Vom Wannsee Nach Marzahn - Aus Der Not Eine Tugend Machen
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Albert Krottenthaler SDB P. Albert Krottenthaler, geboren 1956 in der Oberpfalz, trat nach seinem Studium der Religionspädagogik 1985 in den Salesianerorden ein. Dem Theologiestudium folgte 1995 die Priesterweihe. Seit 2009 ist er Leiter des salesianischen Zentrums in Berlin-Marzahn und zugleich als Pfarrer in einer Berliner Gemeinde tätig. Albert Krottenthaler SDB Vom Wannsee nach Marzahn - aus der Not eine Tugend machen Einleitung aufzugeben, zu verkaufen, um dann in einen fast unbekannten Stadtbezirk Der Übergang von Wannsee, dem re- wie Marzahn umzuziehen. Mangelnder nommierten Ortsteil ganz im Westen Nachwuchs, strukturelle Veränderungen Berlins, nach Marzahn, dem Platten- und Geldknappheit bei öffentlichen Zu- baugebiet sozialistischer Prägung ganz schussgebern waren die Hauptgründe, im Osten, ist gemeistert. Als „Neuein- weshalb für das Jugendhilfezentrum in steiger“, der erst Ende August 2009 Wannsee keine Zukunft mehr gesehen zu den salesianischen Mitbrüdern und wurde. Um unserer Intention gerecht Schwestern der hl. Maria Magdalena zu werden, wurde im Leitungsgremium Postel stieß, lausche ich den Berichten unserer Ordensgemeinschaft beschlos- derer, die den Übergang und Neuanfang sen, die Einrichtung in Wannsee aufzu- mit großem Kraftaufwand und viel geben und einen neuen Ort in Berlin zu Vertrauen gestaltet haben, sehr auf- suchen, wo Nöte junger Menschen zu merksam und mit Hochachtung. Mein Hause sind, damit wir unsere Ressour- bisheriges Urteil darüber ist, dass hier cen optimal für benachteiligte Jugend- wie ein Sprichwort sagt, aus der Not liche einsetzen können.“ eine Tugend gemacht wurde. Ich zitiere dazu aus einem Bericht von P. Franz- Start der Projektphase Ulrich Otto, unserem Provinzialvikar, der seitens der Ordensleitung den Über- Wir gründeten eine Arbeitsgruppe, in gang mit den Verantwortlichen vor Ort die neben Mitgliedern unserer Ordens- gestaltet hat: gemeinschaft auch externe Kenner der „Es war nicht leicht, allen verständlich sozialen und pastoralen Situation in zu machen, ein wunderschönes Gelände Berlin eingeladen wurden, nicht zuletzt 12 nahe dem Berliner Wannsee gelegen Schwestern der Ordensgemeinschaft der hl. Maria Magdalena Postel und der und Brüder und einigen Gästen sowie Gründer des Kinder- und Jugendzirkus ein Jugendgästebereich für knapp 60 Cabuwazi, ein weltlicher Verein, der Jugendliche zur Verfügung, aber vor al- außer dem Gründer keinen christlichen lem viele Räumlichkeiten für die jungen Bezug hat, aber vom Anliegen her, sich Menschen des Stadtteils. ordensleben jungen ausgegrenzten Menschen zuzu- Die jüngste Entwicklung und den Stand wenden, genau zu uns passte. der Einrichtung im Januar 2009 kann Dieser Verein hat in Berlin an verschie- ich aus eigener Erfahrung schildern. denen Standorten Zirkuszelte aufge- Mitte August 2009 habe ich als neuer stellt, um jungen Menschen eine Mög- Direktor meinen Dienst im Don- Bosco- lichkeit zu geben, sich auszuprobieren Zentrum aufgenommen und wurde am und so verborgene Fähigkeiten hervor- 1. September als Pfarrer in die Gemein- holen zu können. Diese drei Gruppen de „Von der Verklärung des Herrn“ ein- (Schwestern, Brüder und Zirkus) grün- geführt. In der Pfarrarbeit unterstützt deten die „Manege gGmbH“ als Träger mich ein Mitbruder, der krankheitsbe- der gemeinsamen Aktivitäten. dingt in den Vorruhestand ging, aber noch sehr gerne überschaubare pasto- Ankunft in Marzahn rale Aufgaben übernimmt. Im Oktober Nach verschiedenen Recherchen wurden wir auf den Bezirk Marzahn-Hellersdorf aufmerksam, einem Stadtbezirk mit ca. Autoreninfo 250.000 Menschen, die überwiegend vollständige Angaben zum in inzwischen renovierten riesigen Autor stehen Ihnen in der ge- Plattenbauten leben mit zahlreichen druckten OK zur Verfügung. sozialen Problemlagen, lediglich etwa 10 Prozent von ihnen haben einen Bezug zum Christentum. Neben einem Zeltstandort vom Zirkus Cabuwazi stieß noch ein junger Mitbruder als fanden wir zunächst zwei Räume und Leiter des Gästehauses zu uns. Somit begannen dort mit kleinen Projekten, leben zur Zeit zwei Schwestern der hl. die nach Zögern vom dortigen Jobcen- Maria Magdalena Postel und fünf Sale- ter größtenteils finanziert wurden. Der sianer Don Boscos unter dem Dach des Erfolg mit den Jugendlichen, die als in- Don Bosco Zentrums. Die von P. Otto tegrationsfern galten, ließ dann weitere beschriebene Manege gGmbH ist die Projekte folgen. größte „Mietpartei“ mit einem Stamm Unerwartet ergab sich plötzlich, dass von rund 200 Jugendlichen, die in „Ak- ein großes an die beiden kleinen Räume tivierungshilfen“ in sechs Berufsfeldern angrenzendes Gebäude frei wurde, das und im Offenen Bereich gefördert wer- wir käuflich erwerben konnten. Nach den. Sie finden hier rund um die Uhr umfangreichen Umbauten und größeren einen Ansprechpartner. Renovierungsarbeiten konnten wir am Sr. Margareta als leitende Geschäfts- 4. Juni 2008 Einweihung feiern. Nun führerin hat inzwischen ein Team von stehen uns Wohnungen für Schwestern 25 angestellten Mitarbeiterinnen und 13 Mitarbeitern, die hauptsächlich über vergessenen und häufig bereits aufge- das Jobcenter und EU-Mittel finanziert gebenen Menschen. Sie wollen ihnen werden. Es ist sehr bemerkenswert, wie ihre Selbstachtung und Wertschätzung sehr sich die Angestellten im Jobcenter zurückgeben. Die Wertschätzung jedes auf die Kooperation mit einem kirchli- Jugendlichen steht im Vordergrund, sie chen Träger und unserer Zielgruppe ein- bildet die Grundlage der Spiritualität, gelassen haben. Bei den Malern und in weil in jedem – auch im schlimmsten der Hauswirtschaft können inzwischen – ein guter Punkt zu finden ist, den auch jeweils sechs Jugendliche eine es gilt, freizulegen und ins Leben zu Ausbildung machen. Die Jugendlichen begleiten. aus Küche und Hauswirtschaft finden Diesen Weg gehen die Ordensleute bei der Versorgung und Betreuung der nicht allein, sondern gemeinsam mit Gäste realitätsnahe und praxisorientier- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, te Bedingungen vor. Die Maler nehmen seien es christlich oder auch atheistisch Außenaufträge in gemeinnützigen Ein- geprägte, denen es allen gemeinsam richtungen an. Im Don-Bosco-Zentrum aber ein Herzensanliegen ist, junge ist außerdem das „Büro Berlin“ einquar- Menschen in die Manege des Lebens tiert, das für die Personalverwaltung der zu holen, eines Lebens, in dem sie ihre Deutschen Provinz der Salesianer Don Einzigartigkeit mit allen Ecken und Boscos mit seinen rund 1200 angestell- Kanten zeigen dürfen und in dem sie ten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gern gesehen sind und sich so auch in verantwortlich zeichnet. einen Entwicklungsprozess einlassen, der für ihre und für unsere Zukunft so Gemeinschaft intensiv nutzen notwendig ist. Plötzlich entdecken sie die Vielfalt des Lebens, begeben sich Wie gestaltet sich nun das Miteinander – wenn auch oft mühsam – auf einen von Schwestern und Brüdern, die in Weg der Suche nach Sinn für ihr ganz diesem Haus leben und rund um die Uhr konkretes Leben.“ in Krisensituationen erreichbar sind? Ich bin seit meiner Ankunft in Berlin Ich zitiere dazu nochmals P. Franz- sehr beeindruckt davon, dass es in der Ulrich Otto, der in seinem Bericht die Manege gGmbH wirklich gelingt, in Zielstellung so formuliert: intensiver Beziehungsarbeit und einem „Durch ihre Präsenz und ihre Arbeit mit breiten Spektrum von individuellen An- den jungen Menschen setzen sie (die geboten sozial benachteiligte Menschen Ordensleute) ein deutliches Zeichen ge- ganzheitlich zu fördern und spürbar zu gen Hoffnungslosigkeit und Sinnleere stärken. Präsenz und Miteinander der und machen gleichzeitig deutlich, dass Ordensleute sind sehr deutlich darauf sich Christen für den Menschen, vor al- ausgerichtet, möglichst viel Zeit unter lem für seine Achtung und Würde ohne den Jugendlichen zu verbringen. Den jegliche Vorbedingung stark machen. größten Teil des Heiligen Abends haben Sie wollen Gott ankommen und durch- wir zum Beispiel so mit den Jugendli- kommen lassen in der von Atheismus chen im Offenen Bereich gefeiert. Als und Sinnleere geprägten Alltäglichkeit ausdrückliche Zeit für die Gemeinschaft 14 dieser jungen von der Gesellschaft von Schwestern und Brüdern bleibt uns neben den regelmäßigen Gebetszeiten 1. Die Weggemeinschaft mit den ein Abend pro Woche, mit Abendmesse, Schwestern ... Abendessen und Rekreation. Bei uns macht den Dienst ganzheitlicher. Vor haben beide Gemeinschaften ihren ei- einigen Wochen sagte ein Gast, der genen Wohnbereich. Wir nutzen aber einige Tage im Zentrum verbracht hatte ordensleben die Möglichkeit für spontane gegensei- bei seinem Abschied: „Wie gut, dass bei tige Einladungen zu Konzerten, Ausflü- Euch Schwestern sind!“ „Was meinen gen oder Spaziergängen. Sie damit genau?“, fragte ich ihn. “Ich Mich selber sehe ich als im Don Bosco meine die gute Atmosphäre im Haus.“ Zentrum in einer „hausväterlichen“ Das sagen übrigens viele Gäste und Rolle. Sie besteht darin die wöchentli- staunen, wie freundlich, aufmerksam che Hauskonferenz mit Sr. Margareta und hilfsbereit die Jugendlichen ihnen als leitender Geschäftsführerin der Ma- begegnen. Die Jugendlichen bedanken nege gGmbH, Herrn Schumacher, dem sich damit indirekt für die Freund- Leiter des Don Bosco Büros Berlin und lichkeit und Achtung, die ihnen selber dem Mitbruder Christian Kunze als Lei- entgegengebracht wird. Es ist nur zu ter des Gästehauses durchzuführen und verständlich, dass die „Familiarität“ bei die Abläufe, die sehr stark ineinander uns einen sehr hohen Stellenwert hat, greifen, möglichst ohne großen „Rei- weil die Familienerfahrungen unserer bungsverlust“