Am Beispiel Galileos Lutz Danneberg
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Version 27. 8. 2009 (1. Version 1. 1. 2007) http://www.fheh.org/images/fheh/material/akkomm-v01.pdf Hermeneutik zwischen Theologie und Naturphilosophie: der sensus accommodatus am Beginn des 17. Jahrhunderts - am Beispiel Galileos Lutz Danneberg 1 I. Fragestellung und Präliminarien der Problemkonstellation Exkurs I: Melanchthon Exkurs II: Newton Exkurs III: Autopsie und sensus literalis II. Sensus literalis: grammaticus und theologus III. Sensus literalis: probatio hermeneutica und probatio theologica IV. sensus accommodatus V. Die Wahrung von dignitas und auctoritas der Heiligen Schrift in den extrabiblischen Wissenskonflikten 2 I. Fragestellung und Präliminarien der Problemkonstellation Im weiteren möchte ich versuchen, die epistemische Situation zu umreißen, in der ein her- meneutisches Konzept, nämlich das des sensus accommodatus, als brauchbar erschien, um ein Problem zu lösen, das sich als der wohl bedeutendste Wissenskonflikt zwischen (Natur- )Philosophie und (Bibel-)Theologie in der Zeit darstellte. Vieles freilich muss ausgeblendet bleiben, einiges kann nur knapp angesprochen werden. Das betrifft sowohl die allgemeinen Voraussetzungen als auch die speziellen Bedingungen. Zu ersterem gehört einerseits die Entwicklung der Hermeneutik als Instrument der Schlichtung theologischer Streitigkeiten, andererseits die kontroversen außertheologischen Erörterungen kosmologischer Wissens- ansprüche. Zu letzterem gehören zum einen die jeweiligen konkreten Handlungen, sowohl die Theorieakzeptanz und die Theoriezurückweisung betreffend als auch die Verbote oder Unterlassungsaufforderungen, zum andern die besondere disziplinäre wie soziale Konstel- lation des einzigen hier von mir näher betrachteten Beispiels. Das Beispiel bildet Galileis Darlegungen zur Interpretation der Heiligen Schrift, mit denen er Vorwürfe des epistemi- schen Widerstreits zwischen zwei ,Quellen‘ des Wissens – ratio cum experientia versus scriptura sancta – zu schlichten versuchte. Doch selbst dann muss noch vieles unberücksichtigt bleiben. Dazu gehört die Untersuch- ung von Galilei als ein überaus mehrdeutiges kulturelles Symbol,1 wenn aufgrund der be- kannten Verbote Protestanten nicht selten in Galilei einen (Wissenschafts-)Märtyrer zu sehen vermochten. Solche Zuschreibungen mussten gerade nicht bedeuten, dass man in theologi- scher Hinsicht bei den Protestanten in irgendeiner Weise weniger intransigent gegen den Kopernikanismus opponieren konnte oder gar man selber der kopernikanischen Theorie ohne Schwierigkeiten zuzustimmen vermochte. Nur ein Beispiel: John Milton (1608-1674) spielt in Areopagitica wie in Paradise Lost auf Galilei an, den er möglicherweise auf seiner Itali- en-Reise besucht hat. Doch in Paradise Lost erleidet die Erde eine Klimaveränderung, sie wurde saisonal, weil Gott, wie einige sagen: „bid his angels turn askance/ The poles of earth twice ten degress and more/ From the sun’s axle“. Das entspricht der kopernikanischen The- orie. Andere wiederum sagen: „the sun/ Was bid turn reins from the equinoctial road“.2 Das entspricht der ptolemäischen Auffassung. In seinem Traktat Of Education von 1644 sind die 1 Vgl. auch Alistair C. Crombie, Galileo in Renaissance Europe. In: Firenze e la Toscana dei Medici nell’Europa del ‘500, II: Musica e spettacolo, Scienze dell’uomo e della natura. Firenze 1983, S. 151-172. 2 Paradise Lost, X, 668ff. 3 einzigen erwähnten astronomischen Werke solche der geozentrischen Lehre. Eine Erklärung hierfür ist, dass die Anspielungen auf Galilei nicht die Funktion haben, den Text das Wis- senselement des Kopernikanismus oder das einer der Theorien Galileis zuzuführen. Eher dürfte Milton in ihm ein Beispiel, ein ‚Symbol’, kirchlicher (papistischer) Unterdrückung gesehen haben und ihn als einen Märtyrer für die intellektuelle Freiheit (so wie sie Milton versteht).3 Das reicht dann über die Jahrhunderte hinaus.4 Immer wieder wird das trotzige E pur si muove angeführt - Worte, die Galilei angeblich gesprochen haben soll, als von ihm verlangt wurde, abzuschwören - und lange Zeit findet sich die Ansicht, Galilei sei gefoltert worden.5 Nicht eingehen kann ich zudem auf das ergiebige Thema der mit Galileis Ansichten ver- gleichbaren, wenn auch nicht nur im Detail differierenden hermeneutischen Auffassungen Johannes Keplers (1571-1630), der zudem, wenn auch erfolglos, mit einer Verteidigungs- schrift in die inneren italienischen Kontroversen zu intervenieren versuchte. Die Beziehun- gen waren zumindest von Seiten Galileis nach anfänglicher Euphorie eher unterkühlt.6 Schon 3 So wohl auch die jüngere Milton-Forschung – letztlich im Gegensatz zu Allan H. Gilbert, Milton and Galileo. In: Studies in Philology 19 (1922), S. 152-185 –: neben Grant McColley, The Astro- nomy of Paradise Lost. In: Studies in Philology 34 (1937), S. 209-247, sowie Id., Milton’s Dia- logue on Astronomy: the Pirncipal Immediate Sources. In: PMLA 52 (1937), S.728-762, Christo- pher Hill, Milton and the English Revolution. London 1977, S. 53-57, Neil Harris, Galileo as Sym- bol: The ‚Tuscan Artist‘ in Paradise Lost. In: Annali del’Instituto e Museo di Storia della Scienza di Firenze 10 (1985), S. 3-29, Roy Flannagan, Art, Artists, Galileo and Concordances. In: Milton Quarterly 20/3 (1986), S. 103-105, Julia M. Walker, Milton and Galileo: The Art of Intellectual Canonization. In: Milton Studies 25 (1989), S. 109-123, Donald Friedman, Galileo and the Art of Seeing. In: Mario A. di Cesare (Hg.), Milton in Italy: Contexts, Images, Contradictions. Bingham- on/New York 1991, S. 159-74, Amy Boesky, Milton, Galileo, and Sunspots: Optics and Certainty in Paradise Lost. In: Milton Studies 34 (1997), S. 23-43, auch Arthur O. Lovejoy, Milton’s Dialo- gue on Astronomy. In: Joseph A. Mazzeo (Hg.), Reason and the Imagination: Studies in the His- tory of ideas 1600-1800. New York/London 1962, S. 129-142. 4 Vor allem zum 19. Jh. vgl. Pietro Redondi, Dietro l’immagine. Rappresentazioni di Galileo nella cultura positivistica. In: Nuncius 9 (1994), S. 65-116. 5 Vgl. Emil Wohlwill: Ist Galilei gefoltert worden? Eine kritische Studie. Leipzig 1877. 6 Hierzu die ausgezeichneten Untersuchungen von Massimo Buccianti, Contro Galileo. Alle origini dell’Affaire. Firenze 1995, sowie Id., Galileo e Keplero. Filosofia, cosmologia e teologia nell’Età della Controriforma. Turino 2003, auch Id., Noch einmal zu den Beziehungen zwischen Galilei und Kepler. In: Michael Segre und Eberhard Knobloch (Hg.), Der ungebändigte Galilei. Stuttgart 2001, S. 73-82, ferner u.a. Leonida Rosino, Keplero e Galileo. In: Giovanni Keplero – „Giornata Lincea“ indetta nella ricorrenza del IV centenario della nascita. Roma 1972, S. 63-73, Stilman Drake, Galileo’s ,Platonic‘ Cosmogony and Kepler’s Prodromus. In: Journal of the Histrory of Astronomy 4 (1973), S. 174-191, Id., Kepler and Galileo. In: Vistas in Astronomy 18 (1975), S. 237-237, Judith V. Field, Cosmology in the Work of Kepler and Galileo. In: Paolo Galluzzi (Hg.), Novità celesti e crisi del sapere. Firenze 1984, S. 207-215, auch Owen Gingerich, Kepler, Galilei, 4 gar nicht können die Gründe ins Blickfeld kommen, die Galilei (im Laufe der Zeit) für die kopernikanische Theorie als ,Beweise‘ für ihren nichthypothetischen Charakter (nicht ex suppositione) hat – nicht zuletzt angesichts des Umstandes, dass die Druckerlaubnis für den Dialogo Galileis von Urban VIII. an die Erfüllung der Bedingung gebunden wurde, nicht die Wirklichkeit, sondern allein den hypothetischen Charakter der kopernikanischen Auffassung zu behaupten. Zugleich – hier interessanter – wurde gefordert, keine Fragen der Bibelexe- gese zu erörtern.7 Freilich waren seine die heliostatische Auffassung stützenden ,Theorien‘ und ,Beweis‘ nicht sonderlich erfolgreich.8 Zumal Galileos Entdeckung der Jupitermonde und der Venusphasen konnte ebenso eine Bestätigung für die tychonische wie für die koper- nikanische Theorie bedeuten.9 Nicht selten waren die von ihm gebotenen ,Beweise‘ eher Nachweise dafür, dass das, was man aufgrund bestimmter Annahmen für unmöglich hielt, möglich sei. Das ist beispielswie- se der Fall bei dem gegen die (zweite) Bewegung der Erde gerichteten Argument, dass der irdische Mond bei einer Bewegung der Erde um die Sonne zurückbleiben müsse. Dagegen nun zeigt die Entdeckung des stabil sich um die Sonne drehende Jupitersystems, dass dieses möglich ist. Als eklatanter Fehlschlag eines intendierten physikalischen Beweises für die doppelte Erdbewegung gilt (zumindest aus heutiger Sicht) Galileis Gezeiten-Theorie mit ihrer Ablehnung der okkulten Wirkung des Mondes (der Auffassung des Astrologen Kep- lers). Allerdings hat sie (wie nicht wenig anderes auch) in der Forschung umstrittene Deu- tungen erfahren, die letztlich auch das Problem betreffen, wie sich wissenschaftliches Han- deln erklären läßt, das seine intendierten Ziele so offenkundig zu verfehlen scheint.10 In and the Harmony of the World [1992]. In: Id., The Eye of Heaven: Ptolemy, Copernicus, Kepler. New York 1993, S. 388-406. 7 Das Dokument findet sich abgedruckt bei M. Pagano (Hg.), I documenti del processo di Galielo Galilei. Città del Vaticano 1984, S. 107-110. 8 Zu Galileis Beweis der Erdbewegung aufgrund der beobachtetetn Sonnflecken – die Beobachtung favorisiert lediglich die tägliche Erdbewegung (und das ist kein Kopernikansimus - u.a. A.M. Smith, Galileo’s Proof for the Earth’s Motion form the Movement of Sunspots. In: Isis 76 (1985), S. 543-551, auch Keith Hutchison, Sunspots and the Orbit of the Earth. In: Isis 81 (1990), S. 68- 74. 9 Zur Bedeutung der Venusphasen für das Kopernikanische system auch Thomas