Gesellschaft

KULTURKAMPF Der Fehlbare Mit seiner Regensburger Rede hat Papst Benedikt XVI. fast eine globale Krise ausgelöst. Die Geschichte des Konflikts erzählt viel über die Hilflosigkeit des Vatikans gegenüber der Gegenwart. Von Alexander Smoltczyk OSSERVATORE ROMANO / DPA ROMANO OSSERVATORE Konklave zur Papstwahl im Vatikan (2005): Wer sagt „Nein, besser nicht“ zu Benedikt XVI.?

m Herbst 1966 erscheint im Pariser Ver- der Christenheit einen beim Namen nennt. Im Westjordanland brannten Kirchen. lag Editions du Cerf die Doktorarbeit Noch dazu viermal in einem Festvortrag In Indonesien riefen Demonstranten: Ieines libanesischen Immigranten. Das am 12. September in der Aula der Regens- „Kreuzigt den Papst.“ Im Irak wurde eine Buch hat den Titel „Manuel II Paléologue, burger Universität. Es ist eine Ehre. Théo- Papstpuppe angezündet, und in Kaschmir Entretiens avec un Musulman. 7e Contro- dore Khoury hätte gern darauf verzichtet. beschlagnahmte die Polizei Tageszeitun- verse“, und es gehört zu den Bänden, de- Zeig mir doch, was Mohammed Neues gen mit dem Khoury-Zitat, um Unruhen ren Seiten man früher mit dem Messer auf- gebracht hat, und da wirst du nur zu verhindern. Der Festvortrag sei, so wur- schneiden musste. Verfasser ist der junge Schlechtes und Inhumanes finden wie de geschrien, ein professoral getarnter Religionswissenschaftler Théodore Adel dies, dass er vorgeschrieben hat, den Kreuzzugsruf, eine neue Etappe im West- Khoury. „Mein Buch ist in Deutschland Glauben, den er predigte, durch das Ost-Konflikt des 21. Jahrhunderts, zwi- nie weit verbreitet gewesen“, sagt Khoury. Schwert zu verbreiten. schen Christentum und . „Es ist in französischer und griechischer Das sagte im Jahr 1391 der byzantini- So las es Théodore Khoury in seiner Sprache geschrieben. Ich weiß nicht, wie er sche Kaiser Manuel II. Palaeologos zu sei- Zeitung in Laer im Münsterland. zu dem Band gekommen ist.“ nem Gesprächspartner, einem persischen In wurde die italienische Non- Er, der Papst. Gelehrten. Der Satz fand 1966 Eingang in ne Leonella Sgorbati erschossen. In der Vierzig Jahre danach ist Khoury Profes- die Doktorarbeit des Adel Khoury. Und marokkanischen Hauptstadt Rabat wurden sor im Ruhestand, sitzt in einem Mietshaus im Jahr 2006 stand das Zitat aus dem Mit- ein hoher EU-Funktionär aus Italien und in Laer bei Münster und ist drei, vier Tage telalter plötzlich im Zentrum eines globa- seine Frau ermordet, beide praktizierende lang der Welt bekanntester Islamforscher. len Religionsstreits, des ersten ernsthaften Katholiken. Die verbreitete Version, es sei Es passiert nicht oft, dass das Oberhaupt Konflikts im Pontifikat von Benedikt XVI. ein Raubmord gewesen, wird von der EU-

112 der spiegel 47/2006 Kolonie in Brüssel als Notlüge verstanden: Die Geschichte der Regensburger Rede anderem seine Reise nach Bayern vorbe- jetzt nur kein Öl ins Feuer gießen. erzählt einiges über die Zustände in der rö- reiten will. Vier Wochen später kam ein Brief der mischen Kurie, über die Hilflosigkeit der „Ein Gelehrter greift immer auf die Vatikanpost nach Laer. Théodore Khoury erfolgreichsten globalen Institution ge- Bücher zurück, mit denen er gelernt hat. sagt: „Der Heilige Vater hat mir geschrie- genüber der Gegenwart. Und 1966 war die Zeit, in der Ratzinger sei- ben. Er habe mit dieser heftigen Reaktion Die Geschichte hat ihren Ursprung im ne Bibliothek bestückt hat. Es überrascht nicht gerechnet.“ Khoury hat den Koran Sommer vergangenen Jahres, als der mich nicht, dass er sich an dies Zitat erin- übersetzt. Er arbeitet seit Jahrzehnten mit „Schülerkreis“, ein Zirkel ehemaliger Ha- nert hat“, sagt Ulrich Sander vom Herder- Islamgelehrten zusammen. Er versteht im- bilitanden Ratzingers und theologischer Verlag, bei dem Ratzinger seit 50 Jahren mer noch nicht, was da eigentlich gesche- Vertrauter, in der päpstlichen Sommer- veröffentlicht. hen ist. Er weiß nur: „Benedikt hätte auf residenz ein Seminar zum Thema „Islam“ Es hätte andere Zitate gegeben, um ei- das Zitat verzichten können. Es wäre bes- abhält, besser gesagt zum Thema: „Gren- nen Vortrag über Vernunft und Glauben ser gewesen.“ zen des Dialogs mit dem Islam“. einzuleiten. Aber da lag Khourys Buch. MATTHIAS SCHRADER / PICTURE-ALLIANCE / DPA / PICTURE-ALLIANCE SCHRADER MATTHIAS Papst Benedikt XVI. in (am 12. September): Die umstrittenste theologische Vorlesung seit der Bergpredigt

In der römischen Kurie wird über diese Dort war gesagt worden, dass der Islam Und da war auch die Ratzingersche Lust an Tage nur noch als l’incidente, den Unfall, keine wirkliche Vorstellung von Laizität der Provokation, sein Widerwille gegen gesprochen. Als sei es nur eine Fehlbarkeit habe. Dass es keine zentrale Autorität gebe Konsens und Leisetreterei. Ein Dialog wird des Papstes gewesen. Und dann wird meist und der Koran als Gotteswort gelte, nicht nicht mit zeremoniellen Umarmungen und hinzugesetzt, dass er ja im Grunde völlig als von Gott inspiriertes Wort wie im mo- ängstlichem Schweigen geführt, sondern Recht gehabt habe. dernen Christentum. Ein „Dialog mit dem mit logos, mit Wort und Vernunft. Bene- Der Festvortrag von Regensburg ist je- Islam“ auf gleicher Augenhöhe sei daher dikt XVI. ist kein Diplomat. denfalls eine der meistgelesenen, meistzi- problematisch. Besser sei es, vom „Dialog Der Redetext geht diesmal nicht durch tierten und umstrittensten theologischen mit der Kultur des Islam“ zu reden. den Apparat der Kurie. Erst am Tag vor Vorlesungen seit der Bergpredigt. Ein Jahr später, im Juli 2006, erhält Be- der Abreise nach München bekommt ihn Am Dienstag kommender Woche wird nedikt XVI. die neue Edition der „Unter- das Staatssekretariat zugestellt. Man habe Benedikt XVI. in die Türkei reisen, nach redungen mit einem Muslim“, herausge- dem Chef das Manuskript quasi aus der „Konstantinopel“, wie es ihm kürzlich ent- geben von Théodore Adel Khoury, nach Hand reißen müssen. Er wollte bis zuletzt schlüpft ist. Eine heikle Visite. Es wird De- Rom geschickt. Offenbar hielt es nach daran feilen. Die Rede ist ihm wichtig. monstrationen geben. dem Treffen des „Schülerkreises“ jemand Zu wichtig, um von den Bedenkenträ- Ministerpräsident Erdogan hat sich be- für hilfreich, diesen Grundlagentext in gern des Staatssekretärs Angelo Soldano reits entschuldigen lassen. Dafür wird Kai- Erinnerung zu rufen. So landet der Dialog zensiert zu werden. ser Manuel II. Palaeologos den Papst bei aus dem 14. Jahrhundert auf dem päpst- Im Vier-Sterne-Hotel Platzl in der jedem Auftritt begleiten – wie ein Schatten. lichen Schreibtisch in Castelgandolfo, Münchner Sparkassenstraße werden am Regensburg war ein Einschnitt. wo der Papst in diesem Sommer unter 12. September, einem Dienstagmorgen, die

der spiegel 47/2006 113 GRZEGORZ GALAZKA / AFP AL-SUDANI (L.); (R.) ESSAM Vatikan-Pressedirektor Lombardi, Journalist Politi, Ex-Sprecher Navarro Valls, brennende Papstpuppe in Basra: Verweigerte Stellungnahme

Texte der päpstlichen Ansprachen ausge- elf erscheint Lombardi im Pressezentrum Es ist nicht bekannt, ob Federico Lom- teilt. Es ist fünf Uhr früh. Anders als üblich und trifft die Journalisten von AP, „Re- bardi an diesem Mittag mit dem Papst noch liegt der Festvortrag gedruckt nur in deut- pubblica“, „New York Times“ und „Los gesprochen hat. Beim Thema „Regens- scher und italienischer Sprache vor. Erst- Angeles Times“. „Da stehen ein paar burg“ ist der freundliche Jesuit zu keiner mals handelt es sich um einen „vorläufi- ziemlich aggressive Sätze gegen die Mus- Stellungnahme mehr bereit. gen“ Text, wie angemerkt wird. lime drin“, sagt Marco Politi, Vatikan-Ex- Unter Papst Wojtyla ist jeder Text von Victor Simpson ist Bürochef der Associa- perte der Zeitung „Repubblica“. „Ich habe mindestens zwei Personen gegengelesen ted Press in Rom. Er sagt: „Ich bin seit 30 gekämpft mit dem Text, um dahinterzu- worden: vom Cheftheologen des Vatikans Jahren mit Päpsten unterwegs. Ich kann eine kommen. That’s tough stuff“, sagt Victor und von einem Substituten im Staatsse- Rede lesen. Und dass diese hier etwas Be- Simpson. kretariat, meist dem Argentinier Leonardo sonderes war, sah ich auf den ersten Blick.“ Lombardi ist zu diesem Zeitpunkt be- Sandri. Benedikt hat dieses Verfahren ab- Simpson ruft den neuen Pressesprecher reits von seinem Büro in Rom alarmiert geschafft. Ein deutscher Universitätsordi- des Papstes an, den Jesuitenpater Federico worden: „Das gibt Probleme. Sie müssen narius legt keinem eine Vorlesung vor. Lombardi. Es ist dessen erste Amtsreise. mit dem Heiligen Vater reden.“ Der Pater Doch zumindest Erzbischof Paolo Sardi, Der Pater ist gerade mit Benedikt zusam- antwortet, man könne einem Papst nicht in der für die päpstlichen Texte im Staats- men in der Heiligen Messe. Simpson sagt: eine Rede hineinreden. Den Journalisten sekretariat zuständig ist und sie an die „Hören Sie, Father. Das ist eine schwieri- sagt er: „Der Papst will hier gewiss keine Übersetzer weiterreicht, muss die Rede ge- ge Rede. Da brauche ich Anleitung. Kön- Lektion erteilen, wonach der Islam als ge- kannt haben. Ebenso Ratzingers Privat- nen Sie nicht schnell rüberkommen?“ – walttätig verstanden werden müsse.“ sekretär, Prälat Georg Gänswein. Offen- „Ich versuche es“, sagt Lombardi. bar hat es keiner für möglich Bereits die Übersetzer waren über die „Es ist traurig, aber sie haben ihn gehalten, dass ein Zitat aus Mohammed-Passage gestolpert: „Jeder Byzanz die Fronten des Kari- geistigen Funzel in der Kurie wäre klar ge- in die Falle laufen lassen.“ katurenstreits wieder ent- wesen, dass so etwas diplomatisch abge- flammen könnte. segnet werden muss.“ Aber die Übersetzer Lombardi spricht geschäftsmäßig, ohne Im Vatikan gibt es keinen „war room“, behielten ihre Verwunderung für sich. jedes Zeichen von Unruhe. Sein Hände- um bei Medienkatastrophen den Schaden Ein anderer der wenigen Eingeweihten druck ist federleicht. zu begrenzen. Es wird ihn auch nach war überarbeitet: „Wir bekamen ein „Wir hatten die gleiche Situation in Kra- Regensburg nicht geben. Wer laut Kon- ganzes Bündel mit den Reden und Predig- kau vor dem Auschwitz-Besuch“, erinnert zilsbeschluss unfehlbar ist, braucht keinen ten für die Reise. Ich glaube nicht, dass je- sich Marco Politi. „Im ausgeteilten Rede- Spin-Doctor. Der Katholischen Nach- der jeden Text bis zu Ende gelesen hat. Ich text kam das Wort Shoah nicht vor. Na- richtenagentur KNA hatte Lombardi selbst jedenfalls kam erst am Dienstag dazu.“ varro-Valls hat dann wahrscheinlich mit gerade erklärt, das Denken dieses Papstes Und weil auch der Kirchenstaat nicht dem Papst gesprochen, und das Wort wur- sei völlig klar – „deshalb braucht er ei- frei von der Lust an Verschwörungstheo- de in letzter Minute noch eingefügt.“ gentlich keinen persönlichen Sprecher“. rien ist, meint jemand, der unter vier Päps- Doch Joaquín Navarro-Valls, der über Doch unter dem neuen Papst ist PR-Ar- ten in der Kurie gearbeitet hat: „Es gibt ei- zwanzig Jahre lang die Pressestelle im Va- beit schwieriger geworden als unter sei- nige Leute, die sich unter Johannes Paul II. tikan geführt hat, ist soeben in den Ruhe- nem Vorgänger. „Mit Gesten lässt sich ein- wichtige Aufgaben im Dialog mit den Mus- stand versetzt worden. facher kommunizieren, während Reden in limen erarbeitet hatten und jetzt draußen Die Frage ist: Wer sagt „Nein, besser ihrer Vielgestaltigkeit gelesen werden müs- vor der Tür stehen. Es ist traurig, so etwas nicht“ zu Benedikt XVI.? sen“, sagt Navarro-Valls, später. „Wenn ich sagen zu müssen, aber die haben ihn in Ein leichtes Redigieren, eine legitime im Amt geblieben wäre, wäre das alles viel- die Falle laufen lassen.“ Streichung der Wörter „nur Schlechtes und leicht nicht passiert. Es war ein großartiger Um halb acht morgens wird der Presse- Inhumanes“ hätte ausgereicht, den dro- Text, den einige Agenturen mit einer ir- tross nach Regensburg gefahren. Gegen henden Sturm zu umsegeln. reführenden Verpackung übermittelt ha-

114 der spiegel 47/2006 Gesellschaft

ben. Keiner der Anwesenden in der Aula, und darunter waren einige Muslime, hat diese Vorlesung so verstanden, wie sie spä- ter dargestellt wurde.“ „Angriff auf drei Grundpfeiler“ In Regensburg scheint am Dienstag kei- ner zu ahnen, was bald losbrechen wird. Ali Bardakoglu, 54, höchster muslimischer Würdenträger der Türkei, Wenn an einige mitreisende Würdenträger zum Papst-Besuch und zum Echo auf die Regensburger Rede der Redetext ausgeteilt (und von ihnen gelesen) worden ist, so entschließt sich SPIEGEL: Nach 27 Jahren kommt wieder Bardakoglu: Wer sagt, die Quelle der niemand einzugreifen. Jetzt hilft nur beten: ein Papst in die muslimische Türkei. Gewalt sei der Prophet und die Fehl- Hoffentlich merkt es keiner. Was bedeutet dieser Besuch für Ihr entwicklungen hätten ihre Ursache im In denkbar bester Gestimmtheit schrei- Land? Koran, äußert keine Kritik, sondern tet Benedikt XVI. um 17 Uhr die Treppe Bardakoglu: Wenn ein religiöses Ober- verurteilt und beleidigt den Islam. Und zwischen den Rängen der Regensburger haupt andere Länder besucht, zeigt es, der Fehler wird dadurch nicht kleiner, Aula hinunter. Er ist zu Hause unter Freun- dass es bereit ist zum Dialog; das ist dass man nur ein Zitat wiedergibt. den. Die Aula ist festlich geschmückt, das wichtig. Wenn wir die Probleme der SPIEGEL: Weshalb versteht der Westen Publikum gelehrt, Zwischenrufe sind nicht Welt in den Griff bekommen wollen, Ihrer Meinung nach die Reaktionen in zu erwarten. Alle haben sich von den müssen wir miteinander sprechen. Un- der islamischen Welt nicht? Stühlen erhoben und applaudieren, ge- sere Probleme kommen nicht aus den Bardakoglu: Das Verhältnis der Men- rührt und hochgeehrt. Der Professor Jo- Religionen selbst. Die Oberhäupter schen zu Gott, zur Bibel, zu Jesus ist im seph Ratzinger wird eine Vorlesung halten können helfen, dass Menschen in ver- Westen nicht so stark wie im Islam. können, vielleicht zum letzten Mal, gewiss schiedenen Kulturkreisen Verständnis Deshalb werden auch ganz andere Re- zum letzten Mal an seiner alten Univer- füreinander entwickeln. aktionen ausgelöst. Der Westen macht sität Regensburg. Er wird noch einmal das SPIEGEL: Der Papst den Fehler, die Bezie- Thema seiner Bonner Antrittsvorlesung kommt auch zu Ihnen. hungen seiner Gläubi- aufnehmen, den Kreis schließen und die Sie haben seine Regens- gen zu heiligen Institu- Pole Vernunft und Glauben trennen und burger Rede stark kriti- tionen als Maßstab zu miteinander verweben. Sein Leitthema, siert. nehmen und mit dem sein Leben, seine Universität. Rat- Bardakoglu: Die Rede Islam zu vergleichen. zinger hat seinen eigentlichen Garten Eden des Papstes war keine SPIEGEL: Was würde den betreten. Der Papst ist im Paradies. Kritik, sondern wandte Dialog erleichtern? Benedikt XVI. beginnt seine Anspra- sich verurteilend gegen Bardakoglu: Gegenseiti- chen gern mit dem Konkreten, einer Bi- grundlegend Heiliges ger Respekt. Wir haben belstelle oder einem aktuellen Bezug, und des Islam. In diesem ein Prinzip im Islam, geht den Dingen dann auf den Grund. Er Sinne war sie fehlerhaft. uns nicht beleidigend möchte über sein Leitthema sprechen, viel- Sie hätte so nicht sein gegenüber einer ande- leicht die Debatte ein wenig vorantreiben sollen, wie der Papst ja ren Religion oder einem in seiner Kirche. Er will keinen Kreuzzug später eingesehen hat. Religionsoberhaupt zu beginnen. Ratzinger ist kein Politiker. Er ist SPIEGEL: Warum rea- äußern. Wir gehen auch auch kein Fundamentalist. Er ist Funda- giert die islamische Welt dagegen vor, wenn Je- mentaltheologe. so heftig auf Kritik? sus beleidigt wird, den Der Professor Dr. Papst erinnert sich

Bardakoglu: Wir sind AFP wir als wichtigen Pro- zunächst an die schöne Zeit der alten Or- stets offen für Kritik. Muslimenführer Bardakoglu pheten sehen. dinarienuniversität, als die Vorlesungen Wir kritisieren uns, „Quelle der Gewalt“ SPIEGEL: Aber es gibt, noch per Hand geschrieben wurden und wenn es notwendig ist, auch in der Türkei, An- die Universitas scientiarum gelebter All- auch selbst. Islam und Rationalität ge- griffe auf Christen und das Christen- tag war, ein „innerer Zusammenhalt im hen durchaus zusammen. Wir sind be- tum in der muslimischen Welt. Kosmos der Vernunft“. Dann zitiert er das reit zu einer intellektuellen Diskussion Bardakoglu: Menschen, die wenig Wis- Buch mit den aufgeschnittenen Seiten, das über das Verhältnis von Glauben und sen haben, mitunter auch wenig Selbst- ihm „kürzlich“ wieder unter die Augen ge- Vernunft, von Religion und Gewalt. Da vertrauen, führen keine theologische kommen sei. Er zitiert Manuel II. Palaeo- hätten wir auch einiges zu sagen an die Diskussion, sondern wählen den ein- logos, den byzantinischen Kaiser, der Adresse der Christen. fachen Weg und greifen eine andere kaum einem der zuhörenden Journalisten SPIEGEL: Was war falsch an der Rede? Religion an. Das ist gefährlich, und das bis dato bekannt gewesen ist. Bardakoglu: Es war ein stark von Vor- verurteilen wir. Wir rufen stets dazu ... wendet er sich in erstaunlich schroffer, urteilen behafteter Angriff auf die drei auf, gemäßigt zu reagieren und keines- in uns überraschend schroffer Form ganz Grundpfeiler des Islam: den Glauben, falls gewalttätig. Aber übertriebene einfach mit der zentralen Frage nach dem den Koran und den Propheten Mo- Reaktionen von einigen werden auch Verhältnis von Religion und Gewalt über- hammed – ohne Bezug auf ein konkre- missbraucht von denen, die eine Islam- haupt an seinen Gesprächspartner. Er tes Ereignis aus der Geschichte des Phobie schüren wollen. sagt: „Zeig mir doch, was Mohammed Islam. Wer den Koran und den Prophe- SPIEGEL: Wollen Sie die Regensburger Neues gebracht hat, und da wirst du nur ten als Ursache der Probleme darstellt, Rede noch einmal ansprechen? Schlechtes und Inhumanes finden wie hat den Islam nicht verstanden. Bardakoglu: Ich möchte nach vorne dies, dass er vorgeschrieben hat, den SPIEGEL: Sie sprachen vom „Hass im schauen. Wenn der Papst nicht selbst Glauben, den er predigte, durch das Herzen“ des Papstes, warfen ihm darauf zu sprechen kommt, werde ich Schwert zu verbreiten.“ vor, sein Denken ähnle den Kreuz- nicht darauf eingehen. Gegenüber dem Manuskript hat Ratzin- fahrern. Interview: Annette Großbongardt ger das „in uns überraschend schroffer Form“ eingeschoben. Möglich, dass ihm sein Privatsekretär doch einen Hinweis ge-

118 der spiegel 47/2006 Gesellschaft geben hat. Aber das Zitat ist geblieben. Es eine längere Zusammenfassung der „aus- 1985. Er weiß, worüber der Papst gere- ist ihm wichtig. Und er ist jetzt zu sehr gearbeiteten und dichten Rede“. Es wird det hat. deutscher Professor, um ein Zitat nicht in die Palaeologos-Passage zitiert, und es wird Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht ganzer Länge wiederzugeben. auch der Zusammenhang skizziert, die fun- vernunftgemäß zu handeln ist dem Kardinal Walter Kasper sitzt in der ersten damentale Bedeutung des Logos für den Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Reihe der Aula. Auch er kennt den Vorle- Glauben. Allerdings erst im letzten Satz. Frucht der Seele, nicht des Körpers. Wer sungstext nicht. Der lege ja nie jemandem Direkt neben Kardinal Kasper sitzt der also jemanden zum Glauben führen will, etwas vor, wird er später einem Gast sagen. noch amtierende Staatssekretär Angelo braucht die Fähigkeit zur guten Rede und Der sei „scho gscheit“, aber alles wissen Soldano. Sein Deutsch ist schlecht. „Was ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt könne auch ein Papst nicht. Das ist die Hal- war das für ein Zitat da am Anfang?“, fragt und Drohung. tung des Schwaben. Als Benedikt XVI. von er Kasper, als der Schlussapplaus vorüber Zu einem Kollegen sagt Simpson: „Ich Mohammed spricht, zuckt Kasper inner- ist. Der Quasi-Regierungschef im Vatikan wusste, er ist ein mentsch.“ „Mentsch“, lich zusammen: Das gibt Ärger, denkt er. merkt, dass er von einem der wichtigsten das ist ein großes Lob im Jiddischen. Lange nicht mehr hat ein Papst ein zentra- Texte des Papstes keinen Schimmer hatte. Ein sehr großes. Dann geht Victor Simp- les Konzept einer anderen Weltreligion wie son ins Pressezentrum, um den Dschihad öffentlich so direkt in Frage Kardinal Kasper zuckt zusammen. die gute Nachricht durch- gestellt. Lange nicht mehr hat ein Papst zugeben. einen derart islamkritischen Satz zitiert, Das gibt Ärger, denkt er. Phil Pullella von der Agen- ohne sich klar davon zu distanzieren. tur Reuters beginnt seinen Aber wohl noch nie ist aus dem Mund Es ist Soldanos drittletzter Tag im Amt. Bericht: „Papst Benedikt lud die Muslime eines Papstes eine solch klare und fun- Er hätte gern noch ein Jahr weitergemacht. zu einem Dialog der Kulturen unter der dierte Hymne auf die Vernunft zu hören Aber Benedikt wollte nicht und ernannte Prämisse ein, dass das islamische Ver- gewesen. Der Vortrag ist ein Lob der Uni- stattdessen einen Vertrauten, Kardinal Tar- ständnis des ,Heiligen Krieges‘ unvernünf- versität als Stätte des Dialogs. Er sagt: cisio Bertone, zum Nachfolger. tig und gegen die Natur Gottes sei.“ Mar- Der entscheidende Satz in dieser Ar- AP-Bürochef Victor Simpson ist beein- co Politi mailt nach Rom: „Es ist nicht der- gumentation gegen Bekehrung durch druckt von der Rede. „Er wollte es sagen, selbe Gott, von dem wir reden, so raunt Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß zu und er hat es gesagt. Du kannst keinen Ratzinger.“ handeln ist dem Wesen Gottes zuwider. Dialog führen, wenn du politisch korrekt Die Redaktionen sind schon am Morgen Noch während Ratzinger spricht, um bleiben willst. He has taken the heat.“ vorgewarnt worden. Sie haben bereits 17.28 Uhr, sendet die italienische Nach- Simpson stammt aus New Jersey. Er hat ei- Muslime befragt, was sie von dem Palaeo- richtenagentur Ansa eine Kurzmeldung: nen Sohn bei einem Palästinenser-An- logos-Zitat halten. Die Kenntnis der ge- „Papst: Heiliger Krieg des Islam ist gegen schlag auf dem Flughafen Rom-Fiumicino samten Rede wird nicht vorausgesetzt. Da- Gott und die Vernunft“. Um 17.36 Uhr folgt verloren. Das war kurz nach Weihnachten mit ist der Ball ins Rollen gebracht. unter Johannes Paul II. der Dialog mit dem Islam geführt wurde. Der Papst träumt nicht wie Wojtyla davon, auf den Berg Sinai zu steigen zum gemeinsamen Gebet der monotheistischen Weltreligionen. Er will im Dialog mit dem Islam Pflöcke ein- schlagen und sagen: Hier folgt eine Seite nicht dem Weg der Rationalität.“ Auch Simpson ist sich sicher, dass der Papst wusste, was er tat. „Er hat nur zwei kleine Änderungen an der gesprochenen Rede vorgenommen. Es muss ihm klar ge- wesen sein, dass diese Passage Sprengstoff war. Handle with care.“ Mittwoch bleibt es ruhig. In Deutschland wird die Islam- Passage nur von der „Frankfurter Allge- meinen“ und dem „Berliner Tagesspiegel“ in ihrer Bedeutung wahrgenommen. Die

DANILO SCHIAVELLA / ANSA / DPA / ANSA SCHIAVELLA DANILO Deutschen sind mit ihren Gedanken noch Papst Benedikt XVI. beim -Gebet: Wer unfehlbar ist, braucht keinen Spin-Doctor ganz in Altötting. Doch in den italienischen Morgenzei- Alessandra Borghese hat selbst einen ten hat vor und während des Konklaves tungen ist der Ton angegeben. Der kon- Papst im Stammbaum. Ihr Familienname bestimmt nicht den Tifoso für einen Papst servative „Corriere della Sera“ entdeckt steht meterhoch in die Front des Peters- Ratzinger gemacht.“ Und manch einer „nichts, das sich wie eine Widerlegung der doms gemeißelt. Vor Jahren schon wurde wartet seit Amtsantritt auf die erste falsche Auffassung des Palaeologos anhört, Rat- die Prinzessin wegen ihrer Sympathien Bewegung des teutonischen Bulldozers. zinger scheint sie sogar im Kern zu teilen“. „Little Ratzinger“ genannt. Sie ist an die- Marco Politi sagt heute: „Die Rede war Die amerikanischen Zeitungen kommen sem Dienstag im Regensburger Schloss ih- kein Fehltritt. Sie ist gut geschrieben und in Europa erst abends heraus. „Seine Wor- rer Freundin Gloria von Thurn und Taxis. gut durchdacht. Das Zitat war für den te lassen Deutungen zu, die Muslime in Borghese kennt den Tross der Vatikanis- gemäßigten Islam ein Schlag ins Gesicht. Harnisch bringen könnten“, schreibt die ten: „Wenn man den Presseskandal ver- Es steht ja in einer logischen Entwicklung, „New York Times“. Es gibt die Internet- stehen will, darf man eines nicht vergessen: denn seit seiner Thronbesteigung hat er Ausgaben der Zeitungen. Es wird telefo- Die überwiegende Mehrheit der Vatikanis- Bedenken gezeigt gegen die Weise, wie niert, gemailt und kolportiert. BBC World Für diese These spricht, dass der Papst auch in der überarbeiteten, amtlichen Version der Rede, die im Oktober nach- gereicht wird, sich lediglich von der „Polemik“ distanziert, der „unannehmbar schroffen Form“ des Kaisers, nicht vom In- halt: Was „den wesentlichen Zusammen- hang zwischen Glaube und Vernunft“ be- treffe, „stimme ich Manuel zu“. Zum Regensburger Medien-GAU kam es durch die Unbeholfenheit des gerade umbesetzten Presseamts im Vatikan. Und durch das Fehlen einer Person im Hofstaat, die im Notfall den Mut hat, auch einen Papst vor Irrtümern zu warnen. In der Ku- rie wird jetzt auf Kardinal Bertone als Ge- genleser gesetzt. Wobei das „Gegen“ nicht wörtlich zu nehmen ist. Bertone steht Be-

GABRIEL BOUYS / AFP BOUYS nedikt näher als sich selbst. Vermittler Johannes Paul II.*: Jeder Text von mindestens zwei Personen gelesen Benedikt XVI. redete von der funda- mentalen Bedeutung des Logos. Und un- Service sendet Meldungen in Urdu, Tür- tive Figur in die Geschichte eingehen wie terschätzte zugleich die explosive Kraft des kisch, Hindi und Persisch. Hitler und Mussolini: „Er hat eine dunkle Wortes in der globalen, durchmediatisier- Auf der Abschluss-Pressekonferenz, am Mentalität, die aus der Dunkelheit des Mit- ten Gesellschaft. „Am Anfang war das Donnerstag am Flughafen München, wird telalters kommt.“ Wort“ – das steht nicht nur bei Johannes, keine Frage nach der Islam-Passage ge- Ungeniert wird der Festvortrag ausge- das ist gleichfalls Grundgesetz des Skan- stellt. Manuel II. Palaeologos ist wieder in nutzt, von allen Seiten. In der „Welt am dalons. Im Medium der globalen Kommu- der Vergangenheit verschwunden. Sonntag“ kreuzzügelt ein Leitartikler: „Es nikation ist „logos“ das Zehn-Sekunden- Erst als die Journalisten schon auf dem geht um den Kampf der Freiheit – vor Soundbit und nicht das fußnotengespickte Weg zur Maschine nach Rom sind, klin- allem der Gedankenfreiheit – gegen das Ganze einer Vorlesung. geln die Handys: „In der Türkei hat schon gefangene, geknechtete, manipulierte Den- Das war der Irrtum. der Großmufti protestiert.“ Benedikt XVI. ken. Diesem Kampf der Kulturen kann Der einzige. Denn während die Debatte habe eine „Kreuzfahrermentalität“ und man nicht ausweichen.“ um Dialog und Mohammed noch wogt, eine „feindselige Haltung“ an den Tag ge- Am Sonntag ist der Luftraum über Cas- wird in Isfahan ein „Zentrum für christli- legt. Er habe, wird der Leiter der staatli- telgandolfo gesperrt. Unter den Pilgern ches Kulturgut“ eröffnet. Mit Unterstützung chen Religionsbehörde, Ali Bardakoglu, stehen Anti-Terror-Beamte in Zivil. Es der islamischen Republik Iran und des Va- später sagen, den Redetext zu diesem Zeit- regnet wie im Alten Testament. Al-Dscha- tikans. Und am 15. Oktober veröffentlichen punkt noch gar nicht gelesen. sira sendet live, als der Papst vor dem An- 38 Islam-Gelehrte ihren Brief an „Eure Hei- Zwei Stunden nach der Landung in gelus-Gebet spricht: „Ich bedauere von ligkeit“. Darunter Ajatollah Mohammed Ali Rom-Ciampino laufen Newsticker durch Herzen die Reaktionen, die wenige Passa- Taskhiri aus Iran, der Großmufti von Ägyp- die Sendungen der großen Fernsehanstal- gen meiner Vorlesung an der Universität ten und Würdenträger aus Russland, Bos- ten: „ infuriates the moslem world“ von Regensburg in einigen Ländern aus- nien, Istanbul und Oman. – „Schmähungen des Papstes gegen den Der Brief ist gelehrt und Koran lösen Tumulte aus“. Noch am In der globalen Kommunikation ist mit mittelalterlichen Verwei- Abend verschickt Lombardi eine Richtig- sen gespickt, als sollte er in stellung, doch es ist längst zu spät. „logos“ das Zehn-Sekunden-Soundbit. Regensburg gelesen werden. Théodore Khoury ist gerade unterwegs, Es wird ein anderes Bild des als er erfährt, dass sein Name im Zentrum gelöst haben“, beginnt Benedikt. Weil heutigen Islam gezeichnet. „Dschihad“, so eines beginnenden Religionsstreits steht: gläubige Muslime die Sätze als verletzend die Geistlichen, sei nicht notwendiger- „Ein ehemaliger Assistent schrieb mir per empfunden hätten, müsse er noch einmal weise ein Krieg, sondern „Anstrengung E-Mail, dass mein Name vom Papst zitiert betonen, dass sie nichts anderes waren als auf dem Weg Gottes“: „Zivilisten sind worden sei.“ Und nicht nur vom Papst. „Zitate aus einem Text des Mittelalters, keine erlaubten oder legitimen Ziele. Khourys Zitat wird in den nächsten die keineswegs meine persönliche Ansicht Wenn eine Religion Krieg reguliert und Stunden im Mittelpunkt eines medialen ausdrücken“. Umstände beschreibt, wo er nötig und ge- Tsunamis stehen, der rund um den Glo- So dicht an einer Entschuldigung ist recht ist, macht dies diese Religion nicht bus zu spüren ist. Am Wochenende brennt kaum je ein Papst gewesen. Aber der letz- kriegerisch, ebenso wenig wie eine Re- es überall. In Katar ruft Scheich Jussuf te Schritt, das peccavo, ich entschuldige gulierung der Sexualität eine Religion lüs- al-Kardawi, der Pastor Fliege von al-Dscha- mich, bleibt aus. tern macht.“ sira, einen „Tag des friedlichen Zorns“ aus. „Das ist kein Zufall gewesen“, sagte Zum ersten Mal haben sich maßgebliche In Pakistan fordern tausend islamische auch der Tübinger Theologe Hans Küng Islam-Gelehrte aus aller Welt inhaltlich mit Geistliche und Gelehrte die Amtsent- vorvergangene Woche. Er hält es für aus- einer Papst-Rede auseinandergesetzt. Sie hebung von Benedikt. geschlossen, dass einem Denker wie sei- haben sogar den Platz der Vernunft im Der stellvertretende Vorsitzende der tür- nem alten Fakultätskollegen Ratzinger die Glauben definiert, als hätten sie bei Prof. kischen Regierungspartei, Salih Kapusuz, Volte gegen den Islam einfach unterlaufen Ratzinger studiert: Es gebe „einen Gleich- erklärt, der Papst werde als ebenso nega- sein könnte: „Er hätte vorher mein Buch klang zwischen den Wahrheiten der kora- lesen sollen.“ „Er wollte eine intellektuel- nischen Offenbarung und den Fragen der le Herausforderung, hat aber die interna- menschlichen Intelligenz“. * Mit Rabbi Israel Lau und Muslimenführer Scheich Tatsir Tamimi beim Papstbesuch in Jerusalem im März tionale Wirkung nicht einkalkuliert“, meint So dass auch ein menschlicher Irrtum 2000. Vatikanist Marco Politi. bisweilen durchaus einem Zweck dient. ™

122 der spiegel 47/2006