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SWR2 Musikpassagen

Der talentierte Mr. Sidran

Von Luigi Lauer

Sendung: Sonntag, 20.06.2021 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2021

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Ben Sidran ist ein US-amerikanischer Musiker, Produzent, Journalist und, nicht zuletzt, Musikwissenschaftler. Für und mit hat er gearbeitet, , Dizzy Gillespie oder Bobby McFerrin. Er schreibt für Musikmagazine wie den Rolling Stone, Downbeat und Billboard, schreibt und spricht Rundfunk-Kolumnen, und für mehrere Bücher hat Dr. Ben Sidran auch noch Zeit gehabt. Zeit, sich auch für ihn mal eine Stunde Zeit zu nehmen.

Der talentierte Mr. Sidran. Eine Sendung von Luigi Lauer.

--- , Album Brave New World, Track 2, Space Cowboy, 4:56 ---

RocknRoll 1969, das Lied Space Cowboy von der Steve Miller Band. Space Cowboy – eine auch für Ben Sidran, der das Stück geschrieben hat, gar nicht unpassende Beschreibung.

Steve Miller und Ben Sidran, beide Jahrgang 1943, lernten sich an der Universität von Wisconsin- Madison kennen und standen erstmals als junge Studenten 1962 gemeinsam auf einer Bühne. Die Wege liefen dann auseinander, Sidran ging nach England, um sein Philosophie-Studium fortzusetzen. 1967 setzten sie ihre Zusammenarbeit fort in der inzwischen Steve Miller Band genannten Formation. Sidran, auf der Bühne meist als Keyboarder und Sänger in Erscheinung tretend, lernte zunehmend das Produzieren von Schallplatten. Auch zwei Alben von Steve Miller, die von 1971 und 88, sind darunter.

(O-Ton Ben Sidran, 0:41): „Bis zu den späten 1960-ern, als ich meine Doktorarbeit beendete, habe ich ein hippes Leben gelebt. Ich machte Musik, war viel unterwegs, und ich studierte bei sehr linken Historikern und Semantikern und solchen Leuten. Aber Anfang der 70-er habe ich mich bewusst entschieden, statt das Leben zu studieren, lieber nach einem Weg zu suchen, es zu leben. Es gibt hier einen schönen Ausdruck dafür: Du musst das Leben leben, über das du in deinen Liedern singst.“

Das hat Ben Sidran dann auch gemacht. Sein Herz schlug allerdings vor allem für den Jazz. 1971 erschien sein erstes Album unter eigenem Namen, Feel your Groove heißt es. Wie sehr ein Jazzstück grooven kann, zeigt er eindrucksvoll in dem Stück About Love.

--- Ben Sidran, Album Feel your Groove, Track 4, About Love, 2:56 ---

Über die Liebe, About Love, aus Ben Sidrans erstem Soloalbum, 1971. Er sagt auf seiner Homepage, er habe nicht gedacht, dass nach seinem ersten Album vielleicht noch weitere folgen würden, und habe alles hineingepackt, was ihm zu der Zeit lieb war – darunter auch Musiker wie Peter Frampton oder ; ja, genau, der Charlie Watts von den Rolling Stones.

Übrigens lohnt sich ein Blick auf bensidran.com, dort findet man eine bemerkenswert penible Zeitachse, mit wichtigen Auftritten, eigenen Alben, solchen, die er produziert hat, Fotos, Videos und einiges mehr.

Seine Doktorarbeit hat Ben Sidran bereits erwähnt. Er hat sie, ebenfalls 1971, unter dem Titel Black Talk veröffentlicht. Das Buch gilt heute als Standardwerk zur Geschichte der afroamerikanischen Musik. Sidran zeigt sich darin als exzellenter Wissenschaftler, mit Blick sowohl für Details als auch fürs Ganze, für Entstehungsprozesse wie soziokulturelle und politische Zeitbezüge. Und Humor hat der Mann auch.

Hinzu kommt: Ben Sidran ist Jude. Und er attestiert sich aus gemeinsamen historischen 2

Erfahrungen einen besonderen Blick auch auf die afroamerikanische Musikgeschichte.

(O-Ton Ben Sidran, 0:54): „Es ist die eine Sache, dass die Gesellschaft sie nicht besonders gut behandelt hat. Die andere Sache ist: Sie gehörten auch zu denen, die eine zweite Perspektive entwickeln konnten, eine, die es ihnen erlaubte, sowohl den Wald als auch die Bäume zu sehen. Sie waren innerhalb wie außerhalb der dominanten Kulturen. Ein Beispiel: Afro-Amerikaner waren sehr willkommen, Amerika aufzubauen, aber nicht, sich darin zu befinden. Dasselbe geschah mit den Juden. Wo immer sie hingingen, waren sie drin – und nicht drin. Deshalb konnten sie immer zwei Blickrichtungen verfolgen. Das hat ihre Arbeit und ihre Ideen nuancierter gemacht und zukunftsorientierter.“

Und die Zukunft, musikalisch betrachtet, hieß Jazz, errichtet auf seinem Grundbaustein, dem schwarzen Blues.

(O-Ton Ben Sidran, 0:40): „Die Juden waren an der Entstehung des Jazz beteiligt, weil schwarze Amerikaner da waren. Afrikaner, die nicht in die USA kamen, sondern, sagen wir, nach Brasilien, die hatten auch ihre eigene Musik. Aber das war nicht Jazz. Jazz entstand aus der Interaktion mit Juden. Die spezielle US-amerikanische Kultur kommt also aus dem Zusammenwirken von Schwarzen und Juden zu einer bestimmten Zeit."

Wie der Jazz von Ben Sidran 1988 klang, hat er mit dem Album Too hot to touch dokumentiert, daraus das Stück Critics.

--- Ben Sidran, Album Too hot to touch, Track 6, Critics, 4:51 ---

Ben Sidran mit dem Jazz-Funk-HipHop-Stück Critics, einer gnadenlosen Abrechnung mit Musikkritikern. Ben Sidran sagte der International Herald Tribune zu dem Stück, er habe einmal zurückschießen wollen.

Fünf Jahre später, 1993, erschien das Album Life´s a Lesson: hebräische lithurgische Musik. Das war das Letzte, was man von Ben Sidran erwartet hätte. Warum ein derart vom bisherigen Werk abweichendes Thema?

(O-Ton Ben Sidran, 1:45): „Mein Sohn war damals fünf Jahre alt. Ich habe mein Leben lang das organisierte Judentum gemieden, das geht mir auf den Senkel. Ich wollte kein Teil dessen sein, gleichzeitig aber meinem Sohn vermitteln, wo sein Großvater herkam, mein Vater. Ich nahm ihn mit zu einem der Gottesdienste, die besonders an den hohen jüdischen Feiertagen begangen werden. Und ich hasste die Musik, es waren Folksongs, dilettantisch von einer Frau auf der Gitarre gespielt. Aber die vorgetragenen Texte fand ich sehr interessant. Ich sagte den Leuten: Bitte, lasst mich im nächsten Jahr die Musik machen. Ein halbwegs passables Klavier stand noch dort, also machte ich das im folgenden Jahr. Und ich traf auf Lieder, die ich alle noch aus meiner Kindheit kannte. Ich erinnere mich, dass ich, etwa 1954, mit lauter Immigranten in einem Raum war, Deutsche, Polen, Litauer, die zusammen sangen. Die Atmosphäre in dem Raum war phantastisch. Und es waren tatsächlich ganz wunderbare Folk-Songs, die ich dann später auch selber spielte, und alle sagten, mensch, das musst du aufnehmen! Sie dachten an eine Kassette, aber ich war Plattenproduzent! Ich bin drei Jahre durch die USA gereist und habe allen jüdischen Musikern gesagt, komm her, du musst das spielen, und du das; hej, Joshua Redman, ich weiß, dass deine Mutter Jüdin ist und du jüdisch aufgewachsen bist, spiel! Es hat mich viel Zeit gekostet, aber letztendlich habe ich danach die Frage, was es heißt, Jude zu sein, ganz anders betrachtet. Die Musik hat mich komplett umgekrempelt."

Es sei gar nicht so selten, sagt Ben Sidran noch, dass junge Juden in den USA erst in späterem Alter 3 sich für das Judentum interessierten. Die Generation seines Sohnes gehe schon sehr viel selbstverständlicher damit um.

Besagter Joshua Redman ist auf dem Album Life´s a Lesson ebenso vertreten wie eine lange Reihe weiterer jüdischer Musiker, , , Mike Manieri, Bob Mintzer, Carole King, David Liebman.

--- Ben Sidran, CD Life´s a lesson, Track 8, Eli Eli, 4:30 ---

Das Lied Eli Eli, dem Ben Sidran hier sehr bewusst eine Atmosphäre verliehen hat, wie man sie sich in einer Synagoge gut vorstellen kann. Die Violine spielte Haim Shtrum, der im Januar im Alter von 81 Jahren an Covid19 verstarb. Er hatte unter anderem auch an den Filmmusiken zu Schindlers Liste, ET oder Der Pate mitgewirkt. Gesungen hat das Lied Lynette Margulies, eine Jazzsängerin aus Madison, wo Ben Sidran studiert hatte.

Der schon erwähnten Zeitachse auf Sidrans Homepage lässt sich auch entnehmen, dass er sehr viele ausführliche Interviews geführt hat mit Künstlern, die er in seiner mehr als 50 Jahre währenden Musikerlaufbahn getroffen hat. Konversationen heißt die Reihe, die 1972 mit Mick Jagger begann und fortgesetzt wurde mit John Scofield, Dr. John, Branford Marsalis, Sonny Rollins, Dizzy Gillespie, , Gil Evans, Herbie Hancock, Betty Carter, Michel Petrucciani, Steve Gadd, Donald Fagan, Tommy LiPuma, Quincy Jones, Phil Woods, .

Im Zusammenklang mit all dem anderen, was Ben Sidran bislang abgeliefert hat, wird eines sehr deutlich: Der Mann hat jeden Handschlag sehr bewusst getan. Jede Begegnung nutzte er gleich mehrfach, sei es für seine vielen Rundfunksendungen, die er gemacht hat, seine Zeitungs-Artikel, seine Bücher, seine Platten, seine Produktionen.

Musikalisch waren wir zuletzt bei den Liedern, die Ben Sidran noch aus seiner Kindheit kannte und 1993 für seinen Sohn Leo aufgenommen hatte, heute selber ein gefragter Komponist, Produzent und Schlagzeuger. Abseits lithurgischer Musik wird jüdische Musik von den meisten Menschen vor allem mit Klezmer in Verbindung gebracht. Ben Sidran winkt ab:

(O-Ton Ben Sidran, 0:22): „Klezmer ist kein allein jüdisches Idiom. Auch Zigeuner waren daran beteiligt. Viele haben Klezmer gespielt, und besonders heutzutage spielen viele Klezmer, die keine Juden sind. Ich finde es viel wichtiger, herauszufinden: Was ist lebendig, modern, amerikanisch und jüdisch, statt über einen Klarinettisten von 1920 zu reden."

Womit er den berühmten Naftule Brandwein meint, einer der allzeit besten Klezmermusiker. Er spielte gerne mit dem Rücken zum Publikum, damit man seine überragende Technik nicht sah. Brandwein war der Großvater von Arthur Rubinstein. Lebendig und modern zu sein ist das, was Ben Sidran für eine Musikerpflicht hält:

(O-Ton Ben Sidran, 0:22): „Das ist die Herausforderung für alle Musiker, besonders aber im Jazz: Die Musik seiner Zeit zu spielen, das ist Teil der Definition von Jazzmusiker. Wir müssen mit eigener Stimme sprechen und wir müssen unsere eigene Geschichte erzählen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Geschichte von Charly Parker zu erzählen oder die von Herbie Hancock. Wir reden über unsere Geschichte."

So ganz konsequent ist Ben Sidran diesbezüglich allerdings nicht. So produzierte er beispielsweise das 25. Studioalbum von van Morrison. Das Album heißt "Tell me something: The music of ". Allison war Jazzpianist und Sänger, 1927 in Mississippi geboren, und von großem Einfluss auf spätere Rock- und Jazzmusiker. Ben Sidran hatte vier Alben von Mose Allison bis zu 4 dessen Tod 2016 produziert, was van Morrison als ausreichenden Befähigungsnachweis betrachtete. Aufgenommen wurde das Album in Bath in England in van Morrisons Tonstudio in nur 24 Stunden.

--- Van Morrison, Album Tell me something: The music of Mose Allison, Track 1, One of these days, 3:18 ---

"Tell me something: The music of Mose Allison", aus diesem Album von van Morrison war dies der Titel "One of these days".

Ben Sidran hat 2009 auch selber ein Album gemacht als Hommage an einen großen Künstler: Bob Dylan. Warum der?

(O-Ton Ben Sidran, 0:35): „Weil Bob Dylan und ich im selben Alter sind, weil wir aus derselben Ecke der USA stammen, und weil ich mein ganzes Leben andere Sachen gemacht habe, aber diese wichtige Geschichte einfach noch ausstand. Ich hatte schon Lieder von ihm live gespielt, die Leute mochten das. Zum einen grooven die Stücke bei mir, und zum anderen kamen Leute und sagten: Endlich verstehe ich die Texte! Vielleicht war meine Aussprache einfach leichter zu verstehen. Dazu kommt, dass Dylan seine alten Lieder heute nicht mehr spielt.“

Als reizvoll hat Ben Sidran empfunden, dass Dylan seinerseits auf ein großes Vorbild zurückgriff, einem der ganz wichtigen Autoren des "Great American Songbook".

(O-Ton Ben Sidran, 0:50): „Er ist der geistige Sohn von Woody Guthrie. Guthrie kam aus der Arbeiterbewegung. Solche Leute waren sehr wichtig für Dylan, er war immer daran interessiert, dass hinter der Musik auch Geschichten stecken. Ich glaube, die Menschen haben nicht begriffen, dass er nie sonderlich an sozialen Fragen interessiert war, er mochte nur die Ideale dahinter. Dann wuchs er mit Pop und schwarzer Musik auf, die er im Radio hörte, so wie wir alle. Es ist also eine Kombination aus Politik und schwarzer Musik und Folk-Musik. Und eindeutig jüdisch, er hat ja auch eine sehr jüdische Gesinnung.“

Woody Guthrie war der Sänger gewerkschaftsnaher Organisationen in den 1930-er bis frühen 1950- er Jahren. Bob Dylan sei allerdings schnell über sein Idol hinausgewachsen.

(O-Ton Ben Sidran, 0:43): „Ursprünglich benutzte Bob Dylan Woody Guthrie als Plattform. Als er 1961 nach New York kam, hat er Guthrie regelrecht aufgesogen. Er klang wie Woody, er benutzte wie dieser doppelte Verneinungen. Die kamen aus dem Slang von Oklahoma, wo Guthrie herkam, nicht aus dem Straßen-Wortschatz von Minnesota, wo Dylan aufwuchs. Er hat sein Idol kopiert. Aber sehr schnell war er weit darüber hinaus. Ich denke, schon 1963 erfand er ganze Welten. Niemand außer ihm hätte diese Lieder schreiben können. Woody Guthrie hätte nicht annähernd so etwas schreiben können wie "A hard rain´s a gonna fall". Das ist unverkennbar Bob Dylan."

Unverkennbar auch die vielen biblischen, jüdischen Motive in Bob Dylans Liedern, wie in diesem hier: Highway 61.

--- Ben Sidran, Album Dylan different, Track 2, Highway 61, 3:18 ---

Folk-Musik von Bob Dylan einmal anders, und so heißt das Album von Ben Sidran auch: "Dylan different". Mit den Texten hatte Ben Sidran keine Arbeit, die stehen für sich – das hat zuletzt auch das Komitee des Literatur-Nobelpreises herausgefunden. Die Baustelle war woanders.

(O-Ton Ben Sidran, 0:36): „Die Herausforderung lag speziell darin, dass seine Musik harmonisch gesehen nicht besonders interessant ist. Ich musste also harmonisch etwas unternehmen, ohne sie zu 5 ruinieren. Es sollte ja immer noch Dylans Musik reflektieren. Ich habe an den Harmonien gearbeitet, wie ein Jazzmusiker das tut, aber es finden sich jetzt nicht jede Menge verminderte Quinten oder übermäßige Nonen. Es geht zivilisiert zu.“

Ben Sidran hat mit Dylan Different eine feinfühlige Liebeserklärung an die Lieder von Bob Dylan verfasst.

(O-Ton Ben Sidran, 0:24): „Er ist eindeutig eines der großen musikalischen Genies Amerikas. Bob Dylan ist einer der Helden Amerikas des 20. Jahrhunderts, vielleicht sogar einer der wichtigsten zehn Amerikaner im 20. Jahrhundert. Genie bedeutet nicht, ein bestimmter Typus Mensch zu sein, sondern Genie ist etwas, das Menschen widerfährt. Er ist definitiv ein Genie, was aber nicht heißt, dass er das kontrollieren kann."

Wohlgemerkt: Dylan Different ist eine Liebeserklärung an Dylans Lieder, nicht an Dylan. Denn obwohl Sidran selber bei den ganz großen Musikern dieser Welt sehr begehrt ist, war sein einziges Zusammentreffen mit Bob Dylan eine Katastrophe.

(O-Ton Ben Sidran, 0:23): „Er war wie ein Tier im Käfig, als würdest du einem Wolf im Käfig begegnen. Man hatte sofort ein unbehagliches Gefühl, sehr unbehaglich. Ich sagte ihm, dass seine Musik sehr wichtig für mich gewesen sei und ich sie außerordentlich schätzen würde. Er sagte: "Ach, ja?" Das war´s, das war alles."

Weiter führt Sidran aus, dass ihm ein befreundeter Photograph erzählt habe, er sei mit Bob Dylan zehn Stunden im Auto unterwegs gewesen. Das müsse phantastisch gewesen sein, habe Sidran entgegnet.

(O-Ton Ben Sidran, 0:13): „Er sagte: "Nein. Das Beste von Bob Dylan bekommt man für zehn Dollar in jedem beliebigen Plattenladen." Das fasst für mich alles zusammen. Er ist nicht interessant als Mensch. Sein Werk ist phantastisch. Er als Person – nicht sonderlich."

--- Ben Sidran, Album Dylan different, Track 1, Everything is broken, 3:25 ---

Das Lied "Everything is broken" von Bob Dylan in der Fassung von Ben Sidran. Bob Dylan ist Jude, wie Ben Sidran auch, weshalb Dylan auch prominent in einem Buch von Sidran vertreten ist. 2012 ist es erschienen und trägt den Titel: "There was a fire: Jews, Music and the American Dream". Zehn Jahre habe er daran gearbeitet, sagt Sidran. Er habe herausfinden wollen, wie eine Bevölkerungsgruppe 80% des Great American Songbook habe schreiben können, die doch lediglich 2% der amerikanischen Bevölkerung ausmacht. Das Werk ist die perfekte Ergänzung zu Sidrans Buch "Black Talk". In letzterem hatte er sich mit der Geschichte der afroamerikanischen Musik beschäftigt. In "There was a fire" geht es um die jüdische Beteiligung daran und um die vielfältige Zusammenarbeit von Schwarzen und Juden.

(O-Ton Ben Sidran, 1:21): „Als die Juden 1880 in die USA kamen, hat man sie nicht als Weiße betrachtet, sondern als Orientalen; nicht schwarz, nicht weiß. Bestimmte Berufe oder Tätigkeiten durften sie nicht ausüben, wie die Schwarzen auch, und so verlegten sie sich auf die populäre Kultur, wie Musik, Theater, Show-Business. Etwas anderes blieb ihnen kaum übrig. Sie teilten also sehr ähnliche Erfahrungen und zogen sogar bevorzugt in schwarze Gegenden. Denn während viele Amerikaner auf die Kultur der Schwarzen hinabsahen, schienen die Juden in vielen Belangen zu ihnen aufzuschauen. Sie respektierten, dass Afro-Amerikaner schon seit 200 Jahren dort lebten und wirkliche Amerikaner waren. Und sie mochten, dass auch bei ihnen die Familie einen hohen Rang einnahm, dass die Spiritualität sehr ausgeprägt war und dass die Frau in der Familie eine sehr starke Position einnahm. Sie hatten also eine Menge gemeinsam vor rund 100 Jahren." 6

Ben Sidran zählt in seinem fast 400 Seiten starken Buch Dutzende Kollaborationen auf, die eine enge Verknüpfung von afroamerikanischer und jüdischer Kultur belegen. Eigentlich sollte der Black History Month um einen Jewish History Month ergänzt werden, findet Sidran.

(O-Ton Ben Sidran, 1:22): „In Amerika gibt es eine sehr tiefgehende Verbindung zwischen Afro- Amerikanern und ihrer Kultur, und der jüdischen, vorrangig europäischen Kultur. Die Musik und die Kunst, die wir als populäre amerikanische Kultur ansehen, kommen in erster Linie aus schwarzen und jüdischen Quellen. Wenn der Black History Month gefeiert wird, dann ehren wir nicht nur die Menschen, die aufgrund ihres Durchhaltevermögens und ihres Humors Jahrhunderte unerträglicher Behandlung überlebt haben. Es wird auch eine Ära gewürdigt, in der diese zwei Gruppen von Emigranten aufeinandertrafen. Die Juden haben die Lynchmorde an schwarzen Amerikanern in den Südstaaten als Pogrome bezeichnet, weil sie dem sehr ähnlich waren, was sie in Europa erlebt hatten. Es gab eine große gemeinsame Schnittmenge zwischen diesen Gruppen, eine hohe Identifikation. So entstand eine große Synchronität in der Kultur, die beide Gruppen gemeinsam produzierten."

--- Musik, Ben Sidran, Album Blue Camus, Track 4, The King of Harlem, 4:57 ---

King of Harlem, ein Lied, inspiriert von Federico Garcia Lorcas Gedicht "Poet in New York". 2014 erschien das Album Blue Camus, auf dem sich Ben Sidran mit Philosophen und Schriftstellern auseinandersetzt. Die London Times nannte ihn darauf "den ersten existenzialistischen Jazz- Rapper". Am Schlagzeug war übrigens zu hören, Bens Sohn.

Aber gehen wir zum Ende noch einmal kurz zurück zu der Frage, warum wir so ziemlich alles wissen über afroamerikanische Musiker und deren Bedeutung für die amerikanische Kultur, während über die Rolle der Juden so wenig überliefert ist.

(O-Ton Ben Sidran, 1:23): „Schwarze Musiker waren immer um ihre musikalischen Traditionen bemüht, schwarze Gospelmusik, Jazz-Platten und so weiter. Aber Juden reden nicht über ihre Musik als jüdische Musik. Das war schon immer so. Ich vermute, sie wollten nur nicht auffallen, als sie nach Amerika kamen, und sich assimilieren. Das letzte, worüber sie reden wollten, war, Jude zu sein. Sie wussten, dass das eines Tages Ärger bedeuten könnte. Irving Berlin, der wohl berühmteste jüdische Komponist und Texter des 20. Jahrhunderts, schrieb Weihnachtslieder, Osterlieder, aber keine jüdischen Lieder. In einem Interview antwortete er auf die Frage, was sein Jüdischsein mit seinem Erfolg zu tun habe: nichts. Dabei war sein Vater Kantor und er selber sang in der Synagoge. Er aber sagte: Jude zu sein hat mit meiner Musik nichts zu tun, ich bin Amerikaner. George Gershwin und Bob Dylan haben sich ähnlich geäußert."

Zu sagen, dass man Jude sei, habe nichts mit der Musik zu tun, die man macht, sei an sich ein sehr jüdisches Verhalten, ergänzt Ben Sidran. Deshalb müsse man unbedingt zwischen den Zeilen lesen.

(O-Ton Ben Sidran, 0:13, NICHT OVERVOICED): „Saying, that being a Jew has nothing to do with it, is a very jewish thing, right (schmunzelt). So you have to look kind of in between the lines on this thing (lacht)."

Ben Sidran ist definitiv einer, der das geändert hat, und er hat für kommende Generationen genug Anschauungs- und Anhörungsmaterial hinterlassen. Neben den erwähnten Büchern hat er auch die Biographie von Tommy LiPuma geschrieben, einem der einflussreichsten Musikproduzenten überhaupt. Und für seine Autobiographie, für 35 Soloalben, für zwei Dutzend Produktionen und vieles vieles mehr hat er auch noch Zeit gefunden.

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Ganz am Anfang der Sendung hörten wir Ben Sidran sagen, dass er ein hippes Leben gelebt habe, getreu dem Motto: Du musst das Leben leben, über das du in deinen Liedern singst. Ben Sidran hat es getan und tut es noch. Und hat, natürlich, auch zu diesem Thema etwas hinterlassen: nämlich 2012 das Album "Don´t cry for no Hipster", daraus zum Schluss das Titelstück.

In den Musikpassagen hörten sie: Der talentierte Mr. Sidran. Eine Sendung von Luigi Lauer. Redaktion: Anette Sidhu.

--- Ben Sidran, CD Don´t cry for no Hipster, Track 3, Don´t cry for no Hipster, 4:57 ---

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