30. November 2017 Für Objektverzeichnis

Ausgewählte Objekte 280 bitte aufklappen Object index on reverse of flap Ausgewählte Objekte Auktion Nr. 280 , Donnerstag, 30. November 2017 um 11 Uhr Herbst 2017 Ausgewählte Objekte ORANGERIE

ORANGERIE. Selected Objects, Auction No. 280 Berlin, Thursday, 30 November 2017 at 11 a.m. grisebach.com Emil Lettré Emil 25 255 300 250 264 267 313 0 - 314 312 322 320 315 316 321 319 318 317 328 A 328 328 B 328 325 326 324 327 329 323 332 331 334 335 333 338 336 337 345 B 345 345 A 345 341 344 340 343 339 342

Alexis Poitevin, Detail, Los 325 350 353 352 349 348 346 347 351 355 354 358 359 356 360 361 357 363 A-I 363 365 A 365 365 B 365 364 366 368 367 362 370 A 370 370 B 370 369 375 373 372 374 371 378 380 383 382 379 377 376 381

ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY

Maurizio Nannucci, 2005

Ausgewählte Objekte 30. November 2017, 11 Uhr

Selected Objects 30 November 2017, 11 a.m. Experten Specialists

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Grisebach — Herbst 2017 Vorbesichtigung der Werke Sale Preview

Berlin 24. bis 28. November 2017 Grisebach Fasanenstraße 25, 27 und 73 10719 Berlin Freitag bis Montag 10 bis 18 Uhr Dienstag 10 bis 15 Uhr

Stefan Körner Emil Lettré. Die Wiederentdeckung des Artisans der Poeten und Goldschmieds der Goldenen Zwanzigerjahre

Er hatte Rilke den Kopf verdreht, dieser junge Goldschmied aus Hanau, der mit seinem Handwerk kurz nach 1900 die Welt erobern wollte. Emil Lettré besuchte damals die Münchner Kunstgewerbeschule und beschwor diese Zeit später: „es waren glückliche Jahre – die sich wie ein Segen auf mich auswirkten – von da ab wusste ich – um was es sich auf der Erde handelt [...], ich hatte Freundschaft mit Rainer Maria Rilke und las Nietzsche“.1 Der Poet wiederum war ergriffen von Lettrés brennender Hingabe an das Metall, an Gold, Silber und Edelsteine. Sein Leben lang trug er die Man- schettenknöpfe, die ihm Lettré in diesen Jahren gefertigt und geschenkt hatte und die bis heute in der Familie wie Heiligtümer von Generation zu Generation weitervererbt werden. Es heißt, dass Rilke sich damals sogar fast selbst entschlossen hätte, Goldschmied zu werden. Doch stattdessen schrieb der Poet 1906 das Gedicht „Der Goldschmied“, in dem die Schöpferkraft des Handwerkers und die Urkraft der edlen Materialien beschworen wurden. Vorbild war sein Freund Lettré, den Rilke einen „artisan“ nannte, denn Lettré wurde der Goldschmied der Poeten der Goldenen Zwanziger.

Drängend von Hanau in die Welt

Lettrés Hingabe an das Material war erotisch, wie er selbst sag- te. Das Goldschmiedehandwerk war Teil seiner DNA, stammte er doch aus dem deutschen Goldschmiede- und Schmuckzentrum Hanau. Trotzdem war der Weg für den 1876 Geborenen keines- wegs vorgezeichnet: Von einer hugenottischen Handwerkerfa- milie abstammend, kam er „aus der Gosse“, wie er kokett bemerkt haben soll.2 In Hanau stand damals vieles im Zeichen von Historismus und Serienanfertigung. Es war sein vorwärts- drängendes Temperament, das Lettré nach Lehrjahren an der Larissa Hofmann: Lettré cross over, Fotografie, 2017 dortigen Königlichen Zeichenakademie in die Welt zog: Über Wien, Budapest, Zürich und Nizza nach , in das Goldschmiedezentrum der damaligen Welt. Bild links: Eduard Pfeiffer: In der französischen Hauptstadt begann zu dieser Zeit gerade der Glanz und Katalog-Titel für Emil Lettré, Berlin, um 1910 Rausch des Art Nouveau. Besonders die Kreationen des Goldschmieds René Lalique (1860–1945) machten den neuen Stil auch für den Schmuckbereich legen- där. Im Kontext der großen Pariser Weltausstellung von 1900 arbeitete Lettré in diesem Umkreis und zeigte sich doch von Laliques Entwürfen eher abgestoßen, denn für ihn waren sie nur „romantischer Naturalismus – ein Schwelgen in Email – Goldschmied ohne Handwerk – man spürte nicht das Werkzeug“. Handwerklich wurde Lettré dem französischen Großmeister im deutschen Feuilleton dieser Tage bereits als ebenbürtig betrachtet. Zugleich wurde aber auch schon auf die Individualität des deutschen Jungtalents hingewiesen, das spielerisch historische Vorbilder für neue Kreationen nutzte und dem dabei Materialgerechtigkeit und Klarheit am Herzen lagen.3 Erstmals loderte hier der Wettstreit des jungen deut - schen Goldhandwerkers mit dem großen Ornamentzauberer des französischen Jugendstils auf, der ihn ein Leben lang begleiten sollte. Bald zog es Lettré vom gekünstelten Paris weiter ins – wie er es nannte – „bukoli- sche München“, wo er sich, seinem Credo „Geschmack ist gepflegter Wirklich- keitssinn“ folgend, an der Kunstgewerbeschule weiter ausbilden lassen wollte. Vor allem scheint Lettré in München jedoch der Kontakt zu einer Gruppe von jungen englischen Architekten inspiriert zu haben, für die die wirtschaftlich und kulturell aufblühende Hauptstadt Bayerns reiche Anregung und Beschäftigung bot: Über John A. Campbell (1878-1947), der von der Möbelbaufirma Pössenbacher nach München geholt worden war, kam Lettré in Kontakt zu Schülern von William Mor- ris, den Lettré als „Troubadour des Handwerks“ heiligte. Morris‘ Arts and Crafts- Bewegung, die sich in handwerklicher Könnerschaft gegen die Massenproduktion des Maschinenzeitalters stellte und aus der historischen Verbundenheit zu Mate- rial und klassischem Formenkanon lebte, wurde zur Offenbarung für ihn. Rückbli- ckend schrieb Lettré über Morris, er „verdanke ihm Qualitätssinn und dass ich mich selbst gefunden“ habe. Am elementarsten für den aufstrebenden Gold- schmied war jedoch die Bekanntschaft und Lebensfreundschaft mit dem Archi- tekten Eduard Pfeiffer (1889-1929), dessen gestalterische Fähigkeiten Lettré über alle Maßen schätzte: „wenn ich einem genialen Menschen Kränze flechten darf – dann ihm – er war mein Architekt.“4 Pfeiffers Illustrationen zu Lettrés um 1912 herausgegebenem Katalog mit Silberkunstwerken5 zeigen die innige Verbunden- heit und klare Mission der energisch auftretenden Gruppe: einer Art „Künstler- sekte, die auf eigenen Pfaden hartnäckig und still einem Sehnsuchtsbild nachge- gangen ist, während ringsumher der Tumult der ‚modernen Bewegung’ tobte.“6 Gemeint war damit der sogenannte Amerikanismus, gegen dessen schnörkelige Veräußerlichung auch El Lissitzky in seinem berühmte Essay Sturm lief und gegen den die Münchner Künstlerfreunde die poetische Kraft des reinen Handwerks stellten. In diese Ideen zur Weltverbesserung stimmte auch Rainer Maria Rilke ein, als er Harry Graf Kessler über Lettré anvertraute: Ich „habe ihn arbeiten gesehen; vor diesen stillen Gegenständen und dem Schaffen des Handwerkers habe er Eduard Pfeiffer: Entwurf einer 7 Silbervitrine für Lettré, um 1905 empfunden, daß hier der richtige Weg sei“.

Aufsteigend im kaiserzeitlichen Berlin

Im wilhelminischen Berlin sollte Lettré nun Karriere machen: 1905 berief ihn Alfred Messel (1853–1909) in die Reichshauptstadt, um am sogenannten Kronprin- zensilber, einem Geschenk der Städte zur Hochzeit von Kronprinz Wilhelm, mitzu- wirken. Doch die Arbeiten zogen sich hin und so konnte Lettré in seinem kleinen Atelier Unter den Linden Schmuck und Silberarbeiten fertigen, die meist von Eduard Pfeiffer, aber auch von Bruno Paul (1874-1968) entworfen wurden. Letzterer bestimmte Lettré später zum Ent- werfer der Gebrauchsobjekte des Kronprinzensilbers, wo dieser klassisch-antikische Motive wie Palmetten und Akanthus zum gestalterischen Einsatz brachte. Als ihm jedoch die Kunstkommis- sion allzu sehr in seine Arbeit hineindirigierte, schied Lettré 1911 aus dem Mammutprojekt aus. Leisten konnte er sich das – denn Lettrés Schmuck wurde inzwischen bei Ausstellungen im Kunstge- werbemuseum gezeigt,8 vom Feuilleton als „meisterlich, ganz meisterlich“9 bejubelt. 1907 feierte er mit einer Einzelausstellung seiner Werke im berühmten Salon Eduard Schulte Unter den Lin- den 75 – mit einem Plakat von dem Plakatgestalter der Neuen Sachlichkeit, Lucian Bernhard (1883 –1972) – seinen Durchbruch als exzentrischer Star unter den Goldschmieden: „Damals schon galt er als ein etwas drolliger, außenseiterischer Geselle, dem man Emil Lettré (Ausführung): Gebrauchssilber des sog. Kronprinzensilbers – (Besteck von mancherlei nachsah. Er hatte bald eine auserwählte Kundschaft, Theodor Wende), Fotografie, um 1910 die rasch gemerkt hatte, daß hier ein originelles Genie am Werk war.“10 Industriel- le wie Alfred Krupp, der Kaiser und die feine Gesellschaft kauften beim knapp über 30-jährigen Jungstar, der mittlerweile auch selbst ausbildete – so lernte 1910 etwa der später berühmte Silberdesigner Harry George Murphy (1884-1939) bei Lettré Unter den Linden.

Grisebach — Herbst 2017 Lettré gefiel sich als Dandy der Berliner Gesellschaft, der die englische Lebensart pflegte und einen Berliner Parforce Club gründete, in dem er dekadente Jagden im roten Rock anführte. „Über die meisten der zehn Gebote“, schrieb er später, „kam ich leichten Herzens hinweg und so der Schöpfung näher“. So ritt er zum kunstsinnigen Johannes Guthmann auf dessen Gut Neukladow, brachte „zur far- bigen Belebung der Anlagen“ zwei Goldfasane mit und traf dort Max Slevogt und Max Liebermann. Ähnlich schillernd war auch Lettrés Kunst dieser Jahre, von der sich nur sehr wenig erhalten hat. Eine Einladung des Großherzogs von Hessen, auf die Mathil- denhöhe zu ziehen, lehnte Lettré selbstbewusst ab, hatte er doch bereits 1907 mit Richard Riemerschmid und Peter Behrens den Deut- schen Werkbund mitbegründet. Lettrés Engagement für die materi- algerechte Formgebung fand darin Ausdruck, dass es in seiner Werk- statt nie Stanzen, Pressen oder Dreh- und Drückbänke gab, alles Silber wurde mit der Hand geschlagen. 1908 reiste er deswegen in die USA, um dort Tiffany kennenzulernen, später folgten anscheinend auch Aufträge aus New York. 1914 würdigte Karl Scheffler, der das „immerfort zu werden und niemals zu sein“ scheinende Berlin beschrieb, Lettrés Unikate tref- fend: „Er wirkt apart weil er das Normale will und thut […] Indem Lettré sich grundsätzlich von den Industrietendenzen separierte, gesellte er sich jener kleinen Gruppe moderner Kunsthandwerker zu, die ihre gewerbliche Thätigkeit mit einem neuen Gentlemangeist umgeben und die dadurch allein schon vorbildlich und reformato- risch wirken. [...] Eine stark dekollettierte Plutokratin, geschmückt mit vielfachen Perlenschnüren, Diamantenboutons, reichen Armbän- dern und glitzerndem Brillantendiadem ist nicht die geeignete Kun- Emil Lettré, Kikino Haller und din für Lettré.“11 Architekt Edgar Koenig und Freunde auf dem Ball der Berliner Doch die „anderen Kunden“ fand Lettré, der vielen als einer der bedeu - Sezession, Fotografie, 1925 tendsten Silber- und Schmuckkünstler des Kaiserreichs galt. Im Kriegsjahr 1917 wurde der 43-Jährige für seine Kunst auf der Propagandaausstellung im Gewer- bemuseum Basel als „bedeutendster deutscher Goldschmied unter den Werk- bundmitgliedern“12 gefeiert. Neben Behrens, Riemerschmid und Pfeiffer wurden auch die Werke Lettrés wegen ihres wachen Wirklichkeitssinns und klassischen Formwillens der romantischen Verspieltheit der französischen Jugendstiljuwelie- re gegenübergestellt – Schmuckstücke wurden so Teil einer Kriegsführung, der auch Lettré nicht entfliehen konnte.

Am Zenit in den Goldenen Zwanzigern

Das Kriegsende und der Zusammenbruch des Kaiserreichs „traf mich auf der Höhe aller Dinge“, schrieb Lettré. Im Nachkriegschaos ging sogar seine Wohnung verloren. Fast wäre er bei Max Liebermann am Pariser Platz zwangseinquartiert worden.13 Lettré zog das rasante und unhöfliche Berlin in seinen Bann, „denn die Kühle dieser enthaltsamen Stadt [...] die so manches schweres Schicksal [...] und mit selbstsicherem Lächeln jede Situation zu meistern versteht, entsprach ganz dem Wesen dieses unsentimentalen Eiferers, der darum die Härte des Metalls auf seine Weise zu gestalten wußte“14, wie Helene von Nostitz feststellte. Die schöne Salonière und Rodin-Muse war auf Empfehlung Rilkes gekommen, der ihr als „must see“ empfohlen hatte: „Lettré, der Goldschmied, als artisan und Mensch gleich vortrefflich, sei nicht vergessen.“15 Unverzagt nutzte Lettré die Depression nach dem Krieg und seine Diaman- tenvorräte, um sich 1922 ein Privathaus zu bauen. Sein Architektenfreund Eduard Pfeiffer plante im noblen Berliner Westend, wo Literaten und Industrielle wohn- ten und Lettré auf dem nahen Golfplatz spielen konnte, einen Bau der Sonder- klasse, über den es hieß: „Klar und liebenswürdig, wie seine Arbeiten, ist auch das Haus. Ob Lettré Juwelen zusammenstimmt, sie faßt zu einem schönen Schmuck, oder dergleichen in Gold und Silber hämmert: aus allem strahlt entzückende Ein- fachheit. Die große Linie ist in all seinem Tun zu finden, in Zeichnung und Farbe, in Flächen und Räumen – unendliches Leben, Reiz, Harmonie.“16 Der kubische Bau sollte auf Wunsch des Hausherrn viel Luft zum Atmen haben und war doch kein Bau des Bauhauses, wie man vielleicht denken mag. Denn sahen die Künstlerfreunde Lettré und Pfeiffer auch in der Abkehr von Imitation und Vortäuschung – jenseits des Funktiona- lismus – ihr Leitmotiv, so wandten sie sich doch energisch gegen die schroffe Ableh- nung jeglicher Tradition durch das Bauhaus, die für sie unterschwellig Feindschaft gegenüber dem Handwerk bedeutete.17 Klassisch verbunden, absolut geradlinig und handwerklich perfekt: Das war es, was Lett- ré als Moderne verstanden wissen wollte! Der sendungsbewusst puristisch ein- gerichtete Bau diente Lettré als Akquise- mittel für Neukunden. Hier trafen sich in den frühen Zwanzigern Intellektuelle, Poe- ten und Musiker – und Lettré gab den Exzentriker: „Seine Einladungen sind Steh- parties mit allem was künstlerischen Rang in Berlin hat, bis zu fünfzig Personen. Serviert wird geeister Obstsalat, mitten im Winter. Man bestaunt die Kombination der neuen Schale dazu und nippt fröstelnd.“18 Später gestaltete Malerfreund Hans Purrmann (1880–1966) den Salon aus, Waldemar Tit- zenthaler und Marta Huth fotografierten das ikonenhafte Bauwerk, das Damen- und Kunstzeitschriften vielfach publizierten.19 Lettré war ein Star im Berlin der wilden Zwanziger. Er gab Bücher über Edelsteine heraus, publizierte seine Weisheiten über Oben: Emil Lettré: Entwurf und Foto eines Tafelaufsatzes für Blumen, Steine und schöne Frauen in den exklusivsten Frauenzeitschriften, wie dem hoch- bez. „für New York 1913“ – wohl im noblen „Styl. Blätter für Mode und die angenehmen Dinge des Lebens“ und ent- Zusammenhang mit der Armory warf für die Herrenzeitschrift „Uhu“ einen silber-vergoldeten Apfel für den Show 1913 schönsten Mann: „Es ist die Rache des Paris“, hieß es. Unten: Emil Lettré: Modell und Derart medial nachgefragt, ging es weiter voran für Lettré: 1922 Teilnahme Entwurf für Schmuckstücke, an der Deutschen Gewerbeschau in München, 1927 Goldmedaille auf der Mostra um 1925 Internationale delle Arti Decorativi di Monza, 1925 Einzelausstellung mit silbernem Gerät und Schmuck in der Royal Academy of Arts in London – nach dem verlore - nen Krieg ein Unikum für einen deutschen Goldschmied –, 1926 Ausstellung zusammen mit Aristide Maillol bei Bernheim-Jeune Paris, der berühmtesten Gale- rie für Neoimpressionismus und Symbolismus. Lettré war nun auch auf der euro- päischen Bühne angekommen. Mit diesem internationalen Drive ließ Lettré 1928 sein Geschäft Unter den Linden von Pfeiffer umgestalten: Hinter der radikal linear gehaltenen Fassade erwartete den Kunden die kühle Klarheit eines hohen Raumes, allein mit zentra- lem Renaissancetisch und einer Vitrine für Silber eingerichtet. Die Auslage war puristisch mit Einzelstücken dekoriert. Die „Anregung Lettrés, ein Schaufenster zu dekorieren, wurde vielfach im Ausland, besonders in Amerika dankbar über- nommen“20, schwärmte die schöne Schauspielerin Pamela Wedekind (1906-1986), Tochter des Dramatikers Frank Wedekind, die damals in das Leben des Gold- schmieds trat, den sie verheißungsvoll Emilio nannte.

Grisebach — Herbst 2017 Durch eine Scheibe fiel vom Geschäft aus der Blick in eine 18 Meter hohe Werk- statt, wo von einem Hammerarbeiter, einem Ziseleur, einem Graveur und einem Juwelier die Kreationen gefertigt wurden, die Lettré als rare Ware inszenierte. Schelmisch-eitel schilderte er: „tritt ein neuer Kunde in den Laden leugne ich vorerst der Chef zu sein [...] bis ich merke, dass es lohnt meine Empfindungen preiszugeben.“ Oft lag Lettré im feinen Zwirn ungeniert auf dem Fußboden seines Verkaufsraumes, wenn Besucher hereintraten, um ihnen dann lässig seine Meisterschaft darzubieten. So geschehen auch bei einem Kunden, der den Schmuck wegen Nichtgefallens seiner damit beschenkten Gattin zurückbringen wollte: „Lettré betrachtete lange seine Arbeit, die ein vollkommenes und end- gültiges Werk war. Dann sagte er mit einer lässigen Bewegung der Hand: Nehmen Sie sich eine andere Frau!“21 Vielleicht rich- tete er nach solch eindringlichen Szenen den noblen englischen Anzug und schloss seinen – wie er selbst sagte – „Laden“, um auf der gegenüberliegenden Seite der Linden ins mondäne Hotel Bristol zu gehen. Hier saß er fast dreißig Jahre täglich am selben Tisch, um zu sehen und gesehen zu werden. Und vielleicht wurde Lettré dadurch wiederum zu einem der Protagonisten im Erfolgsroman „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum, die hier angestellt war, als der Goldschmied von gegenüber seine größ- ten Erfolge und schönsten Schmuckstücke feierte. So stolz, sendungsbewusst, exzentrisch liebten die Kun- den Lettré. In den Goldenen Zwanzigern kauften Geheimrat Eduard Pfeiffer: Haus Lettré, Duisberg, Kronprinz Wilhelm, Boxweltmeister Gene Tunney, Dip- Fotografie von Waldemar lomaten und schöne Frauen, wie die Henkel-Erbin Ilse Bagel oder die Hamburger Titzenthaler, 1927 Reedersgattin Franziska Laeisz, im Laden Unter den Linden. Es galt Schefflers Bild des typischen Lettré-Kunden: „Er braucht Menschen aus einer geistig verfeiner- ten Gesellschaftsschicht, Damen, [...] denen der gute Geschmack Bedürfnis ist.“22 Lettré selbst hatte ein besonderes Faible für die quirlige intellektuelle Elite Ber- lins. Auf den Bällen der Sezession war er im Smoking zugegen und tanzte mit den Stars und Sternchen des Berliner Gesellschafts- und Kunstlebens. Dichterfürst Gerhart Hauptmann bestellte bei ihm eine goldene Schale mit griechischen Let- tern für „gute eigene Kraft“.23 Der Kunsthändler und politische Aktivist Ernst Hanfstaengl orderte einen „schönen westgotischen Ring“ bei „Herren Emil Lettré weltberühmter Goldschmied“.24 Und auch Helene von Nostitz, die durch den gemeinsamen Freund Rainer Maria Rilke auf Lettré aufmerksam geworden war, bewunderte ihn, den Goldschmied der Poeten, für seine eigentümlich poetisch- maskuline Kunst. Nicht nur verliebt in Lettrés Werk dürfte Pamela Wedekind gewesen sein, die bis 1928 noch mit Klaus Mann verlobt, immer von Erika Mann begehrt und ab 1930 mit Carl Sternheim verheiratet war und ihren Emilio auf Reisen begleitete, ins Theater einlud und umschwirrte. Noch 1939 schrieb sie ihm, sie wolle „immer für Dich da sein, weil [ich] so froh bin, dass es Dich gibt.“25 Pamela Wedekind trug Lettré-Ohrringe, die unter den Damen der Gesellschaft zu einem Erkennungszei- chen wurden, denn Lettrés Goldschmuck „ist unverwechselbar, großartig und dekorativ – und völlig unkonventionell“.26 Lettré nutzte geometrische Formen, die er meisterlich als Hohlbaguettes trieb, denn seine Goldketten und -armbänder sollten leicht sein und beim Tragen angenehm „rauschen“. Farblich spielten die Goldschöpfungen mit immer wieder anderen Gold- und Platinlegierungen - je nach dem, wie Lettré die Stücke bearbeitet wissen wollte. Oberflächen wurden dann fast immer sorgfältig mattiert oder noch vergoldet. Die Stücke erhielten dadurch eine charakteristische rotgold-matte Tönung. Lettrés Silber hingegen war herrisch und stolz und voller Anmut zugleich, es dominierte die unverzierte Fläche, die nur ab und an durch klassische Motive wie Palmette oder Akanthus akzentuiert wurde. Die „Dekorative Kunst“ schrieb darü- ber: „er entkleidete das Silber von der Vorstellung des Pompösen, des Prunks; in Salon mit Silberspiegel im Haus seinen Gefäßen ist eine neue Kultur des Selbstverständlichen.“27 Lettré, Fotografie, 1928 Oben: Lettrés Laden Unter den Linden 71, Fotografien, um 1930 und Zeichnung Lettrés, 1928

Unten: Emil Lettré: Entwürfe zu Schmuckstücken, um 1920

Grisebach — Herbst 2017 Sonderbar fand man es daher auch, dass keins der Museen der Weimarer Repub- lik Lettré sammelte, wie man 1932 im Zusammenhang einer großen Schmuckaus- stellung der Berliner Museen anmerkte, denn es wäre „interessant gewesen, Ein- zelstücke von Henry van de Velde, Lalique, Lettré u.a. mit den klassischen Arbeiten vergleichen zu können.“ 28 Die Großmeister im Vergleich mit dem Schmuck der Jahrhunderte, welch Gipfel des Ruhms.

Spätwerk im Schatten

Lettrés Arbeit entwickelte sich derweil um 1930 erneut weiter, wurde radikaler, wie das 1931 für den Heilbronner Besteckproduzenten Wilfried A. Bruckmann ent- worfene Besteck zeigt. Seine kubistische Form liegt ideal in der Hand, das Mate- rial ist pur und schnörkellos, handwerklich bis ins Letzte getrieben und voll Understatement mattiert. Bruckmann adelte Lettrés Leistung später, indem er schrieb, alles, „was unsere Branche in den letzten 40 Jahren an wirklich Neuem herausgebracht hat, hatte seinen geistigen Ursprung bei Lettré.“ 29 Nicola Moufang, Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes und ab 1929 Chef der Vereinigten Werkstätten Berlin, fand gar, Lettré sei „für das In- und Ausland der erste schöpferische Meister“ 30 auf dem Gebiet der deutschen Werkarbeit gewesen. Aus dieser exponierten Stellung heraus wollte der Meister auch bei der kommen- den Generation Spuren hinterlassen. Mit 56 Jahren begründete Lettré so 1932 Oben: Entwurf einer Schüssel mit Palmettenmotiv, um 1925 zusammen mit Peter Behrens und dem Juwelier Ferdinand Richard Wilm (1880- 1971) die bis heute bestehende Deutsche Gesellschaft für Goldschmiedekunst. Im Unten: Entwurf eines Armbands Jahr darauf wurde er Leiter der nun zur Goldschmiedeschule umgewandelten mit Diamanten, um 1925 ehemaligen Zeichenakademie in Hanau. Doch Lettré wollte zu viel, zu schnell, zu radikal verändern. So plädierte er im Sinne des Expressionismus für das „kindli- che Sehen und Zeichnen“ und ließ die Gipsskulpturensammlung zerschlagen. Dies brachte ihm derartig großen Widerstand ein, dass er sein Amt aufgab, nachdem er die Ausstellung „Arbeiten der Goldschmiedeschule Hanau nach Entwürfen von Prof. Lettré“ in der Akademie der Künste in Berlin gezeigt hatte. Hier war Lettré Mitglied der Bildhauersektion geworden, nachdem die Institution durch die Nati- onalsozialisten von allen, die nicht ihrer Auffassung entsprachen, „gesäubert“ worden war, und viele seiner Freunde und Weggefährten wie Bruno Paul und Hans Purrmann in die Emigration gingen. Obgleich er, der Gentleman, möglicherweise auch damals schon empfand, dass Hitler und die Mächtigen der NS-Zeit Emporkömmlinge, die „nicht dazu erzogen – ausserstande Herrlichkeiten zu erfassen“ waren, wie er später resü - mierte, arrangierte sich der alte Lettré mit den neuen Machthabern des NS- Staates. Diese gaben ihm Aufträge zu Ehrenketten und Preisen, seine Arbeiten wurden gewaltiger, massiver, statischer. Als Lettré 1937 zusammen mit den Verei- nigten Werkstätten die deutsche Botschaft in London mit Vasen und Tafelsilber ausstattete, stellte er jedoch erschrocken fest: „die Lords lösen zum Teil ihren Besitz – Schlösser auf [...], vielleicht auch um einem konfektionistischen Dasein zu entrinnen“, wie er seinem Notizbuch anvertraute, denn auch in Deutschland wurde es „enger“, womit der Freigeist Lettré hadern musste. 1937 kam er noch- mal nach Paris, wo vieles für ihn begonnen hatte: „Weltausstellung schöner Dinge – da war ich dabei und erhielt meine Arbeit den Grand Prix - das hat mir gefal- len“, schrieb er. Der Krieg begann nur zwei Jahre nach der Weltausstellung und sollte die goldige Welt der Zwanziger, Berlins Künstler- und Poetenwelt, aber auch Lettrés Werk zerstören: „Am Vormittag fiel die Bombe – die mein Werk vernichtete [...] meinen Laden – Ruine meines Glücks“, klagte er nach einer Bombennacht 1944. Es folgte Resignation: „wir wollen ein neues Tun beginnen [...] weiss nur nicht für wen?“31 Damals entstanden keine Schmuckstücke mehr. Dafür gestaltete Lettré eine silberne Pax-Medaille und 1947 einen „Pokal auf den Frieden“, sein letztes Werk. Die Berlin-Plakette aus diesen Tagen wurde zwar bis 1957 von den jungen Internationalen Filmfestspielen Berlin als Preisgabe genutzt, doch an den alten Ruhm anzuknüpfen blieb für Lettré unmöglich. Wie ein Abschied wirkte da das 1946 in winziger Auflage erstellte Büchlein „Juwe- len einst und jetzt“, das den über den Krieg geretteten Bestand abbildete und zu dem der langjährige Lettré-Mitarbeiter Carl Ruder schrieb: „Lieber Herr Lettré in Ihren Werken altern Sie nicht [...] Sie sind jung und voller Spannung. Mit dem klei- nen Büchlein haben Sie alles nocheinmal sehr glücklich zusammengefaßt [...]. Wenn Sie einmal auf einem anderen Stern eine neue Inkarnation eingehen, dann werden Sie wieder hochgezüchtete, edle Dinge schaffen. Ich komme dann zu Ihnen, denn den Esprit Lettré erkenne ich in jeder Verwandlung.“32 1950 fand noch eine kleine Ausstellung mit Lettrés Silber im Düsseldorfer Kunstverein statt, zu der Pamela Wedekind die Eröffnungsworte sprach. Doch der „Esprit Lettré“ wurde nicht mehr gehört. Lettré vernich- tete einen Großteil seiner Korrespondenz und starb 1954 in seinem Haus in Westend.

Die Wiederentdeckung

Doch ganz vergessen war Lettré damit nicht. Schon 1961 zeig- ten das Victoria and Albert Museum und die Londoner Golds- miths‘ Company in ihrer „International Exhibition of Modern Jewellery 1890-1961“ als internationalen Beitrag vier Schmuckstücke von Lettré, die von Graham Hughes in seinem Standardwerk über zeitgenössischen Schmuck publiziert wurden. Allerdings schien der Nachlass in Deutschland in alle Winde verstreut,33 Lettrés Geschäftsruine war von der DDR abgerissen worden, sein Wohnhaus in West-Berlin wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Erst 1976 machte sich der Kunst- historiker Carl-Wolfgang Schümann (1936–2001) daran, mit Emil Lettré wieder einen Goldschmied der für Deutschlands Kunstentwicklung so wichtigen Zwanzigerjahre im Kölner Kunstgewerbemuseum auszustellen und überall nach seinen Werken in Privatsammlungen zu fahnden, denn fast aus- schließlich hier hatten sie Krieg und Vergessen überlebt. Schümann würdigte Lettrés künstlerisches Ideal der zeitlosen Eleganz und die Bandbreite seines Schaffens: „man kann kaum nachvollziehen, daß so Unterschiedliches aus einer Hand stammt.“ 2010 schließlich präsentierte Christianne Weber-Stö- ber Teile des bis dahin verloren geglaubten Nachlasses Lett- rés in dessen Geburtsstadt. Das Deutsche Goldschmiedehaus erinnerte dabei an die Zeit, als Hanau noch Zentrum des deutschen Goldschmiedehandwerks war, worauf sich Lettré Pamela Wedekind mit Goldschmuck von Emil Lettré, Fotografie, um 1950 – bei seinem Gang in die Welt, nach Paris, London und Berlin, mit rückseitiger Notiz Lettrés: „eine zeitlebens energisch berufen hatte. Es war diese kunsthistorische Wiederentde- liebenswürdige Frau und so schön dazu“ ckung von Lettrés zeitlosen Kreationen für das 21. Jahrhundert, die die Erben des vergessenen Nachlasses von Emil Lettré und einige weitere Familien, die seine Schmuckstücke über achtzig Jahre ehrend verwahrt hatten, darin bestärkte, den Goldschmied der Poeten mit seinen Meisterwerken nun bei Grisebach wieder nach Berlin zurückkehren zu lassen.

Der vorliegende Katalog basiert auf dem privaten Nachlass von Emil Lettré, der auf Wunsch der Familie dem Archiv der Gesellschaft für Goldschmiedekunst e.V. Deut- sches Goldschmiedehaus in Hanau übergeben wird.

Herzlich sei der Staatlichen Zeichenakademie Hanau, besonders Bruno Thiele, für die Zurverfügungstellung der Zeichnungen Lettrés aus deren Bestand des zeichne- rischen Nachlasses gedankt.

Grisebach — Herbst 2017 1 Autobiografie Lettré, nach 1945, Nachlass Emil Lettré – wie alle nicht gekennzeichneten Anmerkungen. ² Vgl. Carl Ruder: Der Goldschmied Lettré. In: Die Welt, 21. Juni 1951. ³ Vgl. Die Jubiläums-Ausstellung des Vereins für Deutsches Kunstgewerbe. In: Kunstgewerbe- blatt, N.F., Jg. 14 (1903), S. 87. ⁴ Notizbuch, Nachlass Emil Lettré. ⁵ Exemplar Kunstbibliothek Berlin, Sig. M 767kl. ⁶ Anton Jaumann: Architekt Eduard Pfeiffer – Berlin. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 29 (1911/12), S. 231–235, S. 231. ⁷ Harry Graf Kessler: Das Tagebuch, Bd. 6. Stutt- gart, 2006, S. 182. ⁸ Vgl. Hermann Schmitz: Goldschmiedearbeiten von Emil Lettré. In: Kunst und Künstler, Jg. 8 (1910), S. 121f. ⁹ Kleine Kunst-Nachrichten. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 25 (1909/10), S. 293. 10 Erich Pfeiffer-Belli: Emil Lettré – der Silber- schmied. In: Süddeutsche Zeitung, 22./23. Mai 1954. 11 Karl Scheffler: Ein moderner Goldschmied. Emil Lettré. In: Kunst und Künstler, Jg. 12 (1914), S. 635–639, S. 635-637. 12 E. F.: Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Basel. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 40 (1917), S. 251–254, S. 251. 13 Freundlicher Hinweis von Volker Braun, Berlin. 14 Goldschmied Emil Lettré. In: Der Silberspiegel, Jg. 6, Nr. 2 (16. Januar 1940), S. 50 – 51 und 61, S. 51. 15 Rilke an Nostitz, 5. Februar 1921, Deutsches Literatur Archiv Marburg, Sig. 70.402/26. 16 Richard Werner: Haus Emil Lettré von Prof. Eduard Pfeiffer. In: Deutsche Kunst und Dekora- tion, Bd. 61 (1927/28), S. 368-374, S. 369. 17 Vgl. Carl Ruder: Lettré – Leben und Werk. In: Carl Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976. 18 Hela Strehl-Firle: In Memoriam Emilio Lettré. In: Schümann 1976. 19 Zuletzt: Kiaulehn: Türen und Treppen. In: Die Dame, Bd. 62 (1935), Heft 1, o. S. 20 Pamela Wedekind zur Ausstellung Lettrés in Düsseldorf, 1950. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 336f., S. 336. 21 Carl Ruder: Der Goldschmied Lettré. In: Die Welt, 21. Juni 1951. 22 Karl Scheffer: Ein moderner Goldschmied. In: Kunst und Künstler, Jg. 12 (1914), S. 635-639, S. 637. 23 Vgl. dazu Auktion: European Collections includ- ing the Collections of Bertolt Brecht and Ger- hart Hauptmann. Amsterdam, Sotheby’s, 27. September 2006, Kat.-Nr. 53. 24 Hanfstaengl an Elfriede Lettré, 18. Juni 1954, Nachlass Emil Lettré. 25 Wedekind an Lettré, 22. Juni 1939, Nachlass Emil Lettré. 26 Erich Pfeiffer-Belli: Alle Welt kaufte bei ihm. In: Die Welt, 22. Mai 1954. 27 Friedrich Kroner: Emil Lettré als Silberschmied. In: Dekorative Kunst, Jg. 25 (1921), S. 33–38, S. 33. 28 Der Schmuck als Kunstwerk. In: Kunst und Franziska Sinn: Lettré 2017, Fotografie Künstler, Jg. 31 (1932), S. 190. für das Grisebach-Journal, 2017 29 Bruckmann an Elfriede Lettré, 12. März 1954, Nachlass Emil Lettré. 30 Moufang an Lettré, 5. März 1954, Nachlass Emil Lettré. 31 Lettré im Notizbuch, Nachlass Emil Lettré. 32 Ruder an Lettré, 29. Juni 1949, Nachlass Emil Lettré. 33 Vgl. Albert Buesche: Zum Kapitel Bildende Kunst. In: Der Kurier, 3. Januar 1955.

250 Emil Lettré „Hat man einmal Arbeiten von ihm gesehen, so haften sie im Hanau 1876 – 1954 Berlin Gedächtnis. Nichts Schmelzendes, kaum Liebenswürdiges ist in sei- ner Form; eher eine männliche Herbheit, eine kühne Gewalt, der Schwung eines kräftigen Naturells. [...] sie sind kernig von Gegen - „Wandspiegel“. 1920/21 wart und Objektivität. [...] wenn auch stets wuchtigen, wohl gar schweren Zügen. [...] in den Kurven der Spiegelumrahmung schwingt Silber, getrieben; Spiegelglas mit sich die Linie frei und ohne Widerstand aus, Zeugnis eines gekräftig- Quecksilberbeschichtung; Holz; roter ten Lebensgefühls.“ (G. H.: Edelmetall und Juwelen von Emil Lettré. Filz. 54,5 × 50,5 cm (21 ½ × 19 ⅞ in.). In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 59 (1926/27), S. 78f., S. 79, Rechts auf einer Niete Meisterzeichen: Abb. S. 79) L im Kreis. [3032] „Nicht weniger eindrucksvoll war der große Innenraum ... Die Decke Provenienz des Raumes hatte ein netzartiges Stuckrelief in einem grünen Farb - Emil Lettré, Berlin (1928 für den Laden ton, wie wenn man in einem klaren, durchsonnten Wasser die Augen Unter den Linden angefertigt) / öffnet. Eine durchlaufende Marmorbank an der anderen Schmal - Nachlass Emil Lettré seite des Raumes, ein Silberspiegel, ein Paar Hocker und eine kleine Maueröffnung, durch die man einen Blick in die anschließende EUR 6.000–8.000 Werkstatt tun konnte.“ (Carl Ruder: Lettré – Leben und Werk. In: USD 7,070–9,420 Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede Ausstellung im 20. Jahrhundert. Ausst.- Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré Kat., Köln 1976, o. S.) und Herbert Zeitner, Deutsches Gold- schmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S.

Vergleichsobjekt und -literatur G. H.: Edelmetall und Juwelen von Emil Lettré. In: Deutsche Kunst und Dekora- tion, Bd. 59 (1926/27), S. 78f., S. 79 (minimal abweichendes Modell) / Entwurf zum Verkaufsraum des Ladens Unter den Linden, 1928, Nachlass Emil Lettré Richard Werner: Haus Emil Lettré von Prof. Eduard Pfeiffer. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 61 (1927/28), S. 368–374, Abb. S. 371 (über dem Kamin im Wohnzimmer)

Grisebach — Herbst 2017

252 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Brosche Goldnest mit Perlen. Um 1920

750/- Gelbgold (18 kt), getrieben, mattiert, ziseliert; vier Perlen; 55 kleine Diamanten, Antwerpener Rosenschliff. Ø 6 cm (2 ⅜ in.). Auf der Rückseite angebrachtes Meister- zeichensignet: L im Kreis. Gesamtgewicht: 24 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 4.000–6.000 USD 4,710–7,070

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., ganzseitige Abb.

„Als beachtenswerte Versuche, dem Gold seine verloren gegangene, künstlerische Wesensprägung wiederzugeben, sind die Arbeiten des Berliner Goldschmieds Emil Lettré zu werten, der wieder Gefühl für das Material besitzt und sich nicht scheut, aus diesem heraus zu arbeiten, zu formen.“ (Ernst Schur: Schmuckarbeiten von Emil Lettré. In: Die Kunst. Monatsheft für freie und angewandte Kunst, Jg. 21 (1908), Bd. 18, S. 91–94, S. 91)

251 Emil Lettré 253 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Anhänger mit Aquamarin und Diamanten. Um 1908 Perlenkette mit Pfeilschließe. Um 1920

950/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Gelbgold (14 kt); 950/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); Aquamarin (ca. 16,3 ct), Smaragdschliff; 41 kleine 34 kleine Diamanten, Antwerpener Rosenschliff; 63 Perlen, Diamanten. 4,75 × 2,2 cm (1 ⅞ × 0 ⅞ in.). Ohne Ø 0,97/0,63 cm. 61,5 cm (24 ¼ in.). Ohne Meisterzeichen. Meisterzeichen. Gesamtgewicht: 13 g. [3336] Gesamtgewicht: 44 g. [3032]

Provenienz Provenienz Irmgard Niemann (1894–1980), Berlin (1908 zur Nachlass Emil Lettré Verlobung mit Erich Niemann (1891–1973) erhalten) / Seitdem Familienbesitz EUR 8.000–10.000 USD 9,420–11,800 EUR 6.000–8.000 USD 7,070–9,420 Ausstellung Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 28

Grisebach — Herbst 2017 252

253

254 Emil Lettré „1937 war in Paris eine Weltausstellung schöner Dinge - da war ich Hanau 1876 – 1954 Berlin dabei und erhielt meine Arbeit den Grand Prix - das hat mir gefallen - auch der Anschluss der alten Ostmark hat mich beglückt - welch ein freundliches Gegengewicht zu den halbwilden Offiziersmanieren „Diadem“ mit Straußenfedern. Um 1914 der Preussen - die Salzburger Festspiele in Gesellschaft von Pamela [Wedekind] - auf einem Rokokoschlösschen außerhalb der Stadt zu 833/- Gelbgold (19,7 kt), getrieben, erleben war eine besondere Gunst - [...] wie schön kam mir das alles mattiert, ziseliert. 14,6 × 9 × 2,5 cm vor - später an P. - Vergiss den Sommer - er ist vorbei! an ihn zu (5 ¾ × 3 ½ × 1 in.). Auf der Rückseite denken nicht mehr à la mode denke daran nun wieder zivilisiert und angebrachtes Meisterzeichensignet: schön zu sein - Aphrodite geht wieder zu Elisabeth Arden tausche L im Kreis. Gewicht: 68 g. [3032] Dein Dirndlkostüm, mit dem Decoletté dem amarantfarbe- Provenienz nen, das deine Schultern die so Nachlass Emil Lettré vollendeten zu Schau bringt - ersetze den Tirolerhut mit far- EUR 4.000–6.000 bigen Straussenfedern Dia- USD 4,710–7,070 manten und Perlen - dich aber kröne mit dem Lächeln das Ausstellung Gewährung verspricht.“ (Lett- Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré rés Autobiografie, nach 1945, und Herbert Zeitner, Deutsches Gold- Nachlass Emil Lettré) schmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Kata- log)

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., ganzseitige Abb.

Entwurf, um 1914, Staatliche Zeichenakademie, Hanau, Zeichnerischer Nachlass Emil Lettré

Grisebach — Herbst 2017

255 Emil Lettré „In zierlichen Kompositionen, die vielfach des Künstlers Freund, der Hanau 1876 – 1954 Berlin junge Architekt Eduard Pfeiffer, erfand, schlingen sich Blättchen und Blüten und Trauben [...] fügen sich, an silbernen Aufsätzen und Geschirrstücken, Füße und Henkel und Deckel an den Rumpf der „Fruchtschale“ – nach Entwurf von Hauptgestalt. [...] Denn jedes Einzelstück ist von der aristokratischen Eduard Pfeiffer (1889–1929). 1914 Idee erzeugt, soviel edle Schönheit darzubieten, wie Menschenhand vergönnt ist, als glühendsten Ausdruck der Freude an Welt, Natur Silber, gegossen, getrieben, ziseliert, und Leben.“ (Max Osborn: Goldschmiede-Arbeiten von Emil Lettré matt feuervergoldet. 23,1 cm; und Eduard Pfeiffer. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 35 Ø 33,2 cm (9 ⅛ in.; Ø 13 ⅛ in.). Auf der (1914/15), S. 70–78, S. 71) Unterkante des Schaftes Meistermarke: L im Kreis. Gewicht: 1.418 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 6.000–8.000 USD 7,070–9,420

Ausstellung Lettré – Berlin. Silbernes Gerät und Schmuck, Düsseldorf, Kunstverein, 1950 (ohne Katalog) / Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb. / Emil Lettré. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezem- ber), S. 334–337, Abb. S. 335

Vergleichsobjekt und -literatur Max Osborn: Goldschmiede-Arbeiten von Emil Lettré und Eduard Pfeiffer. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 35 (1914/15), S. 70-78, Abb. S. 74 (leicht Studien zu Akanthus, um 1910, Staatliche Zeichenakademie abweichendes Modell mit Glaseinsatz) / Hanau, zeichnerischer Nachlass Emil Lettré Ders.: Goldschmiede-Arbeiten von Emil Lettré – Berlin. In: Das neue Kunst- handwerk in Deutschland. München, 1927, S. 251, Abb. S. 252

256 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Brusthänger mit Rauchquarz und Kette. Um 1914

800/- Gelbgold (19,2 kt), gegossen, ziseliert; Rauchquarz, facettiert. Ø 3,3 cm / 76 cm (1 ¼ in. / 29 ⅞ in.). An der Öse Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 70 g. [3097]

Provenienz Nachlass Emil Lettré / Privatsammlung, Berlin (2013 aus dem Nachlass Emil Lettré erworben)

EUR 9.000–10.000 USD 10,600–11,800

„Und dann die Steine, die er in seine Schmucks bannt. Wie stehen sie oft einsam, sie stolze, gebieterische Königin - nen im Glanze ihres goldenen Nimbus, oder als liebende Weiber in der ganzen Pracht ihrer strahlenden Sieghaftig- keit, umgeben von Pagen und Trabanten, die ihrer Schön- heit dienen“ (Bernd Oehmichen, o. D., Deutsches Gold - schmiedehaus Hanau, Bestand Lettré)

„Noch ein Wort über Juwelen, deren Schönheit und Besitz sowohl den Geschmack, wie die Eitelkeit befrie- digt. Die kostbarsten Objekte sind auch die seltensten. Wie Musik die Menschen ergreift, so ist es gewiß, daß auch die kristallische Farbe der Edelsteine uns bewegt. Nach dem Feuerwerk der Diamanten, Smaragde, Rubine und Saphire erscheint uns die Perle wie die ausgeglichene Anmut. Von Natur ist sie fertig, ohne daß eine Menschen- hand sie zu verbessern oder zu fassen braucht. Ein Augen- blick, in dem Natur und Kunst sich miteinander eins füh- len.“ (Pamela Wedekind zur Ausstellung Lettrés in Düsseldorf, 1950. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 336f., S. 337)

Grisebach — Herbst 2017

257 Emil Lettré 259 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit Perle, blauem Saphir und Diamanten. Um 1920 Ring mit blauem Saphir. Um 1920

720/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); 720/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); Perle (Ø 1 cm); blauer Saphir (ca. 4,61 ct), ovaler Saphir (ca. 13,35 ct), ovaler Facettenschliff. Ringkopf: Facettenschliff; sechs kleine Diamanten, Altschliff. 1,7 × 1,2 cm. Am Ringschenkel Meisterzeichen: L im Kreis. Ringkopf: Ø ca. 2 cm. Ohne Meisterzeichen. RM: 56. RW: 53. Gesamtgewicht: 9 g. [3336] Gesamtgewicht: 8 g. [3336] Provenienz Provenienz Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz EUR 3.000–5.000 EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890 USD 3,530–5,890

258 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit gelbem Saphir. 1934

720/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); gelber Saphir (ca. 8,68 ct), Smaragdschliff. Ringkopf: 1,55 × 1 cm. Ohne Meisterzeichen. RW: 57. Gesamtgewicht: 9 g. [3565]

Provenienz Gisela Lüttke (1908–2000), Berlin (1934 direkt vom Künstler angefertigt) / Seitdem Familienbesitz

EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890

257 258 259

260 Emil Lettré „Konzentration und Spannung, der Ausdruck vitalster Lebensform Hanau 1876 – 1954 Berlin spricht aus allen seinen Schöpfungen, Eros – der grösste aller schöpferischen Götter – zieht sein geheimnisvoll jubelndes Leuch- ten über all die satten üppigen Formen seiner Kannen, Schalen und „Großes Bowlengefäß“ – wohl Entwurf Vasen. Ja – Lettré ist im Bunde mit jenem köstlichen Heiden, dem von Eduard Pfeiffer (1889–1929). das Leben kein verglimmendes, schauerliches Geheimnis ist, son- Um 1914 dern überall voll üppiger sonnenvoller Reife, voller erfüllungs - schwangerer und saftgeladener Früchte und erwartungsfroher Sin- Silber, getrieben, ziseliert. 37 × 33 cm ne. [...] Lasst die übertünchte Gesittung beiseite und geniesst die (14 ⅝ × 13 in.). Auf der Unterseite Meis- verführerisch üppigen Formen seiner Geräte, die nirgends flach und terzeichen: L im Kreis. Gewicht: 1.985 g. müde sind, sondern stets irgendwie schelmisch lüstern oder voll fri- [3032] voler Kabale. Doch nehme man diese erotische Deutsamkeit nicht als leichtfertig auf, denn als heilig ernste Offenbarung schmiegt sich Provenienz wahr der Lüster der handpolierten, handgeschmiedeten Flächen in Nachlass Emil Lettré des glücklichen Besitzers Hände, die damit eine ganz köstliche lebensvolle Welt umschliessen.“ (Bernd Oehmichen, o. D., Deut- EUR 10.000–15.000 sches Goldschmiedehaus USD 11,800–17,700 Hanau, Bestand Lettré)

Ausstellung „Niemand hat wie er die Ober- Lettré – Berlin. Silbernes Gerät und fläche des Silbers so zu bear- Schmuck, Düsseldorf, Kunstverein, beiten gewußt: sie glich der 1950 (ohne Katalog) / Die Berliner lebendigen menschlichen Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Haut, war voller Zartheit und Zeitner, Deutsches Goldschmiedehaus von sanftestem seidigen Glanz. Hanau, 2010 (ohne Katalog) Den kleinsten Gegenständen verstand er eine gewisse Literatur und Abbildung anspruchslose Monumentali- Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes tät zu geben.“ (Eduard Pfeif- Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, fer-Belli: Emil Lettré – der Sil- o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb. / Emil berschmied. In: Süddeutsche Lettré: Juwelen einst und jetzt. Pots- Zeitung, 22./23. Mai 1954) dam, 1946, o. S., mit Abb. / Emil Lettré. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 334– 337, Abb. S. 335

Entwurf, um 1914, Staatliche Zeichenakademie Hanau, zeichnerischer Nachlass Emil Lettré

Grisebach — Herbst 2017

261 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Sechsteiliges „Tafel-Besteck der Reichs-Hauptstadt“ – Literatur und Abbildung bestehend aus einer Fleischgabel, Speisegabel und Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern -messer, Suppenlöffel sowie zwei Mokkalöffeln. 1928 und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb.

Silber, gegossen; Stahl, geschnitten. Vergleichsliteratur 16 cm / 22,5 cm / 24,3 cm / 22 cm / je 10,5 cm Die neue linie, Jg. VIII, Heft 4 (Dezember 1936), S. 24 / Die (6 ¼ in. / 8 ⅞ in. / 9 ⅝ in. / 8 ⅝ in. / je 4 ⅛ in.). neue linie, Jg. XI, Heft 4 (Dezember 1939), S. 27 / Bettina Suppenlöffel, Gabel, Mokkalöffel mit Feingehalt: 925 und Krogemann: Das Berliner Kronprinzensilber. Ein höfisches Meisterzeichen: L im Kreis / Messer mit Meisterzeichen: Prunkservice zwischen Historismus und Werkbund. Köln, L im Kreis / Fleischgabel mit Silbergehaltsangabe: 925. 1997, S. 110, Abb. 96f. Gesamtgewicht: 284 g (ohne Messer). [3032] „[...] so möchte ich als mein bedeutendes Werk das Besteck Provenienz für die Tafel der Stadt Berlin nennen - es giebt auch nichts Nachlass Emil Lettré was die Schwierigkeit gerade jener Gegenstände übertrifft weder dem Maler noch dem Plastiker sind größere Aufgaben EUR 500–700 zuteil.“ (Lettrés Autobiografie, nach 1945, Nachlass Emil Lettré). USD 589–824

Grisebach — Herbst 2017

262 Emil Lettré 263 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Platzteller. Um 1920 Zigarettenbecher. Um 1920

Silber, getrieben. Ø 32 cm (12 ⅝ in.). Auf der Fahne Silber, getrieben, gelötet, ziseliert. 6,8 cm, Ø 6,8 cm Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 687 g. [3032] (2 ⅝ in., Ø 2 ⅝ in.). Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 78 g. [3190] Provenienz Nachlass Emil Lettré Provenienz Privatsammlung, Rheinland EUR 800–1.000 USD 942–1,180 EUR 2.000–3.000 USD 2,360–3,530

264 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Große Platte mit zwei Handhaben. 1928

Silber, getrieben. 2,5 × 61,5 × 34,6 cm (1 × 24 ¼ × 13 ⅝ in.). Auf der linken Handhabe Meister- zeichen: L im Kreis / Feingehaltsangabe: 925 / Schwedi- sches Beschauzeichen: drei Kronen im Oval [Rosenberg Nr. 8169] / Schwedischer Einfuhrstempel: S im Sechseck [Rosenberg Nr. 8170]. Gewicht: 2.003 g. [3190]

Provenienz Ehemals Privatsammlung, Schweden

EUR 12.000–15.000 USD 14,100–17,700

Vergleichsliteratur und -objekt Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., mit Abb. / Carl- Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 16, Abb. 11

„Für Lettré ist Silber die bewegte Form; gibt Licht und Schatten. Der Art des Silbers entspricht es, geschmiedet oder plastisch getrieben zu werden. Der Reiz des Silbers besteht in seiner vielfältigen Wirkung.“ (Pamela Wede- kind zur Ausstellung Lettrés in Düsseldorf, 1950. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 336f., S. 337)

Entwurf, 1928, Staat- liche Zeichenschule Hanau, zeichneri- scher Nachlass Emil Lettré

Grisebach — Herbst 2017

265 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Paar Salzfässer mit Löffeln. Um 1922 „Für den Handel ist der Geschmack das Vornehmste, für das Handwerk das Wichtigste! [...] Vereinfachung! Bei den Silber, getrieben, gegossen, ziseliert. Bestecken weniger Varianten. In so vielen Dingen schüttelt Je 1,8 cm; Ø 8,5 / 8 cm (each ¾ in.; Ø 3 ⅜ / 3 ⅛ in.). man die Sklaverei mehr oder minder gelungener Werkzeuge Löffel ohne Meisterzeichen, Salzfässer an der ab, ohne Befürchtung, wieder wie unter dem Sonnenkönig Wandung mit Meisterzeichen: L im Kreis. mit den Gabeln der Natur in der Schüssel mit unserm Tisch- Gesamtgewicht: 205 g. [3336] nachbarn um die Wette zu fischen. Die Vereinfachung führt uns beileibe nicht zum Puritanismus, im Gegenteil, nur Provenienz durch sie wird das Zweckmäßige, also das Gute erreicht und Privatsammlung, Hessen genossen.“ (Emil Lettré: Der gute Schmuck gestern und heu- te. In: Deutsche Goldschmiede-Zeitung, Jg. 25 (1921), S. 379) EUR 800–1.000 USD 942–1,180

Vergleichsliteratur und -objekt Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. Kat.-Nr. / Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 35, Abb. 15

266 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Große Platte mit einer Handhabe. 1928/1936

Silber, getrieben, graviert. 57,5 cm × 35 cm (22 ⅝ in. × 13 ¾ in.). Meisterzeichen: L im Kreis / Graviert: MANNESMANN RÖHREN-WERKE DÜSSELDORF / ZUM DEUTSCHEN STERNFLUG XI. OLYMPIADE BERLIN 1936. Gewicht 2.035 g. [3190]

Provenienz Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen

EUR 8.000–10.000

USD 9,420–11,800 Platten und Kerzenleuchter von Emil Lettré, Fotografie, um 1925, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, Bestand Lettré Vergleichsliteratur und -objekt Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., mit Abb.

267 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Bergkristall-„Brusthänger“ mit Goldkette. Um 1920

834/- Gelbgold (20 kt), getrieben, ziseliert; Bergkristall, geschnitten. 8,7 cm / 62 cm (3 ⅜ in. / 24 ⅜ in.). Auf der Öse Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 60 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 6.000–8.000 USD 7,070–9,420

Ausstellung International Exhibition of Modern Jewellery 1890-1961, Goldsmiths’ Hall und Victoria and Albert Museum, London, 1961, Kat.-Nr. 535 / Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 20, Abb. 33 / Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., ganzseitige Abb. / Graham Hughes: Modern Jewelry. An International Survey, 1890–1963. New York, 1963, Nr. 236, S. 130 / Christianne Weber: Schmuck der 20er und 30er Jahre in Deutschland. Künstlerschmuck des Art Déco und Entwurf, um 1920, Staatliche Zeichenakademie Hanau, der Neuen Sachlichkeit. , 1990, S. 242, Nr. 436 zeichnerischer Nachlass Emil Lettré

268 Emil Lettré 269 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Paar Bergkristall-Ohrgehänge mit Blatt. Um 1925 Paar Bergkristall-Ohrgehänge. Um 1925

639/- Gelbgold (15,4 kt), getrieben; Bergkristall, 410/- Gelbgold (9,9 kt), getrieben; Bergkristall, geschnitten. 6,2 cm (2 ½ in.). Ohne Meisterzeichen. geschnitten. 3,3 cm (1 ¼ in.). Auf der Fassung Meister- Gesamtgewicht: 13 g. [3032] zeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 10 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré

EUR 800–1.000 EUR 1.000–1.500 USD 942–1,180 USD 1,180–1,770

Grisebach — Herbst 2017 267

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270 Emil Lettré „Dass dieser Kunsthandwerker sich von den abstrakten Linienorna- Hanau 1876 – 1954 Berlin menten der Zeit fernhält, und unbefangen mit figürlichem Schmuck, mit Füllhörnern und Blumenarabesken arbeitet, ist gut; aber er ent- geht nicht immer der Gefahr einer gar zu minutiösen Detaillierungs- „Füllhornbrosche“ mit großen Smarag- lust.“ (Karl Scheffer: Ein moderner Goldschmied. Emil Lettré. In: den, Naturperlen und Diamanten. 1926 Kunst und Künstler, Jg. 12 (1914), S. 635-639, S. 638f.)

950/- Platin, gegossen, ziseliert; 650/- „In der Liliengestalt des Hängers, in der Füllhornform der Perlenbro- Weißgold (15 kt), drei (kolumbianische) sche, [...] in den Kurven der Spiegelumrahmung schwingt sich die Smaragde (ca. 6,16 ct / ca. 6,78 ct / Linie frei und ohne Widerstand aus, Zeugnis eines gekräftigten ca. 6,12 ct), Baguetteschliff; zwei große Lebensgefühls, das mit sich ins Reine gekommen ist und nur noch Naturperlen (1,1 x 1,9 cm / 1,2 x 1,9 cm); die großen, endgültigen Verhältnisse beachtet.“ (G. H.: Edelmetall ca. 116 kleine Diamanten, Antwerpener und Juwelen von Emil Lettré. In: Deut- Rosenschliff; Email. 8,3 × 3,7 × 0,8 cm sche Kunst und Dekoration, Bd. 59 (3 ¼ × 1 ½ × ⅜ in.). Ohne Meisterzei- (1926/27), S. 78f., S. 79, Abb. S. 81) chen. Gesamtgewicht: 35 g. [3032] „Das Füllhorn, aus den kristallklaren Provenienz columbianischen Smaragden, das zwei Nachlass Emil Lettré große Perlen ausstreut, in seiner strengen Linie, wie das Attribut einer EUR 25.000–30.000 griechischen Göttin.“ (Carl Ruder: USD 29,400–35,300 Lettré – Leben und Werk. In: Carl- Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Ausstellung Andreas Moritz. Zwei deutsche Silber- Internationale Ausstellung Paris 1937 schmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- für Kunst und Technik, Deutsche Abtei- Kat., Köln 1976, o. S.) lung (Füllhornbrosche abgebildet in: Deutschland in Paris – L’Allemagne à Paris – in Paris – La Germania a Parigi. Ein Bild-Buch von Heinrich Hoffmann. München, 1937, Abb. S. 62) / International Exhibition of Modern Jewellery 1890-1961, Goldsmiths’ Hall und Victoria and Albert Museum, Lon- don, 1961, Kat.-Nr. 535 / Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Literatur und Abbildung Entwurf zu einer Füllhornbrosche, G. H.: Edelmetall und Juwelen von Emil um 1910, Staatliche Zeichenakademie Lettré. In: Deutsche Kunst und Dekora- Hanau, zeichnerischer Nachlass Emil tion, Bd. 59 (1926/27), S. 78f., S. 79, Lettré Abb. S. 81 / Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., ganz- seitige Abb. / Graham Hughes: Modern Jewelry. An International Survey 1890– 1963. New York, 1963, Nr. 236, S. 130 / Christianne Weber: Schmuck der 20er und 30er Jahre in Deutschland. Künst- lerschmuck des Art Déco und der Neu- en Sachlichkeit. Stuttgart, 1990, S. 242, Abb. S. 243, Nr. 440

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271 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Toilettegarnitur – bestehend aus einem „Das eigenwillige herbe Service für den Toilettentisch der Dame ist Handspiegel, einer rechteckigen und feuervergoldet, mit schönen gestochenen Flächen. Es ist so stolz einer runden Bürste. Um 1926 und herrisch, wie in den besten Tagen Venedigs und mit seiner knappen Formulierung doch so sehr von heute.“ (Carl Ruder: Lettré Silber, getrieben, ziseliert, feuerver- – Leben und Werk. In: Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. goldet; Spiegelglas; Holz; natürliches Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Borstenhaar. 32,3 cm / 14,3 cm / Ausst.-Kat., Köln 1976, o. S.) Ø 7,8 cm (12 ¾ in. / 5 ⅝ in. / Ø 3 ⅛ in.). Alle Stücke mit Meisterzeichen: L im Kreis. Spiegelglas leicht blind. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890

Ausstellung Internationale Ausstellung Paris 1937 für Kunst und Technik, Deutsche Abtei- lung, Wandvitrine 3: Silber von Lettré / Lettré – Berlin. Silbernes Gerät und Schmuck. Düsseldorf, Kunstverein, 1950 (ohne Katalog) / Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 57a/b/c, Abb. 28 / Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Gold- schmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Kata- log)

Literatur und Abbildung Deutschland in Paris – L’Allemagne à Paris – Germany in Paris – La Germania a Parigi. Ein Bild-Buch von Heinrich Hoffmann. München, 1937, Abb. S. 62 / Gold und Silber, III (Januar/Februar 1950) / Emil Lettré. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 334–337, Abb. S. 335 Entwurf, um 1926, Staatliche Zeichenakademie Vitrine mit Silberarbeiten Lettrés, darunter links die Toilette- Hanau, zeichnerischer Nachlass Emil Lettré garnitur, auf der Weltausstellung in Paris, Fotografie, 1937

272 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Zigarettenetui mit Diamantschnittdekor. Um 1920 „Mit dem Ornament ging Lettré mehr als sparsam um. Die unsäglich zart und wissend behandelte Oberfläche seines 750/- Gelbgold (18 kt), getrieben, ziseliert, vergoldet. Silbers hat alle Reize lebendiger Haut [...] Bestecke liegen 1,6 × 7,3 × 6,8 cm (⅝ × 2 ⅞ × 2 ⅝ in.). Auf der Unterseite schmiegsam in der Hand, eine Zigarettendose wird ein kräf- Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 119 g. [3032] tiger männlicher Gegenstand, nicht anders eine goldene Uhrkette oder Manschettenknöpfe.“ (Erich Pfeiffer-Belli: Provenienz Alle Welt kaufte bei ihm. In: Die Welt, 22. Mai 1954) Nachlass Emil Lettré

EUR 2.500–3.000 USD 2,940–3,530

Ausstellung Lettré – Berlin. Silbernes Gerät und Schmuck. Düsseldorf, Kunstverein, 1950 (ohne Katalog) / Die Berliner Gold- schmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Literatur und Abbildung Emil Lettré. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 334–337, Abb. S. 335

273 Emil Lettré 274 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Paar guillochierte Manschettenknöpfe. Um 1920 Paar getriebene Manschettenknöpfe. Um 1920

585/- Gelbgold (14 kt), gegossen, guillochiert. 333/- Gelbgold (8 kt), getrieben, gegossen. 2,5 cm; Ø 1,2 cm (1 in.; Ø ½ in.). Auf der Unterseite Ø 1,1 cm (⅜ in.). Auf der Unterseite der beiden jeweils mit Meisterzeichen: L im Kreis. Knöpfe Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 11 g. [3500] Gesamtgewicht: 13 g. [3336]

Provenienz Provenienz Georg Lüttke (1884–1962), Köln (direkt vom Verleger Ernst-Siegfried Toeche-Mittler, Berlin Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 400–600 EUR 400–600 USD 471–707 USD 471–707

„Lieber Freund Lettré, glauben Sie nicht an eine Vergessen- heit bei mir: Ihre Knöpfe sind an meinen Handgelenken, und wären sie’s nicht, so bestünden auch innerlich Beweise genug, die mich Ihnen verbunden halten.“ (Brief Rainer Maria Rilkes an Lettré, 5. Januar 1919)

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Armband mit rechteckigen Baguettes und Akanthus. Paar Ohrringe in Kugelform. Um 1920 Um 1920

333/- Gelbgold (8 kt), getrieben, ziseliert, vergoldet. 585/- Gelbgold (14 kt), getrieben. 20 × 2,2 cm (7 ⅞ × ⅞ in.). Auf der Unterseite Meister- Ø 2,5 mm (1 in.). Auf der Rückseite jeweils zeichen: L im Kreis. Gewicht: 36 g. [3336] Meisterzeichen: L im Kreis.Gesamtgewicht: 7 g. [3336]

Provenienz Provenienz Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 1.000–1.500 EUR 500–700 USD 1,180–1,770 USD 589–824

277 Emil Lettré 278 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Armband mit halbkugeligen Elementen und Akanthus. Gliederhalskette mit Blütenschließe. Um 1920 Um 1925

460/- Gelbgold (11,2 kt), getrieben, vergoldet. 750/- Gelbgold (18 kt), getrieben, ziseliert. 20,5 × 3 cm (8 ⅛ × 1 ⅛ in.). Auf der Unterseite 38,8 cm (15 ¼ in.). Auf der Rückseite der Blüte Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 29 g. [3336] Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 23 g. [3500]

Provenienz Provenienz Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin Gisela Lüttke (1908–2000), Berlin (direkt vom Künstler (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 1.000–1.500 EUR 2.000–3.000 USD 1,180–1,770 USD 2,360–3,530

Ausstellung Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 30, Abb. 35

„Diese Schmuck- und Silbersachen kommen aus einer Werk- statt, die ein Gentleman regiert. Lettré hat den Chic und die Eleganz der großen Welt; seine Kostbarkeiten sind nobel wie eine Dame der guten Gesellschaft und an Reizen verführe- risch wie sie [...] Den Stoffen entlockt er ihren Adel, ihren Charakter der Rolle, den sie in der Welt zu spielen haben.“ (Paul Westheim: Goldschmiede-Arbeiten von Emil Lettré. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 29 (1911/12), S.90-93, S. 90)

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279 Emil Lettré 280 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

„Blumenvase“. Um 1920 „Gebäckteller“. Um 1930

Silber, getrieben, gehämmert, ziseliert, gegossen. Silber, getrieben, ziseliert. 14 cm (5 ½ in.). Am Boden Meisterzeichen: L im Kreis. Ø 25,6 cm (10 ⅛ in.). Am Rand Meisterzeichen: Gewicht: 152 g. [3032] L im Kreis. Gewicht: 346 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré

EUR 600–800 EUR 2.000–3.000 USD 707–942 USD 2,360–3,530

Ausstellung Literatur und Abbildung Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb. / Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 56, Abb. 17 / Die Berliner Gold- Karl H. Bröhan (Hg.): Metallkunst. Silber, Kupfer, Messing, schmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, Deutsches Gold- Zinn. Vom Jugendstil zur Moderne (1889-1939). Ausst.-Kat., schmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog) Berlin, 1990, Kat.-Nr. 423, S. 365, mit Abb.

Literatur und Abbildung Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb.

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281 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

„Mokkaservice“ mit Akanthusdekor – bestehend Ausstellung aus Kaffeekanne, Milchkännchen, Zuckerdose Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. und runder Platte. Um 1925 Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- Kat., Köln 1976, Kat.-Nr. 8, ganzseitige Abb. Silber, getrieben, ziseliert; Kannenhenkel mit Leder bezogen. 25 cm / 9,8 cm / 6,2 cm / Ø 46,2 cm Literatur und Abbildung (9 ⅞ in. / 3 ⅞ in. / 2 ½ in. / Ø 18 ¼ in.). Alle Teile am Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern Standring bzw. an der Fahne mit Meisterzeichen: L im Kreis. und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb. / Gesamtgewicht: 2.766 g. [3032] Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., mit Abb. Provenienz Nachlass Emil Lettré „Hier [in Lettrés Werkstatt] wurde mit besonderer Sorgfalt getriebenes Silber hergestellt, aber auch dekorative Gegen- EUR 6.000–8.000 stände und alles, was der Tisch verlangt – man beachte an USD 7,070–9,420 den Kannen die gelederten Henkel!“ (Pamela Wedekind zur Ausstellung Lettrés in Düsseldorf, 1950. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 336f., S. 336) 282

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282 Emil Lettré 283 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Anhänger mit Kreuz und reliefiertem Herzblatt. Um 1925 Paar Ohrringe in Kegelform mit Akanthusdekor. Um 1920

428/- Gelbgold (10 kt), getrieben, satiniert. 3,5 cm (1 ⅜ in.). 585/- Gelbgold (13 kt), getrieben, ziseliert. 4,3 cm (1 ¾ in.). Auf der Rückseite Meisterzeichen: L im Kreis. Beigabe: Am Ohrhaken Meisterzeichen: L im Kreis. Halskette. Gesamtgewicht: 9 g. [3032] Gesamtgewicht: 4 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré

EUR 2.000–3.000 EUR 2.000–3.000 USD 2,360–3,530 USD 2,360–3,530

Ausstellung „Ohrringe sind im allgemeinen schmückenden das besonde- Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. re das bemerkenswerte. lenkt doch kein Schmuck mehr die Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.- Blicke der Umstehenden als eben der Ohrring - befriedigt Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 22 keiner mehr die weibliche Eitelkeit - genug köstliche Einfälle der griechischen Goldschmiede bewahren wir in den Muse- „Sein Goldschmuck, seine Juwelen sind wie Attribute der en die seinen Reiz bestätigen - in Rauschgold geschnittene Schönheit. Sie sind oft von einer verblüffenden Einfachheit, Blumen in weissen Schmelz Amphoren Liebesgötter Tauben unanfechtbar wie eine physikalische Formel.“ (Carl Ruder die Vögel der Aphrodite - betörende Dinge die man nicht zum 75. Geburtstag Lettrés, Autograph, 1951, Deutsches auskosten kann - das frivolste aller Schmuckdinge ist der im Goldschmiedehaus Hanau, Bestand Lettré) Ohrloch hängende bewegliche - nicht der in und umge- schraubte - groß soll er sein und dennoch leicht zugleich Grenzen sind ihm nicht gezogen - führt er doch die Frau zum Sieg!“ (Lettrés Notizbuch, Nachlass Emil Lettré)

284 Emil Lettré 285 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Paar Ohrringe in Blütenform. Um 1925 Gliederhalskette mit Blütenschließe. Um 1925

542/- Gelbgold (13 kt), getrieben. 4,7 cm (1 ⅞ in.). 632/- Gelbgold (15,2 kt), getrieben. 36 cm (14 ⅛ in.). Ohne Meisterzeichen. Gesamtgewicht: 9 g. Ein Auf der Rückseite der Blüte Meisterzeichen: L im Kreis. Verschluß fehlt. [3032] Gewicht: 28 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré

EUR 1.000–1.500 EUR 2.000–3.000 USD 1,180–1,770 USD 2,360–3,530

Vergleichsliteratur und -objekt Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., mit Abb. (Armband mit Ohrringen) / Carl-Wolfgang Schü- mann (Hg.): Emil Lettré. Andreas Moritz. Zwei deutsche Sil- berschmiede im 20. Jahrhundert. Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 32, Abb. 36 (Armband mit Ohrringen)

286 Emil Lettré 288 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit Leda und dem Schwan. Um 1935 Ring ANANI • SAPTA. Um 1925

700/- Gelbgold (16,8 kt), getrieben, gegossen. Ringkopf: Messing, ziseliert, vergoldet, graviert, geschwärzt. 1,2 × 2,6 cm. Auf der Außenseite Meisterzeichen: L im Kreis. Ø 3 cm. Auf der Außenseite Meisterzeichen als Trennpunkt: RW: 56,5. Gewicht: 15,6 g. [3097] L im Kreis. RW: 74/75. Gewicht: 18 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré / Privatsammlung, Berlin Nachlass Emil Lettré (2013 aus dem Nachlass des Künstlers erworben) EUR 400–600 EUR 4.500–6.000 USD 471–707 USD 5,300–7,070 „Anani sapta, zauberkräftige Inschrift auf Amuleten, Ringen „der Schwan und Leda: etc., welcher wahrscheinlich die talmudistische Bezeich- Als ihn der Gott in seiner Not betrat nung des Messias durch die aus 1 Chron. 3, 24 entnommenen erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden hebräischen Worte Anani scheba zu Grunde liegt.“ (Heinrich doch dann empfand er glücklich Otte: Archäologisches Wörterbuch zur Erklärung der in den sein Gefieder und wurde wirklich Schriften über christliche Kunstalterthümer vorkommenden Schwan in ‚Ledas‘ Schoos.“ Kunstausdrücke. 2. Aufl., , 1877, S. 8) (frei nach Rainer Maria Rilke, Herbst 1907, Paris, oder Frühling 1908, Capri, Lettrés Notizbuch, Nachlass Emil Lettré)

287 Emil Lettré 289 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Lettrés Ring „ANNANISAPTA • DEI“. Um 1925 Ring mit durchbrochenen Akanthusranken. Um 1917

893/- Gelbgold (21,4 kt), gegossen, graviert. Ø 2,55 cm. 750/- Gelbgold (18 kt), gegossen, geschnitten, ziseliert. Außen graviert: ANNANISAPTA • DEI • / Innen graviert: Ø 2,4 cm. Am Rand Meisterzeichen: L im Kreis. RW: 64. M•M•C•V•Z•M•V•+•+•A•A•I•. Ohne Meisterzeichen. RW: 64,5. Gewicht: 15 g. [3032] Gewicht: 9 g. [3032] Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré EUR 1.500–2.000 EUR 1.000–1.500 USD 1,770–2,360 USD 1,180–1,770

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„Besonders fein kommt die reine Materialwirkung durch 290 Emil Lettré markante Form in den Herrenringen heraus, deren geschlos- Hanau 1876 – 1954 Berlin sene, beinah wuchtige Erscheinung ohne Steinschmuck bei allem Verzicht auf abwechselnde Linienführung so charak- tervoll sich präsentiert. Auch hier ist jede Kontur vermieden, Krawattennadel mit Diamantkopf. Um 1910 so daß von der Fläche zur Erhebung ein ununterbrochener Fluß der Bewegung geht.“ (Ernst Schur: Schmuckarbeiten 585/- Weißgold (14 kt); Diamanten, Antwerpener Rosen- von Emil Lettré. In: Die Kunst. Monatsheft für freie und ange- schliff. 7,1 cm; Ø 0,7 cm (2 ¾ in.; Ø ¼ in.). Auf dem Nadel- wandte Kunst, Jg. 21 (1908), Bd. 18, S. 91–94, S. 91) schaft Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 2 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 800–1.000 USD 942–1,180

291 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Lettrés Speisebesteck für sechs Personen – bestehend aus „Lettrés Besteck ist lebendig gebliebenes Beispiel kubisti- je sechs Suppenlöffeln, Gabeln, Messern, Mokkalöffeln – scher Kompromißlosigkeit.“ (Form, Nr. 16 (1961), Abb. S. 54) Nr. 630 „Professor Lettré“. 1931 „Lettré, gab den Ton an für die einheitlich strenge und noble Silber, gegossen, matt gebürstet, graviert; Stahlklingen, Haltung. Es ist noch mehr Tafel- als Tischbesteck, wenn man geschnitten – Hersteller: P. Bruckmann & Söhne Heilbronn in dieser Unterscheidung eine gewisse Feierlichkeit einer- A.G. 18,8 cm / 19 cm / 20 cm / 10,3 cm (7 ⅜ in. / 7 ½ in. / seits, das Alltägliche andererseits sehen will. Seine exklusive 7 ⅞ in. / 4 in.). Alle Teile mit eingraviertem Besitzervermerk Linie [...] Und doch hat das Lettré-Besteck auch heute noch „L“ / Feingehaltsangabe mit Mondsichel und Reichskrone: nichts von seinem bestechend-kühlen Reiz verloren: es war 800. Beigaben: Originale Kartonagen, Tortenheber. der erste große Wurf, ganz gleichgültig, ob es je ein Ver- Gesamtgewicht ohne Messer: 664 g. [3032] kaufserfolg war oder nicht. Die Nachfolger haben ihm viel zu verdanken.“ (Wilhelm Braun-Feldweg, 1956, S. 63f.) Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 1.500–2.000 USD 1,770–2,360

Ausstellung Modell ausgestellt auf der 6. Triennale di Milano, 1936 (Goldmedaille)

Vergleichsliteratur Die Tische der Nationen. Ein Wettbewerb in Warschau. In: Die Kunst. Monatshefte für Malerei, Plastik und Wohnkultur, Jg. 38 (1936), Nr. 1 (Oktober), S. 44–47, S. 46 / 150 Jahre Bruckmann-Silber. Heilbronn, 1955, Nr. 630 / Wilhelm Braun-Feldweg: Das Neue Tischbesteck. In: Westermanns Monatshefte, Jg. 97, Heft 8 (1956) S. 63–68 / Karl H. Bröhan (Hg.): Metallkunst. Silber, Kupfer, Messing, Zinn. Vom Jugendstil zur Moderne (1889-1939). Ausst.-Kat., Berlin, 1990, Kat.-Nr. 80, S. 86f. (mit umfangreichen Literaturan- gaben)

292 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Sechs Mokkalöffel – Nr. 630 „Professor Lettré“. 1928

Silber, gegossen, matt gebürstet – Hersteller: P. Bruckmann & Söhne Heilbronn A.G. 10,2 cm (4 in.). Auf der Rückseite Feingehaltsangabe: 925; Herstellermarke: Bn. Gesamtge- wicht: 62 g. [3336]

Provenienz Privatsammlung, Hessen

EUR 300–500 USD 353–589

293 Emil Lettré Literatur und Abbildung Hanau 1876 – 1954 Berlin Emil Lettré: Gold und Silber. Profanes Geschirr. Gestern und heute. Potsdam, o.J. (1946), o. S., ganzseitige Abb. / Emil Lettré: Juwelen einst und jetzt. Potsdam, 1946, o. S., „Großer Handspiegel“ – Toilettespiegel. Um 1930 mit Abb.

Silber, getrieben, ziseliert; Spiegelglas; Holz. 50,5 × 36,8 cm „Im Gegensatz: Lettré. Handwerker und Gefäßbauer in (19 ⅞ × 14 ½ in.). Ohne Meisterzeichen. [3032] einem fast sakralen Sinn. Kühler und sogleich intuitiver Durchdenker eines Gefäßes. [...] Fanatismus eines Willens, Provenienz das Komplizierte zu vernichten [...] Form ein zeitloses Nachlass Emil Lettré Dasein, über ihren mattblinkenden Flächen träumt die Mär- chenhaftigkeit eines künftigen Daseins, eine Zukunft, die EUR 4.000–6.000 von den Dingen keine Verlogenheit mehr will, die von der USD 4,710–7,070 Linie die Vernunft und die Schönheit ihres Zweckes for- dert.“ (Friedrich Kroner: Emil Lettré als Silberschmied. In: Ausstellung Die Kunst. Monatsheft für freie und angewandte Kunst, Jg. Die Berliner Goldschmiede Emil Lettré und Herbert Zeitner, 25 (1922), Bd. 46, S. 33–38, S. 38) Deutsches Goldschmiedehaus Hanau, 2010 (ohne Katalog)

Grisebach — Herbst 2017

294 Emil Lettré 295 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Henkeldose mit Relief „Nessos raubt Deïaneira“ und Große runde Platte mit Akanthusdekor. Um 1930 Akanthusdekor. Um 1925 Silber, getrieben, ziseliert. Ø 46 cm (18 ⅛ in.). Am Rand Silber, getrieben, ziseliert, gegossen. 13 × 12 cm Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 1.672 g. [3513] (5 ⅛ × 4 ¾ in.). Auf der Unterseite Meisterzeichen: L im Kreis. Gewicht: 292 g. [3336] Provenienz Sammlung des Vorsitzenden der Deutschen Keramischen Provenienz Gesellschaft Hermann Harkort (1881–1963), Berlin (direkt Privatsammlung, Hessen vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 3.000–5.000 EUR 2.000–3.000 USD 3,530–5,890 USD 2,360–3,530 296

297

298

296 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Drei kleine Löffel. Um 1922

Silber, gegossen, ziseliert. Je 7,8 cm (each 3 ⅛ in.). Ein Löffel ohne Marke, zwei Löffel auf der Rückseite des Stiels mit Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 19 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 300–500 USD 353–589

297 Emil Lettré 299 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Vier mittlere Löffel. Um 1922 Kleines Schälchen mit flachem Rand. Um 1925

Silber, gegossen, ziseliert. Je 15,7 cm (each 6 ⅛ in.). Silber, getrieben, ziseliert. 1,5 cm; Ø 9,7 cm Auf der Rückseite des Stiels Meisterzeichen: L im Kreis. (⅝ in.; Ø 3 ⅞ in.). Am Rand Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 174 g. [3032] Gewicht: 53 g. [3336]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Privatsammlung, Hessen

EUR 1.200–1.500 EUR 300–500 USD 1,410–1,770 USD 353–589

298 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Zwei große Löffel. Um 1922

Silber, gegossen, ziseliert. Je 26,5 cm (each 10 ⅜ in.). Auf der Rückseite des Stiels Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 292 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 1.000–1.500 USD 1,180–1,770 300

301

302

300 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Brosche in Form eines Lorbeerblatts. Um 1930

333/- Gelbgold (8 kt), getrieben, ziseliert. 8,5 × 1,8 cm (3 ⅜ × 0 ¾ in.). Auf der Vorderseite Meisterzeichen: L in Kreis. Gewicht: 4 g. [3336]

Provenienz Ursula Toeche-Mittler, geb. Niemann (1917–2010), Berlin (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 500–700 USD 589–824 Lettrés Notizbuch, Nachlass Emil Lettré Vergleichsliteratur und -objekt Die neue linie, Jg. V, Heft 4 (Dezember 1933), S. 26 / Emil Lettré: Carl-Wolfgang Schümann (Hg.): Emil Lettré. Andreas „Kleine graziöse, in lichtem Gold getriebene Schmuckdinge, Moritz. Zwei deutsche Silberschmiede im 20. Jahrhundert. um Hut, Handtasche und Kleid der Dame zu zieren.“ (Die Ausst.-Kat., Köln, 1976, Kat.-Nr. 37, Abb. 25 neue linie, 1933, S. 26)

301 Emil Lettré 302 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Anhänger mit Lorbeerblattdekor und vier Mondsteinen. Brosche mit Perle. Um 1925 Um 1920 546/- Gelbgold (13,2 kt), getrieben, ziseliert; Perle. 5,3 cm 585/- Gelbgold (14 kt), gegossen, geschnitten; vier Mond- (2 ⅛ in.). Auf der Vorderseite Meisterzeichen: L im Kreis. steine. 4,35 × 3,1 cm (1 ¾ × 1 ¼ in.). Auf der Rückseite Gewicht: 3 g. [032] Meisterzeichen: L im Kreis. Gesamtgewicht: 11 g. [3595] Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Gisela Lüttke (1908–2000), Berlin (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz EUR 350–400 USD 412–471 EUR 1.000–1.500 USD 1,180–1,770

303 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Brosche mit Diamanten und schwarz-weißer Email. Um 1925

950/- Platin, gegossen, ziseliert, 750/- Weißgold (18 kt), 303 gegossen, ziseliert; 66 kleine Diamanten, Antwerpener Rosenschliff; Gold, getrieben, emailliert. 3,6 × 1,8 × 0,7 cm (1 ⅜ × ¾ × ¼ in.). Auf der Rückseite angebrachtes Meister- zeichensignet: L im Kreis. Gesamtgewicht: 13 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré 304 EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890

304 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit Rubin. Um 1915

687/- Gelbgold (16,5 kt), gegossen, ziseliert; Rubin (ca. 0,33 ct), Quadratschliff. Ø 2,15 cm. An der Außenseite Meisterzeichen: L im Kreis. RW: 56,5. Gesamtgewicht: 4 g. [3032]

Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 800–1.000 USD 942–1,180 Entwürfe zu Ringen, um 1925, Staatliche Zeichenakademie Hanau, zeichnerischer Nachlass Emil Lettré

Grisebach — Herbst 2017

xxx

305 Emil Lettré 306 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit schwarzer Perle und Diamanten. Um 1920 Ring mit Diamant. Um 1920

950/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); 950/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); zwei Diamanten (zusammen ca. 1,16 ct), Baguetteschliff; Diamant (Si- Qualität, leicht getöntes Weiß, ca. 1,1-1,2 ct), gefärbte Akoyaperle. Ringkopf: 1,75 × 0,6 cm. Ohne Altschliff. Ringkopf: Ø 0,85 cm. Ohne Meisterzeichen. Meisterzeichen. RW: 58. Gesamtgewicht: 3 g. [3032] RW: 57. Gesamtgewicht: 4 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass Emil Lettré

EUR 2.000–3.000 EUR 3.000–5.000 USD 2,360–3,530 USD 3,530–5,890

307 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin

Ring mit zwei Perlen und Diamant. Um 1920

720/- Platin, gegossen, ziseliert; 585/- Weißgold (14 kt); Diamant (ca. 0,4 ct), Altschliff; zwei Perlen. Ringkopf: 1,5 × 0,5 cm. Ohne Meisterzeichen. RW: 51. Gesamt- gewicht: 2 g. [3595]

Provenienz Gisela Lüttke (1908–2000), Berlin (direkt vom Künstler erworben) / Seitdem Familienbesitz

EUR 1.000–1.500 USD 1,180–1,770

305 306 307

xxx

308 Emil Lettré 309 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

Goethe-Medaille. 1932 Plakette „für Berlin“ – 1951–1956 als „Große Goldene Plakette“ genutzt für die Internationalen Filmfestspiele Bronzeguss; goldgelbe Patina. Ø 9,8 cm (3 ⅞ in.). [avers] Berlin. 1945 GOETHE; [revers] NACH EWIGEN EHERNEN GROSSEN GESETZEN MUESSEN WIR ALLE UNSERES DASEINS KREISE Bronzeguss, goldgelbe Patina. Ø 10 cm (3 ⅞ in.). [3032] VOLLENDEN 1832 • 1932 / Monogrammiert: L im Kreis. Gewicht: 186 g. [3032] EUR 200–300 USD 236–353 Provenienz Nachlass Emil Lettré

EUR 200–300 310 Emil Lettré USD 236–353 Hanau 1876 – 1954 Berlin

Im Sommer 1957 fragte die Festspielleitung der VII. Interna- tionalen Filmfestspiele Berlin bei der Witwe Lettrés an, ob Plakette „für Berlin“ – 1951–56 als „Große Bronzene man „auch in diesem Jahr wieder die Ihnen zur Verfügung Plakette“ genutzt für die Internationalen Filmfestspiele stehenden Plaketten verleihen“ könne (Brief Herr Grassmé Berlin. 1945 an Elfriede Lettré vom 7. Juni 1957, Nachlass Emil Lettré). Damals war der Vorrat jedoch bis auf diese zwei letzten Stü- Bronzeguss, gelbbraune Patina. Ø 10 cm (3 ⅞ in.). Am Rand cke erschöpft, weswegen die Berlinale neue Plaketten unten datiert: MCMXLV / Oben rechts monogrammiert: L. anfertigen lassen musste. (Wir danken Wolfgang Jacobsen, Gewicht: 222 g. [3032] Deutsche Kinemathek, Berlin, für freundliche Hinweise.) Provenienz beider Nachlass: Emil Lettré

EUR 200–300 USD 236–353

311 Emil Lettré 312 Emil Lettré Hanau 1876 – 1954 Berlin Hanau 1876 – 1954 Berlin

„Plakette für den Frieden“. 1945 Medaille mit dem Bildnis Emil Lettrés. 1947

Silber, gegossen. Ø 10,2 cm (4 in.). Bezeichnet, datiert und Silber, gegossen. Ø 5,8 cm (2 ¼ in.). Bezeichnet, datiert und monogrammiert: [avers] PAX. MCMXLV / L. Gewicht: 199 g. monogrammiert: [revers] 1947•EMIL•LETTRÉ•GOLDSCHMIED• [3032] BERLIN•. Gewicht: 79 g. [3032]

Provenienz Provenienz Nachlass Emil Lettré Nachlass: Emil Lettré

EUR 300–400 EUR 300–400 USD 353–471 USD 353–471

„Der Laden des Goldschmieds Lettré Unter den Linden wur- de 1945 in den letzten Tagen des Krieges zerstört. Lettré sammelte, was von seinen Arbeiten erhalten war, und wurde seither nicht müde, Neues zu schaffen in den letzten Jah - ren, deren Arbeit mit einer Plakette für den Frieden begann.“ (Pamela Wedekind zur Ausstellung Lettrés in Düsseldorf, 1950. In: Uhren, Schmuck und edles Gerät, Jg. 1950, Heft 12 (Dezember), S. 336f.) Norbert Hanenberg Die Goldenen Zwanziger von ihrer kultiviertesten Seite. Die Möbelschöpfungen von Lettrés bestem Freund, Eduard Pfeiffer

1921 vollendete der Architekt Eduard Pfeiffer das am Harvestehuder Weg in Hamburg liegende Haus Laeisz. Vorausgegangen war eine mehrjährige, intensive Beschäftigung mit dem Projekt in einer Gruppe Gleichgesinnter, die hier, stellvertretend für wenige Berufene, noch einmal ihr Streben nach einem Gesamtkunstwerk in großer Meisterschaft umsetzten. Im Zentrum der Gruppe standen Eduard Pfeiffer (1889- 1929) und sein Freund, der Gold- und Silberschmied Emil Lettré (1876-1954) aus Berlin, die in der Ausgestal- tung des Hamburger Hauses Laeisz ihre Reihe heraus- ragender gemeinsamer Projekte bestätigten. Eduard Pfeiffer, seit 1918 Professor für Innenarchitektur und Toilettetisch im Schlafzimmer der Raumkunst an der Staatsschule für angewandte Kunst Dame im Haus Laeisz, Hamburg mit in München, war als Architekt und Innenraumgestalter Silberarbeiten von Emil Lettré, ein Mittler zwischen den Stilwelten der 1910er und insbesondere der 1920er Jahre, Fotografie, 1924 distanziert gegenüber allem Modischen, allem Modernen gegenüber offen. Seine Arbeiten sind weit verteilt, seine wesentlichen Lebenswelten lagen in Berlin und München. Sein Werk kam aus dem Gelernten, dem Traditionellen und wuchs in Pfeiffers letztem, zu frühem Lebensjahrzehnt hin zu einer Baukunst, die aus einem unermesslichen Reichtum die einfache Form suchte, mit dekorativen Ein- fällen, die der Reduziertheit der zeitgenössischen Moderne eine reichere zur Seite zu stellen suchten. Aus Pfeiffers Werk sind hierfür neben den Häusern am Bodensee von 1928 und den Ausstellungsräumen bei der Münchner Gewerbeschau von 1922 beson- ders die beiden für und mit Emil Lettré entwickelten Bauten in Berlin zu nennen: zum einen Lettrés Wohnhaus von 1922 in Berlin-Westend, als einer der interes- santesten Beiträge der Berliner Architektur der Moderne, und zum anderen der einzigartige „Laden“ von Emil Lettré unter den Linden von 1928, der in seiner Zeit Treffpunkt für Kulturgrößen von Rilke bis Hauptmann, von Pamela Wedekind bis Erika Mann war. Und zu eben diesen Architekturetüden ist dann natürlich auch das Haus Laeisz in Hamburg zu zählen, das sich als Villa ganz unmittelbar mit der Idee des gebauten Ganzen auseinandersetzte – einer Idee, die mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ihr jähes Ende fand. Bis dahin jedoch entstand eine Vielzahl von Häusern dieser Art, die, unab- hängig von ihrer jeweiligen stilistischen Zuordnung, die raumgebenden Architek- turen mit einer kunsthandwerklichen Ausstattung zur Baukunst erhöhten. Neben dem Haus Laeisz stehen dafür beispielsweise so unterschiedliche Berliner Projek- te wie das Landhaus Wiegand von Peter Behrens von 1912, die Villa Otte von Walter Gropius von 1922 oder auch die Villa Konschewski von Oskar Kaufmann von 1924. Schon vor dem Ersten Weltkrieg bestellte der Hamburger Reeder Erich F. Laeisz für sich und seine Frau ein Haus, das seiner Position angemessen sein Emil Lettré: Bildnis von Eduard Pfeiffer, sollte. Oblag die äußere Gestaltung der Villa in der gewählten Formensprache des Zeichnung, 1908 Barock dem Hamburger Architekten Erich Elingius, vollendete Eduard Pfeiffer in

Grisebach — Herbst 2017 seiner bekannt phantasievollen und hochindividuellen Art mit Anleihen an das Rokoko die äußere Hülle zu einem wohnlichen und inhaltlichen Ganzen. Dabei ging es nicht um Aufdringlichkeit und Effekt, sondern um feine Reliefarbeiten in einfachen Putzen mit großer Fläche, die sich wie ein Firnis sanft über alles legten und das Besondere charakteristisch machten. Neben einer hohen Handwerks- und Planungskunst mit dem Einsatz edler Materialien, kostbarer Hölzer, abge- stimmter Farbkanons und Oberflächenveredelungen konturierten dabei nicht zuletzt Einbauten und hochwertige Möbel die Exponiertheit des Hauses. Bibliothek, Herrenzimmer, Esszimmer, Musikzimmer, Vestibül – unter all diesen edlen Räumen stach das Schlafzimmer der Dame im Haus Laeisz noch ein- Karen Bartsch: Lettré und Pfeiffer wieder mal auf besondere Weise heraus: mit seinen thematischen und formschönen vereint, ein Boyer hinzu, Fotografie, 2017 Variationen über das Motiv des Tisches, zudem mit dem überragenden Einzel- stück des Kabinettschranks. Ein präch- tiger Teppich und ein Leuchter besetz- ten die Mitte des Raumes und wiesen so allen Möbeln wie selbstverständlich ihren Platz an der Peripherie zu. Die freie Mitte, die ganz der Schmuckform der Blumenkrone des Teppichs gewid- met war, gab dem Raum seine Stille und ließ alle Einzelmöbel wie Darsteller einer Szenerie erscheinen, die von meisterlicher Hand geführt und gestellt wurden: das Himmelbett mit seinem bekrönten Baldachin in hellem Blau, ihm zur Seite gestellt der Nacht- tisch in aufrechter, erhabener Gestalt, der Toilettetisch, leicht geschwungen und die Würfelintarsie einrahmend, die als Szenengrund für Lettrés Schmuckarbeiten diente. Neben einem Beistelltisch und den Chiffonnièren wurde die Möbelgruppe mit dem „reichsten und erlesensten Stück des ganzen Hauses“ (Wolf 1924, S. 53) kom- plettiert: mit dem Kabinettschrank, einem Meisterwerk von Eduard Pfeif- fer, in kunstgewerblicher Vollendung, wie auch der Toilettetisch, von den Pössenbacher Werkstätten hergestellt – in einer sich noch einmal aufbäu- menden, handwerklichen Kunst in der Zeit zwischen den Weltkriegen.

313 Eduard „Im Zweiten Weltkrieg verbrannt“, so steht es im großen Katalog des Münchner Stadtmuseums zur Ausstellung „Die Zwanziger Jahre in Pfeiffer München“ von 1979. Doch nun ist dieses Meisterwerk der Möbelbau- kunst nach abenteuerlichstem Finden wieder aufgetaucht. Eduard Mainz 1889 – 1929 München Pfeiffer wird in dem besonderen Stück seiner Reputation als her- ausragender Möbelkonstrukteur auf beeindruckende Weise gerecht. Prunkkabinett mit Intarsien. 1921 Hatte sich Pfeiffer schon in den 1910er Jahren mit vielen Innenarchi- tekturen und Möbeln hervorgetan, so präsentierte er 1921 mit dem Buche, Ahorn, Nadelholz; Marketerie: hier vorgestellten Kabinettschrank vielleicht den kunsthandwerkli- Satinholz (Zitronenholz), Thuja, ungari- chen Höhepunkt seiner zeitlosen Vorstellungs- und Gestaltungswelt. sche Esche, Eiche, Ebenholz, Elfenbein, Die hohe kunsthandwerkliche Qualität in Pfeiffers Arbeiten ist Perlmutt; teilweise versibert, weiß ohne die intensive Zusammenarbeit mit den 1784 bis 1951 bestehen- lackiert und vergoldet; Messingbeschlä- den Pössenbacher Werkstätten in München nicht denkbar. Diese ge, feuervergoldet, graviert – Herstel- gehörten bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs zu den wichtigsten ler: Werkstätten Anton Pössenbacher, Möbelfabrikanten im Qualitätssegment in Deutschland. Sie waren München. 222 × 123 × 54,5 cm die alleinigen Möbellieferanten für die Schlösser von König Ludwig II. (87 ⅜ × 48 ⅜ × 21 ½ in.). Auf der rechten in Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee – seit den 1910er Türkante signiert: EDVARD PFEIFFER. Jahren arbeiteten sie unter anderem mit Eduard Pfeiffer als verant- Schlüssel vorhanden. [3173] wortlichem Architekten zusammen und produzierten über alle Stil- richtungen hinweg hochwertige Innenausstattungen und Möbel, so Provenienz zum Beispiel auch 1930 für die Häuser Esters und Lange in Krefeld Reeder Erich Ferdinand Laeisz (1888– von Mies van der Rohe. Die stilistische Offenheit wurde dabei mög- 1958), Hamburg (1921 beauftragt für lich durch die gemeinsame Vorstellung einer Gestaltungswelt, die dessen Gattin Franziska, geb. Auspitzer das Kunsthandwerk als Ausgangspunkt einer jeden Produktion sah. (1884–1972)) / Deren Tochter Sophie Vor diesem Hintergrund konnte Mies van der Rohe als letzter Direk- Christine, verh. von Mitzlaff (1916–1995), tor des Bauhauses und einer der Avantgardisten des Neuen Bauens, Hamburg / Konsul Bruno H. Schubert zusammen mit den Pössenbacher Werkstätten Möbel realisieren. (1919–2010), Frankfurt am Main (um Pfeiffer wiederum konnte die Arbeiten von Le Corbusier lieben und 1980) / Privatsammlung, Hessen (seit zugleich in seiner inneren Kunst auch auf alle vergangenen Welten 2011) zu- und zurückgreifen.

EUR 60.000–80.000 USD 70,700–94,200

Ausstellung Bayerisches Kunsthandwerk 1925, München (vgl. Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 56 (1925), S. 396–404, S. 403, Abb. S. 399)

Literatur und Abbildung Georg Jacob Wolf: Das Haus L. in Ham- burg: In: Deutsche Kunst und Dekorati- on, Bd. 55 (1924/25), Heft 6 (Oktober- November 1924), S. 47–53, S. 53, Abb. S. 82, 87 und 89 / Sieker: Ein Hamburger Stadthaus (Haus F. Laeisz). In: Die Dame, Bd. 52 (1925), Heft 15, S. 4–7 und 30, Abb. S. 6 / Hans Ottomeyer und Alfred Ziffer: Möbel des Neoklassizismus. München, 1993, S. 18 und 119 / Arne Sil- datke: Dekorative Moderne. Das Art Déco in der Raumkunst der Weimarer Republik. Berlin, 2013, S. 243f., 251f. und 489, Abb. 64 und 65, S. 590

Grisebach — Herbst 2017

In ebendiesem hier auf das Rokoko bezogenen Rückgriff arbeitete Eduard Pfeiffer mit einer eigenen phantasievollen Vorstellung von Materialien, Motiven und Szenen. Der zweitürige Kabinettschrank aus dem Schlafzimmer der Dame, 1921 für das Haus des Hamburger Reeders Laeisz angefertigt, war dabei im von Pfeiffer im großen Maßstab ausgestatteten Haus Laeisz nicht nur Teil einer ganzen Möbelgruppe, er führte diese vielmehr mit der Meisterschaft seiner Gestalt und Ausführung an und entwickelte sich darüber hinaus zum raumunabhängigen Einzelstück. Auf einer umlaufend profilierten Fußplatte, bezogen und schmückend benagelt mit nahtlos gespann- tem Samt, schien der Kabinettschrank mit seinen fast zerbrechlich filigranen Cabriole-Beinen, in seiner Bewegung nur vorläufig zu ver- harren. Dieses Zusammenspiel intensiviert das Motiv der Bewegung des Unterbaus noch und lässt das spielerische Tragen des Aufbau- kastens in seiner geschlossenen, volumetrischen Form noch gewag- ter, das Material noch leistungsstärker wirken. Die beiden oben geschweiften Türen, die mit einem floralen Schmuckband belegt sind, decken den Korpus in seiner Breite umlaufend ab. Sie werden lediglich unten begrenzt von einer vorspringenden Tragplatte sowie oben von einem der bewegten Form folgenden Abschluss, der mit floral-vergoldeten, vasenartigen Figuren bekrönt ist. Die geschweiften Türen sind ganzflächig mit außergewöhnli- chen Einlegearbeiten versehen, die ein komplexes Landschaftsbild mit Terrasse unter Mondlicht zeigen. Die Darstellung lehnt sich an Kabinettschrank im Schlafzimmer im Haus Laeisz, Fotografie, 1924 Chinoiserien englischer Vorbilder in Schlaf- und Ankleidezimmern speziell des 18. Jahrhunderts an, die als Sinnbilder des Fremden und Exotischen, aber auch der Harmonie und Friedfertigkeit einer heilen chinesischen Welt beliebt waren. Eduard Pfeiffers sehr starke Bindungen und Bezüge zur engli- schen Architektur mögen hier anregend gewirkt haben. Zwei in kunstvoll verharrender Pose einander zugewandte Personen bestim- men die Szenerie des Bildes. An höchster Stelle, eingebettet in den oberen Abschluss des Schrankes, zeigt sich der Mond aus Perlmutt in zartester Sichel über den dahinziehenden Wolken und scheint die elfenbeinbleichen Gesichter und Gliedmaßen der Frau und des Mannes in stille, den Tag beendende Zufriedenheit zu tauchen. Begeistert brachte die Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ die Bedeutung des aufwändig ausgestalteten Möbels 1924 auf den Punkt: „Dieser Schrank des Damenschlafzimmers aber, in seiner Art einzig, als Möbel das reichste und erlesenste Stück des ganzen Hau- ses, ist eine Leistung, die an den Reichtum und die Sorgfalt alter deutscher Möbelschöpfungen (man denkt etwa an Röntgen) erin- nern muß. […] Dieser Schrank mutet beinahe wie ein Symbol des ganzen Hauses an: Eigenart ohne Sonderbarkeit, Durchdachtheit bis ins Kleinste, Kostbarkeit, die nicht prunkt, Gemeinsamkeit der Idee in allen Teilen und echtes Künstlertum, das mit Verständnis aufge- nommen und sorgsam gepflegt wird.“ (Wolf 1924, S. 53)

Norbert Hanenberg, Professor für Architektur an der Technischen Hochschule Mittelhessen, Gießen

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314 Eduard Pfeiffer Mainz 1889 – 1929 München

Nachttisch für das Schlafzimmer der Dame. 1921

Nussholz, Nadelholz, Tischlerplatte; Marketerie: Satinholz (Zitronenholz), wohl Birnenholz – Hersteller: Werkstätten Anton Pössenbacher, München. 78,3 × 37 × 37 cm (30 ⅞ × 14 ⅝ × 14 ⅝ in.). [3173]

Provenienz aller Reeder Erich Ferdinand Laeisz (1888–1958), Hamburg (1921 beauftragt für dessen Gattin Franziska, geb. Auspitzer (1884–1972)) / Deren Tochter Sophie Christine, verh. von Mitzlaff (1916–1995), Hamburg / Seitdem Familienbesitz, Hessen

EUR 5.000–8.000 USD 5,890–9,420

Literatur und Abbildung Georg Jacob Wolf: Das Haus L. in Hamburg: In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 55 (1924/25), Heft 6 (Oktober- November 1924), S. 46–53, Abb. S. 86f

315 Eduard Pfeiffer Mainz 1889 – 1929 München

Beistelltisch. 1921

Buche, Nussholz, Tischlerplatte; Marketerie: Satinholz (Zitronenholz), wohl Birnenholz; Marmorplatte – Hersteller: Werkstätten Anton Pössenbacher, München. 64,5 × 52,9 × 52,9 cm (25 ⅜ × 20 ⅞ × 20 ⅞ in.). [3173]

EUR 6.000–9.000 USD 7,070–10,600

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316 Eduard Pfeiffer Mainz 1889 – 1929 München

Paar Chiffonièren. 1921

Nussholz, Tischlerplatte; Marketerie: Satinholz (Zitronen- holz), wohl Birnenholz; Messingbeschläge, feuervergoldet; Paar Schlüssel vorhanden – Hersteller: Werkstätten Anton Pössenbacher, München. 108 × 70,8 × 39,5 cm (42 ½ × 27 ⅞ × 15 ½ in.). An den Schlössern gemarkt: PÖSSENBACHER. Schlüssel jeweils vorhanden. [3173]

EUR 15.000–20.000 USD 17,700–23,600

„Pfeiffers Arbeiten zählen zu den kultiviertesten Erzeugnis- sen der modernen deutschen Werkkunst.“ (E. F.: Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Basel. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 40 (1917), S. 251–254, S. 253)

317 Eduard Pfeiffer Mainz 1889 – 1929 München

Toilettetisch für das Schlafzimmer der Dame. 1921 EUR 25.000–30.000 USD 29,400–35,300 Nadelholz, Nussholz; Marketerie: Satinholz (Zitronenholz), wohl Birnenholz; Messingbeschläge, feuervergoldet – Literatur und Abbildung Hersteller: Werkstätten Anton Pössenbacher, München. Georg Jacob Wolf: Das Haus L. in Hamburg: In: Deutsche 75,5 × 128,5 × 67 cm (29 ¾ × 50 ⅝ × 26 ⅜ in.). An den Kunst und Dekoration, Bd. 55 (1924/25), Heft 6 (Oktober- Schlössern gemarkt: PÖSSENBACHER. Paar Schlüssel November 1924), S. 46–53, Abb. S. 84 und 86 / Sieker: vorhanden. [3173] Ein Hamburger Stadthaus (Haus F. Laeisz). In: Die Dame, Bd. 52 (1925), Heft 15, S. 4–7 und 30 Provenienz Reeder Erich Ferdinand Laeisz (1888–1958), Hamburg (1921 beauftragt für dessen Gattin Franziska, geb. Auspitzer (1884–1972)) / Deren Tochter Sophie Christine, verh. von Mitzlaff (1916–1995), Hamburg / Seitdem Familienbesitz, Hessen

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318 Michel Boyer 1935 – 2011

Tabouret X – für die Banque Rothschild in Paris. 1968

Stahl, Leder – Hersteller: Rouve (Réalisation Uginox). 38,5 × 48,5 × 48,5 cm (15 ⅛ × 19 ⅛ × 19 ⅛ in.). [3186]

Provenienz Privatsammlung, Paris / Privatsammlung, Hessen

EUR 5.000–6.000 USD 5,890–7,070

Vergleichsliteratur Francis Spar: Décoration, tradition et renouveau. Paris, 1973, S. 164f. / Patrick Favardin und Guy Bloch-Champfort: Les Décorateurs des annés 60–70. Paris, 2007, S. 90–96

319 Giovanni Mit zwanzig Jahren verließ Panini 1711 seine Heimatstadt Piacenza, wo er für den geistlichen Stand vorbereitet worden war, und zog Paolo Panini nach Rom. Hier führte er seine bereits begonnenen Studien in Pers- pektiv- und Architekturmalerei fort und avancierte rasch zu einem und Werkstatt bekannten Maler von Landschaften und Veduten. Zunächst betätigte Piacenza 1691 – 1765 Rom sich Panini als Freskomaler für kirchliche und aristokratische Auf- traggeber und suchte dann vor allem die Nähe zu Franzosen in Rom. 1718 wurde er in die Congregazione dei Virtuosi al Pantheon, 1719 in Predigt eines Apostels vor den „Monu- die Accademia di San Luca aufgenommen und machte auch weiter- menti Romani“ – Capriccio von Medici- hin alles richtig: 1724 heiratete er die Schwägerin von Nicolas Vleug- Vase aus den Uffizien, Maison Carrée in hels, Direktor der Académie de France in Rom. 1732 wurde ihm sogar Nîmes, Tempel der Minerva Medica, die seltene Ehre zuteil, Mitglied der Académie royale de peinture et der Trajanssäule, des Septimius-Sever- de sculpture in Paris zu werden. Die wichtigsten Franzosen, die zu us-Bogens und des Vestatempels auf seinen Lebzeiten in der „ewigen Stadt“ anzutreffen waren, förderten dem Forum Romanum. Um 1755 ihn, so etwa Kardinal Melchior de Polignac, Gesandter von König Ludwig XV., oder Étienne-François de Choiseul, seit 1753 Französi - Öl auf Leinwand. 78,8 × 111 cm scher Botschafter in Rom. Auch in Paninis Werkstatt fanden viele (31 × 43 ¾ in.). Mit einem Gutachten französische Künstler Aufnahme auf ihren Wanderschaften und Kon- von Ferdinando Arisi vom 23. Januar takte für ihre weitere Ausbildung. So beeinflusste Panini unter ande- 1973 sowie einer schriftlichen Bestäti- rem das Werk von Claude Joseph Vernet, Hubert Robert und Jean- gung vom 31. Juli 2008 (jeweils in Nicolas Servandoni. Kopie). [3376] Gerahmt. Panini präsentierte sich seinen Zeitgenossen als lebendiges Gesamtkunstwerk und wusste die Neugier der Grand Tour-Reisen- Provenienz den aufs Beste zu bedienen. Er arbeitete als Architekt, stattete Kar- Privatsammlung, England / dinalsvillen und Kapellen aus, erdachte Feuerwerke und konzipierte Privatsammlung, Bayern (seit 1999) Architekturstaffagen und Apparaturen für große Festivitäten, die er dann gleich selbst im Gemälde festhielt. Der Lust des lebensfrohen EUR 20.000–25.000 Rokokos vermochte er in jeder Hinsicht zu entsprechen. Paninis USD 23,600–29,400 Werkstatt wiederholte unentwegt beliebte Motive von Stadtansich- ten und einzelnen Monumenten und produzierte auf diese Weise Literatur und Abbildung hochklassige Souvenirs für reisende Europäer. Im Kanon der Kunst- Ferdinando Arisi: Gian Paolo Panini e i geschichte sicherte er sich seinen Platz so vor allem durch Ansich- fasti della Roma del' 700. Rom, 1986, ten Roms und seiner Sehenswürdigkeiten. Der Allrounder Panini ver- Kat.-Nr. 358 (175), Abb. S. 410 / Aukti- stand es, neben realistischen Veduten, die vor allem britische on: Old Master Pictures. London, Reisende in großer Zahl mitnahmen, überraschende vedute ideate Christie's, 27. Oktober 1999, Kat.-Nr. zu komponieren, bei denen er verschiedene Altertümer zusammen- 106 (als Nachfolger Panini) / Auktion: führte. In unserem Bild – das einer Erstversion in einer Privatsamm- A146 – Gemälde Alter Meister. Zürich, lung in Rom folgt – trieb er es auf die Spitze: Nicht nur römische Koller, 19. September 2008, Kat.-Nr. 30 Sehenswürdigkeiten wurden collagiert, sondern geradezu ein euro- päisches Bilderbuch der Antike zusammengezaubert. Wir dürfen In einem englischen Rahmen des also mit Recht behaupten, dass die Verrücktheit des erfolgreichen 18. Jahrhunderts. Künstlers und sein merkantiles Geschäftsmodell in diesem Bild eine ganz besondere Liaison eingehen. Paninis Gemälde zeugt aber auch von der schöpferischen Kraft und von dem großen Wunsch der Künstler, die künstlerische Allianz der „Monumenti Romani“ mit christlicher Ansprache zu ver- binden. Denn durch die antiken Ruinen des Bildes wandelt der Apo- stel, der die neue Botschaft ausruft und der damit die antiken Über- reste ins christliche Zeitalter transponiert. RE

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320 Giovanni Wie lässt sich ein über 35 Meter hohes antikes Monument, das Eine ideale Verrücktheit über und über mit Reliefs versehen ist, im Jahr 1774 angemessen Battista und detailgenau abbilden? Auf diese Frage hat Giovanni Battista Piranesi eine so einfache wie geniale Antwort gefunden: „Trofeo des antiken Rom. o sia magnifica colonna coclide di marmo“. Ein Radierwerk, wel- Piranesi ches das Abbild der Trajanssäule auf einer Art übergroßen Falt- Mogliano Veneto 1720 – 1778 Rom tafel von beeindruckenden drei Metern Länge präsentiert. Die Trajanssäule, das bekannteste Säulenmonument der antiken „Trofeo o sia Magnifica Colonna Welt, wird von Piranesi vom Sockel bis zur krönenden Figur auf Coclide di Marmo Composta di Grossi sechs Einzelplatten radiert; weitere Tafeln zeigen architektoni- Macigni ove si Veggono Scolpite le Due sche und skulpturale Details der Säule. Guerre Daciche Fatte da Traiano […]“. Bereits bei staunenden Zeitgenossen - vor allem Grand 1774/1779 Touristen, die dieses Werk ihr Eigen nennen konnten - warf das Vorgehen Piranesis bei der Erstellung der Vorlagen für seine 26 Blatt mit insgesamt 32 Radierungen Radierungen Fragen auf. Wie konnte es ihm gelingen, den zwei- auf Bütten; Pergamenteinband, gold- geprägt. Großfolio (80 × 60 cm) (31 ½ × 23 ⅝ in.). Bezeichnet am Buchrücken: PIRAN COLON TRAIA COCI EDI MAVR / Exlibris: Wappen der Earls of Caldon. Ein Titel- blatt, ein Frontispiz, 17 Tafeln zur Tra- jans-Säule (Tafel I: die Säule, 300 x 78 cm, sowie die Tafeln IV, V, VI, VII, VIII, o.Nr., o.Nr., XII, o.Nr., o.Nr., o.Nr., oNr., o.Nr., o.Nr., o.Nr., o.Nr.) / fünf Tafeln zur Antoninus Pius-Säule (o.Nr., o.Nr.: Vedute von Francesco Piranesi, o.Nr., o.Nr., o.Nr.) / zwei Tafeln zur Antoni- nus-Säule (Marc-Aurel-Säule) (o.Nr., o.Nr.: die Säule, 320 x 78 cm). [3376]

Provenienz James Alexander, 1st Earl of Caledon (1730–1802) / Du Pré Alexander, 2nd Earl of Caledon (1777–1839), Caledon House, Tyron (Irland) / Privatsammlung, Bayern (1980 in der Galerie Carroll, München, erworben)

EUR 17.000–20.000 USD 20,000–23,600

Vergleichsliteratur Luigi Ficacci: Giovanni Battista Piranes i . Gesamtkatalog der Radierungen. Köln, 2011, Bd. 2, S. 554–575 hundert Meter langen Fries mit der Darstellung der Daker- Kriegszüge (101 bis 106 n. Chr.) unter Kaiser Trajan so detailreich aufzunehmen? Es wird gemutmaßt, dass der Künstler und seine Helfer, in Körben sitzend, von der oberen Plattform abgeseilt wurden. Von Menschenhand seit der Antike errichtete Bauwerke sind evidenter Bestandteil von Piranesis Œuvre. Er widmete sich als Kupferstecher, Architekt und als Archäologe ein Leben lang dem Antikenstudium. Die Genauigkeit, mit der Piranesi die römischen Säulenmonumente abbildet – zu den Blättern der Trajanssäule kamen anschließend noch die der Marc Aurel-Säule (hier genannt Antoninus-Säule) und Fragmente der Antoninus Pius-Säule (Veröffentlichung posthum 1779) hinzu – unter- streicht seine Bestrebungen, diese einmaligen Zeugnisse der Vergangenheit zu bewahren. SvdH

321 Gottlieb Lavabogarnituren, jene kostbaren Ensembles aus Kanne und Becken, erforderten in ihrer Handhabung geschulte adelige Hände, die dem Menzel Zeremoniell ihres Einsatzes würdig waren: zur Handwaschung vor und nach einer öffentlichen fürstlichen Tafel, die dem ranghöchsten Breslau 1676 – 1757 Augsburg Speisenden vorbehalten war. Weniger bedeutenden Gästen wurden stattdessen feuchte Servietten gereicht. Das Wasser für die Hand- Lavabogarnitur (Kanne und Becken) waschung war üblicherweise vorgewärmt und mit duftenden Essen- mit Medaillons der vier Erdteile. zen parfümiert. Die rituell gewaschenen Hände wurden selbstver- Um 1725/30 ständlich sorgsam getrocknet, bevor das Mahl beginnen oder enden konnte. Zeitgenössisch hieß es: „Bey grossen Solennitäten pflegt es Silber, getrieben, gegossen, gepunzt, wohl zu geschehen, daß […] einer von den Cammer-Herrn […] die graviert, vergoldet. 24 cm / Gieß-Kanne hält, und der andere das Hand-Becken und credentzet 4,5 × 38 × 28,8 cm (9 ½ in. / das Wasser“. 1 ¾ × 15 × 11 ⅜ in.). Beide Teile gemarkt Die Barockzeit verwendete dabei die Form des Helmkrugs der mit Beschauzeichen: Augsburg [Seling Renaissance wieder, abstrahiert und mit einer ganz eigenen subli- 193*] Datierung abweichend zu Seling men Geschmeidigkeit versehen. In unserer Lavabogarnitur wird dar- 1980 durch Supplementband Seling aus eine hohe Kanne mit fein gestimmten Rippen, elegant aus- 1994; Meisterzeichen: GM im Rechteck schwingendem Ausguss und ebensolcher Handhabe, deren Volute mit abgeschnittenen Ecken [Seling aufwärtsstrebend für Harmonie sorgt. Das tiefe Becken ist typisch 2202n]; Tremolierstich. für die Entstehungszeit im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Niederländischer Einfuhrstempel: Schweifende Rundungen und ein klares Profil lassen das Silber geschwungenes v [Rosenberg 7557]. besonders warm glänzen. Auch die zurückhaltende Ornamentik mit Gesamtgewicht: 1.628 g. Leichter Gold- zartem Bandelwerk und Reliefmedaillons überlässt zunächst der abrieb am Boden des Beckens. [3094] Form den Vortritt, auch wenn das Bildprogramm kein Zufall ist. In den Medaillons treten Putten als Allegorien der Erdteile, der Sinne, Provenienz Künste und Wissenschaften auf. Sie betten das Tafelzeremoniell in Privatsammlung, Niederlande (nach einen großen Zusammenhang und das 18. Jahrhundert zeigt hier sei- 1909) / Privatsammlung, Bayern (1993 ne gedankenvolle Kunst im geradezu musikalischen Gleichgewicht in der Kunsthandlung Helmut Seling, von Funktion und repräsentativer Zierde. München, erworben) Gottlieb Menzel, der Meister, der die Garnitur schuf, stammte aus Breslau und wirkte im florierenden Goldschmiedezentrum Augs- EUR 30.000–40.000 burg. Er besaß Können im Überfluss und konnte damit in der äußerst USD 35,300–47,100 anspruchsvollen Atmosphäre in Augsburg reüssieren. So zählt er „ohne Zweifel zu den überragenden Augsburger Meistern dieser an Literatur und Abbildung Talenten so reichen Zeit.“ (Seling 1980, Bd. I, S. 179). Helmut Seling: Die Kunst der Augsbur- ger Goldschmiede. 1529–1868. Meister, Claudia Lehner-Jobst Marken, Werke. München, 1980, Bd. I, S. 179; Bd. II, Abb. 854; Bd. III, Nr. 2022, S. 310f. / Gabriele Tiemann: Zum Prunk- und Tafelsilber. In: Weltkunst, Jg. 64, Nr. 6, 15. März 1994, S. 810

Vergleichsliteratur und -objekte Gottlieb Menzel: Lavabogarnitur, 1729- 1730, Hofmobiliendepot, Silberkam- mer, Wien, Inv.-Nr. 180514 (Nachlass der Erzherzogin Maria Elisabeth) / Hannelore Müller: European Silver. The Thyssen-Bornemisza Collection. Madrid, 1986, Nr. 70, S. 222f. / Auktion: London, Christie's, 14. Juni 2005, Kat.-Nr. 74 (ehemals J. Kugel, Paris)

Grisebach — Herbst 2017 „Ich wasche meine Hände in Unschuld.“ Ps 26,6

322 Nieder- Als relativ großer Bronzeguss, dessen Feuervergoldung noch zu einem erheblichen Teil erhalten ist, stellt der spätgotische Kruzifixus ländisch ein singuläres Beispiel dar. Aufgrund der besonders ausdruckstar- ken Charakterisierung der ausgezehrten Gesichtszüge mit zu einem Spalt geöffneten Lidern und Mund, mit der auf organische Durchbil- Corpus Christi. Um 1460 dung ausgerichteten körperlichen Erscheinung sowie der subtilen Ziselierung, vor allem von Haar und Bart, zeichnet sich das Werk Bronzeguss (Hohlguss), Reste der durch eine hohe künstlerische Qualität aus. Der Corpus im Dreina- ursprünglichen Vergoldung. geltypus könnte von einem Altar- oder Vortragekreuz stammen, 40,5 × 37,5 cm (16 × 14 ¾ in.). Die Arme jedoch auch Gegenstand der Kreuzverehrung im Besitz einer Einzel- einzeln gegossen und angelötet. Sepa- person gewesen sein. Die rechteckige Öffnung im Rücken lässt ver- rate originale Dornenkrone. [3570] muten, dass im Innern Reliquien aufbewahrt wurden. In der homogenen Körperbildung mit vorgewölbter Brust und Provenienz sich deutlich abzeichnenden Adersträngen an den Armen steht der Sammlung des Kaufmanns Hugo Oelze Gekreuzigte den großfigurigen Kruzifixen in Nördlingen und Baden- (1892–1967), Amsterdam / Privatsamm- Baden, geschaffen von dem bedeutendsten Bildhauer in Zentraleu- lung, Berlin (1960er Jahre als Geschenk ropa nach der Mitte des 15. Jahrhunderts, dem in Trier, Straßburg des Vorbesitzers) und Wien nachweisbaren Niclaus Gerhaert von Leyden (gestorben 1473), nahe. Obwohl mit Gewalt am Kreuz ausgespannt, scheint EUR 10.000–15.000 Christus hier vor diesem zu schweben – ein Hinweis auf seinen Sieg USD 11,800–17,700 über den Tod. Im Charakter gerhaer- tisch sind zudem die Fältelung des Vergleichsliteratur Lendentuchs mit ihren Gabelungen Johann Michael Fritz: Goldschmiede- und Dellen sowie die zum Teil à jour kunst der Gotik in Mitteleuropa. wiedergegebenen Haarwellen. München, 1982, S. 280f. (zum Silber- Bohrlöcher jeweils am seitlichen kruzifixus in Karlsruhe) / Frits Scholten: Lendentuch verweisen auf verloren Isabella’s Weepers. Ten Statues from gegangene Anstückungen, wahr- a Burgundian Tomb. Amsterdam, 2013 scheinlich einen frei flatternden (zu den niederländischen Bronzegrab- Lendentuchzipfel. Sich vom Körper mälern) lösende Enden des Lendentuchs begegnet man erstmals in den Wir danken Brigitte Reuter, Museum Kreuzigungstafeln Rogier van der Hülsmann in Bielefeld, für freundliche Weydens (1399/1400–1464) und Hinweise. dann auch bei Niclaus Gerhaert in Nördlingen und Baden-Baden. Die auf räumlichem Erlebnis basieren- de Gestaltgebung der Kruzifixe Gerhaerts zielte auf einen medita- tiven Zugang hin, weswegen es Altarkreuz aus St. Stephan in Karlsruhe, neben den großformatigen Dar- Silber, getrieben, um 1470, Badisches Lan- desmuseum, Karlsruhe, Inv.-Nr. L1 (Detail) stellungen vermutlich auch zahlrei- che der Nahbetrachtung dienende Kleinfiguren gab. Dem Bronzekruzi- fixus ist heute noch ein in Straßburg entstandener, in Silber getrie- bener Kruzifixus in St. Stephan aus Karlsruhe an die Seite zu stellen. Da sich vergleichbare Bronzegüsse am Oberrhein nicht bele- gen lassen, wäre auch eine mögliche Entstehung im Ursprungsgebiet der Kunst Gerhaerts, in den burgundischen Niederlanden, in Erwä- gung zu ziehen, wo zu diesem Zeitpunkt in Lille, Brüssel und Antwer- pen prachtvolle Bronzegrabmäler für hochgestellte Verstorbene errichtet wurden. An der Realisierung der Grabmäler waren bedeu- tende Künstler wie der Bildhauer Jean Delemer (1410–1440) und der Maler Rogier van der Weyden beteiligt.

Hartmut Krohm, ehem. stellvertretender Direktor der Skulpturen- sammlung und des Museums für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin

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323 Bakalowits Als die Sowjets am 4. Oktober 1957 ihren ersten Satelliten in die Wei- ten des Weltalls schickten, war das für die Amerikaner ein Schock. & Söhne, Wien Das Land sah sich in einem Zwiespalt aus Ehrfurcht und verletztem Stolz gefangen, die NASA wurde gegründet, und der Wettlauf um den Tätig seit 1845 Weltraum trieb seltsame Blüten: In amerikanischen Wohnungen zog eine ganz neue Gattung von Lampen ein, inspiriert von Gino Sarfattis Miracle Kronleuchter. 1964 / 1965/1975 „2003“ – man nannte sie „Sputnik-Leuchten“, nach eben jenem Satelliten, den die Russen ins Weltall geschossen hatten. Kristallglas, Messingblech; elektrifi- Diese Auswüchse blieben auch dem Österreicher Friedhelm ziert. 80 cm; Ø 64 cm (31 ½ in.; Bakalowits nicht verborgen. „Friedl“, wie ihn die Familie nannte, war Ø 25 ¼ in.). [3191] 1959 als junger Techniker in den väterlichen Lüsterbetrieb im sechs- ten Wiener Bezirk eingestiegen. Die Firma Bakalowits war tief in der Provenienz Geschichte des Landes verwurzelt, hatte Lüster für Kaiserin Elisa- Privatsammlung, Hessen beth, Kronprinz Rudolf, Erzherzog Karl Ludwig und die Hofburg gefertigt. Doch der Zusammenbruch der Monarchie und der Krieg EUR 5.000–7.000 hatten schwierige Zeiten mit sich gebracht. Und so half Friedl Baka- USD 5,890–8,240 lowits nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur, in Wien das Parla- mentsgebäude, das Burgtheater und den Stephansdom wieder auf- Wir danken Sophie Bakalowits, BAKA- zubauen – er entwarf 1964 auch den modernen Kronleuchter LOWITS Licht Design GmbH, Wien, für „Mirakel 3317“, für den er 1966 ein Weltpatent erwirkte. freundliche Hinweise. Der Entwurf, der in verschiedenen Größen von 35 bis 300 cm und in verschiedenen Farbvariationen hergestellt wurde, war revo- lutionär: Anstelle der üblichen „Sputnik“-Konstruktion aus Metall- stäben, an deren Enden Glühbirnen saßen, setzte Friedl – ganz nach Art des Hauses – auf eine zentrale Lichtquelle, deren Strahlen über verschieden lange Kristallglasstäbe in Vollschliffausführung nach außen getragen werden sollten. Die Messingringe um den Leucht- körper ließen die Lampe wie einen Planeten wirken, aus dem ein

Dieser Kronleuchter atmet den Aufbruchsgeist einer Zeit, als der Sputnik ins All geschossen wurde.

besonders kostbarer Bergkristall herauswächst. Vielleicht war es aber auch eine futuristische Raumsonde? „Mirakel 3317“ erhellte nicht nur den Raum, sondern warf zudem eine faszinierende Korona an die Decke. Der „Sputnik-Lüster“ von Bakalowits ist ein aufsehen- erregender und heute seltener Entwurf, der für eine Ära zwischen Furcht und Fortschritt steht. Ein Kronleuchter, der den Geist des Aufbruchs atmet. FS

324 Gabriel Gabriel Ambrosius Donath zelebrierte in seinen gemalten „Phanta- siegalerien“ eine Freude am Sammeln und Präsentieren von Kunst, Ambrosius die sich auch in der heutigen, so grundsätzlich anderen Zeit gut nachvollziehen lässt. Der kursächsische Hofmaler entwarf Räume, durch die der Betrachter selbst gerne schlendern würde – wie durch Donath unsere „Phantasiegalerie für Maria Josepha, Kurfürstin von Sachsen Grunau bei Ostritz 1684 – 1760 Dresden und Königin von Polen“, die er 1737 verheißungsvoll dem Betrachter aufschloss. Eine Phantasiegalerie für Maria Jose- Umlaufend und dicht an dicht gehängt sind hier Gemälde zu pha, Kurfürstin von Sachsen und sehen, die offenbar aufeinander verweisen. Jedes Bild scheint Teil Königin von Polen (1699–1757). 1737 einer großen Erzählung, eines Gesamtzusammenhangs aus bibli- schem Geschehen und Heiligenlegenden zu sein. Den 1684 gebore- Öl auf Kupfer. 39,7 × 45,8 cm nen Künstler, der im Entstehungsjahr des Bildes den Titel „Hof- und (15 ⅝ × 18 in.). Mittig am Kamin datiert Cabinetsmaler“ erhielt, schätzte man zu Lebzeiten besonders für und signiert: Anno 1737 / Gabriel die Darstellung von Heiligen. Auch in seinen „Phantasiegalerien“ Donath, barbatus faciebat Dresdae. malte er Kunst als Weihegegenstand, eng verknüpft mit Andacht und [3130] Gerahmt. Religion. Die kunstsinnige Kurfürstin und polnische Königin, der das Provenienz Bild zugeeignet ist, ist symbolisch im königlichen Doppelwappen in Wohl Sammlung Maria Josepha (1699– der Mitte des Gemäldes präsent sowie in den Buchstaben MJR dar- 1757), Kurfürstin von Sachsen, Königin unter, die für „Maria Josepha Regina“ stehen. Auch sich selbst hat von Polen, Dresden / Privatsammlung, der selbstbewusste Künstler im Zentrum des Bildes dargestellt: in Paris einer kleinen Büste auf dem Kaminsims. Zu erkennen ist sein unge- wöhnlich langer Bart, der auch in der Signatur durch den Zusatz EUR 7.000–9.000 „barbatus“ gewürdigt wird. USD 8,240–10,600 Darüber hinaus weiß man wenig über diese „Phantasiegalerie“. Gab es die an diesem Wunderort ausgestellten Bilder tatsächlich? Vergleichsliteratur und -objekte Hat der Raum ein konkretes Vorbild in der Wirklichkeit oder diente Bernd Mälzer: Zum 240. Todestag des das Bild als Entwurf für eine Raumausstattung? Wo sollte die Kupfer- Grunauer Malers Gabriel Ambrosius tafel hängen und in welche Beziehung trat der dargestellte Raum mit Donath. In: Zittauer Geschichtsblätter, dem realen Ausstellungsraum? Jg. 2000, Heft 3/4, Görlitz/Zittau, Doch auch ohne dieses Wissen und auch ohne jeden religiö- S. 18f. / Gabriel Ambrosius Donath: sen Hintergrund offenbart das Bild, wie sich Kunstwerke aufeinan- Phantasiegalerie, 1742, Öl auf Lein- der beziehen und wie sie ineinander aufgehen. Das macht die Lei- wand, 93 x 126 cm, Deutsches Histori- denschaft des Sammelns aus: dass man Werke, die man bereits sches Museum Berlin, Inv.-Nr. Kg 59/44 besitzt, durch weitere ergänzt. Dass durch immer neue Sammlerstü- cke das Vorhandene an Wert gewinnt, statt widerlegt zu werden. In einem barocken holländischen Schildpattrahmen. Daniel Völzke

Wir danken Bernd Mälzer, Zittau, für freundliche Hinweise.

Grisebach — Herbst 2017 Eine Galerie der Phantasie für Königin Maria Josepha von Polen. Grisebach — Herbst 2017

325 Osterloh-Modelle, 326 Venezianisch Leipzig Schaukelstuhl. Um 1860 Gegründet 1880 Nussholz, geschnitzt; gepolstert. 81 × 129 × 69 cm Drei Pflanzenmodelle: Roggenährchen (Secale cereale) / (31 ⅞ × 50 ¾ × 27 ⅛ in.). [3066] Apfelblüte (Pirus malus) / Taubnesselblüte (Lamium purpureum). Um 1960 Provenienz Privatsammlung, Berlin Kunststoff, farbig bemalt; Bakelit; Holz, gedrechselt; Textil. 57,2 cm / 33,4 cm / 51,4 cm (22 ½ in. / 13 ⅛ in. / 20 ¼ in.). EUR 3.000–5.000 Kleine Fehlstellen. [3191] USD 3,530–5,890

Provenienz Privatsammlung, Hessen

EUR 600–800 USD 707–942

327 Hans Savery Das ausgeprägte Querformat zeigt vor einer Landschaft mit niedri- gem Horizont zahlreiche zumeist exotische Vögel, darunter in der d.J. rechten unteren Bildecke einen Dodo, jenen von den Niederländern „Dronte“ genannten Vogel, der allein auf der Insel Mauritius hei - Haarlem 1589 – 1654 Utrecht misch war und bereits im späten 17. Jahrhundert ausstarb. Hinter der an einem Gewässer lagernden Vogelschar erheben sich hohe, Steinige Küstenlandschaft mit Dodos baumbestandene Felsen, von denen sich ein Wasserfall ergießt. Auf und anderen Vögeln – nach Roelant den Felsen halten sich weitere Vögel auf. Die Bäume zeigen keinen Savery (1576/78–1639). 1625/30 geraden, aufrechten Wuchs. Sie sind vielmehr, wohl um die Urgewalt der Natur zu veranschaulichen, verformt und gebogen. Am oberen Öl auf Eichenholz (seitlich abgefast). linken Bildrand unterstreicht zusätzlich ein gestürzter Stamm das 61,5 × 106,2 cm (24 ¼ × 41 ¾ in.). Unten Urtümliche der Szenerie. Das Gemälde wird von tonigen Farben auf einem Stein signiert: SAVRY / EE / beherrscht. Auch die Vögel bringen keine lebhaften Lokalfarben ins Rückseitig Reste eines Klebezettels Spiel. Auffallend sind die zahlreichen, mitunter punktförmig-kleinen (18. Jahrhundert): 4. Werkverzeichnis: Weißhöhungen, die das Spiel des Lichts auf dem Wasser, auf den RKD Den Haag, Nr. 63592 (2004 von Blättern der Bäume, vor allem aber auf dem Gefieder der Vögel wie- Marijke C. de Kinkelder zugeschrieben dergeben. als Hans Savery d.J. – wohl nach oder Roelant Savery darf als Erfinder dieser Art von Bildern gelten, mit Roelant Savery). Nicht parkettiert. auf denen Tiere zu Hauptmotiven der Malerei wurden. Darstellungen [3131] Gerahmt. exotischer Tiere begegnen uns zwischen 1617 und 1630 in seinen Werken. Möglicherweise wurde er dazu durch die Menagerie Kaiser Provenienz Rudolfs II. angeregt, die dieser um 1590 in Prag hatte anlegen lassen Privatsammlung, England / – war Savery doch von 1604 bis kurz nach dem Tod des Kaisers 1612 Privatsammlung, Hessen (seit 1999) als Hofmaler in Prag tätig. Hans Savery der Jüngere, ein Neffe von Roelant, war seit 1619 EUR 35.000–45.000 Mitarbeiter im Utrechter Atelier seines Onkels. Es lässt sich nicht USD 41,200–53,000 immer eindeutig unterscheiden, welche Gemälde dieser Zeit von Roelant und welche von Hans gemalt wurden, welche vielleicht auch Literatur und Abbildung in gemeinsamer Arbeit entstanden sind. Kurt J. Müllenmeister hatte Auktion: London, Christie's, das Bild 1988 als „ungesichertes Gemälde“ in seinen kritischen Kata- 30. November 1979, Kat.-Nr. 129 log der Werke von Roelant Savery aufgenommen. In der Datenbank (als Roelant Savery) / Auktion: London, des RKD – Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis in Den Haag Sotheby's, 30. Oktober 1985, Kat.-Nr. wird es unter Berufung auf Marijke C. de Kinkelder als möglicherwei- 71 (als Hans Savery d.J.) / Kurt J. Mül- se von Hans Savery nach einem Vorbild von Roelant Savery gemalt lenmeister: Roelant Savery. Die Gemäl- bezeichnet, eine Zuschreibung an Roelant sei jedoch nicht auszu- de. Mit kritischem Œuvrekatalog. schließen. Freren, 1988, S. 392 / Auktion: Old Die Komposition mit den auf Felsen hoch aufragenden Bäu- Master Paintings. London, Sotheby's, men findet sich vergleichbar auch auf einem Hans Savery d.J. zuge- 16. Dezember 1999, Kat.-Nr. 100A (als schriebenen Gemälde, das am 25. April 2017 im Wiener Dorotheum Hans Savery d.J.) / Auktion: Old Master zur Auktion stand. Paintings. London, Bonhams, 6. Juli 2005, Kat.-Nr. 62 (Hans Savery d.J.) Bernd Wolfgang Lindemann, ehem. Direktor der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin Vergleichsliteratur Anne-Caroline Buysschaert: Roelant Savery als Tiermaler. In: Roelant Savery in seiner Zeit (1576–1639). Ausst.-Kat., Köln und Utrecht, 1985, S. 51–54

Vergleichsobjekt Hans Savery d.J.: A Wooded Landscape with Numerous Exotic Birds, sign. Savrij Fe., Öl auf Holz, 62 x 110 cm, publiziert in: Auktion: Old Master Paintings. Wien, Dorotheum, 25. April 2017, Kat.-Nr. 31

In einem englischen Galerierahmen von um 1720.

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328a Papua-Neu- Der Dodo ist guinea, East Sepik ausgestorben – Province, Volk der auf diesem Bild Boiken lebt er fort. A Schale mit Kakaduköpfen – huamp. Anfang des 20. Jahrhunderts

Holz, geschnitzt. 7 cm; Ø 43,5 cm (2 ¾ in.; Ø 17 ⅛ in.). [3104]

EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890 B Schale mit Darstellung eines Flughundes – huamp. Anfang des 20. Jahrhunderts

Holz, geschnitzt. 10 cm; Ø 58,6 cm (3 ⅞ in.; Ø 23 ⅛ in.). [3104]

Provenienz beider Privatsammlung, Saarland (seit den 1980er Jahren)

EUR 2.000–3.000 USD 2,360–3,530

Vergleichsliteratur Helen Dennett und Michael Hamson: Boiken Wooden Plates. In: Michael Hamson (Hg.): Art of the Boiken. Palos Verdes Estates, 2011, S. 164–175, Abb. 120, S. 194

In den Gesellschaftsstrukturen der Boiken und ihrer andauernden Wettstreit um grundlegende Ressour- Nachbarstämme in Neu-Guinea, die allesamt in klei- cen standen, bildete der ritualisierte Austausch von nen Dorfgruppen organisiert sind, spielt der rituali- Lebensmitteln und anderen Objekten eine Möglich- sierte Austausch von Dingen des täglichen Lebens eine keit, soziale Strukturen immer wieder neu auszuloten wesentliche Rolle. Auch vordergründig einfache und die Hierarchien von Macht, Prestige und Einfluss Objekte wie diese beiden Holzschalen sind Ergebnis den sich verändernden Bedingungen anzupassen. Im komplexer Kooperationen zwischen Spezialisten; so Verständnis der Boiken ersetzten diese Praktiken wurden derartige Gefäße nicht von den Boiken selbst, Machtkämpfe und sogar Kriege zwischen den Dörfern. sondern von Angehörigen eines Nachbarstamms deko- Zu derartigen repräsentativen Geschenken riert. Schon die Herstellung war also ein bewusster zählten auch die sogenannte Boiken-Schalen, deren Austausch von Rohstoffen, Wissen um die Bedeutung Außenseiten mit mythologisch bedeutsamen Tieren der Dekore und technischen Fertigkeiten. dekoriert sind, was ebenfalls ein Indiz dafür ist, dass Ein besonderer Part kam solchen Schalen und sie, wenn sie nicht benutzt wurden, gut sichtbar auf- Tellern aber auch in einer anderen Form des Austau- gehängte Statussymbole waren. MF sches zu. Für die dörflichen Netzwerke, die in einem

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329 Indonesisch, Insel Die Suche nach Schutz ist eines der grundlegenden Bedürf- nisse des Menschen – sein eigenes Leben und das seiner Sumatra, Volk der Familie, aber auch seinen Besitz vor Angriffen anderer zu sichern, ist auch in den Gesellschaften der indonesischen Inselwelt ein Anliegen, das viele Aspekte des täglichen Toba-Batak Lebens bestimmt. Dabei kommt dem Schutz vor übernatür- lichen Wesen und ihren Attacken eine ebenso große Bedeu- tung zu wie dem vor physischen Angriffen durch Tiere oder Paar Konsolen mit mythologischen Wesen (sinha). Rivalen innerhalb und außerhalb des Dorfverbandes, denn Ende des 19. Jahrhunderts beide Bereiche sind in den traditionellen Gesellschaften Indonesiens gleichermaßen real und erfahrbar. Holz, geschnitzt. 44,7 × 19,5 cm / 43,3 × 20,9 cm Zum Schutz vor den unsichtbaren negativen Kräften (17 ⅝ × 7 ⅝ in. / 17 × 8 ¼ in.). [3104] versehen die Toba-Batak im Norden Sumatras die Enden der Tragbalken ihrer Häuser mit den Darstellungen eines mäch- Provenienz tigen Wesens, des sinha. Sein Name geht auf den Sanskritbe- Privatsammlung, Saarland griff für Löwe zurück, in seine stark stilisierten Darstellun- gen fließen jedoch bei den Batak auch die Züge von Büffel, EUR 3.000–5.000 Schlange, Pferd und Vogel ein. Die Balken mit den an den USD 3,530–5,890 Enden vorgesetzten sinha-Köpfen werden auch als Verkör- perung der mythischen, mit Wasser verbundenen Schlange Vergleichsliteratur und -objekte angesehen, die als Wesen der feuchten, dunklen Unterwelt Achim Sibeth: The Batak. Peoples of the Island of Sumatra. ideal zur Verteidigung gegen alle bedrohlichen Mächte, aber London, 1991, S. 119 / Florina H. Capistrano-Baker: Art of auch gegen Krankheit, Feuer und Unwetter ist. MF Island Southeast Asia. The Fred and Rita Richman Collec- tion. New York, 1994 (Metropolitan Museum of Art, New York, Inv.-Nr. 1988.143.27/28), S. 39, Abb. S. 39

Grisebach — Herbst 2017 R 331 Indonesisch, Die Bedeutung, die Boote und Schiffe in der Inselwelt Indonesiens zu allen Zeiten hatten, ist kaum zu überschätzen. Sowohl zwischen Mentawai- den Inseln als auch im Landesinneren waren und sind sie teils noch heute die wichtigsten Transportmittel. Dennoch hat der auf techno- logischen Fortschritt als einzigen Maßstab gerichtete Blick westli- Inseln cher Betrachter die schlichten Bootskonstruktionen auf vielen Inselgruppen und Atollen der Region lange als primitiv und nicht Zwei Paddel – Sinaiming. seetauglich abgewertet. Berichte portugiesischer Seefahrer des Mitte des 20. Jahrhunderts 16. Jahrhunderts über seetüchtige Transportschiffe, deren mehrla- gige Teak-Rümpfe selbst Kanonenkugeln abprallen ließen, wurden Holz, geschnitzt. 167,4 cm / 169,8 cm als Seemannsgarn abgetan. Erst in den letzten Jahrzehnten ist deut- (65 ⅞ in. / 66 ⅞ in.). [3189] lich geworden, wie früh und wie außerordentlich hoch Bootsbau- kunst und Navigationsfähigkeiten in Südostasien und Ozeanien ent- Provenienz wickelt waren. Ausgeklügelte, sorgfältig überlieferte Techniken, mit Privatsammlung, Schweiz (1980er Jahre denen unter anderem anhand von Wellenbewegungen und Strömun- im Kunsthandel, Denpasar, Bali, erwor- gen die Lage von Inseln auch auf hoher See exakt bestimmt werden ben) kann, erlaubten die Orientierung bei langen Seereisen. Ein bemerkenswerter Grad an Spezialisierung und hohes tech- EUR 2.500–3.000 nisches Verständnis der Bootsbauer sind auch an einfachen Gegen- USD 2,940–3,530 ständen wie diesen Stechpaddeln ablesbar. Der Bootsbau auf den Mentawai-Inseln hat für die Verwendung auf Flüssen, in Küstennähe Vergleichsliteratur und auf freiem Meer jeweils spezifische Formen entwickelt. Neben Jerome Feldman, Bruce Carpenter, Paddeln wie diesen mit rautenförmiger Blattform (sinaiming) werden Frank Wiggers und Arnold Wentholt: auch solche mit ovalem Blatt (tuku) verwendet. Beide werden vor Mentawai Art. New York und Singapur, allem für kleinere Einbäume benutzt und sind aus einem einzigen, 1999, S. 77–79 / Reimar Schefold: Spiel- sorgfältig gewählten Holzstück gearbeitet, während für die Ruder zeug für die Seelen. Kunst und Kultur größerer, seetüchtiger Boote die rundlich-gestauchten Blätter der Mentawai-Inseln. Ausst.-Kat., separat gearbeitet und mit Pflanzenfasern wie Rattan am Schaft Zürich, 1980, Abb. 88ff. befestigt werden (bubutta). Gerade auf dem Meer sind Stabilität und effiziente Funktion solcher Paddel überlebenswichtig. In der markanten Rautenform des Ruderblatts, der vom Schaft bis zur Spitze verlaufenden Verstär- „Das Geheimnis der Eleganz liegt in der Schlichtheit.“ Christian Dior

kungsrippe und dem sichelförmigen Griff, der die Hand selbst über Stunden in optimaler Position hält, werden hunderte, wenn nicht tausende von Jahren kollektiver Erfahrung zu einer ästhetisch und funktional vervollkommneten Form verdichtet, die das Auge des europäischen Betrachters an Schmuckelemente der Architektur des Expressionismus oder die aerodynamischen Designs eines Raymond Loewy aus den 1950er und 1960er Jahren denken lassen mag.

Marion Fenger, Universität Bonn, Institut für Orient- und Asienwissen- schaften, Abteilung Asiatische und Islamische Kunstgeschichte

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332 Osvaldo Wo es um die Produktion kunstvoll gestalteten Mobiliars ging, waren die Borsani und Borsanis in Italien eine hochangesehene Familie. So sah es der Vater als selbst- verständlich an, dass der junge Osvaldo Lucio Fontana Borsani schon als Schüler in seinem Varedo 1911 – 1985 Mailand / „Atelier di Varedo“ aushalf. Osvaldo aber Rosario 1899 – 1968 Comabbio wollte mehr. Und weil er schon während seines Studiums der bildenden Kunst Kabinettschrank (Bar) – mit und der Architektur großes Aufsehen „Bohemia“-Stoff von Piero Fornasetti erregte, gestand der Vater ihm bald (1913–1988). Um 1950 weitgehende Freiheit zu. Weil seine Neu- erungen große Strahlkraft entwickelten, Mahagoni massiv und furniert auf nannten sie Osvaldo den „Amerikaner“. Nadelholz, Ahorn, Birke; Textil, Er modernisierte den Betrieb und bedruckt; Plexiglas, Glas; Bronzeguss. begann, mit Mailänder Künstlern wie 144,4 × 158 × 42,8 cm Lucio Fontana, Agenore Fabbri, Fausto (56 ⅞ × 62 ¼ × 16 ⅞ in.). Stoff erneuert. Melotti und Giò Pomodoro zusammen- [3185] zuarbeiten. Insbesondere zwischen Bor- sani und Fontana erwuchs eine frucht- Provenienz bare Kooperation. Für gewöhnlich baute Privatsammlung, Italien / Borsani das Möbelstück, mit dessen Privatsammlung, Rheinland-Pfalz Oberfläche Fontana dann arbeitete. Osvaldo Borsani und Lucio Fonta- EUR 18.000–20.000 na waren ein ungleiches Paar, aber viel - USD 21,200–23,600 leicht gerade deshalb so erfolgreich: Borsani, vom Vertreter des italienischen Literatur und Abbildung Art Déco zu einem Mann gereift, der die Literatur und Abbildung: Auktion: Moderne nach Italien brachte, und Lucio 20th Century Decorative Arts. Paris, Fontana, der als Begründer des „Spazia- Sotheby's, 24. Mai 2016, Kat.-Nr. 192 lismo“ das Ende aller statischen Kunst- (Abb. auf dem Cover) gattungen propagierte. Ein herausragen- des Beispiel ihrer Zusammenarbeit ist Vergleichsliteratur unser Kabinettschrank, dessen kunst- Mariuccia Casadio, Barnaba Fornasetti fertig vergoldete Bronzebeschläge und Andrea Branzi: Fornasetti. The besonderes Augenmerk verdienen. Und Complete Universe. New York, 2010 / noch ein dritter Meister war mit im Bun- Guiliana Gramigna und Fulvio Irace: de: Das Kabinett aus Mahagoniholz ist Osvaldo Borsani. Mailand, 1992, S. 72 mit dem „Boemia“-Stoff bezogen, der unverkennbar von Piero Fornasetti stammt und eine bunte Zahl von Kelchen und Krügen zeigt. Bis heute kommen in unserem Möbel die Innovationskraft von Borsani, der Geist von Fontana und das Phantas- ma von Fornasetti zusammen, die für den Enthusiasmus der 1950er Jahre in Italien stehen. Kurioserweise waren es anfangs vornehmlich Schweizer und Deutsche, die Fornasettis Werke kauf- ten. Den Franzosen waren sie zu italie- nisch. Vielleicht ist auch deshalb auf einem der Gläser, wenn man ganz genau hinsieht, das Schloss Charlottenburg zu erkennen. So viel Lokalkolorit darf sein.

Florian Siebeck

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333 HERSCHU Hinter dem Konvolut aus dreißig originalen Musterzeichnungen ele- ganter Luxuskarosserien aus den 1920er Jahren verbirgt sich die (d.i. Herbert Schultz) Geschichte eines vergessenen Künstlers, der mit HERSCHU signierte. Crossen 1884 – 1966 Berlin Herbert Schultz war ein bescheidener Mann, ein kreativer Alleskönner, Illustrator und Zeichner. 1918 hatte niemand geringeres Konvolut von dreißig Automobil-Mus- als George Grosz lobend hervorgehoben: „daß ich neben anderen, terzeichnungen für die Alexis Kellner von mir so verehrten Männern stand: Neben August Hayduk, neben AG Berlin. 1913-1915 und 1919-1924 Feininger, dem späteren Kubisten […] und neben Herbert Schulz- Berlin, einem Unbekannten, den ich in meiner Unbildung trotzdem Dreißig Gouachen auf Papier. bewundernd verehrte“ (George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes 24,5 × 36, 2 cm bis 27,9 × 42,1 cm Nein. Hamburg, 1955, S. 88). – Grosz bezog sich hier auf eine eigene (9 ⅝ × 36, ¾ in. bis 11 × 16 ⅝ in.). Zeichnung und Karikaturen, die neben Arbeiten von HERSCHU im Vorderseitig unterhalb der Zeichnung „Berliner Tageblatt“ abgebildet waren. Mit eben diesen Karikaturen Beschriftung der jeweiligen Automo- hatte sich der damals gerade bilmarke / Rückseitig Urheberrechts- nach Berlin gekommene stempel; diverse Adressstempel des Schultz wohl zunäc hst Künstlers: HERBERT SCHULTZ Berlin- beschäftigt, nachdem er in Friedenau Hertelstraße 8, HERBERT Leipzig die Königliche Akade- SCHULTZ Berlin-Friedenau Kaiserallee mie für graphische Künste und 132 / Signaturen: HERSCHU. [3387] Buchgewerbe mit Erfolg absolviert und einige Zeit an Provenienz der Kunstakademie in Ham- Nachlass des Künstlers / burg verbracht hatte. Seitdem Familienbesitz Die Automobilentwürfe von Herbert Schultz stammen EUR 5.000–7.000 aus den Jahren um den Beginn USD 5,890–8,240 des Ersten Weltkriegs und der frühen Weimarer Republik, in Vergleichsliteratur denen der Künstler bei der Musterkataloge der Karosserie Alexis vornehmen Karosseriefirma Kellner AG. Berlin, um 1920, Privat- Alexis Kellner AG im Berliner sammlung, Berlin / Fotoalbum der Westen angestellt war. Mit Karosseriewerkstatt Alexis Kellner, gekonntem Pinsel in Detail Berlin, um 1914, Universität Erfurt, und Farbgebung zeichnete Forschungsbibliothek Gotha, Sig. Math Schultz die Modelle verschie- 8° 1522a/08 dener Kellner-Karosserietypen vor variierenden Landschaftsszene- rien. Diese wurden in Katalogen für die betuchte Kundschaft auf- Wir danken der Familie des Künstlers wändig gedruckt, schließlich war der ehemalige königliche für freundliche Hinweise. Hoflieferant Kellner weithin für seine noblen Cabriolets und luxuriö- sen Innovationen bekannt. Und Kellner war besonders bei seiner Werbung modern: So warb man nicht nur mit HERSCHUs eleganten Zeichnungen für die Wagen mit ansprechenden Linien, sondern als erster Automobilkonzern auch mit nackten Frauen. Doch die Weltwirtschaftskrise riss Kellner in den Abgrund, der NS-Staat verbot Schultz als Künstler tätig zu sein, weil er sich nicht von seiner halbjüdischen Frau trennen wollte. Er wirkte deshalb bei Zarah-Leander-Filmen mit, später wurde er an die Front eingezogen – nie wieder sollte er künstlerisch arbeiten. Seine Karriere riss ab, sein Name verblasste. Nun zeigen die seitdem in Familienbesitz befindlichen Gouachen endlich wieder, mit welcher charakteristi- schen Handschrift HERSCHU arbeite und wie die wilden Zwanziger- jahre in flotten „Schlitten“ rasten und reisten. GzL

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334 Süddeutsch

Miniatur eines höfischen Carousel- schlittens. 18./19. Jahrhundert

Holz, geschnitzt, farbig gefasst. 47 × 64 × 17,5 cm (18 ½ × 25 ¼ × 6 ⅞ in.). [3492]

Provenienz Privatsammlung, Südtirol

EUR 6.000–8.000 USD 7,070–9,420 Der kleinformatige Prunkschlitten mit Löwenköpfen, Lambrequins und Rocaillendekor diente wohl als Kinderspielzeug zur Vorberei- tung auf das „erwachsene“ Vergnügen der höfischen Carousels. Hierbei fuhr man unter Paukenklang auf vorgegebenen verschlun- genen Bahnen, in Wien „Rädel“ genannt, und stellte sowohl die Pracht der Schlitten als auch die der en suite gestalteten Kostüme Oh what fun it is to ride in a one horse open slight...

zur Schau. Oft wurden Geschicklichkeit und Schnelligkeit bewertet und mit kostbaren Preisen belohnt. Zeitgenössische Kommentare schildern den Aufwand der Schlitten und Kostüme, die an Winterta- gen mit Gold und Edelsteinen unter den Augen des schaulustigen Volkes funkelten. Doch war nicht aller Aufwand nur der Repräsenta- tion gewidmet, wie etwa die nächtlichen Schlittenfahrten Maria Theresias in kleinstem Kreis und inkognito belegen, so jene am 26. Januar 1758 unter Teilnahme des siebzehnjährigen Erzherzogs Joseph, der jedoch die Zügel nicht selbst in die Hand nehmen durfte – „der Spaß dauerte bis Mitternacht“. Solch ein Miniaturschlitten konnte also früh die Gewandtheit bei Hofe fördern. Die Löwenköpfe als Zeichen von Stärke und Kampfes- lust versinnbildlichen dabei die rasante Fahrweise der Kavaliere durch den Schnee, die nicht unabsichtlich Aufsehen erregte und immer wieder zu strengen Mahnungen und Verordnungen führte. Die Schlitten waren oft in der Form wilder Tiere gestaltet, die ein Gefühl der Freiheit transportierten und den kalten Winter bannen sollten. Der Dorn anstelle des Kavalierssitzes an unserem Exemplar mag als Halterung für eine Puppe gedient haben. Im Schlitten selbst fand eine weitere Puppe Platz, und möglicherweise war ein Pferd vorgespannt. Die Automaten des 18. Jahrhunderts kommen in den Sinn, wie jene von Pierre Jaquet-Droz oder „La Joueuse de Tympa - non“, die Spinett spielende Marie Antoinette, 1784 von David Roent- gen geschaffen (Musée des arts et métiers, Paris). Diese Automaten waren freilich kein Kinderspielzeug, sondern erstaunten Gelehrte, Kunstsammler und Genießer gleichermaßen ob ihrer genialen Mechanik und Lebensnähe. Den Phantasien von schneeverwehten barocken Gassen und heiteren Maskeraden sind angesichts des Prunkschlittens en miniature also keine Grenzen gesetzt.

Claudia Lehner-Jobst

335 Antoine Es war Zufall, dass Antoine Philippon und Jacqueline Lecoq sich 1955 trafen, und ein großes Glück, dass das ausgerechnet im Atelier von Philippon und Marcel Gascoin geschah: Jener Kaderschmiede, die die besten Köp- fe einer ganzen Generation von Designern hervorbrachte. Philippon und Lecoq traten an, das französische Möbeldesign jener Jahre auf Jacqueline den Kopf zu stellen – im Geist der Union des Artistes Modernes (UAM), einer nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Vereinigung Lecoq führender Inneneinrichter und Architekten, die durch moderne Paris 1930 – 1995 / Paris 1930 Materialien Harmonie und Komfort in französische Wohnzimmer bringen wollte. Cabinet „Pointe de Diamant“ Für ihre Losung, sich weg von luxuriösen Unikaten hin zu quali- (Modell 1307). 1962/64 tativ hochwertiger Massenware zu bewegen, wurden sie anfangs nur belächelt. Doch auch in Frankreich wurden in den 1950er Jahren Mahagoni, furniert auf Spanplatte, Großsiedlungen aus dem Boden gestampft, der soziale Wohnungsbau Birke; Stahlrohr, vernickelt; Türen boomte. Frei von jeder Gewinnabsicht fanden sie bald eine junge lackiert, Glas – Hersteller: Erwin Behr, Kundschaft, die sich von ihren Eltern emanzipieren wollte und sich Wendlingen am Neckar. von Philippon und Lecoq in ihrer Begeisterung für den Fortschritt 157,7 × 120 × 52,2 cm anstecken ließ. Die Designer gaben Glas, Aluminium und Kunststoff (62 ⅛ × 47 ¼ × 20 ½ in.). Rückseitig eine bis dahin ungeahnte Qualität. Sie sahen sich in der Tradition Herstellerstempel, beschriftet: 75. Jean Prouvés, applizierten kostbares Holzfurnier auf Stahlrahmen [3191] und erhoben Glas zum tragenden Element („President Desk“), was ihren Möbeln einen beinahe immateriellen Charakter gab. Provenienz Aufgrund ihrer technischen Raffinesse wurden Antoine Philip- Galerie River, Saarbrücken (um 1970) / pon und Jacqueline Lecoq bald auch von staatlichen Einrichtungen Privatsammlung, Hessen (in der Galerie mit Aufträgen bedacht, weil man in ihnen „Schrittmacher des fran- Jousse, Paris, erworben) zösischen Erfindergeistes“ sah. Sie traten mit ihren Entwürfen beim Salon des arts ménagers und beim Salon des artistes décorateurs EUR 15.000–20.000 auf, und waren schnell hochdekoriert. „Ihre Möbel“, heißt es in der USD 17,700–23,600 Publikation „Le mobilier français 1945-1964“ von 1983, „sind die bedeutsamsten der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre.“ Umso Vergleichsliteratur erstaunlicher ist es, dass die Entwürfe von Philippon und Lecoq bald Yolande Amic (Hg.): Le mobilier français in Vergessenheit gerieten. Erst in den letzten Jahren wurde ihr Werk 1945–1964. Intérieurs. Paris, 1983, S. in Frankreich wiederentdeckt, etwa in der Ausstellung „Mobi Boom“ 106 / Stephane Danant: Antoine Philip- 2010 im Musée des Arts Decoratifs in Paris (heute Centre Georges pon and Jacqueline Lecoq. New York, Pompidou). 2011, S. 53 Auch in Deutschland ist es an der Zeit für eine Reprise des Werks von Philippon und Lecoq. Beide waren uns ohnehin schon in den 1950er Jahren nahe: In Berlin (West) bauten sie eine Muster- wohnung in einem von Pierre Vago 1957 für das Hansaviertel entwor- fenen Haus, sie zeigten neue Entwürfe in Köln und München. So auch das Highboard aus Mahagonifurnier, das sie für Behr entwarfen und das zu ihren charakteristischsten Werken zählt. Seine vier Türen, die in einem aus vernickeltem Stahlrohr gefertigten Rahmen sitzen, erinnern an geschliffene Diamanten. Es bringt wie kaum ein zweites Objekt auf den Punkt, wofür Philippon und Lecoq standen: für einen fast puritanischen Sinn für Funktionalismus frei von jeder Ornamen- tik, für minimalistische Strenge, aber vor allem für Menschlichkeit, Wärme und Harmonie. FS

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336 KPM „Die Toilette unsrer Urgroßmütter im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – das ist ein Kapitel, an das wir heute nicht ohne Königliche Schaudern zurückdenken mögen. Schwamm und Seife, die Grund- pfeiler der heutigen Körperpflege, spielten eine gar zu untergeord- nete Rolle im Fabelreich ihrer seltsamen Toilettekünste.“ So schil- Porzellan- derte Georg Lenz vor gut hundert Jahren nicht ohne einen leichten Anflug von Abscheu die Körperpflege des galanten Zeitalters. Manufaktur Im Zentrum der Körperpflege im höfischen Bereich stand die Toilettegarnitur oder das Waschgeschirr. Toilettegarnituren bildeten Berlin sich zuerst in der Goldschmiedekunst seit der Mitte des 17. Jahrhun- Gegründet 1763 derts vor allem in Frankreich und England heraus. Ab 1690 folgte Augsburg mit ersten Garnituren im deutschsprachigen Raum, eben- falls auf dem Gebiet der Goldschmiedekunst. Seit ihrer Gründung im „Ein Spiegelrahm zur Toilette“ – Jahr 1763 durch Friedrich II. fertigte dann auch die Königliche Por- Modell 161, von Friedrich Elias Meyer zellan-Manufaktur (KPM) in Berlin, neben Tafelservicen, Vasen und (um 1723–1785). 1768 Figuren, Gebrauchs- und Luxusgegenstände aus dem neuen fragilen Material. Porzellan, unbemalt; Aus dieser frühen friderizianischen Glanzzeit der KPM stammt Spiegelglas; Bronze, feuervergoldet. der weiße, glasierte Rahmen unseres seltenen Toilettespiegels. Der 59,5 × 39,5 cm (23 ⅜ × 15 ½ in.). Keine Spiegel bildete einst das Zentrum einer umfangreichen „Toilette Marken sichtbar. [3274] einer hohen Standesperson“ mit all den unzähligen Gerätschaften und Behältnissen, die auf einem Toilettetisch Aufstellung fanden: Provenienz Leuchter, „Waschbecken nebst Gießkanne“, Seifenkugel, „Büchsen Privatsammlung, Norddeutschland zu Pomade“ oder „Poudre Dosen“. Ein ähnlicher unbemalter Spiegelrahmen wird im Schlafzim- EUR 18.000–22.000 mer der Prinzessin Heinrich im Neuen Palais in Potsdam präsentiert. USD 21,200–25,900 Er gehört zum historischen Bestand der preußischen Schlösser und gilt als einzig erhaltenes Stück aus einer Toilettegarnitur, die die KPM Vergleichsliteratur im Auftrag Friedrichs II. gefertigt hat. Beide Stücke, unseres und das Georg Lenz: Berliner Porzellan. Die Potsdamer, differieren geringfügig in der kühn geschwungenen Manufaktur Friedrichs des Großen. Rocaille mit der zarten Büste in der Bekrönung. Georg Lenz konnte 1763–1786. Berlin, 1913, Bd. 1, S. 68; 1913 die heute verlorenen Schatullrechnungen zu den Porzellanbe- Bd. 2, Tafel 129, Abb. 585 und Tafel 130, stellungen Friedrichs II. auswerten (Lenz 1913, Bd. 1, S. B 22). Unter Abb. 588 / Ders.: Alte Toilettegeräte dem Lieferdatum 21. Dezember 1768 war dort verzeichnet: „3 compl. aus Berliner Porzellan. In: Westermanns Toiletten gantz weiß eine jede bestehend in 2 Leuchter, 1 Spiegel“. Es Monatshefte, Jg. 62, Bd. 124, Teil 1 ist zu vermuten, dass unser Toilettespiegel und das Exemplar der (März–Mai 1918), S. 71–81, Abb. S. 75 / Stiftung Preußische Schlösser und Gärten aus dieser königlichen Berliner Porzellan des 18. Jahrhunderts. Bestellung stammen. ThK hg. von Götz Eckardt und Ruth Göres. Ausst.-Kat., Berlin, 1963, S. 83, Kat.-Nr. 97

Vergleichsobjekte Unbemalter Spiegelrahmen, Sammlun- gen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Inv.- Nr. XII 425 / Bemalter Spiegelrahmen, ehemals Sammlung Margarete Oppen- heim (verschollen) / Bemalter Spiegel- rahmen, ehemals Sammlung K. H. Wad- sack (Auktion: A Century of Berlin. London, Christie’s, 1. Mai 2002, Kat.- Nr. 45 / 2006 Kunsthandel Angela Gräfin von Wallwitz, München)

Wir danken Michaela Völkel, Samm- lungskustodin Porzellan und Keramik der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, für freundliche Hinweise.

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337 Griechisch Gebrochen und durch jahrtausendelange Erdlagerung braun ver- krustet bewahrt die Grabstele aus dem edlen pentelischen Marmor Attikas doch noch immer die Erinnerung an Pyrrhichos. Sein Name Palmettengekrönte Grabstele des erscheint unter der zweizeiligen Inschrift, die seine Angehörigen Wahrsagers Pyrrhichos. direkt unter dem Gesims des Palmettenaufsatzes (Anthemion) in 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. den glatten Stelenschaft für ihn einmeißeln ließen: „Hier liegt (begraben) das heilige Haupt, der Theomant (Wahrsager) aus dem / Pentelischer Marmor. allerheiligsten Delos, (in der Auslegung) von Orakeln ein Führer“ 64,5 × 44,2 × 9,9 cm (Übersetzung nach Clairmont). (25 ⅜ × 17 ⅜ × 3 ⅞ in.). Inschrift: Pyrrhichos war also zu Lebzeiten in Delos tätig, in Griechen- ΕΝΘΑΔΕ ΤΗΝ ΙΕΡΗΝ ΚΕΘΑΛΗΝ lands größtem Heiligtum, wo er im Orakel des Apollontempels den ΘΕΟΜΑΝΤΙΝ ΕΧΕΙ ΓΗ / ΔΗΛΟΥ Pilgern die Weissagungen des Gottes auslegte. Delos ist, dem Mythos ΑΠ’ΗΓΑΘΕΑΣ ΘΝΗΤΟΙΣ ΗΓΗΤΟΡΑ nach, der Geburtsort des Sonnen- und Orakelgottes Apollon und ΧΡΗΣΜΩΝ / ΠΥΡΡΙΧΟΣ. Auf einem Sand- seiner Zwillingsschwester Artemis. Einst eine schwimmende Insel, steinsockel montiert. [3341] war Delos der einzige Ort, an dem die von Hera verfluchte Leto im Schatten eines Palmbaums ihre von Zeus empfangenen Zwillingskin- Provenienz der gebären konnte. Später soll Zeus die Insel mit vier diamantenen Sammlung Holger Termer, Hamburg Säulen am Meeresboden befestigt haben. Zu Lebzeiten des Pyrrhi- (1977) / Sammlung Ingeborg und Alfred chos gehörte die Ägäisinsel politisch zur Polis von Athen. Wurm (1927–2014), Hamburg (1991 in der Die lyrische Grabinschrift des Pyrrhichos orientiert sich mit Kunsthandlung Holger Termer, Ham- ihrer Wortwahl vom „heiligen Haupt“ an der literarisch überlieferten burg, erworben) legendären Grabinschrift des Homer. Durch den Bezug auf den berühmten Dichter lassen sich Rückschlüsse auf Bildung und sozia- EUR 50.000–70.000 len Status des Verfassers ziehen, der sicher der Familie des Verstor- USD 58,900–82,400 benen angehörte. Christoph Clairmont, der als erster über die Grabstele forschte, hob 1990 hervor: „Die Wichtigkeit des Epi - Ausstellung gramms besteht darin, dass es in ganz wenig veränderter Form das Holger Termer: Kunst der Antike. Grabepigramm des Homer wiedergibt, das bisher nur aus literari- Ausst.-Kat., Galerie Neuendorf, Ham- schen Quellen bekannt ist.“ burg, 1978 (nicht im Katalog) Im Bereich der Grabinschrift wurde die Verkrustung entfernt, so dass hier der weiße Marmor aufscheint. Ursprünglich aber war Literatur und Abbildung die Grabstele – wie alle Denkmäler und alle Architektur dieser Zeit Gottfried Sello: Kunst der Antike. – farbig gefasst. Die Malerei ist jedoch in den Zeitläufen vergangen. In: Süddeutsche Zeitung, 8. Dezember Nach Parallelbefunden ist es wahrscheinlich, dass unter den 1978, Kunstkalender / Christoph W. Inschriften auf dem Stelenschaft der verstorbene Pyrrhichos selbst Clairmont: Gravestone and Epigram. dargestellt gewesen sein wird, sitzend oder stehend, wahrscheinlich Greek Memorials from the Archaic im Profil nach rechts. Auch die Bekrönung der Stele muss man sich and Classical Period. Mainz, 1970, Nr. 3 farbig vorstellen. Aus dem Blätterkelch einer Akanthuspflanze und 15, Tafel 8 (zum gemalten Bild des erhebt sich der halbrunde Fächer eines Palmblattes mit gegenstän- Verstorbenen) / Ders.: Zwei Inedita. digen Blattrippen, die in ihrer Mitte ein rundes Zierelement In: Marijke Gnade und Conrad M. Stib- umschließen. Dieses besitzt die Form einer Omphalos-Schale oder be (Hg.): Stips Votiva. Papers presented Patera (Spendeschale). Zwei ganz gleiche, aber größere Ornamente to C. M. Stibbe. Amsterdam, 1991, sitzen auf den Enden bogenförmig geschwungener, ebenfalls aus S. 47–50, Abb. 1 (zur Einordnung der dem Blätterkelch entspringender Stängel. Sie nehmen hier den Platz Stele) / Janet Burnett Grossman: Fune- der sonst an dieser Stelle üblichen Rosetten oder Voluten ein und rary Sculpture. Princeton, 2013 (The stützen an jeder Seite den bekrönenden Palmfächer. Das auffällige Athenian Agora, Bd. 35), Kat.-Nr. 153, Ornament in Form einer Patera findet sich auch bei dem Anthemion S. 133f. (Parallele zum pateraähnlichen eines Grabsteines mit gesichertem Fundort in Piräus. Es ist daher als Zierelement im Anthemion) Indiz geeignet, im Verein mit der Herkunft des Marmors vom Pente- likon die Grabstele des Pyrrhichos der attischen Kunstlandschaft Beigabe zuzuweisen. Seiten und Rückseiten der Stele sind nur grob bearbei- Brief Christoph W. Clairmonts an tet. Das spricht dafür, dass der Grabstein innerhalb des Grabbezirks Holger Termer vom 13. November 1990 vor der Umfassungsmauer aufgestellt war. (in Kopie) Marion Euskirchen, Kuratorin am Römisch-Germanischen Museum der Stadt Köln R 338 Ozeanien, Tatanua-Masken gehören zum Spektrum der weltberühmten Malan- gan-Kunst. Im Norden Neuirlands – einer Insel im Bismarck Archipel Neuirland nördlich von Papua-Neuguinea – wurden sie zur Ehrung und Verab- schiedung der Toten nach jahrelanger Vorbereitung in aufwändigen Festen präsentiert. Tatanua Maske - Malagan-Ritual. Die Masken haben einen ganz eigenen Duktus: Die oft relativ Vor 1914 kleine Maskenlarve aus leichtem Holz ist gekennzeichnet durch ein vorspringendes Kinn mit offenem Mund und gebleckten Zähnen, Holz (Alstonia scholaris), geschnitzt, darüber eine gekrümmte Nase mit geblähten Nüstern und offene in rotem Ocker und schwarz bemalt; Augenfelder. Der Einsatz von Turboschneckendeckeln gibt den Verschlussdeckel von Turbo pethola- Augen dabei eine ausgesprochen lebendige Anmutung. Die üblicher- tus; Raphiabast; Pflanzensamen, weiß weise herabhängenden, durchbrochenen Ohrläppchen sind hier gekalkt; blaue Wollfäden; Industrie- durch eingelassene Zapfen angedeutet. In typischer Malangan- tuch. Im Inneren: Kokosnuss; Palmblatt. Manier wird der Ausdruck der Maskenlarve wesentlich durch die 41,5 × 40 × 19 cm (16 ⅜ × 15 ¾ × 7 ½ in.). Bemalung in Rot, Schwarz und Weiß bestimmt. Die Grundfarbe bei [3189] unserem Exemplar ist Rot – auf der Stirn teils „aufgelöst“ durch fei- ne Schraffuren in Blattform. Das schwarz umrandete linke Augenfeld Provenienz läuft spitzwinklig gebogen auf der Stirn aus und korrespondiert mit Privatsammlung, Deutschland (bis der schwarz akzentuierten Wange und Stirnseite rechts. Die dadurch 2001) / Privatsammlung, Schweiz erzielte Asymmetrie setzt sich in der Haube fort. Während dort die zentrale Haarraupe aus Naturfasern zusammen mit dem breit geöff- EUR 30.000–40.000 neten Mund als optisch stabilisierendes Element dient, sind die USD 35,300–47,100 Helmseiten deutlich anders gestaltet: Auf die aus rotem Industrie- tuch bestehende Abdeckung wurden sichelförmige Strukturen aus Vergleichsliteratur Kalk und Fasern aufgebracht, links zusätzlich durch einen Halbkreis Michael Gunn und Philippe Peltier aus blauen Wollfäden akzentuiert. Haarraupe und Kalkbewurf gelten (Hg.): Neuirland. Kunst der Südsee. als Echo des früheren Trauerkopfschmucks. Mailand, 2007 / Ingrid Heermann: Tatanua-Masken-Tänzer traten am letzten Tag der Malangan- Artistic traditions of the Bismarck Feiern neben anderen Tanzgruppen auf, gesponsert von den Veran- Archipelago – New Ireland. In: Kevin staltern oder als Geste der weiblichen Verwandtschaft eines Ver- Conru (Hg.): Bismarck Archipelago Art. storbenen. Sie tanzten mindestens paarweise, getragen vom Mailand, 2013, S. 241–315 Rhythmus der Bambustrommeln und vom Gesang der Begleiter. Die Tänzer bereiteten sich durch Meditation auf ihren Auftritt vor und durften unter der Maske nicht sprechen, da sonst, so hieß es, die Maske ihren Kopf zerdrücken könnte. Im Gegensatz zu anderen Malangan-Objekten mussten Tata- nua-Masken nach der Feier nicht zerstört – oder ersatzweise ver- kauft – werden. Dennoch kam eine große Zahl von ihnen während der deutschen Kolonialzeit in westliche Sammlungen. Die Einführung zeitsparender Metallwerkzeuge und neuer Materialien wie Industrie- tuch, Wollfäden und Waschblau regte die Kreativität der neuirländi- schen Künstler weiter an. Ihre Ausdrucksweisen wurden in Europa von der künstlerischen Avantgarde bewundert und beflügelten nicht zuletzt die Vertreter des Surrealismus.

Ingrid Heermann, ehem. Kuratorin des Linden-Museums – Staatliches Museum für Völkerkunde, Stuttgart

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339 Nanna Dieser elegante Schreibtisch vereint Strenge und Schönheit, Form und Material auf eine Ditzel derart gekonnt simple und natürliche Weise, dass er für viele Sammler und Liebhaber von 1923 – Kopenhagen – 2005 Mid-Century Design zu einer begehrten Tro- phäe geworden ist. Entworfen wurde er von Schreibtisch (Modell SW93). 1955 Nanna Ditzel, der „First Lady of Danish Furni- ture Design“, ein Titel, der sich gleicherma- Teak, massiv; Eiche – Hersteller: ßen auf die Vielseitigkeit ihres schöpferi- Søren Willadsen Møbelfabrik, Vejen. schen Talents wie auch auf ihre sechs 72,4 × 145,2 × 75,3 cm Dekaden umfassende, weltweit erfolgreiche (28 ½ × 57 ⅛ × 29 ⅝ in.). Unterhalb der Karriere bezieht. Ihre Ausbildung hat Ditzel an Arbeitsplatte Klebeetikett: DANISH der Königlichen Akademie der Schönen Küns- FURNITUREMAKERS CONTROL Kontrol te bei Kaare Klint, einem der wichtigsten nr. 13123 FURNITURE VEJEN [...] MARK. Designer und Architekten des Danish Modern, [3191] absolviert. Schon während ihrer Studienzeit stellte Ditzel ihre Entwürfe auf der jährlich Provenienz stattfindenden Ausstellung der Cabinetmaker Privatsammlung, Hessen Guild aus, die zwischen 1927 und 1968 die enge Zusammenarbeit von Designern und EUR 5.000–7.000 Schreinern betonte. Auf der Akademie lernte USD 5,890–8,240 sie auch ihren ersten Ehemann, Jørgen Ditzel, kennen. Bis zu dessen Tod 1961 entwickelte Vergleichsliteratur das Paar gemeinsam eine Vielzahl von meis- Grete Jalk: 40 Years of Danish Furnitu- terhaften Designs, für die sie zahlreiche Prei- re Design. The Copenhagen Cabinet- se erhielten, darunter eine vom eigenen makers' guild exhibitions 1927-1966. Nachwuchs inspirierte, höchst erfolgreiche Kopenhagen, 1987 / Per H. Hansen und Serie von Kindermöbeln (1952) und der hän- Klaus Petersen: Moderne dansk mø- gende Korbsessel („Egg Chair“, 1959), ihr wohl beldesign. Tendenser. hammerslag og bekanntester Entwurf. Neben Möbeln ent- historie. Gyldendal, 2007, Abb. S. 184 warf Nanna Ditzel Schmuck, Textilien und Geschirr in Kooperation mit führenden Her- stellern und beschäftigte sich mit so unter- schiedlichen Materialien wie Silber, Holz, Korbweide und Keramik. Ähnlich wie ihr Zeit- genosse Verner Panton scheute auch sie sich nicht davor, über die eigentliche Handwerks- kunst hinaus auch Materialien für die indust- rielle Fertigung einzusetzen und begann ab Mitte der 1960er Jahre Stühle aus Fiberglass herzustellen. Heutzutage sind ihre überwie- gend von der Natur inspirierten Entwürfe fes- ter Bestandteil der Designkollektionen inter- nationaler Museen und privater Sammler. Ditzels zur Ikone gewordener Schreibtisch wurde in zwei Größen mit je drei oder vier Schubladen in Eiche, Teak und Palisander von Søren Willadsen hergestellt, der eng mit dem Ehepaar Ditzel zusammenarbeitete. Das hier gezeigte kleinere Modell hat eine breite Mit- tel- und zwei schmale Seitenschubladen. Das Besondere des Entwurfs zeigt sich vor allem in der Art, wie die Griffe von Hand aus den massiven Fronten der Schubladen geschnitzt worden sind. Ob groß oder klein, dieser Schreibtisch ist ein wunderbares Beispiel für die innovative Kraft des dänischen Möbelde- signs. KB

Grisebach — Herbst 2017 Dieses elegante Möbel vereint Strenge und Schönheit.

340 Niccolò Phantastische Bauten, antike Stimmung und ruinenhafte Träumerei – mit seinen exzentrischen Capricci, idealen Architekturdarstellun- Codazzi gen und Veduten führte Niccolò Codazzi das Werk seines Vaters Viviano Codazzi (ca. 1604–1670) fort. Unsere beiden Bilder verbinden Neapel 1642 – 1693 Genua Architektur, Illusionismus und theatralisches Gefühl zu einer Pers- pektivenzauberei. Die Sogwirkung der Bögen und Arkaden zieht den Paar Supraporten mit Architektur- Betrachter regelrecht ins Bild hinein und hält ihn gefangen in einer Capricci: Dorische Säulenhalle mit Architekturcollage aus mythologischer Vorvergangenheit und zeit- Kanal und Thermenhalle mit Badenden genössischer Lust an perspektivischer Verrücktheit. – die Figuren von Gregorio de Ferrari Geschaffen wurden die Bilder wahrscheinlich für die Ausstat- (1647–1726). Um 1670 tung eines großen Saals, wo sie mit ihren extravagant geschwunge- nen Rahmen vielleicht als Supraporten Eindruck machten. Niccolò Öl auf Leinwand. 151,3 × 126,5 cm Codazzi trug mit dem Figurenmaler Gregorio de Ferrari zur Ausstat- (59 ⅝ × 49 ¾ in.). Jeweils in Kreide tung des Palazzo Rosso in Genua bei, mit dessen Bau 1671 begonnen beschriftet: 3 und 4. Doubliert. worden war. Codazzi schuf dort unter anderem Fresken für die Log- [3130] Gerahmt. gia delle Rovine und den „Wintersalon“. Auch unsere beiden Bilder sind Resultate der Zusammenarbeit von Codazzi und de Ferrari – Provenienz und zugleich zwei eindrückliche Beispiele für Codazzis Spätwerk. Wohl ursprünglich Palazzo Rosso, Insgesamt existieren vier formatgleiche Arbeiten, wovon sich zwei in Genua / Sammlung des Couturiers einer römischen Privatsammlung befinden. Im Œuvre Codazzis gibt Erik Müller, Côte d'Azur (1968) / es zudem ein ähnliches Sujet mit badenden Mädchen im Museum Privatsammlung, Paris der bildenden Künste in Besançon. Getragen von kontrastreicher Lichtführung schuf Niccolò EUR 25.000–30.000 Codazzi Architekturbilder, die die Strenge des klassisch geschulten USD 29,400–35,300 Auges mit barocker Lust an Dramatik und Bewegung der „Genueser Schule“ verbinden. Wegen seiner ausgeprägten Hell-Dunkel-Malerei Literatur und Abbildung (chiaroscuro) soll er von seinem Malerkollegen Pietro Longhi der Maison & Jardin, Nr. 146 (August, Sep- „kleine Caravaggio“ genannt worden sein. Bei unserem Bildpaar tember 1968) / Auktion: Alte Meister. bricht die Architektur sogar die Bildform samt Rahmen geradezu Wien, Dorotheum, 6. Oktober 2009, konvex und konkav auf. Bei der perspektivischen Konstruktion ist die Kat.-Nr. 63 (Figuren als Paolo Gerolamo künstlerische Verwandtschaft zu Francesco Borromini (1599–1667) Piola) / Giancarlo Sestieri: Il Capriccio augenfällig. Wie bei dessen berühmter Kolonnade im Innenhof des architettonico in Italia nel XVII e XVIII Palazzo Spada in Rom wird in Codazzis Gemälden der Blick virtuos secolo. Rom, 2015, S. 280, Abb. 40a bis zur hintersten Öffnung gezogen. Der Maler konnte sich meister- und 40b (als Niccolò Codazzi); die haft der Farbskala bedienen und setzte gekonnt Schatten ein, um Gegenstücke: S. 266, Abb. 12a und 12b seine Bilder zu rhythmisieren. (als Niccolò Codazzi, Figuren als de Diese Art der Architekturdarstellung (und ihre Umsetzung in Ferrari) tatsächlichen Bauten) entwickelte sich aus der illusionistischen Malerei des 16. Jahrhunderts (di sotto in sù, quadratura) und erfreu- Vergleichsliteratur te sich im 17. Jahrhundert großer Beliebtheit. Mehr und mehr schu - David Ryley Marshall: Viviano and fen Künstler wie die Vertreter der Familie Codazzi solche Arbeiten Niccolò Codazzi and the Baroque nicht mehr als Auftragswerke, sondern als Angebote für den freien Architectural Fantasy. Rom, 1993, S. 79 Markt. Mit ihren strengen architektonischen Vertikalen und Horizon- talen brachten sie dabei Vielfalt in die amorphe Bildmasse eng behangener Bildwände, oder sie setzten markante und sich wieder- holende Formen, etwa als Supraporten oder als einander gegen- überliegende Werke in Interieurs, die ästhetisch korrespondierten. RE

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341 Guiseppe Als Picasso wegen einer seiner Plastiken die Frage zu hören bekam, was jene denn darstelle, antwortete er: „Es ist nichts.“ Carli Sein Nichts steht heute im New Yorker Museum of Modern Art, unweit der Designabteilung, in der zwei weitere zunächst uner- 1915 - Venedig - 1987 klärbar scheinende Formen – Fórcole aus einer venezianischen Werkstatt – zu Kunst geworden sind. „Fórcola da poppa“ einer veneziani- Wohl jeder Besucher Venedigs hat schon einmal eine Fór- schen Gondel. Um 1950 cola gesehen. Wer am Ufer des Canal Grande einem Gondoliere bei seinen Verrichtungen zum Feierabend zuschaut, wird Nussbaum, geschnitzt. 56,9 cm bemerken, dass dieser dem unscheinbaren Gegenstand beson- (22 ⅜ in.). Mit einem modernen Sockel. deres Augenmerk widmet. Vorsichtig zieht er die hölzerne Fór- [3093] cola aus einer Öffnung im umlaufenden Bord der Gondel. Dann schlägt er sie sorgsam in Samt, vielleicht hat er ein Lederetui Provenienz dafür parat. So machen es Venedigs Gondolieri seit tausend Privatsammlung, Schweiz Jahren. Denn solange es Fórcole gibt, gibt es auch Gondeln. Die Gondel findet man nirgends sonst außer in Venedig, EUR 6.000–8.000 und kein anderes Boot hat es je derart klar zum Symbol einer USD 7,070–9,420 Stadt, ja zum Inbegriff des Fahrzeugs der Liebe gebracht. Sie ist gut zehn Meter lang, trägt ein mattes Schwarz aus Ruß und Firnis Vergleichsliteratur und -objekte und wird von einem Gondoliere mit nur einem Ruder, auf einer Gilberto Penzo: Fórcole, Remi e Voga Seite am Heck, gefahren. In jedem anderen Boot der Welt gerie- alla Veneta (zusammen mit Saverio Pas- te dies zu einer Rundfahrt. Nicht in der Gondel. Auf rätselhafte tor). Sottomarina (Ve), 1997 / Fórcolae Weise bewegt der Gondoliere sie wunderbar leicht. Dabei hilft von Giuseppe Carli (1915–1987) und ihm ein kaum sichtbares Geheimnis: die gebogene Längslinie Saverio Pastor (geb. 1958), Museum of des Rumpfes – vor allem aber die Fórcola, die „Gabel“. Modern Art, New York Die Fórcola ist Auflage und Widerlager des Ruders, gewis- sermaßen das Getriebe des menschlichen Außenborders. Jede Wir danken Saverio Pastor, Venedig, für einzelne Form, die Ausbuchtungen, Klauen und Drehflächen, freundliche Hinweise. dient einer Funktion: dem Anfahren, Beschleunigen, dem kurzen oder ausholenden Ruderschlag, dem Halten, Anlegen, Rück- wärtsfahren und vielem mehr. Ein kinetisches Wunderding. Die Kurven einer Fórcola sind dem Ruderer individuell angepasst. Kraft, Technik, Statur und Bewegungseigenheiten bestimmen das Detail. In der hermetischen Gilde der Gondolieri erkennt man sich gar an tradierten Familienformen. In wochenlanger Handarbeit wird die Fórcola von wenigen verbliebenen Meistern, wie dem großen Guiseppe Carli, die im gesellschaftlichen Rang eines guten Arztes stehen, meist aus Nussbaum hergestellt. Nicht selten kommt ein Gondoliere, um nur Millimeter an seiner Fórcola ändern zu lassen. Sehnsuchtsfahrzeug, Liebesschaukel oder Neppschlepper – die Gondel ist das berühmteste Boot Europas. Und die Fórcola ist ihre Seele. Ein wenig ist sie wie Venedig selbst: schwungvoll und elegant, kapriziös und bescheiden, edel und von beschränk- tem Nutzen. Sie ist alles und das Gegenteil von allem, symmet- risch und nie im Lot, konvex, konkav, alles scheint sich zu wie- gen, dem Fluss der Wellen und Gezeiten folgend, ein von Wind und Wellen geformtes Holz, ein Artefakt uralten Handwerks. Und die vollendete Skulptur eines Künstlers, schön wie von Constan- tin Brâncuşi, Hans Arp oder Henry Moore.

Karl J. Spurzem

Niccolò Codazzi: Kat.-Nr. 340 (rechts) mit zwei anderen Supraporten (links), wohl die Gegenstücke aus dem Palazzo Rosso, Genua, heute Privat- sammlung, Rom

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341 Guiseppe Als Picasso wegen einer seiner Plastiken die Frage zu hören bekam, was jene denn darstelle, antwortete er: „Es ist nichts.“ Carli Sein Nichts steht heute im New Yorker Museum of Modern Art, unweit der Designabteilung, in der zwei weitere zunächst uner- 1915 - Venedig - 1987 klärbar scheinende Formen – Fórcole aus einer venezianischen Werkstatt – zu Kunst geworden sind. „Fórcola da poppa“ einer veneziani- Wohl jeder Besucher Venedigs hat schon einmal eine Fór- schen Gondel. Um 1950 cola gesehen. Wer am Ufer des Canal Grande einem Gondoliere bei seinen Verrichtungen zum Feierabend zuschaut, wird Nussbaum, geschnitzt. 56,9 cm bemerken, dass dieser dem unscheinbaren Gegenstand beson- (22 ⅜ in.). Mit einem modernen Sockel. deres Augenmerk widmet. Vorsichtig zieht er die hölzerne Fór- [3093] cola aus einer Öffnung im umlaufenden Bord der Gondel. Dann schlägt er sie sorgsam in Samt, vielleicht hat er ein Lederetui Provenienz dafür parat. So machen es Venedigs Gondolieri seit tausend Privatsammlung, Schweiz Jahren. Denn solange es Fórcole gibt, gibt es auch Gondeln. Die Gondel findet man nirgends sonst außer in Venedig, EUR 6.000–8.000 und kein anderes Boot hat es je derart klar zum Symbol einer USD 7,070–9,420 Stadt, ja zum Inbegriff des Fahrzeugs der Liebe gebracht. Sie ist gut zehn Meter lang, trägt ein mattes Schwarz aus Ruß und Firnis Vergleichsliteratur und -objekte und wird von einem Gondoliere mit nur einem Ruder, auf einer Gilberto Penzo: Fórcole, Remi e Voga Seite am Heck, gefahren. In jedem anderen Boot der Welt gerie- alla Veneta (zusammen mit Saverio Pas- te dies zu einer Rundfahrt. Nicht in der Gondel. Auf rätselhafte tor). Sottomarina (Ve), 1997 / Fórcolae Weise bewegt der Gondoliere sie wunderbar leicht. Dabei hilft von Giuseppe Carli (1915–1987) und ihm ein kaum sichtbares Geheimnis: die gebogene Längslinie Saverio Pastor (geb. 1958), Museum of des Rumpfes – vor allem aber die Fórcola, die „Gabel“. Modern Art, New York Die Fórcola ist Auflage und Widerlager des Ruders, gewis- sermaßen das Getriebe des menschlichen Außenborders. Jede Wir danken Saverio Pastor, Venedig, für einzelne Form, die Ausbuchtungen, Klauen und Drehflächen, freundliche Hinweise. dient einer Funktion: dem Anfahren, Beschleunigen, dem kurzen oder ausholenden Ruderschlag, dem Halten, Anlegen, Rück- wärtsfahren und vielem mehr. Ein kinetisches Wunderding. Die Kurven einer Fórcola sind dem Ruderer individuell angepasst. Kraft, Technik, Statur und Bewegungseigenheiten bestimmen das Detail. In der hermetischen Gilde der Gondolieri erkennt man sich gar an tradierten Familienformen. In wochenlanger Handarbeit wird die Fórcola von wenigen verbliebenen Meistern, wie dem großen Guiseppe Carli, die im gesellschaftlichen Rang eines guten Arztes stehen, meist aus Nussbaum hergestellt. Nicht selten kommt ein Gondoliere, um nur Millimeter an seiner Fórcola ändern zu lassen. Sehnsuchtsfahrzeug, Liebesschaukel oder Neppschlepper – die Gondel ist das berühmteste Boot Europas. Und die Fórcola ist ihre Seele. Ein wenig ist sie wie Venedig selbst: schwungvoll und elegant, kapriziös und bescheiden, edel und von beschränk- tem Nutzen. Sie ist alles und das Gegenteil von allem, symmet- risch und nie im Lot, konvex, konkav, alles scheint sich zu wie- gen, dem Fluss der Wellen und Gezeiten folgend, ein von Wind und Wellen geformtes Holz, ein Artefakt uralten Handwerks. Und die vollendete Skulptur eines Künstlers, schön wie von Constan- tin Brâncuşi, Hans Arp oder Henry Moore.

Karl J. Spurzem

Niccolò Codazzi: Kat.-Nr. 340 (rechts) mit zwei anderen Supraporten (links), wohl die Gegenstücke aus dem Palazzo Rosso, Genua, heute Privat- sammlung, Rom

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342 Carlo Die Lords waren ganz außer sich und scheuten weder Mühen noch Kosten: Das ganze 18. Jahrhundert über schleppten sie von ihren Albacini Grand Touren Marmorskulpturen von Italien nach England. Die Skulpturen dokumentierten sendungsbewusst ihre Bildung und (zugeschrieben) waren Vorbilder für die antikisch geschulte heimische Kunstproduk- Rom wohl 1739 – nach 1807 tion. Der Drang nach Skulpturenkäufen unter südlicher Sonne beför- derte in Italien wilde Grabungen. Eine ganze Gesellschaft von Bild- hauern entstand dort, die die wiederentdeckten Fragmente der Paar Skulpturengruppen, die vier Römer ausstellbar machten und sie nebenbei kopierten und zu neu- Jahreszeiten darstellend – ehemalige en Bildwerken variierten. Zu den ganz großen dieser Restauratoren- Kandelaber. Um 1780 bildhauer gehörten um 1770/80 Bartolomeo Cavaceppi und sein Kol- lege Carlo Albacini, der zeitgenössisch als „surest Paced Horse of Marmor. 76 × 37 × 39 cm / our set of modern sculptures“ (Thomas Jenkins, 1774) bezeichnet 77,5 × 34 × 28 cm wurde. Albacinis Werkstatt werden auch diese beiden Skulpturen- (29 ⅞ × 14 ⅝ × 15 ⅜ in. / gruppen zugeschrieben. 30 ½ × 13 ⅜ × 11 in.). [3376] Um 1780 arbeiteten bei Albacini in Rom zahlreiche „garzonie- ri“ an unterschiedlichsten Projekten: an einem neuen Kopf für die Provenienz restaurierte Venus Kallipygos, die der König von Neapel bald mit Privatsammlung, Bayern (1970er Jahre nach Neapel nahm, an einer Kopie der Büste des Lucius Verus, die in der Galerie Carroll, München, der junge Antonio Canova staunend beschrieb, oder auch an einem erworben) Grabmal für Anton Raphael Mengs, das Katharina die Große zusam- men mit Marmorkopien von den antiken Castor-und-Pollux- sowie EUR 30.000–40.000 Orest-und-Pylades-Gruppen für die Petersburger Sammlungen USD 35,300–47,100 bestellt hatte. Der König von Preußen ließ bei Albacini ein Paar Kamine für sein Potsdamer Marmorpalais kaufen, bei denen jeweils Literatur und Abbildung zwei Karyatiden die Gesimse tragen. Und für den Earl of Bristol ent- Auktion: A149 – Möbel. Zürich, Koller, stand ein Riesenkamin, der wiederum zwei mythologische Paare 18. Juni 2009, Kat.-Nr. 1253 einander gegenüberstellte: Amor und Psyche und Bacchus und Ari- adne (bis 1990 Ickworth House), jeweils als Einzelbildnisse durchge- arbeitet. Solche zugewandten romantischen Liebespaare waren eine Spezialität der Albacini-Werkstatt und fußten auf dem Fragment einer dionysischen Stützgruppe, die von ihr als Bacchus und Ariadne „restauriert“ worden war (später Marbury Hall, heute Boston). Diese schnell populäre Gruppe wurde oft kopiert (heute z.B. Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid) und variiert – schien sie doch den Geschmack der Reisenden der Grand Tour zu treffen. So könnte ihr auch die hier gezeigte Carraragruppe von Vertumnus und Flora mit vorausdrängender Schrittstellung, klassisch exakter Gewandung und inniger Zugewandtheit der Figuren folgen. Zur Jahreszeitenallegorie ergänzt wird diese erste Gruppe durch eine zweite mit Ceres und Bacchus, die durch die Kontrastierung von Schrittstellung und Kontrapost fast idealtypische Gegensatzhal- tungen der antiken Skulptur demonstriert. Ähnliches ist auch im Halten und Stützen der noch rokokohaft gewundenen Füllhörner auszumachen, die früher wohl Leuchten trugen. Hier zeigt sich die Bedeutung der Werkstätten Cavaceppis und Albacinis, die um 1775, vom gekünstelten Rokoko aus, durch ihre Antikenrezeption und enorme Antikenkenntnis den Klassizismus von Canova und Thorvald- sen mit vorbereiteten, die nachfolgend das antike Ideal um den Schmelz des Sentiments bereichern sollten. SK

Dionysos und Ariadne aus der ehemaligen Mar- bury Hall Collection, 1./2. Jahrhundert n. Chr., um 1775 restauriert von Carlo Albacini, 88,9 cm, Museum of Fine Arts, Boston, Inv.-Nr. 68.770

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343 Arne Vodder Arne Vodder gehört neben Verner Panton zu den führenden Desig- 1926 – 2009 Kopenhagen nern der zweiten Generation des „Danish Modern“. Seine Arbeit ist charakterisiert durch ein Gefühl für originelle Details, die Verwen- dung natürlicher Materialien, das Spiel mit Farbe und die Zeitlosig- „Credenza“ – Sideboard (Model 29A). keit der Entwürfe. Nach einer Lehre als Schreiner studierte Vodder 1960 bis 1947 an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Kopen- hagen unter dem Architekten und Designer Finn Juhl, der ein enger Palisander, teilweise lackiert – Herstel- Freund und Kollege werden sollte. ler: P. Olsen Sibast Møbler, Insel Fünen. Vodders Stärke lag besonders im Entwerfen von Aufbewah - 80,9 × 249,9 × 46,8 cm rungsmöbeln. Schränke, Bücherregale und Anrichten, wie das Side- (31 ⅞ × 98 ⅜ × 18 ⅜ in.). In einer Lade board Nr. 29A, strukturierte er mit Vorliebe asymmetrisch. Der Ein - Plastikmarke: DANISH FURNITUREMA- satz farbiger Schubladen und die Holzverkleidung um die Metallbeine KERS' CONTROL / Sibast Furniture verweisen dabei auf den Einfluss seines bedeutenden Lehrers Finn Made in Denmark. Schlüssel vorhanden. Juhl. Überhaupt mag man sich an den klaren Linien, den klug durch- [3191] dachten Details und dem subtil gewählten Farbschema, das Akzente schafft, ohne aufdringlich zu wirken, gar nicht satt sehen. Der Ver- Provenienz zicht auf Griffe an den Schubladen, die durch das geschwungene Privatsammlung, Rheinland-Pfalz Material ersetzt werden, die flexible Aufteilung des Innenlebens, die beidseitig verwendbaren Schiebetüren (farbig oder in Holz gehalten) EUR 15.000–20.000 und der mögliche Einsatz als Raumteiler durch die mit gleicher Prio- USD 17,700–23,600 rität behandelte Rückwand machen das Möbel zu einem zeitlosen

Vergleichsliteratur Bygge og Bo, Nr. 3, September 1959, S. 5 / Mobilia, Nr. 78, Januar 1962 / Per H. Hansen und Klaus Petersen: Moderne dansk møbeldesign. Tenden- ser, hammerslag og historie. Gyldendal, 2007, Abb. S. 203f. Prachtstück, das für seine Originalität 1957 den ersten Preis auf der Triennale di Milano gewann und zu einer Ikone des modernen Designs avancierte. Das Sideboard wurde in verschiedenen Varian- ten produziert, aber diese hier ist ohne Frage die begehrteste. Der Möbelfabrikant Sibast, für den Vodder in den 1950er und 1960er Jahren arbeitete, gehörte in der Nachkriegszeit zu Dänemarks füh-

Danish Modern at its best. renden Herstellern von Stühlen, Tischen und Sideboards, weithin gepriesen für seine Auswahl moderner Designs und die Qualität ihrer Ausführungen. Das Familienunternehmen schaffte mit dem Sideboard Nr. 29A den Durchbruch auf dem amerikanischen Markt. Dank Sibast und George Tanier, der, mit einer Dänin verheiratet, eine entscheidende Sideboard Rolle bei der Einführung skandinavischen3191.10 Designs in den USA spielte, formten Vodders Entwürfe schon bald die ästhetische Silhouette im Weißen Haus, in den Büros der Ver- einten Nationen sowie in Hotels, Banken und Botschaften weltweit. KB

344 Umkreis des Hätte Sigmund „der Münzreiche“ nicht schon ein prachtvolles Epi- theton, er wäre vielleicht auch als „der Schlossreiche" in die Niclas Türing Geschichte eingegangen. Denn der Habsburger entwickelte Tirols Infrastruktur und ließ zahlreiche Residenzen errichten, die alle stolz sein Wappen trugen. d.Ä. Zuvor hatte sich Sigmund gegenüber seinem klammen kaiser- Gestorben 1517 lichen Vetter, dem eifernden Bischof von Brixen und den Tiroler Landständen behaupten müssen. Der Regent schuf eine Zentralver- Reliefwappentafel des Erzherzog waltung in Innsbruck und verlegte die landesfürstliche Münzstätte Sigmund von Österreich-Tirol – nach Hall. Im Rahmen einer Münzreform zog er die Prägerechte an genannt der Münzreiche (1427–1496). sich und ließ die erste Talermünze - den Guldiner - prägen, die den 1489 Wert eines Goldguldens hatte. Mit dem hier erwirtschafteten Geld aber zunehmend auch Zirbe, geschnitzt, polychrome Fassung. Schulden ließ Sigmund eine enorme Zahl von Schlössern und Burgen 88 × 66 × 4,5 cm (34 ⅝ × 26 × 1¾ in.). errichten, die seiner privaten Lust und der Landesverteidigung dien- Inschrift und datiert: Erzherzog Sig- ten. Sendungsbewusst benannte er diese als Sigmundsburg, Sig- mund zu Osterreich / Grave zu tirol / mundsegg, Siegmundsfried, Sigmundsruh, Sigmundsried oder Sig- Anno 1489. mundskron. Hier prangten jeweils Wappensteine, die den [3491] Hausherren als Grafen von Tirol - repräsentiert durch den roten Adler auf silbernem Schild - und als Erzherzog von Österreich - Provenienz repräsentiert durch den österreichischen Bindenschild und Erzher- Privatsammlung, Tirol zogshut - auswiesen. Aber auch in den Innenräumen, meist holzvertäfelten Stuben, EUR 18.000–20.000 gab es Wappentafeln, wie die hier gezeigte. Diese war augenschein- USD 21,200–23,600 lich in eine Vertäfelung eingelassen und folgt im Aufbau exakt dem steinernen Wappen Sigmunds am Münzertor von Burg Hasegg in Hall. Vergleichsobjekt Elegant gelenkte Herolde klettern hier wie dort durch das gotische Niklas Türing d.Ä.: Wappenstein des Laubwerk und halten jeweils das Federgestell der Helmzier. Erzherzog Sigmund und der Katharina von Sachsen, Sandstein, 1489, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Inv.-Nr. P556 Tirols stolzer Regent, Sigmund der Münzreiche, war auch Sigmund der Wappenreiche.

Der Wappenstein von Sigmunds Burg in Hall stammt aus der Werkstatt der Bildhauerfamilie von Niclas Türing und ist wie das Wappenrelief und der große Wappenstein vom Innsbrucker Neuhof auf 1489 datiert. Letzterer erinnert an die Hochzeit des Regenten mit Katharina von Sachsen, die jedoch kein Glück mehr für Sigmund brachte: Kinderlos, hochverschuldet wurde er 1490 von den Land- ständen entmachtet und gezwungen, Kaiser Maximilian I. zu adoptie- ren. Sigmunds Residenzen verfielen. Was bleibt sind sein strahlendes Epitheton und eine Zahl repräsentativer Wappen von Sigmund dem „Münz-, Schloss- und Wappenreichen“. SK

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345 Etruskisch

A Antefix. 6. Jahrhundert v. Chr. B Antefix – aus Cerveteri. 6. Jahrhundert v. Chr.

Grobgeschlämmter, glimmerhaltiger rötlichbrauner Ton Grobgeschlämmter, glimmerhaltiger beige-brauner mit Einschlüssen. 17,5 × 16 × 34 cm (6 ⅞ × 6 ¼ × 13 ⅜ in.). Ton mit Einschlüssen, heller Überzug. 21 × 17 × 14 cm [3341] (8 ¼ × 6 ¾ × 5 ½ in.). Rechtes Auge und Wange teilweise sowie Teile der Haarsträhnen ergänzt. Spuren von Provenienz Polychromie. [3341] Sammlung Holger Termer, Hamburg (1978) / Sammlung Inge- borg und Alfred Wurm (1927–2014), Hamburg (1991 in der Provenienz Kunsthandlung Holger Termer, Hamburg, erworben) Sammlung Holger Termer, Hamburg (1978) / Sammlung Ingeborg und Alfred Wurm (1927–2014), Hamburg (um 1990 EUR 2.000–3.000 in der Kunsthandlung Holger Termer, Hamburg, erworben) USD 2,360–3,530 EUR 2.000–3.000 Ausstellung USD 2,360–3,530 Holger Termer: Kunst der Antike. Ausst.-Kat., Galerie Neu- endorf, Hamburg, 1978, Kat.-Nr. 48, S. 65f. Ausstellung Holger Termer: Kunst der Antike. Ausst.-Kat., Galerie Vergleichsliteratur Neuendorf, Hamburg, 1978, Kat.-Nr. 49, S. 66 Kunst der Etrusker. Ausst.-Kat., Hamburg, 1981, Kat.-Nr. 76, S. 67 / Hansgerd Hellenkemper (Hg.): Die neue Welt der Griechen. Antike Kunst aus Unteritalien und Sizilien. Ausst.- Kat., Köln, 1998

Stirnziegel (Antefixa) gehören in die Gruppe der Architektur- mentiert ist, zeigt einen Frauenkopf im archaischen Stil mit Terrakotten. Sie überdeckten als Abschluss über der Trauf- melonenförmig gesträhnter, flach anliegender Haarkappe kante des Daches den Stoß der flachen Dachziegel in der über der hohen Stirn. Hinter den Ohren fällt ein Schleier- „Mönch und Nonne“-Dachdeckung. Die aufrecht stehende tuch (Lemniskos) herab, dessen gefältelte Zipfel den Hals Ansichtsfläche der Stirnziegel wurde als ornamentales oder einrahmen. Rötliche Farbspuren deuten auf die ursprüngli- figürliches Relief in Negativformen ausgebildet und bemalt. che Fassung des Inkarnats hin, Lider und Iris der großen Stirnziegel schmückten vor allem die Traufseiten großgrie- gewölbten Augen sowie die Brauen werden in einer dunklen chischer und etruskischer Heiligtümer und Grabbauten. Farbe betont gewesen sein. Kopfantefixa mit der Darstellung von Dämonen und mythi- Auch die ursprünglich starkfarbige, auf Weitsicht schen Frauen wie Mänaden oder Nymphen kam dabei außer angelegte Fassung des anderen Stirnziegels hat die Zeiten ihrer technischen und dekorativen Funktion auch unheilab- nicht überdauert. Der weibliche Kopf mit der dreieckig wehrende Bedeutung zu. angelegten Gesichtskontur zeichnet sich durch vorgewölbte Die Schauseiten unserer beiden Stirnziegel sind als übergroße Augen und eine stilisierte diademförmige Frisur nahezu vollplastische Frauenköpfe im Hochrelief ausgear- mit Mittelscheitel und Stirnfransen aus. Der Hals ist abge- beitet worden. Der eine Ziegel, dessen hinterer Teil frag- brochen, der hintere Ziegelteil aber erhalten. ME

346 Berliner Um Geld diebstahlsicher zu deponieren, haben sich schon unsere Vorfahren manches einfallen lassen. Ganz aus Eisen gefertigte Geld- Schlosser- truhen gab es bereits im 17. Jahrhundert, doch waren sie seit um 1840 immer weniger gefragt, als Geldschränke und Tresore in Mode kamen. meister Für ein Auslaufmodell aber ist unsere Truhe eine wirklich har- te Nuss. Nicht nur, dass sie aus polierten Eisenplatten zusammenge- fügt ist und mit einer doppelten Wandung aufwartet, die feuerhem- Geldkasse mit dem Relief des Paris und mend wirkt. Der Clou ist der Helena aus der Townely Collection. vielmehr das komplizierte Nach 1823 Deckelschlosssystem mit Mehrfachverriegelung. Eisen, gegossen, gewalzt; Stahl, Denn ein Trickschloss, geschnitten, poliert. damals Vexierschloss 66 × 70,5 × 55,5 cm genannt, macht es dem (26 × 27 ¾ × 21 ⅞ in.). Zwei Schlüssel Unbefugten, selbst wenn er vorhanden. [3220] im Besitz des Schlüssels ist, nahezu unmöglich, den Provenienz Deckel zu öffnen. In einer Privatsammlung, Niedersachsen (2010 genau bestimmten Reihen- aus einer Privatsammlung, Potsdam, folge sind verschiedene erworben) Hindernisse zu überwinden, um überhaupt das Schlüs- EUR 20.000–25.000 selloch freizulegen: Eine USD 23,600–29,400 Konsole ist an einer Seite herunterzudrücken, dort Vergleichsliteratur ein Gebälk zu verschieben und schließlich ein Zusatzschlüsselchen Katalog der Berliner Akademie-Aus- in eine verborgene Öffnung zu stecken – und damit nicht genug, es stellung. Berlin, 1839, Nr. 1218, S. 91 gibt auch Finten, bewegliche Elemente, die sich so geben, als hätten sie eine Funktion! Die Truhe bietet jedoch mehr als nur technisch anspruchsvolle Handwerkskunst. Sie ist ein durch und durch klassizistisch geform- tes Schauobjekt mit anspruchsschwerem Bildungscharakter. Geld- truhen solchen Formats wurden dem Publikum daher selbst auf Kunstausstellungen der königlichen Kunstakademie in Berlin prä- sentiert, wie 1839, als ein Bunzlauer Schlossermeister eine Geldkas- se „mit architektonischen und bildlichen Verzierungen“ zeigte. Der architektonisch gegliederte Aufbau unserer Geldtruhe mit ihren Löwenfüßen, Eckpilastern und dem Gebälk orientiert sich an der Antike, während die auf dem Schlüssellochkasten liegende Löwenfigur den 1822 entstandenen „Wachenden Löwen“ von Christi- an Daniel Rauch adaptiert. Der schreitende Löwe des rückseitigen Reliefs zitiert gar Vorlagen des dänischen Bildhauers Bertel Thor- valdsen. Das Frontrelief geht derweil direkt auf das Vorbild antiker Campana-Terrakotten zurück (z.B. Museo Nazionale Romana, Inv.- Nr. 62752), von denen sich die berühmteste Version im 18. Jahrhun- dert in der Sammlung des englischen Adeligen Charles Townley befand (heute British Museum London, Inv.-Nr. D 606). Man meinte, Pelops und Hippodameia in dem dargestellten Paar sehen zu kön - nen, oder auch den Raub der Helena durch Paris. Bereits 1767 mach- te Johann Joachim Winckelmann das Motiv in seinem Werk „Monu- menti antichi inediti“ (Bd. 1. Rom, 1767, Tafel 117) bekannt. Und auch der „Goethe-Tischbein“ hat ein solches Relief 1818/19 zeichnerisch festgehalten, was belegt, welche Bedeutung die Darstellung auf der geheimnisvollen Geldkassette hatte. JM

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347 Naum Die aus Kupfer, Messing und Silber geschmiedeten vier Objekte sind in der frühen Weimarer Bauhauszeit um 1920/21 entstanden. Dies Slutzky dokumentiert eine Schwarz-Weiß-Abbildung, wo sie neben der kugelförmigen Kupferdose, ein Gesellenstück von Naum Slutzky, zu Kiew 1894 – 1965 Stevenage (England) sehen sind. Die vier noch ganz im Sinne des von Walter Gropius 1919 verfassten Gründungsmanifests des Weimarer Bauhauses kunst- Krug mit drei Bechern. 1920/21 handwerklich geschmiedeten Gebrauchsgegenstände gelangten spätestens im Laufe des Jahres 1923 in den Besitz des Jenaer Phy- Kupfer, Messing, Silber, getrieben, sikers Karl Grebe. Es ist ihm und seinen Erben zu verdanken, dass mit Silberlot verlötet; innen verzinnt. die Gruppe eine eindeutige Zuschreibung an den für das 20. Jahr- 25,1 cm / 10,1 cm / 10,2 cm / 10 cm hundert bedeutenden Goldschmied und Designer Naum Slutzky (9 ⅞ in. / 4 in. / 4 in. / 3 ⅞ in.). Stand- erfahren kann. ring der Kanne von Wolfgang Tümpel Naum Slutzky wurde wohl auf Ittens Empfehlung hin im (1903–1978) hinzugefügt. Auf dem Stan- Dezember 1919 von Walter Gropius als Hilfsmeister für das Ziselier- dring eingraviert: DIESER RING WURDE und Goldschmiedehandwerk ans Weimarer Bauhaus berufen. Sein 1960 ZUGEFÜGT. [3272] Werdegang dort war geprägt vom Kompetenzgerangel zwischen Form- und Handwerksmeister, aber auch von Unstimmigkeiten mit Provenienz der Bauhausleitung. Per Sonderstellung konnte Slutzky im Privatbe- Physiker und Mäzen Karl Grebe (1901– trieb Schmuck fertigen. Der finanzielle Druck auf das Bauhaus 1980), Jena (1921 als Geschenk des wuchs damals stetig und führte schließlich zum 1923 von Walter Künstlers) / Seitdem Familienbesitz Gropius propagierten Richtungswechsel „Kunst und Technik – eine neue Einheit“. Unter diesem Motto sollten in enger Zusammenar- EUR 20.000–25.000 beit mit der Industrie am Bauhaus geeignete Modelle für die Serien- USD 23,600–29,400 produktion entworfen werden – eine Entwicklung, die Naum Slutzky nicht mehr mittrug: Anfang 1924 verließ er das Weimarer Bauhaus, Literatur und Abbildung um eigene künstlerische Wege zu gehen. Karl Grebe: Geboren am blauen Mon- Mit dem Jenaer Bauhausfreund und Kunstmäzen Karl Grebe tag. Erinnerungen. Pfullingen, 1973, war Slutzky vermutlich durch Paul Klee zusammengebracht worden. S. 128 / Kaus Weber (Hg.): Die Metall- Paul Klee leitete im Sommersemester 1922 anstelle von Itten als werkstatt am Bauhaus. Ausst.-Kat., Meister der Form die Metallwerkstatt. Auch Klee war ein Bewunde- Berlin, 1992, S. 13, Abb. 3 rer von Slutzkys Kunst und erwarb für seine Frau verschiedene Schmuckstücke von ihm. Karl Grebe, tätig bei Carl Zeiss in Jena, Vergleichsliteratur schrieb in seinen Memoiren über Slutzky: „Durch Zufall lernte ich Monika Rudolph: Naum Slutzky. Meister einen Bauhausmeister kennen, den Leiter der Werkstatt für Silber- am Bauhaus, Goldschmied und Desig- schmiede. [...] Wir freundeten uns an, aber da er oft in schwerer ner. Stuttgart, 1990, S. 34, Kat.-Nr. 4, Geldverlegenheit war, wurde ich ein hübsches Sümmchen an ihn S. 100f. / Rüdiger Joppien (Red.): Ein los. Aber ich bereue es nicht, in meiner Wohnung steht heute noch Bauhauskünstler in Hamburg. Naum eine schöne Arbeit von seiner Hand.“ Slutzky. Ausst.-Kat., Hamburg, 1995 Charakteristisch für die frühen Arbeiten der Metallwerkstatt am Bauhaus sind die Materialien Kupfer und Messing. Die Verwen- Wir danken Rüdiger Joppien, Hamburg, dung von Silber im Bereich des Mündungsrandes aller Gefäße für freundliche Hinweise. gewährleistete Geschmacksneutralität. Dass die drei Trinkbecher variieren, scheint auf eine experimentelle Entwicklung der Form hinzuweisen. Handwerklich und künstlerisch sensationell sind die stufenweise Einbeziehung der Materialien und ihre changierende Wirkung. 1960 wurde dem Krug durch den ehemaligen Bauhausschüler, Goldschmied und Designer Wolfgang Tümpel ein Standring hinzuge- fügt. Tümpel war für ein paar Monate Schüler in Slutzkys Bauhaus - werkstatt und später Freund der Familie Grebe. Aus Karl Grebes Memoiren geht hervor, dass Slutzky Grebe auch zu einem Atelierbe- such bei Johannes Itten animierte und mitnahm. Über Grebe, Itten, Slutzky und Tümpel schließt sich hier der Kreis zur frühen Bauhaus- zeit, in der auf vielfältige Weise künstlerisch, handwerklich und leh- rend experimentiert wurde. Naum Slutzky in seiner Werkstatt im Bauhaus Weimar, Fotografie, um 1920/21, Hochschule für Monika Rudolph, Stuttgart, Autorin des Werkverzeichnisses des Architektur und Bauwesen, Weimar, Inv.-Nr. III 36 Künstlers

348 Ligier Richier Bei dem Bildwerk handelt es sich um ein besonders qualitätvolles Saint-Mihiel um 1500 – 1566/67 Genf Zeugnis der durch italienische Renaissancekünstler geprägten Stil- auffassung, die in Frankreich seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhun- derts Verbreitung fand. Die Engelsfigur ist wahrscheinlich um 1550 in Harfe spielender Engel aus einer den damals noch nicht zur französischen Krone gehörigen Herzog- Geburt-Christi-Darstellung. Um 1550 tümern Lothringen und Bar entstanden und lässt sich dort dem überragenden Hofbildhauer Ligier Richier zuschreiben, dessen Kalkstein, tief ausgearbeitetes Relief. bekanntestes Werk die Darstellung des Prinzen René de Chalon als 22,8 × 27 × 10 cm (ohne Sockel) Skelett an der Grabstätte seines Herzens in Saint-Etienne in Bar-le- (9 × 10 ⅝ × 3 ⅞ in. (without base)). Res- Duc ist. Wenn es um unmittelbare künstlerische Voraussetzungen te polychromer Fassung. [3010] für Richier geht, ist vor allem auf Arbeiten in Frankreich tätiger Itali- ener wie der Brüder Antoine und Jean Juste hingewiesen worden, Provenienz die das Grabmal für König Ludwig XII. und dessen Gemahlin Anne de Schloss- und Kollegiatskirche Saint- Bretagne in der Abteikirche von Saint-Denis schufen. Prägende Orte Maxe in Bar-le-Duc, Meuse (bis 1792) / für Richier, an denen eine italienisch inspirierte Stilauffassung Privatsammlung, Rheinland-Pfalz (1976 dominierte, waren zum Beispiel das Schloss von Gaillon in der Nor- in der Black-Nadeau Gallery, Monte- mandie und vor allem das große Schlossprojekt der Könige Franz I. Carlo, Monaco, erworben) und Heinrich II. in Fontainebleau. Nach Fontainebleau beriefen die Maler Rosso Fiorentino und Francesco Primaticcio unter anderem EUR 20.000–25.000 den Florentiner Bildhauer Domenico del Barbieri, der auch in der USD 23,600–29,400 Champagne, in Troyes, bedeutende Zeugnisse hinterließ. Die Zuschreibung des Harfe spielenden Engels an Richier Vergleichsliteratur stützt sich zunächst auf den Vergleich mit dem Engel in der großfigu- Paul Denis: Ligier Richier. L’artiste et rigen Grablegung Christi in der Kirche Saint-Etienne in Saint-Mihiel son œuvre. Paris und Nancy, 1911 / an der Maas, einem weiteren Hauptwerk des Künstlers. Dort ent- Ligier Richier et la sculpture en Lorrai- deckt man neben Übereinstimmungen in Gesichtstypus und Locken ne au XVIe siècle. Ausst.-Kat., Bar-le- insbesondere eine ähnlich geschmeidige Faltengebung des Peplos Duc, 1985 / Jean-René Gaborit (Hg.): und eine nahezu identische Federstruktur am sichtbaren Flügel. Sculpture française. II, Renaissance et Eine noch nähere Verwandtschaft scheint zu zwei fliegenden Engeln Temps Modernes. Paris, 1998, Bd. 2, im Louvre zu bestehen, die – 31,3 bzw. 37,3 cm hoch – in der Größe S. 567 / Noëlle Cazin und Marie-Agnès dem Harfenspieler vergleichbar sind. Die Engel im Louvre besaßen Sonrier (Hg.): Ligier Richier. Un sculp- ursprünglich ebenfalls einen flachen Reliefgrund und sollen aus der teur lorrain de la Renaissance. Nancy, Schloss- und Kollegiatskirche Saint-Maxe in Bar-le-Duc herrühren, 2008 die 1792 zum Abriss freigegeben wurde. Nach Quellen des 18. Jahr- hunderts gab es in der dortigen Chapelle des Princes mehrere Skulpturen Richiers. Die Engel im Louvre gelten heute eindeutig als Werke von Richier. Angesichts der stilistischen Nähe zueinander ist die Frage berechtigt, ob der Engel mit der Harfe und die beiden fliegenden Engel in Paris, die allesamt Polychromierungsreste aufweisen, aus demselben Zusammenhang stammen können. Anknüpfungspunkte ergeben sich auch von der Überlieferung her, denn in der Chapelle des Princes befanden sich von der Hand Richiers die Darstellungen der Verkündigung an Maria und der Geburt Christi sowie eine Kreu - zigungsgruppe. Mit der Geburtsszene ist ein ebenfalls im Louvre aufbewahrter Christusknabe (Inv.-Nr. ML 147) in Verbindung zu brin- gen. In den Quellen heißt es, dass die Bildwerke Richiers in der Kapelle einer speziellen Oberflächenbehandlung, vielleicht in Enkaustik-Technik, unterzogen wurden, so dass sie wie aus Marmor geschaffen glänzten. Tatsächlich ist an dem Jesuskind eine frühere Wachsbeschichtung nachweisbar. Ob dies allerdings für den gesam- ten bildnerischen Dekor oder nur für die Hauptfiguren galt, bleibt noch zu klären.

Hartmut Krohm, ehemaliger stellvertretender Direktor der Skulptu- rensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst der Staatli- Ligier Richier: Fliegender Engel, um 1550, Louvre, Paris, Inv.-Nr. ML 36 chen Museen zu Berlin

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349 Lichtträger- „Ein schöner Lichtträger birgt so viele Geheimnisse in sich, ganz zu schweigen von seiner plastischen, malerischen und architektoni- fabrik Schwint- schen Wirkung, welche selbstverständlich ist.“ Der Berliner Archi- tekt Franz Haegele geriet ins Schwärmen, wenn er über moderne Leuchtkörper sprach. Immer wieder publizierte er dazu, kleine, auf- zer & Gräff, rüttelnde Texte, focht für den guten Geschmack, die Anerkennung qualitätvollen Kunsthandwerks. Und führte dabei stets ansprechen- Berlin de Beispiele an: seine eigenen Entwürfe. Tätig 1864 – 1944 Auch diese Deckenlampe gehört zu einer Reihe verwandter Kronleuchter, die Franz Haegele entwarf. Wie bei unserem kleinen Kronleuchter zu sechs Armen – Leuchter gibt es auch bei einigen anderen Beispielen das Motiv der Entwurf: Franz Haegele. Um 1925 aus Metall gefertigten, plissierten Lampenschirme, die sich nach oben öffnen und aus denen dann – wie bei einem Blütenkelch der Messing, gegossen, gestanzt, versilbert. Stempel – die Glühbirnen emporragen. Die sechs aparten Schirm- 111 cm; Ø 45 cm (43 ¾ in.; Ø 17 ¾ in.). chen sitzen dabei auf schmalen Mondsicheln und sind jeweils über Restauriert. [3097] einen kleinen Steg mit kantigen vertikalen Stäben verbunden, die unten nach innen einschwingen und oben leicht auskragen. Wo Steg Provenienz und Stab verbunden sind, sitzt seitlich jeweils eine kleine Blüte. Ein Privatsammlung, Berlin weiterer kleiner Steg koppelt eine große, sich nach oben öffnende Sichel an eine große Kugel, von der aus der Leuchterschaft nach EUR 5.000–7.000 oben ragt, wo wiederum eine kleinere Kugel mit spitzer Zackenkrone USD 5,890–8,240 sitzt. Hier sind sechs schwungvolle Schlaufengebilde angefügt, die das sichelförmige Motiv erneut aufgreifen und mit je einem der an Vergleichsliteratur der Spitze leicht auskurvenden, senkrechten Stäbe verbunden sind. Musterkatalog der Firma Schwintzer & „Konstruktive Leichtigkeit, freudige, frische, lebendige For- Gräff. Fabrik für Beleuchtungskörper. men der Gestänge“ wünsche man sich von modernen Lampen, Berlin, 1929, Modell-Nr. 3712 / erläuterte Haegele seine Designs. Um 1915 herum begann er für Franz Haegele: Heutige Lichtträger. In: Schwintzer & Gräff in Berlin Lampen und Leuchten zu entwerfen. Zu Innendekoration, Jg. 45 (1934), S. 366f. jener Zeit war das 1864 von Wilhelm Gräff und Karl Schwintzer / Karl H. Bröhan (Hg.): Metallkunst. Sil- gegründete Unternehmen bereits äußerst gefragt. Produkte der Fir- ber, Kupfer, Messing, Zinn. Vom ma beleuchteten in Berlin etwa die Bar des legendären Hotels Eden Jugendstil zur Moderne (1889-1939). und das so populäre wie riesige Café Moritzplatz, das im ersten, von Ausst.-Kat., Berlin, 1990, S. 438–443 Alfred Messel für Wertheim in der Oranienstraße realisierten Kauf- haus der Stadt eingerichtet worden war. Auch das Haus Vaterland „Ein schöner Lichtträger birgt so viele Geheimnisse in sich.“

und die 1927 fertiggestellte Wertheim-Erweiterung am Leipziger Platz wurden durch die Firma ausgestattet. Franz Haegele sollte bis in die frühen 1930er Jahre hinein der maßgebliche Designer bei Schwintzer & Gräff bleiben. Auch danach schuf er, nun für die Spinn Beleuchtungskörper GmbH, weiterhin erfolgreich seine markanten Lichtskulpturen. KG

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350 Japanisch, Was mag sich in diesem kunstvoll lackierten „Geschenk“ wohl einst befunden haben? Der fast quadratische Kasten wurde zur Aufbe- Edo-Zeit wahrung persönlicher Utensilien (tebako) benutzt. Der besondere Typus des roteckigen Kastens (sumiaka tebako) war zu Beginn der 1603 – 1868 Edo-Zeit beliebter Bestandteil umfangreicher Brautaussteuer-Sets, zu denen unterschiedlich große Kästen wie Kosmetikdöschen und Toilettekasten mit roten Ecken – solche für Spiegel ebenso gehörten wie Duftspiele oder Schreibkäs- Sumiaka Tebako (角赤手箱). ten. Sie wurden sämtlich en suite in kostbarer Streulackmanier 18./19. Jahrhundert gefertigt und dienten der Repräsentation. Ursprünglich konnten sich derart kostspielige Ausstattungen nur adelige Familien leisten, Schwarz- und Rotlack; Streugold mit dem Erstarken der urbanen Kultur der Edo-Zeit wurden sie und Textil auf Holz; Kupferblech. jedoch auch in wohlhabenden Kaufmannsfamilien populär. 35 × 40 × 38,5 cm Unser Kasten entspricht in Form und Dekor dem gängigen (13 ¾ × 15 ¾ × 15 ⅛ in.). Typus mit leicht gewölbtem Überfangdeckel. Außen wird ein hellrot Eine innere Ecke des lackierter Leinengrund durch Aussparungen an Ecken und Rändern Kastens mit Riss. [3564] von Deckel und Kasten sichtbar. Besonders dekorativ erscheinen die kleinen herzförmigen Durchbrüche zu beiden Seiten der Ecken. Das Provenienz elegante Dekor des Kastens zeigt die bei diesem Kastentypus häufi- Captain Joseph J. Lynch (1911–1988), gen Motive: prachtvolle Herbstblätter mit luftigen chinesischen USA (1961 in der Kunsthandlung Ranken (karakusa). Yokohama Inc., Kyoto, erworben) / Die rhythmische Bildsprache von fein gestreuten, tonal variie- Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen renden Goldflächen auf schwarzem Grund entspricht noch ganz der sanft schimmernden Farbigkeit der Kôdaiji-Lacke, die ab dem spä- EUR 3.000–5.000 ten 16. Jahrhundert aufkamen. Blattadern und Konturlinien einzel- USD 3,530–5,890 ner Bildelemente sind mittels dicht gestreutem, feinem Goldpuder (keuchi) gestaltet, ganz charakteristisch in Kombination mit den Vergleichsliteratur und -objekte Dekortechniken des Aussparens (kakiwari) und des Nadelritzens Beatrix von Ragué: Geschichte der (harigaki). Möglicherweise entstand die raffinierte Oberflächenge- Japanischen Lackkunst. Berlin, 1967, staltung der Kästen mit roten Ecken in Anlehnung an Metallbeschlä- S. 227, Abb. 142 / Christine Shimizu: ge von Kästen und Truhen. Der Einfluss von Lacktraditionen aus Chi- Les Laques du Japon. Paris, 1988, S. na und Ryūkyū ist ebenfalls denkbar. Die frühesten Toilettekästen 184 / James C. Watt und Barbara Bren- mit rot abgesetzten Ecken sind für das 14. Jahrhundert nachweisbar, nan Ford: East Asian Lacquer. The Flo- allerdings noch ohne die flamboyante Kombination mit Streulackde- rence and Herbert Irving Collection. kor in Gold. New York, 1991, S. 223, Nr. 103 / Antje Der kraftvolle Farb- und Materialkontrast der Kästen mit roten Papist-Matsuo: A Japanese Taste for Ecken entsprach ganz dem dynamisch-innovativen Kunststil der Lacquer. Eine japanische Leidenschaft. Momoyama- und der The Klaus F. Naumann Collection. frühen Edo-Zeit. Die Berlin, 2006, S. 60–63, Nr. 20 und 21 ruhige und übersicht- (Inv.-Nr. N73 und N150) liche Anordnung der Bildkomposition unseres Kastens weist auf eine Entstehungs- zeit im 18. oder 19. Jahrhundert hin, wofür auch die helle Rotlackierung und die reduzierte Farbigkeit d e s G o l d e s s p r i c h t .

Antje Papist-Matsuo, Freie Universität Ber- lin

Rechnung der Kunsthand- lung Yokohama an vom 1. März 1961

Grisebach — Herbst 2017 Dieser Kasten ist „karei“, denn dies steht für prachtvoller Glanz und großartige Pracht. „The special quality of beauty in crafts is that it is a beauty of intimacy.“ Yanagi Sōetsu, 1972

351 Japanisch, Dieses visuell äußerst reizvolle, skulptural anmutende Objekt ent- stammt der japanischen Gebrauchskunst des 19. Jahrhunderts. Es Meiji-Periode ist eine aus der Gabelung des Stamms einer Japanischen Zelkove (keyaki) geschnitzte massive Halterung für einen Kesselzug, die über 1868 – 1912 der zentralen offenen Feuerstelle eines Bauernhauses (minka) an den Dachbalken angebracht war. Der Kesselzug wiederum diente Haken für einen Kesselzug der Aufhängung von Kochtöpfen und eisernen Teekesseln. (jizaikake 自在掛) – Ebisu-Typ (恵比須). Der formschöne Haken besitzt abgekantete Flächen und zwei 19. Jahrhundert kleine Griffe an der Seite als Hängevorrichtung. Durch jahrelangen Gebrauch des Kettenzuges haben sich an der inneren Biegung des Keyaki-Holz (zelkova serrata). Hakens tiefe Kerben in das prachtvoll patinierte Holz eingedrückt, 44 × 43 × 25 cm (17 ⅜ × 16 ⅞ × 9 ⅞ in.). die von der Stabilität und durchdachten Funktionalität des rustika- [3093] len Objekts zeugen. Haken für Kesselzüge in Angelhakenform haben sich seit der Provenienz Edo-Zeit (1603–1868) als Ebisu-Typ tradiert. Benannt ist dieser Sammlung des Linguisten Irwin Hersey Typus nach dem shintoistischen Gott Ebisu, einem der Sieben (1920–2009), New York (zwischen 1945 Glücksgötter (shichi-fukujin), der als Schutzgottheit aller Berufe, und 1948 in Japan erworben) / Privat- insbesondere aber der Fischer, Bauern und Händler gilt. Zu seinen sammlung, Schweiz (1980er Jahre Attributen zählen Angelrute und Fisch. direkt von Hersey erworben) Im Japan der Edo- und der Meiji-Zeit besaßen alle traditio- nellen Wohnhäuser, speziell Bauernhäuser und Ladengeschäfte, EUR 4.000–6.000 einen zentralen Platz, der um eine in den Boden eingelassene Feu- USD 4,710–7,070 erstelle mit glühender Kohle (irori) angelegt war. Hier war das Herzstück des Anwesens, das der Familie wie Gästen und Kunden Vergleichsliteratur des Hauses Wärme und Geborgenheit schenken sollte. An expo- Robert Moes: Mingei. Volkskunst aus nierter Stelle für jedermann sichtbar, waren hier die Haken für dem alten Japan. Ausst.-Kat., Zürich, Kesselzüge befestigt. Die Haken wurden daher mit besonderer 1993, Kat.-Nr. 57 / Michael Dunn: Tradi- Sorgfalt und aus wertvollem, beständigem Holz mit prägnanter tional Japanese Design. Five Tastes. Maserung hergestellt. Ausst.-Kat., New York, 2001, Kat.-Nr. 10 Mit seiner schlichten Schönheit ist unser hölzerner Haken ein repräsentatives Objekt der japanischen Volkskunst Mingei, die sich durch Einfachheit und Robustheit (soboku), aber auch durch hand- werkliche Meisterschaft, eindrucksvolle Gestaltung und ausgewähl- te Materialien auszeichnet. Von Kunstliebhabern wird sie bis heute als Ausdruck japanischer Formvollendung geschätzt. Der Haken stammt aus dem Besitz des Sammlers und Autors Irwin Hersey in New York, der im Zweiten Weltkrieg als japanischer Sprachwissenschaftler ausgebildet wurde und 1945 bis 1948 in Tokio als Generalstabschef von General Douglas MacArthur arbeitete.

Antje Papist-Matsuo, Freie Universität Berlin

352 Man Ray Da sitzen sie, hoch über den Dächern von Paris. Beide konzentriert, Philadelphia 1890 – 1976 Paris ja angespannt fast. Der eine, Marcel Duchamp mit windzersaustem Haar, setzt eine Figur, der andere, Man Ray, reagiert zunächst fas- sungslos und empört sich dann. Beschwichtigende Geste von Schachspiel für Juliet Man Ray – Duchamp, Man Ray lehnt sich wieder etwas zurück. Es ist eine kleine Unikat. 1964 Szene nur in dem ohnehin kurzen avantgardistischen Film „Entr'acte“, der 1924 als Zwischenspiel zu Francis Picabias Ballet- Elfenbein, geschnitzt, teilweise tinszenierung „Relâche“ nach dessen Ideen entstanden war. Regis - gefärbt; Kassette (7,5 × 51,5 × seur René Clair zeigt die beiden Künstler als Schachspieler. Und tat- 37,7 cm) aus Eichenholz und Wollstoff. sächlich trafen sich Man Ray und Duchamp zu jener Zeit regelmäßig Spielsteine von 10–5 cm (3 ⅞–2 in.). zu Partien am Brett. Dessen strenges Raster – für Man Ray „Ursprung Signiert und datiert auf der Unterseite und Ziel aller Kunst“ – animierte Man Ray schon früh zu ersten foto- des weißen Königs: Le ROi Man Ray grafischen Experimenten. Bereits in den 1920er Jahren entwarf er 1964 KING. Mit einem Zertifikat von dann auch Schachspiele, reduzierte die Figuren des bereits seit dem Timothy Baum vom 20. Februar 2015 (in Mittelalter in Europa verbreiteten Spiels auf simple geometrische Kopie). [3017] Formen. Das hier vorgestellte Figurenset schuf Man Ray 1964 für seine Provenienz Frau Juliet, zeitlebens Gefährtin und Muse für ihn. Es ist ein in Mate- Juliet Man Ray (1911–1991) (1964 als rial und Gestalt herausragendes Unikat. Schmeichelnd liegen die Geschenk des Künstlers) / Deren Figuren in der Hand. Sie sind allesamt aus Elfenbein gefertigt und Freundin Elsa Combe-Martin (gest. schon allein dadurch einzigartig in Man Rays Œuvre. Unter dem Fuß 1998) / Privatsammlung, New York (1967 des weißen Königs befindet sich eine Signatur: „Le ROi – Man Ray – als Geschenk des Vorbesitzers) 1964 – KING“. Auch der schlichte hölzerne, mit grauem Wollstoff ausgeschlagene Koffer, in dem die 32 Figuren aufbewahrt werden, EUR 50.000–70.000 wurde von Man Ray designt. USD 58,900–82,400 Im Gegensatz zu diesem außergewöhnlichen Figurenreigen waren für den frankophilen Amerikaner manche seiner zum Teil in Literatur und Abbildung Serie aufgelegten anderen Schachspiel-Designs zeitweilig vor allem Jean-Hubert Martin: Man Ray. Objets eins: eine Einnahmequelle. Insbesondere nach seiner Flucht 1940 de mon affection. Paris, 1983, S. 161 aus Paris, als er mit knappen Mitteln und recht isoliert von den dor- tigen Künstlerkreisen in Hollywood lebte. Hier lernte er Juliet Brow- Vergleichsliteratur ner kennen, 1946 heirateten sie – übrigens in einer Doppelhochzeit Larry List (Hg.): The Imagery of Chess mit Max Ernst und Dorothea Tanning, beide ebenfalls passionierte Revisited. New York, 2005, S. 44f. Schachspieler. Jennifer Mundry (Hg.): Man Ray. Die Freiheit des Künstlers und die Regeltreue des Schachspie- Writings on Art. Los Angeles, 2016 lers stellten keinen Widerspruch für Man Ray dar. Wie kommentierte er das doch gleich selbst? In unserer Auktion 279 „Moderne und „The player poses a prob- Zeitgenössische Fotografie“ wird unter lem. The painter gives you Los-Nr. 2204 das Foto von Michel Sima the solution.“ Vielleicht „Marcel Duchamp et Man Ray“ angebo- ließ Picabia, der Maler, ten. genau deshalb in der ein- gangs erwähnten Filmsze- ne die strenge Ordnung plötzlich durch einen Was- serstrahl stören, der das Brett stürzte und die Figu- ren durcheinanderwirbel- te. Schachmatt! KG

Grisebach — Herbst 2017

Karen Grunow Die Bonner Republik geschockt, die Designgeschichte bereichert: Egon Eiermanns Möbel für den Deutschen Bundestag

„Es war der nächstliegende Gestus, aus der hingestreckten Bonner Rheinuferlandschaft abrupt hinauszuweisen und mit der banal beanspruchten Vertikalen ein Signal zu set- zen: Achtung, Hauptstadt!“ – Nun, das war einmal. Indes, da hatte der Architekturkriti- ker Heinrich Klotz recht, der Lange Eugen ist als Hochhaus noch immer ein demonstrati- ver Zeigefinger, mittlerweile aber auch nicht mehr der einzige in der Rheinaue. 112 Meter hoch, 31 Geschosse, mit 570 Büros und zwanzig zweigeschossigen Sitzungssälen für die Abgeordneten des Bundestages wurde der Bau 1969 nach Plänen Egon Eiermanns fertiggestellt. Das prompt nach dem etwas klein geratenen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier benannte Bauwerk weist außen und innen eine in Material und Details so qualitätvolle wie klare Struktur auf. Zwischengeschosstreppe mit Sitz- gruppe und Paravent. In: Deutsche Für den Architekten Eiermann galt: „Innen Bauzeitschrift und Außen können nicht Gegensätze sein, sie stehen in ständiger Wechselwir- kung.“ Diesen Grundsatz befolgte er auch in seinen Entwürfen für das Mobiliar des ehemaligen Abgeordnetenhauses, das heute von den Vereinten Nationen genutzt wird. Im Erdgeschoss des Gebäudes befand sich das Postamt mit den Schließfä- chern der Abgeordneten (Kat.-Nr. 353). Die aus vierkantigem Stahlrohr geformten hohen Beine des zwölftürigen Schranks greifen das Motiv der freistehenden Stahlstützen der Erdgeschossebene des Hochhauses auf. Es ist genau dies, das Konstruktive, mithin auch Industrielle, das dem Postfachschrank mehr als die rei- ne Funktion zuweist. Er fügte sich als bewusst gesetztes Raumelement perfekt ein in das Eiermann-Prinzip aus Linien, Formen und gezielten Wiederholungen. Die Sessel (Kat.-Nr. 356), die im Foyer und vor den Abgeordnetenbüros standen, sind eine extra für den Langen Eugen konzipierte Variante des bereits 1958 von Eiermann entwickelten Armlehnsessels SE 122 A, dessen typische Ele- mente – Polsterung, konische Beine, die durch die Seitenzarge gezogenen Gurte der Bespannung und seitlich aufsitzende Diagonalstreben – etwa auch für die Berliner Gedächtniskirche und das Kanzleigebäude der Deutschen Botschaft in Washington abgewandelt wurden. Schreibpulte (Kat.-Nr. 354) gab es ebenfalls in der großen, lichten Eingangshalle. Objekte wie das nachfolgend präsentierte dagegen befanden sich in Fluren und hatten deshalb auch eine integrierte Beleuchtung. Die eigens für das Bonner Hochhaus entwickelten Paravents (Kat.-Nr. 355) waren ursprünglich in drei Farben – Weiß, Grün und Orange – in den Foyers auf- gestellt worden. Auch diese Raumteiler sind in gewisser Weise eine Variation.

Grisebach — Herbst 2017 Eiermann scheint hier japanische Faltschirme neu interpretiert zu haben. Ohne- hin war der Lange Eugen durchdrungen von einer fast japanisch anmutenden Klarheit. Die Proportionen, der stete, zugleich harmonisch-symmetrische Wech- sel von Rechtecken und Quadraten, sorgten für eine Ästhetik der Konzentration. Feingliedriges Stahlrohrgitterwerk außen, filigrane Verstrebungen bei den Möbeln innen. Sie würden „das Leichte, das Ablesbare, das konstruktiv Klare, das Heitere, das Einfache und Unprätentiöse“ seiner Architekturvorstellungen zeigen, sagte seine Frau Brigitte über Eiermanns Möbelentwürfe. Die Leichtigkeit aller- dings war Eiermann bei dem Projekt, dem Provisorium einer Bundeshauptstadt in Bonn endlich nachhaltig Gestalt zu geben, schnell abhanden gekommen. „Parla- mentarier-Silo“, ätzte der Spiegel. Viel Schelte galt ihm, doch sie war nicht gerechtfer- tigt. „Niemand hatte die Absicht, ein Hochhaus zu bau- en, niemand konnte aber etwas anderes bauen als ein Hochhaus, um den geradezu wahnwitzigen Bedingungen Folge zu leisten“, verteidigte sich Eiermann 1969 in einem Brief an die FAZ. Ein 1962 ein- berufenes Planungsgremium, dem neben Eiermann auch Paul Baumgarten und Sep Ruf angehörten, hatte Ideen für ein neues Regierungszentrum entworfen, das sich in niedri- gerer Bebauung der offenen Landschaft besser anpassen sollte. Realisiert wurde aber stattdessen nur Egons Eugen. Eiermanns Fazit jedenfalls nach den aufreibenden Jahren mit der Bauherrin Bundesre- publik war eindeutig: „Nie wie- der Bonn!“ Unser Fazit ist es auch: Immer wieder Eier- mann!

353 Egon Eiermann Neuendorf (Potsdam-Babelsberg) 1904 – 1970 Baden-Baden

Postfachschrank für den Deutschen Bundestag in Bonn. Vergleichsliteratur 1968 Johannes Rossig: Neubau eines Bürohauses für den Deut- schen Bundestag. In: Die Bauverwaltung, Jg. 15, Heft 7 Nussholz, auf Tischlerpatte furniert, teilweise grün lackiert; (Juli 1966), S. 394–399 / Das Abgeordneten-Hochhaus in Kunststoff; Vierkantstahlrohr, lackiert – Hersteller: wohl Bonn. In: Deutsche Bauzeitschrift, Jg. 20 (1972), Heft 9, Honeta. 189 × 121 × 50 cm (74 ⅜ × 47 ⅝ × 19 ⅝ in.). Paar S. 1583–1590 / Heinrich Klotz: Ikonologie einer Hauptstadt – Schlüssel (für Einzelfächer) und Einzelschlüssel (Jalousie) Bonner Staatsarchitektur. In: Martin Warnke: Politische vorhanden. [3191] Architektur. Köln, 1984, S. 399–416 / Brigitte Eiermann: Möbel und weitere Entwürfe. In: Wulf Schirmer (Hg.): Egon Provenienz aller Eiermann 1904–1970. Bauten und Projekte. Stuttgart, 1984, Deutscher Bundestag, Bonn – Abgeordnetenhochhaus S. 253–283 / Egon Eiermann. Briefe des Architekten 1946- „Langer Eugen“ / Privatsammlung, Hessen (1999 vom 1970. Karlsruhe, 2009 Deutschen Bundestag erworben)

EUR 5.000–7.000 USD 5,890–8,240

354 Egon Eiermann Neuendorf (Potsdam-Babelsberg) 1904 – 1970 Baden-Baden

Schreibpult für den Deutschen Bundestag in Bonn. 1970 EUR 7.000–9.000 USD 8,240–10,600 Nussholz, auf Tischlerpatte furniert; Kunststoff; Linoleum; Vierkantstahlrohr, lackiert; verchromtes Metall; Leuchtmit- Vergleichsliteratur tel - Hersteller: wohl Gustav Veith. 139,6 × 129 × 71 cm Egon Eiermann. Die Möbel. Ausst.-Kat., Karlsruhe, (55 × 50 ¾ × 28 in.). Seitlich zwei TÜV-Etiketten / Unter 1999, S. 171 der Platte Inventarmarke: Deutscher Bundestag. Schlüssel vorhanden, Schreibunterlage abnehmbar. [3191]

355 Egon Eiermann Neuendorf (Potsdam-Babelsberg) 1904 – 1970 Baden-Baden

Paravent für den Deutschen Bundestag in Bonn. 1968 Vergleichsliteratur Arno Lappal: Abgeordneten-Hochhaus Bonn. In: Architektur Oregon Pine, Segeltuch – Hersteller: Firma Klaer, Speyer. + Wohnwelt, Jg. 80, Heft 6 (1972), S. 358–369 / Wulf Schir- 172,5 × 440 cm (faltbar (67 ⅞ × 173 ¼ in. (foldable)). In Blei- mer (Hg.): Egon Eiermann 1904–1970. Bauten und Projekte. stift: 13. Etg. Die Schnüre erneuert. [3191] Stuttgart, 1984, S. 232 / Egon Eiermann. Die Möbel. Ausst.- Kat., Karlsruhe, 1999, S. 168f., Nr. 59 EUR 5.000–7.000 USD 5,890–8,240

356 Egon Eiermann Neuendorf (Potsdam-Babelsberg) 1904 – 1970 Baden-Baden

Paar Polstersessel für den Deutschen Bundestag in Bonn (Modell SE 12 – nach dem Modell SE122 A von 1958). 1969

Teak, teilweise lackiert; Leder – Hersteller: Wilde & Spieth, Esslingen. Jeweils 71,7 × 84,5 × 78 cm (28 ¼ × 33 ¼ × 30 ¾ in.). [3191]

EUR 3.000–4.000 USD 3,530–4,710

Vergleichsliteratur Wulf Schirmer (Hg.): Egon Eiermann 1904–1970. Bauten Hier saß die und Projekte. Stuttgart, 1984, S. 232 / Egon Eiermann. Die Möbel. Ausst.-Kat., Karlsruhe, 1999, S. 115f. Bonner Republik.

357 Giovanni Opulenteste eklektische Assemblagen aus griechisch-römischen, etruskischen und vor allem ägyptischen Elementen – so lässt sich Battista das 1769 erschienene Radierwerk „Diverse maniere d'adornare i cammini“ des Architekten und Künstlers Giovanni Battista Piranesi wohl am besten umschreiben. Auf 66 Tafeln, von denen uns hier 23 Piranesi vorliegen, entwirft der Künstler geradezu exzentrisch wirkende Mogliano Veneto 1720 – 1778 Rom Kamineinfassungen, Wand- und Möbeldekorationen, an denen man sich kaum satt zu sehen vermag. „Diverse maniere d'adornare i cammini Von den Zeitgenossen und der Nachwelt wurde das üppige ed ogni altra parte degli edifizi desunte Konvolut wenig beachtet. Allzu sehr stand es im Schatten von Pira - dall'architettura Egizia, Etrusca, nesis geheimnisvollen Carceri und monumentalen, römischen Vedu- e Greca“ – 23 Blätter. 1769 ten. Piranesi ist mit dem Werk trotzdem ein Coup gelungen: Jahr- zehnte bevor die Ägyptomanie in der Kunst um sich griff und der Radierung auf Bütten – gedruckt bei Empire-Stil aufblühte, verwendete er für seine Entwürfe deren stil- Stamperia Salomoni, Rom. Im Passe- bildende Elemente: Mischwesen, Hieroglyphen, Figuren in ägypti- partout: 40 × 52 cm / Ohne Passepar- scher Tracht, Schmuckfriese. Das Vorwort zu den „Diverse maniere“ tout: 38,5 × 45,8 cm (15 ¾ × 20 ½ in. / verfasste Piranesi in den drei Sprachen Italienisch, Englisch und without passepartout: 15 ⅛ × 18 in.). Französisch. Seine Leser wurden darin von ihm über die Vorzüge der Enthaltene Blätter: 11, 15 (in Feder), 18, etruskischen und ägyptischen Architektur belehrt und erfuhren, 19, 21, 26, 27, 28, 32, 33, 35, 36, 37, 38, dass sie die Kamineinfassungen nach seinen Entwürfen auch bei ihm 39, 43, 45 (in Feder korrigiert 46), 46, erwerben konnten. Es gab Reisende, die solche Einfassungen als 47, 48, 49, 52, 55. Fünf Blätter gerahmt, Erinnerung von ihrer Grand Tour mit nach Hause brachten. 16 unter Passepartout, zwei lose. [3376] Wer aber nicht in der Lage war, die aus Marmor und antiken Versatzstücken konstruierten Kamine zu erstehen, konnte mit den Provenienz „Diverse maniere“ zumindest eine nicht minder gewichtige visuelle Privatsammlung, Bayern (1970er Jahre Entschädigung in seinen Besitz bringen. SvdH in der Galerie Carroll, München, erworben)

EUR 7.000–9.000 USD 8,240–10,600

Vergleichsliteratur Susan M. Dixon: Giovanni Battista Piranesi's Diverse maniere d'adornare i cammini and Chimneypiece Design as a Vehicle for Polemic. In: Studies in the Decorative Arts, Bd. 1 (1993), Nr. 1, S. 76–98

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358 Claude „Auf jedem Felsen […] schienen Nachwelt, Ewigkeit eingegraben zu seyn“, resümierte der vom Ägyptenfeldzug heimkommende Vivant Galle Denon, der Kunstexperte Napoleon Bonapartes. Mit seinem 1802 publizierten Bericht „Reise nach Ober- und Unter-Ägypten“, der Villepreux 1759 – 1815 Paris schon im Folgejahr auch in deutscher Übersetzung vorlag, fachte Denon die Faszination der gebildeten Europäer für das Land der Paar Kandelaber mit ägyptisierenden Pharaonen ungemein an. Insbesondere die angewandte Kunst der Figuren. Um 1800 französischen Konsulatszeit von 1799 bis 1804 nahm sich des antiken Ägyptens an, indem sie deren exotisch-geheimnisvolle Motive und Formen spielerisch in das klassizistische Formenrepertoire integ- Bronze, feuervergoldet, brüniert. rierte. Auch auf diesem Weg ließ sich das militärische Debakel am Nil Je 44,4 cm (17 ½ in.). Elektrifiziert. in einen ideellen Triumph Napoleons umdeuten. [3376] Besonders reizvoll an unseren Leuchtern ist dabei die organi- sche Kombination der perfekt gegossenen und ziselierten Figur der Provenienz Knienden mit den als Musikblashörnern ausgeführten Leuchterar- Privatsammlung, Bayern (1980er Jahre men – den ehemals aufgesetzten Lampenschirm muss man sich hin- in der Galerie Carroll, München, zudenken, um die Extravaganz des Modells ganz zu erfassen. erworben) Claude Galle, dem dieses Leuchtermodell zugeschrieben wird, gilt, neben Pierre-Philippe Thomire, als der bedeutendste französi- EUR 15.000–20.000 sche Bronzier der napoleonischen Ära. Zum Sortiment der Werk- USD 17,700–23,600 statt Galle gehörten weitere Bronzen mit ägyptischen Motiven und phantasievoll kombinierten Hieroglyphen, eine Pendule beispiels- Vergleichsliteratur weise. Bei der knienden, sich am Typ eines Naophor (ägyptisch für Stéphane Faniel: Le XIXe Siècle Fran- Träger) orientierenden Figur der Nubierin hat sich Galle möglicher- çais, Collection connaissance des arts. weise von einer gleichartigen Girandole aus der Werkstatt von Paris, 1957, S. 132, Abb. 1 / Hans Otto- meyer und Peter Pröschel: Vergoldete Bronzen. Die Bronzearbeiten des Spät- barock und Klassizismus. München, So sah der hell leuchtende 1986, Bd. 1, S. 338, Kat.-Nr. 5.3.5 (Modell Feuchère) / Egyptomania. Traum der Franzosen vom L’Egypte dans l’art occidentale 1730- 1930. Ausst.-Kat., Paris, 1994, Kat.-Nr. 170, Abb. 4, S. 290ff. Pharaonenreich aus.

Pierre-François Feuchère inspirieren lassen. Feuchère hatte solche Leuchter Anfang 1805 an Eugène de Beauharnais, den Stiefsohn Napoleons, (heute Hôtel Beauharnais, Paris und Wittelsbacher Aus- gleichsfond) sowie an den Botschafter Fürst Karl Philipp zu Schwar- zenberg, verkaufen können. JM

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359 Hofwerk- Hier treffen die europäischen Visionen von Tausend und einer Nacht auf den Rausch der indischen Hofkunst. Denn als in den Hofwerk- stätten der stätten des Königreiches Dungarpur in Nordwestindien ein Untersatz für einen Schrein benötigt wurde, kam ein Möbel des exzentrischen Mailänder Jugendstildesigners Carlo Bugatti zum Einsatz, das des- Maharawal sen eigenwillige Interpretation türkischer Formen auf den Subkonti- nent brachte. von Dungarpur Seit 1880 mit eigener Möbelfirma, war Bugatti spätestens seit 19. Jahrhundert der Italian Exhibition in London 1888 berühmt. Ideenstrotzend inter- pretierte er türkische Ornamente mit außergewöhnlichen Materiali- Silberelefant unter Baldachin auf en wie Kupfer- und Zinneinlegearbeiten, Pergament, Elfenbein, Tex- einem Tisch von Carlo Bugatti tilien und exotischen Hölzern. Seine rauschhaften Möbel und (1856–1940). 1880/90 Zimmereinrichtungen prunkten mit der Formenvielfalt des Orients und waren Teil der Mode des Orientalismus, durch die man sich den Holz; Messingblech, gestanzt; Reichtum der sagenhaften Sultane, den Traum von tanzenden Pergament; Silber, gegossen, getrie- Haremsmädchen, den Geruch ben; Gelbguss, ziseliert – Silberelefant gurgelnder Wasserpfeifen und hergestellt in der School of Arts Jaipur. das Gefühl der weichen Teppiche 92 × 40 × 40 cm des Orients in die Salons und (36 ¼ × 15 ¾ × 15 ¾ in.). [3104] Herrenzimmer holte. Nicht umsonst hieß Bugattis Firma Provenienz „Fabbrica Mobili Artistici Fanta- Sammlung S.H. Rai-i-Rayan, Mahima- sia“. Der „Bugatti-Stil“ faszinierte hendra, Maharawal Shri Udai Singhji II und fand ein breites Publikum in Sahib Bahadur, Maharawal von Dungar- Europa. Den Maharadschas und pur (1839–1898) / Seitdem Familienbe- Maharawals war derweil Europas sitz / Kunst- und Auktionshaus Marc noble Möbelindustrie Ziel eige- Perc-Peretz (1918–1999), Saarbrücken ner Ausstattungswünsche. Ihre Vorbesichtigung der „Schätze von (1973 direkt von der Familie erworben) / Dungarpur“ im Auktionshaus Peretz, Möbel kauften sie sich in Lon- Privatsammlung, Saarland Fotografie, 1973 don, der Hauptstadt des Briti- schen Weltreiches, zusammen. EUR 6.000–8.000 So dürfte das Bugatti-Möbel kurz USD 7,070–9,420 vor 1900 nach Dungarpur gekom- men sein. Dort wurde es mit einem Baldachin bekrönt, unter dem Wir danken Joachim K. Bautze, Berlin, auf einem Kissen ein kleiner Silberelefant Platz fand. für freundliche Hinweise. Das exotische Adligat aus europäischem Möbel und traditio- nellen indischen Andachtsobjekten zählte zur Ausstattung des Palastes Juna Mahal, den zu dieser Zeit S.H. Rai-i-Rayan, Mahima- hendra, Maharawal Shri Udai Singhji II Sahib Bahadur (1839–1898) prachtverliebt von seinen Hofwerkstätten umgestalten ließ, wie die mit Silber beschlagenen Türen (2016 Auktion Grisebach, Berlin) und Throne (Kunsthandel Sam Fogg, London) belegen. Seine Nachfolger hingegen waren nach 1971 gezwungen, den Großteil der Kunstwerke aus den Palästen wiederum nach Europa zu verkaufen, wohin über den Kunsthändler Marc Perc-Peretz 1973 schließlich auch Bugattis „Elefantenthron“ gelangte. Das Stück berichtet heute vom wilden Zauber der Ausstattung indischer Königspaläste, von dem in Dungarpur allein der Name Bugatti geblieben ist – denn dort zeigt die Herrscherfamilie heute ihre Autokollektion, zu der auch ein Wagen Ettore Bugattis (1881– 1947) gehört, des Fahrzeugkonstrukteurs und Sohns des „Elefantenthron“-Designers von Dungarpur. Der exzentrische Traum „Bugatti in Indien“ lebt also fort. SK

360 Mikronesien, Kapingamarangi ist ein winziges Atoll mit drei bewohnten Inseln, die sich mit dreißig weiteren um eine 8 km breite Lagune gruppieren. Atoll Kapinga- Politisch zu Pohnpei gehörig sind sie Teil der Föderierten Staaten von Mikronesien, werden aber von Menschen polynesischen Ursprungs und mit polynesischer Sprache bewohnt. marangi Auf Kapingamarangi wie auf dem 300 km entfernten Nukuoro Atoll haben sich polynesische Formvorstellungen mit den Anforde- Kokosschaber. rungen einer kargen Lebensumwelt und dem Sinn der Mikronesier Mitte des 20. Jahrhunderts für eine abstrahierte Formensprache auf ideale Weise verbunden. Beispielhaft dafür stehen die aus schwerem Holz gearbeiteten Holz (wohl Calophyllum), gleichmäßige Hocker in zoomorpher Form, deren Vorbild – Hund, Schwein, mythi- dunkelbraune Patina. sches Wesen – unbekannt bleibt. Aus vier quadratisch angelegten 34,9 × 57,6 × 30,9 cm „Beinen“ entwickelt sich bei ihnen aufstrebend fast unmerklich eine (13 ¾ × 22 ⅝ × 12 ⅛ in.). [3093] reduzierte Körperlichkeit, deren Eleganz weiter betont wird durch den perfekten Duktus, mit dem der abgewinkelte „Hals“ in den Provenienz geschwungenen Leib (Sitz) übergeht, aber auch durch die ausge- Privatsammlung, Schweiz (1980er Jahre sprochen sorgfältige Bearbeitung der Oberflächen. direkt auf Kapingamarangi erworben) Die Hocker dienten dem Schaben von Kokosfleisch aus der noch grünen Nuss. Für den Gebrauch wurde am „Kopf“ ein Klinge – EUR 3.000–5.000 früher aus Muschel, heute auch aus Metall – eingelassen oder aufge- USD 3,530–5,890 bunden, so dass, rittlings auf dem Stuhl sitzend, bequem gearbeitet werden konnte. Ausstellung Kokosschaber in solch perfekter Form und Ausarbeitung sind Burkhard Fenner: Oceanian Aesthetics. selten. Die heutigen Schnitzer aus Kapingamarangi, jetzt teils auf Symbols of Power and Dignity – Süd- Pohnpei angesiedelt, haben sich für den Touristenmarkt inzwischen see-Aesthetik. Zeichen von Macht und realistischeren Formen verschrieben. Würde (Hubert Goote Gallery in Zusammenarbeit mit dem Etpison Ingrid Heermann, ehem. Kuratorin des Linden-Museums. Staatliches Museum, Koror, Palau). Ausst.-Kat., Museum für Völkerkunde, Stuttgart Zug, 2000, Abb. o. S. / Südsee-Oasen. Leben und Überleben im Westpazifik. Ausst.-Kat., Stuttgart, 2009, S. 32, Abb. 13

Grisebach — Herbst 2017 Hiermit bearbeitete wohl so manche Südseeschönheit die Kokosnüsse Mikronesiens. R 361 Indonesisch, Krieg, Kampf und die Verteidigung gegen äußere und innere Feinde haben die Lebenswirklichkeit der Bewohner von Nias Insel Nias lange Zeit geprägt. Vor der Westküste Sumatras liegt die Insel an einer Reihe von Seehandelsrouten, weshalb vom früheren Leben dort auch verhältnismäßig viele Berichte vorliegen. Immer wieder geht es in diesen Berichten um Halsring eines Kriegers – Kalabubu. Praktiken wie die – meist im rituellen Kontext ausgeübte – 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts Kopfjagd, die der österreichische Weltreisende Joachim Freiherr von Brenner-Felsach 1887 beschrieb: „Kaum hat ein Kokosschale, geschnitten; Messing. 25 × 22,5 cm Jüngling die Waffen zu führen gelernt, so steht auch schon (9 ⅞ × 8 ⅞ in.). [3189] sein ganzes Sinnen und Trachten danach, sich einen Kopf zu holen und auf diese Art den Kalabubu, jenen Orden der Provenienz Kopfjägerei, zu verdienen, der in Gestalt eines Ringes um Privatsammlung, Schweiz den Hals getragen wird“. Wie weit genau der Brauch, die erfolgreiche Kopfjagd EUR 1.500–2.000 mit solchen Ringen sichtbar zu machen, in die Vergangen- USD 1,770–2,360 heit zurückreicht, ist nicht klar. Ein solcher Ring war einer- seits durch seinen materiellen Wert ein Statuszeichen, Vergleichsliteratur und -objekt andererseits aber wies er seinen Träger als vollwertiges Mit- Reinhold Mittersakschmöller (Hg.): Joachim Freiherr v. glied der Gesellschaft aus, in der er lebte. Im Kampf führte Brenner-Felsach. Eine Reise nach Nias. Unveröffentlichte er die Kaltblütigkeit des Kriegers auch dem Gegner deutlich Manuskripte. Wien, Köln und Weimar, 1998 / Halsring, Met- vor Augen. Auf spiritueller Ebene war er Bestandteil einer ropolitan Museum of Art, New York, Inv.-Nr. 1988.143.118 unsichtbaren, aber dadurch nicht weniger machtvollen „Rüstung“, die ihren Träger stärkte und schützte. MF

Hintergrund anbauen

362 Venezianisch

Paar Bronzeleuchter in der Art der Renaissance – EUR 8.000–10.000 teilweise nach Modellen von Alessandro Vittoria USD 9,420–11,800 (1525–1608). Mitte des 19. Jahrhunderts Vergleichsliteratur und -objekte Bronze, gegossen, ziseliert; gleichmäßige rotbraune bis Frits Scholten: European Sculpture and Metalwork in the dunkelbraune Patina; Glas; elektrifiziert. 171 cm (67 ⅜ in.). Robert Lehman Collection. New York und Princeton, 2011 [3065] (The Robert Lehman Collection in the Metropolitan Museum of Art, Bd. XII), S. 205, Abb. 186 und 187 (Inv.-Nr. 1975.1,1384 Provenienz und 1385) Privatsammlung, Berlin

363 Präkolumbisch, D Jadefigur – Kultur der Guanacaste. In Form eines stark stilisierten Menschen mit Kulturen der Guana- kurzen Beinen, die Hände über den Bauch gelegt. 500–1000 n. Chr. caste und Maya Jade. 6,4 × 3,3 cm (2 ½ × 1 ¼ in.). [3104]

EUR 3.000–5.000 Provenienz aller USD 3,530–5,890 Sammlung Evelyn D. de Goicoechea, San José (um 1963) / Sammlung des Honorarkonsuls von Costa Rica, Marc Perc-Peretz (1918–1999), Saarbrücken, (um 1970 direkt E Jadeanhänger – Kultur der Maya. in Costa Rica erworben) / Privatsammlung, Saarland Kleine rundliche Maske, im geöffneten Mund (1999 direkt aus dem Nachlass Peretz erworben) zwei Zahnreihen sichtbar, die Augen gebohrt. 300–500 n. Chr. Beigabe zum Provenienzbeleg Schreiben über die Sammlung Goicoechea von Jade. 4,2 × 4,1 cm (1 ⅝ × 1 ⅝ in.). [3104] Héctor Gamboa, Head of Department of the National Museum of Costa Rica, maschinenschriftlich, Foto EUR 2.500–3.000 mit einigen Jadeanhängern, um 1965 USD 2,940–3,530

A Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. F Jadeanhänger – Kultur der Maya. Länglicher Axtgott mit stark stilisiertem Gesicht Hockende Kreatur, die Augen gebohrt. und hohem dreifach geriefelten Kopfputz, Nase 600–1200 n. Chr. keilförmig (Linea Vieja). 600–900 n. Chr. Helle rot-schwarz gesprenkelte Jade. Jade. 13,9 × 3,2 cm (5 ½ × 1 ¼ in.). [3104] 8,9 × 3,3 cm (3 ½ × 1 ¼ in.). [3104]

EUR 800–1.000 EUR 1.800–2.000 USD 942–1,180 USD 2,120–2,360

B Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. Länglicher Axtgott, unten gerundet mit stilisiertem Gesicht und keilförmiger Nase, die Augen gebohrt, Hände über den Bauch gelegt (Linea Vieja). 600–900 n. Chr.

Jade. 11,4 × 3,5 cm (4 ½ × 1 ⅜ in.). [3104]

EUR 800–1.000 USD 942–1,180

C Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. Länglicher Axtgott, Gesicht als Steg über den Körper gelegt. 1200 v. Chr.–600 n. Chr.

Jade. 14,1 × 3,9 cm (5 ½ × 1 ½ in.). [3104]

EUR 800–1.000 USD 942–1,180

A B C G Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. Zu den schönsten und signifikantesten Arbeiten der präko- Länglicher Axtgott. 600–900 n. Chr. lumbischen Kunst Mittelamerikas zählen die Artefakte aus Jade oder vergleichbaren Steinen, die zum größten Teil in Helle rot-schwarz gesprenkelte Jade. 9,2 × 3,9 cm Costa Rica und auf der Halbinsel von Yucatán gefunden wur- (3 ⅝ × 1 ½ in.). [3104] den. Die Einfachheit der Linien und die abstrakte Art der Darstellung dieser besonderen Objekte wirken geradezu EUR 1.200–1.500 modern. Wegen ihrer Seltenheit sind diese Stücke äußerst USD 1,410–1,770 begehrt. Die Feinheit der Jade und ihr wundervolles Chan- gieren in unterschiedlichsten Farbtönen inspirierte die Steinschneider dazu, eine besonders kunstvolle Formenspra- H Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. che zu entwickeln. Das Material wurde dafür zunächst mit Ovaler Axtgott in Form eines stark stilisierten einem Hammer zerbrochen, die Form der einzelnen Stücke Menschen. 600–1200 n. Chr. mit einer Säge aus harten Pflanzenfasern herausgearbeitet. Bohrer und Stichel gaben dem Objekt Gestalt. Das Polieren Helle Jade. 8,1 × 4,3 cm (3 ¼ × 1 ¾ in.). [3104] mit Holz oder Rohr verlieh dem Stein seinen Glanz. Der Fundkontext unterstreicht dabei deutlich, dass EUR 1.000–1.200 die aufwändig gestalteten Gegenstände einen außerordent- USD 1,180–1,410 lichen ästhetischen und rituellen Wert besaßen. Ihre Ver- wendung bei religiösen Zeremonien oder Riten steht außer Zweifel. Der Besitz solcher Kostbarkeiten war in den altame- I Jadeanhänger – Kultur der Guanacaste. rikanischen Gesellschaften hochgestellten Persönlichkeiten Großer ovaler Axtgott in Form eines stark vorbehalten, seien es religiöse oder politische Würdenträ- stilisierten Menschen. 600–1200 n. Chr. ger. Interessant ist zu beobachten, dass viele Stücke Kopien von Gegenständen aus Gold waren, die in derselben Region Dunkle, hell geäderte Jade. 12,6 × 5,3 cm (5 × 2 ⅛ in.). gefunden und allem Anschein nach in den Heiligtümern auf- [3104] bewahrt wurden. Während die typischen Ikonographien von Jaden aus EUR 2.000–3.000 Costa Rica anthropomorphe Figuren wie Axtgott oder Fle- USD 2,360–3,530 dermaus oder auch andere Tiere zeigen, sehen wir bei den kleinen Maya-Objekten Masken (E) und im Profil ausgesägte geometrisch stilisierte Figuren (F). Das Gestalten von Masken war typisch für die Kultur der Maya und ging auf die Olmeken zurück. Masken gab es in kolossaler Größe, aber auch wie hier in kleinem Format, in dem sie als Talisman getragen wur- den und ihren Träger vor dem Bösen beschützen sollten. IG

D E F G H I

364 Mittelameri- Die kunstvoll gearbeiteten Artefakte aus Jade scheinen, nach heute vorherrschender Meinung, eine „Erfindung“ der Olmeken gewesen kanisch, Kultur zu sein – jenes kunstbegabten und geheimnisvollen Volkes, das sich um 800 v. Chr. im südlichen Zentralamerika niederließ. Die Olmeken waren zweifellos Pioniere des Kunsthandwerks und entwickelten der Olmeken großes Geschick darin, hartes Material wie Jade oder ähnliche Gesteinssorten zu sägen und zu verzieren. Auch in anderen Bereichen wirkten die Olmeken als Wegbe- Große Maske, an beiden Seiten oben reiter: Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem ermöglichte ihnen gebohrt. 800-300 v. Chr. eine extensive Landwirtschaft, mit der sie ihre ausgedehnten Städte versorgen konnten. Der Handel mit Luxusprodukten wie Edelsteinen Rot-braune Jade. 13,4 × 10,2 cm oder Kakao brachte ihren Zentren an der mexikanischen Golfküste (5 ¼ × 4 in.). [3104] Wohlstand und Macht. Zudem geht die erste Verwendung eines Kalendersystems sowie einer Schrift auf sie zurück. Ihre Errungen- Provenienz schaften in Kunst, Politik, Religion und Wirtschaft dienten nachfol- Sammlung Evelyn D. de Goicoechea, genden Kulturen wie den Maya oder Azteken als direktes Vorbild. San José (um 1963) / Sammlung des Die Olmeken gelten auch als die „Erfinder“ von Ballspielen, die Honorarkonsuls von Costa Rica, Marc bei ihnen wichtiger Bestandteil von religiösen Ritualen und Zeremo- Perc-Peretz (1918–1999), Saarbrücken, nien waren. Beim „Juego de Pelota“ ging es dabei häufig um Leben (um 1970 direkt in Costa Rica erwor- und Tod. Besonders talentierte Ballspieler konnten große Berühmt- ben) / Privatsammlung, Saarland (1999 heit erlangen und wurden vom Volk verehrt. Es ist überliefert, dass direkt aus dem Nachlass Peretz erwor- Spieler Gelenkschoner und Helme aus Leder trugen, die sie vor Ver- ben) letzungen schützen sollten. Die in unserer Maske dargestellte Figur trägt einen derartigen EUR 10.000–15.000 Lederhelm und muss sich durch besondere sportliche Fähigkeiten USD 11,800–17,700 ausgezeichnet haben. Da die kostbare und außergewöhnlich farbige Jade hochrangigen Personen vorbehalten war, wird es sich um einen König gehandelt haben. Ganz charakteristisch für olmekische Edel- steinmasken, von denen nur wenige in dieser Größe erhalten sind, sind die nach unten gezogenen Mundwinkel. Wegen der vorhande- nen Bohrungen wird vermutet, dass solche Masken in einem Heilig- tum aufgehängt waren. Alexander von Humboldt war der erste, der die „Alte Welt" auf die Kunst der alt-amerikanischen Völker aufmerksam machte. Besonders faszinierte ihn deren Kunst. Denn deren formale Verein- fachung ist keineswegs ein Mangel an Ausdruckskraft, sondern ein Stilmittel der Völker Mittelamerikas. IG

„Abgesondert in der Wolkenregion, auf den höchsten Plateaus der Erde, von Vulkanen umringt, deren Krater mit ewigen Eis umgeben sind, scheinen sie in der Abgeschiedenheit ihrer Wüste nur das, was die Einbildungskraft durch Größe und Massen ergreift, zu bewundern.” Alexander von Humboldt

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365 Karl Müller Berlin 1888 – 1972 Halle Schlichte Formen und archaisch schmucklose Gefäße bestimmten auch in den 1930er Jahren das Repertoire der Silberschmiedekunst. Die Münchner Neue Sammlung zeigte A Flaschenkühler. 1925/30 1931 unter dem Titel „Ewige Formen“ Gebrauchsgerät nach absoluten Formen geordnet und antizipierte damit zugleich Messing, getrieben, gegossen, ziseliert. 27,5 × 43 × 27 cm ein neues Zeitgefühl. Nach Ausgleich von Funktionalität und (10 ⅞ × 16 ⅞ × 10 ⅝ in.). Signet der Burg Giebichenstein. Individualität strebte damals auch die Metallwerkstatt an der [3493] Burg Giebichenstein in Halle an der Saale. Die hier von Karl Müller geschaffene große Silberschale mit ihrer gehämmer- Provenienz beider ten Oberfläche und den plastisch getriebenen Ornamentrin- Privatsammlung, Bayern gen aus stilisiertem Eichenlaub steht für ein solches Form- gefühl: zeitlose, exklusive Handwerklichkeit. So rettete sich EUR 3.000–4.000 die funktionale Moderne hinüber in eine neue, eigentlich USD 3,530–4,710 reaktionäre Zeit. Karl Müller leitete ab 1923 für drei Jahrzehnte die Metallwerkstatt der Burg Giebichenstein und prägte mit sei- B Große Silberschale. Um 1930 ner Persönlichkeit und seiner unkonventionellen Experi- mentierfreude ihren Stil. Als gelernter Ziseleur studierte er Silber, getrieben. 10 cm; Ø 35,7 cm (3 ⅞ in.; Ø 14 in.). Bildhauerei bei Joseph Wackerle und Hugo Lederer. Sein Signet der Burg Giebichenstein / Feingehaltsangabe: 925 Schaffen umfasste die traditionellen Arbeiten des Silber- [Rosenberg Nr. 5]; Gewicht: 1.490 g. [3493] schmieds, das Treiben, Aufziehen und Ziselieren von Gefä- ßen genauso wie das Erproben neuer, unedler Metalle und EUR 3.000–4.000 die Entwicklung von seriellen Silberwaren für die Kleinserie USD 3,530–4,710 in der eigenen Werkstatt oder für die Industrie. Zu Müllers Spektrum gehörten Gebrauchsgefäße, Tafelsilber, Schmuck, Vergleichsliteratur Lampen, Türklinken, figürliche Plastik und Bildplatten. Alle Katja Schneider: Burg Giebichenstein. Die Kunstgewerbe- seine Arbeiten waren bestimmt von einem feinen Gespür für schule unter Leitung von Paul Thiersch und Gerhard Marcks die Oberfläche. 1915 bis 1933, 2 Bde., Weinheim, 1992 / Giebichenstein. Die Unter Karl Müllers Ägide zeigte die Metallklasse an der hallesche Kunstschule von den Anfängen bis zur Gegenwart. Burg Giebichenstein in Halle – neben dem Bauhaus seiner- Ausst-Kat., Karlsruhe und Halle, 1993, S. 286, Nr. 173 zeit eine der modernsten deutschen Kunstschulen, die ihre (Deckeldose) Studentinnen und Studenten in Produktionswerkstätten ausbildete – große Strahlkraft und Präsenz. Sie war nicht so radikal wie das Bauhaus und setzte zweigleisig sowohl auf das kostbare Unikat als auch auf die industrielle Serie – was ihr breite Akzeptanz sicherte.

Katja Schneider-Stief, ehem. Direktorin des Kunstmuse- ums Moritzburg, Halle an der Saale

Grisebach — Herbst 2017 So rettet sich die funktionale Moderne hinüber in eine neue Zeit.

366 Westafrika- Auf den ersten Blick könnte man diese Skulptur für eine Tierfigur halten. Doch sie ist sehr viel mehr als das: Es handelt sich um ein nisch, Volk der sogenanntes Boli – und dessen Bedeutung im spirituellen Leben der Bambara aus dem westafrikanischen Mali ist immens. In der For- (Mali) mensprache virtuos aufs Wesentliche reduziert, gelten Boli den Bambara Menschen im Südosten des Landes und in den angrenzenden Teilen Burkina Fasos als magische Objekte ersten Ranges. In ihnen sind die Kräfte gespeichert, die zuvor während ritueller Zusammenkünfte Boli – Zoomorphic Power Figure. freigesetzt wurden – eine Vorstellung, die man aus allen Weltreligio- 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts nen kennt. Große Boli erfüllen damit bei den Bambara eine Funkti- on, die man mit Altären in buddhistischen Tempeln oder christlichen Holz; kultische Materialien (Patina). Kirchen vergleichen kann. Sie sind in ihrer Körperhaftigkeit äußerst 23,5 × 39 × 12,5 cm präsent. Ihre Relevanz allerdings erlangen sie erst durch die geistige (9 ¼ × 15 ⅜ × 4 ⅞ in.). [3093] Dimension, die Gläubige mit ihnen verbinden. Unser Stück ist ein besonders schönes Beispiel eines Boli. Sei- Provenienz ne geschwungenen Umrisslinien und voluminösen Rundungen sug- Privatsammlung, Schweiz gerieren, dass es kurz davor steht, vor Energie zu bersten. Zugleich hat es der anonyme Künstler, der die Plastik schuf, verstanden, in EUR 4.000–6.000 seinem Werk Gegensätze zu vereinen. So scheinen dem Objekt zwei USD 4,710–7,070 widersprüchliche Eigenschaften eingeschrieben: Einerseits geht es um ein Drängen und Pulsieren, das die Außenhaut dehnt und spannt. Vergleichsliteratur Andererseits strahlt die Figur eine große, tiefgreifende Ruhe aus, Robert Goldwater: Bambara Sculpture fast wie ein meditativer Handschmeichler, mit dem sie die verführe- from the Western Sudan. New York, rische Haptik teilt. 1960 / Jean-Paul Colleyn (Hg.): Bama- Das Material, das der Künstler für das Boli verwendet hat, na. Afrikanische Kunst aus Mali. Zürich, erinnert am ehesten an Arbeiten der europäischen Arte Povera der 2001 / Ders.: Boli. Paris, 2009 1960er und 1970er Jahre. Es besteht aus einer Mischung aus Lehm und Stroh, der auch Bienenwachs und sogar Blut beigegeben sein können – alles Bestandteile, die als Träger von Spiritualität gelten und den metaphysischen Charakter der Plastik betonen. Die Aus- strahlung, die das Objekt auf Eingeweihte auszuüben imstande ist, lässt sich wohl jedenfalls kaum überschätzen: Ein Boli wie dieses wurde früher auch benutzt, um Hexerei und bösen Zauber abzuweh- ren. Die solchen Figuren zugeschriebenen Eigenschaften, vor allem aber ihre eigenwilligen Formen erregten früh das Interesse der europäischen Avantgarde. Der Ethnologe und Schriftsteller Michel Leiris, 1931 Mitglied der Dakar-Djibouti-Expedition, schickte begeis- terte Berichte darüber nach Paris. Zwei Jahre später erschienen im „Minotaure“, der Zeitschrift der Surrealisten, Abbildungen eines Boli. Ab da begann der Siegeszug dieser „bizarren Formen“ (Leiris) in den Künstlerkreisen der Moderne. UC

Grisebach — Herbst 2017 Einst wehrte der Boli Hexerei und bösen Zauber ab. Für die Kunst der Moderne wurde seine bizarre Form glückliche Inspiration. N 367 Christian Die mit reizvollen Details ausgestatteten Pendants sind bravouröse Kabinettstücke, mit denen der 32-jährige Christian Wilhelm Ernst Wilhelm Ernst Dietrich seine Virtuosität eindrucksvoll unter Beweis stellte. Schon Winckelmann lobte Dietrich als „Raffael unserer und aller Zeiten in Landschaften“. Die kontrastreichen Berge und Ruinen unter leuch- Dietrich tendem Himmel entstanden unter dem Eindruck einer mehrmonati- Weimar 1712 – 1774 Dresden gen Italienreise, von der Dietrich gerade zurückgekehrt war. Umge- ben von Rindern, Hunden und Ziegen sehen wir Hirten, Wanderer, Paar italienische Landschaften. 1744 Landfrauen, die im Gespräch, bei der Arbeit, beim Spiel – oder in Gedanken versunken sind. Die bewegten Szenerien vereinen galante Öl auf Holz (abgefast). und bäuerliche Motive. Ergänzt um ironische Reflexe auf klassische 28 × 37,2 cm / 28 × 37 cm (11 × 14 ⅝ in. / Historienbilder schuf Dietrich so eine anspielungsreiche Genrema- 11 × 14 ⅝ in.). Jeweils unten signiert lerei, wie sie das Rokoko liebte. Der vielseitig begabte Dresdner Hof- und datiert: Dietrich fecit 1744 / maler griff dabei französische und flämische Vorbilder auf und Jeweils rückseitig diverse Klebezettel. formte sie zu eigenständigen Werken um. In zeitgenössichem Rahmen. Über hundert Jahre lang mögen die beiden Gemälde, wie viele [3098] Gerahmt. vergleichbare Stücke, Adelsgalerien oder die Zimmer wohlhabender Bürger geschmückt haben, bis sie 1853 dem Königlichen Museum in EUR 15.000–20.000 Berlin angeboten wurden. Dessen Verantwortliche griffen zu. Gustav USD 17,700–23,600 Friedrich Waagen, Direktor der Gemäldegalerie und weltweit geach- teter Kenner, war zwar kein Freund der mittlerweile aus der Mode gekommenen Kunst des 18. Jahrhunderts. Dennoch begrüßte er den Ankauf. An unserem Bilderpaar lobte er in einem Bericht im „Deut- schen Kunstblatt“ von 1854 die „sehr gewandte und fleißige Provenienz Behandlung“, vor allem aber erkannte er die Bedeutung Dietrichs Privatsammlung (1808) / Königliches als eines Meisters, der über modische Dekorationsmalerei weit hin- Museum (1853 erworben in der Kunst- ausgewachsen war. „Da dieser Künstler im nördlichen Deutschland handlung Fincke, Berlin, ab 1937 als in seiner Zeit des größten Rufs genoß“, resümierte Waagen, solle er Leihgabe in der Deutschen Botschaft auch seinen Platz in der ersten Galerie des Staates finden. London, dort 1945 beschlagnahmt) / Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die beiden Gemäl- Kunsthandel Frost & Reed, London / de nach Hildesheim verliehen. Auch dort blieben sie nicht unbe- Privatsammlung, North Carolina (bis merkt – denn als 1937 die Deutsche Botschaft in London umgebaut 2001) / Privatsammlung, Florida wurde, ließ man das Gemäldepaar zur Einrichtung dorthin kommen. Nach Kriegsende wurden die von der britischen Regierung Literatur und Abbildung beschlagnahmten Werke versteigert und gelangten in die Londoner Gustav Friedrich Waagen: Bemerkun- Galerie Frost & Reed, die sie in die USA verkaufte. Nun kehrt das gen über eine Anzahl von Gemälden Bilderpaar nach Berlin zurück, wo es vor 165 Jahren das Lob des [...] In: Deutsches Kunstblatt, Jg. 5 Direktors des Königlichen Museums gefunden hatte. Dessen Nach- (1854), S. 75–77, S. 77 / Die Sammlungen folgeinstitution, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erklärte, des Roemer-Museums. Hildesheim, aufgrund der Umstände seines Abhandenkommens keine Rückga- 1914, S. 3 / Staatliche Museen zu Ber- beansprüche geltend zu machen. lin: Dokumentation der Verluste. Bd. 1: Gemäldegalerie. Berlin, 1995, S. 86, Robert Skwirblies, Mitarbeiter des Leibniz-Projekt-Clusters „Trans- Kat.-Nr. 1024 A und 1024 B / Tilmann locations. Historical Enquiries into the Displacement of Cultural von Stockhausen: Gemäldegalerie Ber- Assets“ an der Technischen Universität Berlin lin. Die Geschichte ihrer Erwerbungs- politik 1830–1904. Berlin, 2000, S. 257, Nr. 174 und 175 / Auktion: Heritage Auc- tions Texas. Portland, Maine, Barridoff Galleries, 8. August 2001, Kat.-Nr. 148

368 Süddeutsch Das von antiken korinthischen Kapitellen bekannte Akanthuslaub hatte den römischen Barock geprägt. Von Rom aus setzte sich sein Siegeszug stetig nordwärts fort, bis es um 1680 bis 1710 als modi- Reich geschnitzter Konsoltisch mit sches Ornament zu einer europaweit blühenden Pflanze wurde. Löwen. Um 1680/1700 Doch das Besondere an unserem Tisch verbirgt sich unter den plas- tisch wuchernden Blättern des Akanthus’. Tischplatte: Nadelholz, Nuss-Wurzel- Das verzierte Tischgestell besteht aus zwei X-förmigen Ele- holzfurnier; Gestell: Laubholz (vermut- menten, die von oben in einem 90-Grad-Winkel ineinander gesteckt lich Linde), geschnitzt, gefasst. werden. Ohne Werkzeug ist der Tisch innerhalb einer knappen 82 × 115 × 69 cm Minute zusammen- bzw. auseinanderzubauen: die Idee ist überaus (32 ¼ × 45 ¼ × 27 ⅛ in.). Auf der Unter- modern. Und diese moderne und eigensinnige Konstruktion liefert seite der Tischplatte Fragment eines uns auch den entscheidenden Hinweis auf den Entstehungsort des Bahntransport-Etiketts: Station / Tisches und eine sehr eigene regionale Tradition, die von den dorti- am 19.5.19. [nicht ausgefüllt] / gen Tischlern bis heute gepflegt wird. [Zielstation] Station Baden-Baden. Die Konstruktion führt uns nach Tirol. Hier befindet sich auf Ein weiteres Etikettfragment: Cölln G. Schloss Tratzberg in der sogenannten Fuggerstube bis heute ein Beigabe: Tischplatte aus Glas. [3491] Tisch aus dem Jahr 1505/10 , dessen Konstruktion unserer stark ähnelt. Entstanden ist unser Tisch allerdings knapp zweihundert Provenienz Jahre nach dem Tratzberger Exemplar. Privatsammlung, Baden-Württemberg / Ab 1665 beförderte politischer Wandel in Tirol die örtliche Privatsammlung, Tirol Bautätigkeit. Sowohl die neu eingesetzten Statthalter wie die alten, an der Regierung beteiligten Adelsfamilien der Wolkenstein, Troyer, EUR 18.000–20.000 Spaur und Lodron, zudem die Fugger und Ferrari gaben nun ver- USD 21,200–23,600 mehrt Kunsthandwerk in Auftrag. Die alten Residenzen wurden Hier wuchert der Barock in phantastischem Akanthus als Tisch.

modernisiert, neue Fassaden und neue Möbel mit moderneren Ornamenten wie dem fein durchbrochenen Akanthuslaubwerk ersetzten das etwas starr und behäbig wirkende Knorpelwerk. Stan- desunterschiede wurden durch Symbolen, wie den auch zu Füßen unseres Tisches liegenden Löwen, dargestellt. Sie betonen den hohen gesellschaftlichen Rang des Auftraggebers. Spätere Moden verdrängten sodann sukzessive die Zeugnisse der ihnen vorangegan- genen Zeit. Unser Tisch stellt sich daher als ein seltenes Beispiel der weltlichen Möbelkunst des barocken Tirols dar. PG

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369 Jean Prouvé Le Corbusier sagte über Jean Prouvé, dass er „die Seele eines Inge- Paris 1901 – 1984 Nancy nieurs mit der eines Architekten“ vereine. Prouvés revolutionäres Schreibmöbel von 1934 für die Compagnie Parisienne de distribution d'électricité belegt dies eindrücklich. C.P.D.E.-Schreibtisch – für die Com- Jean Prouvé gilt als einer der einflussreichsten Gestalter und pagnie Parisienne de distribution Produzenten moderner Bauten und Möbel des frühen 20. Jahrhun- d'électricité, Paris. 1934 derts. Mit seinen Arbeiten im Bereich der Vorfertigung und der seri- ellen Industrieproduktion definierte er weite Teile der Ästhetik der Stahlblech, lackiert; Edelstahl; frühen Moderne. Quelle seines Schaffens war die Auseinanderset- Linoleum. 78,4 × 168,9 × 84 cm zung mit der Frage, wie optimale Bearbeitungs- und Verwendungs- (30 ⅞ × 66 ½ × 33 ⅛ in.). [3191] möglichkeiten für einzelne Materialien wie beispielsweise Stahl- blech aussehen könnten. Die Ästhetik eines Gegenstands folgte für Provenienz ihn dabei dem Industrieprozess und ergab sich allein aus der Konse- 1934 angefertigt für die Compagnie quenz der Fertigungsabläufe. Parisienne de distribution d'électricité, Stahlblech faszinierte Prouvé, weil die einfache Verarbeitung Paris / Privatsammlung, Schweiz / durch moderne Falzmaschinen das Material ideal für die Umsetzung Privatsammlung, Hessen seiner Ideen machte. Er versuchte, Stahlblech stets seinen Eigen- schaften entsprechend zu verarbeiten und war kontinuierlich auf EUR 35.000–45.000 der Suche nach einer inneren Logik des Materials. Gebogene und USD 41,200–53,000 gefalzte Stahlbleche verkörperten seiner Ansicht nach eine geeigne- te Symbiose des leichten Ausgangsmaterials mit biegesteifen, funk- Vergleichsliteratur tionalen Endprodukten. Seine Kritik galt daher nicht zuletzt den für Peter Sulzer: Jean Prouvé. Œuvre ihn „unlogischen“ Freischwingerstühlen von Marcel Breuer oder Complète, Bd. 2: 1934–1944. Basel, 2000, S. 73–77 / Galerie Patrick Seguin: Jean Prouvé. Paris, 2007, Bd. 2, S. 330, 332–333

Blick in das Großraumbüro der Compagnie Parisienne de distribution d'électricité, Fotografie, 1932/34 Mies van der Rohe. Kleine Rundrohre zeigten, so meinte er, das Unvermögen vieler Entwerfer, das Material in seinen Eigenschaften verstehen zu können. Die Massenproduzierbarkeit war ein weiteres wichtiges The- ma für Prouvé. So ist der Tisch für die Compagnie Parisienne de distribution d’électricité eine einfache und funktionale Einheit, die sich zwar schlicht und rational im Entwurf darstellt, die aber zugleich die Komplexität sozial anspruchsvollen Produzierens in sich trägt. Für Prouvé als überzeugten Sozialisten war die Herstel- lung günstiger und reproduzierbarer Produkte essenziell. Unser Tisch ist ein besonders schönes Beispiel für die Symbiose von Pro- duktionsablauf, Funktionalität und frühmoderner Ästhetik. Die Tischbeine sind aus gebogenen Stahlblechen automatisiert herge- stellt. Die starken Dimensionierungen spiegeln Prouvés Anliegen wider, haltbare Alltagsgegenstände bereitzustellen. Die Tischbeine verbinden sich mit den Seiten- und Rückabdeckungen. So konnte das Bauteil aus einem Stahlblech in wenigen Arbeitsschritten gefer- tigt werden. Die Schubladen sind ebenfalls aus Stahlblechen. Sie haben Griffmulden, die einfach ins Material gestanzt wurden, was wiederum aufwändige Arbeitsgänge vermied. Der Tisch demonst- riert damit eindrucksvoll die konstruktiv-materielle Reduktion im Denken von Jean Prouvé, für die ihn Le Corbusier so sehr schätzte.

Nils Peters, Peters und Wormuth Architekten, Berlin

370 Kampanisch Von dem zweiteilig gefertigten Kopf ist die aus der Matrize ausgeformte und mit dem Modellierholz überarbeitete Vor- derseite erhalten. Die Herkunft des Frauenkopfes aus der A Kopf einer Göttin – aus der Gegend von Capua. Gegend von Capua, der einst wichtigsten etruskischen Stadt 1. Hälfte 2. Jahrhundert v. Chr. Kampaniens, erscheint plausibel, da sich hier das Zentrum der Region befand, in der sich einheimische und großgrie- Grobgeschlämmter Ton mit Einschlüssen, dunkelbraune chische Bildtraditionen aus Sizilien und der Magna Graecia bis matt-schwarze Oberfläche. 22,5 × 21 × 16,5 cm mischten. Deutlich lässt sich dies an dem bekränzten Frau- (8 ⅞ × 8 ¼ × 6 ½ in.). Mit Sockel. [3341] enkopf ablesen. Mit Blütenkranz und Ohrgehängen wurden sowohl Göttinnen – in Betracht kommen hier Turan-Aphro- Provenienz dite-Venus oder Kore-Persephone – als auch sterbliche Sammlung Holger Termer, Hamburg (1978) / Sammlung Frauen geschmückt. Mit blattförmigen Ohrgehängen zusam- Ingeborg und Alfred Wurm (1927–2014), Hamburg (1991 in men mit Diadem, breitem Halsband oder Torques wurden der Kunsthandlung Holger Termer, Hamburg, erworben) / etruskische Frauen im 3. und in der ersten Hälfte des Seitdem Familienbesitz 2. Jahrhunderts v. Chr. dargestellt. ME

EUR 5.000–7.000 USD 5,890–8,240

Ausstellung Holger Termer: Kunst der Antike. Ausst.-Kat., Galerie Neuendorf, Hamburg, 1978 (nicht im Katalog)

370 Kampanisch Ein Produkt kampanischer Koroplastik ist der idealisierte Kopf eines Jünglings. An diesem leicht zur Seite geneigten Kopf ist in der Gestaltung des Gesichtes der Einfluss griechi- B Kopf eines Jünglings. 3. Jahrhundert v. Chr. scher Klassik deutlich. Auf der Oberseite des aus einer Nega- tivform gewonnenen Kopfes ist das durch ein schmales Band Grobgeschlämmter, glimmerhaltiger Ton von gelbbrauner gehaltene Haar kaum ausgearbeitet. Über der sehr hohen Farbe. 21,5 × 14 × 12,5 cm (8 ½ × 5 ½ × 4 ⅞ in.). Mit Sockel. Stirn reihen sich bogenförmig nur summarisch angelegte [3341] Strähnen, die sich in der Mitte gabelförmig teilen. Auffällig stilisiert sind die langen, üppig gelockten, aufgebundenen Provenienz Strähnen des Epheben. In konzentrischen Halbkreisen bede- Sammlung Holger Termer, Hamburg (1978) / Sammlung cken sie die Schläfen bis zu den Jochbeinen. Ingeborg und Alfred Wurm (1927–2014), Hamburg (wohl 1990 Wie bei dem Frauenkopf fehlt auch hier die Rückseite. in der Kunsthandlung Holger Termer, Hamburg, erworben) / Sie war ursprünglich entweder ebenfalls aus einer Matrize Seitdem Familienbesitz gewonnen oder frei modelliert worden. Der glatte Halsab - schluss zeigt, dass der Jünglingskopf zu den im 4. und EUR 4.000–6.000 3. Jahrhundert v. Chr. überaus beliebten Votivköpfen gehört, USD 4,710–7,070 die den Ruhm der kampanischen Terrakotta-Werkstätten begründeten. ME Ausstellung Holger Termer: Kunst der Antike. Ausst.-Kat., Galerie Neuendorf, Hamburg, 1978 (nicht im Katalog)

371 Matteo deˇ 372 Massimiliano Pasti Soldani Benzi Verona um 1412 – 1468 Rimini 1656 – Montevarchi – 1740

Medaille auf den Prediger Timoteo Maffei (1415–1470). Medaille auf den Arzt und Philosophen Francesco Redi 1446 (1626–1697) – Rückseite mit dem Fest des Bacchus. 1684

Bronzeguss, dunkelbraune Patina. Ø 8,8 cm (3 ½ in.). Bronzeguss, dunkelbraune Patina. Ø 8,9 cm (3 ½ in.). Bezeichnet und signiert: [avers] TIMOTHEO • VERONINENSIS Bezeichnet, signiert und datiert: [avers] FRANCESCVS • • CANONICO • REGUL • DEI • PRAECONI • INSIGNI / [revers] REDI • PATRITIVS • ARETINVS • / M. SOLD 1684 / [revers] O P U S • MATHAEI • PASTI • VERONINENSIS. Gewicht: 353 g. m CANEBAM s. Gewicht: 182 g. Bohrloch im Rand. [3010] [3010]

Provenienz Provenienz Privatsammlung, Rheinland-Pfalz (1975 in der Black-Nadeau Privatsammlung, Rheinland-Pfalz (1977 in der Black-Nadeau Gallery, Monte-Carlo, Monaco, erworben) Gallery, Monte-Carlo, Monaco, erworben)

EUR 800–1.200 EUR 2.000–4.000 USD 942–1,410 USD 2,360–4,710

Die beiden italienischen Güsse huldigen berühmte Persön- lichkeiten der eigenen Zeit: Sie stammen von Matteo de’ Pasti, einem Schülers Pisanellos, und von Massimiliano Sold- ani Benzi, seinerzeit der bedeutendste Bronzegießer Euro- pas, der Francesco Redi ein Denkmal in Medaillenform setzte und auf der Rückseite auf dessen literarisches Werk „Bacco in Toscana“ (1685) Bezug nimmt.

Vorderseite

Rückseite

Grisebach — Herbst 2017 Vorderseite

Rückseite

373 Pierre-Simon-Benja- 374 Johann Georg min Duvivier und Nico- Waechter las-Marie Gatteaux 1742 – 1800 St. Petersburg 1730 – Paris – 1819 / 1751 – Paris – 1832 Medaille auf Zarin Katharina II. von Russland (1729–1796) und deren Ausrufung zur Zarin am 9. Juli 1762. 1762 Medaille auf König Ludwig XVI. von Frankreich (1754–1793) und die Auflösung der feudalen Privilegien durch die Natio- Silber, geprägt. Ø 6,7 cm (2 ⅝ in.). Bezeichnet, signiert und nalversammlung am 4. August 1789. 1789 datiert: [avers] Б. М. ЕКАТЕРИНИА. II. IМПЕРАТ. И САМОДЕРЖ. ВСЕРОСС. [r.u.] WAECHTER. / [revers] СЕ Bronze, geprägt; braune Patina / Rahmen: Kupfer, gepunzt, СПАСЕНIЕ ТВОЕ / IЮНIЯ 28 ДНЯ 1762 ГОДУ / [u. l.] : W. feuervergoldet, graviert. Ø 6,4 cm (2 ½ in.). Beschriftet, Gewicht: 107 g. [3010] bezeichnet und datiert: [avers] LOUIS XVI RESTAURATEUR DE LA LIBERTE FRANÇAISE / B. DE DUVIVIER [...] MDCCLXX- Provenienz XIX / [auf dem Rand des Rahmens] M. JOS. ETe. BORDIER Privatsammlung, Rheinland-Pfalz (1973 in der Black-Nadeau DÉPUTÉ DU BAILLAGE DE NEMOURS AUX ÉTATS GÉNÉRAUX Gallery, Monte-Carlo, Monaco, erworben) DE 1789. Gewicht: 135 g. Beigabe: Eine Stellage zum Einhän- gen. [3010] EUR 1.000–1.500 USD 1,180–1,770 Provenienz Joseph-Etienne Bordier (1754–1813), Mitglied der National- versammlung, Nemours (1790/91) / Privatsammlung, Rhein- land-Pfalz (1975 in der Black-Nadeau Gallery, Monte-Carlo, Monaco, erworben)

EUR 1.000–1.500 USD 1,180–1,770

375 Äthiopisch, Volk der Gurage

Nachtwächterfigur – Gardien du sommeil. Um 1950

Holz, bearbeitet, bemalt. 137,2 × 31 cm (54 × 12 ¼ in.). Mit Sockel. [3093]

Provenienz Privatsammlung, Schweiz (1980er Jahre in der Mursi Gallery, Addis Abeba, erworben)

EUR 3.000–5.000 USD 3,530–5,890

Vergleichsliteratur Gabreyesus Hailemariam: The Guragué and their Culture. New York, 1991 / William A. Schack: The Gurage. A People of the Ensete Culture. London, 1966

Die etwas unterlebensgroße Wächterfi- gur zählt zu den Gegenständen, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts zum Haus- stand eines jeden wohlhabenden Ange- hörigen der Ethnie der Gurage in Äthio- pien gehörten. Sie stellt einen Menschen dar – und auch wenn uns die Figur heute vor allem durch den Grad ihrer Abstrak- tion fasziniert, so hatte sie doch ursprünglich in erster Linie praktischen Nutzen. Denn Wächterfiguren dienten nicht nur dazu, von einem Haus böse Geister und andere unerwünschte Ein- dringlinge abzuwehren. Vielmehr erfüll- ten sie, waren sie im Inneren des Hauses aufgestellt, einen profaneren, ganz handfesten Zweck: als künstlerisch- architektonische Raumteiler, die Zim- merbereiche voneinander trennten. Anders als bei vergleichbaren Figu- ren aus anderen Kulturregionen, bei- spielsweise aus der Südsee, die meist eine stärkere anatomische Gliederung aufweisen, trifft man in der traditionellen Kunst Ostafrikas eine Reduktion auf die geometrischen Grundformen Rechteck und Kreis bei Wächtern häufig an, was unsere Wächterfigur zu einem typischen Vertreter seiner Gattung und Zeugen einer besonderen Kunst der Abstraktion macht, die noch immer beeindruckt. UC

Grisebach — Herbst 2017

376 Westafrika- Diese Tierskulptur aus dem Westen Afrikas, fesselt den Betrachter durch ihre minimalistische Ästhetik. Es ist eindrucksvoll zu beob- nisch, Volk der achten, wie es dem Künstler der Ethnie der Bwaba dabei gelungen ist, mit wenigen geschwungenen Umrisslinien und Volumina in geo- metrischen Grundformen die Illusion von Realismus aufrechtzuer- Bwaba halten. Welches Tier genau dargestellt ist, muss indes offen blei- (Burkina Faso) ben. Es könnte ein Erdschwein sein oder ein Gürteltier – exakt wird es sich nicht bestimmen lassen. Offenbar ging es dem Bildhauer bei dem Stück um etwas ganz anderes: Kenner schätzen das Kunst- schaffen der in Burkina Faso und Mali ansässigen Bwaba seit langem Stuhl oder Kopfstütze. wegen der ausgeprägten Tendenz zur Gegenstandslosigkeit. 19./20. Jahrhundert Auch was die Funktion der Skulptur betrifft, gibt es verschie- dene Lesarten. Im Katalog zur Ausstellung „Skulptur in Westafrika. Holz. 17 × 55 × 17 cm Masken und Figuren aus Burkina Faso“ aus der berühmten Samm - (6 ¾ × 21 ⅝ × 6 ¾ in.). [3093] lung Morat, zu der auch unser Stück früher gehörte, wird das Objekt als Stuhl identifiziert. Einleuchtender erscheint es jedoch, es ob Provenienz seiner Höhe von 17 cm als geschnitzte Kopfstütze zu interpretieren. Sammlung Charles Wentinck, Saumane Im einen wie im anderen Fall war seine Bestimmung recht alltäglich: (1970er Jahre) / Morat-Institut für Entweder setzte man sich darauf oder man benutzte es, um im Lie- Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg gen seine aufwändig geflochtene Frisur zu schonen. Die Tierdarstel- im Breisgau / Privatsammlung, Schweiz lung ist hier eine reine Schmuckform, die einen Gebrauchsgegen- stand verzieren sollte. In Europa würde man Design dazu sagen, EUR 2.000–3.000 weswegen der ehemalige Besitzer Charles Wentinck, Autor des USD 2,360–3,530 Erfolgsbuches „Modern and Primitive Art“ von 1979, das Objekt wohl auch besonders schätzte. UC Ausstellung Skulptur in Westafrika. Masken und Figuren aus Burkina Faso. Sammlung „Burkina Faso“ aus dem Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg im Breisgau. Ausst.-Kat., Duis- burg, Heilbronn und Bremen, 1995, S.17

377 Georges Dem flüchtigen Blick verborgen, gibt das eingestempelte „G. Jacob“ auf der Unterseite der Stuhlzarge Auskunft über den Hersteller die - Jacob ser Möbel: Die Stühle stammen aus der berühmten Werkstatt von Georges Jacob in Paris, jenes geschäftstüchtigen Tischlermeisters, Cheny 1770 – 1841 Paris der schon im Ancien Régime den französischen Königshof mit exklu- siven Möbeln belieferte und dann, mit noch größerem Erfolg, auch Paar Stühle mit dem Monogramm „PB“ in den Jahren der Revolution und des Kaiserreichs die Spitzen der – wohl aus dem Besitz von Pauline Gesellschaft als Kunden gewann. Mit ihren von Pierre François Léo - (Bonaparte) Borghese (1780-1825). nard Fontaine entworfenen Tischlerarbeiten sollte die Werkstatt Wohl 1798 stilbildend für die europäische Möbelkunst des Empire wirken. Von der Form her stehen unsere Stühle dem „goût étrusque“ Mahagoni, massiv, geschnitzt; Bronze, der Direktionszeit nahe, sie gehören also noch der Zeit vor 1800 an. feuervergoldet; Leder. Die betont geometrische Form ihrer Rückenlehnen fällt besonders 88,3 × 47 × 45 cm ins Auge. Das hier senkrecht einge- (34 ¾ × 18 ½ × 17 ¾ in.). Beide Stühle setzte, durchbrochen ornamen- unter der Zarge gestempelt: G. JACOB / tierte Rechteck, in der Art unseres Bronzeletter, vergoldet: PB. Lederbe- Lots, hat Jacob auch bei anderen zug erneuert. [3010] Stuhlmodellen, etwa für Napoleons Schloss Malmaison, verwendet. Provenienz Im Gegensatz zum Signet des Wohl Pauline Bonaparte (1780–1825), Herstellers gibt das so prominent Château de Montgobert / Privatsamm- auf der Rückenlehne prangende lung, Rheinland-Pfalz (2002 erworben Monogramm „PB“, das auf den in der Galerie Jacques Perrin, Paris) einstigen Besitzer hinweist, Rätsel auf. Vielleicht handelt es sich um EUR 20.000–25.000 das frühe Monogramm von José- USD 23,600–29,400 phine de Beauharnais, der späte- ren Frau von Napoleon Bonaparte, Vergleichsobjekt wobei das P für ihren Mädchenna- François-Honoré-Georges Jacob-Des- men Pagerie stünde. Oder aber, malter: Pauline Bonapartes Briefkäst- was wahrscheinlicher ist, es chen aus dem Hôtel de Charost in bezieht sich auf Pauline Bonapar- Paris, um 1805, Galerie Michael Lipitch, te, die schöne Lieblingsschwester

London François-Joseph Bosio: Pauline Bonaparte, Napoleons. Mit siebzehn Jahren an Miniatur, um 1805, Privatsammlung den General Leclerc verheiratet, doch rasch verwitwet, hatte Pauli- ne 1803 Camillo Filippo Ludovico aus dem noblen römischen Fürs- tenhaus Borghese geheiratet. Sie galt als „das Lächeln der Epoche“ (Henri d'Alméras). Dabei führte sie ein libertinäres Leben, das frei- zügigen Genuss, unkonventionelle Lebensart und opulente Pracht- entfaltung unbedingt einschloss. Von Antonio Canova hat sie sich als sparsamst bekleidete „Venus Victrix“ in Marmor abbilden lassen. Es wurde ein Meisterwerk moderner Selbstinszenierung. Und in der Tat könnte es sich bei Pauline um die einstige Besit- zerin unserer Stühle handeln. Die Stühle könnten dann womöglich zum Picardie-Schloss Montgobert gehört haben, das eben Pierre François Léonard Fontaine um 1798 für Pauline einrichtete. Die Werkstatt Jacob war später wohl auch Urheber eines Schreibkäst- chens, das aus dem Hôtel de Charost stammt, Paulines späterem Wohnsitz in Paris. Allerdings ist auf diesem Kästchen bereits das bekrönte „P“-Monogramm zu sehen, das Pauline als mit einem Bor- ghese verheiratete Fürstin führen durfte. JM

Grisebach — Herbst 2017 Die Stühle der Frau, die man das „Lächeln der Epoche” nannte.

378 Nicolas Die Bronzemedaille auf König Ludwig XII. von Frankreich und seine Gemahlin Anne de Bretagne gilt vom Entwurf her als die bedeu- Leclerc und tendste Renaissancemedaille Frankreichs. Sie steht in der Tradition der Werke von Antonio di Puccio Pisano, gen. Pisanello (1395–1455), dem Begründer dieser Bildgattung und dem wichtigsten Medailleur Jean Saint- der italienischen Renaissance. Die Medaille auf das französische Königspaar war ein Ehrenge- Priest schenk der Stadt Lyon und wurde zum feierlichen Einzug Ludwigs Tätig zwischen 1487 – 1507 / und Annes im Jahr 1499 angefertigt. Die Vorderseite zeigt das Brust- Tätig zwischen 1490 – 1516 bild des Königs nach rechts, mit Krone über einer Mütze. Er trägt die Ordenskette des Heiligen Michael um den Hals. Im Feld finden sich Lilien. Unten ist mittig der Löwe von Lyon zu sehen. Die Umschrift Medaille auf König Ludwig XII. von zwischen zwei Linienkreisen Frankreich (1462–1515) und Anne de bedeutet: „An der gesegneten Bretagne (1477–1514). 1499 Herrschaft von Ludwig dem zwölften, einem weiteren Bronzeguss, ziseliert; rotbraune Patina Cesar, freut sich die ganze – gegossen von Jean und Colin Lepère. Nation.“ Ø 11,3 cm (4 ½ in.). Bezeichnet: [avers] Korrespondierend dazu + FELICE • LVDOVICO • REGNATE • DVO- findet sich auf der Rückseite DECIMO • CAESARE • ALTERO • GAVDET das Brustbild Annes nach links, • OMNIS • NACIO • / [revers] + LVGDVN • mit Krone und Schleier auf RE • PUBLICA • GAVDETE • BIS • ANNA • dem Haupt. Sie trägt eine kur- REGNANTE • BENIGNE • SIC • FVI • CON- ze Kette um den Hals, dazu FLATA • 1499• . Gewicht: 505 g. [3010] eine lange Kordel mit Juwelen- anhänger. Im Feld sind Lilien Provenienz und Hermelinschwänze abge- Maître de Philippe de Gueldre: Krönung von Privatsammlung, Rheinland-Pfalz (1975 Ludwig XII. und Anne de Bretagne, Miniatur, bildet. Unten wird mittig wie- in der Black-Nadeau Gallery, Monte- um 1500, Musée Dobrée derum der Löwe von Lyon Carlo, Monaco, erworben) gezeigt. Die Umschrift, erneut zwischen zwei Linienkreisen, EUR 8.000–10.000 besagt: „Die Gemeinde Lyon erfreut sich der zweiten Regierungszeit USD 9,420–11,800 der guten Königin Anne, wo ich war gegossen“. Die Medaille ist das Gemeinschaftswerk einer Gruppe lokaler Vergleichsliteratur Künstler: Der Entwurf stammt von Jean Perréal (1455–1530), Nicolas Stephen K. Scher (Hg.): The Currency Leclerc und Jean de Saint-Priest lieferten das Medaillenmodell, of Fame. Portrait Medals of the Renais- Jean (1492–1534/37) und dessen Bruder Colin Lepère waren für den sance. Ausst.-Kat., New York, 1994, Guss verantwortlich. Weitere Exemplare der Medaille finden sich Kat.-Nr. 140a weltweit in bedeutenden Sammlungen.

Weitere Exemplare Sylvia Volz The British Museum, London, Inv.-Nr. M.2153 / Victoria and Albert Museum, London, Inv.-Nr. 388-1910 / Münzkabi- nett der Staatlichen Museen zu Berlin, Inv.-Nr. 18217269 / Bibliothèque natio- nale de France, Paris, Inv.-Nr. 3160 bis 3162

Grisebach — Herbst 2017 Vorderseite

Rückseite

379 Jean-Etienne Sie blickt offenen Auges, wie nur Liotard es darzustellen vermag: „Die Augen sind groß, lebhaft und zugleich voll Sanftmut [...] Ihr Liotard Gesichtsausdruck ist offen und heiter, ihre Anrede freundlich und anmutig. Man kann nicht leugnen, daß sie eine schöne Person ist“, so 1702 – Genf – 1789 Heinrich Graf von Podewils 1747 an König Friedrich II. Die subtil erhöhte Position im Bild genügt, um der Dargestellten gebührende Maria Theresia mit den Kronen Hoheit zu verleihen. Die junge Regentin versammelt ihre Kronen vor Böhmens und Ungarns und dem öster- sich, schützend und besitzend umfasst sie damit ihre Länder. Ihr reichischen Erzherzogshut. 1745 Haar, frisiert nach neuer Mode, wofür sie eigentlich wenig Geduld aufbrachte, umspielt hell das samtige Inkarnat. Pastell auf Pergament. 80 × 64 cm Maria Theresia, damals gerade 28 Jahre alt, wirkt entschlos- (31 ½ × 25 ¼ in.). Mit einem Gutachten sen und wissend, doch nicht unantastbar. Liotard gönnt ihr Sinnlich- von Marcel Roethlisberger, Genf, vom keit. Viele fein gestimmte Nuancen geben die Pastellkreiden wieder, 5. Dezember 1991 (als Liotard). ebenso viele erfasste der Künstler auf der Seelenebene seines [3472] Gerahmt. Gegenübers. Die gesamte Familie hat er studiert. Jeder ihrer Blicke erstaunt mit einer Direktheit, die geradezu unverblümt erscheint. Provenienz Liotard nannte sich selbst „peintre de la vérité“. Welche Wahr- Ministerpräsident Johann Philipp Frei- heit er wirklich meinte, blieb offen. Er folgte konsequent seiner herr von Wessenberg-Ampringen (1773– eigenen Sicht auf die Kunst, oft gegen den Strom, und zelebrierte 1858), Wien (1848 wohl als Geschenk eine aufgeklärte Form der Illusionsmalerei, die Emotion und Geist von Erzherzog Johann von Österreich des dargestellten Individuums mit einschloss. Ausgestattet mit allen (1782–1859) / Dessen Tochter Maria technischen Finessen der präzisen Miniaturmalerei lag Liotard Ludovika Franziska Freiin von Wessen- nichts ferner als die „manière heurtée“, der gestische Einsatz der berg (1808–1848) / Deren Tochter Gräfin Pastellkreide, wie ihn etwa Jean Siméon Chardin effektvoll Marie Auguste von Blankensee (1834– beherrschte. Für Liotard war die Maxime konträr: Er wollte keinerlei 1884) / Deren Tochter Clotilde Alexandra Spur des Malprozesses hinterlassen, sondern die Konsistenz der Freiin von Fircks (1858–1939) / Deren Kreide nutzen, sie zu einer glatten, schimmernd pudrigen Oberflä- Sohn Friedrich Wilhelm Graf von Pück- che zu mischen. So wurde die Illusion perfekt, das Wandeln zwi- ler Freiherr von Groditz (1878–1960), bis schen den Realitäten für den Betrachter ungehemmt. Selbst der 1945 Schloss Freyhan, Schlesien / Des- großen Maria Theresia kam er damit sehr nahe. „Seine Art und Weise sen Neffe Friedrich Wilhelm Graf von Pückler von Schwichow (1905–1989), Heidelberg / Seitdem Familienbesitz, Hessen Liotard gönnt der

EUR 22.000–24.000 Regentin Sinnlichkeit. USD 25,900–28,300

Literatur und Abbildung in Pastell zu malen ist einzigartig und sein Kolorit sehr schön, von Weltkunst, Jg. 71, Nr. 12 (15. Oktober einer Geschlossenheit und Spannkraft, die vermutlich niemand 2001), S. 1935, mit Abb. / Marcel Roeth- anderer in dieser Art der Malerei übertreffen wird“, bemerkte lisberger und Renée Loche: Liotard. Liotard 1760 selbstbewusst über seine eigene Kunst. Catalogue. Doornspijk, 2008, Bd. 1, Unser Porträttypus entstand während Liotards erstem Aufent- S. 310, ohne Abb. halt in Wien in den Jahren 1743 bis 1745, als er das Vertrauen der Erzherzogin gewann, die eine erste Version des Bildes – eine Dar- Vergleichsliteratur und -objekte stellung in gleicher Haltung und blauer Robe, jedoch ohne Hände Gudrun Swoboda: Jean-Etienne Liotard und Kronen – 1743 dem Grafen Goëss schenkte. Kurz nach diesem (1702–1789) – der Maler der Extreme. Pastell wurde das hier gezeigte angefertigt, das weit länger als das Wien, 2012, S. 12 / Variante unseres erste in Habsburger-Besitz bleiben sollte. Erst gut hundert Jahre Bildes (78,5 x 64 cm), Schloss Miramare, nach seiner Entstehung ging das Liotard-Pastell Maria Theresias Triest 1848 von Erzherzog Johann an dessen Freund, den österreichischen Außenminister Freiherr von Wessenberg, dessen Nachfahren es bis In einem österreichischen Kastenrah- heute durch alle Unbill der Weltgeschichte gerettet haben. men mit Glas. Claudia Lehner-Jobst Wir danken Neil Jeffares, London, für freundliche Hinweise.

380 Unbekannte Als die Wiener Werkstätten 1926 „Wiener Kleinigkeiten“ aus Metall- email und bunte Kleinkeramiken zeigten, war der Kunstberichter- Künstlerin statter irgendwie befremdet: Alle Bewegungen und Gebärden seien bewusst übersteigert, fast ins Komische gedrängt. Ihm fehle die intellektuelle Beseelung der gezeigten heiligen, frivolen und komi- schen Frauengestalten in Form von Kleinskulpturen, merkte er Aphrodite mit dem goldenen Apfel der nachdenklich an. Doch genau das war es, was die Wiener Kunstge- Hesperiden. Um 1925/30 werblerinnen in den ausgehenden 1920er Jahren, wie Vally Wie - selthier (1895–1845) mit ihren Keramikfiguren oder Mizi Otten-Fried- Kupfer- und Messingblech, getrieben, mann (1884–1955) mit ihren Kupferemailfiguren, im Sinn hatten: ziseliert, emailliert. 88 × 18 × 13,5 cm Heitere Schönheiten, die die Phantasie beleben sollten, verzerrte (34 ⅝ × 7 ⅛ × 5 ⅜ in.). [3493] Karikaturen, die sich vom Überintellektuellen abwandten. Der Kriti- ker befand: „Diese Kleinkunst stellt sich [...] unbekümmert dem Provenienz Strom der Zeit entgegen und widerspricht ihr durch das Format Privatsammlung, Bayern ihrer Erlebnisse, Wünsche und Bosheiten.“ (Weiser, 1926, S. 194) Und irgendwie gefiel das dem Autor der hehren Kunstzeitschrift „Deut- EUR 5.000–7.000 sche Kunst und Dekoration“ dann doch. Immerhin sinnierte er sei- USD 5,890–8,240 tenlang über die phantastischen Figuren, lotete deren Zweck und Wirkung aus – denn ganz so einfach waren sie dann doch nicht als Vergleichsliteratur „allein vordergründig“ einzuordnen. Armand Weiser: Wiener Kleinigkeiten. Eben diesem Umfeld entstammt auch unsere Emailschönheit, In: Deutsche Kunst und Dekoration, die mehr ist als nur dekorative Frauengestalt und die nicht nur ob Bd. 59 (1926/27), S. 192–196 ihres Schöpfers – oder ihrer Schöpferin – Fragen aufwirft. Steht hier das Abbild der übergraziös gelängten Eva mit dem Apfel vor uns, der die Sünde bedeutet? Doch warum trägt sie ihren Rock so derart keck hochgeschlagen, dass man an Vally Wie- selthiers figurale Keramik einer erotisch nackten Frau von 1927, in gleicher Größe, denken mag? Oder ist es, mit Lorbeer bekrönt, doch Aphrodite, die den goldenen Apfel der Hesperiden hält, der im Urteil des Paris den Sieg der Liebe über die Weltherr- schaft und Weisheit bedeutet? Während dies offen bleibt, besticht die Skulptur durch ungemein aufwändige Durchziselierung der emaillierten Kupfer- und goldenen Messin- goberfläche und das geheimnisvoll Geküns- telte der Formen. Als figurative Raumplastik hing sie an einer Wand und beherrschte mit ihrem Farbenreichtum sicherlich die Szene, die Blicke und die Gedanken von Betrachtern und Kunstfreunden: War es das Unideologi- sche, was beeindruckte? Oder doch der tiefe Blick unter das Kleid der zarten und kokett sich abwendenden Schönheit? All dies bleibt ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, von wem die Skulptur Vally Wieselthier: Figurale Keramik. In: Deutsche Kunst geschaffen wurde. Ähnliche Bauplastik ent- und Dekoration, Bd. 61 stand um 1925 gleichermaßen in Berlin, Stutt- (1927/28), S. 312 gart, München oder Hamburg. Die spieleri- schen, lebensfreudigen Kunstwerke dieser Zeit, voll Schalkhaftigkeit und Koketterien, waren wie die Fest- und Lustkultur der Roaring Twenties eine Antwort auch auf die Weimarer Krisen mit wirtschaftlicher Depression und politischem Chaos. Unsere gelängte Schönheit trägt ebenfalls diese janusköpfige Zeit in sich, zeigt aber zugleich, wie fruchtbar die Zwanziger für die Kunst der klassischen Moderne waren. SK

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381 Chinesisch, Der Hof König Ludwigs XIV. (1638-1715) in Versailles war für den euro- päischen Adel im Zeitalter des Barocks das Leitbild par excellence. Kangxi-Periode Großer Beliebtheit erfreuten sich die von Hofkünstlern herausgege- benen Kupferstichalben, in denen Mitglieder des Hofstaates und 1662 – 1722 prominente Besucher in prächtigen Kostümen und mit den neumo- dischsten Frisuren abgebildet waren. Häufig wurden die Dargestell- Exportporzellan: Teller mit einer Szene ten vor der blühenden Gartenkulisse des Schlosses bei Freizeitbe- nach Nicolas Bonnart I. (um 1637–1718) schäftigungen abseits des höfischen Protokolls gezeigt. aus Jingdezhen (Provinz Jiangxi). Unser Teller wurde in China nach der Vorlage eines solchen Um 1700 Stichs dekoriert. Die Originalzeichnung des musizierenden Trios stammt vom Hofmaler Robert Bonnart (1652–1733), der Stich mit Porzellan mit kobaltblauer Untergla- dem Titel „Simphonie du Tympa- surmalerei. Ø 33,7 cm (13 ¼ in.). Ohne num, du Luth, et de la Flûte Marke. [3564] d'Allemagne“ von seinem Bruder Nicolas. Der Sonnenkönig galt als Provenienz großer Patron der Musik, veranstal- Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen tete in Versailles regelmäßig Kon- zerte mit den begabtesten Musi- EUR 12.000–15.000 kern und soll selbst mehrere USD 14,100–17,700 Instrumente beherrscht haben. Die Kombination des baro- Vergleichsliteratur cken Hauptmotivs mit den Land- David S. Howard und John Ayers: China schaftsszenen im Stil der klassi- for the West. Chinese Porcelain and schen chinesischen Tuschemalerei other Decorative Arts for Export illust- steht geradezu sinnbildlich für den rated from the Mottahedeh Collection. fruchtbaren Austausch zwischen London, 1978, S. 77 / Craig Clunas (Hg.): Europa und China in dieser Ära. Er Chinese Export Art and Design. Ausst.- beschränkte sich nicht nur auf den Kat., London, 1987 / David S. Howard: Warenverkehr, sondern umfasste The Choice of the Private Trader. The auch die Künste und Wissenschaf- Private Market in Chinese Export Por- ten. Die chinesischen Gesichtsphy- celain illustrated from the Hodroff Nicolas Bonnart: Simphonie du Tympanum, siognomien der Musiker resultieren Collection. Minneapolis, 1994, S. 40 du Luth, et de la Flûte d'Allemagne, Kupfer- wohl daher, dass kaum ein chinesi- stich nach Robert Bonnart, 1692, Biblio- scher Porzellanmaler bis dahin je thèque municipale de Versailles, Sig. A30 Vergleichsobjekte einen Europäer zu Gesicht bekom- Victoria and Albert Museum, London, men hatte. Lediglich dem Jesuiten- Inv.-Nr. C.782-1910 / British Museum, missionar François-Xavier Dentrecolles (1664-1741) war es seinerzeit London, Inv.-Nr. 1963,0422.18 gestattet, in Jingdezhen zu residieren. Er war es schließlich auch, der die Geheimnisse der chinesischen Porzellankunst entlüften konnte und Europa in seinen berühmten Briefen davon berichtete. Großformatige Porzellane wurden in der Zeit um 1700 gerne für die Ausstattung von Paraderäumen verwendet. Der Sohn von Ludwig XIV., der Grand Dauphin (1661-1711), dekorierte sein Apparte- ment in Versailles mit 169 solcher blauweißen Stücke. Vasengarnitu- ren mit Szenen Bonnarts findet man heute noch in den Königlichen Sammlungen in Dresden und Stockholm, wo die dereinst sammeln- den Herrscher die höfische Welt Versailles' selbst auf chinesischem Porzellan an den eigenen Hof holten.

Daniel Suebsman, Gastkurator für ostasiatisches Porzellan, Hetjens- Museum – Deutsches Keramikmuseum, Düsseldorf

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382 Werkstatt Bayreuth, der Entstehungsort der Kommode, war im 18. Jahrhundert einzigartiges und zugleich innovatives Zentrum der deutschen Hof- der Gebrüder kunst: „Sie liebt das Außerordentliche und damit ist alles gesagt“, so urteilte Graf Lehndorff 1758 über die damals in Bayreuth herrschen- de Markgräfin und Auftraggeberin Wilhelmine (1709–1758), Lieblings- Spindler schwester Friedrichs des Großen von Preußen. Tätig in Bayreuth und Potsdam Politische Überlegungen hatten Wilhelmine 1731 in eine Ver- 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts nunftehe mit dem Bayreuther Markgrafen in die seinerzeit unbedeu- tende Kleinstadt gezwungen. Mit unbeugsamem Willen schuf sie in Kommode mit phantastischer der „Verbannung“ einen eindrucksvollen Musenhof, der in den deut- Landschaft in Marketerie für den schen Ländern kaum seinesgleichen fand. Alles geriet Wilhelmine, Bayreuther Hof. Um 1765 der „Pallas von Bayreuth“, zum Gesamtkunstwerk. Eremitagen, Fel- sentheater, Wasserspiele, Grotten, pastorale Szenerien und exoti- Marketerie mit Nussbaummaser, Nuss- sche Kabinette entstanden nach ihren Plänen. holz, Ahorn, Pflaumenholz, Buche auf Auch die heimischen Kunstschreiner, allen voran die Ebenis- Fichtekorpus; Messingbeschläge, tendynastie der Spindler, orientierten sich an den Vorlieben der gegossen, gestanzt, vergoldet; Eisen- Markgräfin. Sie schufen Möbelstücke, die heute neben jenen der kastenschlösser. 78,5 × 117 × 60 cm Roentgen-Werkstatt zu den eigenartigsten Werken der deutschen (30 ⅞ × 46 ⅛ × 23 ⅝ in.). Expertise Möbelkunst des 18. Jahrhunderts gehören. Charakteristisch für die Sigrid Sangl, Ismaning, vom 15. Novem- Spindler-Werkstatt ist dabei die Kombination ausdrucksstarker ber 2015. Schlüssel vorhanden. [3187] Nussbaummaserfurniere zu malerischen Furnierbildern, die meist wildromantische Felsenland- Provenienz schaften suggerieren. Privatsammlung, Donndorf – nahe dem Auch unsere Kommode, Schloss Fantaisie von Prinzessin Frie- wohl entstanden im Umkreis des derike von Brandenburg-Bayreuth (bis Bayreuther Hofes, zeigt das typi- 1963) / Privatsammlung, Bayern (2015 sche Motivrepertoire mit Felsen, in der Kunsthandlung Wolfgang Bau- Quellgottheiten und bizarren mann, Bayreuth, erworben) Naturelementen. Im Unterschied zu den späteren Potsdamer EUR 35.000–40.000 Möbeln, Wandvertäfelungen und USD 41,200–47,100 Fußböden der Spindler-Werkstatt findet sich hier jedoch noch keine Literatur und Abbildung zusätzliche Einfärbung der Furnie- Johann Gottfried Köppel: Der Reigerfelsen in Sigrid Sangl: Spindler? In: Journal of Sanspareil, Kupferstich, 1793 (nach der Stich- re. Allein die natürliche Wirkung the Furniture History Society, Jg. XXVII serie von 1749) der ausdrucksstarken Furnierhöl- (1991), S. 22–66, S. 32, Abb. 71 zer zählt. Die Werkgruppe in Bay- reuth stellt sich damit als einzig- Vergleichsobjekt artig dar. Die Korpusgestaltung mit nur noch leicht geschwungener Werkstatt der Gebrüder Spindler: Front, konischen Füßen und umlaufendem Zahnschnittfries zeugt Kommode, Bayreuth und Potsdam, um unterdessen bereits von den Einflüssen des aufkommenden Klassi- 1765, Germanisches Nationalmuseum zismus, den Wilhelmine mit ihren Antikenkäufen förderte. Auch die Nürnberg, Inv.-Nr. HG12541 für die Spindler-Werkstatt typische Dreiteilung der Marketeriefelder wird nicht mehr von rokokohaft geschwungenen Kartuschen gerahmt, sondern verweist mit mäanderartig überschnittenen Filets auf den neuen Stil. Die bildhaften Motive – Putto mit Rohrkolben auf Tritonmuschel, Göttin nach dem Bade, Baumstrünke und Schäferin – sind auch auf anderen Spindler-Möbeln zu entdecken und gehören zum ornamentalen Vorlagenkanon der Werkstatt. Sie stehen in Bezie- hung zur Stichserie der Felsengärten von Sanspareil, die Wilhelmine ab 1744 nahe Bayreuth hatte anlegen lassen. Nachdem die Markgräfin 1758 gestorben war, endete die glanz- volle Epoche des fränkischen Musenhofes 1769. Unsere Kommode kann in diesem Kontext als seltener Beleg für die Hochrangigkeit des fränkischen Kunsthandwerks im 18. Jahrhundert gelten. Zugleich spiegelt das Möbel den starken Willen der kunstbegeisterten Wilhel- mine, auch unter widrigen Umständen ein Arkadien in der Provinz zu schaffen. SiS

Grisebach — Herbst 2017 Sanspareils wildromantische Felsenlandschaften in kostbaren Hölzern.

383 Queen Im Dezember 1819 trat Fräulein Louise Lehzen aus Hannover im Ken- sington Palace in London ihren Dienst als Erzieherin der Prinzessin Victoria von Feodora zu Leiningen (1807-1872) an. Feodoras Mutter, Herzogin Vic- toire von Kent (1786-1861), geb. Prinzessin von Sachsen-Coburg- Saalfeld, war seit 1814 verwitwet, hatte 1818 in zweiter Ehe den England zwanzig Jahre älteren Herzog Edward von Kent (1767-1820) geheiratet London 1819 – 1901 Isle of Wight und mit ihm im Mai 1819 eine weitere Tochter bekommen: Feodoras Halbschwester Victoria, die spätere englische Königin. 1824 wurde Erinnerungsalbum, gesammelt für ihre Louise Lehzen schließlich auch Erzieherin der damals fünf Jahre Erzieherin, Freiin Louise von Lehzen. alten Prinzessin Victoria. 1820–1841 Louise Lehzen war 1784 als zweite Tochter des protestanti- schen Pastors Joachim Friedrich Lehzen geboren worden. Über ihre Papier in Maroquinleder gebunden: Ausbildung ist wenig bekannt. Sie wurde wohl schon in jungen Jah- zahlreiche Memorabilien (Haarlocken, ren Erzieherin. Zwischen Louise Lehzen und der Thronfolgerin Vic- Briefe, adressierte Umschläge, Textili- toria entwickelte sich im Laufe der Jahre ein enges, ja persönliches en etc.), darunter sieben Fotografien, Vertrauensverhältnis. 1835 betonte Victoria, inzwischen sechzehn elf Autographen und sechs Zeichnun- Jahre alt: „Sie ist die gütigste, ergebenste, anhänglichste und selbst- gen von Queen Victoria. Quart, 20 Sei- loseste Freundin, die ich habe, und ich liebe sie tief.“ Zeitgenossen, ten (ohne Paginierung). [3283] die Lehzen kannten, beschreiben sie derweil als „Frau mit engen Horizon- Provenienz ten und einer provinziellen Weltan- Freiin Louise von Lehzen (1784–1870), schauung. Ihr Äußeres war unauffällig, Bückeburg (1841 als Geschenk der sie hatte eine gelbe Gesichtsfarbe Queen Victoria) / Seitdem Familien- und pflegte beständig Kümmelkerne besitz, Norddeutschland (bis 2001) / zu kauen, um ihre Anfälle von Blähun- Privatsammlung, Bayern gen zu bekämpfen. Sie war die klassi- sche ‚alte Jungfer‘, wenig charmant EUR 30.000–40.000 und mit schroffer Ausdrucksweise.“ USD 35,300–47,100 (Blankart 2001) Auch nach Victorias Thronbe- Literatur und Abbildung steigung 1837 blieb die ehemalige Roger Boyes: Queen's Link of Love to Erzieherin ohne Hofstellung im unmit- Exiled Nanny Found. In: The Times, telbaren Umfeld der Monarchin. Wohl 6. Februar 1999 / Dana Horáková: Ein auf Drängen der Herzogin Victoire war Herz und eine Krone. In: Welt am Sonn- Lehzen 1827 durch König Georg IV. in tag, 21. Januar 2001 / Christian Mayer: den Freiherrenstand des Königreichs Aus dem Leben eines Geistesmen- Hannover erhoben worden und trug als Unverheiratete den Titel schen. In: Süddeutsche Zeitung, „Freiin“, im Englischen: „Baroness“. Das von ihr gewählte Wappen 28. März 2001 / Michaela Blankart und zeigte eine Palme, die in der Barockemblematik für Beständigkeit Siegfried-H. Hirsch (Hg.): The Private und Redlichkeit steht. Nach Victorias Heirat mit Prinz Albert von Album of Queen Victoria's German Sachsen-Coburg und Gotha (1819-1861) im Jahr 1840 veränderten Governess Baroness Lehzen. Bamberg, sich die Verhältnisse in der Umgebung der Königin. Prinz Albert ver- 2001 drängte Lehzen aus dem familiären Umfeld. Mit einer stattlichen jährlichen Pension von 800 £ und einer Kutsche überquerte Lehzen Beigabe daraufhin 1842 den Ärmelkanal und kehrte nach Deutschland zurück, Textilband vom violetten Atlasoberrock wo sie sich bei ihrer Schwester im Residenzstädtchen Bückeburg im von Prinzessin Charlotte Augusta von Fürstentum Schaumburg-Lippe niederließ. Nach ihrem Tod 1870 ließ Wales (1796–1817), den diese trug, als Queen Victoria ihr einen pompösen Grabstein errichten mit der sie 1814 am Connaught Place in London Inschrift: „Der treuen Führerin ihrer Jugend in Dankbarkeit gewid- ankam, nachdem sie vor der ungewollten met von Victoria Königin von Großbritannien“. Ehe mit Prinz Wilhelm von Oranien- Unser Album, das 1999 aus dem Familienbesitz der Nachfah- Nassau geflohen war (mit einem ren der Freiin von Lehzen erstmals ans Licht der Öffentlichkeit handschriftlichen Vermerk von Louise gelangte, ist ein anrührendes Dokument der engen, lebenslangen Lehzen) Freundschaft und Verbundenheit zwischen Queen Victoria und Lou- ise Lehzen. Ohne Zweifel kann es als „Album amicorum“ oder „Monumentum amicitiae“ bezeichnet werden. In dem kleinen Oktavbändchen, auf dessen Buchdeckel die ligierten Initialen der „Victoria Regina“ unter der St. Edward‘s Crown

Grisebach — Herbst 2017

und die Jahreszahl 1841 in Gold geprägt wurden, sind Dinge und Memorabilien verschiedenster Art ohne erkennbares Ordnungsprin- zip gesammelt: feinste, kleinformatige Zeichnungen der jungen Vic- toria, Fotografien mit Beschriftungen von der Hand der Königin, Stoffteile und künstliche Orangenblüten vom Brautkleid der Monar- chin sowie Haarlocken aus unterschiedlichen Lebensphasen Victori- as. Darüber hinaus sind Briefe und Karten von Mitgliedern des engli- schen Hofes sowie weiterer Personen der Zeitgeschichte enthalten, darunter ein Briefumschlag, den Alexander von Humboldt „An Baro- ness Louise von Lehzen, Hochwohlgeboren / zu Bückeburg“ adres- sierte. Auf dem ersten Blatt des Albums ist ein kleines, ovales Minia- turporträt von Louise Lehzen eingeklebt, das der von 1820 bis 1846 bei Berliner Akademieausstellungen vertretene Berliner Porträtma- ler Carl Friedrich Koepke für die Dargestellte ausgeführt hat. Es diente als Vorlage für zwei identische Bildnisminiaturen (Wasserfar- ben auf Elfenbein, 4,0 x 3,3 cm), die Lehzen Ende 1842 schon von Das ist das Album der Jugend, der Träume, der Zeichnungen und der Erinnerungen der großen Queen Victoria.

Deutschland aus als Geschenk an Queen Victoria schickte. Eine davon war für Victorias Halbschwester Feodora bestimmt, seit 1828 Fürstin zu Hohenlohe-Langenburg (heute Schloss Langenburg). Die andere befindet sich heute in der Royal Collection (Inv.-Nr. RCIN 420414). Queen Victoria schrieb dazu unter dem Datum 30. Januar 1843 in ihr Tagebuch: „I received from Lehzen her miniature, done at Berlin, which is a very good likeness“. ThK

Grisebach Partner und

Repräsentanzen Grisebach Berlin and Representatives

Grisebach Berlin Fasanenstraße 25 10719 Berlin T +49 30 885915 0 F +49 30 88241 45 [email protected] grisebach.com Florian Illies Micaela Kapitzky [email protected] [email protected] T +49 30 885 915 47 T +49 30 885 915 32

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Grisebach — Herbst 2017 Stefanie Busold Dr. Arnulf Herbst Anne Ganteführer-Trier Norddeutschland Hessen Nordrhein-Westfalen/Benelux [email protected] [email protected] [email protected] T +49 40 4600 9010 T +49 175 408 5399 T +49 170 57 57 464

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Laura von Bismarck Sophia von Westerholt Private Client Service Private Client Service [email protected] [email protected] T +49 30 885 915 24 T +49 30 885 915 84 Herbstauktionen in Berlin Kunst auf Papier – 29. November bis 2. Dezember 2017 Aus der Sammlung B. S. Autumn Auctions in Berlin, 29 November – 2 December 2017 Auktionen Herbst 2018 für die Gründung eines ExilMuseums

30. November 2017 279 280

Ausgewählte Objekte Herbst 2017 Herbst 2017 Herbst 2017 Photographie Ausgewählte Objekte Kunst des 19. JahrhundertsKunst des 19. ORANGERIE

Moderne und

Kunst des 19. Jahrhunderts 29. November 2017 Zeitgenössische Photographie 29. November 2017

Kunst des 19. Jahrhunderts Moderne und Zeitgenössische ORANGERIE Ausgewählte Objekte Mittwoch, 29. November 2017, Photographie Donnerstag, 30. November 2017, 15 Uhr Mittwoch, 29. November 2017, 11 Uhr 18 Uhr 282

Herbst 2017 Herbst 2017 Small is Beautiful Ausgewählte Werke

Ausgewählte Werke 30. November 2017 Small is Beautiful 30. November 2017 Moderne Kunst 1. Dezember 2017

Ausgewählte Werke Small is Beautiful Moderne Kunst Donnerstag, 30. November 2017, Donnerstag, 30. November 2017, Freitag, 1. Dezember 2017, 17 Uhr ca. 18.30 Uhr (im Anschluss an 11 Uhr Ausgewählte Werke) 286 Herbst 2017 Herbst 2017 T h i r d F l o o r Zeitgenössische Kunst Zeitgenössische

Kayany Foundation – Third Floor 1 December 2017 Charity Auction Zeitgenössische Kunst 1. Dezember 2017 Schätzwerte bis 3.000 Euro 2. Dezember 2017

Kayany Foundation – Charity Auction Zeitgenössische Kunst Third Floor Freitag, 1. Dezember 2017, Freitag, 1. Dezember 2017, Samstag, 2. Dezember 2017, 17 Uhr 17 Uhr (im Anschluss an Kayany) 11 Uhr/15 Uhr

Fasanenstraße 25, 10719 Berlin grisebach.com Grisebach — Herbst 2017 Andy Warhol. „Hand With Ink Pen“. Um 1953. Tuschfeder auf Papier. 31,2 × 29,1 cm. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts. Visual the for Foundation Warhol Andy © The cm. 29,1 × 31,2 Papier. auf Tuschfeder 1953. Um Pen“. Ink With „Hand Warhol. Andy Andy Warhol. „Hand With Ink Pen“. Um 1953. Tuschfeder auf Papier. 31,2 × 29,1 cm. © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts. Auktionen Herbst 2018 für die Gründung eines ExilMuseums Aus derSammlungB. S. Kunst aufPapier – Fasanenstraße 25, 10719 Berlin grisebach.com

Hinweise zum Katalog Catalogue Instructions

1 1 Alle Katalogbeschreibungen sind online und auf Anfrage in Englisch Descriptions in English of each item included in this catalogue are erhältlich. available online or upon request. 2 2 Basis für die Umrechnung der EUR-Schätzpreise: The basis for the conversion of the EUR-estimates: USD 1,00 = EUR 0,849 (Kurs vom 5. Oktober 2017) USD 1.00 = EUR 0.849 (rate of exchange 5 October 2017) 3 3 Bei den Katalogangaben sind Titel und Datierung, wenn vorhanden, The titles and dates of works of art provided in quotation marks vom Künstler bzw. aus den Werkverzeichnissen übernommen. Die- originate from the artist or are taken from the catalogue raisonné. se Titel sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Undatierte Undated works have been assigned approximate dates by Grisebach Werke haben wir anhand der Literatur oder stilistisch begründbar based on stylistic grounds and available literature. zeitlich zugeordnet. 4 4 Dimensions given in the catalogue are measurements taken in cen- Alle Werke wurden neu vermessen, ohne die Angaben in Werkver- timeters and inches (height by width by depth) from the actual zeichnissen zu übernehmen. Die Maßangaben sind in Zentimetern works. For originals, the size given is that of the sheet; for prints, the und Inch aufgeführt. Es gilt Höhe vor Breite vor Tiefe. Bei Origina - size refers to the plate or block image. Where that differs from the len wird die Blattgröße, bei Drucken die Darstellungsgröße bzw. size of the sheet on which it is printed, the dimensions of the sheet Plattengröße angegeben. Wenn Papier- und Darstellungsmaß nicht follow in parentheses ( ). Special print marks or printed designations annähernd gleich sind, ist die Papiergröße in runden Klammern an- for these works are not noted in the catalogue. Signatures, designa- gegeben. Bei druckgrafischen Werken wurde auf Angabe der ge- tions and foundry marks are mentioned. “Bezeichnung” (“inscrip- druckten Bezeichnungen verzichtet. Signaturen, Bezeichnungen tion”) means an inscription from the artist’s own hand, in contrast to und Gießerstempel sind aufgeführt. „Bezeichnung“ bedeutet eine “Beschriftung” (“designation”) which indicates an inscription from eigenhändige Aufschrift des Künstlers, im Gegensatz zu einer „Be- the hand of another. The fineness of gold and the mass of gemstones schriftung“ von fremder Hand. Der Feingehalt von Gold und die are specified in carat. Carat appears in abbreviated form for gold Masse von Edelsteinen werden in Karat angegeben. Karat wird ab - as „kt“ and for gemstones as „ct“. gekürzt bei Gold als „kt“ und bei Edelsteinen als „ct“ geführt. 5 5 When describing paper, “Bütten paper” denotes machine-made Bei den Papieren meint „Büttenpapier“ ein Maschinenpapier paper manufactured with the texture and finish of “Bütten”. Other mit Büttenstruktur. Ergänzende Angaben wie „JW Zanders“ oder designations of paper such as “JW Zanders” or “BFK Rives” refer to „BFK Rives“ beziehen sich auf Wasserzeichen. Der Begriff „Japan - respective watermarks. The term “Japan paper” refers to both hand papier“ bezeichnet sowohl echtes wie auch maschinell hergestell - and machine-made Japan paper. tes Japanpapier. 6 6 All sale objects may be viewed and examined before the auction; Sämtliche zur Versteigerung gelangenden Gegenstände können vor they are sold as is. The condition of the works corresponds to their der Versteigerung besichtigt und geprüft werden; sie sind ge- age. The catalogues list only such defects in condition as impair the braucht. Der Erhaltungszustand der Kunstwerke ist ihrem Alter overall impression of the art work. For every lot there is a condition entsprechend; Mängel werden in den Katalogbeschreibungen nur report which can be requested. erwähnt, wenn sie den optischen Gesamteindruck der Arbeiten 7 beeinträchtigen. Für jedes Kunstwerk liegt ein Zustandsbericht Those numbers printed in brackets [ ] refer to the consignors listed vor, der angefordert werden kann. in the Consignor Index, with [E] referring to property owned by 7 Grisebach. Die in eckigen Klammern gesetzten Zeichen beziehen sich auf die 8 Einlieferer, wobei [E] die Eigenware kennzeichnet. Only works already framed at the time of consignment will be sold 8 framed. Es werden nur die Werke gerahmt versteigert, die gerahmt einge- liefert wurden.

Grisebach — Herbst 2017 Versteigerungsbedingungen der Grisebach GmbH

§ 1 3. Der Versteigerer Grisebach bestimmt Ort und Zeitpunkt der Versteigerung. Sie ist berechtigt, Ort oder Zeitpunkt zu ändern, auch wenn der 1. Auktions katalog bereits versandt worden ist. Die Versteigerung erfolgt im Namen der Grisebach GmbH – nach- folgend: „Grisebach“ genannt. Der Auktionator handelt als deren Vertreter. Er ist gem. § 34b Abs. 5 GewO öffentlich bestellt. Die § 3 Versteigerung ist somit eine öffentliche Versteigerung i. S. § 474 Durchführung der Versteigerung Abs. 1 S. 2 und § 383 Abs. 3 BGB. 2. 1. Bieternummer Die Versteigerung erfolgt in der Regel für Rechnung des Einliefe- Jeder Bieter erhält von Grisebach eine Bieternummer. Er hat rers, der unbenannt bleibt. Nur die im Eigentum von Grisebach die Verstei gerungsbedingungen als verbindlich anzuerkennen. befindlichen Kunstgegenstände werden für eigene Rechnung ver- Von unbekannten Bietern benötigt Grisebach zur Erteilung steigert. Sie sind im Katalog mit „E“ gekennzeichnet. der Bieternummer spätestens 24 Stunden vor Beginn der Verstei- 3. gerung eine schriftliche Anmel dung mit beigefügter zeitnaher Die Versteigerung erfolgt auf der Grundlage dieser Versteigerungs- Bankreferenz. bedingungen. Die Versteigerungsbedingungen sind im Auktionska- Nur unter einer Bieternummer abgegebene Gebote werden talog, im Internet und durch deutlich sichtbaren Aushang in den auf der Verstei gerung berücksichtigt. Räumen von Grisebach veröffentlicht. Durch Abgabe eines Gebots 2. Aufruf erkennt der Käufer diese Versteigerungsbedingungen als verbind- Die Versteigerung des einzelnen Kunstgegenstandes beginnt mit lich an. dessen Aufruf durch den Auktionator. Er ist berechtigt, bei Aufruf von der im Katalog vorgesehenen Reihenfolge abzuweichen, Los- Nummern zu verbinden oder zu trennen oder eine Los-Nummer § 2 zurückzuziehen. Katalog, Besichtigung und Versteigerungstermin Der Preis wird bei Aufruf vom Auktionator festgelegt, und zwar in Euro. Gesteigert wird um jeweils 10 % des vorangegangenen 1. Katalog Gebots, sofern der Auktionator nicht etwas anderes bestimmt. Vor der Versteigerung erscheint ein Auktionskatalog. Darin werden 3. Gebote zur allgemeinen Orientierung die zur Versteigerung kommenden a) Gebote im Saal Kunst gegen stände abgebildet und beschrieben. Der Katalog ent- Gebote im Saal werden unter Verwendung der Bieternummer ab - hält zusätz lich Angaben über Urheberschaft, Technik und Signatur gegeben. Ein Vertrag kommt durch Zuschlag des Auktionators zu - des Kunst gegen standes. Nur sie bestimmen die Beschaffenheit stande. des Kunst gegen standes. Im übrigen ist der Katalog weder für die Will ein Bieter Gebote im Namen eines Dritten abgeben, hat Beschaffenheit des Kunstgegenstandes noch für dessen Erschei- er dies mindestens 24 Stunden vor Beginn der Versteigerung von nungsbild (Farbe) maß gebend. Der Katalog weist einen Schätzpreis Grisebach unter Vorlage einer Vollmacht des Dritten anzuzeigen. in Euro aus, der jedoch lediglich als Anhaltspunkt für den Ver- Anderenfalls kommt bei Zuschlag der Vertrag mit ihm selbst zu- kehrswert des Kunst gegen stan des dient, ebenso wie etwaige An- stande. gaben in anderen Währungen. b) Schriftliche Gebote Der Katalog wird von Grisebach nach bestem Wissen und Mit Zustimmung von Grisebach können Gebote auf einem dafür Gewissen und mit großer Sorgfalt erstellt. Er beruht auf den bis vorgesehenen Formular auch schriftlich abgegeben werden. Sie zum Zeitpunkt der Versteigerung veröffentlichten oder sonst all- müssen vom Bieter unterzeichnet sein und unter Angabe der Los- gemein zugänglichen Erkenntnissen sowie auf den Angaben des Nummer, des Künstlers und des Titels den für den Kunstgegen- Einlieferers. stand gebotenen Hammerpreis nennen. Der Bieter muss die Ver- Für jeden der zur Versteigerung kommenden Kunstgegen- steigerungsbedingungen als verbindlich anerkennen. stände kann bei ernstlichem Interesse ein Zustandsbericht von Mit dem schriftlichen Gebot beauftragt der Bieter Grisebach, Grisebach angefordert und es können etwaige von Grisebach ein - seine Gebote unter Berücksichtigung seiner Weisungen abzuge- geholte Expertisen eingesehen werden. ben. Das schriftliche Gebot wird von Grisebach nur mit dem Betrag Die im Katalog, im Zustandsbericht oder in Expertisen ent- in Anspruch genommen, der erforderlich ist, um ein anderes Ge - haltenen Angaben und Beschreibungen sind Einschätzungen, keine bot zu überbieten. Garantien im Sinne des § 443 BGB für die Beschaffenheit des Kunst- Ein Vertrag auf der Grundlage eines schriftlichen Gebots gegenstandes. kommt mit dem Bieter durch den Zuschlag des Auktionators Grisebach ist berechtigt, Katalogangaben durch Aushang am zustande. Ort der Versteigerung und unmittelbar vor der Versteigerung des Gehen mehrere gleich hohe schriftliche Gebote für denselben betreffen den Kunstgegenstandes mündlich durch den Auktionator Kunst gegenstand ein, erhält das zuerst eingetroffene Gebot den Zu- zu berichtigen oder zu ergänzen. schlag, wenn kein höheres Gebot vorliegt oder abgegeben wird. 2. Besichtigung c) Telefonische Gebote Alle zur Versteigerung kommenden Kunstgegenstände werden vor Telefonische Gebote sind zulässig, wenn der Bieter mindestens 24 der Versteigerung zur Vorbesichtigung ausgestellt und können be - Stunden vor Beginn der Versteigerung dies schriftlich beantragt sichtigt und geprüft werden. Ort und Zeit der Besichtigung, die und G riseba ch zugestimmt hat. D er Bieter muss die Versteigerungs- Grisebach fest legt, sind im Katalog angegeben. Die Kunstgegen- bedingungen als verbindlich anerkennen. stände sind gebraucht und werden in der Beschaffenheit verstei- Die telefonischen Gebote werden von einem während der gert, in der sie sich im Zeit punkt der Versteigerung befinden. Verstei gerung im Saal anwesenden Mitarbeiter von Grisebach entgegen genommen und unter Berücksichtigung der Weisungen des Bieters während der Versteigerung abgegeben. Das von dem 30 %. Auf den Teil des Hammer preises, der EUR 500.000 über- Bieter genannte Gebot bezieht sich ausschließlich auf den Ham- steigt, wird ein Aufgeld von 25 % berechnet. Auf den Teil des merpreis, umfasst also nicht Aufgeld, etwaige Umlagen und Um- Hammer preises, der EUR 2.000.000 übersteigt, wird ein Aufgeld satzsteuer, die hinzukommen. Das Gebot muss den Kunstgegen- von 20 % berechnet. In diesem Aufgeld sind alle pauschalen Ge- stand, auf den es sich bezieht, zweifelsfrei und möglichst unter bühren sowie die gesetzliche Umsatzsteuer enthalten (Differenz- Nennung der Los-Nummer, des Künstlers und des Titels, benennen. besteuerung nach § 25a UStG). Sie werden bei der Rechnungstel- Telefonische Gebote können von Grisebach aufgezeichnet lung nicht einzeln ausgewiesen. werden. Mit dem Antrag zum telefonischen Bieten erklärt sich der Käufern, denen nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG) im Bieter mit der Aufzeichnung einverstanden. Die Aufzeichnung wird Inland geliefert wird und die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, spätestens nach drei Monaten gelöscht, sofern sie nicht zu Be- kann auf Wunsch die Rechnung nach der Regelbesteuerung gemäß weiszwecken benötigt wird. Absatz B. ausgestellt werden. Dieser Wunsch ist bei Beantragung d) Gebote über das Internet der Bieter nummer anzugeben. Eine Korrektur nach Rechnungs- Gebote über das Internet sind nur zulässig, wenn der Bieter von stellung ist nicht möglich. Grisebach zum Bieten über das Internet unter Verwendung eines b) Bei Kunstwerken mit der Kennzeichnung „N“ für Import handelt es Benutzernamens und eines Passwortes zugelassen worden ist und sich um Kunstwerke, die in die EU zum Verkauf eingeführt wurden. die Versteigerungsbedingungen als verbindlich anerkennt. Die Zu- In diesen Fällen wird zusätzlich zum Aufgeld die verauslagte Ein- lassung erfolgt ausschließlich für die Person des Zugelassenen, ist fuhrumsatzsteuer in Höhe von derzeit 7 % des Hammerpreises also höchst persönlich. Der Benutzer ist verpflichtet, seinen Be- erhoben. nutzernamen und sein Passwort Dritten nicht zugänglich zu ma- B. Bei im Katalog mit dem Buchstaben „R“ hinter der Losnummer ge- chen. Bei schuldhafter Zuwiderhandlung haftet er Grisebach für kennzeichneten Kunstgegenständen berechnet sich der Kaufpreis daraus entstandene Schäden. wie folgt: Gebote über das Internet sind nur rechtswirksam, wenn sie a) Aufgeld hinreichend bestimmt sind und durch Benutzernamen und Pass- Auf den Hammerpreis berechnet Grisebach ein Aufgeld von 25 %. wort zweifelsfrei dem Bieter zuzuordnen sind. Die über das Inter- Auf den Teil des Hammerpreises, der EUR 500.000 übersteigt, wird net übertragenen Gebote werden elektronisch protokolliert. Die ein Aufgeld von 20 % berechnet. Auf den Teil des Hammerpreises, Richtigkeit der Protokolle wird vom Käufer anerkannt, dem jedoch der EUR 2.000.000 übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % berechnet. der Nachweis ihrer Unrichtig keit offensteht. b) Umsatzsteuer Grisebach behandelt Gebote, die vor der Versteigerung über Auf den Hammerpreis und das Aufgeld wird die jeweils gültige das Internet abgegeben werden, rechtlich wie schriftliche Gebote. gesetzliche Umsatzsteuer erhoben (Regelbesteuerung mit „R“ Internetgebote während einer laufenden Versteigerung werden gekennzeichnet). Sie beträgt derzeit 19 %. wie Gebote aus dem Saal berücksichtigt. c) Umsatzsteuerbefreiung 4. Der Zuschlag Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegenständen a) Der Zuschlag wird erteilt, wenn nach dreimaligem Aufruf eines Ge- berechnet, die in Staaten innerhalb der EU von Unternehmen er- bots kein höheres Gebot abgegeben wird. Der Zuschlag verpflich- worben und aus Deutschland exportiert werden, wenn diese bei tet den Bieter, der unbenannt bleibt, zur Abnahme des Kunstge- Beantragung und Erhalt ihrer Bieter nummer ihre Umsatzsteuer- genstandes und zur Zahlung des Kaufpreises (§ 4 Ziff. 1). Identifikations nummer angegeben haben. Eine nachträgliche Be- b) Der Auktionator kann bei Nichterreichen des Limits einen Zuschlag rücksichtigung, insbesondere eine Korrektur nach Rechnungs- unter Vorbehalt erteilen. Ein Zuschlag unter Vorbehalt wird nur stellung, ist nicht möglich. wirk sam, wenn Grisebach das Gebot innerhalb von drei Wochen Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegen- nach dem Tag der Versteigerung schriftlich bestätigt. Sollte in der ständen berechnet, die gemäß § 6 Abs. 4 UStG in Staaten außerhalb Zwischenzeit ein anderer Bieter mindestens das Limit bieten, er- der EU geliefert werden und deren Käufer als ausländische Abneh- hält dieser ohne Rücksprache mit dem Bieter, der den Zuschlag mer gelten und dies entsprechend § 6 Abs. 2 UStG nachgewiesen unter Vorbehalt erhalten hat, den Zuschlag. haben. Im Ausland anfallende Einfuhr umsatz steuer und Zölle trägt c) Der Auktionator hat das Recht, ohne Begründung ein Gebot abzu- der Käufer. lehnen oder den Zuschlag zu verweigern. Wird ein Gebot abge- Die vorgenannten Regelungen zur Umsatzsteuer entsprechen lehnt oder der Zuschlag verweigert, bleibt das vorangegangene dem Stand der Gesetzgebung und der Praxis der Finanzverwaltung. Gebot wirksam. Änderungen sind nicht ausgeschlossen. d) Der Auktionator kann einen Zuschlag zurücknehmen und den 2. Fälligkeit und Zahlung Kunst gegenstand innerhalb der Auktion neu ausbieten, Der Kaufpreis ist mit dem Zuschlag fällig. – wenn ein rechtzeitig abgegebenes höheres Gebot von ihm über- Der Kaufpreis ist in Euro an Grisebach zu entrichten. Schecks sehen und dies von dem übersehenen Bieter unverzüglich bean - und andere unbare Zahlungen werden nur erfüllungshalber ange- standet worden ist, nommen. – wenn ein Bieter sein Gebot nicht gelten lassen will oder Eine Begleichung des Kaufpreises durch Aufrechnung ist nur – wenn sonst Zweifel über den Zuschlag bestehen. mit un be strittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen Übt der Auktionator dieses Recht aus, wird ein bereits erteilter zulässig. Zuschlag unwirksam. Bei Zahlung in ausländischer Währung gehen ein etwaiges e) Der Auktionator ist berechtigt, ohne dies anzeigen zu müssen, bis Kursrisiko sowie alle Bankspesen zulasten des Käufers. zum Erreichen eines mit dem Einlieferer vereinbarten Limits auch 3. Verzug Gebote für den Einlieferer abzugeben und den Kunstgegenstand Ist der Kaufpreis innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der dem Einlieferer unter Benennung der Einlieferungsnummer zuzu- Rechnung noch nicht beglichen, tritt Verzug ein. schlagen. Der Kunstgegenstand bleibt dann unverkauft. Ab Eintritt des Verzuges verzinst sich der Kaufpreis mit 1 % monatlich, unbeschadet weiterer Schadensersatzansprüche. Zwei Monate nach Eintritt des Verzuges ist Grisebach be - § 4 rechtigt und auf Verlangen des Einlieferers verpflichtet, diesem Kaufpreis, Zahlung, Verzug Name und Anschrift des Käufers zu nennen. Ist der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug, 1. Kaufpreis kann Grise bach nach Setzung einer Nachfrist von zwei Wochen Der Kaufpreis besteht aus dem Hammerpreis zuzüglich Aufgeld. vom Vertrag zurücktreten. Damit erlöschen alle Rechte des Käu- Hinzu kommen können pauschale Gebühren sowie die gesetzliche fers an dem erstei gerten Kunst gegen stand. Umsatz steuer. Grisebach ist nach Erklärung des Rücktritts berechtigt, vom A. a) Bei Kunstgegenständen ohne besondere Kennzeichnung im Kata- Käufer Schadensersatz zu verlangen. Der Schadensersatz umfasst log berechnet sich der Kaufpreis wie folgt: Bei Käufern mit Wohn- insbe sondere das Grisebach entgangene Entgelt (Einliefererkom- sitz innerhalb des Gemeinschaftsgebietes der Europäischen Union mission und Aufgeld), sowie angefallene Kosten für Katalogabbil- (EU) berechnet Grisebach auf den Hammerpreis ein Aufgeld von dungen und die bis zur Rückgabe oder bis zur erneuten Versteige-

Grisebach — Herbst 2017 rung des Kunst gegen standes anfallenden Transport-, Lager- und § 7 Versicherungs kosten. Haftung Wird der Kunstgegenstand an einen Unterbieter verkauft oder in der nächsten oder übernächsten Auktion versteigert, haf- 1. Beschaffenheit des Kunstgegenstandes tet der Käufer außerdem für jeglichen Mindererlös. Der Kunstgegenstand wird in der Beschaffenheit veräußert, in der Grisebach hat das Recht, den säumigen Käufer von künftigen er sich bei Erteilung des Zuschlags befindet und vor der Versteige- Ver stei gerungen auszuschließen und seinen Namen und seine rung besichtigt und geprüft werden konnte. Ergänzt wird diese Adresse zu Sperrzwecken an andere Auktionshäuser weiterzugeben. Beschaffen heit durch die Angaben im Katalog (§ 2 Ziff. 1) über Ur- heberschaft, Technik und Signatur des Kunstgegenstandes. Sie be - ruhen auf den bis zum Zeitpunkt der Versteigerung veröffentlich- § 5 ten oder sonst allgemein zugänglichen Erkennt nissen sowie auf Nachverkauf den Angaben des Einlieferers. Weitere Beschaffen heits merkmale sind nicht verein bart, auch wenn sie im Katalog beschrieben oder Während eines Zeitraums von zwei Monaten nach der Auktion kön- erwähnt sind oder sich aus schriftlichen oder mündlichen Aus- nen nicht versteigerte Kunstgegenstände im Wege des Nachver- künften, aus einem Zustands bericht, Expertisen oder aus den Ab- kaufs erworben werden. Der Nachverkauf gilt als Teil der Verstei- bildungen des Katalogs ergeben sollten. Eine Garantie (§ 443 BGB) gerung. Der Interessent hat persönlich, telefonisch, schriftlich für die vereinbarte Beschaffenheit des Kunstgegenstandes wird oder über das Internet ein Gebot mit einem bestimmten Betrag nicht übernommen. abzugeben und die Versteigerungsbedingungen als verbindlich an- 2. Rechte des Käufers bei einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) zuerkennen. Der Vertrag kommt zustande, wenn Grisebach das Weist der erworbene Kunstgegenstand einen Rechtsmangel auf, Gebot innerhalb von drei Wochen nach Eingang schriftlich an- weil an ihm Rechte Dritter bestehen, kann der Käufer innerhalb nimmt. Die Bestimmungen über Kaufpreis, Zahlung, Verzug, Abho- einer Frist von zwei Jahren (§ 438 Abs. 4 und 5 BGB) wegen dieses lung und Haftung für in der Versteigerung erworbene Kunstgegen- Rechts man gels vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis min- stände gelten entsprechend. dern (§ 437 Nr. 2 BGB). Im übrigen werden die Rechte des Käufers aus § 437 BGB, also das Recht auf Nach erfüllung, auf Schadener- satz oder auf Ersatz ver geblicher Aufwendungen ausgeschlossen, § 6 es sei denn, der Rechts mangel ist arglistig verschwiegen worden. Entgegennahme des ersteigerten Kunstgegenstandes 3. Rechte des Käufers bei Sachmängeln (§ 434 BGB) Weicht der Kunstgegenstand von der vereinbarten Beschaffenheit 1. Abholung (Urheberschaft, Technik, Signatur) ab, ist der Käufer berech tigt, Der Käufer ist verpflichtet, den ersteigerten Kunstgegenstand spä - innerhalb von zwei Jahren ab Zuschlag (§ 438 Abs. 4 BGB) vom Ver- testens einen Monat nach Zuschlag abzuholen. trag zurückzutreten. Er erhält den von ihm gezahlten Kaufpreis (§ 4 Grisebach ist jedoch nicht verpflichtet, den ersteigerten Ziff. 1 der Verstei gerungsbedingungen) zurück, Zug um Zug gegen Kunst gegen stand vor vollständiger Bezahlung des in der Rechnung Rückgabe des Kaufgegenstandes in unverändertem Zustand am ausgewiesenen Betrages an den Käufer herauszugeben. Sitz von Grisebach. Ansprüche auf Minderung des Kaufpreises Das Eigentum geht auf den Käufer erst nach vollständiger Be- (§ 437 Nr. 2 BGB), auf Schadens ersatz oder auf Ersatz vergeblicher gleichung des Kaufpreises über. Aufwendungen (§ 437 Nr. 3 BGB) sind ausgeschlossen. Dieser Haf- 2. Lagerung tungsausschluss gilt nicht, soweit Grisebach den Mangel arglistig Bis zur Abholung lagert Grisebach für die Dauer eines Monats, verschwiegen hat. gerech net ab Zuschlag, den ersteigerten Kunstgegenstand und Das Rücktrittsrecht wegen Sachmangels ist ausgeschlossen, versichert ihn auf eigene Kosten in Höhe des Kaufpreises. Danach sofern Grisebach den Kunstgegenstand für Rechnung des Einliefe - hat Grisebach das Recht, den Kunstgegenstand für Rechnung des rers ver äußert hat und die größte ihr mögliche Sorgfalt bei Ermitt- Käufers bei einer Kunst spedition einzulagern und versichern zu lung der im Katalog genannten Urheberschaft, Technik und Signa- lassen. Wahlweise kann Grise bach statt dessen den Kunstgegen- tur des Kunst gegenstandes aufgewandt hat und keine Gründe stand in den eigenen Räumen ein lagern gegen Berechnung einer vorlagen, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. In diesem monatlichen Pauschale von 0,1 % des Kaufpreises für Lager- und Falle verpflichtet sich Grisebach, dem Käufer das Aufgeld, etwaige Versicherungskosten. Umlagen und die Umsatz steuer zu erstatten. 3. Versand Außerdem tritt Grisebach dem Käufer alle ihr gegen den Ein- Beauftragt der Käufer Grisebach schriftlich, den Transport des er- lieferer, dessen Name und Anschrift sie dem Käufer mitteilt, zuste- steigerten Kunstgegenstandes durchzuführen, sorgt Grisebach, henden Ansprüche wegen der Mängel des Kunstgegenstandes ab. sofern der Kaufpreis vollständig bezahlt ist, für einen sachgerech- Sie wird ihn in jeder zulässigen und ihr möglichen Weise bei der ten Transport des Werkes zum Käufer oder dem von ihm benann- Geltendmachung dieser Ansprüche gegen den Einlieferer unter- ten Em pfän ger durch eine Kunstspedition und schließt eine ent- stützen. sprechende Transportversicherung ab. Die Kosten für Verpackung, 4. Fehler im Versteigerungsverfahren Versand und Versicherung trägt der Käufer. Grisebach haftet nicht für Schäden im Zusammenhang mit der Ab- 4. Annahmeverzug gabe von mündlichen, schriftlichen, telefonischen oder Internet- Holt der Käufer den Kunstgegenstand nicht innerhalb von einem geboten, soweit ihr nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Monat ab (Ziffer 1) und erteilt er innerhalb dieser Frist auch keinen Last fällt. Dies gilt insbesondere für das Zustandekommen oder Auftrag zur Versendung des Kunstgegenstandes (Ziffer 3), gerät er den Bestand von Telefon-, Fax- oder Datenleitungen sowie für in Annahme verzug. Übermittlungs-, Über tragungs- oder Übersetzungsfehler im Rah- 5. Anderweitige Veräußerung men der eingesetzten Kommunikationsmittel oder seitens der für Veräußert der Käufer den ersteigerten Kunstgegenstand seiner- die Entgegennahme und Weitergabe eingesetzten Mitarbeiter. Für seits, bevor er den Kaufpreis vollständig bezahlt hat, tritt er be- Missbrauch durch unbefugte Dritte wird nicht gehaftet. Die Haf- reits jetzt erfüllungshalber sämtliche Forderungen, die ihm aus tungsbeschränkung gilt nicht für Schäden an der Verletzung von dem Weiterverkauf zustehen, an Grisebach ab, welche die Abtre- Leben, Körper oder Gesundheit. tung hiermit annimmt. Soweit die abgetretenen Forderungen die 5. Verjährung Grisebach zuste henden Ansprüche übersteigen, ist Grisebach ver- Für die Verjährung der Mängelansprüche gelten die gesetzlichen pflichtet, den zur Erfüllung nicht benötigten Teil der abgetretenen Verjährungsfristen des § 438 Abs. 1 Ziffer 3 BGB (2 Jahre). Forderung unverzüglich an den Käufer abzutreten. § 8 Informationen Schlussbestimmungen 1. Nebenabreden für Bieter Änderungen dieser Versteigerungsbedingungen im Einzelfall oder Nebenabreden bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform. 2. Fremdsprachige Fassung der Versteigerungsbedingungen Soweit die Versteigerungsbedingungen in anderen Sprachen als der deutschen Sprache vorliegen, ist stets die deutsche Fassung maßgebend. 3. Anwendbares Recht Es gilt ausschließlich das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Die Verteilung der Bieternummern erfolgt eine Stunde vor Beginn der Das Abkommen der Vereinten Nationen über Verträge des interna - Auktion. Wir bitten um rechtzeitige Registrierung. Nur unter dieser tionalen Warenkaufs (CISG) findet keine Anwendung. Nummer abgegebene Gebote werden auf der Auktion berück- 4. Erfüllungsort sichtigt. Von Bietern, die Grisebach noch unbekannt sind, benötigt Erfüllungsort und Gerichtsstand ist, soweit dies rechtlich verein- Grisebach spätestens 24 Stunden vor Beginn der Auktion eine bart werden kann, Berlin. schriftliche Anmeldung. 5. Salvatorische Klausel Sie haben auch die Möglichkeit, schriftliche oder telefonische Gebote an Sollte eine oder mehrere Bestimmungen dieser Versteigerungs- den Versteigerer zu richten. Ein entsprechendes Auftragsformular bedingungen unwirksam sein oder werden, bleibt die Gültigkeit liegt dem Katalog bei. Über www.grisebach.com können Sie live der übrigen Bestimmungen davon unberührt. Anstelle der unwirk- über das Internet die Auktionen verfolgen und sich zum online-live samen Bestimmung gelten die entsprechenden gesetzlichen Vor- Bieten registrieren. Wir bitten Sie in allen Fällen, uns dies bis schriften. spätestens zum 29. November 2017, 11 Uhr mitzuteilen. Die Berechnung des Aufgeldes ist in den Versteigerungsbedingungen unter § 4 geregelt; wir bitten um Beachtung. Die Versteigerungsbe- dingungen sind am Ende des Kataloges abgedruckt. Die englische Übersetzung des Kataloges finden Sie unter www.grisebach.com. Grisebach ist Partner von Art Loss Register. Sämtliche Gegenstände in diesem Katalog, sofern sie eindeutig identifizierbar sind und einen Schätzwert von mindestens EUR 1.000 haben, wurden vor der Versteigerung mit dem Datenbankbestand des Registers individuell abgeglichen.

Grisebach — Herbst 2017 Conditions of Sale of Grisebach GmbH

Section 1 Grisebach, will be set out in the catalogue. The works of art are used The Auction House and will be sold “as is”, in other words in the condition they are in at the time of the auction. 1. 3. The auction will be implemented on behalf of Grisebach GmbH – Grisebach will determine the venue and time at which the auction is referred to hereinbelow as “Grisebach”. The auctioneer will be act- to be held. It is entitled to modify the venue and the time of the auc- ing as Grisebach’s representative. The auctioneer is an expert who tion, also in those cases in which the auction catalogue has already has been publicly appointed in accordance with Section 34b para- been sent out. graph 5 of the Gewerbeordnung (GewO, German Industrial Code). Accordingly, the auction is a public auction as defined by Section 474 paragraph 1 second sentence and Section 383 paragraph 3 of Section 3 the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code). Calling the Auction 2. As a general rule, the auction will be performed on behalf of the 1. Bidder number Consignor, who will not be named. Solely those works of art owned Grisebach will issue a bidder number to each bidder. Each bidder is by Grisebach shall be sold at auction for the account of Grisebach. to acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it. Such items will be marked by an “E” in the catalogue. At the latest twenty-four (24) hours prior to the start of the 3. auction, bidders as yet unknown to Grisebach must register in writ- The auction shall be performed on the basis of the present Condi- ing, providing a written bank reference letter of recent date, so as tions of Sale. The Conditions of Sale are published in the catalogue to enable Grisebach to issue a bidder number to them. of the auction and on the internet; furthermore, they are posted in At the auction, only the bids submitted using a bidder number an easily accessible location in the Grisebach spaces. By submit- will be considered. ting a bid, the buyer acknowledges the Conditions of Sale as being 2. Item call-up binding upon it. The auction of the individual work of art begins by its being called up by the auctioneer. The auctioneer is entitled to call up the works of art in a different sequence than that published in the catalogue, Section 2 to join catalogue items to form a lot, to separate a lot into individual Catalogue, Pre-Sale Exhibition and Date of the Auction items, and to pull an item from the auction that has been given a lot number. 1. Catalogue When the work of art is called up, its price will be determined Prior to the auction date, an auction catalogue will be published. by the auctioneer, denominated in euros. Unless otherwise deter- This provides general orientation in that it shows images of the mined by the auctioneer, the bid increments will amount to 10 % of works of art to be sold at auction and describes them. Additionally, the respective previous bid. the catalogue will provide information on the work’s creator(s), 3. Bids technique, and signature. These factors alone will define the char- a) Floor bids acteristic features of the work of art. In all other regards, the cata- Floor bids will be submitted using the bidder number. A sale and logue will not govern as far as the characteristics of the work of art purchase agreement will be concluded by the auctioneer bringing or its appearance are concerned (color). The catalogue will provide down the hammer to end the bidding process. estimated prices in EUR amounts, which, however, serve solely as Where a bidder wishes to submit bids in the name of a third an indication of the fair market value of the work of art, as does any party, it must notify Grisebach of this fact at the latest twenty-four such information that may be provided in other currencies. (24) hours prior to the auction commencing, submitting a corre- Grisebach will prepare the catalogue to the best of its knowl- sponding power of attorney from that third party. In all other cases, edge and belief, and will exercise the greatest of care in doing so. once the work of art has been knocked down, the sale and purchase The catalogue will be based on the scholarly knowledge published agreement will be concluded with the person who has placed the up until the date of the auction, or otherwise generally accessible, bid. and on the information provided by the Consignor. b) Written absentee bids Seriously interested buyers have the opportunity to request Subject to Grisebach consenting to this being done, bids may also that Grisebach provide them with a report outlining the condition of be submitted in writing using a specific form developed for this pur- the work of art (condition report), and they may also review any ex- pose. The bidder must sign the form and must provide the lot num- pert appraisals that Grisebach may have obtained. ber, the name of the artist, the title of the work of art and the ham- The information and descriptions contained in the catalogue, mer price it wishes to bid therefor. The bidder must acknowledge in the condition report or in expert appraisals are estimates; they the Conditions of Sale as being binding upon it. do not constitute any guarantees, in the sense as defined by Section By placing a written bid, the bidder instructs Grisebach to 443 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code), for submit such bid in accordance with its instructions. Grisebach shall the characteristics of the work of art. use the amount specified in the written bid only up to whatever Grisebach is entitled to correct or amend any information amount may be required to outbid another bidder. provided in the catalogue by posting a notice at the auction venue Upon the auctioneer knocking down the work of art to a writ- and by having the auctioneer make a corresponding statement im - ten bid, a sale and purchase agreement shall be concluded on that mediately prior to calling the bids for the work of art concerned. basis with the bidder who has submitted such written bid. 2. Pre-sale exhibition Where several written bids have been submitted in the same All of the works of art that are to be sold at auction will be exhibited amount for the same work of art, the bid received first shall be the prior to the sale and may be viewed and inspected. The time and winning bid, provided that no higher bid has been otherwise sub- date of the pre-sale exhibition, which will be determined by mitted or is placed as a floor bid. c) Phoned-in absentee bids and the auctioneer is furthermore authorized to knock down the Bids may permissibly be phoned in, provided that the bidder applies work of art to the Consignor, citing the consignment number. In such in writing to be admitted as a telephone bidder, and does so at the event, the work of art shall go unsold. latest twenty-four (24) hours prior to the auction commencing, and furthermore provided that Grisebach has consented. The bidder must acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it. Section 4 Bids phoned in will be taken by a Grisebach employee present Purchase Price, Payment, Default at the auction on the floor, and will be submitted in the course of the auction in keeping with the instructions issued by the bidder. The 1. Purchase price bid so submitted by the bidder shall cover exclusively the hammer The purchase price consists of the hammer price plus buyer’s pre- price, and thus shall not comprise the buyer’s premium, any allo- mium. Additionally, lump sum fees may be charged along with stat- cated costs that may be charged, or turnover tax. The bid must un- utory turnover tax. ambiguously designate the work of art to which it refers, and must A. a) For works of art that have not been specially marked in the cata- wherever possible provide the lot number, the artist and the title of logue, the purchase price will be calculated as follows: the work. For buyers having their residence in the community territory of Grisebach may make a recording of bids submitted by tele- the European Union (EU), Grisebach will add a buyer’s premium of phone. By filing the application to be admitted as a telephone bid - 30 % to the hammer price. A buyer’s premium of 25 % will be added der, the bidder declares its consent to the telephone conversation to that part of the hammer price that is in excess of EUR 500,000. A being recorded. buyer’s premium of 20 % will be added to that part of the hammer Unless it is required as evidence, the recording shall be de- price that is in excess of EUR 2,000,000. This buyer’s premium will leted at the latest following the expiry of three (3) months. include all lump sum fees as well as the statutory turnover tax (mar- d) Absentee bids submitted via the internet gin scheme pursuant to Section 25a of the German Turnover Tax Act). Bids may be admissibly submitted via the internet only if Grisebach These taxes and fees will not be itemized separately in the invoice. has registered the bidder for internet bidding, giving him a user Buyers to whom delivery is made within Germany, as defined name and password, and if the bidder has acknowledged the Con- by the German Turnover Tax Act, and who are entitled to deduct in- ditions of Sale as being binding upon it. The registration shall be put taxes, may have an invoice issued to them that complies with the non-transferable and shall apply exclusively to the registered par- standard taxation provisions as provided for hereinabove in para- ty; it is thus entirely personal and private. The user is under obliga- graph B. Such invoice is to be requested when applying for a bidder tion to not disclose to third parties its user name or password. number. It is not possible to perform any correction retroactively Should the user culpably violate this obligation, it shall be held lia- after the invoice has been issued. ble by Grisebach for any damages resulting from such violation. b) Works of art marked by the letter “N” (for Import) are works of art Bids submitted via the internet shall have legal validity only if that have been imported from outside the EU for sale. In such they are sufficiently determinate and if they can be traced back to event, the import turnover tax advanced, in the amount of cur- the bidder by its user name and password beyond any reasonable rently 7 % on the hammerprice, will be charged in addition to the doubt. The bids transmitted via the internet will be recorded elec- buyer’s premium. tronically. The buyer acknowledges that these records are correct, B. For works of art marked in the catalogue by the letter “R” behind the but it does have the option to prove that they are incorrect. lot number, the purchase price is calculated as follows: In legal terms, Grisebach shall treat bids submitted via the in- a) Buyer’s premium ternet at a point in time prior to the auction as if they were bids Grisebach will add a buyer’s premium of 25% to the hammer price. submitted in writing. Bids submitted via the internet while an auc- A buyer’s premium of 20 % will be added to that part of the hammer tion is ongoing shall be taken into account as if they were floor bids. price that is in excess of EUR 500,000. A buyer’s premium of 15 % will 4. Knock down be added to that part of the hammer price that is in excess of EUR a) The work of art is knocked down to the winning bidder if, following 2,000,000. three calls for a higher bid, no such higher bid is submitted. Upon b) Turnover tax the item being knocked down to it, this will place the bidder under The hammer price and the buyer's premium will each be subject to obligation to accept the work of art and to pay the purchase price the statutory turnover tax in the respectively applicable amount (Section 4 Clause 1). The bidder shall not be named. (standard taxation provisions, marked by the letter "R"). Currently, b) Should the bids not reach the reserve price set by the Consignor, the this amounts to 19 %. auctioneer will knock down the work of art at a conditional hammer c) Exemption from turnover tax price. This conditional hammer price shall be effective only if No turnover tax will be charged where works of art are sold that are Grisebach confirms this bid in writing within three (3) weeks of the acquired in states within the EU by corporations and exported out- day of the auction. Should another bidder submit a bid in the mean- side of Germany, provided that such corporations have provided time that is at least in the amount of the reserve price, the work of their turnover tax ID number in applying for and obtaining their bid- art shall go to that bidder; there will be no consultations with the der number. It is not possible to register this status after the invoice bidder to whom the work of art has been knocked down at a condi- has been issued, and more particularly, it is not possible to perform tional hammer price. a correction retroactively. c) The auctioneer is entitled to refuse to accept a bid, without provid- No turnover tax shall be charged for the sale of works of art ing any reasons therefor, or to refuse to knock down a work of art to that are delivered, pursuant to Section 6 paragraph 4 of the Um- a bidder. Where a bid is refused, or where a work of art is not satzsteuergesetz (UStG, German Turnover Tax Act), to destinations knocked down to a bidder, the prior bid shall continue to be valid. located in states that are not a Member State of the EU, provided d) The auctioneer may revoke any knock-down and may once again that their buyers are deemed to be foreign purchasers and have call up the work of art in the course of the auction to ask for bids; proved this fact in accordance with Section 6 paragraph 2 of the the auctioneer may do so in all cases in which German Turnover Tax Act. The buyer shall bear any import turnover – The auctioneer has overlooked a higher bid that was submitted in tax or duties that may accrue abroad. a timely fashion, provided the bidder so overlooked has immedi- The above provisions on turnover tax correspond to the legis - ately objected to this oversight; lative status quo and are in line with the practice of the Tax and – A bidder does not wish to be bound by the bid submitted; or Revenue Authorities. They are subject to change without notice. – There are any other doubts regarding the knock-down of the work 2. Due date and payment of art concerned. The purchase price shall be due for payment upon the work of art Where the auctioneer exercises this right, any knock-down of a being knocked down to the buyer. work of art that has occurred previously shall cease to be effective. The purchase price shall be paid in euros to Grisebach. e) The auctioneer is authorized, without being under obligation of giv- Cheques and any other forms of non-cash payment are accepted ing notice thereof, to also submit bids on behalf of the Consignor only on account of performance. until the reserve price agreed with the Consignor has been reached,

Grisebach — Herbst 2017 Payment of the purchase price by set-off is an option only where the At its choice, Grisebach may instead store the work of art in its own claims are not disputed or have been finally and conclusively deter- premises, charging a monthly lump-sum fee of 0.1 % of the purchase mined by a court’s declaratory judgment. price for the costs of storage and insurance. Where payment is made in a foreign currency, any exchange 3. Shipping rate risk and any and all bank charges shall be borne by the buyer. Where the buyer instructs Grisebach in writing to ship to it the work 3. Default of art acquired at auction, subject to the proviso that the purchase In cases in which the purchase price has not been paid within two price has been paid in full, Grisebach shall procure the appropri- (2) weeks of the invoice having been received, the buyer shall be ate shipment of the work of art to the buyer, or to any recipient the deemed to be defaulting on the payment. buyer may specify, such shipment being performed by a specialized Upon the occurrence of such default, the purchase price shall fine art shipping agent; Grisebach shall take out corresponding accrue interest at 1 % per month, notwithstanding any other claims shipping insurance. The buyer shall bear the costs of packaging and to compensation of damages that may exist. shipping the work of art as well as the insurance premium. Two (2) months after the buyer has defaulted on the purchase 4. Default of acceptance price, Grisebach shall be entitled – and shall be under obligation to Where the buyer fails to pick up the work of art within one (1) month do so upon the Consignor’s corresponding demand – to provide to (Clause 1) and fails to issue instructions for the work of art to be the Consignor the buyer’s name and address. shipped to it (Clause 3), it shall be deemed to be defaulting on ac- Where the buyer has defaulted on the purchase price, ceptance. Grisebach may rescind the agreement after having set a period of 5. Sale to other parties grace of two (2) weeks. Once Grisebach has so rescinded the agree- Should the buyer, prior to having paid the purchase price in full, sell ment, all rights of the buyer to the work of art acquired at auction the work of art it has acquired at auction, it hereby assigns to shall expire. Grisebach, as early as at the present time and on account of per- Upon having declared its rescission of the agreement, formance, the entirety of all claims to which it is entitled under such Grisebach shall be entitled to demand that the buyer compensate it onward sale, and Grisebach accepts such assignment. Insofar as for its damages. Such compensation of damages shall comprise in the claims so assigned are in excess of the claims to which Grisebach particular the remuneration that Grisebach has lost (commission to is entitled, Grisebach shall be under obligation to immediately re- be paid by the Consignor and buyer’s premium), as well as the costs assign to the buyer that part of the claim assigned to it that is not of picturing the work of art in the catalogue and the costs of ship- required for meeting its claim. ping, storing and insuring the work of art until it is returned or until it is once again offered for sale at auction. Where the work of art is sold to a bidder who has submitted a Section 7 lower bid, or where it is sold at the next auction or the auction after Liability that, the original buyer moreover shall be held liable for any amount by which the proceeds achieved at that subsequent auction 1. Characteristics of the work of art are lower than the price it had bid originally. The work of art is sold in the condition it is in at the time it is knocked Grisebach has the right to exclude the defaulting buyer from down to the buyer, and in which it was viewed and inspected. The future auctions and to forward the name and address of that buyer other characteristic features of the work of art are comprised of to other auction houses so as to enable them to exclude him from the statements made in the catalogue (Section 2 Clause 1) regarding their auctions as well. the work’s creator(s), technique and signature. These statements are based on the scholarly knowledge published up until the date of the auction, or otherwise generally accessible, and on the informa- Section 5 tion provided by the Consignor. No further characteristic features Post Auction Sale are agreed among the parties, in spite of the fact that such features may be described or mentioned in the catalogue, or that they may In the course of a two-month period following the auction, works of garnered from information provided in writing or orally, from a art that have gone unsold at the auction may be acquired through condition report, an expert appraisal or the images shown in the post auction sales. The post auction sale will be deemed to be part catalogue. No guarantee (Section 443 of the Bürgerliches Gesetz- of the auction. The party interested in acquiring the work of art is to buch (BGB, German Civil Code)) is provided for the work of art hav - submit a bid either in person, by telephone, in writing or via the in - ing any characteristic features. ternet, citing a specific amount, and is to acknowledge the Condi- 2. Buyer’s rights in the event of a defect of title being given (Section 435 of tions of Sale as being binding upon it. The sale and purchase agree- the German Civil Code) ment shall come about if Grisebach accepts the bid in writing Should the work of art acquired be impaired by a defect of title be- within three weeks of its having been received. cause it is encumbered by rights of third parties, the buyer may, The provisions regarding the purchase price, payment, de- within a period of two (2) years (Section 438 paragraph 4 and 5 of fault, pick-up and liability for works of art acquired at auction shall the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code)), rescind the apply mutatis mutandis. agreement based on such defect of title, or it may reduce the pur- chase price (Section 437 no. 2 of the German Civil Code). In all other regards, the buyer’s rights as stipulated by Section 437 of the Ger- Section 6 man Civil Code are hereby contracted out, these being the right to Acceptance of the Work of Art Purchased at Auction demand the retroactive performance of the agreement, the com- pensation of damages, or the reimbursement of futile expenditure, 1. Pick-up unless the defect of title has been fraudulently concealed. The buyer is under obligation to pick up the work of art at the latest 3. Buyer’s rights in the event of a material defect being given (Section 434 one (1) month after it has been knocked down to the buyer. of the German Civil Code) However, Grisebach is not under obligation to surrender to Should the work of art deviate from the characteristic features the buyer the work of art acquired at auction prior to the purchase agreed (work’s creator(s), technique, signature), the buyer shall be price set out in the invoice having been paid in full. entitled to rescind the agreement within a period of two (2) years Title to the work of art shall devolve to the buyer only upon the after the work of art has been knocked down to it (Section 438 para- purchase price having been paid in full. graph 4 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code)). 2. Storage The buyer shall be reimbursed for the purchase price it has paid Grisebach shall store the work of art acquired at auction until it is (Section 4 Clause 1 of the Conditions of Sale), concurrently with the picked up, doing so at the longest for one (1) month, and shall insure return of the purchased object in unaltered condition, such return it at its own cost, the amount insured being equal to the purchase being effected at the registered seat of Grisebach. price. Thereafter, Grisebach shall have the right to store the work of Claims to any reduction of the purchase price (Section 437 art with a specialized fine art shipping agent and to insure it there. no. 2 of the German Civil Code), to the compensation of damages or the reimbursement of futile expenditure (Section 437 no. 3 of the Information German Civil Code) are hereby contracted out. This exclusion of li- ability shall not apply should Grisebach have fraudulently con- cealed the defect. for Bidders The right to rescind the agreement for material defects shall be contracted out wherever Grisebach has sold the work of art for the account of the Consignor and has exercised, to the best of its ability, the greatest possible care in identi fying the work’s creator(s), technique and signature listed in the catalogue, provided there was no cause to doubt these statements’ being correct. In such event, Grisebach enters into obligation to reimburse the buyer for the buyer’s premium, any allocated costs that may have been charged, Bidder numbers are available for collection one hour before the auction. and turnover tax. Please register in advance. Only bids using this number will be Moreover, Grisebach shall assign to the buyer all of the claims included in the auction. Bidders previously unknown to Grisebach vis-à-vis the Consignor to which it is entitled as a result of the de- must submit a written application no later than 24 hours before the fects of the work of art, providing the Consignor’s name and address auction. to the buyer. Grisebach shall support the buyer in any manner that We are pleased to accept written absentee bids or telephone bids on the is legally available to it and that it is able to apply in enforcing such enclosed bidding form. At www.grisebach.com you can follow the claims against the Consignor. auctions live and register for online live bidding. All registrations for 4. Errors in the auction proceedings bidding at the auctions should be received no later than Grisebach shall not be held liable for any damages arising in con- 11 a.m. on 29 November 2017. nection with bids that are submitted orally, in writing, by telephone Regarding the calculation of the buyer’s premium, please see the Condi- or via the internet, unless Grisebach is culpable of having acted tions of Sale, section 4. The Conditions of Sale are provided at the with intent or grossly negligently. This shall apply in particular to the end of this catalogue. The English translation of this catalogue can telephone, fax or data connections being established or continuing be found at www.grisebach.com. in service, as well as to any errors of transmission, transfer or trans- Grisebach is a partner of the Art Loss Register. All objects in this catalogue lation in the context of the means of communications used, or any which are uniquely identifiable and which have an estimate of at errors committed by the employees responsible for accepting and least 1,000 Euro have been individually checked against the register’s forwarding any instructions. Grisebach shall not be held liable for database prior to the auction. any misuse by unauthorized third parties. This limitation of liability shall not apply to any loss of life, limb or health. 5. Statute of limitations The statutory periods of limitation provided for by Section 438 para- graph 1 Clause 3 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code) (two years) shall apply where the statute of limitations of claims for defects is concerned.

Section 8 Final provisions

1. Collateral agreements Any modifications of the present Conditions of Sale that may be made in an individual case, or any collateral agreements, must be made in writing in order to be effective. 2. Translations of the Conditions of Sale Insofar as the Conditions of Sale are available in other languages besides German, the German version shall govern in each case. 3. Governing law The laws of the Federal Republic of Germany shall exclusively apply. The United Nations Convention on the International Sale of Goods shall not apply. 4. Place of performance Insofar as it is possible to agree under law on the place of perfor- mance and the place of jurisdiction, this shall be Berlin. 5. Severability clause Should one or several provisions of the present Conditions of Sale be or become invalid, this shall not affect the validity of the other provisions. Instead of the invalid provision, the corresponding statu- tory regulations shall apply.

Grisebach — Herbst 2017 Service Service Einliefererverzeichnis Consignor Index

Zustandsberichte [3010] 348, 371, 372, 373, 374, 377, 378 [3017] 352 [3032] 250, Condition reports 252, 253, 254, 255, 260, 261, 262, 267, 268, 269, 270, 271, 272, [email protected] 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 293, +49 30 885 915 0 296, 297, 298, 302, 303, 304, 305, 306, 308, 309, 310, 311, 312 [3065] 362 [3066] 326 [3093] 341, 351, 360, 366, 375, 376 [3094] Schriftliche und telefonische Gebote 321 [3097] 256, 286, 349 [3098] 367 [3104] 328a, 328b, 329, 359, Absentee and telephone bidding 363a, 363b, 363c, 363d, 363e, 363f, 363g, 363h, 363i, 364 [email protected] [3130] 324, 340 [3131] 327 [3173] 313, 314, 315, 316, 317 [3185] 332 +49 30 885 915 24 [3186] 318 [3187] 382 [3189] 331, 338, 361 [3190] 263, 264, 266 [3191] 323, 325, 335, 339, 343, 353, 354, 355, 356, 369 [3220] Rechnungslegung, Abrechnung 346 [3272] 347 [3274] 336 [3283] 383 [3336] 251, 257, 259, 265, Buyer’s/Seller’s accounts 274, 275, 276, 277, 292, 294, 299, 300 [3341] 337, 345a, 345b, [email protected] 370a, 370b [3376] 319, 320, 342, 357, 358 [3387] 333 [3472] 379 +49 30 885 915 36 [3491] 344, 368 [3492] 334 [3493] 365a, 365b, 380 [3500] 273, 278 [3513] 295 [3564] 350, 381 [3565] 258 [3570] 322 [3595] 301, Versand und Versicherung 307 Shipping and Insurance [email protected] +49 30 885 915 54

Impressum Imprint

Herausgegeben von Papist-Matsuo (Freie Universi- Lettré / © Los 271 rechts: Deut- Grisebach GmbH tät Berlin), Dr. Jan Mende (JM), sche Kunst und Dekoration / Fasanenstraße 25 Nils Peters, Dr. Monika Rudolph, © Los 266: Deutsches Gold- 10719 Berlin Dr. Sigrid Sangl (SiS), Dr. Katja schmiedehaus Hanau, Bestand Schneider, Florian Siebeck Lettré / Essay Pfeiffer: © S. 1 Geschäftsführer (FS), Dr. Robert Skwirblies oben: Deutsche Kunst und Deko- Florian Illies (Technische Universität Berlin), ration / © S. 1 unten: Nachlass Micaela Kapitzky Karl J. Spurzem, Daniel Suebs- Emil Lettré / © Los 322: Leihgabe Dr. Markus Krause man, Dr. Sylvia Volz, Daniel Kirche St. Stephan Karlsruhe an Rigmor Stüssel Völzke das Badische Landesmuseum HRB 25 552, Erfüllungsort Karlsruhe / © Los 342: Museum und Gerichtsstand Berlin Text-Lektorat of Fine Arts, Boston / © Los 347: Dr. Kristina Kratz-Kessemeier Hochschule für Architektur und Auktionatoren Bauwesen, Weimar / © Los 348: Peter Graf zu Eltz Übersetzung Louvre, Paris / Essay Eiermann: Dr. Markus Krause Alexandra Titze-Grabec © S. 1: Deutsche Bauzeitschrift / Bernd Schultz © Los 359: Privatsammlung, Produktion Cover, Vorlauf Saarland / © Lose 377, 382: Pri- Katalogbearbeitung Sarah Buschor vatsammlung / © Los 375: Musée Dr. Stefan Körner Dobrèe / © Los 380: Deutsche Patrick Golenia Fotobearbeitung Kunst und Dekoration / © Los Gaia Gräfin zu Lynar Ulf Zschommler 381: Bibliothèque municipale de Versailles. Provenienzrecherche Fotos Trotz intensiver Recherche war Dr. Sibylle Ehringhaus Fotostudio Bartsch, Karen es nicht in allen Fällen möglich, Bartsch, 2017. Recom GmbH & die Rechteinhaber ausfindig zu Textbeiträge Co. KG, Berlin. Essay Lettré: machen Katja Benz (KB), Ulrich Clewing © S. 1, S. 6 unten: Deutsche (UC), Robert Eberhardt (RE) Kunst und Dekoration / © S. 2: Markenentwicklung und -gestaltung (Universität Bielefeld), Larissa Hofmann, Berlin / Stan Hema, Berlin Dr. Marion Euskirchen © S. 3 oben, S. 5 oben, S. 7 (Römisch-Germanisches oben rechts, unten, S. 8 beide: Graphik Museum Köln), Dr. Marion Staatliche Zeichenakademie Lena Mahr, Berlin Frenger (MF) (Universität Hanau, zeichnerischer Nachlass Bonn), Patrick Golenia (PG), Emil Lettré / © S. 3 unten: Produktion Isabella Gorny (IG), Karen Deutsches Goldschmiedehaus Nora Rüsenberg Grunow (KG), Prof. Dr. Norbert Hanau, Bestand Lettré / © S. 4 Hanenberg (Technische Hoch- rechts, S. 6 oben: Ullstein Database-Publishing schule Mittelhessen Gießen), Archiv / © S. 5 oben, unten, S. 7 Digitale Werkstatt Dr. Ingrid Heermann, Sylva oben links, S. 7 Mitte, S. 9 links: J. Grützkau, Berlin van der Heyden (SvdH), Nachlass Emil Lettré / © Fran- Dr. Claudia Lehner-Jobst ziska Sinn, Berlin / © Lose 250, Herstellung & Lithographie (CLJ), Prof. Dr. Bernd W. Lin- 300: Nachlass Emil Lettré / Königsdruck GmbH demann, Dr. Thomas Kemper © Lose 254, 255, 260, 264, 267, (ThK), Dr. Stefan Körner (SK), 270, 271 links, 304: Staatliche Fotographie Cover und Prof. Dr. Hartmut Krohm, Gaia Zeichenakademie Hanau, Zwischenseiten Gräfin zu Lynar (GzL), Antje zeichnerischer Nachlass Emil Larissa Hofmann, Berlin grisebach.com

Kunst des 19. Jahrhunderts Herbst 2017 278