Der Geoutete Liberace
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Zu guter Letzt AJP/PJA 9/2014 Der geoutete Liberace 1275 beschrieb: «He is the summit of sex- Homosexualität auch die eheliche Un- Masculine, Feminine and Neuter. Eve- treue impliziert, oder bei Personen in rything that He, She and It can ever einem homosexuellenfeindlichen Um- want. I have spoken to sad but kind- feld – dies, weil Homosexualität nicht ly men on this newspaper who have strafbar, unsittlich oder unethisch sei.3 met every celebrity arriving from the Dieses Argument klingt vordergründig United States for the past thirty years. fortschrittlich, verhindert aber einen They all say that this deadly, winking, wirkungsvollen Schutz und hilft den sniggering, snuggling, chromium-pla- Tätern. Liberace berief sich damals ted, scent-impregnated, luminous, qui- zivilrechtlich wie ein falsch geouteter vering, giggling, fruit-flavored, min- Heterosexueller auf die Unrichtig- cing, ice-covered heap of mother love keit und Immoralität oder Unsittlich- has had the biggest reception and im- keit des Vorwurfs.4 Dieses Klagefun- pact on London (…).»1 Die Wortwahl dament, so es heute angesichts der verlief entlang den gängigen Codes strafrechtlichen Rechtsprechung und ARNOLD F. RUSCH für Homosexualität. Liberaces erste den Wertungen in der Gesellschaft PD Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M., Zürich Sorge galt seiner Mutter, die den Ar- überhaupt noch zur Verfügung steht, tikel nicht sehen sollte – aber auch er erweist sich für die grundsätzlichen selber war angeblich zutiefst erschüt- Anliegen der Homosexuellen als un- Der amerikanische Pianist Liberace tert. Liberace sagte vor der Londoner passend, denn es verfestigt die schie- war ein begnadeter Entertainer – der Jury aus, dass er nicht homosexuell sei fe Sicht und die Notwendigkeit des Film «Behind the Candelabra» mit und nie Sex mit Männern praktiziert Leugnens.5 Michael Douglas und Matt Damon hat habe: «My feelings are the same as Denkbar wäre angesichts des Zei- vor einem Jahr die Erinnerung an ihn any one else’s. I am against the practice tungstexts auch die Argumentation, brillant aufgefrischt. Legendär waren because it offends convention and of- dass sich Liberace eigentlich gegen seine weissen Pelzroben und sein exal- fends society.»2 Die Jury befand, der den Vorwurf wehrt, ein «weiblicher» tierter Stil, doch kannte alles auch eine Artikel bezeichne Liberace zu Unrecht Homosexueller zu sein. Dies erinnert Grenze: Niemand durfte Liberace öf- als homosexuell und sprach ihm die stark an den Prozess, den Michael von fentlich als homosexuell bezeichnen. Er rekordhohe Summe von £ 8’000 zu. der Heide wegen der Fotomontage sei- klagte sogar gegen den Daily Mirror, Liberace hat im Prozess gelogen nes Kopfes auf dem Körper der Sän- der ihn codiert outete – und gewann! und gewonnen – lässt sich das irgend- gerin Lena gegen den Blick geführt Der Film Behind the Candelabra hat wie rechtfertigen? Man müsste Libe- und gewonnen hat.6 mich enorm fasziniert. Ein Satz weck- race in den homophoben Fünfziger- te auch meine juristische Neugier – es Jahren vielleicht ein Recht auf Notlüge war die Erwiderung Liberaces auf die zugestehen. Das englische Recht stell- 3 Urteil BGer 6B_983/2010, E. 4.4.1–4.4.4; Aufforderung seines Liebhabers, als te homosexuelle Handlungen noch bis Obergericht Luzern, 8.2.2005, LGVE 2005 bekannter Star seine geheim gehalte- I Nr. 56, E. 4. Darauf lassen sich auch post 1967 unter Strafe. Unabhängig davon mortem zivilrechtliche Verbote stützen, ne Homosexualität nicht in einschlä- müsste man Liberace aber auch heute jemanden als homosexuell zu bezeichnen, gigen établissements auszuleben: vor einem zwangsweisen Outing straf- vgl. dazu die Kontroverse um den verstor- «When the London papers said I was und zivilrechtlich schützen. Das Bun- benen österreichischen Politiker Jörg Hai- gay, I took them to court. I won that der, Internet: http://www.kleinezeitung. desgericht bejaht bei einem Outing at/nachrichten/politik/haider/2207536/ lawsuit. They retracted the story and Ehrverletzungsdelikte im Sinne der zeitungen-angeblichen-enthuellungen- they paid for it.» Sein Liebhaber kon- Art. 173 ff. StGB nicht generell, son- zu-haiders-privatleben-verurteilt.story terte: «Only because they didn’t have dern nur bei verheirateten Personen, (6.8.2014). 4 a witness of you in a room of dildos.» bei denen der Vorwurf der gelebten Zu den verschiedenen Klagemöglichkei- ten in Amerika HILARY E. WARE, Celebrity Tatsächlich ist dies in etwa die Kurz- privacy rights and free speech: recalibra- version des Prozesses von 1959 in ting tort remedies for «outed» celebrities, London. Władziu Valentino Liberace 1 Aus der Gerichtsberichtserstattung in The 32 Harv.C.R.-C.L.L.Rev. 449 ff., 466 ff. 5 (1919–1987) klagte damals zivilrecht- Times, 9.6.1959, 14. WARE (FN 4), 470, 483. 2 The Times, 9.6.1959, 14; zu Liberaces 6 Urteil BGer 5A_376/2013, insb. E. 4.3; lich aus Persönlichkeitsverletzung ge- Sorge um seine Mutter auch The Times, Art. 3 Abs. 1 lit. a UWG ist kumulativ an- gen den Daily Mirror, der ihn wie folgt 18.6.1959, 14. wendbar (E. 2.3). Arnold F. Rusch AJP/PJA 9/2014 1276 Linkes Foto: Liberace in seinem Wohnhaus in Los Angeles; rechts Michael Douglas als Liberace und Matt Damon als sein Liebhaber Scott Thorson im Film «Behind the Candelabra» (Bilder: Allan Warren, 1974/HBO Films, 2013) Liberace könnte sich aber auch auf Solange viele Kreise Homosexua- se mag auf das Outing vernünftig re- den Schutz seines Geheimbereichs lität als Perversion oder als Kuriosum agieren, doch verkennt dieser mittlere stützen. Das Outing betrifft den Ge- ansehen, müssen die Klagefundamen- Durchschnitt, dass es auch ein halbes heim- und Intimbereich einer Person, te des Geheimnisschutzes und des Volk unter dem Durchschnitt gibt, das der auch bei absoluten Personen der falschen, unsittlichen Vorwurfs offen auf die Mitteilung mit Hass und Ab- Zeitgeschichte Schutz verdient.7 So stehen. Die beiden Klagefundamen- lehnung reagiert. haben amerikanische und deutsche te liessen sich sogar vereinen: Man Liberace liebte seine Fans, aber Gerichte bei einem zwangsweisen Ou- müsste einen Angriff auf die Persön- diese liebten nicht ihn, sondern ting Schadenersatz und Genugtuung lichkeit bejahen, weil das Outing eine Mr. Showmanship. Gegen Ende sei- zugesprochen.8 Hier zeigt sich aber Person potentiell Hass, Beschimpfung, nes Lebens verheimlichte er den HIV- bereits ein Problem. Diese Sphäre Lächerlichkeit oder Gewalt aussetzt.10 Ausbruch, weil die Öffentlichkeit dies verdient eigentlich auch dann Schutz, Ähnliche Formulierungen verwenden als Zeichen seiner Homosexualität wenn die Homosexualität wie bei Li- die Gerichte, wenn sie Satire erfassen verstanden hätte. Nach seinem Tod berace in homosexuellen Kreisen sehr möchten, die Personen der Lächer- versuchten sein Manager und sein Arzt wohl, im Familienkreis oder der brei- lichkeit preisgibt11 – a fortiori müsste sogar, der Öffentlichkeit Herzversa- ten Öffentlichkeit indes nicht bekannt das Lächerlichmachen ausserhalb der gen als Todesursache zu verkaufen, war. In solchen Fällen ist die Homose- Satire persönlichkeitsverletzend sein. doch ordnete der Untersuchungsrich- xualität nach den gängigen Beschrei- Ob der Vorwurf der Homosexualität ter eine Autopsie an.13 Liberaces Le- bungen der Rechtsprechung nicht zutrifft, spielt dann keine Rolle mehr. ben war trotz des grandiosen Erfolgs mehr geheim. Man müsste also den Gibt der Persönlichkeitsbegriff des auch eine grosse Tragödie. Es wäre Geheimbereich ausdehnen.9 schweizerischen Rechts dies her? Die schön gewesen, hätte er sich selbst Rechtsprechung verwendet als Mass- sein können: sein Song A Brand New stab eine Durchschnittsperson.12 Die- Me hätte eine ganz neue Bedeutung! 7 Vgl. BGE 119 II 222 ff., 225; ZR 1998, 132 ff., 133; Schweizer Presserat, Stellung- nahme Nr. 62/2002, E. 2. Sipple v. Chronicle Publishing Co. (1984), 8 Vgl. die Angaben bei WARE (FN 4), pas- 154 Cal. App. 3d 1040, 1047 f. sim und statt vieler Sterling v. Borough of 10 Dieser Vorschlag zum amerikanischen Minersville, 232 F.3d 190, 196; LG Mün- Recht bei WARE (FN 4), 473. 13 Vgl. dazu MICHELLE GREEN, Liberace: The chen, Urteil vom 21.7.2005, 7 O 4742/05 11 Vgl. Urteil BGer 5A_850/2011, E. 5.2.4 Gilded Showman, People, 16.2.1987, 24 (becklink 153337). und BGer 5A_376/2013, E. 4.3, 5.2.1. und JOHN CREWDSON, Liberace’s Death Rai- 9 Vgl. LG München (zit. in FN 8); vgl. die 12 Vgl. BGE 127 III 481 ff., 487 und Urteil ses Privacy Questions, Chicago Tribune, Forderung bei WARE (FN 4), 481; a.M. BGer 5A_376/2013, E. 4.3. 15.2.1987, 21..