Gesellschaft KULTURKAMPF Der Fehlbare Mit seiner Regensburger Rede hat Papst Benedikt XVI. fast eine globale Krise ausgelöst. Die Geschichte des Konflikts erzählt viel über die Hilflosigkeit des Vatikans gegenüber der Gegenwart. Von Alexander Smoltczyk OSSERVATORE ROMANO / DPA ROMANO OSSERVATORE Konklave zur Papstwahl im Vatikan (2005): Wer sagt „Nein, besser nicht“ zu Benedikt XVI.? m Herbst 1966 erscheint im Pariser Ver- der Christenheit einen beim Namen nennt. Im Westjordanland brannten Kirchen. lag Editions du Cerf die Doktorarbeit Noch dazu viermal in einem Festvortrag In Indonesien riefen Demonstranten: Ieines libanesischen Immigranten. Das am 12. September in der Aula der Regens- „Kreuzigt den Papst.“ Im Irak wurde eine Buch hat den Titel „Manuel II Paléologue, burger Universität. Es ist eine Ehre. Théo- Papstpuppe angezündet, und in Kaschmir Entretiens avec un Musulman. 7e Contro- dore Khoury hätte gern darauf verzichtet. beschlagnahmte die Polizei Tageszeitun- verse“, und es gehört zu den Bänden, de- Zeig mir doch, was Mohammed Neues gen mit dem Khoury-Zitat, um Unruhen ren Seiten man früher mit dem Messer auf- gebracht hat, und da wirst du nur zu verhindern. Der Festvortrag sei, so wur- schneiden musste. Verfasser ist der junge Schlechtes und Inhumanes finden wie de geschrien, ein professoral getarnter Religionswissenschaftler Théodore Adel dies, dass er vorgeschrieben hat, den Kreuzzugsruf, eine neue Etappe im West- Khoury. „Mein Buch ist in Deutschland Glauben, den er predigte, durch das Ost-Konflikt des 21. Jahrhunderts, zwi- nie weit verbreitet gewesen“, sagt Khoury. Schwert zu verbreiten. schen Christentum und Islam. „Es ist in französischer und griechischer Das sagte im Jahr 1391 der byzantini- So las es Théodore Khoury in seiner Sprache geschrieben. Ich weiß nicht, wie er sche Kaiser Manuel II. Palaeologos zu sei- Zeitung in Laer im Münsterland. zu dem Band gekommen ist.“ nem Gesprächspartner, einem persischen In Somalia wurde die italienische Non- Er, der Papst. Gelehrten. Der Satz fand 1966 Eingang in ne Leonella Sgorbati erschossen. In der Vierzig Jahre danach ist Khoury Profes- die Doktorarbeit des Adel Khoury. Und marokkanischen Hauptstadt Rabat wurden sor im Ruhestand, sitzt in einem Mietshaus im Jahr 2006 stand das Zitat aus dem Mit- ein hoher EU-Funktionär aus Italien und in Laer bei Münster und ist drei, vier Tage telalter plötzlich im Zentrum eines globa- seine Frau ermordet, beide praktizierende lang der Welt bekanntester Islamforscher. len Religionsstreits, des ersten ernsthaften Katholiken. Die verbreitete Version, es sei Es passiert nicht oft, dass das Oberhaupt Konflikts im Pontifikat von Benedikt XVI. ein Raubmord gewesen, wird von der EU- 112 der spiegel 47/2006 Kolonie in Brüssel als Notlüge verstanden: Die Geschichte der Regensburger Rede anderem seine Reise nach Bayern vorbe- jetzt nur kein Öl ins Feuer gießen. erzählt einiges über die Zustände in der rö- reiten will. Vier Wochen später kam ein Brief der mischen Kurie, über die Hilflosigkeit der „Ein Gelehrter greift immer auf die Vatikanpost nach Laer. Théodore Khoury erfolgreichsten globalen Institution ge- Bücher zurück, mit denen er gelernt hat. sagt: „Der Heilige Vater hat mir geschrie- genüber der Gegenwart. Und 1966 war die Zeit, in der Ratzinger sei- ben. Er habe mit dieser heftigen Reaktion Die Geschichte hat ihren Ursprung im ne Bibliothek bestückt hat. Es überrascht nicht gerechnet.“ Khoury hat den Koran Sommer vergangenen Jahres, als der mich nicht, dass er sich an dies Zitat erin- übersetzt. Er arbeitet seit Jahrzehnten mit „Schülerkreis“, ein Zirkel ehemaliger Ha- nert hat“, sagt Ulrich Sander vom Herder- Islamgelehrten zusammen. Er versteht im- bilitanden Ratzingers und theologischer Verlag, bei dem Ratzinger seit 50 Jahren mer noch nicht, was da eigentlich gesche- Vertrauter, in der päpstlichen Sommer- veröffentlicht. hen ist. Er weiß nur: „Benedikt hätte auf residenz ein Seminar zum Thema „Islam“ Es hätte andere Zitate gegeben, um ei- das Zitat verzichten können. Es wäre bes- abhält, besser gesagt zum Thema: „Gren- nen Vortrag über Vernunft und Glauben ser gewesen.“ zen des Dialogs mit dem Islam“. einzuleiten. Aber da lag Khourys Buch. MATTHIAS SCHRADER / PICTURE-ALLIANCE / DPA / PICTURE-ALLIANCE SCHRADER MATTHIAS Papst Benedikt XVI. in Regensburg (am 12. September): Die umstrittenste theologische Vorlesung seit der Bergpredigt In der römischen Kurie wird über diese Dort war gesagt worden, dass der Islam Und da war auch die Ratzingersche Lust an Tage nur noch als l’incidente, den Unfall, keine wirkliche Vorstellung von Laizität der Provokation, sein Widerwille gegen gesprochen. Als sei es nur eine Fehlbarkeit habe. Dass es keine zentrale Autorität gebe Konsens und Leisetreterei. Ein Dialog wird des Papstes gewesen. Und dann wird meist und der Koran als Gotteswort gelte, nicht nicht mit zeremoniellen Umarmungen und hinzugesetzt, dass er ja im Grunde völlig als von Gott inspiriertes Wort wie im mo- ängstlichem Schweigen geführt, sondern Recht gehabt habe. dernen Christentum. Ein „Dialog mit dem mit logos, mit Wort und Vernunft. Bene- Der Festvortrag von Regensburg ist je- Islam“ auf gleicher Augenhöhe sei daher dikt XVI. ist kein Diplomat. denfalls eine der meistgelesenen, meistzi- problematisch. Besser sei es, vom „Dialog Der Redetext geht diesmal nicht durch tierten und umstrittensten theologischen mit der Kultur des Islam“ zu reden. den Apparat der Kurie. Erst am Tag vor Vorlesungen seit der Bergpredigt. Ein Jahr später, im Juli 2006, erhält Be- der Abreise nach München bekommt ihn Am Dienstag kommender Woche wird nedikt XVI. die neue Edition der „Unter- das Staatssekretariat zugestellt. Man habe Benedikt XVI. in die Türkei reisen, nach redungen mit einem Muslim“, herausge- dem Chef das Manuskript quasi aus der „Konstantinopel“, wie es ihm kürzlich ent- geben von Théodore Adel Khoury, nach Hand reißen müssen. Er wollte bis zuletzt schlüpft ist. Eine heikle Visite. Es wird De- Rom geschickt. Offenbar hielt es nach daran feilen. Die Rede ist ihm wichtig. monstrationen geben. dem Treffen des „Schülerkreises“ jemand Zu wichtig, um von den Bedenkenträ- Ministerpräsident Erdogan hat sich be- für hilfreich, diesen Grundlagentext in gern des Staatssekretärs Angelo Soldano reits entschuldigen lassen. Dafür wird Kai- Erinnerung zu rufen. So landet der Dialog zensiert zu werden. ser Manuel II. Palaeologos den Papst bei aus dem 14. Jahrhundert auf dem päpst- Im Vier-Sterne-Hotel Platzl in der jedem Auftritt begleiten – wie ein Schatten. lichen Schreibtisch in Castelgandolfo, Münchner Sparkassenstraße werden am Regensburg war ein Einschnitt. wo der Papst in diesem Sommer unter 12. September, einem Dienstagmorgen, die der spiegel 47/2006 113 GRZEGORZ GALAZKA / AFP AL-SUDANI (L.); (R.) ESSAM Vatikan-Pressedirektor Lombardi, Journalist Politi, Ex-Sprecher Navarro Valls, brennende Papstpuppe in Basra: Verweigerte Stellungnahme Texte der päpstlichen Ansprachen ausge- elf erscheint Lombardi im Pressezentrum Es ist nicht bekannt, ob Federico Lom- teilt. Es ist fünf Uhr früh. Anders als üblich und trifft die Journalisten von AP, „Re- bardi an diesem Mittag mit dem Papst noch liegt der Festvortrag gedruckt nur in deut- pubblica“, „New York Times“ und „Los gesprochen hat. Beim Thema „Regens- scher und italienischer Sprache vor. Erst- Angeles Times“. „Da stehen ein paar burg“ ist der freundliche Jesuit zu keiner mals handelt es sich um einen „vorläufi- ziemlich aggressive Sätze gegen die Mus- Stellungnahme mehr bereit. gen“ Text, wie angemerkt wird. lime drin“, sagt Marco Politi, Vatikan-Ex- Unter Papst Wojtyla ist jeder Text von Victor Simpson ist Bürochef der Associa- perte der Zeitung „Repubblica“. „Ich habe mindestens zwei Personen gegengelesen ted Press in Rom. Er sagt: „Ich bin seit 30 gekämpft mit dem Text, um dahinterzu- worden: vom Cheftheologen des Vatikans Jahren mit Päpsten unterwegs. Ich kann eine kommen. That’s tough stuff“, sagt Victor und von einem Substituten im Staatsse- Rede lesen. Und dass diese hier etwas Be- Simpson. kretariat, meist dem Argentinier Leonardo sonderes war, sah ich auf den ersten Blick.“ Lombardi ist zu diesem Zeitpunkt be- Sandri. Benedikt hat dieses Verfahren ab- Simpson ruft den neuen Pressesprecher reits von seinem Büro in Rom alarmiert geschafft. Ein deutscher Universitätsordi- des Papstes an, den Jesuitenpater Federico worden: „Das gibt Probleme. Sie müssen narius legt keinem eine Vorlesung vor. Lombardi. Es ist dessen erste Amtsreise. mit dem Heiligen Vater reden.“ Der Pater Doch zumindest Erzbischof Paolo Sardi, Der Pater ist gerade mit Benedikt zusam- antwortet, man könne einem Papst nicht in der für die päpstlichen Texte im Staats- men in der Heiligen Messe. Simpson sagt: eine Rede hineinreden. Den Journalisten sekretariat zuständig ist und sie an die „Hören Sie, Father. Das ist eine schwieri- sagt er: „Der Papst will hier gewiss keine Übersetzer weiterreicht, muss die Rede ge- ge Rede. Da brauche ich Anleitung. Kön- Lektion erteilen, wonach der Islam als ge- kannt haben. Ebenso Ratzingers Privat- nen Sie nicht schnell rüberkommen?“ – walttätig verstanden werden müsse.“ sekretär, Prälat Georg Gänswein. Offen- „Ich versuche es“, sagt Lombardi. bar hat es keiner für möglich Bereits die Übersetzer waren über die „Es ist traurig, aber sie haben ihn gehalten, dass ein Zitat aus Mohammed-Passage gestolpert: „Jeder Byzanz die Fronten des Kari- geistigen Funzel in der Kurie wäre klar ge- in die Falle laufen lassen.“ katurenstreits wieder ent- wesen, dass so etwas diplomatisch abge- flammen könnte.
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