JOHANNES SIMON / GETTY IMAGES Vorstandschef Kleinfeld*: Ein Mann wie ein teurer Wein – vollmundig auch und gerade im Abgang

KONZERNE Chronik einer Katastrophe versinkt im Chaos: Nach dem Abgang von Aufsichtsratschef Pierer und Vorstandsboss Kleinfeld sucht der Weltkonzern nicht nur eine neue Führung, sondern auch eine neue Identität und Struktur. Die Aufarbeitung der Vergangenheit könnte das gesamte Unternehmen noch zerreißen.

er Vorstandschef scherzte, schmun- Das runde Dutzend Konzernsparten? Auf Ein unbelehrbarer Emporkömmling ohne zelte – und pries die neuesten gutem Weg. Und er persönlich? Ein richtig Fingerspitzengefühl. Ein Königsmörder DInnovationen seines Konzerns wie strahlendes Opfer oder doch eher ein zu gar, der seinen Vorgänger und einstigen ein Kaufhauspromoter seinen Gemüse- Recht geopferter Strahlemann? Ziehvater im Stich raspler. Kommen Sie, staunen Sie! Hier Wie er selbst sich sah, war schon vorher ließ, um selbst die Rolle des omnipotenten eine Hochleistungsturbine, da ein extrem klar: als jung-dynamischen Macher, der Siemens-Machthabers zu übernehmen? effizienter Kraftwerksfilter … oder wie den Weltkonzern Siemens noch stärker auf Eines jedenfalls wurde zwischen diesen wär’s mit dem neuen Magnetresonanz- global getrimmt hat. Als einen, der dabei Polen schnell klar: Was sich zurzeit am tomografen TIM? Selten hatte man einen jedoch von den Altlasten seines Vorgän- Konzernsitz in München abspielt, ist so entspannten Verlierer gesehen wie gers überrollt zu werden drohte. Als ei- großes Drama von fast Shakespearescher Klaus Kleinfeld. nen, den am Ende eine Abordnung alter Wucht. Innerhalb von nur einer Woche Ein Mann wie ein teurer Wein: voll- Herren der klassischen Deutschland AG verlor der Technologieriese seinen strate- mundig auch und gerade im Abgang. zu Fall bringen wollte. Und schließlich als gischen Doppel-Kopf – Vorstands- und Es war Donnerstag vergangener Woche. einen, der aufrecht unterging. Selbstlos. Aufsichtsratschef. Tags davor hatte der Noch-Siemens-Chef Im Interesse des Konzerns. Natürlich. Erst musste der Bewahrer der alten Wer- seinen Abschied erklärt. Nun saß er im Kleinfeld lächelte erstaunlich entspannt. te (und des alten Wahnsinns?) gehen. Dann Dorint-Hotel am Münchner Hauptbahn- Doch es gab und gibt auch eine andere der selbsternannte Repräsentant der Zu- hof und präsentierte Produkte und Zah- Lesart – und die stammt aus dem mäch- kunft. Übrig blieb im Alltagsgeschäft der len, als wäre gar nichts vorgefallen. tigen Aufsichtsrat, der als Kontrollinstanz Gegenwart ein ideelles und machtpoliti- Umsatz im letzten Quartal? Hochge- über dem Topmanager thront. Demnach sches Vakuum. Ein schon jetzt ziemlich schossen auf 20,63 Milliarden Euro. Ge- ist der 49-Jährige vor allem ein mal be- einmaliger Vorgang in der gesamten deut- winn? Mit 1,26 Milliarden wieder Spitze. gnadeter, mal polteriger Selbstdarsteller, schen Wirtschaftsgeschichte. dem es weniger um den Konzern als um In den Hauptrollen: Kronprinz Kleinfeld * Am Donnerstag vergangener Woche in München. seine eigene Vertragsverlängerung ging. sowie der alte König Pierer. Daneben mit

90 der spiegel 18/2007 Wirtschaft wachsender Wucht ein Aufsichtsrats- trio der wohl mächtigsten Wirtschaftsbosse der Republik: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, 59, Allianz-Eminenz Henning Schulte-Noelle, 64, und der einstige Thys- senKrupp-Schmied Gerhard Cromme, 64. Das Drehbuch der Tragödie wurde jede Woche umgeschrieben von einer kaum noch zu überschauenden Zahl von Sprechern und Beratern, Claqueuren, Ein- flüsterern und PR-Strategen, die einen vergessen ließen, dass man sich in der Topetage der deutschen Wirtschaft be- wegt. Eher schon ging es zu wie auf einem lärmigen Schulhof. Der hat angefangen! Nein, der! Die Kulisse: Europas größter Techno- logiekonzern. Einst ein deutsches Symbol – für Kontinuität wie für Behäbigkeit. Nun ein Augiasstall aus Korruptions- und Schmiergeldvorwürfen, alter Bräsigkeit und neuer Atemnot. Nie zuvor, nicht ein- mal im Fall des VW-Rotlichttheaters, hat ein deutscher Großkonzern seine eigenen Fassaden derart mutwillig eingerissen. Der einstige Münchner Mythos schlin- gert wie nie zuvor in seiner 160-jährigen Geschichte. Es besteht kein Zweifel mehr,

dass dieses Weltunternehmen mit seinen JOSÉ GIRIBAS global operierenden 487000 Mitarbeitern Siemens-Aufsichtsräte Ackermann, Cromme: „Nationale Aufgabe“ nicht nur ein paar Kratzer abbekommen hat, sondern eine echte Krise durchlebt. dern unter anderem in Liechtenstein, in großen Gefälligkeiten überhaupt aus, wenn Und dieses Desaster begann nicht erst im der Schweiz, in Italien, Griechenland und man den Bananenrepubliken dieser Welt, November vergangenen Jahres, als Staats- Russland ermittelt. den kleinen und großen Machthabern über- anwälte und Steuerfahnder in Großaktionen Fast nebenbei wurde noch entdeckt, all teure Technik verkaufen will? Machen anfingen, Büros und Privatwohnungen von dass die Siemens-Spitze offenkundig über das andere nicht auch? Bei Siemens könn- Topmanagern des Konzerns zu durchsu- viele Jahre hinweg eine ihr gewogene Be- te das zu dem trügerischen Schluss geführt chen. Aktive und frühere Vorstände wurden triebsratsorganisation namens AUB mit- haben: Ham wir schon früher so gemacht. seither verhaftet, andere vernommen. finanziert haben soll. Wird schon nix passieren. Es geht um die Schattenseite der Globa- Es mag intern wie extern etliche geben, Dabei ist es eigentlich ganz einfach: lisierung. Es geht um mindestens 420 Mil- für die der Spaß erst da aufhörte, wo Sie- Bis 1999 konnte man in Deutschland lionen Euro, die über schwarze Kassen ka- mens offenkundig begonnen haben soll, sich Schmiergelder sogar von der Steuer ab- nalisiert und teils als Schmiergelder ver- seine Arbeitnehmervertreter quasi selbst zu ziehen. Seither ist derlei eben strafbar. teilt worden sein sollen. Mittlerweile wird züchten. Denn was ist schon Korruption? Außerdem ist Siemens seit dem Jahr 2001 allein deshalb nicht nur in München, son- Kommt man ohne solche kleinen und an der New Yorker Börse gelistet. Das be-

Ungestümer Sanierer Siemens in der Ära Kleinfeld Der SPIEGEL berichtet, Die an BenQ verkaufte Gerhard Cromme dass die Vorstands- Mobilfunksparte meldet Aktienkurs in Euro löst von Pierer als gehälter bei Siemens Insolvenz an. Ein Großteil Aufsichtsratschef 85 um 30% steigen sollen. der rund 3000 ab. Siemens stößt die verlust- Nach heftiger Kritik Beschäftigten Klaus Kleinfeld löst reiche Mobilfunksparte an wird die Erhöhung auf- steht vor dem Kleinfeld erklärt 80 Heinrich von Pierer den taiwanischen Konzern geschoben. Aus. seinen Rücktritt als Vorstandsvor- BenQ ab. zum 30. September. sitzenden ab. 75 Verhaftung des Zentral- vorstandsmitglieds 70 Johannes Feldmayer Ex-Zentralvorstandsmitglied 65 Thomas Ganswindt wird verhaftet. Das Netzgeschäft soll aus dem Konzern Die Staatsanwaltschaft durchsucht Siemens-Büros. 60 ausgegliedert und in ein Nach und nach wird die Existenz verschiedener Verkauf der „produktnahen Joint Venture mit Nokia schwarzer Kassen im Konzern bekannt. Kleinfeld Dienste“ in der Sparte eingebracht werden. kündigt „schonungslose Aufklärung“ an. 55 IT-Dienstleistungen an Fujitsu 2005 2006 2007 JFMAM JJ A SOND JFMAM JJ A SONDJFMAM JJ A S

der spiegel 18/2007 91 Wirtschaft deutet, dass der Konzern sich den außer- ordentlich scharfen Regeln der amerika- nischen Börsenaufsicht SEC und des US- Justizministeriums unterwirft. Was das bedeutet, hat man im Börsenrausch rund um die Jahrtausendwende noch nicht ab- schätzen können. DaimlerChrysler zum Beispiel kämpft in einem viel kleineren Fall von Korrup- tionsverdacht seit bald schon drei Jahren mit der SEC um Recht und Ruf. Selbst der einst so mächtige Vorstandschef Jürgen Schrempp wurde wie ein Schuljunge vor- geladen und ausgequetscht. Welche Daumenschrauben würde die SEC erst in einem weit gewaltigeren Fall von Wirtschaftskriminalität wie Siemens hervorholen? US-Justizministerium wie auch Börsenaufsicht haben gegen Siemens mittlerweile formelle Untersuchungsver-

fahren aufgenommen. / DPA LEONHARDT FRANK In der Spitze des Aufsichtsrats werden Proteste von BenQ-Beschäftigten*: Decouvrierende Aktionen deshalb schon Szenarien durchgespielt, in deren schlimmsten Varianten von Siemens in einer Dramatik einbrechen, die man sich nicht genau genug aufgepasst zu haben wie nicht mehr viel übrig bliebe. Dass auf den bislang in München noch gar nicht vor- schon einmal. Konzern Milliardenstrafen zukommen, gilt stellen mag. Da ist Cromme, einer der meistbeschäf- da noch als kleinstes Übel. Dass in den Und dann, wenn das Ausbluten erst ein- tigten Aufsichtsräte der Republik und kommenden Monaten oder gar Jahren mal begonnen hätte, kämen die Haie der Chef jener Regierungskommission, die der noch der eine oder andere Topmanager Hedgefonds, die alles zerlegen würden. deutschen Wirtschaft in toto neue Trans- geschasst werden muss – auch nicht weiter Am Ende bliebe in diesen dunkelsten parenzregeln auferlegt hat. So einer fühlt tragisch angesichts der Tatsache, dass ein Szenarien nichts mehr übrig von der eins- sich wahrlich noch nicht alt genug, um nur aktiver Vorstand bereits in Haft war und tigen Weltmacht und -marke Siemens. Bilanzen zu lesen oder Rosen zu züchten. die anderen fürchten müssen, vernommen Auch deshalb wird das Unternehmen Und da ist Henning Schulte-Noelle, als zu werden. Nein, viel gefährlicher ist etwas von den neuen Hauptdarstellern im Auf- Aufsichtsratschef der Allianz noch immer ganz anderes. sichtsrat mittlerweile als „nationale Auf- so etwas wie die schlaue Eminenz der alten Die SEC könnte Siemens auf eine „black gabe“ angesehen. Sie wollen zeigen, dass Deutschland AG. list“ setzen. Das würde den Konzern auf sie es ernst meinen. Jeder für sich. Jenes Netzwerk gegenseitiger Konzern- dem so wichtigen US-Markt gewaltig Da ist Ackermann, Chef der Deutschen beteiligungen und -abhängigkeiten, das zurückwerfen. Der Konzern dürfte sich Bank, der mit dem Mannesmann-Prozess dem Wirtschaftswunderland einst Angriffe dann nicht mehr an öffentlichen Aus- sein eigenes Trauma mit sich herum- von außen ersparte, gibt es nicht mehr. schreibungen beteiligen. Milliardenverlus- schleppt. Noch einmal will er sich nicht Aber an seine Stelle ist eine Art Deutsch- te wären die Folge – und nicht nur das. anklagen lassen, in einem Aufsichtsrat land AG 2.0 getreten, die sich nicht struk- Die großen Pensionsfonds im Kreis der turell, sondern personell definiert – als in- Siemens-Aktionäre müssten sich wohl aus * Am 29. September 2006 vor der Siemens-Zentrale am formeller Zirkel der großen Wirtschafts- der Aktie verabschieden. Der Kurs würde Wittelsbacherplatz in München. führer. Thema aber immer wieder verschob. Seither war in Kleinfelds Auftrag eine kleine PR-Truppe damit be- schäftigt, die Kampagne für dessen Vertragsverlängerung zu inszenieren, glauben sie heute im Aufsichtsrat. Der Held gerierte sich als oberster Aufdecker. Zugleich versuchte er möglichst elegant darauf hinzuwei- sen, dass der Ursprung des Desasters ja in die Amtszeit seines Vorgängers falle. So eine Doppelstrategie würde ihm den Verbleib an der Spitze si- chern und zugleich seinen mächti- gen Widersacher Pierer schwächen. Dass Pierer auf Dauer nicht zu hal- ten sein würde, war einer Mehrheit des Aufsichtsrats schon früh klar. Manche hofften noch, man könnte

PEER GRIMM / DPA (M.); HERGEN SCHIMPF/ PHOTOSELECTION (R.) PHOTOSELECTION (M.); HERGEN SCHIMPF/ PEER GRIMM / DPA den stoischen Franken, der kurze Topmanager Pierer, Kanzlerin Merkel, Linde-Chef Reitzle: Patriotischer Enthusiasmus gesucht Zeit sogar mal für das Amt des Bun- despräsidenten im Gespräch war, bis Kleinfeld hat das unterschätzt. Er hat Das Zerwürfnis mit seinem Vorgänger zur anstehenden Aufsichtsratswahl Anfang überhaupt einiges unterschätzt in den rund und einstigen Förderer Pierer war dage- 2008 halten und dann mit allen Ehren ver- zwei Jahren seiner Amtszeit, zum Beispiel gen fast schon ein schleichender Prozess. abschieden. Als auch noch die AUB-Affäre die Bedeutung des eigenen Auftretens. Doch die Gräben wurden schnell tiefer, als aufflog, gab’s kein Halten mehr. Cromme Der Mann war immer auch ein Getrie- im Herbst der Korruptionsverdacht bei stand als Ablösung bereit. bener des eigenen Image. Und manchmal Siemens offenbar wurde. Am Donnerstag vorvergangener Woche sind es ja gerade Kleinigkeiten, die Grund- Zugleich stand Kleinfelds neuer Vertrag gab Pierer auf. Doch während die Medien züge eines Charakters verraten. auf der Agenda des Aufsichtsrats, der das noch den „triumphierenden“ Kleinfeld Er war kaum angetreten, da begann ein feierten („Frankfurter Allgemeine Murren über die Rolex, die er auf den ers- Sonntagszeitung“), der nun „freie ten offiziellen Fotos am Handgelenk trug. Pluszeichen Bahn“ habe („Tagesspiegel“) und Was tat Kleinfelds PR-Stab? Er ließ sie Umsatzrenditen bei Siemens in der Ära Kleinfeld „nicht mehr von seinem Vorgän- wegretuschieren, was erst recht für mas- ger gebremst“ werde („Frankfurter UNTERNEHMENS- 2. QUARTAL 2. QUARTAL senmedialen Aufruhr sorgte – zugleich BEREICHE 2005 2007* Rundschau“), kündigte sich auch aber schon andeutete, wie sehr der Mann operative Sparten Geschäftsjahr beginnt jeweils am 1. Oktober dessen Ende bereits an. künftig bereit sein würde, sich für ein biss- Nicht nur weil das neu erstarkte chen Sympathie der Öffentlichkeit an den Kommunikation wird Teil von Nokia Kontrolleurstrio ihn mittlerweile Hals zu werfen. (Com) –0,5% Siemens Networks kritisch beäugte. Wie Kleinfeld mit Man tut so was nicht. Nicht als Siemens- Pierer umgesprungen war. Wie un- Chef, der für Kontinuität steht. Man lässt IT-Dienstleistungen –10,0% 5,2% belehrbar er schien. Wie unver- sich vom Aufsichtsrat auch keine 30-pro- schämt mitunter. Wie er die Finanz- zentige Gehaltserhöhung spendieren in ei- märkte in seinem Sinne in Stellung Automatisierungs- ner Zeit, da komplette Konzernsparten um technik 12,3% 14,2% gebracht hatte in der Art: Wenn ich ihre Zukunft zittern müssen. Man baut sich hier gehen muss, fliegt alles ausein- auch keine protzige Villa in Grünwald, Industrie- ander. während in der Belegschaft Tausende Angst dienstleistungen 3,5% 4,6% Die Kleinfeld-Kritiker saßen noch um ihren Job haben. Man taucht auch nicht an zwei anderen, wichtigeren Stel- tagelang ab, wenn jenes Handy-Geschäft in len. die Pleite schlittert, das man BenQ ein Jahr Gebäudetechnik 2,1% 7,5 % Die Münchner Staatsanwaltschaft davor mit rund 3000 Beschäftigten weiter- Energie- zum Beispiel weigerte sich allem An- gereicht hat – Millionen-Mitgift inklusive. erzeugung 12,7% 10,7% schein nach, ihm einen Persilschein Die Öffentlichkeit mag solche decou- auszustellen, verfolgt aber offenbar vrierenden Aktionen nicht. Dagegen wa- erste Spuren. Hat Kleinfeld doch von ren Analysten, Fondsmanager und Inves- Stromübertragung 6,9% 8,1% Schmiergeldzahlungen gewusst – was toren von Kleinfeld begeistert. er immer bestritten hatte? Aufgrund seiner US-Erfahrungen stand Transportsysteme 0,4% 5,0% Intern ist die E-Mail eines Be- er für jenen angloamerikanischen Turbo- reichsvorstands an den „lieben kapitalismus, der die Finanzmärkte heute Automobil- Klaus“ aus dem April 2004 aufge- dominiert. Und er bediente auch und vor technik VDO 6,8% 6,3% taucht („Subject: Saudi-Arabien“), allem dort die Erwartungen gern – in ge- in der über den Streit mit einem sau- schliffenem Englisch und mit smarten Re- di-arabischen Vermittler berichtet den. Überhaupt fühlte er sich vor Finanz- Medizintechnik 12,3% 13,4% wird. Nachdem Siemens die Verträ- leuten deutlich wohler als vor Journalisten ge mit ihm vorzeitig gekündigt habe, oder gar der eigenen Firmenbasis, die ihn 11,1% 10,5% habe dieser mit einer „Verschärfung in einem internen Web-Tagebuch bisweilen Quelle: Siemens *nach IFRS der Gangart“ gedroht, schreibt er an wüst beschimpfte. Kleinfeld. Der Bereichsvorstand hat-

der spiegel 18/2007 93 Wirtschaft te gegenüber der Staatsanwaltschaft er- regelmäßig stattfindenden Treffen deut- noch eine Chance? Ja, das Trio Acker- klärt, der Saudi habe Unterlagen über scher Topmanager in Berlin begegnet. Dort mann, Cromme, Schulte-Noelle will jetzt vermeintliche Schmiergeldzahlungen an sprachen sie Wolfgang Reitzle an, einst erst einmal einen normalen Suchprozess die SEC weiterleiten wollen, falls Siemens Vorstand bei BMW, dann Ford, mittler- starten. Headhunter und renommierte nicht einen dreistelligen Millionenbetrag weile Chef der unter seiner Führung er- Kandidaten haben sich bereits gemeldet. an ihn zahle. Tatsächlich bekam er Anfang folgreichen Linde AG. Aber am Ende dieses Prozesses könnte 2005 statt der intern errechneten 17 Millio- Reitzle kennt sich aus mit Konglomera- durchaus wieder der Name Reitzle stehen. nen Dollar stattliche 50 Millionen – auch ten, wenn auch in kleineren Maßstäben als Bei einem Notfall wie Siemens ist kein wenn Siemens bestreitet, dass es sich dabei bei Siemens. Dafür kommt er mit Ge- zögerliches Abwägen mehr gefragt, son- um Schweigegeld gehandelt habe. werkschaften gut klar. dern patriotischer Enthusiasmus, glauben Andererseits begannen auch jene US- Tags darauf gingen die drei in Berlin es- die Kontrolleure. Auch Linde-Oberaufse- Juristen zu warnen, die für Siemens zurzeit sen. Ob er sich den Siemens-Job vorstellen her Schneider wird dann wohl einlenken. den internen Sumpf ausloten sollen. Ihre könne, wurde er gefragt. Er bat um 24 Selbst die Kanzlerin lässt sich mittlerweile Befürchtung: Der amerikanischen Börsen- Stunden Bedenkzeit. Der Mann mit dem regelmäßig unterrichten. aufsicht könnte ein Opfer nicht genügen – Menjoubärtchen musste sich offenbar mit Oder wäre eine interne Lösung vielleicht ganz egal, ob Kleinfeld persönliche Mit- mehr als nur seiner prominenten Frau, der doch besser? Die würde zumindest die wisserschaft oder gar Schuld nachzuweisen TV-Moderatorin Nina Ruge, besprechen. Belegschaft befrieden, die erstmals in der wäre oder nicht. Offenkundig hat er auch seinen Linde-Auf- Siemens-Geschichte fürchten muss, künftig von einer Doppelspitze in Vorstand und Aufsichtsrat regiert zu werden, die nicht aus dem Unternehmen kommt. Aber genau dieser Stallgeruch wäre auch das Problem. Denn es gibt im Sie- mens-Management wohl niemanden mehr, für den Cromme & Co. ihre Hand ins Feu- er legen könnten. Jede Siemens-Führungs- kraft steht theoretisch im Verdacht, ir- gendwas gewusst zu haben, irgendeine Spur zu schwarzen Kassen oder dubiosen Zahlungen hinter sich herzuziehen. Die Hälfte der zehn Vorstandsmitglieder schei- det in absehbarer Zeit ohnehin aus. Der Rest gilt zumindest als gefährdet oder kommt als oberste Sturmspitze aus ande- ren Gründen nicht in Frage. Das Bellheimsche Kontrolltrio Acker- mann, Cromme, Schulte-Noelle darf nichts riskieren. Sie müssen die Hände hoch- halten und sich ergeben – in die Unter-

GLOGER / JOKER / ULLSTEIN BILD / JOKER ULLSTEIN GLOGER suchungen der deutschen Staatsanwälte, Schnellzugproduktion bei Siemens (in Krefeld): Angst vorm Ausverkauf in die Prüfungen der SEC. Sie wollen end- lich Ruhe ins Spiel bringen. Kleinfelds Entourage hält das Argument sichtsratschef Manfred Schneider zu Rate Vor „Heuschrecken“ müssen sie sich zwar für vorgeschoben, aber so erwog das gezogen. dabei am Wittelsbacherplatz in München Aufsichtsratstrio rund um Cromme meh- Am Sonntagabend lehnte er ab. Kurz derzeit am wenigsten fürchten. Solchen rere Möglichkeiten: darauf flog den um Diskretion bemühten Angreifern ist die aktuelle Situation samt • durchhalten und Kleinfelds Vertrag um Initiatoren das ganze Projekt um die Oh- drohender Strafen viel zu unsicher. fünf Jahre verlängern; ren, als die „Financial Times Deutschland“ Dennoch könnte ein künftiger Siemens- • Verlängerung, aber mit einer Exit-Klau- am Dienstag darüber berichtete. Seither Konzern ganz anders organisiert sein als sel. Sobald der Vorstandschef doch noch ging es erst recht drunter und drüber – mit bislang. Da sitzen noch immer mehrere ins Visier der Ermittler geriete, könnte Verlierern auf allen Seiten. hundert Manager, die sich in der Holding er problemlos entsorgt werden; Cromme und Ackermann mussten sich gegenseitig die Bälle zuwerfen. Entweder • Verlängerung nur um ein Jahr. Dilettantismus vorwerfen lassen. Andere haben sie von all dem Schmutz unter sich Alle Optionen wurden verworfen, Kontrolleure zeigten sich empört bis brüs- nichts mitbekommen, dann braucht man schließlich boten die Kontrolleure ihm an, kiert. Kleinfeld ließ derweil seine tollen sie überhaupt nicht. Oder sie haben es ge- die Verlängerung erst einmal zu verschie- Quartalszahlen vorzeitig lancieren, um wusst und mitorganisiert, dann sind sie ben. Es habe ja keine Eile, und vielleicht wieder mal die Börsen auf seine Seite zu ohnehin bald weg. sei in drei Monaten alles geklärt. bringen, was wiederum den Aufsichtsrat Vor Vertrauten erwägen Cromme & Co. Kleinfeld aber hatte sich längst festgelegt verärgerte. deshalb schon einen kompletten Umbau und streuen lassen, dass er einen neuen Der Showdown kam mit einer Zwangs- dieser so vielfach belasteten Führungs- Fünfjahresvertrag erwarte – ansonsten läufigkeit, die im Nachhinein nicht mehr struktur. Ein kleiner, starker Vorstand … werde er gehen. verwundert. Der eine wollte es wissen. Die und darunter weitgehend selbständige So kam noch eine weitere, vierte Op- anderen mochten sich nicht erpressen Sparten, die doch ohnehin oft die Größe tion ins Spiel: die heimliche Nachfolger- lassen. Am Mittwoch um 17.16 Uhr wurde von Milliarden-Konzernen haben. suche, die wie zufällig begann und zu- Kleinfelds Abgang verkündet. Der Rest der Siemens jedenfalls dürfte nie mehr so nächst in einem kommunikativen Desaster Woche verschwand im Dunst der PR-Ne- sein, wie es zuletzt auch schon nicht war. enden sollte. belwerfer. Gerüchte jagten Gerüchte. Dinah Deckstein, Frank Dohmen, Cromme und Ackermann waren sich am Will Cromme gar selbst das Ruder über- Dietmar Hawranek, Jörg Schmitt, Thomas Tuma Freitag vorvergangener Woche bei einem nehmen? Unwahrscheinlich. Hat Reitzle

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