaturkritik, experimenteller Psychologie und Medizin, 1890-1910 MARIE GUTHMÜLLER 21 Der Löwe kommt Nervöse Topologien bei Angelo Mosso PHILIPP FELSCH 49 Frauen am Rande der Datenverarbeitung Zur Produktionsform einer Weltgeschichte der Technik MARKUS KRAJEWSKI 63 Bioskopien Die Geschwindigkeit des Empfindens Philosophie im Zeitalter der Bewegungstechnologien JIMENA CANALES 83 Leerstellen des Denkens Die Entdeckung der physiologischen Zeit HENNING SCHMIDGEN 107 Eine Philosophie der Zwischenräume Whitehead und die Frage nach dem Leben DIDIER DEBAISE 125 Sirenen Die Sirene und das Klavier Vom Mythos der Sphärenharmonie zur experimentellen Sinnesphysiologie CAROLINE WELSH 143 Stumme Gesänge Zur Geschichte einer Sirene im Berliner Medizinhistorischen Museum THOMAS SCHNALKE 179 Sirenen Lösungen des Klangs vom Körper PHILIPP VON HILGERS 195 Anhang Dokumentation der ZwischenRäume 1-10 221 EINLEITUNG ZU EINER E PISTEMOLOGIE DER ZWISCHENRÄUME BERNHARD J. DOTZLER &HENNING SCHMIDGEN Zwischenräume sind jene Schnittstellen, Intervalle und Abstände, in de- nen sich elementare Prozesse der Wissensproduktion ansiedeln. Sie sind vor allem dort zu finden, wo die Produktion von Wissen an spezifische materielle Kulturen gebunden ist: in der Begegnung von Schreibgeräten, Papieren, Skizzen, Diagrammen, Tabellen, Registern und Formularen, von technischen Medien, wissenschaftlichen Instrumenten und experi- mentellen Verfahren. Sie lassen sich aber auch an den diskursiven For- mationen und mythologischen Figuren festmachen, die den Austausch zwischen den Disziplinen, zwischen der Wissenschaft und der Öffent- lichkeit sowie zwischen Wissenschaftsgegenwart und Wissenschaftsver- gangenheit tragen und beschweren. Eine Epistemologie, die sich auf sol- che Zwischenräume als ihr zentrales Thema einläßt, widerspricht dem gewohnten Bild geordneter, theoriegeleiteter Wissenschaftlichkeit. An seine Stelle läßt sie die Einsicht in die fundamentale Rolle des Aufeinan- dertreffens, der Verbindung und Trennung als epistemisch relevanter Er- eignisse treten. In der Topologie, die so entsteht, begegnet der Hirnforscher dem Schriftsteller, der Ingenieur dem Archivar, der Musiker dem Soldaten. Anatomische Präparate verknüpfen sich mit Zettelkästen, wilde Tiere treffen auf wissenschaftliche Instrumente, ein Klavier dringt in das Inne- re des menschlichen Körpers ein. Mit Blick auf solche Vorfälle in den materiellen Kulturen der Medien- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zeichnet dieser Band ein Bild des Wissens, das die Zufälle, die Kontingenzen und Arbitraritäten stärker hervorhebt als das Geplante und Erwartete. Es sind die Leerstellen, die Lücken in der medi- alen Praxis der Wissenschaft, die wesentlich zur Entstehung des Neuen beitragen. Und es ist das Neue selbst, das eine Kluft zwischen den Rät- seln des Vorausgegangenen und des Künftigen markiert. Dieses Bild des Wissens versteht sich zunächst vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen in der historischen und soziologischen Wissen- schaftsforschung. Sie lassen sich allgemein durch eine Abkehr von den übergreifenden Orientierungen charakterisieren, die man als ›Positivis- 7 BERNHARD J. DOTZLER/HENNING SCHMIDGEN mus‹ und ›Anti-Positivismus‹ bezeichnet hat: exemplifiziert durch Ru- dolf Carnaps Aufbau der logischen Welt (1928) einerseits und Thomas Kuhns Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) andererseits. Obwohl Carnap und Kuhn in grundsätzlichen Punkten divergieren – dem einen ist Wissenschaft vor allem ein auf Beobachtungen und Protokollen basierendes Unternehmen, das in generalisierenden Theorien resultiert; für den anderen stellt sie eine auf begrifflichen Schemata und Theorien (›Paradigmen‹) basierende Tätigkeit dar, die zu Tatsachen führt, welche den Schemata und Theorien entsprechen –, gehen beide davon aus, dass Wissenschaft als ein einheitliches und in diesem Sinne auch universales Unternehmen aufzufassen sei. Sowohl nach Carnap wie nach Kuhn er- scheint das Bestehen und die Entwicklung von Wissenschaft als einge- bettet in grands récits: sei es die große Erzählung der Einzelbeobachtun- gen und der von ihnen abhängigen Theorien, sei es das Makronarrativ der Paradigmen, die miteinander brechen und aufeinander folgen.1 Demgegenüber hat der ›Post-Positivismus‹ der neueren Wissen- schaftsforschung ein deutlich weniger abstraktes Bild der Wissenschaft gezeichnet. Dieses Bild ist zuerst ein Bild der Vielheit, der Uneinheit- lichkeit, der Heterogenität. Es ähnelt nicht länger einem Gemälde von Mondrian, in dem geordnete Wege von der Beobachtung zur Theorie und vice versa verlaufen, sondern einer Assemblage, einer Box von Joseph Cornell, in der vieldeutige, netzwerkartige Verbindungen zwischen un- terschiedlichsten Objekten vorherrschen: neuen und alten, flachen und tiefen, gefundenen und gemachten. In Bezug auf Wissenschaft geht es somit nicht mehr nur um das Sinnlich-Greifbare auf der einen und das Gedanklich-Abstrakte auf der anderen Seite, sondern vor allem um die dazwischen liegenden Räume, in denen sich eine Vielzahl von menschli- chen und nicht-menschlichen Handlungsträgern ansiedeln: Wissenschaft- ler und Techniker einerseits, Instrumente und Modellorganismen ande- rerseits, und schließlich Einschreibevorrichtungen aller Art: Notizen, La- bortagebücher, Präparate, Photographien, Filme, Datenbanken, Simulati- onen ... Sodann versteht sich das hier entworfene Bild des Wissens aus dem Anschluss an längerfristige Entwicklungen, die sich im Bereich der »his- torischen Epistemologie« vollzogen haben. Deren Bedeutung hat Hans- Jörg Rheinberger einmal wie folgt resümiert: »Sollte ich es auf einen Nenner bringen, würde ich sagen: Die historische Epis- temologie, anstatt einerseits auf die wissenden Subjekte und ihre Fähigkeiten zu 1 Siehe dazu Peter Galison: Image and Logic: A Material Culture of Micro- physics, Chicago – London 1997, S. 781–844. 8 EINLEITUNG schauen und andererseits auf die wißbaren Objekte, richtet ihren Blick auf das Dazwischen. Sie betrachtet die historischen – technischen, kulturellen usw. – Bedingungen, unter denen und in denen der Prozeß des Wissenserwerbs vor sich geht. Sie ist also die Untersuchung der Mittel und Medien der Produktion von Wissen.«2 Gerade in diesem Bereich, der sich traditionell mit Namen wie Gaston Bachelard, Georges Canguilhem und Michel Foucault verbindet, aber z.B. auch Ludwik Fleck assoziiert,3 ist auf die Bedeutung von Textstrate- gien, rhetorischen Mitteln und Semiotechniken im Wissenschaftsprozess hingewiesen worden, und schon Foucault hat diesen Zwischenraum par excellence, den Ort von Rede und Schrift, als den des Diskurses und sei- ner Materialität bestimmt. Einer entsprechenden Fokussierung der theo- retischen und historischen Aufmerksamkeit kann bis zu Flecks Apostro- phierung