Das „Imperium“ Schlägt Zurück
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512_513_113-117_Braun_2spaltig 26.06.12 15:21 Seite 113 Der Streit Das „Imperium“ um Christian Krachts Roman schlägt zurück ist auch ein Streit um die aktuelle Rolle Michael Braun der Literaturkritik Wie viel Kritik verträgt ein Roman? Kurz sah, und begründete einen strengen neu- bevor Christian Krachts Imperium aus- heidnischen Sonnenorden. Einige Jünger geliefert wurde, publizierte der Spiegel in folgten dem Aussteiger zeitweise sogar seiner Ausgabe vom 16. Februar 2012 auf dessen Insel, darunter ein seinerzeit einen Totalverriss. Der Rezensent Georg nicht unbekannter Berliner Pianist. Diez warnte vor einem „kruden“ Buch Kracht lässt seinen Helden indessen mit einer „unangenehmen, dunklen Me- nicht wie sein historisches Vorbild an lodie“ und den Koordinaten von „Ver- den Folgen seiner letztlich ungesunden nichtung und Erlösung“. Der Autor, so Lebensweise sterben (nämlich 1919), son- Diez, bewege sich dadurch in der Nähe dern nach vielen Abenteuern sogar den eines „antimodernen Ästhetizismus“ , er Zweiten Weltkrieg überleben. Amerika- platziere sich „sehr bewusst außerhalb nische Soldaten wundern sich über den des demokratischen Diskurses“, er sei, so erstaunlich rüstigen Greis. Seine abstruse das Resümee, „der Türsteher der rechten Lebensgeschichte, in der mehrfach „Pa- Gedanken“ (Der Spiegel, 7/2012). rallelen“ zu Hitler gezogen werden, wird Das war schweres Geschütz. Der Autor nach Hollywood empfohlen. Das „Impe- sagte seine Lesungen in Deutschland fürs rium“ wird zum Film, der am Ende des Erste ab. In Zürich freilich stellte er sein Romans mit dem gleichen Bild – der An- Buch vor. Dem Marketing des Buches war kunft des Schiffes auf der Insel – beginnt, die Debatte nicht abträglich. Der Verlag mit dem der Roman angefangen hat. Ein verkaufte binnen zwei Wochen 80 000 Kreis schließt sich. Exempl are des Romans. Auf der Spiegel- Bestsellerliste 11/2012 stand Krachts Ausweitung der Kampfzone Buch auf dem vierten Platz. Buch und Autor sind ein Skandal, sagt Diez. Diese Behauptung ist der eigent- Exotischer Abenteuerroman und liche Skandal, kommentiert Felicitas von exzentrische Aussteigergeschichte Lovenberg (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Inhalt des Romans ist rasch erzählt. 15. Februar 2012), in deren Kritik Krachts Seine Vorlage bildet die wahre Ge- Buch als „Neuerfindung des historischen schichte eines 1875 in Nürnberg gebore- Romans mit den Mitteln der Sprache und nen Apothekers. Der reiste als 27-Jähriger höherer Ironie“ gut abgeschnitten hatte in die Südsee und erwarb dort das win- (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Februar zige Eiland Kabakon in der Kolonie 2012). Die Kritik war sich also wieder Deutsch-Guinea. Hier rief der Nudist, Ve- einmal uneins. Von „qualvoller“ Prosa getarier, selbst ernannte Lebensreformer für „Pauschalreisende“ (Tagesspiegel, 11. und spätere Antisemit eine Heilslehre na- Februar 2012) und „grauenhaftem Rol- mens „Kokovorismus“ aus, die in der Ko- lenprosakitsch“ (Frankfurter Rundschau, kosnuss den alleinigen Weg zum Glück 16. Februar 2012) war die Rede, andere Nr. 512/513 · Juli/August 2012 Seite 113 512_513_113-117_Braun_2spaltig 26.06.12 15:21 Seite 114 Michael Braun lobten den „lässigen Abenteuerroman ei- „Literarischen Quartetts“, der legendären nes deutschen Romantikers“ (Frankfurter literaturkritischen Talkshow unter der Re- Allgemeine Sonntagszeitung, 19. Februar gie Marcel Reich-Ranickis, die zwischen 2012) und die „fiktionalisierte Biografie“ 1988 und 2001 ausgestrahlt wurde und, im- eines exzentrischen Aussteigers, ein merhin am späten Freitagabend, ma nch- „Meisterwerk“ (Die Welt, 11. Februar mal über eine Million Zuschauer erreichte. 2012). Krachts Verleger Helge Malchow sprang seinem Autor zur Seite und wür- Das „Imperium“ der Literaturkritik digte die „höchst raffinierte künstlerische Wir wissen, dass Leser sich an Bestseller- und das heißt auch künstliche Konstruk- und Bestenlisten (was nicht dasselbe ist) tion“ des Romans (Der Spiegel, 8/2012). orientieren. Freundliche Stimmen der Kri- tik finden sich allerorten im Klappentext Freiheit der Kunst oder auf der Buchrückseite. Eine Solidaritätsadresse kam von sieb- Springt die Kritik jedoch unfreundlich zehn Schriftstellerkollegen, die sich in mit dem Buch um, so ist sein Weg zum einem offenen Brief für die Freiheit der Publikum vorbelastet. Auch an dem Au- Kunst einsetzten. Die Nobelpreisträgerin tor bleibt mei st etwas vom vermeintli- Elfriede Jelinek, Daniel Kehlmann, Kath- chen Makel seiner Schöpfung haften. Be- rin Schmidt und andere schrieben: sonders fatal wirken der Anklagestatus „Mit dem ,Spiegel‘-Artikel ,Die Methode „rechter Gedanken“ und der Antisemitis- Kracht‘ hat der Literaturkritiker Georg mus-Vorwurf. Diese Erfahrung machte Diez für uns die Grenzen zwischen Kritik Botho Strauß 1993 mit seinem Essay und Den unziation überschritten. Äuße- „Anschwellender Bocksgesang“, einer zi- rungen von literarischen Erzählern und vilisationskritischen, gegenmodernisti- Figuren werden konsequent dem Autor schen Tirade mit einigen in der Tat zugeschrieben und dann als Beweis einer missverständlichen Aussagen: „Rechts gefährlichen politischen Haltung gewer- zu sein, nicht aus billiger Überzeugung, tet. Wenn diese Art des Literaturjourna- aus gemeinen Absichten, sondern von lismus Schule machen würde, wäre dies ganzem Wesen.“ Gehört, wer so spricht, das Ende jeder literarischen Phantasie, „zu der intellektuellen Gesellschaft, auf von Fiktion, Ironie und damit von freier die sich aktive Rechtsradikale in mancher Kunst“ (Börsenblatt, 17. Februar 2012). Hinsicht berufen können“? Diesen Vor- Damit war schon eine Metaebe ne der wurf musste sich auch Martin Walser ge- Kritik erreicht. Es ging längst nicht mehr fallen lassen. Sein Roman Tod eines Kriti- um ein mehrdeutiges Buch und um seinen kers (2002) inszeniert den scheinbaren Autor. Die Kracht-Debatte zielt ins Herz Mord an einem Großkritiker mit offen- des Literaturbetriebs. Dort geht es um den sichtlich jüdischer Herkunft, als dessen Anspruch auf die unbedingte „Freiheit der Vorbild zweifelsfr ei Marcel Reich-Ra- Kunst“ (Süddeutsche Zeitung, 25. Februar nicki identifiziert werden kann, der wie- 2012) und um die ihr oft entgegenstehende derum über einen früheren Roman von Verflechtung des Werks mit dem Autor Walser gesagt hatte, es lohne nicht, auch und den Erwartungen des Publikums. Das nur eine einzige Seite daraus zu lesen. Bei Zünglein an der Waage, die dieses insta- nüchterner Betrachtung zeigt sich natür- bile Verhältnis zwischen Werk, Autor und lich: Weder Strauß noch Walser haben ein Leser misst, ist die Literaturkritik. antisemitisches Werk geschrieben. Aber Die Kritik spielt im deutschsprachigen doch einen Text, der antisemitischen Deu- Literaturbetrieb eine einflussreiche Rolle. tungen stellenweise wenig Widerstand Bekannt ist die hohe Einschaltquote des entgegensetzt. Seite 114 Nr. 512/513 · Juli/August 2012 512_513_113-117_Braun_2spaltig 26.06.12 15:21 Seite 115 Das „Imperium“ schlägt zurück Der schweizerische Schriftsteller und Journalist Christian Kracht löste im Februar 2012 eine politisch-ästhetische Debatte aus. Hier eine frühe Aufnahme im Oktober 2001 in Köln. © picture alliance/Sven Simon, Foto: Sven Simon Und das gilt auch für einige Stellen in Marke ist eine etablierte Vorstellung, ein Krachts Roman. Der fanatische Romanti- Image, das fest mit Produkt und Produ- ker und exotische Revolutionär August zenten verbunden ist und diese sofort Engelhardt wandelt sich am Ende der wiedererkennbar macht. Der Verlag kann Geschichte zum Antisemiten, der „in der die Marke als Werbeinstrument einsetzen, Existenz der Juden eine probate Ursache dem Kritiker dient sie als Werkzeug der für jegliche erlittene Unbill“ sieht. Aber Beschreibung des Buches, dem Leser als man sollte hier genau lesen. Die indirekte Orientierungshilfe, für den Autor aber Rede und der übertreibende Kommentar wird sie manchmal zur Belastung, von der des Erzählers, der Engelhardts Judenhass sich loszuschreiben schwierig sein kann. zu einer wahnwi tzigen Komplottfantasie Christian Kracht hat eine solche aufbläst, sorgen für Distanz. Selbst der Marke gleich mit seinem Debütwerk eta- treueste Diener Engelhardts, so heißt es, bliert. Mit Faserland, 1995 erschienen, schleicht sich während der „verrückten begann die Blütezeit der Pop-Literatur. Suada“ seines „Meisters“ davon. Kracht schickt seine junge, wohlstands- verwöhnte und emotionslabile Hauptfi- Autor als Marke gur auf eine Antibildungsreise von Sylt Wie kommt es dazu, dass sich die Litera- bis nach Zürich und legt es dem Leser turkritik statt auf ein Werk auf den Autor nahe, diese Figur mit dem Autor zu ver- einschießt? Dieses Ritual hat mit dem Ge- wechseln. Die dandyhafte Marke ist Pro- setz der Marke zu tun, einem einflussrei- gramm: Im Roman selbst werden immer chen Instrument des Kulturbetriebs. Die wiede r Markenartikel erwähnt, die Klei- Nr. 512/513 · Juli/August 2012 Seite 115 512_513_113-117_Braun_2spaltig 26.06.12 15:21 Seite 116 Michael Braun dungs-, Ess- und Freizeitgewohnheiten Markenkultur. Was sagt es über das Gei- der „Generation Pop“ bestimmen. Inzwi- genspiel aus, wenn der Geiger ein Dieb schen ist Faserland Thema des Zentralabi- ist, fragt Oscar Wilde. Eigentlich nichts; turs in mehreren Bundesländern. aber was ist, wenn das Geigenspiel in einem Mit seinen Folgewerken hat Kracht politischen Konzert auftaucht, begleitet sein Image als radikalalternativer Dandy- von Schlachtfanfaren? Hier macht die Kri- Autor politisiert. Der Roman 1979, im tik manchmal zu wenig Unterschiede. Das September 2001 erschienen, führte den Werk wird