MASARYKOVA UNIVERZITA

FILOZOFICKÁ FAKULTA

KATEDRA GERMANISTIKY, NORDISTIKY A NEDERLANDISTIKY

MAGISTERSKÁ DIPLOMOVÁ PRÁCE

BRNO 2011 BC. LUDMILA POHANKOVÁ

MASARYKOVA UNIVERZITA

FILOZOFICKÁ FAKULTA

KATEDRA GERMANISTIKY, NORDISTIKY A NEDERLANDISTIKY

NĚMECKÝ JAZYK A LITERATURA

BC. LUDMILA POHANKOVÁ

DAS BILD DER FRAU IN DER HÖFISCHEN LYRIK IN FRANKREICH, IM

DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM UND IN ITALIEN

MAGISTERSKÁ DIPLOMOVÁ PRÁCE

VEDOUCÍ PRÁCE: MGR. SYLVIE STANOVSKÁ, DR. 2011

Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und mit Hilfe der angegebenen Literatur verfasst habe.

Brünn, 2011

3

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Frau Mgr. Sylvie Stanovská, Dr. für ihre geduldige Leitung und ihre wertvolle Zeit bedanken.

4

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung...... 7

2. Höfische Lyrik: Allgemeine Charakteristik...... 7

2. 1. Die Begriffe und trobador...... 7

2. 2. Äußere Elemente...... 8 2. 2. 1. Der mittelalterlichen Raum, die Bedeutung der Religion und die Gesellschaft...... 8 2. 2. 2. Die Geschichte der höfischen Lyrik, ihre Verbreitung und einzelne Einflüsse auf die Liebesdichtung an Adelshöfen...... 10

2. 3. Innere Elemente...... 11 2. 3. 1. Die Form...... 11 2. 3. 1. 1. Der formale Aufbau...... 11 2. 3. 1. 2. Die literarischen Gattungen und Formen...... 12 2. 3. 1. 3. Die musikalische Ausführung...... 16 2. 3. 2. Der Inhalt...... 16 2. 3. 2. 1. Die grundlegenden Aufbauelemente des klassischen Minneliedes...... 16 2. 3. 2. 2. Die Hauptprotagonisten: der Ritter und die Dame ...... 17 2. 3. 2. 3. Einige Beispiele für Motive und Metaphern; der Marienkult...... 18

3. Die Rolle der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft: historische Quellen, die Haltung der Kirche, die Bedeutung der Familie, die Erziehung der jungen Frau, das Eheleben und die Sexualität...... 22

4. Einzelne Frauentypen in höfischen Liedern...... 26

4. 1. Das Bild der Frau in Frankreich (mit ausgewählten Textbeispielen)...... 26 4. 1. 1. Die feudale und herrschende Frau ...... 28 4. 1. 2. Die weit entfernte Frau...... 31 4. 1. 3. Die Konkurrentin der adeligen Dame – ein einfaches Mädchen ...... 35

4. 2. Die Frau im deutschsprachigen Raum (mit ausgewählten Textbeispielen)...... 39 5

4. 2. 1. Die in der Liebe aktive Frau...... 40 4. 2. 2. Die ablehnende und gleichgültige Frau...... 44 4. 2. 3. Die unvollkommene und kritisierte Frau...... 51

4. 3. Das Bild der Frau in Italien (mit ausgewählten Textbeispielen)...... 54 4. 3. 1. Die verlassene und unglückliche Frau...... 55 4. 3. 2. Die schöne, tugendhafte und gelobte Frau...... 60 4. 3. 3. Die überirdische und vergöttlichte Frau...... 64

5. Zusammenfassung...... 69

6. Literaturverzeichnis...... 72

6

1. Einleitung

In meiner Arbeit werde ich mich mit dem Bild der Frau in der höfischen Lyrik in Frankreich, im deutschsprachigen Raum und in Italien beschäftigen und mit den Begriffen der höfischen Kultur allgemein arbeiten. In der allgemeinen Charakteristik werde ich die wichtigsten Aspekte der höfischen Kultur und Lyrik beschreiben: vom mittelalterlichen Raum, der Gesellschaft und der Geschichte sowie von der Verbreitung des Minnesangs bis zum formalen und inhaltlichen Aufbau der Lieder, zu den Formen und Gattungen und zu der Charakteristik der Hauptprotagonisten der Lieder. Im zweiten Teil meiner Arbeit widme ich mich detaillierter Charakteristik der Frau im Zusammenhang mit der Gesellschaft: also ihrer Rolle in der Gesellschaft und in der Familie sowie ihrer Beziehung zur Kirche. Es wird das Leben der mittelalterlichen Frau beschrieben, von ihrer Jugend und Erziehung über ihre Heirat bis hin zur Sexualität, zu den Kindern und zur Rolle der Frau im Haushalt. Weiterhin werde ich meine Aufmerksamkeit dem Bild der Frau in den höfischen Liedern in Frankreich, im deutschsprachigen Raum und in Italien widmen. Ich werde einzelnen Frauentypen, die in der höfischen Liebeslyrik vorkommen, beschreiben und auch zahlreiche Beispiele französischer, deutschsprachiger und italienischer Lieder beifügen. Der Bereich des Minnesangs ist sehr umfangreich; weshalb hier nur die wichtigsten Punkte behandelt werden.

2. Höfische Lyrik: Allgemeine Charakteristik

2. 1. Die Begriffe Minnesang und trobador

Der Begriff Minnesang bezeichnet die Äußerung des Liebesgefühls eines höfischen Mannes gegenüber einer höfischen Dame (das Wort Minne bezeichnet im 7 mittelalterlichen Kontext die liebende Beziehung, somit ein Liebeslied); es handelt sich typischerweise um Trauer über die unerwiderte Liebe eines höfischen Mannes – Ritters – zu einer hochgestellten, in der Regel verheirateten Frau. Ursprünglich war Minne die Bezeichnung für Beziehung zu Gott oder den Menschen, sie erscheint demnach in neuer, sexueller oder erotischer Hinsicht. Diese neue Bedeutungsdifferenzierung hängt mit der Entstehung der neuen Adelsschicht und allgemein mit kulturellen, sozialen und ökonomischen Änderungen in der Gesellschaft im zwölften Jahrhundert zusammen. Der okzitanische Begriff trobador (französisch: troubadour, italienisch: trovatore, spanisch: trovador, portugiesisch: trovadar, tschechisch: trubadúr) entstand aus dem Wort trobar, was sowiel bedeutet wie finden, erfinden und – übertragen – dichten oder ein Lied schaffen. Die Trobadors waren demnach Dichter und Sänger der höfischen Lyrik.

2. 2. Äußere Elemente

2. 2. 1. Der mittelalterlichen Raum, die Bedeutung der Religion und die Gesellschaft

Das Mittelalter war eine Zeit ständiger Streitigkeiten zwischen dem weltlichen und dem kirchlichen Element. Gott wurde allgemein als unbezweifelbare Autorität anerkannt und die Kirche spielte eine wesentliche und sogar unersetzbare Rolle in der Gesellschaft. Die höfische Lyrik entstand in einer sehr religiös orientierten Zeit: Religion stellte den roten Faden des Mittelalters dar. Die mittelalterliche Weltwahrnehmung war auf das Abstrakte und Allgemeine orientiert; die Aufmerksamkeit und das menschliche Denken war auf die Geisteswelt, auf das Übernatürliche, auf den transzendentalen Gott und das ewige Leben ausgerichtet. Diese Aspekte beeinflussten deshalb das gesamte irdische Handeln. Gott war in allem präsent, alle Taten hatten neben ihrer primären Bedeutung auch ihre moralische und religiöse Ebene – also nicht nur eine konkrete, sondern auch eine abstrakte Dimension. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang zum

8

Beispiel die Welt der Zahlen, die mit verschiedensten magischen und moralischen Bedeutungen verbunden waren; die Symbole und Metaphern weisen auf eine tiefere Ebene hin. Die Kirche und ihre Gesetze wurden somit nicht mehr wie früher hinterfragt, sondern wurden sie als Summe der Gesetze streng befolgt. Für die Übertretung dieser Gesetze drohte nicht nur eine irdische Bestrafung, sondern auch die ewige Verdammnis. Im Vordergrund standen also vor allem die Ideenwelt, ewige Werte und der Glaube an ein Leben nach dem Tod. Religion wurde zwar zu einem untrennbaren Teil des alltäglichen Lebens, zu gleicher Zeit entwickelten sich aber Bestrebungen der Adelsschicht, sich in bestimmten Bereichen des Lebens gegenüber den Klerikern abzugrenzen. Diese neue kulturelle Entwicklung, die mit den ritterlichen Werten, mit der Notwendigkeit des Selbst- Definierens und mit neuen Formen der Emotionalität zusammenhing, bedeutete eine Öffnung für ästhetische Werte. Allmählich begann auch die soziale und wirtschaftliche Veränderung und Erneuerung; Patrizierhäuser wurden reich und dank des materiellen Wohlstands etablierte sich ein neues kulturelles Element, das nicht mehr mit einer Imitation antiker Vorbilder verbunden war, sondern durch neue Methoden eine neue Stimmung ausdrückte. Die Beziehung der höfischen Lyrik zur Kirche war problematisch. Die Kirche herrschte mit strengen Gesetzen und in diesem Sinne begingen Minnesänger gleich mehrere Sünden: sie bewunderten und vergöttlichten sogar eine Frau (die Frau kann in eine überirdische, engelhafte Schöpfung sublimieren, was im Konflikt mit Gott steht), sie lieben eine verheiratete Frau (eine solche Liebe war selbstverständlich verboten), und gewisse Lieder beinhalteten sogar eine mehr oder weniger deutliche Anspielung auf die körperliche Liebe. Auf der anderen Seite war die Beziehung zwischen Minnesängern und ihren Gönnern sehr gut; der Gönner garantierte dem Minnesänger materielle Absicherung und der Sänger verewigt die guten Eigenschaften seiner Wohltäter in einem Lied. Was die Frage der Ehe betrifft, wurden Heiraten in der Zeit des Mittelalters ohne Rücksicht auf Liebe geschlossen, sondern nur aus ökonomischen oder gesellschaftlichen Gründen; die gegenseitigen Gefühle der zukünftigen Lebensgefährten spielten damals keine Rolle. Beide, Männer und Frauen, litten an fehlender Liebe, die

9

Liebesdichtung ist demnach ein notwendiges Produkt dieser Zeit, die der Liebe sonst keinen hohen Stellenswert beimisst.

2. 2. 2. Die Geschichte der höfischen Lyrik, ihre Verbreitung und einzelne Einflüsse auf die Liebesdichtung an Adelshöfen

Die höfische Lyrik entstand in Südfrankreich gegen Ende des elften Jahrhunderts. Was die Entstehung der lyrischen Liebesdichtung betrifft, gab es mehrere Einflüsse – eine wichtige Rolle spielten besonders die Kreuzzüge und die damit zusammenhängende Begegnung mit der neuen, unbekannten islamischen Kultur, die eher durch Bilder als durch Wörter gekennzeichnet ist. Zur Entwicklung der höfischen Lyrik trug auch der Kontakt zwischen den Arabern, den Bewohnern der nicht entfernten Pyrenäenhalbinsel und den adligen Höfen in Südfrankreich bei. Weitere wichtige Faktoren waren vor allem ein steigender materieller Wohlstand, die Etablierung der neuen Adelsschicht und die stabilere politische Situation. Mit der Entstehung der höfischen Lyrik in Südfrankreich hängt auch die allmähliche Entwicklung des Marienkultes ab dem zwölften Jahrhundert zusammen. Die provenzalische Liebeslyrik erlebte ihre Blütezeit in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts und war so populär, dass sie sich allmählich auch auf die adligen Höfe anderer Länder übertrug. Zuerst verbreitete sich die höfische Lyrik nach Nordfrankreich, dann nach Südeuropa – auf die adligen Höfe in Spanien, Portugal und Italien. Später wurden auch der deutschsprachige Raum und Böhmen beeinflusst und schließlich sogar die lateinische Literatur. Die dynastischen Verbindungen zwischen Deutschland und Frankreich und besonders der Hof des Kaisers des Heiligen römischen Reiches Fridrich Barbarossas (1122-1190) wurden zum wichtigen Berührungspunkt, weil seine Züge nach Italien und sein Kreuzzug nach Jerusalem eine intensivere Mischung der Kulturen bedeuteten. Auch der Schriftsteller und Geistliche Andreas Capellanus, der im zwölften Jahrhundert in Frankreich lebte, hatte einen Einfluss auf die Liebesdichtung. In seinem dreibändigen Traktat De amore beschreibt er, wie man die Liebe gewinnen und behalten kann, und er fügt dazu zahlreiche Beispiele an. Das Traktat wurde schnell sehr populär und seine Übersetzung in andere Sprachen (vor allem ins Französische, Deutsche und

10

Italienische) trug eben zur größeren Popularität und Verbreitung des Werkes und seiner Gedanken bei.1 Nach etwa drei Generationen verlor die so populäre Liebesdichtung allmählich an Bedeutung. Dieser natürliche Niedergang hing mit dem schwacher werdenden Einfluss des Adels und dem Aufschwung des Bürgertums zusammen. Nichtsdestotrotz waren das Phänomen und die Gedanken der höfischen Liebesdichtung so intensiv, dass auch spätere Perioden von diesem Muster inspiriert wurden.

2. 3. Innere Elemente

2. 3. 1. Die Form

2. 3. 1. 1. Der formale Aufbau

Das höfische Liebeslied ist in der Regel in mehrere Strophen aufgeteilt; der gleiche Inhalt wird stets abgewandelt. Das ist mit Hilfe der Variation möglich – der Minnesänger formuliert und akzentuiert seine Verse immer neu, somit weisen die Gedichte eine Vielzahl von Bildern und Metaphern auf. Die bekannteste Form ist die Minnekanzone. Ein anderes wichtiges Merkmal der höfischen Lyrik ist das Zeremonialhandeln. Obwohl sich die höfische Lyrik gegenüber der Kirche abgrenzte, übernahm sie automatisch das Zeremonialhandeln der Kirche und transformierte es in ein höfisches Ritual. Die hoch ritualisierte Form des Liedes zeigt sich in dessen innerem Aufbau, der durch etablierte Regeln und gewisse Schemata kennzeichnet ist. Was das Versschema und die rhythmische Struktur des Gedichtes betrifft, gingen die Verfasser vor allem von den altfranzösischen provenzalischen Mustern aus. Sie versuchten, den wohlklingenden Eindruck des Liedes zu imitieren und zugleich den lateinischen Hexameter zu verlassen. Das strenge Metrum war nicht mehr so wichtig wie früher und die Verfasser konnten jetzt freier schreiben. Mit Hilfe der erwähnten Variation entstanden neue Motive und subjektive Bilder.

1 Vgl. Bumke, S. 505-507. 11

In der höfischen Lyrik kommen häufig entwickelte, stilistische Mittel und ein komplizierter innerer Aufbau vor; oft weist sie eine Reihe von Stilfiguren wie Metaphern, Metonymie und Oxymoronen auf, weiterhin auch Lautmalerei und verschiedenste Redewendungen beziehungsweise Handlungsänderungen sowie vor allem eine Vielzahl lobender Genitive. Beliebt war auch der so genannte Unaussprechbarkeitstopos2: der Schriftsteller findet vor Liebe keine Worte für die Schönheit der Dame und kann nicht sprechen, wenn er die höfische Dame sieht. Liebesdichtung wurde in der Regel in den Volkssprachen abgefasst; im Gegensatz zur kirchlichen Poesie, die in der angesehendsten Sprache geschrieben wurde, nämlich in Latein.

2. 3. 1. 2. Die literarischen Gattungen und Formen

Die wahrscheinlich am meisten verbreitete literarische Gattung, die ganz im Geiste des höfischen Paradigmas steht, war das sogenannte hohe Minnelied (cansó im Provenzalischen, chanson d’amour in Frankreich), das die komplizierte Liebesbeziehung zu einer unerreichbaren Frau, den treuen Dienst feudalen Charakters und leidenschaftliche Trauer zum Thema hatte. Je nachdem, welches Thema im klassischen Minnelied überwiegt, kann man zum Beispiel zwischen Preislied oder Klagelied unterscheiden. Neben dem klassischen Muster des Liedes entwickelte sich allmählich eine Reihe anderer Gattungen, die die Liebe zum Thema hatten. Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten beschrieben: Das Tagelied oder Alba (chanson d’aube) thematisiert die Trennung des adligen Liebespaares nach der zusammen verbrachten Nacht, es handelt sich demnach um einen Abschiedsdialog der Liebenden. Das heißt, dass die Liebe der beiden erfüllt war – was im strengen Gegensatz zum klassischen oder hohen Minnelied steht, in dem die physische Erfüllung der Liebe undenkbar ist. Auf der anderen Seite muss die Liebe geheim gehalten werden, wie es auch im klassischen Minnesang der Fall ist. Im Tagelied spielen Vögel die Rolle des Wächters, die die Liebenden rechtzeitig am Morgen mit ihrem Gesang aufwecken, oder eine neue Figur, beispielsweise ein Freund

2 Vgl. Schweikle Unsagbarkeitstopos: „der Preisende fühlt sich nicht imstande, Worte für Schönheit und Tugend der Dame zu finden“ (Schweikle, S. 202). 12 des Liebespaares oder ein Diener. Dieser Liedtypus war sehr beliebt, weil er die Spannung und die mit der Liebe verbundene Gefahr andeutete. Tagelieder werden später sehr oft in weiteren Ländern Europas geschrieben; als Beispiel kann das älteste überlieferte, deutschsprachige Tagelied Slâfst du, friedel ziere angeführt werden. Ein Beispiel par excellence ist beim Trobador Giraut de Bornelh zu finden: Bel companho, si dormetz o veillatz? Lieber Freund, schläfst du oder bist du auf? Non dormatz plus, suau vos ressidatz, Schlaf nicht mehr, steh leise auf, q’en orïent vei l’estela creguda denn im Osten sehe ich den aufsteigenden qu’amena·l jorn, qu’eu lai ben coneguda, Stern, der den Tag ankündigt, das weiß ich e ades sera l’alba.3 sehr gut, und bald wird der Tagesanbruch sein.

Das Kreuzzugslied (croisade) ist eine andere Art von Liebesgedicht; es beschreibt den Zwiespalt des Dichters zwischen der Pflicht gegenüber Gott und der Pflicht gegenüber seiner Dame. Im Lied verabschiedet sich ein adliger Mann, ein Ritter, von seiner geliebten Frau, weil er auf den Kreuzzug muss. In ihm kämpfen die Pflichtgefühle gegenüber der Gesellschaft und Gott mit der Sehnsucht nach seiner Frau. Zwei Persönlichkeiten streiten sich in ihm: der Ritter und der Verliebte. Auf diese Weise steigert sich die Spannung zwischen zwei gegensätzlichen Elementen, zwischen der Kirche und der sehnsüchtigen Liebe. Die Dichotomie des Helden zeigt, dass das Herz bei der Dame ist, während der Leib kämpfen will. Ein Beispiel des französischen Dichters Conon de Béthune: Ahi! Amours! com dure departie O weh, Liebe! Wie hart die Trennung von der me covenra faire de le meillour besten Dame ist, die vom Manne geliebt ki onkes fust amee ne servie! wurde und der der Mann diente! Deus me ramaint a li, par se douchour, Barmherziger Gott, führe mich wieder zurück si voirement ke m’en part a dolour! zu ihr, so sicher, wie ich jetzt traurig von ihr Las! c’ai jou dit? Ja ne m’en part jou mie! scheide! Weh! Was habe ich gesagt? Ich Se li cors vait servir nostre Seignour, trenne mich von ihr nicht! Obwohl mein Leib li cuers remaint dou tout en se baillie.4 unserem Herrn dienen will, bleibt mein Herz

3 Goldin, S. 194. Übersetzung von Goldin: Fair friend, are you asleep or awake? Sleep no longer, rise up quietly, for in the east I see the star grown big that spurs on the day, I knew it clearly, and soon the dawn will rise. 4 Goldin, S. 338. Übersetzung von Goldin: Alas, Love, what hard leave I must take from the best lady a man ever loved and served. May God in his goodness lead me back to her as surely as I part from her in 13

ganz in ihrer Gewalt.

Die typisch okzitanische literarische Gattung ist die pastourelle, das Hirtengedicht, das in der Regel die Begegnung eines höfischen Mannes (Ritters) mit einem gesellschaftlich niedriger gestellten Mädchen schildert, die mit der körperlichen Vereinigung beendet werden kann (abhängig von der Entscheidung des Mädchens). Das Hauptthema der Pastourelle ist demnach der liebende Dialog bei der Begegnung eines adeligen Mannes und einer Hirtin, wobei die mögliche Verführung der Hirtin folgt. Der liebende Dialog sowie auch andere Aktivitäten der Liebenden werden von der wunderschönen, idyllischen Landschaft im Hintergrund umrahmt. Auch diese literarische Gattung steht mit ihrer Verwirklichung der Liebe und mit ihrem offenen Gespräch über die körperliche Vereinigung im Gegensatz zum klassischen Minnesang. Die Pastourelle ist provenzalischen Ursprungs; gegen Ende des zwölften Jahrhunderts verbreitete sie sich nach Nordfrankreich und danach weiter in andere Länder. Als eine der bekanntesten Pastourellen ist L’autrier jost’ una sebissa von Marcabru zu nennen; als ein weiteres Beispiel kann die Pastourelle von Thibaut de Champagne angeführt werden: L’autrier par la matinee Am Morgen des anderen Tages, zwischen entre un bois et un vergier Wald und Obstgarten, fand ich eine Hirtin, une pastore ai trouvee wie sie zum Vergnügen ein Lied über die chantant por soi envoisier, Liebe im Frühling singt. et disoit un son premier.5

Eine andere, ursprünglich provenzalische literarische Gattung ist sirventés, der der cansó der Form nach ähnelt. Im sirventés lobt ein Dichter seinen Gönner oder Herrscher; diese feudale Relation kann auch auf die Liebesbeziehung des höfischen Mannes zu der höfischen Dame übertragen werden. Außerdem thematisiert sirventés oft auch politische Ereignisse mit moralisch-didaktischem oder satirischen Charakter.

grief. Alas, what have I said; I do not part from her at all. If my body goes to serve our Lord, my heart remains all in her power. 5 Goldin, S. 474. Übersetzung von Goldin: The other day in the morning between some woods and an orchard I found a shepherdess singing for her pleasure; it was a song about love in spring. 14

Ein Liedbeispiel des klassischen Minnesangs ist das Werbelied. Im Werbelied wirbt ein Ritter um eine höfische Dame, er bleibt aber im Gegensatz zu den vorherigen Fällen ungehört. Der Wechsel ist der Form nach ein Dialog. Die Rede der Dame und die Rede des Ritters, beziehungsweise zusätzlich auch die Rede des Erzählers wechseln sich ab; die einzelnen Protagonisten wissen aber nicht voneinander. Es entstehen demnach mehrere selbständige Monologe, die aber inhaltlich zueinander passen – die Handlung wird auf diese Weise entwickelt. Im Südeuropa ist neben den bekannten Gattungen wie Preislied oder Tagelied auch zum Beispiel ballata populär, in der sich immer ein Refrain wiederholt, contrasto, ein Dialog, in der Regel zwischen zwei Liebenden, malmaritata (chanson de la mal- mariée), die die Klage der verheirateten Frau über ihrem Ehemann behandelt. Ein Beispiel der letztgenannten Gattung ist in einem französischen Lied zu finden: Por coi me bait mes maris, Warum schlägt mich mein Ehemann, laisette! der alte Taugenichts! Je ne li ai rienz mesfait Ich habe ihm nichts Schlechtes getan, ne riens ne li ai mesdit ich habe zu ihm nichts Schlechtes gesagt, fors c’acolleir mon amin ich habe nur meinen Geliebten umarmt, soulette.6 heimlich.

Ein typisch italienisches Produkt ist das Sonett (sonetto). Das Sonett wird nicht durch seinem Inhalt, sondern durch seine Form charakterisiert; das ursprünglich provenzalische Wort sonet bezieht sich auf seine Verknüpfung mit der Musik und auch sein Vers- und Reimschema tragen zum besonderen Wohlklang bei: das Sonett besteht üblicherweise aus vierzehn Verszeilen – wobei die einzelnen Verse in der Regel elfsilbig (endecasillabi) sind –, aufgeteilt in zwei Quartette und zwei Terzette. An den formalen Aufbau knüpft die logische Aufteilung des Inhalts an: in den Quartetten wird ein Problem vorgestellt, während es in den Terzetten gelöst wird. Die italienische Sprache ist durch ihre Akzentstellung, ihre Melodizität und hohen Anzahl an Vokalen sehr gut für das Sonett geeignet; Sonette wurden auf Italienisch am häufigsten

6 Goldin, S. 410. Übersetzung von Goldin: Why does my husband beat me, worn-out wretch? I’ve done nothing against him, or said bad things about him ever, I only put my arms around my lover and that was in private. 15 geschrieben und diese beliebte poetische Gattung verbreitete sich später auch weiter, gen Spanien, Frankreich und England.

2. 3. 1. 3. Die musikalische Ausführung

Die höfische Lyrik wurde stets mit musikalischer, manchmal auch dramatischer Begleitung verbunden, jedoch nie als gesprochener oder gelesener Text reproduziert. Die Verse sind an eine konkrete Melodie gebunden, die die Bedeutung des Gedichtes hervorhebt und akzentuiert. Die musikalische Realisation konnte durch die Veränderung des Tempos oder der Stimme einen wichtigen Teil des Liedes betonen; die gesamte musikalische Präsentation bekam dadurch eine neue Dimension. Die Musik ist hier also eng mit dem Wort verbunden; allerdings ist es heutzutage schwierig, ein Lied auf diese Weise zu realisieren, da nur wenige Melodien erhalten sind und auch ihre genaue Form uneindeutig sein kann.

2. 3. 2. Der Inhalt

2. 3. 2. 1. Die grundlegenden Aufbauelemente des klassischen Minneliedes

Das klassische Minnelied besteht aus gewissen grundlegenden Bausteinen. Diese Bausteine stellen den roten Faden eines konkreten Gedichts dar, wobei nicht alle immer verwendet werden müssen. In den hohen Minneliedern erscheinen demnach folgende grundlegende Bausteine: Frauenpreis (der Ritter preist seine Dame und lobt sie, er singt über ihre Tugenden und ihre physische und psychische Schönheit), Darlegung der Leistung (der Ritter beschreibt seinen Dienst und teilt seine Erfahrungen mit dem Dienst der Dame mit); Lohnforderung (der Ritter fordert für seinen Dienst einen Lohn von der Frau – es reichen ihm ein Anlachen oder ein Kopfnicken); Klage über die Nichterhörung (falls die Dame dem Ritter nicht freundlich geneigt ist); Reflexion über die Gründe der Nichterhörung und Reflexion über die Konsequenzen (die Dame ist gegenüber dem

16

Ritter ablehnend; der Ritter verspricht trotz aller Ablehnung einen lebenslangen Dienst ohne Lohnforderung, er verspricht der Dame seine lebenslange Treue und Liebe).7

2. 3. 2. 2. Die Hauptprotagonisten: der Ritter und die Dame

Die Protagonisten des klassischen Minneliedes sind in den meisten Fällen der höfische Mann und die höfische Frau. Die beiden Protagonisten sind Angehörige des Hofes, besonders bei der Dame wird der hohe gesellschaftliche Rang akzentuiert. In Bezug auf die gesellschaftliche Konvention muss die verheiratete Frau geheim und anonym besungen werden; der Name der Frau wird in den Liedern nicht erwähnt. Diese Tatsache hat zwei Gründe: die schlichte Verheimlichung des Namens der konkreten Frau – wenn das Lied an eine konkrete Frau adressiert wäre, und die Möglichkeit aller Frauen – Zuhörerinnen –, sich mit der unbekannten, besungenen Dame zu identifizieren. Im hohen Minnelied spricht ausschließlich der Ritter und bietet der Frau seine besten Eigenschaften, die so genannten ritterlichen Tugenden an, zu denen vor allem lebenslange Treue, Dienst und Beständigkeit zählen. Mit diesen ritterlichen Tugenden hängen die Hauptfunktionen der höfischen Lyrik zusammen: die Repräsentation (der Ritter repräsentiert sich selbst), die Abgrenzung (der Ritter grenzt sich gegenüber den anderen Gruppen in der Gesellschaft – Klerikern und Bauern – ab) und erzieherische Funktion (der Ritter will immer besser für die Frau sein und die Frau inspiriert ihn; gleichzeitig stellt er ein Beispiel des vorbildlichen Ritters und der guten Sitten dar). Der Ritter sieht in seiner geliebten Frau seinen Lebenssinn, seine Lebenserfüllung und sehnt sich nach der Erwiderung seiner Liebe (zum Beispiel in Form eines Anlachens, einer Umarmung, oder sogar eines Kusses von der Dame, bzw. in Form einer anderen Art von physischem Kontakt). Zur Zeit des klassischen Minnesangs ist die Dame dem Ritter gegenüber in der Regel ablehnend und unerreichbar.8

7 Vgl. Seminar Heinrich von Morungen (Sommersemester 2008), gehalten von Frau Mgr. Sylvie Stanovská, Dr. 8 Vgl. Seminar Heinrich von Morungen (Sommersemester 2008), gehalten von Frau Mgr. Sylvie Stanovská, Dr. 17

Die adelige Frau wird vom Ritter als Idealbild dargestellt. Die Frau spricht im klassischen Minnelied gewöhnlich nicht; andererseits können auch sogenannte Frauenstrophen vorkommen, in denen die Frau spricht. Die idealisierte Dame besitzt wichtige höfische Werte und Qualitäten wie körperliche Schönheit und geistige Tugenden wie Treue, Zucht, Wohlerzogenheit, angemessenes Verhalten, Frömmigkeit und edle Gesinnung. Die Frau kann verheiratet (in der Regel in deutschsprachigen Ländern), oder ledig sein (zum Beispiel in der französischen oder italienischen Lyrik üblich). Die vollkommenen Tugenden der Frau werden oft vergöttlicht – sie wird mit Gott gleichgestellt. Die Frau kann so in eine engelhafte, überirdische und nicht materielle Schöpfung sublimieren, wie es zum Beispiel beim italienischen Verfasser Petrarca nach dem Tode seiner Geliebten Laura der Fall ist. Diese Vergöttlichung der Frau steht wieder im Kontrast zur Sichtweise der mittelalterlichen Kirche, die an einen einzigen Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde glaubt. Die Qualitäten der Frau sind vorbildlich und ideal; es ist gleichzeitig notwendig, anzumerken, dass es sich um eine idealisierte literarische Schöpfung handelt. Die beiden Hauptprotagonisten der höfischen Lyrik – sowohl der Ritter als auch die Dame – stellen in der Regel nur abstrakte literarische Schemata dar. Höfische Lyrik ist Rollenlyrik und die einzelnen Rollen (der Ritter und die Dame) sind genau festgelegt. In den meisten Fällen handelt es sich also nicht um konkrete Personen.

2. 3. 2. 3. Einige Beispiele für Motive und Metaphern; der Marienkult

Die Technik der Variation ist charakteristisch für Minnesang; die reiche Variationsfähigkeit ermöglicht dem Minnesänger, dieselben Rollen neu zu formulieren und zahlreiche Motive zu benutzen. In den Liedern des klassischen Minnesangs erscheinen oft verschiedenste Motive, die das innere Leiden des verliebten Mannes beschreiben. Einer der Vertreter des hohen Minnesangs, Heinrich von Morungen, beklagte sich in einem klassischen Minnelied über die Gleichgültigkeit seiner Dame und sagt: „hêt ich nâch gote ie halb sô vil gerungen, er nême mich hin zim ê mîner tage“ MF 136,23. Der Minnesänger Burggraf von Rietenburg begründet die Ungunst seiner Dame damit, dass sie ihn auf die 18

Probe stellt. Letztendlich wird er jedoch besser und stärker: „Sît si will versuochen mich, daz nime ich allez für guot. sô wirde ich góldé gelîch, daz man dâ brüevet in der gluot und versúochét ez baz. bezzer wirte z umbe daz, lûter, schœner unde clâr“ MF 19,17. In den Liedern erscheinen nicht nur Variationen der Klage über die Nichterhörung, sondern auch Variationen des Frauenpreises. Francesco Petrarca lobt die höfische Dame mit den folgenden schönen Wörtern: „I’vidi Amor che’begli occhi volgea soave sì ch’ogni altra vista oscura da indi in qua m’incominciò a ’pparere.“9 (Ich sah in ihren Augen Amorn spielen, so hold, Sennuccio, daß mir seit der Stunde ein jeder Glanz erschien wie dunkles Grauen). Manchmal erscheinen auch implizite erotische Anspielungen, wie zum Beispiel beim Trobador Arnaut Daniel: „Del cors li fos, non de l’arma, e cossentis m’a celat dinz sa cambra!“10 (Ich sollte ihr sein mit meinem Leib, nicht mit meiner Seele, und sie sollte mir erlauben, dass ich in ihrem Gemach verstecken würde). In diesen Versen wird eine ziemlich offensichtliche Anspielung auf die körperliche Vereinigung benutzt. Bei ist die Anspielung auf die physische Vereinigung ebenfalls sehr eindeutig: „sô wol mich danne langer naht, gelæge ich als ich willen hân!“ MF 35,20. Ab dem zwölften Jahrhundert nimmt der Marienkult allmählich an Popularität zu und ist bald weit verbreitet. Beim Frauenpreis übernimmt der Minnesänger einige Metaphern und Symbole, die in der Marienverehrung benutzt werden. Es geht vor allem um die Symbolik der Himmelskörper, meistens der Sonne und der Sterne. Eine andere Metapher für die Jungfrau Maria ist das Bild des Tages, der mit seinem Tageslicht Freude und Hoffnung bringt, gleichzeitig ist er für den Ritter ebenso unerreichbar. Als Beispiel können die folgende Verse von Heinrich von Morungen angeführt werden: „Wâ ist nu hin mîn liehter morgensterne? wê waz hilfet mich daz mîn sunne ist ûf gegân?“ MF134,35. Die Farben- und Blumensymbolik hängt auch mit der Mariensymbolik zusammen – unter den Farben gelten vor allem weiß, rot und blau als Marienfarben: „doch wart ir varwe liljen wîz und rôsen rôt.“ MF 136,5. Die Blumen Lilie und Rose symbolisieren Keuschheit und Liebe: „sô reine rôt, sô reine wîz, hie roeseloht, dort

9 Petrarca, S. 46-47. 10 Goldin, S. 220. Übersetzung von Goldin: Let me be hers with my body, not my soul, let her hide me in her chamber. 19 liljenvar.“11 Meinloh von Sevelingen, ein Vertreter des frühen Minnesangs, weist sogar direkt auf die christlichen Wallfahrten hin und vergleicht den Ziel seiner Wanderung – die geliebte Frau – mit der heiligen Maria: „Dô ich dich loben hôrte, dô het ich dich gerne erkant. durch dîne tugende manige fuor ich ie sende, unz ich dich vant.“ MF 11,3. Andere höfische Metaphern wurden durch arabische Liebesdichtung beeinflusst12; es handelt sich dabei hauptsächlich um Vergleiche zum leuchtenden Mond, es sind besonders diese Bilder, die die Schönheit der Frau mit dem scheinenden Vollmond gleichsetzen. Diese Vergleiche sind vor allem für Heinrich von Morungen charakteristisch: „alse der mâne vil verre über lant liuhtet des náhtes wol lieht unde breit sô daz sîn schîn al die welt umbevêt, alse ist mit güete umbevangen diu schône.“ MF 122, 4. Die Welt der Natur bietet den Dichtern ebenfalls eine reiche Quelle an Inspiration; vor allem die Symbolik der Jahreszeiten spielt in der höfischen Lyrik eine große Rolle. Winter bedeutet Stillstand und negatives Abkühlen der Liebesbeziehung, Frühling beschreibt das Aufblühen des Liebesgefühls und eine günstige Zeit für die Liebe. Compiuta Donzella schreibt über die Liebesfreude im Frühling: „A la stagion che ’l mondo foglia e fiora, acresce gioia a tutti fin’ amanti.“13 (Zu der Zeit, da die ganze Welt Blätter treibt und blüht, wächst die Freude bei allen höfischen Verliebten). Der Zusammenhang zwischen Liebe und Natur ist so eng, dass Naturbilder in der höfischen Lyrik sehr oft als Metapher oder Vergleiche vorkommen. Interessant ist zum Beispiel auch die Metapher des geliebten Mannes als Schwalbenfalke; über den Falken schreiben zum Beispiel Der von Kürenberg in seinem sogenannten Falkenlied und später auch die sizilianische Dichterin Nina in einer Frauenstrophe des Gedichtes Tapina in me. C’amava uno sparvero. Eine andere, häufige Metapher ist das Bild der Nachtigall, die den Vorboten der Liebe darstellt. Diese Metapher ist meistverbreitet: in Frankreich bei Le Châtelaine de Couci („La douce voiz del rosignol sauvage…me radoucist mon coeur“14 Die süße Stimme der Wildnachtigall…macht mein Herz süß), im deutschsprachigen Raum bei

11 Hunger, S. 82. 12 Vgl. Seminar Heinrich von Morungen (Sommersemester 2008), gehalten von Frau Mgr. Sylvie Stanovská, Dr. 13 Tosto, S. 145. 14 Groult, S. 172. 20

Walther von der Vogelweide („…schône sanc diu nahtegal“15) und in Italien bei Petrarca („e ’rosigniuol che dolcemente all’ombra tutte le notti si lamenta e piange, d’amorosi pensieri il cor ne ’ngombra“16 und dann die Nachtigall in schatt’gen Ranken, die alle Nächte süße Klag anstellet, beladet unser Herz mit Liebsgedanken). Andere Metaphern und Vergleiche der höfischen Lyrik basieren auf älteren literarischen Werken. So vergleicht zum Beispiel der Dichter die psychische Verletzung des verliebten Mannes mit einer Gestalt aus der antiken Mythologie, Narziss: „c’aissi·m perdei com perdet se lo bels Narcissus en la fon.“17 (Und so bin ich verloren, wie sich der Schöne Narziss in der Quelle verloren hat). Das Narzissbild erscheint ursprünglich in den Metamorphosen Ovids und ist ein Symbol für Tod. Ein anderes Beispiel ist die Anspielung an das französische Heldenepos Tristan und Isolde, deren Liebe später zahlreiche Schriftsteller inspirieren sollte. In einer Kanzone sagt der Italiener Giacomino Pugliese: „E non credo che Tristano Isaotta tanto amasse.“18 (Ich glaube nicht, dass Tristan Isolde so viel liebte). Der Trobador Bernart de Ventadorn vergleicht seine Liebe zur Liebe Tristans: „Plus trac pena d’amor de Tristan l’amador“19 (Ich leide an größeren Qualen als Tristan, der Geliebte). Eine Anspielung auf Tristan macht auch Heinrich von Veldeke in seinem Werk: „Tristrant mûstẹ ânẹ sînen danc stâde sîn der koninginnen.“ MF 58,35. Die einzelnen Vergleiche und Metaphern sind in der lyrischen Dichtung weit verbreitet. Die Technik der Variation ermöglicht es, dieselben Motive neu zu formulieren und akzentuieren.

15 Frings, S. 37. 16 Petrarca, S. 10-11. 17 Goldin, S. 146. Übersetzung von Goldin: and I have lost myself, as fair Narcissus lost himself in the fountain. 18 Frings, S. 55. 19 Goldin, S. 132. Übersetzung von Goldin: I bear more pain from love than Tristan the lover. 21

3. Die Rolle der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft: historische Quellen, die Haltung der Kirche, die Bedeutung der Familie, die Erziehung der jungen Frau, das Eheleben und die Sexualität

Was die Rolle der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft betrifft, so ist das historische Belegmaterial nicht so zahlreich wie es bei Männern der Fall ist. Die Gesellschaft wurde von Männern beherrscht, deshalb sprechen historische Quellen nur selten über die Frau. Der Mangel an entsprechenden historischen Quellen oder ihre Verzerrung führte in der Vergangenheit zu lediglich geringem Interesse an der Erforschung der Frauenrolle. Heutzutage ist die Situation besser, besonders über höhergestellten Frauen (vor allem adelige Frauen und Königinnen) haben wir mehr Informationen. Unter den wichtigsten historischen Quellen, die zur Erforschung der Rolle der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft beitragen, sind zum Beispiel Beichtspiegel, die eine gute Vorbereitung auf die Beichte ermöglichten, weiterhin von Frauen geschriebene Briefe, Handschriften sowie Traktate und Predigten, die von Priestern verfasst wurden. Solche Texte sind jedoch meistens voreingenommen geschrieben, weil sie für gewöhnlich die negative kirchliche Ansicht des weiblichen Geschlechts widerspiegeln. Eine wesentliche Rolle in der Frauenforschung spielen auch nichtliterarische Quellen, wie beispielsweise Archäologie und bildende Kunst.20 In der mittelalterlichen Gesellschaft war die Aufmerksamkeit nicht auf die Frau, sondern auf den Mann gerichtet. Frauen stellten nur ein ergänzendes Element dar. Manche mittelalterliche Schriften betonen die Minderwertigkeit der Frau; es gibt sogar einige Schriften, die die Identität der Frau als Mensch infrage stellen. Andererseits gibt es auch Schriften, die die Stellung der Frau verteidigen oder Schriften, die zwischen bösen und ehrwürdigen Frauen unterscheiden. Den entscheidenden Einfluss auf die Ansicht der mittelalterlichen Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft hatte die Kirche. Weil ein ungläubiger Mensch praktisch nicht existierte, war die Meinung der Kirche entscheidend. Nach Meinung der Kirche war die Frau ein lügenhaftes und böses Geschöpf mit einem unvollkommenen und wechselnden

20 Vgl. Kopičková. 22

Charakter, eine ewige Eva. Die übermächtige Tradition christlicher Frauenfeindlichkeit geht von der Bibel aus: in der Bibel stellt die Gestalt der Eva eine Offenbarung der weiblichen Natur dar: die Frau ist von Geburt an ungehorsam, sie ist physisch und moralisch schwach und mit dem Teufel im Bunde, manchmal ist sie sogar mit dem Teufel identisch. Eva – als die Verkörperung der Sinnlichkeit und des Bösen – steht im Gegensatz zur Jungfrau Maria, die die Keuschheit und christliche Tugend repräsentiert. Der italienischer Philosoph und Theologe Thomas von Aquin behauptet, dass die Frau mit ihrer geringeren Körperkraft und geistigen Minderwertigkeit zur Dienstbarkeit und Untertänigkeit bestimmt ist.21 Seit dem zwölften Jahrhundert steigerte sich die Popularität des Marienkultes. Diese Tatsache hängt mit der Ansicht zusammen, dass die Frau ihre sündhafte Natur überwinden und sich auf diese Weise der Jungfrau Maria annähern kann. Die Vorstellungen von der Minderwertigkeit und Schlechtigkeit des weiblichen Geschlechts sind in der mittelalterlichen Gesellschaft tief verwurzelt. Nicht erst die Kirchenväter, sondern bereits die römischen Klassiker (zum Beispiel Vergil und Ovid) schreiben über der Unvollkommenheit und Untertänigkeit der Frau. In der mittelalterlichen Gesellschaft hat die Frau nur drei Möglichkeiten, was ihre Rolle in der Gesellschaft betrifft: Jungfrau, Ehefrau und Witwe. Die Jungfrau und die Ehefrau leben immer in einer Familie – das ist wichtig für die soziale Anerkennung. Eine Existenz der Frauen außer der Familie bedeutet für die Frau ein Leben in Armut und Einsamkeit, deshalb ist die Situation der Witwen sehr schlecht. Die Familie ist der Grundstein der mittelalterlichen Gesellschaft. Die Bedeutung der Familien und des Familienhauses wächst; die Familie stellt ein Bild der Harmonie der gesamten Welt dar, das seine eigenen Vorschriften befolgt und als Mikrokosmos funktioniert. Die Erziehung des jungen Mädchens ist sehr wichtig für ihr zukünftiges Leben. Die Mädchen lernen zu Hause (für die Erziehung war ein Hauslehrer, Hofkaplan oder ein anderer Geistlicher verantwortlich), oder sie werden in ein geistliches Stift geschickt. Sie lernen vor allem verschiedene Handarbeiten wie Spinnen, Weben und Nähen. Daneben erhalten sie eine literarische und künstlerische Ausbildung: sie spielen Saiteninstrumente, können singen, tanzen und sie lernen lesen und schreiben, manchmal auch Fremdsprachen, vor allem Latein und Französisch. Sie durften nicht viel sprechen und lachen und mussten sich stets tugendhaft benehmen. Sie sollten immer beschäftig

21 Nach Bumke, S. 456. 23 sein, sonst kämen sie auf sündhafte Gedanken. Die Mädchen werden ständig im Haus gehalten, auf dem Weg zur Kirche sollte sie stets ihre Mutter begleiten. Demut, Schweigsamkeit und Sittenreinheit waren die gewünschten Tugenden der zukünftigen Ehefrau. Die Heiraten der mittelalterlichen adeligen Frauen spielen eine große politische, ökonomische und ständische Rolle: die Heiraten dienten allgemein günstigen politischen Verbindungen und der Erhöhung des Prestiges. In Bezug auf die Ehe musste die junge Frau ihre Wünsche verdrängen, ihrem Vater Gehorsam leisten und den Mann heiraten, den ihr der Vater ausgewählt hatte. Seit dem Ende des elften Jahrhunderts begann die Kirche, die Willensfreiheit der Frauen durchzusetzen, in den adeligen Familien wurden jedoch weiterhin die Interessen der Familie den Interessen der Frau bevorzugt. Leider sollte es noch einige Jahrhunderte dauern, bis sich die Vorstellung der Eheschließung ohne Zwang und aus freiem Willen durchsetzte und auf der Liebe und gegenseitigen Attraktivität begründet sein würde. In den adeligen Familien war es auch üblich, dass die Frau sehr jung heiratet; für gewöhnlich war sie höchstens fünfzehn Jahre alt, während der Mann in der Regel ungefähr um zehn Jahre älter als sie war. Dieser Altersunterschied war besonders bei den Familien der gehobenen Gesellschaftsschicht sehr markant und beeinträchtigte die Gleichstellung der Ehepartner. In der Ehe war die Frau dem Mann untertänig; sie wurde als schwach und unselbstständig angesehen, deshalb benötigte sie Schutz und Aufsicht. Die Existenz der Frau wurde nur im Rahmen der Ehe und des Familienlebens verstanden. Damit hing auch die Vorstellung von einer guten Ehefrau zusammen: die gute Ehefrau sollte den Haushalt führen, Kinder gebären, eine anstößige Verhaltensweise vermeiden, dem Ehemann Gehorsam leisten und ihm ihr Fleisch und Eigentum bieten. Was die Sexualität betrifft, war die körperliche Liebe untrennbar mit der Vorstellung der Sünde verbunden. Die Frau ging als Jungfrau in die Ehe: die Jungfräulichkeit wurde von der Kirche höchst geschätzt. Seit dem dreizehnten Jahrhundert gilt die körperliche Vereinigung in der Ehe nicht mehr als sündhaft (dennoch als notwendig für die Zeugung der Kinder), sondern als Vollendung der gemeinsamen Beziehung. Das intime Eheleben wurde noch immer von der Kirche kontrolliert, und zwar mit Hilfe der Beichte, die ebenfalls im dreizehnten Jahrhundert eingeführt wurde. Die Kirche und Geistlichen empfanden großes Misstrauen gegenüber

24 der Sexualität und dem weiblichen Körper, weshalb die Kirche einen großen Einfluss auf das intime Eheleben hatte. Die Frage der ehelichen Untreue wurde zugunsten des Mannes gelöst: der Mann hatte volle Freiheit, während die Frau stets keusch und zurückhaltend sein musste. Andererseits konnte die weibliche Verführungskunst eine gute Investition sein, vor allem auf reichen, adeligen Höfen – in den Liebesbeziehungen hatte die Frau das letzte Wort. Nach der Eheschließung folgte bald eine Vielzahl von Geburten. Die Schwangerschaft, die Geburten und das Stillen stellten für die Frau eine große Belastung dar. Die Schwangerschaftszeit nahm ungefähr eine Lebenshälfte der verheirateten Frau ein; zehn oder zwölf Kinder waren damals keine Ausnahme. Die hohe Geburtenrate bedeutete gleichzeitig eine hohe Kindersterblichkeit. Die Mehrheit der Kinder starben sehr jung, meistens noch als Säuglinge. In den adeligen Familien wurden die Kinder zu einer Säugamme geschickt. Diese Faktoren führten dazu, dass die emotionale Verbindung zwischen Kindern und Eltern früher nicht so eng war wie heute. Irgendeine Form von der Schwangerschaftsverhütung (diverse Salben oder Beschwörungen) waren von der Kirche streng verboten, weil es Kindsmord bedeutete. Neben der Geburt und primären Erziehung der Kinder hatte die Frau zahlreiche weitere Pflichten: sie musste den gesamten Haushalt führen; das bedeutete, dass sie die Kontrolle über die heimische Wirtschaft, die Familie und die Dienerschaft hatte, für die Aufrechterhaltung der Ehre und Harmonie innerhalb der Familie sorgte und sich um die ganze Hausordnung kümmerte. In ihrer Freizeit widmete sie sich den Handarbeiten. Was das Eigentum und die ökonomische Stellung der mittelalterlichen Frau betrifft, war sie im Vergleich zum Mann leicht benachteiligt. Die Frau verwaltete das Eigentum ihres Ehemannes und nach seinem Tod erhielt sie einen Teil davon (in den adeligen Familien war es gewöhnlich die Hälfte) oder eine Rente. Der Mann hatte jedoch die Kontrolle über das Eigentum der Frau und sie durfte damit ohne seine Erlaubnis nicht wirtschaften. Eine wirtschaftliche Tätigkeit war vor allem den Männern vorbehalten. Im Mittelalter mussten die Frauen im Vergleich zu den Männern ihre inneren Wünsche und persönlichen Vorstellungen opfern. Die Anforderungen der zeitgenössischen Gesellschaft gründeten sich auf die Normen der christlichen Weltanschauung. Die Existenz der Frau war im institutionellen Rahmen der Gesellschaft verankert.

25

4. Einzelne Frauentypen in höfischen Liedern

Das höfische Frauenbild war im Prinzip eine Erfindung der Dichter. Es ist notwendig, anzumerken, dass die in den Liedern besungenen Frauen nicht reale, wirklich existierende Personen waren, sondern dass es sich um von den Dichtern und der Gesellschaft erfundene Konstrukte handelte.

4. 1. Das Bild der Frau in Frankreich (mit ausgewählten Textbeispielen)

Gegen das Ende des elften Jahrhunderts entstand in Okzitanien eine neue Liebesdichtung, die als ein entscheidender Neuansatz europäischer Lyrik bezeichnet werden kann. Das Gebiet im Süden von Loira befand sich zum großen Teil in einem Vasallenverhältnis zu Frankreich. In diesen südlichen Gebieten wurde eine eigenständige Sprache, die so genannte langue d’oc, gesprochen, vereinfacht das Provenzalische (obwohl die Sprache oc ebenso in weiteren Gebieten gesprochen wurde, zum Beispiel in der Umgebung von Lyon, im südlichen Teil von Franchecomté und in anderen Gebieten). Diese Sprache ist dem Vulgärlatein näher gewesen als die im Rest Frankreichs gesprochene langue d’oïl, weil sie weniger vom germanischen Osten beeinflusst wurde22. Zeitgleich begann die Entwicklung der gesellschaftlichen und höfischen Ausbildung in Südfrankreich früher als im Norden und so schuf der Süden eine eigenständige Liebesdichtung, die noch mindestens zwei bis drei Jahrhunderte als Vorbild wirkte und sich nach Süd- und Osteuropa verbreitete. Die Entwicklung der neuen Kultur wäre ohne konkrete Umstände wie der positiven politischen Situation, die zu Frieden, Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung im Zusammenhang mit Handel führte, nicht möglich gewesen; das heißt, dass ein gewisser Reichtum und gesellschaftliches Leben für diese neue Geistesströmung nötig waren. Das südliche Gebiet war gewissermaßen unabhängig vom Rest des Landes: die mächtigen Herrscher sicherten die stabile politische Situation, die zur Bildung der neuen literarischen Sprache beitrug; die Laiengesellschaft wurde zum Träger der geistigen Hauptströmung in Bezug auf Kultur und Denken.

22 Die Sprachen sind nach dem Zustimmungswort genannt. 26

In Südfrankreich wirkten sowohl die bestehenden literarischen Strukturen als auch ausländische Einflüsse. Der Einfluss der spanischen und portugiesischen muslimischen Höfe im zehnten Jahrhundert betraf nicht nur politische Angelegenheiten, sondern auch den Bereich des Schrifttums, besonders hinsichtlich des Frauenpreises. Eine gewisse Rolle spielten auch die Überbleibsel der antiken Traditionen, die besonders den Süden Frankreichs prägten und die Freuden des gesellschaftlichen Lebens betonten. Ein weiterer Gründe für die Entwicklung der höfischen Liebeslyrik war auch die Existenz des ursprünglichen, einheimischen, vorliterarischen Volksliedes, dessen Form und Inhalt eine Inspiration für Trobadors war; die provenzalische Lyrik hängt auch mit der mittellateinischen Volksliebesdichtung und der lateinischen Vagantendichtung zusammen. Die französischen Königshöfe förderten auf diese Weise durch die Verbesserung der Lebensbedingungen indirekt die Entwicklung der Literatur und spielten zugleich eine wichtige Rolle in der Verbreitung der höfischen Kultur. Die Ehefrau des französischen Herrschers Louis VII. und später die Gattin des englischen Königs Henry II., Aliénor d’Aquitaine, selbst Tochter eines Trobadors, führte die höfische Kultur und die provenzalische literarische Auffassung erstmals in die Hauptstadt Frankreichs ein, später auch in England. Die Propagation der verfeinerten höfischen Kultur setzen dann ihre zwei Töchter fort, Marie de Champagne, die auf ihrem Hof Trobadors, Trouvéres und literarisch Gebildete um sich sammelte, und Aelis, die ihren Hof in Blois ebenfalls im kulturellen Geiste führt. Zusammen mit Aelis, die die höfische Kultur auf dem Pariser Hof durchsetzte, waren diese drei adeligen Höfe die wichtigsten Zentren der höfischen Welt. In der provenzalischen Dichtung können drei verschiedene Stile unterschieden werden: trobar clus (zu den bedeutensten Vertretern sind Marcabru oder später Rimbaut zu zählen, dessen Wortspiele und Ausdrucksdichte charakteristisch ist), der komplexe, geschlossene Stil, in dem kompliziertere Wendungen und dunklere Sprache benutzt wurden; trobar ric, die am besten bei Arnaut Daniel dargestellt ist, ist durch ihren Sprachreichtum gekennzeichnet; und der „offene“ Stil trobar leu, der eine leichte, fließende und angenehme Poesie bietet, die für die Zuhörer am zugänglichsten ist. Der Niedergang der provenzalischen Dichtung hing mit der Entstehung neuer religiöser Bewegungen zusammen, die die Aufmerksamkeit der Kirche und folglich des Königs weckten. Nach der politischen Intervention und der damit zusammenhängenden

27

Verungünstigung der wirtschaftlichen Bedingungen für Intellektuelle verlor die provenzalische Dichtung ihre Existenzberechtigung: der Reichtum der Gönnerschaft schwand schnell und den Dichtern blieb nichts anderes übrig, als fortzugehen. Dank dieses Umstands verbreitete sich die südfranzösische Liebeslyrik und das neue kulturelle Muster weiter – sowohl nach Nordfrankreich, wo sie auf die Verfeinerung der Sitten einwirkte, als auch nach Südeuropa, auf die Pyrenäische Halbinsel und nach Italien. Zur Verbreitung trugen auch die Kreuzzüge wesentlich bei, die nicht nur den engen Kontakt zwischen Rittern, sondern auch die direkten Berührung von verschiedenen Kulturen forderten.23

4. 1. 1. Die feudale und herrschende Frau

Die Liebesdichtung in der Provence begann sich seit dem Ende des elften Jahrhunderts zu entwickeln und erlebte ihre Blütezeit zur Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Das Hauptthema war die Vasallbeziehung eines Mannes zu einer Frau, die sich allmählich zur Konvention, also als Etablierung der Formen und der Gefühlserklärung, entwickelte. Die Vasallbeziehung ist tief in der mittelalterlichen Gesellschaft verwurzelt. Ein Vasall stellt sich freiwillig in den Dienst eines höher gestellten Herrn und ist ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Der Vasall ist von seinem Lehnsherren abhängig und ihm untergeordnet. Diese Beziehung wurde in die Liebeslyrik übertragen – der Ritter diente seiner Dame, wie der Vasall seinem Herrn diente. In den Liedern wurde diese Beziehung oft explizit geäußert; die Darstellung des Dienstes steht hier im Zusammenhang mit dem Gehorsam gegenüber der Dame. In Rahmen der Liebesbeziehung vasallischen Charakters wird die Dame manchmal als senhor, Herr, angesprochen. Diese Anrede in der männlichen Form hebt die Beziehung Lehnsherr – Vasall hervor und hebt die Frau in eine übergeordnete Position. Die feudale Dame hat Gewalt über ihren Untertanen, deshalb kann sie über sein Schicksal entscheiden.

23 frei nach Petit de Julleville und Jeanroy. 28

Einer der berühmtesten Dichter24 der okzitanischen Poesie war Bernart de Ventadorn. Bernart de Ventadorn stammt aus dem Schloss Ventadorn und war niederer Herkunft. Nach seiner Biographie in altprovenzalischen Vida verliebte er sich in die Gattin seines Herrn und musste deshalb abreisen. Er wurde von der Herzogin Eleanor d’Aquitaine aufgenommen; nach ihrer Heirat mit dem englischen König Heinrich und deren Übersiedlung nach England begab er sich an den Hof von Toulouse. Später starb er im Kloster zu Dalon. Bernard de Ventadorn steht an der Spitze der okzitanischen Poesie. Er repräsentiert die Vollkommenheit der Form und die Ehrlichkeit des Gefühls. Er stellt eine Synthese von trobar clus und trobar leu dar; nach Lagarde benutzte er als erster die Elemente der psychologischen Dichtung25 und dient somit als ein Beispiel des vollkommenen Trobadors. In der vorletzten Strophe seines Liedes Non es meravelha s’eu chan wird die Dienstwilligkeit des Ritters besungen. Der Ritter tritt, ganz im Sinne der Lehnsherr- Vasall-Beziehung, als Diener auf und verspricht der Dame seinen treuen Dienst. Die Dame wird mit einem guten Herrn gleichgesetzt: Bona domna, re no·us deman Gute Frau, ich bitte nur darum, dass Sie mich mas que·m prendatz per servidor, als ihren Diener empfangen, denn ich werde qu’e·us servirai com bo senhor, Ihnen als guter Herr für irgendeinen Lohn cossi que del gazardo m’an. dienen. Behalten Sie mich in Ihrem Befehl, o Ve·us m’al vostre comandamen, Edle, Sanfte, Höfische und Fröhliche. Sie sind francs cor umils, gais e cortes! doch kein Bär oder Löwe, die mich töten Ors ni leos non etz vos ges, würden, wenn ich mich ihnen preisgäbe. que·m aucizatz, s’a vos me ren.26

24 Biographien aller Trobadors und Trouvères nach Goldin. Übersetzungen mit Hilfe von englischen Übersetzungen von Autorin. 25 Lagarde, S. 130: „Sans doute est-il premier de nos poètes à s’engager dans la voie de la poésie psychologique.“ 26 Goldin, S. 128. Übersetzung von Goldin: Good lady, I ask you for nothing but to take me for your servant, for I will serve you as my good lord, whatever wages come my way. Behold me at your command, a man to rely on, before you, o noble, gentle, courteous, and gay. You are not, after all, a bear or a lion, you would not kill me if I give myself to you. 29

In der okzitanischen Liebesdichtung ist die vasallische Beziehung eines Mannes zu einer Frau nicht ungewöhnlich. Der erste bekannte Trobador, allerdings sicher nicht der erste überhaupt, ist Graf Guillaume d’Aquitaine. Guillaume d’Aquitaine dichtete unter dem Namen Joufroi de Poitiers und schrieb Lieder höfisch-idealistischen Charakters. Er redet seine Dame als mi dons, mein Herr, an und der Frau wird in seinen Liedern eine große Macht zugeschrieben. Frederick Goldin bemerkt dazu, dass mi dons (mein Herr, der Begriff von der feudalen Courtoisie) als senhal, als ein Deckname benutzt wird und dass er sich direkt auf die Dame bezieht.27 Totz joys li deu humiliar, Jede Freude muss sich beugen, und jede et tota ricor obezir Macht muss meinem Herrn für seine schöne mi dons, per son belh obezir.28 Erscheinung gehorsam sein.

Arnaut Daniel ist einer der wichtigsten Vertreter der klassischen Phase der okzitanischen Poesie, der auch in Dantes Göttlicher Komödie erwähnt wird. In einem Lied von Arnaut Daniel wird die Dienstwilligkeit des Mannes gegenüber der Dame geäußert und die Dame zugleich als mächtiger Herrscher dargestellt: qu’al sieu servir Ich diene ihr von Kopf bis Fuß. sui del pe tro c’al coma.29

a grat de lieis que de sa verg’ a l’arma, um diejenige zu erfreuen, die seine Seele mit son Desirat, cui pretz en cambra intra.30 einer Waffe beherrscht, die sein ersehnter Herr ist, dessen Ruhm in alle Kammern eintritt.

Der andere provenzalische Dichter, Rimbaut de Vaqueiras, benutzt für die Dame den Decknamen Bels Cavalliers, schöner Kavalier:

27 Goldin, S. 44. Mi dons, my lord, a term of feudal courtesy, applied as a senhal, or cover name, directly to the lady. 28 Goldin, S. 44. Übersetzung von Goldin: Every joy must abase itself, and every might obey in the presence of Midons, for the sweetness of her welcome. 29 Goldin, S. 212. Übersetzung von Goldin: I am in her service from my foot to my hair. 30 Goldin, S. 222. Übersetzung von Goldin: to please her who rules his soul with her rod, to his Desired, whose glory in every chamber enters. 30 ai major ir’ ab mi mezeis, Ich bin traurig, weil mein schöner Herr und pois mos Bels Cavalliers grazitz meine Freude von mir gegangen und geflohen e jois m’es loignatz e fugitz.31 sind.

Weiterhin wird an die Konzeption der Feudalbeziehung zwischen Mann und Frau in Frankreich angeknüpft. Der französische Trouvère Colin Muset macht eine explizite Anspielung auf die Vasallbeziehung, dabei sieht er sich in der untergeordneten Position: Amors de moi ne cuide avoir pechiez, Meine Liebe könnte mir kein Unrecht tun, por ceu que suises hom liges sosgiez.32 weil ich ihr Vasall und Untertan bin.

Auch der französische Dichter am königlicher Hof, Thibaut de Champagne, ordnet sich in seinem Lied seiner Dame unter: Or n’i a plus fors qu’a li me conmant. 33 Nichts ist jetzt stärker, als wenn sie mir befiehlt.

4. 1. 2. Die weit entfernte Frau

Die Vorstellung der Fernliebe (amor lonh oder amor de terra lonhdana) war in der höfischen Liebesdichtung sehr populär. Die weit entfernte Dame war unerreichbar, was sowohl die räumliche Entfernung als auch – in den meisten Fällen – die soziale Unerreichbarkeit betrifft. In der höfischen Poesie erscheint eine Figur der entfernten, bisher unbekannten adeligen Dame; ihre Schönheit und ihre Tugenden sind so berühmt, dass sich der Ritter in sie sofort verliebt ohne sie persönlich zu kennen. Er singt daraufhin über ihre besonderen Qualitäten, die stark idealisiert und hyperbolisch beschrieben werden.

31 Goldin, S. 270. Übersetzung von Goldin: the more regret I have within, since my much praised Fair Courtier and joy have gone far from me, fled from me. 32 Goldin, S. 430. Übersetzung von Goldin: Love does not believe it can have wronged me, since I am her liege man and subject. 33 Goldin, S. 454. Übersetzung von Goldin: Nothing is stronger than she when she commands me. 31

Im deutschen Minnesang wird oft die Dame besungen, deren Verehrer zu einem Kreuzzug weggegangen ist. Die Abwesenheit der Dame erweckt im Mann traurige Gefühle und Sehnsucht nach der abwesenden Dame. Der wichtigste Vertreter des Konzepts der Fernliebe in Okzitanien ist der Trobador Jaufré Rudel. Jaufré Rudel lebte zu Beginn des zwölften Jahrhunderts; er ist ein Vertreter der Strömung trobar leu und der bedeutendste in Bezug auf das Konzept der Fernliebe. Er nahm am zweiten Kreuzzug teil, im Jahre 1147 kam er nach Byzanz. Er starb wahrscheinlich während des Kreuzzugs. Der Rest seines Lebens ist unbekannt, es gibt jedoch eine Legende, die ganz im Sinne der Fernliebe steht. Die Legende schildert seinen Lebensweg – sie muss aber nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Die Lebensgeschichte von Jaufré Rudel, wahrscheinlich größtenteils Fiktion, wird in Vida (eines mittelalterlichen Sammlung mehr oder weniger fiktiver Biographien) folgendermaßen beschrieben: „Jaufre Rudel von Blaya war ein sehr edler Herr, Fürst von Blaya. Und er verliebte sich in die Gräfin von Tripolis, ohne sie jemals gesehen zu haben, nur auf das viele Gute hin, das er von den Pilgern, die aus Antiochia kamen, über sie sagen hörte. Und er dichtete auf sie viele Lieder mit schönen Melodien und schlichten Worten. Und aus Verlangen, sie zu sehen, nahm er das Kreuz und stach in See. Und auf dem Schiff wurde er krank, und er wurde wie tot nach Tripolis in eine Herberge gebracht. Und der Gräfin wurde dies berichtet, und sie kam zu ihm an sein Bett und nahm ihn in die Arme. Und er erkannte, daß es die Gräfin war, und er kam er wieder zur Besinnung. Und er lobte Gott und dankte ihm, daß er ihm das Leben solange erhalten habe, bis er sie gesehen hätte. Und so starb er in ihren Armen. Und sie ließ ihn mit großen Ehren im Tempelhaus bestatten; und noch am gleichen Tag ging sie ins Kloster, aus Schmerz, den sie wegen seinem Tod hatte.“34 Auch Petrarca erwähnt Rudels Lebensgeschichte in seinem Werk Triumphus cupidinis: „Giaufrè Rudel, ch’ usò la vela e ’l remo a cercar la sua morte.“35 Es ist fraglich, ob seine erträumte Dame und die Prinzessin von Tripolis identisch sind: es gibt einige Vermutungen: von einer realen historischen Persönlichkeit (die Frau des Grafen Raimon I. von Tripolis, Hodierna) bis hin zur Jungfrau Maria. Die Legende über sein

34 Tuchel, S. 15-16. 35 Petrarca, Rerum vulgarium fragmenta. Triumphus cupidinis III., S. 26. 32

Leben faszinierte zahlreiche Schriftsteller, vor allem – erwartungsgemäß – in der Periode des Romantismus. Mit Sicherheit sind ihm sechs Minnelieder zuzuschreiben, die das Element der Fernliebe beinhalten. In seinem berühmtesten Lied, Lanquan li jorn son lonc en may, wiederholen sich die Worte de lonh wie ein kurzer Refrain in jeder Strophe und bilden so einen Teil des Reimschemas. Das Wort lonh wird durch die ständige Wiederholung auch akzentuiert und trägt zur traurigen Atmosphäre des Liedes bei. Die Frau im Lied ist weit entfernt: gerade die räumliche Entfernung ist die Ursache ihrer Unerreichbarkeit. Die Dame wird als ein Ziel der Wallfahrt dargestellt, als ein ersehntes, aber unerreichbares Geschöpf. Lanquan li jorn son lonc e may Im Mai, wenn's wieder länger Tag, M’es belhs dous chans d’auzelhs de lonh, lockt mich der Vöglein Sang dort fern, E quan mi suy partitz de lay, und scheid ich dann vom lauten Hag, Remembra’m d’un’ amor de lonh. denk einer Liebe ich dort fern. Vau de talan embroncx e clis Ich geh gebeugt, in trüber Lust: Si que chans ni flors d’albespis ob Vogelsang, ob Weißdornblust, No·m platz plus que l’iverns gelatz. mich freut’s nicht mehr als Eis und Schnee.

Be tenc to Senhor per vreai Ich trau auf Gott, er zeigt einmal Per qu’ieu veirai l’amor de lonh; die holde Liebe mir dort fern; Mas per un ben que m’en eschay jetzt aber tausch ich doppelt Qual N’ai dos mals, quar tan m’es de lonh: für all ihr Glück, weil's doch so fern. Ai! car me fos lai pelegris, Ach, gern zög ich als Pilger fort, Si que mos fustz e mos tapis daß mich ihr schönes Auge dort Fos pels sieus belhs huelhs remiratz! mit Stab und Mantel wandern säh.

Be·m parra jois quan li querray, Wie selig wär’s, erbät von ihr Per amor Dieu, l’alberc de lonh: um Gott ein Obdach ich dort fern E, si’s lieis platz, alberguarai und gnädig gäb sie Herberg mir Pres de lieis, si be·m sui de lonh: so nah bei sich, wie heut ich fern; Adoncs parra·l parlamens fis gar holde Rede gäb’s wohl da, Quan drutz lonhdas et tan vezis wenn der entfernte Liebste nah Qu’ab bels digs jauzira solatz. 36 und alle Lust aufs Wort gestellt.37

36 Goldin, S. 104-106. 37 Tuchel. S. 18-20. Übersetzung von Franz Wellner. 33

Im Lied des okzitanischen Trobadors Guillaume d’Aquitaine widerfährt Ritter dasselbe Schicksal wie Jaufré Rudel in der Legende: das Ruhm der Dame ist dermaßen verbreitet, dass er sich gleich in sie verliebt, ohne sie überhaupt gesehen zu haben. Anc non la vi et am la fort, Ich habe sie nie gesehen und ich liebe sie so anc no n’aic dreyt ni no·m fes tort.38 sehr, sie hat mir noch nie recht oder unrecht getan.

Jaufré Rudel, der klassische Vertreter der entfernten Liebe und Zeitgenosse Marcabrus, beschreibt in einem seiner anderen Lieder das Liebesleid, das durch dieTrennung von der geliebten Dame verursacht wird. Amors de terra lonhdana, Die Liebe in einem entfernten Lande, mein per vos totz lo cors mi dol.39 ganzes Herz tut für Sie weh.

Das Lied von Bernart de Ventadorn schildert den Zwiespalt des Mannes, der sich weit fern von seiner geliebten Dame aufhält – sein Herz bleibt bei der Dame, aber der Körper befindet sich an einem anderen Ort: Mo cor ai pres d’Amor, Mein Herz bleibt der Liebe nah, mein Geist que l’esperitz lai cor, läuft zu ihr, aber mein Leib ist hier, an einem mas lo cors es sai, alhor, anderen Ort, weg von ihr, in Frankreich. lonh de leis, en Fransa.40

Die Motive der Fernliebe und der weit entfernten Frau wurden dann von den Dichtern in Frankreich übernommen. Die Trauer über die Trennung von der geliebten Dame beschreibt zum Beispiel Châtelaine de Couci. Le Châtelaine de Couci lebte am Ende des zwölften Jahrhunderts und starb während des vierten Kreuzzugs im Jahre 1203. Auch er erscheint – wie Jaufré Rudel –in einer Legende in Vida, die von seiner

38 Goldin, S. 26. Übersetzung von Goldin: I have never seen her and I love her a lot, she has never yet done right by me, or wrong. 39 Goldin, S. 102. Übersetzung von Goldin: Love of a far-off land, for you my whole heart aches. 40 Goldin, S. 130. Übersetzung von Goldin: My heart stays close to Love, my spirit runs to it there, but my body is here, in another place, far from her, in France. 34 unglücklichen Liebe zur dame de Fayel erzählt. Im angeführten Liedausschnitt musste sich der verliebte Ritter von seiner Dame verabschieden: mainte longue semeinne Vor vielen langen Wochen zog ich von ihr trai, quant sui loig de li, fort, und in meinen Qualen verdammte ich die et passant a grant painne, Wochen ohne sie. souvant les en maudi.41

4. 1. 3. Die Konkurrentin der adeligen Dame – ein einfaches Mädchen

Im Gegensatz zur adeligen Dame der klassischen höfischen Lyrik erscheint in manchen Liebesliedern die Figur des einfachen Mädchens. Ihre Herkunft ist unklar, wahrscheinlich wäre sie in Frankreich bei Trouvèren zu suchen, erst später wurde sie von Trobadors übernommen.42 Das einfache Mädchen ist – im Gegensatz zur adeligen, höfischen Dame – anspruchslos und verlangt keinen langen Dienst. Die Hirtin kann der Liebe positiv geneigt sein (sie erhöht die Bitten des Ritters und daraufhin folgt in der Regel ein physischer Kontakt) oder sie kann das Anliegen des Ritters mit harschen Worten gleich ablehnen. In der Trobadorlyrik gibt es etwa dreißig Pastourellen43. Zu den wichtigsten Autoren der okzitanischen Pastourelle können zum Beispiel Marcabru oder Guiraut de Bornelh gezählt werden. In Frankreich ist die Zahl jedoch ungleich höher: es gibt insgesamt etwa hundertfünfzig französische Pastourellen. Einer der wichtigsten Vertreter ist Thibaut de Champagne. Der provenzalische Dichter Marcabru lebte in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts. Er war wahrscheinlich nichtadeliger Herkunft, hatte aber viele Gönner, sowohl in Frankreich als auch in Spanien. Von seiner berühmten Pastorelle L’autrier jost’ una sebissa werden hier nur die ersten fünf Strophen angeführt, weil sie die Gattung repräsentativ vertreten. Die Pastorelle schildert einen langen Dialog zwischen

41 Goldin, S. 354. Übersetzung von Goldin: Many a long week I drag out far from her, and in my suffering I curse the days away from her. 42 nach Jeanroy, S. 25. 43 nach Jeanroy, ibd. 35 einem Ritter und einer Hirtin, die zwar ungebildet, aber klug ist. Sie lehnt den Ritter ständig ab und nennt dafür vernünftige Argumente. Sie wirkt neben dem Ritter sehr pragmatisch und rein. L’autrier jost’ una sebissa Jüngst traf ich am Heckenrande trobei pastora mestissa, eine Maid aus niederm Stande, de joi e de sen massissa, eine Hirtin war’s vom Lande, si cum filla de vilana, doch von offnem, munterm Witze: cap’ e gonel’ e pelissa wollne Strümpfe an den Beinen, vest e camiza treslissa, Hemd und Rock aus Leinen, sotlars e caussas de lana. drüber Jacke, Pelz und Mütze.

Ves lieis vinc per la planissa: Näher kam ich durch die Heide: „Toza, fi·m ieu, res faitissa, „Kind,“ sprach ich, „ich seh’s mit Leide, dol ai car lo freitz vos fissa.“ wie der Frost Euch grimmig schneide.“ „Seigner, so·m dis la vilana, „Junker,“ sprach die Maid vom Lande, merce Dieu e ma noirissa, „Gott und meine Amme ließen pauc m’o pretz si·l vens m’erissa, mich gesund und froh ersprießen, qu’alegreta sui e sana.“ zaust mir auch der Wind am Bande.“

„Toza, fi·m ieu, cauza pia, „Mädchen,“ sprach ich, „holdes Leben, destors me sui de la via meinen Weg verließ ich eben, per far a vos compaignia; Euch Geleit und Schutz zu geben; quar aitals toza vilana denn ein Mädchen sollt’s vermeiden, no deu ses pareill paria ohne passenden Gesellen pastorgar tanta bestia an so weltvarlaßnen Stellen en airal terra, soldana.“ all das viele Vieh zu weiden.“

„Don, fetz ela, qui que·m sia, „Herr, so niedrig ich geboren, ben conosc sen e folia;[...]“44 scheid ich Kluge doch von Toren;[...]“45

Der Dialog der Pastourelle setzt sich dann in diesem Sinne fort, wobei die Argumente des Mannes und der Hirtin ständig gesteigert werden. Das Mädchen betont ihre Argumente sogar mit Hilfe von Ironie:

44 Goldin, S. 70-72. 45 Tuchel, S. 40-41. Übersetzung von Franz Wellner. 36

„Seigner, tan m’avetz lauzada, „Herr, Sie haben mich so sehr gelobt, dass que tota·n seri’ enveiada46 jede Frau mir neiden wird!“

Schließlich, als der Ritter immer noch nicht aufgibt und ihr ein kleines Geschenk für ihre Liebesumarmung bietet, muss ihn die Hirtin schon harsch ablehnen: „Seigner, so·m dis la vilana; „Herr,“ sagte die Hirtin zu mir; „ich will aber mas ieu, per un pauc d’intratge, nicht um einen kleinen Eintrittspreis meine non vuoil ges mon piucellatge, Jungfräulichkeit gegen den Ruf der Hure camjar per nom de putana.“47 eintauschen.“

Der Trobador Guiraut Riquier, der in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebte, beschreibt in seinem Lied A Sant Pos de Tomeiras die Begegnung eines Mannes und einer Hirtin nach einigen Jahren. Nach dieser Zeit hat sich die Stellung der Frau zum Mann verändert: E dissi·l: „Vos etz selha „Du bist diejenige, die eine Hirtin war und mit que ja fos bergeira mir immer Spaß trieb.“ Sie sagte zu mir, ohne e·m’avetz tant trufat.“ Ärger: „Herr, ich werde ihr Feind nicht mehr Elha·m dis, non pas felha: sein, nicht freiwillig.“ „Senher, mais guerreira no·us serai per mon grat.“48

Wie in der Pastourelle Gaia pastorella49 lehnt die Hirtin auch im Lied L’autre jorn m’anava, das ebenfalls von Guiraut Riquier geschrieben wurde, den Mann ab und reagiert auf die direkten und ganz offenen Bitten des Mannes um eine Liebesumarmung wieder negativ: „Toza de bon aire, „Mein schönes Mädchen, wenn Sie meine Si voletz la mia, Liebe wollten, will die ihre.” „Herr, es kann

46 Goldin, S. 74. Übersetzung von Goldin: „Lord, you have praised me so high, how everyone would envy me! 47 Goldin, S. 74. Übersetzung von Goldin: „Lord,“ said this peasant girl; „but I am not willing, for a little entrance fee, to cash in my virginity for the fame of a whore.” 48 Goldin, S. 318. Übersetzung von Goldin: And I said to her: „You’re the one that used to be a shepherdess and made fun of me all the time.” And she said, without spite, „Lord, I won’t be your enemy anymore, not willingly.” 49 Jeanroy, S. 37. 37

Ieu vuelh vostr’amor.” nicht sein, Sie haben eine Geliebte und ich „Senher, no·s pot faire: habe einen Geliebten.“ Vos avetz amia Et ieu amador.”50

In Frankreich ist die Gestalt des einfachen Mädchens – der Hirtin – sehr verbreitet. Die Pastourelle schrieb zum Beispiel Thibaut de Champagne. Der Graf Thibaut de Champagne, der Nachfolger von Aliénor d’Aquitaine und König von Navarra, nahm am vierten Kreuzzug teil. Er gilt als einer der besten Dichter der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts – seine Gedichte sind durch große Harmonie, wohlklingende Melodien und reale Gefühle gekennzeichnet. Zugleich ist Thibaut de Champagne der letzte große Trouvère der französischen höfischen Lyrik. Im folgenden Textausschnitt wird die Begegnung eines höfischen Mannes und einer Hirtin geschildert: der Ritter bietet der Hirtin wieder ein Geschenk gegen Belohnung, die Hirtin glaubt ihm aber nicht und hält alle höfische Ritter für Lügner und Betrüger.

L’autrier par la matinee Am Morgen des anderen Tages, zwischen dem entre un bois et un vergier Wald und dem Obstgarten, fand ich eine une pastore ai trouvee Hirtin, wie sie zum Vergnügen ein Lied über chantant por soi envoisier, die Liebe im Frühling singt: „Ich fühle den et disoit un son premier : Schmerz der Liebe.“ Ich drehte mich sofort in „Ci me tient li maus d’amor.“ die Richtung, woher ich sie hörte, und ich Tantost cele part m’en tor sagte unbedacht zu ihr, „Schönheit, Grüß que je l’oï desresnier, Gott!“ si li dis sanz delaier : „Bele, Deus vos dont bon jor!“

Mon salu sanz demoree me rendi et sanz targier. Sie grüßte mich ohne Bedenken, glatt und Mult ert fresche et coloree, kurz. Sie war sehr jung, von einer guten Farbe, si m’i plot a acointier : und ich wollte sie kennenlernen. „Schönheit, „Bele, vostre amor vous qier, ich will Ihre Liebe, danach gebe ich Ihnen

50 Jeanroy, S. 36-37. 38 s’avroiz de moi riche ator.“ etwas Schönes zum Ankleiden.“ Sie Ele respont : „Tricheor antwortete: „Verräter sind alle Ritter. Ich liebe sont mès trop li chevalier. Perrin, meinen Hirten, mehr als irgendeinen Melz aim Perrin, mon bergier, reichen und höfischen Lügner.“ que riche honme menteor.“51

Der französische Dichter Adam de la Halle benutzt in seinem Tanzlied die Metapher des Kranzes als eine Anspielung auf den physischen Kontakt mit dem Mädchen: Bergeronnete, Kleine Hirtin, süßes Mädchen, geben Sie mir douche baisselete, Ihren Kranz. donnés le moi, vostre chapelet.52

4. 2. Die Frau im deutschsprachigen Raum (mit ausgewählten Textbeispielen)

Im zwölften Jahrhundert, nach der langen Dominanz der lateinischen christlichen Literatur, öffnete sich die Literaturszene allmählich: aufgrund der intensiveren Kontakte mit dem progressiveren Westen begann sich die deutschsprachige weltliche Literatur zu entwickeln. Die Erschütterung kirchlicher Autorität nach dem Misserfolg des zweiten Kreuzzugs (1147-1149) und eine gewisse Horizonterweiterung, die mit den engeren Kontakten zwischen Kulturen zusammenhing, führten zu erhöhtem Interesse an weltlichen Themen. Seit dem Jahre 1152, in dem Friedrich I. Barbarossa die Regierung antrat, setzte sich allmählich die neue literarische Kultur an den adeligen

51 Goldin, S. 474. Übersetzung von Goldin: The other day in the morning between some woods and an orchard I found a shepherdess singing for her pleasure; it was a song about love in spring: „Here I feel the pain of love.“ I turned in that direction right away where I heard her speaking her mind and said to her, without much ado, „Beautiful, God give you good day.“ She gave me my greeting right back, without hesitating. She was young, with a good color, and I wanted to know her. „Beautiful, I want your love, afterwards I’ll give you something nice to put on.” She says, „Traitors are what knights are, the lot of them. I love Perrin, my own shepherd, better than any rich and noble liar.” 52 Goldin, S. 488. Übersetzung von Gennrich: Little shepherdess, sweet kid, give me the garland on your head. 39

Höfen durch. Vier Jahre später, nach der Hochzeit des Königs mit Beatrix, die aus dem französischen Kulturraum stammte, wurde der westliche Einfluss noch intensiver. Der französische Einfluss wirkte auch in der Lombardei, die ein Bestandteil des Römischen Reiches und deshalb auch ein Teil des deutschen Gebiets war. Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts kamen deutschsprachige Dichter über die Alpen nach Italien, wo sie ein neues kulturelles Paradigma empfangen. Sie hörten den provenzalischen Liedern der nach Italien übergesiedelten französischen Dichtern zu: der neue kulturelle Einfluss war deshalb direkt und wurde als solcher auch nach Deutschland übertragen. Die deutschsprachige höfische Liebeslyrik, Minnesang, setzte sich im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts durch. Die Minne wurde zur überwiegenden Thematik der höfischen Liedern. Als Frühphase des Minnesangs lässt sich die Periode zwischen den Jahren 1150 und 1170 beschreiben; den Minnesang der ersten Phase bezeichnet man als sogenannten donauländischen Minnesang, weil der Herkunftsort der wichtigsten Dichter ( und Meinloh von Sevelingen) an der Donau liegt. Die direkte Nachbarschaft mit Frankreich bringt die grundlegenden Elemente des höfischen Paradigmas und der ritterlichen Kultur nach Deutschland; die deutschsprachige Gesellschaft beginnt, sich mit dem Konzept des höfischen Verhaltens bekanntzumachen53. In der Frühphase des Minnesangs ist die Dame in der Regel dem Ritter freundlich geneigt und in der Liebe oft selbst aktiv. Das hängt mit den so genannten Frauenstrophen, die von Männern verfasst wurden, zusammen, in denen die Frau den Ritter lobt und seine Tugenden betont. Hinsichtlich der literarischen Gattungen ist der Wechsel populär, in dem sowohl die Dame als auch der Ritter sprechen; die beiden Protagonisten wissen dabei jedoch nicht voneinander. Es erscheint auch das erste überlieferte Tagelied.

4. 2. 1. Die in der Liebe aktive Frau

Die Dame ist vor allem in der Frühphase des Minnesangs aktiv – manche Lieder sind aus der weiblichen Perspektive geschrieben. Als wichtigste Dichter können Der von Kürenberg, der Burggraf von Regensburg, der Burggraf von Rietenburg, Meinloh

53 frei nach Černý und Schweikle. 40 von Sevelingen und Dietmar von Aist54 genannt werden. Die verliebte Frau sehnt sich nach der Anwesenheit des geliebten Mannes und denkt stets an ihn. Sie bewundert seine höfischen Tugenden und seine Schönheit und zielt oft auf die physische Verbindung ab. Von der verliebten Frau schreibt zum Beispiel Dietmar von Aist55. Dietmar von Aist war ein Vertreter des donauländischen Minnesangs und einer der besten Lyriker des Minnesangs auf österreichischem Gebiet. Über seine Herkunft und sein Leben ist leider nicht viel bekannt; er war ein Zeitgenosse Kürenbergs und stammte aus dem donauländischen Gebiet. Wahrscheinlich war er von adeliger Herkunft. Ihm sind einige Lieder zugewiesen, unter anderem auch das erste überlieferte deutsche Tagelied Slâfst du, friedel ziere. Slâfst du, friedel ziere? Schläfst du, mein schöner Freund? wan weckt uns leider schiere; Man weckt uns leider bald; ein vogellîn sô wol getân ein hübscher Vöglein daz ist der linden an daz zwî gegân. hat sich auf den Zweig der Linde gesetzt.

Ich was vil sanfte entslâfen, Ich war sehr sanft eingeschlafen, nu rüefstû kint Wâfen. nun rufst du, Kind, aufwachen! liep âne leit mac niht sîn. Liebe ohne Leid kann nicht sein. swaz dû gebiutst, daz leiste ich, vriundin mîn. Was du befiehlst, leiste ich, meine Freundin.

Diu vrouwe begunde weinen: Die Frau begann zu weinen: du rîtst und lâst mich eine. Du reitest weg und lässt mich allein. wenne wílt du wider her zuo mir? Wann wirst du wieder zu mir kommen? owê, du füerst mîn fröide sament dir! Ach, du nimmst meine Freude mit dir. MF 39,18

Das Lied Slâfst du, friedel ziere ist ein typisches Tagelied: es thematisiert den Abschied zweier Liebender bei Tagesanbruch nach einer Liebesnacht; die Frau ist ihrem Verehrer freundlich geneigt und die Liebe der beiden ist erfüllt. Im Gedicht sprechen abwechselnd die Dame und der Mann. Die Frau wacht an der Seite des Mannes als erste auf, folglich weckt sie ihren Geliebten auf und ganz in

54 frei nach Stanovská und Švubová. 55 Biographien der deutschsprachigen Dichter gemäß Tuchel und der Notizen vom Seminar gehalten von Mgr. Sylvie Stanovská, Dr. Übersetzungen mit Hilfe von von Autorin. 41

Sinne des typischen Tageliedes klagt sie über den anbrechenden Morgen. Der verliebte Mann ist bereit, alles zu tun, was ihm seine Dame befielt. Er bietet seiner Dame alles. Das Element der Dienstbereitschaft des Mannes erscheint in der französischen Liebeslyrik und stellt die grundsätzliche Beziehung des Mannes zur Frau in der höfischen Dichtung dar. Die letzte Strophe, in der die Trauer der Dame beschrieben wird, ist emotionaler geprägt. Die Frau ist traurig, weil der Augenblick der Trennung naht. Sie beklagt sich über den Morgen und das Schicksal, das ihren Ritter wegführt, und auch über den Ritter, der sie allein lassen muss. Ihr Glück ist von der Anwesenheit des Mannes abhängig – der Mann nimmt ihr Glück mit sich. Die in der Liebe aktive Frau erscheint auch in weiteren Liedern, vor allem in denen der frühen Phase des Minnesangs, zum Beispiel bei Dietmar von Aist, der in der Frauenstrophe wieder die Tugenden des Ritters lobt und mit Hilfe einer Anspielung (wie schône er daz gedienet hât) eine physische Verbindung andeutet: „Jâ hœre ich vil der tugende sagen von eime „Ich höre über viele Tugenden eines guten ritter guot: Ritters: er ist mir ohnemaßen so oft in mein der ist mir âne mâze komen in mînen stæten Gemüt gekommen, dass ich ihn nie vergessen muot, kann,“ sagte eine Frau. „Nun muss ich daz ich sîn ze keiner zît für ihn auf die ganze Welt verzichten. O weh! mac vergezzen,“ redte ein wîp. Wie schön er sich das verdient hat!“ „nu muoz ich al der werlte haben dur sînen willen rât. sô hôh ôwî! wie schône er daz gedienet hât!“ MF 39,4

Das folgende Beispiel aus dem Lied des donauländischen Dichters Meinloh von Sevelingen ist sehr ähnlich. Die verliebte Frau lobt die ritterlichen Tugenden des geliebten Mannes, sie verspricht ihm ihre Liebe und freut sich auf die körperliche Umarmung (ich gelége mir in wol nâhe): mich heizent sîne tugende Seine Tugenden bewirken, dass ich ihn treu daz ich vil stæter minne pflege. und ständig lieben will. Ich lege Ich gelége mir in wol nâhe, ihn ganz nahe zu mir, diesen jungen Mann. den selben kindeschen man. Wie freue ich mich, dass er kommt! Wie sô wol mich sînes komenes! schön er den Frauen dienen kann!

42 wie wol er frowen dienen kan! MF 14,28

In der klassischen Phase des deutschen Minnesangs erscheint meistens eine ablehnende Frau, die gegenüber dem Mann feindlich oder gänzlich gleichgültig ist. Im folgenden Beispiel sind allein die Vorstellungen des Dichters beschrieben – denn im hohen Minnelied verweigert die Dame dem Ritter ständig den Lohn. Der Dichter des klassischen Minnesangs, Heinrich von Morungen, hat einen Traum, in dem die Frau sich nicht mehr unfreundlich verhält und ihn für seinen langen Dienst belohnen will: Dô si mir alrêrst ein hôchgemüete sande Als sie zum ersten Mal Frohsinn in mein Herz in daz herze mîn, sandte, waren die Boten die Güte der Frau, die des was bote ir güete, die ich wol erkande, ich wohl erkannte, und ihr leuchtender Schein. und ir liehter schîn. Sie sah mich mit ihren glänzenden Si sach mich güetlîch ane mit ir spilnden Augen freundlich an; sie begann mit ihrem ougen; roten Mund zu lächeln. Zugleich flammte in lachen sî began ûz rôtem munde tougen. mir ein Wonnegefühl auf, dass sich mein Mut sâ zehant enzunte sich mîn wunne, hoch bei der Sonne befand. daz mîn muot stuont hô alsam diu sunne. MF 139,3

Später erscheint die Figur der freundlich geneigten Frau bei Walther von der Vogelweide, der von der Frau Lohn für seinen Dienst verlangt. Das folgende Beispiel ist seinem berühmten Lied Under der linden entnommen, das das Zusammentreffen eines Mannes und einer einfachen Hirtin in der freien Natur schildert. Im folgenden Textausschnitt wird erneut von Seiten des Mädchens die körperliche Vereinigung angedeutet (wes er mit mir pflaege) und der melodische Charakter des Liedes trägt zur explizite Liebesfreude bei. Das Lied ist in der weiblichen Perspektive geschrieben: wes er mit mir pflaege, Was er mit mir tat, niemer niemen nie erfahre es jemand, nur er und ich, bevinde daz, wan er und ich, und ein kleines Vöglein, und ein kleinez vogellîn: tandaradei, tandaradei, das wird wohl treu sein.57 daz mac wol getriuwe sîn.56

56 Hunger, S. 133. 43

Sehr viele Beispiele der freundlich geneigten und in der Liebe aktiven Frau sind auch in der provenzalischen Lyrik zu finden. Die wahrscheinlich erste trobairitz (weibliche Minnesängerin) überhaupt, Comtesa de Dia, erklärt einem Ritter ihre Liebe, wird aber abgelehnt. Diese seltsame Situation steht im Gegensatz zur Konzeption der hohen Minne, nach der der Ritter sich nach der ablehnenden Dame sehnt. In diesem Fall sind die Rollen ausgetauscht: tant me rancur de lui cui sui amia; Er macht mich traurig, dessen ich die Freundin car eu l’am mais que nuilla ren que sia: bin; denn ich liebe ihm mehr als alles, das ist: vas lui no·m val merces ni cortezia bei ihm hilft mir weder Gnade oder Courtoisie, ni ma beltatz ni mos pretz ni mos sens. 58 noch meine Schönheit, mein Wert, meine Klugheit.

4. 2. 2. Die ablehnende und gleichgültige Frau

Um das Jahr 1170 setzte eine neue Welle von Liebesdichtungen ein, die die Dichtung der provenzalischen Trobadors und der nordfranzösischen Trouvères zum Vorbild hatte. Die zweite Phase des deutschen Minnesangs wird als sogenannter rheinischer Minnesang bezeichnet, da der Herkunftsort der wichtigsten Dichter dieser Phase der Oberrhein ist. Zu den bedeutendsten Dichtern dieser Phase sind zum Beispiel Friedrich von Hausen, Heinrich von Veldeke und der Graf Rudolf von Fenis-Neuenburg zu zählen. Als klassischer Minnesang lässt sich die Periode zwischen den Jahren 1190 und 1210/20 bezeichnen. In der klassischen Phase entwickelte und vollendete man die Konzeption der Minnevorstellung. Um die Jahrhundertwende war die höfische Paradigma schon völlig akklimatisiert: der Ritter ist der Dame treu ergeben, er wird aber immer abgelehnt oder, noch schlimmer, ignoriert. Als wichtigste Vertreter können

57 Glosikova, Jičínská, S. 50. 58 Goldin, S. 184. Übersetzung von Goldin: I am so aggrieved by the one to whom I am the friend, for I love him more than anything that can be. Pity does not help me toward him, nor courtliness, nor my beauty, nor my good name, nor my wit. 44

Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Morungen und angeführt werden. Die beiden Hochphasen stellen den Höhepunkt des deutschen Minnesangs dar. Die Frau wirkt im klassischen Minnesang gewissermaßen wie eine abstrakte, idealisierte Gestalt. Die Schönheit der Frau wird oft hyperbolisch beschrieben und ihre Tugenden werden übertrieben gelobt, die Dame bleibt gegenüber dem Mann aber immer feindlich gestimmt. Sie erwidert die Neigung des Ritters nicht; sie ist taub gegen all sein Bitten und in den Liedern schweigt sie. Die Gleichgültigkeit der Dame ist für den Ritter unerträglich – er verlangt irgendeine Reaktion, sei es auch eine negative. Die Ablehnung seines Dienstes von Seiten der Dame ist dabei für den Ritter kein Grund, aufzuhören, der Dame zu dienen, ganz im Gegenteil; er wird der Dame sein ganzes Lebenlang dienen. Die Frau des klassischen Minnesangs ist in der Regel gesellschaftlich hochgestellt: auch der soziale Unterschied zwischen der Dame und dem Sänger ist ein Grund für ihre negative Haltung. Die Frau erscheint im hohen Minnelied nur indirekt, in Form der Klage des Dichters über die Nichterhörung. Sie selbst bleibt stumm. Im klassischen Minnesang gibt es zahlreiche Variationen zum Thema der ablehnenden Frau. Als ein Musterbeispiel kann das Lied des rheinischen Dichters Rudolf von Fenis, des Grafen von Neuenburg, angeführt werden: Minne gebíutet mír, daz ich singe Die Minne gebietet mir zu singen, und will unde wil níht, daz mich iemer verdrieze. nicht, daß es mich je verdrießt, wenn sie mir uân ich von ír weder trôst noch gedinge, weder Trost nach Hoffnung darauf schenkt, daz ích mînes sanges iht gen ir genieze. daß mir mein Sang irgendwelchen Erfolg bei si wíl daz ich íemer dien án solhe stat ihr einträgt. Sie will, daß ich immerfort meinen dâ noch vil kleine mîn díenest ie wac Dienst dorthin wende, wo er noch stets recht unde al mîn stǽte gehelfen niht mac. wenig galt und all meine Ausdauer nichts nu wære mîn réht, möht ich, daz ich ez lieze. helfen kann. Nun wär’s mein Recht, könnte ich’s nur, davon abzulassen.

Ez stêt mir niht sô. ich enmac ez niht lâzen, So aber steht es nicht mit mir: ich kann nicht daz ich daz hérze iemer von ir bekêre. so davon ablassen, daß ich das Herz je von ihr ez ist ein nôt daz ich mich niht kan mâzen. abwende. Es ist ein Jammer, daß ich mich ich minne sí diu mich dâ hazzet sêre nicht entschlagen kann, sie zu lieben, die mich und iemer túon, swiez doch mir ergât. völlig ablehnt, und ich werde das immer tun,

45 mîn grôziu stǽte mich des niht erlât, wie’s mir auch ergehen mag. Meine große unde ez mich leider kleine vervât. Beständigkeit erläßt es mir nicht, wiewohl es ist éz ir leit, doch dien ich ír iemer mêre. mir leider wenig nutzt. Mag sie’s auch nicht, so diene ich ihr gleichviel immerzu.

Immerfort will ich ihr ohne Wanken dienen Iemer mêre wíl ich ir dienen mit stæte, und weiß dabei doch wohl, daß ich nie Lohn und wéiz doch wol dáz ich sîn lôn niemer dafür eintragen werde. Es wäre klug von mir, gwinne. wenn ich dort werben Worde, wo ich mich von ez wær an mír ein sin, ób ich dâ baete der Minne her Lohnes versehen dürfte. Aber da ich lônes versæhe mích von der Minne. auf Lohn habe ich immer noch geringe lônes hân ích noch víl kleinen wân. Aussicht. Immerfort schon wende ich meinen ich diene ie dár da ez mich níht kan vervân. Dienst dorthin, wo es mir nichts eintragen nu lieze ich ez gérne, möhte ich ez lân: kann. Nun ließe ich gern davon ab, könnte ez wellent durch dáz niht von ír mîne sinne. ich’s nur: mein Sinn aber will drum nicht von ihr lassen.

Mîne sínne durch dáz niht von ir wellent Wiewohl sie mich nicht bei sich ausdauern scheiden, lassen will, will sich doch mein Sinn deshalb swie si mich bî ir niht wil lân belîben. nicht von ihr trennen. Sie kann´s mir doch si enkan mír doch daz niemer geleiden, niemals verleiden, ihr und um ihretwillen in diene ir gérne und durch sí guoten wîben. guten Frauen gern zu dienen. Erleide ich dabei lîd ich dár under nôt, daz ist an mir niht schîn: Herzenskummer, so wird das an mir nicht diu nôt ist diu meiste wunne mîn. sichtbar: (denn) dieser Herzenskummer ist sí sol dar umbe ir zórn lâzen sîn, (vielmehr) meine größte Wonne. Drum soll sie wan sin enkan mích niemer von ir vertrîben. ihren Unmut aufgeben, denn sie kann mich MF 80,25 nimmer von sich vertreiben.59

Rudolf von Fenis-Neuenburg lebte in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts in der nordwestlichen Schweiz, nicht weit von der französischen Grenze, deshalb wirkte der französische Einfluss bei ihm sehr stark. Er war adeliger Herkunft – er stammte aus dem hochadeligen Haus der Grafen von Neuenburg.

59 Frank, S. 57-58. 46

Das Lied Minne gebíutet mír, daz ich singe steht ganz im Sinne des rheinischen Minnesangs. Die Dame verweigert dem Ritter ihre Aufmerksamkeit und bleibt hinter dessen klagenden Versen versteckt. Die Frau wird als ein abstraktes, entferntes und depersonalisiertes Bild dargestellt. Sie bietet keine Belohnung, trotzdem verspricht ihr der Ritter lebenslangen Dienst. Im Gedicht variiert er die Motive seiner Sehnsucht nach der Dame ständig; dabei weiß er aber, dass seine Bitten unerhört bleiben werden. Rudolf von Fenis hielt sich an französische Vorbilder – zum hier angeführten Lied ließ er sich von dem französischen Dichter Gace Brulé und seinem Gedicht De bone amor et de loiaul amie inspirieren. Beide Gedichte enthalten einige gemeinsame Motive: die ablehnende Dame, die Äußerung der völligen Ergebenheit gegenüber der Dame, der lebenslange Dienst und das Motiv des Sterbens als Folge der unglücklichen Liebe. Beide Dichter könnten ihre Damen theoretisch verlassen, es ist aber die Liebe, die es ihnen nicht erlaubt:60 Je ne voix pais kerant teil delivrance Ich will nicht solche Erlösung, bei der die par coi Amors soit de moi departie; Liebe von mir ginge. Ich will nie solche Macht ne jai nul jor n’en quier avoir pesance: haben; ich würde lieber diejenige lieben, die ains amerai ceu ke ne m´ainme mei. mich gar nicht liebt. Es ist nicht richtig, es ihr Se n’est pas drois ke je doie jehir zu sagen, unabhängig von den Qualen, die sie por nul destroit c’om me faice sentir; mir verursacht; nur im Tode finde ich den et se n’i ait confort ke del morir, Trost, denn ich weiß, dass sie mich nie lieben pues ke je sai ke ne m’ameroit mie.61 würde.

In der Frühphase des Minnesangs erscheint die ablehnende Frau eher selten, trotzdem gibt es einige Beispiele, wie beim Burggrafen von Rietenburg, der das Verhalten der ablehnenden Frau beschreibt und aussagt, dass die Trennung des Paares dem Willen der Frau unterstellt ist: Sît si wil deich von ir scheide, Sie will, dass ich von ihr scheide, sie verhält dem si dicke tuot gelîch. sich so. MF 19,27

Der oberösterreichische Minnesänger Dietmar von Aist beklagt sich über eine adelige Frau, die ihn nicht belohnen will:

60 nach Frank. 61 Frank, S. 59. 47

Daz mir ein edeliu frouwe sô vil ze leide tuot! Eine edle Frau tut mir zu viel Leid! Ich habe der ich vil gedienet hân, ihr viel gedient, ich habe nach ihrem Willen als ir wille getân. gehandelt. Jetzt will sie an meine vielen nu wil si niht gedenken der mangen sorgen Sorgen nicht denken. mîn. MF 39,12

Im deutschen klassischen Minnesang gibt es eine ganze Reihe von Beispielen zur ablehnenden Frau. Auch der rheinische Minnesang ist von der negativen Stellung der Frau gegenüber dem verliebten Mann geprägt. Friedrich von Hausen, der Vertreter des rheinischen Minnesangs, ist mit dem Hof des Kaisers Friedrich Barbarossa verbunden. Er lebte in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts und hatte seinen Sitz wahrscheinlich auf der Burg Hausen am Rhein nördlich von Mannheim, die genaue Lage der Burg ist jedoch nicht bekannt. Er war ein politisch erfolgreicher Mann: er begleitet den Sohn des Kaisers, Heinrich, zur Vermählung nach Italien und später den Kaiser Friedrich Barbarossa persönlich auf dessen diplomatischer Reise nach Frankreich. Dieser hochadelige Mann starb am 6. Mai 1190 auf dem dritten Kreuzzug in Kleinasien. Die Dichtung von Friedrich von Hausen wurde durch den Kontakt mit anderen Minnesängern auf dem Kaiserhof sowie das Studium der französischen Handschriften beeinflusst. Er schrieb über die Gefühlslosigkeit der Dame und ihre Gleichgültigkeit gegenüber seinen Klagen: ein hartez herze kan siz lêren, Ein hartes Herz kann sie lehren, dass sie so dasz alsô lîhte mac vertragen leicht so großes Jammern und große Klagen sô grôzez wüefen unde klagen erdulden kann, die ich für ihre Huld sehr leide, deich lîde umbe ir hulde sêre die ich nicht mehr ertragen kann. die ich niemer mac getragen. MF 44,35

Wer möhte mir den muot Wer kann meinen Mut trösten, wenn eine getrœsten, wan ein schœne frouwe, diu mînem schöne Frau meinem Herzen Leid tut, das herzen tuot niemand verstehen kann? leit diu nieman kan beschouwen? MF 49,26

Ez ist ein grôzez wunder: Es ist ein großes Wunder: diejenige, die ich dieich allre sêrest minne, liebe, war mir immer feindlich. 48 diu was mir ie gevê. MF 52,17

Wie bereits erwähnt wurde, wurde die ablehnende Frau auch beim Grafen Rudolf von Fenis-Neuenburg zum Hauptthema. Rudolf von Fenis hob die Trauer über die Nichterhörung auf die ästhetische Ebene. Er traf die freie Entscheidung, dass er die ablehnende Frau immer lieben würde: Ich hân mir sélben gemachet die swære Ich habe mir selbst versprochen, dass ich daz ich der gér diu sich mir wil entsagen. diejenige lieben will, die mich ablehnen will. [...] ich minne díe diu mirs niht wil vertragen. Ich liebe diejenige, die mich nicht erdulden MF 83,11 will.

Im klassischen Minnesang ist die Figur der ablehnenden oder gleichgültigen Dame ebenso häufig vertreten. Einer der bedeutendsten Vertreter der Lyrik der hohen Minne ist Heinrich von Morungen. Dieser thüringische Dichter wurde in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts geboren (sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt), wahrscheinlich in einer Familie des niederen Adels. Vermutlich stammt er von der Burg Morungen bei Sangerhausen. Heinrich beherrschte Latein, deshalb kann man vermuten, dass er sich nicht nur von altfranzösischen Liedern inspirieren ließ, sondern auch von antiken Texten, vor allem von den Liebesgedichten Ovids, beeinflusst wurde. Sein Gönner, Dietrich von Meißen, war ein großer Bewunderer der ritterlichen Liebesdichtung. Später trat Heinrich von Morungen ins Thomaskloster ein und starb im Jahre 1222. Heinrichs produktivste Zeit war während der Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts – in dieser Zeit schuf er insgesamt fünfunddreißig Lieder, davon fast alle Lieder der hohen Minne. Die folgenden Beispiele thematisieren die ablehnende Frau. Die Dame ist dem Dichter sozial übergeordnet, deshalb ist sie unerreichbar: Ez tuot vil wê, swer herzeclîche minnet Es tut sehr weh, wenn man mit seinem ganzen an sô hôhe stat, dâ sîn dienest gar versmât. Herzen jemanden an so hoher Stelle liebt, dass sîn tumber wân vil lützel dran gewinnet, der eigene Dienst verachtet wird. In seiner swer sô vil geklaget, da’z ze herzen niht engât. törichten Hoffnung gewinnt der wenig, der so MF 134,14 viel klagt, was zum Herzen nicht dringt.

49

In den folgenden Versen wird mit Hilfe der Metapher des Baumes geschildert, wie unmöglich die Veränderung der Stellung der Dame ist. Die freundlich geneigte Frau ist dem Wunder aller Wundern gleich: ich hân ir gedienet her vil lange zît: Ich habe ihr sehr lange Zeit gedient: kann sie mac sî sich doch mîner flê versinne? sich gar meiner Klagen nicht entsinnen? Nein, nein sî, niht, got well ein sîn wunder nicht, außer dass Gott ein Wunder an ihr verre an ir erzeigen. zeigen wollte. Eher würde ich mit meiner Bitte jâ möht ich baz einen boum mit mîner bete und ohne Axt einen Baum spalten. sunder wâfen nider geneigen. MF 127,27

Im folgenden Textbeispiel versucht der verliebte Ritter, seine Trauer über die Ablehnung zu verheimlichen: do ich in leide stuont, dô huop ich si gar unhô. Da ich im Leide verharrte, ehrte ich sie gar diz ist ein nôt diu mich leides verdringet nicht damit. Es ist nötig, mein Leid zu MF 133,25 verbergen.

Die Frau spricht im nächsten Beispiel indirekt mit den ablehnenden Worten neinâ nein, die zur Intensivierung mehrmals wiederholt werden. Der Trobador Arnaut Daniel verwendet ein ähnliches Element: c ab tot lo nei62: mit ihrem ständigen Nein. sprichest er neinâ nein, du sagst immer nein, nein, nein, nein, nein, neinâ neinâ neinâ nein, nein, das bricht mein Herz entzwei. daz brichet mir mîn herze enzwein. MF 137,21

Reinmar von Hagenau oder Reinmar der Alte, ein Dichter des klassischen Minnesangs aus dem Elsass, thematisiert hauptsächlich das Unglück und Liebesleid, das die ablehnende Frau verursachte. Die Liebe und die geliebte, aber gleichgültige Frau bringen in seinen Gedichten nur Liebesqualen: Nie getrôste si dar under mir den muot. Sie hat mich nie getröstet. Ich muss diese der ungnâden muoz ich, und des si mir noch Ungnade und alles, was sie mir noch antun getuot, wird, erbeiten als ich mac. hinnehmen, so gut ich kann. Früher ging es

62 Goldin, S.212. Übersetzung von Goldin: with all her continual No. 50 mir ist eteswenne wol gewesen: mir gut: werde ich nie mehr einen glücklichen gewinne ab ich nu niemer guoten tac? Tag erleben? MF 165,23

Ob ich nu tuon und hân getân Wenn ich mich nun so verhalte und verhalten daz ich von rehte in ir hulden solte sîn, habe, dass ich zu Recht in ihrer Huld sein und si vor aller werlde hân, könnte, und sie über alles in der Welt stellen waz mac ich des, vergizzet si dar under mîn? würde, was kann ich dann machen, dass sie MF 166,7 mich vergessen hat?

4. 2. 3. Die unvollkommene und kritisierte Frau

Die Vollendung und Überwindung des klassischen Minnesangs wird hauptsächlich von Walther von der Vogelweide vertreten. Walther von der Vogelweide schrieb einerseits einige Lieder im Stile Rainmars von Hagenau, andererseits überwand er mit seinen kritischen Liedern die Konzeption des hohen Minnesangs. Walther von der Vogelweide war der begabteste und vielseitigste Lyriker seiner Zeit. Er wurde ungefähr im Jahre 1170 geboren, sein Herkunftsort ist jedoch nicht bekannt. Er begann am Wiener Hof zu singen, die Zerwürfnisse mit Rainmar vertrieben ihn jedoch von dort – Walther begann zu reisen: er hatte stets nur kurzfristige Engagements an verschiedenen Höfen. Erst gegen Ende seines Lebens erhielt er von dem Staufer Friedrich II. ein Lehen, das ihm vom ständigen Zwang befreite und ihm endlich ein Heim und eine feste Position bot. Walther von der Vogelweide starb circa 1230. Walther schrieb nicht nur Minnelieder, sondern neben der Minnelyrik auch Spruchdichtung politischen oder ethischen Charakters, da er sich auch politisch engagierte. Er führte eine neue Auffassung von Liebe in die bisher unveränderliche Minnekonzeption ein. Gemäß seiner Konzeption muss die Liebe stets Freude bringen (mit dieser Konzeption steht er also im strengen Gegensatz zu Rainmar). Er verlangt, dass der Dienst nie unbelohnt bleiben würde, und in diesem Sinne kritisiert er die unerreichbare Dame, die den Ritter verächtlich behandelt. Es wird vor allem die zu stolze Dame kritisiert, die dem Ritter nicht geneigt ist. Der Ritter kann die Ablehnung 51 der Frau nicht mehr ertragen; er sucht die Lösung aber nicht im lebenslangen Dienst oder im Tode der Liebe, wie früher, sondern er droht, dass er die Dame verlassen würde, wenn sie ihre Haltung nicht ändert. Auf diese Weise wird die Stellung der Dame streng kritisiert. Als Gegensatz zur unfreundlichen Dame führt er die Figur des einfachen Mädchens in die Minnelyrik ein. Damit zerstört er die Vorstellung der hochgestellten, ablehnenden Dame: der Ritter sieht die Dame auf kritischere Weise. In den so genannten Mädchenliedern (Liedern der niederen Minne) erscheint das einfache Mädchen aus dem Volk, frouwelîn, das der Liebesfreude geneigt ist. Das Lied Saget mir ieman, waz ist minne ist ein Musterbeispiel der Notwendigkeit einer freundlich geneigten Frau. In der Liebe zwischen Mann und Frau sollte jeder denselben Teil tragen; das bedeutet, dass die beiden in der Beziehung gleichgestellt sind. Die echte Liebe sollte nicht Schmerz, sondern Freude bringen. Von der Dame wird verlangt, ihre Haltung zu verändern. Tut sie es nicht, wird der Ritter die Dame ohne Reue verlassen. Zur Kritik an der ablehnenden Frau wird noch die Drohung von Seiten des Mannes beigefügt, dass niemand der Frau schönere Lieder singen könne und dass sie keinen besseren Mann als ihm fände. Saget mir ieman, waz ist minne? Sagt mir jemand, was Minne ist? Ich weiß weiz ich des ein teil, sô wist ichs gerne mê. auch etwas darüber, so wüsste ich gerne mehr. der sich baz denn ich versinne, Wer mehr davon weiß als ich, der belehre der berihte mich durch waz si tuot sô wê. mich, warum sie so weh tut. Minne ist Minne, minne ist minne, tuot si wol: sie tut wohl. Tut sie weh, dann ist sie nicht tuot si wê, so enheizet si niht rehte minne. rechte Minne. So weiß ich aber nicht, wie sie sus enweiz ich wie sie danne heizen sol. heißen soll.

Obe ich rehte râten künne Ob ich es recht erraten kann, was Minne ist, waz diu minne sî, sô sprechet denne jâ. dann sage ich es, ja. Minne ist zweier Herzen minne ist zweier herzen wünne: Freude. Teilen Sie sie in gleiche Teile, so ist teilent sie gelîche, sost diu minne dâ: die Minne da; wenn sie aber ungeteilt bleibt, sol abe ungeteilet sîn, dann kann ein einzelnes Herz allein sie nicht sô enkans ein herze alleine niht enthalten. aufnehmen. Ach, wolltest du mir helfen, owê woldest dû mir helfen, frouwe mîn! meine Dame!

Frouwe, ich trage ein teil ze swære: Herrin, ich trage einen zu schweren Teil. Ob wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît. du mir helfen willst, dann hilf mir rechtzeitig. 52 sî abe ich dir gar unmære, Bin ich dir aber ganz gleichgültig, dann sag es daz sprich endelîche: sô lâz ich den strît, gleich: dann gebe ich den Kampf auf und unde wirde ein ledic man. werde ein freier Mann. Du sollst aber eines dû solt aber einez wizzen, daz dich rehte wissen, dass niemand dich besser loben kann. lützel ieman baz dann geloben kan.

Kan mîn frouwe süeze siuren? Kann meine Herrin Süßes sauer machen? wænet si daz ich ir liep gebe umbe leit? Glaubt sie, dass ich ihr Freude gebe, wenn sie sol ich si dar umbe tiuren, mir Leid gibt? Soll ich sie dafür loben, dass daz si wider kêre an mîne unwerdekeit? sie mich verächtlich behandelt? sô kund ich unrehte spehen. Dann müsste ich nicht richtig sehen können. wê waz sprich ich ôrenlôser ougen âne? Oh, was sage ich, ohne Ohren und ohne den diu minne blendet, wie mac der Augen? gesehen? 63 Wen Minne blendet, wie könnte der sehen?

In der deutschen Minnelyrik sind die Beispiele der Kritik der Frau nicht zahlreich. Ein von den seltenen Beispielen von der kritisierten Frau im rheinischen Minnesang würde bei Friedrich von Hausen zu finden: mich dunket wie ir wort gelîche gê Ihr Wort ist wie der Sommer in Trier. Ich wäre als ez der sumer von triere tæte. ein Narr, wenn ich ihren Leichtsinn für gut ich wære ein gouch, ob ich ir tumpheit hæte halten würde: das werde ich nie wieder tun. für guot: ez engeschiht mir niemer mê. MF 47, 37

Der Dichter verwendet im Zusammenhang mit der Haltung der Dame den Vergleich zum Sommer in Trier. Es handelt sich vermutlich um ein zeitlich-aktuelles Phänomen, denn Friedrich von Hausen erklärt es nicht näher und erwartet, dass der Zuhörer sowohl die Bedeutung des Vergleichs als auch dessen Bezug zum Inhalt des Liedes erkennt. Heute ist die Bedeutung des Vergleichs jedoch nicht mehr verständlich. Es kann sich um eine schwierige politische Situation gehandelt haben, wobei sich Kaiser und Kurie stritten, oder er kann sich auf wechselhaftes Wetter beziehen. In jedem Fall handelte es sich um eine rasche Absage der Dame, deren Neigung

63 gemäß Paul, S. 69 und Seminar gehalten von Mgr. Sylvie Stanovská, Dr.

53 unbeständig ist. Ähnliche Klagen über die wechselnd gelaunte Dame sind in der französischen Minnelyrik zu finden, zum Beispiel bei Gace Brulé: Par cuer legier de feme avient Weil die Frauen ein leichtsinniges Herz haben, que li amant doutent souvent64 haben die Geliebten oft Angst.

4. 3. Das Bild der Frau in Italien (mit ausgewählten Textbeispielen)

Italien war den Liebesdichtern besonders freundlich geneigt; die durch den Handel und den Frieden reich gewordenen städtischen Gemeinwesen (comuni) mit ihren gastfreundlichen Herrscherhäusern beherbergen gern die von Südfrankreich kommenden Sänger. Die lokalen Dichter imitierten das provenzalische Muster, übernahmen jedoch bei der Schöpfung eigener Lieder auch die provenzalische Sprache. Während also die ersten italienischen trovatori (zum Beispiel Lanfranco Cigala, Rambertino Buvalelli oder Sordello) nach ihren Vorbildern auf Provenzalisch schrieben, entstand die erste wirklich nationale philosophisch-literarische Strömung auf Sizilien. Seit dem Jahre 800 existierte auf dem Gebiet Siziliens der arabische Einfluss – das betraf nicht nur die politischen Ereignisse, sondern auch die lexikalischen Elemente, vor allem den Wortschatz (hauptsächlich die Namen für Sterne und Termini aus der Seefahrt). Zur Jahrtausendwende wurde Sizilien Zentrum der italienischen Gesellschaft in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. Die sogenannte Sizilianische Dichterschule (scuola siciliana) entwickelte sich zu Beginn des Duecento am Hofe des Kaisers Friedrich II. Der Kaiser selbst wird, genauso wie der tschechische König Wenzel II., zum Dichter und versammelt viele weitere um sich, nicht nur aus Sizilien, sondern auch aus Süditalien und eben aus der Toskana stammende Lyriker. Mit seinem Fokus auf den Menschen, den entwickelten Kulturideen und auch der Gründung der Universität in Neapel kündigt der Kaiserhof bereits die Renaissance an; die aristokratische Aktivität ist auf die Demonstration einer feinen und raffinierten Kultur ausgerichtet. Die Sizilianische Dichterschule stellte in sprachlicher Hinsicht ein wichtiges Element dar,

64 Goldin, S. 394. Übersetzung von Goldin: Because of woman’s changing heart lovers are continually afraid. 54 denn sie fügte der nationalen Sprache reife Merkmale hinzu: die lokale Sprache, siciliano illustre, die lateinische und provenzalische Elemente zur italienischen Grundlage hinzufügt, diente als kultivierte Sprache ihrem aristokratisch-poetischen Zweck. Die grundlegenden Merkmale der sizilianischen Lyrik wurden vom kulturellen Substrat von pays d’oc übergenommen, das provenzalische Feudalelement wurde in die einheimische Umgebung eingebettet. Die sizilianische Lyrik war jedoch höchst konventionell: die Liebesgefühle stellen hier nicht real erlebte Ereignisse dar, sondern es handelt sich um reine Konventionen; die Regeln waren streng und die Thematik festgelegt. Zahlreiche südfranzösische Elemente wurden erhalten und weiterentwickelt.

4. 3. 1. Die verlassene und unglückliche Frau

Odo delle Colonne65 ist ein Dichter der Sizilianischen Dichterschule. Über sein Leben ist nicht viel bekannt – er war im dichterischen Kreis um den Kaiser Federico II. auf Sizilien im dreizehnten Jahrhundert tätig. In seinem Gedicht Oi lassa, namorata wird mit Hilfe zahlreicher Variationen die Trauer der verlassenen Frau ausgedrückt. Die Frau im Gedicht ist verliebt, wird aber von ihrem Geliebten betrogen und verlassen. All ihre Gefühle werden im Gedicht geschildert: ihre Liebe zu einem verräterischen Mann, die Klage über die Situation, Neid und Hass gegenüber der Gegnerin, die Erinnerung an die ehemalige Freude (ché lo suo amore m’appella quello che m’à conquisa) und die Hoffnung, dass sie den Geliebten eines Tages zurückgewinnen wird. Die Frau beklagt sich über den geliebten Mann, der sie verraten und zugunsten einer anderen Frau verlassen hat. Sie beschreibt ihr Liebesleid und ihre Qualen, die der Mann durch seinen Abschied verursacht hat. Weiterhin spricht sie über ihren Tod, der sie von den Qualen befreien soll, und sie wünscht den schmerzhaften Tod ihrer Gegnerin. Oi lassa, namorata, O weh, ich Verliebte, ich will über mein contare voglio la mia vita, Leben erzählen und alles sagen, wie die Liebe e dire ogne fiata, mir befehlt; denn ich bin ohne Sünde, mit

65 Biographien nach Letteratura italiana I, gehalten von Mgr. Zuzana Šebelová, PhD. Übersetzungen von Autorin.

55 come l’amore m’invita; vielen Strafen für denjenigen, den ich liebe ch’io sono sanza pecata, und den ich will, und es ist nicht in meinen d’assai pene guernita Kräften, ihn zu haben; so erdulde ich die per uno c’amo e voglio, Qualen, und jetzt fühle ich den Stolz; mein e noll’agio in mia baglia Herz zerbricht mir. sì com avere soglio; però pato travaglia, ed or mi mena orgoglio; O weh, ich Traurige, wie die Liebe mich lo core mi fende e taglia. ergriffen hat! Denn die Liebe zu ihm, die mich ergriffen hat, ruft mich an; seine schöne Oi lassa, tapinella, Gestalt hat die Freude und das Lachen von mir come l’amore m’à prisa! genommen. Und sie hat mich in Strafe und Ché lo suo amore m’appella Qualen hart gestürzt; ich glaube nicht, dass ich quello che m’à conquisa; wieder gut werde, bevor der Tod mich befreit; la sua persona bella ich warte auf ihn, um mich von dieser Trauer tolto m’à gioco e risa. zu befreien. ed àmi messa in pene, ed in tormenti forte; mai non credo avere bene, se non m’accorre morte; aspetola che vene, O weh! Er hat zu mir gesagt, als er mit mir am tragami d’esta sorte. heimlichen Ort war: „Mein Schatz, mit dir bin ich zufriedener, als ob ich die ganze Welt in Lassa! che mi diciea, meiner Macht hätte.“ Und jetzt verachtet er quando m’avea in celata: mich und verhält sich so, als ob er mich gar „Di te, oi vita mea, nicht kennen würde: mir scheint, dass er eine mi tegno più pagata andere Liebe hat. O Gott, wer nimmt ihn von ca s’io avesse in ballìa mir weg? Stirb schrecklich und ohne Zeit zur lo mondo a segnorata.“ Reue. Ed or m’à a disdegnanza, e fami scanoscenza: par ch’agia d’altr’amanza. O dio, chi lo m’intenza? Mora di mala lanza

56 e senza penitenza.66

Ein weiterer Vertreter der Sizilianischen Dichterschule, Rinaldo d’Aquino, beschreibt in seinem Lied Già ma’i’non mi conforto (Ich habe keinen Trost mehr), das einen auf Kreuzzug weggegangenen Ritter thematisiert, die Trauer der verlassenen Frau. Die Frau hält es für Betrug, dass der Ritter sich gar nicht von ihr verabschiedet hat. Sie betont die Zweideutigkeit des Kreuzes, das die Menschen zwar rettet, aber ihr nur Qualen bringt. Vassene in altra contrata Er ist in ein anderes Land weggegangen ohne e no lo mi manda a diri mir etwas zu sagen, und ich bin verraten. […] ed io rimagno ingannata […] Das Kreuz rettet die Menschen, aber es La croce salva la gente schädigt mich; das Kreuz tut mir weh und es e me face disviare; hat keinen Sinn, zu Gott zu beten. […] O weh, la croce mi fa dolente er lässt mich hier, ich bin dürr und von der e non mi val Dio pregare. […] Liebe verbrannt! Oi me lassa tapina, ardo e ’ncendo tutta!67

Dante, der sein Herz schon an Beatrice verloren, schickt eine andere schöne Frau weg: „Volgiti, bella donna, e non ti porre; „Kehre um, schöne Frau, und siedle dich nicht però che dentro un’altra donna siede.68 hier (in meinem Herzen) an; denn da drinnen sitzt schon eine andere Frau.“

In der höfischen Lyrik erscheint der Motiv des Falken als Parallele zur Beziehung der Frau zum untreuen Ritter. Im Gedicht von Nina Siciliana wird eine verlassene Frau geschildert, die sich über ihren untreuen Geliebten beklagt. Im Gedicht beschreibt sie ihre Qualen, sie macht dem Ritter Vorwürfe, er habe sie leichtsinnig verlassen, und sie hält auch keine Anspielungen auf die körperliche Vereinigung zurück. Tapina in me, c’amava uno sparvero! Ich bin traurig, ich habe einen Falken geliebt!

66 Tosto, S. 135-136. 67 Tosto, S. 133-134. 68 Tosto, S. 267. 57

Amaval tanto ch'io me ne moria! Ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich sterbe! A lo richiamo ben m’era manero, Aufs Wort hat er mir gehorcht, und jetzt fühle ed unque troppo pascer no ’l dovia. ich große Qualen. Er erhob sich in die Höhe Or è montato e salito sì altero, wie noch nie, und ging in einen Obstgarten asai più alto che far non solia, nieder; eine andere Frau hat ihn jetzt in ihrer ed è asiso dentro a uno verzero; Macht. Mein Falke! Ich habe dich gefüttert, un’altra donna lo tene in balìa. ich habe dir eine kleine goldene Glocke Sparvero mio, ch’io t’avea nodrito, gegeben, damit du während der Jagd immer sonaglio d’oro ti facea portare furchtlos wärest. Jetzt hast du dich wie das per che dell’ucellar fosse più ardito. Meer nach oben erhoben und den Riemen Or se’ salito sì come lo mare abgerissen und bist geflohen, sobald du dir der ed à[i] rotti li geti e se’ fugito, Jagd sicher war. quando eri fermo nel tuo ucellare!69

Das Gedicht von Nina Siciliana ist mit dem sogenannten Falkenlied von Kürenberg, einem Vertreter der Frühphase des Minnesangs, vergleichbar. Ähnlich ist das Motiv der verlassenen Frau, die über ihren Geliebten eine gewisse Macht besitzt, ihm jedoch keine Freiheit lässt. Die Szene betritt auch eine andere Frau, eine Gegnerin (als Obstgarten bei Nina oder anderes Land bei Kürenberg). Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr. Ich zog mir einen Falken auf, länger als ein dô ich in gezamete als ich in wolte hân Jahr. Als ich ihn gezähmt hatte, wie ich ihn und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant, haben wollte, und ich in sein Gefieder Gold er huop sich ûf vil hôhe und fluog in anderiu schön eingewebt hatte, erhob er sich in die lant. Höhe und flog in ein anderes Land. Sît sach ich den valken schône fliegen: Dann sah ich den Falken schön fliegen: Er trug er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen, an seinem Fuße die seidenen Riemen, und sein und was im sîn gevidere alrôt guldîn. Gefieder war ganz rotgolden. Gott führe sie got sende si zesamene die gerne geliep wellen zusammen, die einander gerne lieben wollen! sîn! MF 8,34

Ein Teil der Frauenstrophe Dietmar von Aists Gedicht stellt ein anderes Beispiel der verlassenen Frau dar. Die Frau erinnert sich an die schönen Augenblicke, die sie mit

69, [14. 2. 2011]. 58 ihrem Geliebten verbracht hat. Zugleich ist sie aufgrund der Abwesenheit ihres Geliebten unglücklich: Ez dunket mich wol tûsent jâr daz ich an Es scheint mir, dass es schon Tausend Jahre liebes arme lac. her ist, als ich zum letzten Mal in den Armen sunder âne mîne schulde fremdet er mich meines Geliebten lag. Er hat sich von mir mangen tac. MF 34,11 entfremdet, ohne meine Schuld.

Gegen Mitte des elften Jahrhunderts, nach dem Tode des Kaisers Friedrich II., verfällt das sizilianische Königreich langsam und der provenzalische Einfluss verbreitet sich weiter nach Norden. Zum neuen Zentrum des kulturellen Lebens wird Norditalien, vor allem die Region Toskana, wo die Toskanische Dichterschule (scuola toscana) entsteht. Die Toskanische Dichterschule knüpfte an die Tradition der höfischen Dichtung an; einige Dichter ahmen ausschließlich die festgelegten sizilianischen Vorbilder nach, andere fügen einige neue Elemente hinzu: die Liebe wird durch ethische und moralische Themen ergänzt. Die Dichter sind meistens Bürger (Guittone d’Arezzo, Chiaro Davanzati oder Compiuta Donzella), deshalb ist die Liebeslyrik eher realistischer Art. Compiuta Donzella war wahrscheinlich die erste italienische Dichterin; ihre Identität ist jedoch nicht bekannt, das Pseudonym compiuta donzella (die vollkommene Frau) bezieht sich vermutlich auf eine gebildete Frau aus dem florentinischen Milieu. Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen als Frau stilisierten Mann handelte. In ihrem Sonett A la stagion che ’l mondo foglia e fiora drückt sie Trauer und Schmerz aus, weil ihr Vater sie gegen ihren Willen verheiraten will. In diesem Fall ist die Frau unglücklich über die bevorstehende, ungewollte Heirat: ed io di ciò non ho disio né voglia, Deshalb will ich ihn nicht, ich lebe ständig in e ’n gran tormento vivo a tutte l’ore; großen Qualen; weder das Blatt noch die però non mi ralegra fior né foglia.70 Blume erfreuen mich.

70 Tosto, S. 145. 59

4. 3. 2. Die schöne, tugendhafte und gelobte Frau

Zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts begann eine neue literarische Strömung, der sogenannte dolce stil novo. Der Begriff stammt von Dante persönlich und bezeichnet einen Stil, der sich gegenüber der früheren Dichtung abgrenzt: die Liebe stellt hier ein inneres und spiritualisiertes Gefühl dar. Dolce stil novo knüpfte an das Konzept des französischen trobar leu an, den lyrischen Stil, der durch sanfte Verse und hohe Melodizität charakterisiert wird. Damit hängt auch eine in Italien weit verbreitete literarische Gattung zusammen, das Sonett. Die Konzeption der Liebe unterscheidet sich von deren früherer Auffassung: die Liebesthematik erzählt von edler Liebe mit einer neuen, geistigen Dimension. Obwohl die Lieder noch normalisiert geschrieben werden, wird bereits das innere, reale Liebeserlebnis betont. Die Liebe wird zum aufrichtigen, wahrhaftigen Gefühl, das die Menschen besser und edel macht; in Bezug auf die neue Wahrnehmung der höfischen Liebesdichtung kommt ein neues lyrisches Bild auf, nämlich das eines edlen Herzens. Das edle Herz erscheint stets in Verbindung mit der Liebe: Al cor gentil rempaira sempre amore In das edle Herz begibt sich immer die Liebe come l’ausello in selva a la verdura; wie ein Vogel in den grünen Wald; die Liebe né fe’ amor anti che gentil core, war nicht vor dem edlen Herzen und das edle né gentil core anti ch’amor...71 Herz war nicht vor der Liebe.

Neben Guido Guinizelli wird diese Verbindung auch bei Dante im Sonett Amor e cor gentil son una cosa72 (Die Liebe und das edle Herz sind eins) weiterentwickelt. Die neue Anschauung der Liebe verursachte die Verschiebung in der Wahrnehmung der geliebten Frau: es entsteht das neue Konzept der Dame als vollkommenes Geschöpf, das der Dichter moralisch erhöht. Die guten Eigenschaften und Tugenden der Frau werden gelobt und ihre physische Schönheit hervorgehoben. Das Aussehen der Frau ist in der Regel in allen Liedern identisch: goldenes Haar, blaue, strahlende Augen, weiße Stirn und rote Wangen mit einem roten Mund und schlanke

71 Tosto, S. 169. 72 Gemäß Letteratura italiana I, gehalten von Mgr. Zuzana Šebelová, PhD.

60

Gestalt. Zu den gelobten geistigen Tugenden der Frau zählen hauptsächlich angemessenes Verhalten, Wohlerzogenheit, Keuschheit und Frömmigkeit. Ein weiteres Element der Gedichte des dolce stil novo ist die besondere Wirkung der Frau auf andere Menschen: die Dame strahlt Güte aus, die andere positiv beeinflusst. Die Frau tritt durch die Augen in das Herz des Mannes. Die Augen als Vermittler der Liebe stehen im Gegensatz zur Konzeption der Fernliebe von Jaufré Rudel, der sich in eine Dame verliebt, ohne sie gesehen zu haben. Die Augenmetapher ist auch in anderen Ländern verbreitet. In Frankreich ist ein Beispiel bei Châtelaine de Couci zu finden: et si vair oeill, bel et riant et cler, Und ihre feinen Augen, schöne, lachende und m’orent ainz priz que m’osaisse doner.73 strahlende, haben mir gleich gefangen, bevor ich etwas tun konnte.

Auch in Deutschland gibt es ein sehr ähnliches Beispiel bei Heinrich von Morungen: si kam her dur diu ganzen ougen Sie kam in mein Herz durch die Augen, ohne sunder tür gegangen. Tür. MF 127,6

Der bekannteste Vertreter des dolce stil novo ist Dante Alighieri, der in seiner Schrift Vita nova die Erfahrung der Liebe zu Beatrice und sein dadurch erneuertes Leben beschreibt. Weiterhin sind Guido Cavalcanti, Cino da Pistoia und der Initiator der Strömung, Guido Guinizelli zu nennen. Guido Guinizelli, der mit seinem Sonett Al cor gentil rempaira sempre amore als Urheber des dolce stil novo gilt, wirkte in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts im politischen Leben in Bologna; nach der Veränderung der politischen Situation zog er nach Padua. Sein Canzoniere enthält Texte weltlichen Charakters, mit Liebe und vor allem dem Frauenpreis im Mittelpunkt. Das Sonett Io voglio del ver la mia donna laudare (Ich will wirklich meine Frau loben) ist ein typisches Preislied. Im Sonett wird die Dame mit Rose und Lilie verglichen; das implizite Ausdrücken der Farben impliziert physische Schönheit. Die Dame wird mit den Himmelkörpern verglichen; mit dem Morgenstern und anderen schönen Himmelsobjekten. Die Dame

73 Goldin, S. 356. Übersetzung von Goldin: and fair eyes – beautiful, smiling, bright – captured me before I even dared surrender. 61 wird auch mit irdischen Elementen verglichen, mit der grünen Landschaft und der Luft – so wird das vollkommene Bild ergänzt. Die Dame wird letztendlich mit den schönen Farben von Blumen und Edelsteinen verglichen; Gelb, Rot, Goldgelb und Zyan komplettieren das Portrait der wunderschönen Frau, die allein die Liebe verbessern kann. Weiterhin wird der Einfluss der Frau auf ihre Umgebung beschrieben. Das Zusammentreffen mit ihr fördert die guten Eigenschaften in Menschen, es kann die Konvertierung zum Christentum bewirken und böse sowie sündhafte Gedanken vertreiben. Das Sonett, völlig im Geiste des dolce stil novo, beschreibt das persönliche, innere Liebeserlebnis; die Frau wird vergöttlicht und in ein engelhaftes, unendlich gutes Geschöpf abstrahiert. Diese Idealisierung und in gewissem Maße Dematerialisation der Dame stellen die Essenz der wichtigsten Strömung dieser Zeit dar. Io voglio del ver la mia donna laudare Ich will meine Frau wirklich loben und sie mit ed assembrarli la rosa e lo giglio: Rose und Lilie vergleichen: sie scheint mehr più che stella dïana splende e pare, als der Morgenstern, ich will sie mit allem, e ciò ch’ è lassù bello a lei somiglio. was da oben schön ist, vergleichen. Ich vergleiche sie mit der grünen Landschaft Verde river’ a lei rasembro e l’âre und der Luft, mit allen Farben der Blumen, tutti color di fior’, giano e vermiglio, Gelb und Rot, Gold und Zyan und mit den oro ed azzurro e ricche gioi per dare: Edelsteinen, die als Geschenke gegeben medesmo Amor per lei rafina meglio. werden; sogar die Liebe (Amor) selbst ist ihretwegen besser. Passa per via adorna, e sì gentile Wenn sie auf der Straße geht, ist sie so ch’ abassa orgoglio a cui dona salute, erhaben, dass sie Stolz weckt in jedem, den sie e fa ’l de nostra fé se non la crede; grüßt, und macht den gläubig, der nicht glaubt; und der kann sich ihr nicht nähern, der böse e no lle pò apressare om che sia vile; ist; ich werde Ihnen noch etwas über ihre ancor ve dirò c’ha maggior vertute: größte Tugend sagen: kein Mensch kann an null'om pò mal pensar fin che la vede.74 Böses denken, wenn er sie sieht.

Cavalcanti entwickelte den Frauenpreis weiter und stellte seine geliebte Frau über alle anderen Frauen. Weiterhin benutzte er eine Sonnenmetapher zum Frauenpreis:

74 Tosto, S. 173. 62 perché di tutte siete la migliore.75 weil von allen Frauen sie die beste sind. risplende più che sol vostra figura.76 Ihre Gestalt scheint mehr als die Sonne.

Die Sonnenmetapher, die sehr oft beim Frauenpreis vorkommt, wird auch vom Dichter der klassischen Phase des deutschen Minnesangs, Heinrich von Morungen, benutzt. Die Frau wird mit der strahlenden Sonne verglichen: die Sonnenmetapher signalisiert höchste Schönheit: wê waz hilfet mich daz mîn sunne ist ûf was hilft es mir, dass meine Sonne gegân? aufgegangen ist? MF 134,36

unde siht mich an reht als der sunnen schîne. und sieht mich wie der Sonnenschein an. MF 138,38

sô’st diu liebe frowe mîn so ist meine geliebte Frau ein wunderbarer ein wunnebernder süezer meije, süßer Mai, ein wolkenloser Sonnenschein. ein wolkenlôser sunnen schîn. MF 144,28

Si liuhtet sam der sunne tuot Sie strahlt wie die Sonne am klaren Morgen. gegen den liehten morgen.77

75 Tosto, S. 175. 76 Tosto, S. 175. 77 Tervooren, S. 54. Übersetzung Tervooren. 63

4. 3. 3. Die überirdische und vergöttlichte Frau

Neben dem Preis der geliebten Frau erscheinen in den höfischen Liedern auch Elemente der Vergöttlichung der Frau. Die Frau wird dermaßen stark idealisiert, dass der Dichter ihr demzufolge überirdische Tugenden zuspricht. Sie wirkt wie ein himmlisches, engelhaftes Geschöpf, das die guten Eigenschaften in den Menschen weckt. Die Dame sollte über alles gepriesen werden. Die Anerkennung der übernatürlichen Eigenschaften der Frau führt häufig zu einer gewissen Depersonalisation: die Dame ist nicht real, sondern ein von den Dichtern geschaffenes Konstrukt. Ein anschauliches Beispiel ist bei Guido Cavalcanti in dessen Gedicht Fresca rosa novella zu finden. Der Dichter benutzte zahlreiche Motive der Vergöttlichung der Frau: er vergleicht sie mit einem übernatürlichen, engelhaften Geschöpf und stellt sie über alle Menschen. Die Schönheit der Dame und ihre Tugenden sind derart volkommen, dass es sich sicher um ein übernatürliches Wesen handeln müsse : Tutto lo mondo canti, Die ganze Welt besingt Ihre geschätzte po’ che lo tempo vène, Herrlichkeit, denn es kam die Zeit (nämlich sì come si convene, der Frühling), da man dies machen soll; denn vostr’altezza presiata; Sie sind ein engelhaftes Geschöpf. ché siete angelicata – crïatura. Dame, Sie sind eine engelhafte Erscheinung: Angelica sembranza O Gott, wie glücklich meine Sehnsucht ist! in voi, donna, riposa: Ihre fröhliche Erscheinung, die das Dio, quanto aventurosa überschreitet, was in der Natur üblich ist, ist fue la mia disïanza! eine wunderschöne Sache. Die Frauen nennen Vostra cera gioiosa, Sie Göttin; Sie werden offensichtlich so poi che passa e avanza verehrt, dass ich es gar nicht sagen kann; denn natura e costumanza, wer könnte etwas Übernatürliches verstehen? ben è mirabil cosa. Ihre übernatürliche und vollkommene Fra lor le donne dea Schönheit wurde von Gott geschaffen, denn vi chiaman, come sète; Sie sind (allen Frauen) übergeordnet. tanto adorna parete, ch’eo non saccio contare;

64 e chi porìa pensare – oltra natura?

Oltra natura umana vostra fina piasenza fece Dio, per essenza che voi foste sovrana78

Das Gedicht des sizilianischen Dichters Giacomo da Lentini beinhaltet Anspielungen auf den Glauben. Die Dame ist auf höchster Ebene mit Gott gleichgestellt: mit Hilfe eines Bildes der Frau wird der Mann gerettet. come quello che crede wie sich der gläubige Mensch durch seinen salvarsi per sua fede, Glaube rettet, so rette ich mich (durch das Bild ancor non veggia inante.79 der Frau).

Guido Cavalcanti beschreibt in seinem Gedicht den Einfluss, den die höfische Dame auf andere Menschen hat. Sie weckt in ihren Mitmenschen sämtliche gute Eigenschaften; mit Hilfe des Unaussprechbarkeitstopos wird die übernatürliche Herkunft der Frau betont: Chi è questa che ven, ch’ogn’om la mira, Wer ist diese, die kommt, die jeder Mensch che fa tremar di chiaritate l’âre anschaut, die bewirkt, dass die Luft scheint e mena seco Amor, sì che parlare und schwebt, und dass jeder, der sie sieht, sich null’omo pote, ma ciascun sospira?80 in sie verliebt; kein Mensch kann vor ihr reden, jeder seufzt nur.

Dante erwähnt die übernatürliche Natur der Dame explizit und direkt: Tu, Vïoletta, in forma più che umana Du, Violetta, die überirdisch ist, du hast in foco mettesti dentro in la mia mente.81 meinem Gemüt das Feuer entzündet.

Im Sonett Tanto gentile e tanto onesta pare beschreibt Dante die engelhafte Gestalt der Dame, die erneutweise ein Geschöpf des Himmels wirkt: Ella si va, sentendosi laudare, Sie geht und ist schön, von der Ehrerbietigkeit

78 Tosto, S. 177. 79 Tosto, S. 121. 80 Tosto, S. 176. 81 Tosto, S. 266. 65 benignamente d’umiltà vestuta; angezogen und hört zu, wie sie die anderen e par che sia una cosa venuta loben; und es scheint, dass ein Geschöpf aus da cielo in terra a miracol mostrare.82 dem Himmel auf die Erde gekommen ist, um ein Wunder aufzuzeigen.

An den dolce stil novo knüpfte Francesco Petrarca, der die Vorstellung der übernatürlichen und engelhaften Frau weiter entwickelte, im vierzehnten Jahrhundert weiter, an. Francesco Petrarca verbrachte seine Jugend in Avignon in Frankreich, wo er seine geliebte Laura, die er in seinem Canzoniere besingt, zum ersten Mal sieht. Laura war jedoch unerreichbar, weil sie mit einem anderen Mann verheiratet war. Trotzdem dauert Petrarcas Liebe zu Laura lange Zeit an. Nach dem schrecklichen Jahr 1348, in dem während der grassierenden Pestseuche seine geliebte Laura und viele seiner Freunde starben, siedelt Petrarca entgültig nach Italien über. Sein Aufenthalt wurde durch mehrere diplomatische Reisen unterbrochen, er besuchte im Jahre 1356 sogar Prag und korrespondierte einige Zeit mit dem tschechischen Kaiser Karl IV. Neben lateinischen Werken wie Africa oder Epistulae verfasste Petrarca auch Werke in der Landessprache: das wichtigste ist Canzoniere oder Rime sparse. Das zentrale, fast alleinige Thema von Canzoniere ist die Liebe zu Laura. Canzoniere wirkt wie ein subjektives, intimes Tagebuch der Beziehung zur geliebten, aber verheirateten Frau; es schildert die Liebe zu Laura von ihrer ersten Begegnung am 6. April 1327 in einer Kirche in Südfrankreich, über ihren Tod bis zum hohen Alter des Dichters. Die Liebe des Dichters ist aber nicht oberflächlich, sondern sie wird zum konkreten und wirklichen Gefühl – im Unterschied zu manchen Liedern der höfischen Lyrik, in denen die Frau meistens lediglich ein abstraktes Konstrukt darstellte. Obwohl Laura auch sämtliche Tugenden der mittelalterlichen adeligen Frau (also Schönheit, angemessenes Verhalten, Frömmigkeit) hat, wirkt sie wie ein realer Mensch, gerade durch die kleinen, vom Dichter beschrieben Einzelheiten: ihre Handschuhe, ihr Lächeln, ihre Tränen. Ihre Tod macht aus Laura eine reale Frau; die Liebe zu Laura führte zu lebenslangen Qualen. Das Sonett Erano i capei d’oro a l’aura sparsi ist einer der berühmtesten Abschnitte von Teil In vita di madonna Laura. Im Sonett wird die ehemalige Schönheit Lauras gepriesen; die Liebe des Dichters überwindet die Realität von Lauras Alter und

82 Tosto, S. 258-259. 66 das unbarmherzige Wirken der Zeit. Das Sonett geht von der Konzeption des dolce stil novo aus, und vom Vergleich der Frau mit den Naturelementen, im Versprechen der ewigen Liebe und in der Vergöttlichung der Frau nähert sich Petrarca dem dichterischen Stil Dantes an. Er schreibt auf sehr persönliche und individuelle Weise; die Gestalt der Frau ist bei Petrarca nicht konventionell; sie wirkt realistischer gerade wegen der Vergänglichkeit ihrer Schönheit. Die Beziehung zur Frau ist nicht statisch – das Liebesgefühl ruft auch innere Überlegungen und Reflexion hervor, im Unterschied zu Stilnovisten, die die entfernte, platonische und idealisierte Liebe beschreiben. Das Hauptthema des gesamten Gedichtes ist der Preis der Frau, deren Schönheit überirdisch und engelhaft wirkt. Zur Zeit des ersten Zusammentreffens war Laura jung und wunderschön: neben goldenem Haar, glänzenden Augen und liebenswürdigem Antlitz wird auch ihr angemessenes Verhalten gelobt. Die Frau wirkt wie ein himmlisches Geschöpf: ihre Augen scheinen; ihr Wandeln ist übernatürlich; ihre Worte klingen besser als die jeder anderen Menschenstimme. Sie wird mit dem Geist des Himmels und der lebendigen Sonne verglichen. Andererseits ist die Schönheit der Dame schon ein wenig verblasst. Aber auch wenn Laura nicht mehr so schön ist wie früher, wird die Herzenswunde des Dichters nie geheilt. Erano i capei d’oro a l’aura sparsi Die goldnen Haare mit der Luft sich che ’n mille dolci nodi gli avolgea, schwangen, e ’l vago lume oltra misura ardea die sie in tausend süße Schlingen legte, di quei begli occhi ch’or ne son sì scarsi; und ohne Maß das holde Licht sich regte der Augen, die zu geizen angefangen. e ’l viso di pietosi color farsi, non so se vero o falso, mi parea: Es dünkte mich, als ob in ihren Wangen i’ che l’esca amorosa al petto avea, des Mitleids Farbe leise sich bewegte: qual meraviglia se di subito arsi? Ich, der im Busen Liebeszunder hegte, was Wunder, wenn ich plötzlich Feu’r Non era l’andar suo cosa mortale gefangen? ma d’angelica forma, e le parole sonavan altro che pur voce umana; Ihr Wandeln war nicht aus dem ird’schen Reiche, uno spirto celeste, un vivo sole nein, Engelsart; und ihrer Worte Wonne fu quel ch’i’ vidi, e se non fosse or tale, scholl anders wie von eines Menschen Munde.

67 piaga per allentar d’arco non sana.83 Ein Geist des Himmels und lebend’ge Sonne war, was ich sah: Und wär’s nicht mehr das Gleiche: Kein abgespannter Bogen heilt die Wunde.84

Auch im Lied von Walther von der Vogelweide ist die Frau himmlischen Ursprungs. Es wird erneut die Lichtmetapher für die Betonung der überirdischen Natur der Frau benutzt. Ir houbet ist sô wunnenrîch, Ihr Haupt ist so wunderschön, als sollte es als ez mîn himel welle sîn. mein Himmel sein. Wem sollte es auch gleich wem solde es anders sîn gelîch? sein? Es hat doch den himmlischen Schein. Da ey hât ouch himeleschen schîn: oben leuchten zwei Sterne. dâ liuhtent zwêne sternen abe85

Die Konzeption der höfischen Liebe beeinflusste die Dichter in den folgenden Jahrhunderten. Das vierzehnte Jahrhundert war die Zeit der Veränderung: mit der Stabilisierung der Wirtschaft entstand signoria, das die typische politische Organisation dieser Zeit darstellte. Außerhalb der Politik war auch die Verschiebung im Bereich der Philosophie und des Denkens markant; die Aufmerksamkeit zielte auf den Mensch, in den Vordergrund traten neue philosophische Konzepte mit einer positiven Abgrenzung des Menschens. Die neue geistige Strömung, Humanismus, bracht neue Ideale in Schönheit und Kunst – zur neuen Quelle der Inspiration wurde die Antike und deren Gelehrte. Die Orientierung auf das irdische Leben und die Betonung der Schönheit als ein wichtiger Wert setzten sich durch. Nach der langen Vorherrschaft der lateinischen Sprache wird das Interesse vermehrt der Entwicklung der Landessprache gewidmet, die zur vollwertigen und eigenständigen Sprache eben für die edelste literarische Gattung, die Poesie, wird. Trotz all dieses Fortschrittes wird die Konzeption der höfischen Lyrik jedoch nicht vergessen und die Ideale des Ritterdienstes sind in der Gesellschaft bis heute tief verwurzelt.

83 Heintze, S. 28. 84 Heintze, S. 29. 85 Hunger, S. 81. 68

5. Zusammenfassung

Im elften Jahrhundert entstand in Südfrankreich eine neue kulturell-literarische Strömung: die höfische Liebesdichtung beginnt sich bald darauf in ganz Europa zu verbreiten. Die provenzalische Dichtung brachte ein ganz besonderes, gesamteuropäisches, geistig-kulturelles Phänomen mit sich, das Europa mindestens für die nächsten drei Jahrhunderte völlig dominierte; die Spuren seines Einflusses sind noch heute erkennbar. Eine Konzeption der höfischen Liebe und Courtoisie setzte sich durch und zugleich entwickelte sich eine neue Lebensweise, die ein neues Verhaltensmuster und eine Änderung der Geisteshaltung voraussetzte. Die höfische Liebeslyrik war eine meisterhafte Periode weltlicher Dichtung. Die Dichter der höfischen Lyrik benutzten neben den Naturbildern auch Bilder aus dem Bereich der Sinneswahrnehmung, vor allem Blumen- und Farbensymbolik spielte eine große Rolle. Die Melodie der Lieder und der Bilderreichtum demonstrieren eine außergewöhnliche Phantasie und Anschauungskraft; die Gedichte sind durch künstlerische Strophenbildung und Metaphorik gekennzeichnet. Die provenzalische Lyrik wurde für lange Zeit zu einem Muster im formalen und inhaltlichen Aufbau sowie in den Themen im gesamten Europa. Die provenzalische Liebesdichtung wirkte in Frankreich, in Südeuropa, im deutschsprachigen Raum und in anderen Gebieten auf die höfische Kultur ein: sie brachte das Konzept des Ritters und eine neue Auffassung der Frau mit sich. Die Gedichte beschreiben in der Regel keine reale, tatsächlich existierende Frau, sondern eine Summe fest gegebener höfischer Eigenschaften. Es handelt sich demnach um ein von Dichtern erfundenes literarisches Konstrukt. Auf diese Weise entwickeln sich in den Liedern gewisse weibliche Eigenschaften und Tugenden, die mit der höfischen Konzeption verbunden sind. Die beschriebenen Frauentypen und Fraueneigenschaften stellen die wichtigsten Abbildungen der Frau in den Liedern dar. Die feudale und herrschende Frau erschien in den provenzalischen Liedern als eine Reaktion auf wirtschaftliche und soziale Strukturen der Gesellschaft. Die Unterordnung des Mannes gegenüber dem höher gestellten Feudalherr als ein grundlegendes Element wird auf die Beziehung zwischen dem Ritter und der höfischen Dame übertragen. Die hoch gestellte Dame wird dem Herrn angeglichen und der Mann tritt als ihr Diener auf. Er ist der Dame mit seinem Dienst, seiner lebenslangen Treue

69 und unbedingtem Gehorsamkeit verpflichtet. In den Liedern wird die Dienstwilligkeit, Dienstbereitschaft und untergeordnete Position des Mannes geäußert. Die weit entfernte Frau erscheint vor allem in den Liedern des Trobadors Jaufré Rudel. Die abwesende Frau wird als eine adelige, unermesslich schöne und tugendhafte Dame dargestellt, in die sich ein Ritter verliebt, die er aber noch nie gesehen hat. Das Konzept der entfernten, unerreichbaren Liebe wird sehr oft in die Welt der Kreuzzüge versetzt: eine wichtige Rolle spielen dabei die räumliche Distanz und die unbekannte muslimische Kultur. Im Gegensatz zur entfernten Liebe steht der italienische dolce stil novo, demzufolge die Liebe ausschließlich durch die Augen ins Herz eintreten kann. Die Figur des einfachen Mädchens, das mit der adeligen Dame konkurriert, ist in der höfischen Liebesdichtung sehr beliebt. Ein junges, wunderschönes Mädchen, in der Regel eine Hirtin, tritt in der Pastourelle als Protagonist auf; es trifft einen Mann, der sich gleich in es verliebt und der sich nach einer körperlichen Verbindung mit ihm sehnt. Die Hirtin kann dem Mann entweder freundlich geneigt sein und seine Liebe erwidern, oder sie kann den Mann trotz der langen Überredung ablehnen. Auf jeden Fall lässt sie den Mann nicht so lange warten wie die adelige Dame, sondern sie äußert ihre Einstellung gleich. Die freundlich geneigte und in der Liebe aktive Frau erscheint vor allem in der Frühphase des deutschen Minnesangs. In den Liedern, die oft aus weiblicher Perspektive geschrieben werden, wird die Sehnsucht der Frau nach der Anwesenheit des geliebten Mannes und manchmal auch nach der physischen Verbindung geäußert. Die adelige Dame, die oft selbst in der Frauenstrophe spricht, erklärt dem Ritter ihre Liebe und dann ist es am Ritter, ob er ihre Liebe erwidert, oder ablehnt. Der Gegensatz der freundlich geneigten Frau ist die ablehnende Frau. Die ablehnende Frau ist in der Regel eine hochadelige Dame, die nicht von der Liebe ihres Verehrers überhaupt weiß, oder wissen will. Sie wird als ein wunderschönes und tugendhaftes Geschöpf geschildert, sie verhält sich gegenüber dem Ritter ablehnend oder, noch schlimmer, sie ist völlig gleichgültig und ignoriert den Dienst des Ritters. Die ablehnende und gleichgültige Dame tritt in den Liedern der hohen Minne als Protagonist auf, die eine Vollendung der höfischen Konzeption darstellt. Die kritisierte Frau erscheint vor allem in den Liedern von Walther von der Vogelweide im deutschen Minnesang. Von der Frau wird eine Belohnung für den treuen Dienst verlangt: die höfische Dame, die den Lohn ständig verweigert, wird daraufhin

70 vom Mann kritisiert. Ist sie es nicht, verliert der Mann seine Motivation, der Dame zu dienen, und nach der strengen Kritik sucht er das Liebesvergnügen bei einer anderen Frau. Auf diese Weise wird demzufolge eine zu stolze Dame kritisiert. Die verlassene und unglückliche Frau äußert ihre Trauer in der Regel in den Frauenstrophen. Die Dame ist in einem Mann verliebt, wird aber von ihm betrogen und verlassen. Eine wichtige Rolle spielt hier oft die Figur einer Gegnerin: einer anderen Frau, die nun den Mann gewonnen hat. Die verlassene Dame beschreibt ihre traurige Situation und ihre Qualen, nachdem sie der geliebte Mann verlassen hat, und sehnt sich oft nach dem Tod. Das Motiv des Preises der geliebten Frau ist in den höfischen Liebesgedichten stark vertreten. Die gelobte Dame ist in der Regel gesellschaftlich hochgestellt und somit unerreichbar; in der französischen Lyrik ist sie auch oft verheiratet. Die Dame wird in den höchsten Tönen gelobt: in den Liedern wird sowohl ihre physische Schönheit als auch ihre geistige Tugenden wie Frömmigkeit, Keuschheit und angemessenes Verhalten gepriesen. Sie wird oft mit schönen Blumen oder strahlenden Himmelkörpern verglichen. Der unermessliche Preis der Dame führt oft zur Vergöttlichung und Depersonalisierung der Frau. Die vergöttlichte Frau wirkt wie ein übernatürliches und engelhaftes Geschöpf. Ihr werden übernatürliche Eigenschaften zugesprochen: sie strahlt Güte aus, weckt gute Eigenschaften in den Menschen und sie kann allein durch ihre Erscheinung einen Ungläubigen konvertieren. In den Liedern erscheinen oft Anspielungen auf den Glauben und Gott. Die Dame wird oft auf höchster Ebene mit Gott gleichgestellt. Zugleich werden auch Sonnenmetaphern und Lichtmetaphern zur Betonung der übernatürlichen Natur der Dame benutzt. Das Frauenbild in den höfischen Liedern, obwohl es auf den individuellen Erfahrungen der Dichter begründet ist, ist im Prinzip ein Produkt der Phantasie und der damaligen höfischen Gesellschaft. Trotzdem sind manche Gedichte sowie die Ideale des Rittertums und des Frauendienstes in gewisser Form bis heute lebendig geblieben.

71

6. Literaturverzeichnis

Beaulieu, M. Středověká Francie. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2003.

Bocková, G. Ženy v evropských dějinách. Od středověku do současnosti. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2007.

Bumke, J. Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1994.

Duby, G. Vznešené paní z 12. století. 1. Brno: Atlantis, 1997.

Goff, J. Středověký člověk a jeho svět. Praha: Vyšehrad, 2003.

Kopičková, B. Historické prameny k studiu postavení ženy v české a moravské středověké společnosti. Praha: Historický ústav, 1992.

Neumann, S. K. Dejiny ženy. Bratislava: Nakladateľstvo Pravda, 1971.

Pernoudová, R. Žena v době katedrál. Praha: Vyšehrad, 2002.

Spunar, P. Kultura středověku. Praha: Academia, 1995.

Frankreich:

Anglade, J. Pour étudier les troubadours. Notice bibliographique. Toulouse: [záznam chybí], 1930.

Černý, V. Vzdálený slavíkův zpěv. Výbor z poezie trobadorů. Praha: Státní nakladatelství krásné literatury a umění, 1963.

Darcos, X. Histoire de la litérature française. Paris: Hachette Éducation, 1992.

72

Frank, I. Trouvères et Minnesänger – recueil de textes. Saarbrücken: West-Ost-Verlag, 1952.

Goldin, F. Lyrics of the Troubadours and Trouvères. An Anthology and a History. New York: Anchor books, 1973.

Groult, E. Littérature françoise du moyen âge 1. Gembloux: J. Duculot, 1964.

Jeanroy, A. Anthologie des troubadours: XIIe – XIIIe siècle. Paris: La renaissance du livre, 1927.

Jeanroy, A. Les origines de la poésie lyrique en France au moyen âge. Paris: Librairie ancienne honoré champion, 1925.

Köhler, E. Trobadorlyrik und höfischer Roman. Berlin: Rütten & Loening, 1962.

Kopal, J. Dějiny francouzské literatury. Praha: Melantrich, 1949.

Lafitte-Houssat, J. Troubadours et cours d’amour. Paris: Presses universitaires de France, 1960.

Lagarde, A., Michard, L. La littérature française 1. Du Moyen Âge à l’âge baroque. [Paris]: Bordas et Laffont, 1970.

Muraille, G. Anthologie de la littérature française du moyen âge, des origins à la fin du XIII siècle. Gembloux: Èditions J. Duculot, 1964.

Petit de Julleville, L. Histoire de la littérature française, I. Des origines à Corneille. Paris: Masson et C, 1903.

Petrarca, F. Rerum vulgarium fragmenta: I trionfi. Strasburgo: J.H. Ed. Heitz, [18--].

Ribemont-Dessaignes, G. Les Troubadours. Paris: Egloff, 1946.

Šimek, O. Dějiny francouzské literatury v obrysech I. Praha: Sfinx, 1947.

Wellner, F. Die Trobadors. Leben und Lieder. Leipzig: Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung, 1966.

73

Der deutschsprachige Raum:

Frings, T. Minnesinger und Troubadours. Berlin: Akademie-Verlag, 1949.

Glosikova, V., Jičínská, V. Anthologie der deutschen Dichtung. Band I. Praha: Univerzita Karlova, 2007.

Hunger, J. Walther von der Vogelweide. Berlin: Kongress-Verlag, 1955.

Kraus, C. Des Minnesangs Frühling. Leipzig: S. Hirzel Verlag, 1954.

Morungen, H. Lieder. Stuttgart: Reclam, 1992. Hrsg. und Übersetzung von Helmut Tervooren.

Schweikle, G. Minnesang. Stuttgart: Metzler, 1993.

Siebenschein, H., Zatočil, L. Stručné dějiny německé literatury do roku 1250. Praha: SPN, 1968.

Stanovská, S. Hle, již v mém srdci vstává den. Praha: Dybbuk, 2009.

Švubová, H. Der deutsche Minnesang und seine Entwicklungsphasen, Autoren und ihre ausgewählte Lieder-Analyse [online]. 2006 [cit. 10. 12. 2008]. Dostupné z: .

Vogelweide, W. Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Halle (Saale) : Max Niemeyer, 1921. Hrsg. von Paul, H. online [21. 8. 2010].

Notizen aus dem Seminar Tschechische und deutsche höfische Dichtung, gehalten von Mgr. Sylvie Stanovská, Dr.

Notizen aus dem Seminar Heinrich von Morungen, gehalten von Mgr. Sylvie Stanovská, Dr.

74

Italien:

Cecchi, E., Sapegno, N. Storia della letteratura italiana, Volume 2. Il Trecento. Milano: Garzanti, 1965.

Flora, F. Storia della letteratura italiana Volume 1. Dal Medioevo alla fine del Quattrocento. [Verona]: Edizioni scholastiche Mondadori, 1948.

Petrarca, F. Sonette. Auswahl italienisch-deutsch. Leipzig: Verlag Phillip Reclam jun., 1974.

Seidl, I. La letteratura italiana dal Duecento al Settecento. Praha: SPN, 1986.

Tosto, R. Antologia della letteratura italiana per i licei classici e scientifici e per gli istituti magistrali. Volume 1. Milano: Edizioni Mursia, 1968.

Notizen aus dem Vortrag Úvod do dějin a kultury Itálie I, II, gehalten von Mgr. Zuzana Šebelová, PhD.

Notizen aus dem Vortrag Letteratura italiana I, gehalten von Mgr. Zuzana Šebelová, PhD. online [14. 2. 2011].

75