WÜRTTEMBERG BAYERN BADEN- BRANDENBURG

BERLIN BREMEN MECKLENBURG-HAMBURG

VORPOMMERNHESSEN NIEDERSACHSEN NORDRHEIN- WESTFALEN RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SACHSEN SACHSEN-ANHALT SCHLESWIG- HOLSTEIN THÜRINGEN

26 — Prof. Dr. Olaf Köller / Robert Rauh Interview: Von Daten zu Taten –

PISA, Bildungsstandards und Bildungstrends

29 — Uta-Micaela Dürig / Winfried Kneip / Dr. Jörg Dräger / Dr. Ekkehard Winter Stiftungen: Warum arbeiten Sie gerne mit der KMK zusammen? 6 — Helmut Holter 30 — Dr. Birgitta Ringbeck 68 — Anja Schöpe Weltkulturerbe – „Zukunft für unsere Vergangenheit“ Leistungsstarke Schülerinnen und Vorwort Schüler fördern 32 — Anthony Mackay 6th International Summit on the 70 — Dr. Jens-Peter Gaul / Ulrich Steinbach / Teaching Profession Uwe Gaul „Mächtiger als ein Staat: Eine gut — Ties Rabe 34 koordinierte KMK“ Gleich wertige Schulab schlüsse

— Martine Reicherts — Karl-Heinz Reith — Henry Tesch 72 10 36 Europa und Erasmus+ Kulturzentrali smus oder Föderalismus? Erfahrungsbericht: Vom Schulleiter zum

KMK-Präsidenten und zurück — Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser — Prof. Dr. Rita Süssmuth 73 12 Interview: „Der Wurm muss dem Fisch schme- Kooperativer Bildungsföderalismus: — Detlef Ernst 38 WAS cken“ – Zur Zukunft der Beruflichen Bildung Vielfalt statt Einförmigkeit Erfahrungsberichte: Warum sind Auslandsschulen

unabdingbar? — Hans Peter Wollseifer — Hans Ambühl 76 14 Die Attraktivität der Berufsbildung stärken Eine helvetische Betrachtung 40 — Isabel Pfeiffer-Poensgen Provenienzforschung in Deutschland — Dirk Loßack — Prof. Dr. Hans Maier / Prof. Dr. h.c. mult. Hans 79 16 Interview: Strategie zur Bildung in der Zehetmair / Dr. Ludwig Spaenle — Prof. Dr. 42 Digitalen Welt Vier Jahrzehnte, drei Präsidenten, ein Land Spannungsfeld Föderalismus und Bundesebene

81 — Dr. Volker Meyer-Guckel — Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth — Die Kultusministerkonferenz – Impressionen von WOHIN 19 44 In der neuen Wirklichkeit – Hochschulbildung Schulabschlüsse in Deutschland gestern und heute im digitalen Zeitalter

— Heike Schmoll — Thomas Mayer 22 48 — Mark van Mierle Zwischen gesamtstaatlicher Verantwortung Bewährungsprobe bestanden! Das Deutsche Sprach- 84 Neue Chancen für Bildung und Länderbewusstsein diplom – ein Instrument der Erstintegration

50 — Heidi Weidenbach-Mattar „Sie haben mir eine Tür in ein anderes Leben

geöffnet“ – Die Arbeit der Zentralstelle für

ausländisches Bildungswesen WOHER 52 — Jeremy Issacharoff „Meine Verbindung zu Deutschland ist mehr als 86 — Udo Michallik die gesprochene Sprache“ – Ein Interview mit dem Schlusswort neuen israelischen Botschafter in Berlin

89 — Das Sekretariat der Kultusministerkonferenz 56 — Wolfgang Janus / Dr. Jürgen Braun / Jana Tokaryk / Stephanie Hausotter / Christoph Lehner / 91 — Impressum Prof. Dr. Daniel Reimann Erfahrungsberichte zum schulischen Austausch 60 — Dr. Josef Lange Der Bologna-Prozess

62 — Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst Hochschulsteue rung

64 — Dr. Susanne Eisenmann Berufliche Bildung – ein zweiter Königsweg INHALT 6 vorwort 70 Jahre Kultusministerkonferenz 7 VORWOR T

Wo würden wir heute stehen, wenn vor 70 Jahren die die Kultusministerkonferenz zu einem stabilen und erfolg- Kultusministerkonferenz nicht gegründet worden wäre? reichen Instrument der Länderkoordinierung entwickelt. Die Antwort mag je nach politischem Standpunkt unter- Wir haben es geschafft, die Lebens- und Lernverhältnisse schiedlich ausfallen. in ganz Deutschland anzugleichen, Mobilität zu ge- währleisten und das Vertrauen in wechselseitig anerkann- Aber eines ist klar: In einem föderalen Staatswesen bedarf te Abschlüsse zu sichern. Hierdurch wurde die es einer kooperativen Bildungspolitik, wenn nach Lösun- Kultusministerkonferenz zu einem Stabilitätsanker der gen gesucht wird, die alle Länder gemeinsam betreffen. deutschen Kultur- und Bildungspolitik. Die Kultusministerkonferenz hat in ihrer Geschichte stets die kulturelle und bildungspolitische Vielfalt in Deutsch- Der Aufbau und die Vereinheitlichung des Schulwesens, land beachtet und dabei gute Kompromisse für unser die Öffnung der Hochschulen und die Bildungsexpansion, Land gefunden. Dabei ist es den Verantwortlichen der die Reform der gymnasialen Oberstufe, die bildungspoli- Bildungspolitik immer wieder gelungen, die unterschiedli- tische Vollendung der deutschen Einheit, die Entwicklung chen Interessen zusammenzuführen und die Gestaltungs- und Einführung nationaler Bildungsstandards oder die freiheit und Eigenstaatlichkeit der Länder zu wahren. Studienreform im Zuge des Bologna-Prozesses sind nur einige markante Leistungen, die von der Kultusminister- Das 70-jährige Bestehen der Kultusministerkonferenz ist konferenz maßgeblich mitgestaltet wurden. für uns ein Anlass, den Blick auf zurückliegende, aktuelle des Präsidenten der und künftige Entwicklungen der Bildungspolitik in Deutsch- Das vorliegende Magazin wirft einen Blick auf 70 Jahre land zu richten. Als die Kultusminister der Länder am gemeinsame Bildungspolitik in Deutschland. Dabei wollen Kultusministerkonferenz 19. und 20. Februar 1948, also mehr als ein Jahr vor Grün- wir es jedoch nicht bei einem Rückblick bewenden lassen. dung der Bundesrepublik Deutschland, in Stuttgart- Denn wichtig ist uns auch, dass wir das „Jetzt und Heute“ Hohenheim zusammenkamen, war dies die Geburtsstun- sowie die Zukunft in unserem Jubiläumsmagazin the- de für die Gestaltung gesamtstaatlicher Aufgaben auf matisieren. Das Spektrum der Beiträge spiegelt dabei die Helmut Holter Länderebene. Seither verantworten und koordinieren die Vielschichtigkeit der Themen wider, mit denen sich die Präsident der Kultusministerkonferenz Länder alle wesentlichen Bereiche der Schul-, Hochschul- Kultusministerkonferenz befasst. Die Themen Digitalisie- 2018 und Minister für Bildung, Jugend und Kulturpolitik. Das ist das Krongut des Föderalismus, rung und Integration werden unsere Agenda auch noch in und Sport des Freistaates Thüringen denn in keinem anderen Politikfeld agieren die Länder den nächsten Jahren bestimmen. derart selbstständig. Für die Beiträge in unserem Jubiläumsmagazin konnten Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Kultus- wir viele namenhafte Autorinnen, Autoren und Ge- ministerkonferenz waren sich der historischen Dimension sprächspartner aus den unterschiedlichsten Bereichen der ihres Treffens durchaus bewusst. In einem von den Kriegs- deutschen Bildungslandschaft gewinnen. Dafür möchte folgen gezeichneten Land mahnte der erste Vorsitzende ich mich stellvertretend für die Kultusministerkonferenz Theodor Bäuerle die Konferenz, „gemeinsame Grundlagen bei allen Autorinnen, Autoren und Gesprächspartnern für den Neuaufbau unseres Schul- und Bildungswesens“ bedanken. Und Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, wünsche zu schaffen. In den folgenden sieben Jahrzehnten hat sich ich viel Spaß bei der Lektüre des Magazins. PROFIL

Die Kultusministerkonferenz hat 70 Jahre deutsche Bildungsgeschichte geschrieben. Der Aufbau eines demo- kratischen Bildungssystems, Bildungs- reformen und die deutsche Einheit waren die großen Herausforderungen, denen sich die KMK gestellt hat. Wir beleuchten die Entwicklungslinien und prägenden Debatten, die die Arbeit der Kultusministerkonferenz bestimmt haben.

WOHER 10 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 11

70 Jahre und kein bisschen weise? Unfehlbar ist die Kultusministerkonferenz nicht, aber lernfähig. Das hat sie in den sieben

Jahrzehnten ihres Bestehens bewiesen. Karl-Heinz Reith Zu ihrem Geburtstag wünsche ich ihr wieder war von 1978 bis Ende 2014 Politischer Korres- mehr kritische Debattenkultur. pondent der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Bonn und Berlin mit dem Schwerpunkt Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Heute ist er freier KULTURZENTRALISMUS Journalist und Fachautor in Berlin. ODER FÖDERALISMUS?

Diese Frage hat sich nach dem Zusammenbruch des Doch die Zeiten haben sich geändert. Der einheitliche zu erzielen war. Eines der wenigen spektakulären Beispiele: bildungspolitische. Trotz dieses finanziellen Beteiligungs- nationalsozialistischen Deutschlands keiner der Erzie- Wirtschaftsraum Deutschland erfordert im weltweiten Die NATO-Nachrüstung hatte Anfang der 1980er-Jahre verbots des Bundes an originären Bildungsaufgaben der hungsminister gestellt, die im Februar 1948 – noch vor Wettbewerb der Industrienationen in der Schul- wie eine grundsätzliche sicherheitspolitische Diskussion Länder werden bis 2020 aus der Bundeskasse über 30 Gründung der Bundesrepublik wie der DDR – in Stutt- Wissenschaftspolitik heute mehr denn je „Einheit in der ausgelöst, die die Gesellschaft, aber auch die KMK spaltete. Milliarden Euro zusätzlich in Hochschulen und auch Schu- gart-Hohenheim zu einer ersten Konferenz zusammen Vielfalt“ – und zudem auch den klaren Blick ins Internati- Daher gelang es der Ministerrunde nicht, sich auf Empfeh- len fließen. Zweimal wurde dafür schon das Grundgesetz kamen. Es ging allein um Existenzielles: Wie ein neues onale. Zur „Einheit in der Vielfalt“ gehören aber nun mal lungen zur Behandlung der Friedens- und Sicherheitspo- ergänzt. Der neue Verfassungsartikel 104c ermöglicht dem Unterrichtssystem im Nachkriegsdeutschland aufbauen? Kompromisse – und die brauchen bisweilen Zeit. litik und die Rolle, die die Bundeswehr in diesem Kontext Bund nicht nur finanzielle Hilfen bei der Schulsanierung, In zerbombten Schulen, in mangels Heizstoff völlig spielen sollte, zu einigen. All die mühsam ausgearbeiteten sondern auch ein Einwirken in die Bildungsinfrastruktur unterkühlten Klassenzimmern, mit zum Teil unter- Zu extrem unterschiedlich waren noch bis Anfang dieses Entwürfe zur „Friedenserziehung“ oder „zur Rolle der Bun- vor Ort. ernährten Schülerinnen und Schülern aus zerrissenen Jahrzehnts die schulpolitischen Vorstellungen von Union deswehr im Unterricht“ verschwanden unverabschiedet in Familien nach Flucht und Vertreibung und mit kriegs- und SPD. Das galt nicht nur für den in den 1970er- und den Schubladen. Vor 20 Jahren, zum 50. Geburtstag der KMK, habe ich versehrten Lehrern? Und wie auch umgehen mit den im 1980er-Jahren erbittert ausgefochtenen Kulturkampf um meinen Beitrag mit der Überschrift versehen: „Föderalis- „Schnelldurchgang“ entnazifizierten Pädagogen, die Förderstufe und Gesamtschule und um die Anerkennung Zweimal standen die Kultusminister politisch „mit dem mus ist kein Schimpfwort“. Dazu stehe ich nach wie vor. doch so dringend für den Unterricht benötigt wurden? ihrer Abschlüsse. Das galt auch für die heute allseits Rücken zur Wand“: Einmal nachdem sie sich Mitte der Ein funktionierender Föderalismus setzt aber nicht nur die anerkannte frühkindliche Betreuung und Bildung, für die 1990er Jahre auf das „Glatteis“ einer Rechtschreibreform Fähigkeit zum Kompromiss voraus, sondern ebenso die Der Kulturföderalismus der Länder, der sich in der Nach- Ganztagsschule ebenso wie für den Hochschulzugang – begeben und die Beharrungskräfte in der Gesellschaft Bereitschaft, mit dem Bund stärker zu kooperieren – und kriegszeit im Westen entwickelte, war aber nicht nur eine und letztendlich für die heute wieder diskutierte Frage, völlig unterschätzt hatten. Das andere Mal nach dem zwar nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich. Man Reaktion auf die zwölfjährige kulturelle Gleichschaltung wie viele junge Menschen überhaupt studieren sollen. PISA-Schock von 2001. Mit der Einsetzung des Rats für müsste heute nicht mehr wie in den 1970er-Jahren eine während der NS-Zeit. Er war zudem für die süddeutschen Erst 2011 löste sich die CDU nach heftiger parteiinterner deutsche Rechtschreibung ist inzwischen wieder Ruhe in Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) neu Bundesländer Konsequenz aus dem politischen wie kultu- Debatte von ihrer traditionellen Hauptschulprogramma- diese völlig überhitzte Debatte eingekehrt. Und nach dem erfinden. Auch wenn das vielen Kultusministern derzeit rellen Übergewicht Preußens nach Bismarcks Reichsgrün- tik und öffnete sich bei der Schulstruktur für ein Zwei- PISA-Debakel kamen die Kultusminister mit der Verstän- noch als völlig abwegig erscheinen mag: Eine Vollmit- dung 1871. Kein Bundesland wollte sich fortan von einem Wege-Modell. digung über bundesweite Bildungsstandards ihrem Leit- gliedschaft des Bundes inklusive Stimmrecht in der KMK anderen Bundesland mehr vorschreiben lassen, wie es spruch „Einheit in der Vielfalt“ ein gewaltiges Stück näher. täte es auch. Das würde bei gesamtstaatlichen Bildungs- seine Schulen und Hochschulen im Detail zu gestalten Die Länder erwiesen sich meist fähig zum Wandel und Zugleich bedeutete die Verständigung über die sieben projekten Parallelverhandlungen in verschiedenen Gremien hatte – weder Bayern noch der Stadtstaat Bremen, weder zum Kompromiss, auch wenn dies bisweilen nur der viel Handlungsfelder nach PISA auch den Durchbruch für mehr erübrigen, Bürokratie vermeiden und den notwendigen das kleine, in Besatzungszonen aufgeteilte Westberlin gescholtene „kleinste Nenner“ war: Bahnbrechend für Ganztagsschulen. Doch die nach wie vor größte Herausfor- Dialog zwischen Ländern und Bund zugunsten der Bildung noch das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen. Und die Folgejahre zum Beispiel war das Hamburger Abkom- derung, die Entkoppelung von Bildungserfolg und sozialer insgesamt vereinfachen. Das gilt insbesondere auch für in den natürlich nicht ausbleibenden Kontroversen mit men (1964) zur Vereinheitlichung des Schulwesens oder Herkunft, ist bis heute geblieben. den neuen Verfassungsartikel 104c zur Schulsanierung dem Bund verwies der bayerische Kultusminister Hans die Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen und zum weiteren Ganztagsschulausbau. Angesichts der Zehetmair (CSU) zu gern darauf, dass doch dieser Bund Oberstufe (1972). Ein „Meilenstein“ in der KMK-Geschichte Eindeutig „verhoben“ haben sich die Kultusminister wie vielen Milliarden, die trotz des Kooperationsverbotes seit nichts anderes sei „als der Bund der Länder“. Die Länder war die erst nach heftigen Auseinandersetzungen erzielte die Länder insgesamt aus meiner Sicht bei dem 2006 mit 2006 aus der Bundeskasse an die Länder geflossen sind, hätten schließlich den Bund gegründet – und nicht um- Einigung über die Anerkennung der Gesamtschulab- der Föderalismusreform in die Verfassung gegossenen sowie der vielen weiteren Länderwünsche wird man sich gekehrt. schlüsse (1982). Und als „ehrlich“ erwies sich die Kultus- Kooperationsverbot in der Bildung. Bei der Grundgesetz- sicherlich auch über einen Stimmschlüssel bei Bund-Län- ministerkonferenz, wenn ganz und gar kein Kompromiss änderung dominierten rein machtpolitische Gründe, nicht der-Projekten verständigen können. 12 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 13

Kooperativer Bildungsföderalismus: B ildung in Deutschland ist laut Grundgesetz (Art. 30) im bildbaren“ sind immer noch Schwachstellen im Bildungs- Wesentlichen Ländersache. Das betrifft eigene Zuständig- system. Breiter Bildungseinsatz gegen zu hohes sekundä- keit und Verantwortlichkeit, insbesondere für das Schul- res Analphabetentum – nicht nur von Migranten – sind system: Schulorganisation, Primär- und Sekundarschulen, bedrohliche Schwachstellen. Dazu brauchen wir mehr Bildungsinhalte und Bildungsabschlüsse. Dazu gehören finanzielle Mittel zur praktischen Umsetzung neuer, gut auch Lehrerbildung und -fortbildung sowie -besoldung, ausgebildeter Konzepte. VIELFALT STATT die Festlegung der Ferienzeiten. Dazu zählt auch der vor- schulische Bereich (3 – 6 Jahre). Wollen wir uns die aktuellen Bildungsanforderungen zu eigen machen, dann resultieren daraus neue Heraus- Über diese Fragen wurde in der Bund-Länder-Kommission forderungen für alle Altersgruppen. Unser Land braucht diskutiert, insbesondere in der Konferenz der Kultusminis- einen Aufruf, eine Kampagne „Weiterbildung für alle“, ter, wenn es um Ausnahmen oder Erweiterungen ging. verbunden mit Leidenschaft und neuer Lernbereitschaft, EINFÖRMIGKEIT Als Beispiele führe ich für die 1960er- und 1970er-Jahre die Ängste nimmt und Selbstvertrauen stärkt. Wir haben kooperative Zuständigkeiten (Finanzierung) von Gesamt- viele Menschen mit unentdeckten Potenzialen. Nutzen schulen und den frühkindlichen Bereich an. wir sie für unsere Zukunftsfähigkeit.

Vor- und Nachteile Die Altersgruppe 0 bis 3 gehörte zum Sektor Kinder- und Im Föderalismus steckt Vielfalt statt Einförmigkeit, Jugendhilfe (Rahmengesetzgebung), aber in den Fragen Bewegung für alle, nicht nur die ohnehin Bildungserfolg- der geplanten Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten reichen. (Bildungspläne) haben Bund und Länder Möglichkei- ten zur Zusammenarbeit. Das gehört in die Periode der Aber Wettbewerb setzt Übersichtlichkeit, Transparenz, 1990er-Jahre und danach bis hin zu der Reformverpflich- klar vermittelbare Unterschiede und Übereinstimmung tung (2013), für 30 Prozent eines Altersjahrgangs För- voraus. Daran ist dringlich zu arbeiten. Vielfalt ja, aber derung und Betreuung einschließlich des Personals zur verbunden mit einem ausreichenden Anteil an gleichen Verfügung zu stellen. Für notwendige Baumaßnahmen Standards, überschaubaren Bildungsvergleichen. war die Kommune verantwortlich, finanziell unterstützt von Land und Bund. Warum diese Undurchschaubarkeit, warum so viele Barri- eren beim Schulwechsel, Gewinn oder auch Verlust eines Ähnliche Fragen stellten sich auch für den Hochschul- Schuljahres? Für wen ist Schulwechsel von einem Bundes- bereich, für den es abgesehen vom Hochschulbau auch land zu einem anderen faktisch leicht möglich? Vielfalt Doppelzuständigkeiten gibt. Das gilt für innovative Bil- ist kein Selbstzweck, sondern will und soll Lebenschancen dungsforschung und -entwicklung, nicht zu vergessen die erhöhen, nicht einschränken. Ressortforschung auf Bundes- und Landesebene zu fach- lichen und interdisziplinären Schwerpunkten einschließ- Die Mehrheit unserer Kinder und Jugendlichen, auch der lich der europäischen und internationalen Bildungsfragen. Erwachsenen ist lerninteressiert, will lernen, sich weiter- Prof. Dr. Rita Süssmuth entwickeln. Dieses Ziel muss Vorrang haben vor Barrieren war von 1988 bis 1998 Präsidentin des Die Anerkennung föderaler Zuständigkeiten ist geblieben, der Auslese. Bildungsfachleute erklären und verteidigen Deutschen Bundestags sowie zwischen der Anteil des kooperativen Zusammenwirkens wurde immer wieder den Grundsatz der nachhaltigen Bildung 1988 und 2015 Präsidentin des Deutschen konzeptionell und finanziell angesichts der Schlüsselkate- für alle. Dazu passen keine selbst errichteten Hürden im Volkshochschul-Verbandes. gorie Bildung und Weiterbildung ausgeweitet. Bildungsföderalismus.

Bildung für alle, besondere Fördermaßnahmen für die bislang Uninteressierten oder die behaupteten „Nicht- v

14 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 15

Bildung als Mittelpunkt föderalen Selbstverständnisses und gesamtstaatliche Verantwortung EINE HELVETISCHE BETRACHTUNG S o lange es die Schweiz als mehrsprachiges und föderalis- Nun wird freilich noch dem überzeugtesten Föderalis- Sodann gibt die schweizerische Bildungsverfassung den tet, muss an eigenen Kriterien festgemacht werden. Was tisches Land gibt, wird es auch die Schulhoheit und die ten gelten: Keine und keiner soll durch föderal bedingte Kantonen vor, Schuleintrittsalter und Schulpflicht, Dauer die Instrumentierung der (wohl auch nach deutscher Kulturhoheit der Kantone geben. Sie sind genuiner, ja Unterschiede im persönlichen Vorankommen behindert und Ziele der Bildungsstufen, deren Übergänge sowie die Verfassungslage den Ländern und dem Bund gemeinsa- zwingender Ausdruck der „raison d’être“ unserer Wil- oder gar gehindert werden und auch nicht das Land als Anerkennung von Abschlüssen untereinander zu harmo- men) Kohärenzsorge betrifft, hat anlässlich der Evaluation lensnation. Diese lebt seit jeher mit großer Diversität auf Ganzes. Und auch hier sind, buchstäblich, im klein(räu- nisieren, ansonsten der Bund die notwendigen Vorschrif- der deutschen Bildungsberichterstattung im Jahre 2015 kleinem Raum. Für keinen anderen Bereich ist bei uns mig)en Land die Grenzen wiederum schneller erreicht. ten erlässt (Art. 62 Abs. 4 BV). Diese verfassungsmäßige die beauftragte Expertenkommission empfohlen, die die Überzeugung von der Sinnhaftigkeit der dezentralen Entsprechend hat sich die Erziehungsdirektorenkonferenz Harmonisierungspflicht begründet sich daraus, dass die Bildungsberichterstattung vermehrt als zentrale Syn- Verantwortung so ausgeprägt wie für Bildung und Kultur. (EDK) – seit 1970 auf Grundlage des Schweizerischen ganze Sekundarstufe II gesamtschweizerisch geregelt ist these-Funktion zu nutzen und die Bildungsberichte auf Es hat sich in qualitativer Hinsicht per Saldo bewährt, das Schulkonkordats sämtlicher Kantone, dessen Behörde (durch interkantonales und/oder Bundesrecht). gesamtstaatlicher wie auf gliedstaatlicher Ebene konti- schweizerische Bildungssystem in vergleichsweise (zumal sie ist – um eine hinreichende Kohärenz der formalen nuierlich und systematisch gemeinsam auszuwerten und aus deutscher Perspektive) kleinräumigen kantonalen Bildung in unserem Land zu bemühen. Diese Kohärenz Wie weit die Koordination und die Harmonisierung zu gemeinsam zu bewerten. Könnte das ein Weg sein, um Schulsystemen zu organisieren und innerhalb derselben ist durch ein zeitgemäßes föderales Zusammenwirken gehen haben, damit Qualität und systemische Kohärenz einen empirisch gestützten Konsens darüber herzustellen, wiederum in hoher kommunaler Autonomie Verantwor- zu gewährleisten, horizontal unter den Kantonen sowie bestehen, ohne dass kulturelle Eigenheiten bedroht woran sich die Wahrnehmung gesamtstaatlicher Ver- tung vor Ort wahrnehmen zu lassen. vertikal zwischen Kantonen und Bund. Letzterer normiert oder föderale Verantwortungsbereitschaft und entspre- antwortung im föderalen Bildungswesen Deutschlands nach helvetischer Bildungsverfassung den gesamten chender Gestaltungswille gefährdet sind, muss immer künftig messen lassen soll? Dass daraus teilweise unterschiedliche Lösungen resultie- Bereich der Berufsbildung, führt parallel zu den Kantonen wieder neu beurteilt und zu bestimmten Zeiten neu ren, ist nicht grundsätzlich ein Problem, ganz im Gegen- eigene Hochschulen und unterstützt jene der Kantone; verfasst werden. Wichtig scheint mir, dass dieser Prozess teil: Es lebe die Vielfalt in der Einheit! Ohne Unterschied der Bund ist also für einen wesentlichen Teil des schwei- instrumentiert wird. In der Schweiz hat sich das von kein Leben – es wundert mich oft, wie platt undifferen- zerischen Bildungssystems zuständig und hat dieses Kantonen und Bund gemeinsam betriebene Bildungsmo- ziert der mediale Mainstream über diesen existenziellen folglich mitzuverantworten. Entsprechend hält die Bun- nitoring als das zentrale Instrument der gemeinsamen Grundtatbestand hinwegredet und das Bestehen von Un- desverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Qualitäts- und Kohärenzsorge etabliert. Der in regel- terschieden per se gleichsam als Geburtsfehler diffamiert. seit 2006 fest: „Bund und Kantone sorgen gemeinsam im mäßigem Rhythmus erscheinende Bildungsbericht wird Auch in der deutschen Bildungsdiskussion wird – jeden- Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und jeweils von der EDK-Plenarversammlung und der Bundes- falls aus Sicht des außenstehenden Beobachters – für Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz“ (Art. 61a regierung gemeinsam einer Analyse mit Schlussfolgerun- so manches der Föderalismus schuldig gesprochen, was BV). Die Verfassungsmaxime der Durchlässigkeit ist dabei gen unterzogen. Daraus resultieren gemeinsame Ziele auf mit der föderalen Anlage des Bildungswesens gar nicht nicht bloß der geografischen Mobilität der Bevölkerung, Ebene des gesamtschweizerischen Bildungssystems (in ursächlich zu tun hat. Wer als Schweizer Föderalist diese sondern der Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Form einer gemeinsamen öffentlichen Erklärung), an de- Diskussion in Deutschland nahe verfolgt, der hat ohnehin Stufen und Bereichen eines dank Berufsbildung früh und ren Erreichung während der folgenden Jahre im Rahmen Hans Ambühl Mühe, im Föderalismus ein Problem für Deutschlands stark diversifizierten Bildungssystems geschuldet. Die der jeweiligen Zuständigkeiten gearbeitet und auf deren ist Generalsekretär a. D. der Schweizerischen Bildungswesen zu erkennen. Denn die Gliedstaaten sind Kohärenzsorge ist mithin eine konföderale Angelegenheit Entwicklung in den folgenden Bildungsberichten wieder- Konferenz der kantonalen Erziehungs- hier, im Unterschied zu den Schweizer Kantonen, kraft von Kantonen und Bund, ohne dass dies etwas ändern um besonders eingegangen wird. direktoren (EDK) und war elf Jahre lang ihrer Größe und ihres Gewichts praktisch alle sehr wohl würde an den geteilten Zuständigkeiten (es handelt sich Sekretär des Erziehungs- und Kultur- in der Lage, ein vollständiges Bildungssystem zu verant- bei den jeweiligen Verantwortlichkeiten im Bildungsbe- Wozu in den, wie mehrfach angetönt, wesentlich anderen departementes des Kantons Luzern. worten und zu gestalten. Entsprechend sind sie zu einer reich staatsrechtlich gesehen nicht etwa um sogenannte Verhältnissen des vitalen deutschen Bildungsfödera- derart engen und verbindlichen Kooperation, wie Verbundaufgaben, auch nicht bei der gemeinsamen lismus – mit wesentlich geringerer Notwendigkeit zur die Schweizer Kantone sie untereinander kennen, auch Koordination und Förderung des Hochschulbereichs Kooperation unter den Gliedstaaten als etwa in der nicht gezwungen. im Rahmen der Schweizerischen Hochschulkonferenz). Schweiz – das gesamtstaatliche Kohärenzgebot verpflich- 16 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 17 VIER Prof. Dr. Hans Maier Bayerischer Staatsminister für Unter- richt und Kultus von 1970 bis 1986 und Präsident der KMK 1971 und 1982. JAHRZEHNTE Kulturpolitische Zusammenarbeit der Länder gibt es in Deutschland seit dem Norddeutschen Bund. Sie hatte jedoch im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik stets eine Gravitation zur Zentrale hin („Reichsschulkommis- sion“, „Reichsschulkonferenz“ usw.). Im Unterschied hierzu (und als Reaktion auf den Zentralismus des NS-Staates) ist die heutige überregionale Zusammenarbeit und Koor- dination wesentlich eine zwischen den Ländern. So ist der Bund kein Mitglied der Kultusministerkonferenz. (Zu meiner Zeit war er in den Sitzungen nur anwesend, wenn DREI er zu den ihn mitbetreffenden Punkten der Tagesordnung ausdrücklich eingeladen wurde; heute nimmt er im Sinne des kooperativen Föderalismus mit Gaststatus ohne Stimmrecht an den Sitzungen teil.) Das war neu und machte den veränderten Schwerpunkt in Verfassung und Verwaltung nach 1945 sichtbar. Neu war auch das Prinzip PRÄSIDENTEN der unmittelbaren Teilnahme der Minister am Plenum der Konferenz (in der Reichsschulkommission amtier- ten meist Beamte!), und neu war die sehr viel größere Sitzungshäufigkeit und – damit verbunden – die Existenz Der Freistaat Bayern eines festen Apparats der Konferenz.

Ich war 16 Jahre Kultusminister und wurde zweimal, in der Kultusministerkonferenz 1971 und 1982, zum Präsidenten der Kultusministerkon- ferenz gewählt. Der Vorsitz wechselte zwischen den Län- dern nach dem Alphabet. Damals ermahnte mich der alte Haudegen Willy Dehnkamp (Bremen): „Merken Sie sich das, junger Mann, in der KMK gilt das Konsensprinzip. S-taaten können nicht übers-timmt werden!“ Das lernte ich rasch. Um den Föderalismus zu koordinieren und EIN LAND dadurch handlungsfähig zu erhalten, braucht man eine Menge Zeit und Geduld, viele Besprechungen im kleinen Kreis, eine ganze Serie vertrauensbildender Maßnahmen. Länderübergreifende bildungspolitische Koordinierung und die Verein- Dankbar erinnere ich mich an Peter Glotz, der einige Zeit barung gemeinsamer Ziele, die auf unterschiedlichen Wegen erreichbar die Bildungspolitik der A-Länder koordinierte (ich hatte sind, finden seit 70 Jahren erfolgreich im Rahmen der Kultusminister- die gleiche Aufgabe bei den B-Ländern). Wir kamen meist zu einer Lösung, selbst bei schwierigen Kontroversfra- konferenz statt. Bildung war, ist und bleibt Kernkompetenz der Länder. gen wie der Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse. Gleichzeitig werden Mobilität und Vergleichbarkeit von Bildungsab- Die KMK bewährte sich auch als Nachrichtenbörse: War schlüssen im gesamten Bundesgebiet durch Abstimmung in der Kultus- ein Land bei Schulen, Hochschulen, Theatern, Orches- ministerkonferenz und Abschluss von Vereinbarungen gesichert. Die tern, Museen im Rückstand und nicht auf der Höhe der Erinnerungen von drei Kultusministern eines Landes, die das Amt des anderen, konnte der zuständige Ressortchef Druck auf seinen Finanzminister ausüben. Das waren noch Zeiten! KMK-Präsidenten im Verlaufe der vergangenen vier Jahrzehnte ausüben In den 1970er-, noch in den 1980er-Jahren galt auch in durften, illustrieren diesen Anspruch und dessen Umsetzung. Deutschland der amerikanische Spruch: „Du willst Geld? Sag ‚education‘!“ 18 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 19

Dr. Ludwig Spaenle Natürlich macht Schul-, Hochschul- und Kulturpolitik ist seit 2008 bayerischer Kultusmi- nicht an Ländergrenzen halt. Es gibt viele Fragen, die von nister und seit 2013 als Bayerischer überregionaler Bedeutung sind und deshalb die Beteili- Staatsminister für Bildung und Eine Betrachtung gung aller 16 Länder erfordern. Die Aufgabe und Existenz- Kultus, Wissenschaft und Kunst notwendigkeit der Ständigen Konferenz der Kultus- zusätzlich auch für Wissenschaft und minister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Kunst zuständig. Er war 2010 Präsident der (KMK) liegt in der Koordinierung der einzelnen Interessen KMK. Derzeit gehört Staatsminister Dr. Spaenle als SCHULABSCHLÜSSE und einer gemeinsamen Willensbildung. Bayern hat B-Koordinator dem Präsidium der KMK an. dabei stets kraftvoll seine bildungspolitischen Kernüber- zeugungen und Vorstellungen in die länderübergreifende Bildung ist die Grundlage für die umfassende Teilhabe Diskussion eingebracht. Unsere oberste Richtschnur war und Mitverantwortung der Menschen am beruflichen, aus der hier immer die Verfolgung klarer inhaltlicher Ziele und die gesellschaftlichen und kulturellen Leben sowie für den sachorientierte Zusammenarbeit der Länder auch über wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg unseres Parteigrenzen hinweg. Das föderalistische Grundprinzip Landes als Ganzes. Dafür ist es entscheidend, dass Bund unseres Grundgesetzes weist dem Bund und den Ländern und Länder unter Wahrung der jeweiligen Verantwor- ganz bestimmte Aufgaben zu. In diesem System bildet die tung einen intensiven Dialog führen, um den historisch IN DEUTSCHLAND KMK ein wertvolles Instrument, um die Eigenstaatlichkeit gewachsenen Bildungsföderalismus in Deutschland und der Länder und v. a. ihre Landeshoheit in Bildung und damit die Kulturhoheit der Länder zu stärken. Ein wich- Kultur gegenüber dem Bund zu betonen und wenn nötig tiges Ziel während meiner KMK-Präsidentschaft 2010 war Distanz zu verteidigen. es somit, die Bedeutung der Bildungspolitik für unsere Gesellschaft zu unterstreichen. Die Länder handeln in Während meiner KMK-Präsidentschaft im Jahr 1994 Letztverantwortung im Bereich der Bildung und müssen 2015 standen die weitere Verwirklichung der inneren Ein- deswegen in nationaler Gesamtverantwortung agieren. heit Deutschlands und die Förderung der europäischen Der Handlungshintergrund besteht in der Wahrnehmung Dimension in der Bildungs- und Kulturpolitik im Zentrum zweier grundrechtlich geschützter Güter: Bildung und der Arbeit. Die Beratungen und die gemeinsam gefassten Mobilität. Beschlüsse behandelten zum Beispiel den Fremdspra- chenunterricht, die Arbeit in der Grundschule, die sonder- Einen Schwerpunkt meiner KMK-Präsidentschaft bilde- pädagogische Förderung sowie die gymnasiale Oberstufe te folgerichtig die Einführung und Weiterentwicklung und das Abitur. Schon damals wurde vor dem Hintergrund nationaler Bildungsstandards. Mit den KMK-Bildungsstan- sich verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen dards steht den Ländern nun ein bundesweit geltender intensiv über eine Reform von Inhalten, Zielen und Dauer Referenzrahmen für die Kompetenzentwicklung zur gymnasialer Bildung debattiert. Stets habe ich mich dabei Verfügung, der die Ansprüche vergleichbar macht und 1992 für eine profunde Gymnasialbildung mit der allgemeinen gleichzeitig die jeweiligen Traditionen und Gegebenheiten Hochschulreife als Abschluss zur Sicherung der Studier- in den einzelnen Ländern berücksichtigt. Vergleichbarkeit, fähigkeit der jungen Menschen eingesetzt. Besonders nicht Gleichmacherei – das war und ist für mich 2010 wie wichtig war mir auch die Herstellung der Gleichwertigkeit heute Bildungspolitik nahe am Menschen. Um zu über- von akademischer und beruflicher Bildung, die wir 1994 prüfen, wie es mit der Umsetzung dieses Anspruchs der mit einer gemeinsam verabschiedeten Erklärung weiter Vergleichbarkeit in die Realität bestellt ist, sind Bildungs- voranbringen konnten. monitoring und -forschung essenziell. Daher war auch der unter meiner Präsidentschaft gefasste gemeinsame Be- schluss der KMK und des Bundes, die PISA-Studien künftig vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstu- dien (ZIB) durchführen zu lassen, ein wichtiger Schritt auf dem erfolgreich eingeleiteten Weg der Qualitätssicherung und -entwicklung im Schulbereich.

Ein aktuelles Beispiel für die erfolgreiche Arbeit der Kultusministerkonferenz ist der gemeinsame Pool von Abituraufgaben, der erstmals im Abitur 2017 zum Einsatz Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair gekommen ist. Die damit verfolgte Vergleichbarkeit des war von 1986 bis 2003 Staatsminister in Abiturs soll in den kommenden Jahren im Geiste länder- absolventinnen und absolventen mit Bayern und zuständig für Unterricht, Kultus, übergreifender Qualität bei stetem Bewusstsein regiona- hochschulzugangsberechtigung Wissenschaft, Kunst und Forschung. ler Identität noch weiter ausgebaut werden. Vergleich- 1994 war Zehetmair Präsident der KMK. barkeit, Passgenauigkeit und Qualität sind Auftrag und Von 2004 bis 2016 leitete er den Rat für Anspruch der Kultusminister und ihrer Konferenz – 1971, deutsche Rechtschreibung. 1982, 1994, 2010 und auch in Zukunft. 20 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 21

Absolventen/Abgänger aus allge- 55,5 % meinbildenden Schulen 2006 bis A 2015 nach Abschlussarten in % der bschlüsse werden in allen moder- se auch Gegenstand erbitterter Geltung des modernen Prinzips der gleichaltrigen Wohnbevölkerung nen Bildungssystemen vergeben, Kontroversen. Leistungen wie Leistung gegenüber Herkunft und 2006 aber das deutsche System der Schwächen, Folgeprobleme und De- Besitz, die anderen klagen, dass 2015 41,2 % Bildungsabschlüsse gehört zu den fizite dieses Systems, die bis heute damit der Eigenwert von Bildung Besonderheiten, an denen sich virulent sind, werden dabei sichtbar. zerstört werde und der lernende Struktur und Funktion, Leistungen Ein politisch wie wissenschaftlich Mensch seinen Bildungsgang und Probleme, Akteure und Betroffe- erfahrener Beobachter1 z. B. lobt, fremdbestimmt erfahre. ne unserer Bildungsorganisation einerseits, das System als „einen Blickt man, exemplarisch, auf in besonders deutlicher Weise geradezu meisterhaft konstruier- das Abitur, zeigen sich neben der zeigen. Als Berechtigungswesen ten soziologischen Apparat“, der zentralen Rolle der Hochschulzu- 20,6 % traditionell benannt, zertifiziert es „das Problem der Korrelation von gangsberechtigung aber auch die von der Grundschule an nicht allein Schule, Gesellschaft und objektiven gravierenden Veränderungen im Leistungen in Abschlusszeugnissen, Kulturgütern organisatorisch“ löse, System der Abschlüsse. Ende des 18. 11,8 % sondern normiert Aufnahmekri- weil „Ausbildungswerte gemessen Jahrhunderts erfunden, um die Qua- terien für weitere Karrieren im und auf einen allgemeinen Nenner lität der Studienbewerber zu prüfen 5,9 % Bildungssystem, reguliert zugleich gebracht“ würden. Er sieht ande- und zu verbessern, wird das Abitur den Zugang in außerschulische Be- rerseits, dass dieses System gegen als schulische Abschlussprüfung seit rufs- und Tätigkeitsfelder, definiert den egalitären Anspruch aktuell als 1834 obligatorisch, aber auch hin- z. B. über Tarifverträge auch die „aristokratisches Sicherungsmit- reichend, beim Hochschulzugang, ohne Hauptschul- mit Hauptschul- Mittlerer Abschluss Fachhochschulreife Allgemeine Qualifikationshierarchie von Arbeits- tel“ der Bürger gegen „den vierten anders als z. B. in angelsächsischen abschluss abschluss Hochschulreife und Beschäftigungsverhältnissen Stand“ funktioniere, Chancen- Ländern, wo die Hochschulen selbst und die Differenzen der Bezahlung gleichheit und Aufstieg verhindere, den Zugang über Prüfungen kont- nicht nur in den unterschiedlichen Bildungsbarrieren aufbaue und rollieren. Hierzulande definiert das Besoldungsstufen des öffentlichen rechtfertige, die nichts anderes sei- Abitur nicht nur im Bildungssystem Indikator für Chancengleichheit, weil sion der Bildungsbeteiligung eigene nicht ernsthaft diskutiert, auch beim Dienstes, sondern auch in der Pri- en als Ausdruck von Herrschaft und den Übergang vom sekundären zum sich mit dieser Qualifikationsstufe in Folgeprobleme erzeugt: zuerst den Abitur nicht. Seit dem Hochschulrah- vatwirtschaft und legitimiert damit Klassenverhältnissen. Der Stein des tertiären System, sondern auch den Arbeit und Beruf, Arbeitsplatzsicher- Fahrstuhleffekt, d. h. die Reproduktion mengesetz können die Hochschulen letztlich Strukturen von gesell- Anstoßes ist natürlich das Abitur, ein Wert von Bildungsgängen in der Se- heit und Lebenseinkommen, ja sogar der Struktur von Ungleichheit auf bei der Auswahl der Bewerber zwar schaftlicher Ungleichheit. „zweiter Bildungsweg“ sei notwen- kundarschule und zeichnet bis weit in Gesundheit und Lebenserwartung höherem Niveau, dann die Abwer- mitwirken, tun das aber nur in sehr dig, der die Kultur, die beruflichen ins 20. Jahrhundert das Gymnasium eindeutige Vorteile verbinden. tung von mittleren Abschlüssen, weil bescheidenem Maße und verlassen Dieses Ordnungssystem entsteht Erfahrungen und die Kompetenzen als Königsweg ins Studium aus (wo- Seit dem ausgehenden 20. Jahrhun- immer mehr Berufe das Abitur beim sich weiter auf die Schule. Die Recht- seit dem ausgehenden 18. Jahr- der bisher Ausgeschlossen anerken- bei erst seit 1900 andere als „klassi- dert haben sich Bildungsprozesse aber Zugang voraussetzen und Schulab- sprechung des Bundesverfassungs- hundert als Ausdruck des egalitär- ne. Diese Situation gilt bis heute. Vor sche“, d. h. altsprachliche Curricula deutlich verändert, positiv wie negativ: solventen ohne Abschluss die wahren gerichts in Verfahren zum Numerus meritokratischen Anspruchs mo- allem an der Hochschulzugangs- gleichgestellt sind). Innergesell- Mehr als 50 Prozent der Alterskohorte Bildungsverlierer sind, wie die Debatte clausus (NC) hat dem Abitur eine derner Gesellschaften, dass nicht berechtigung werden sozialer Auf- schaftlich wird das Abitur zentral für erwerben eine Hochschulzugangsbe- über „Akademisierungswahn“ zeigt. starke Stellung gegeben als allgemei- Herkunft, sondern Leistung beim und Abstieg gemessen, „Bildung“ den Zugang in akademische Berufe, rechtigung, die Quote übersteigt seit Gleichzeitig klagen Hochschulen und ne Qualifikation für alle Studiengänge Zugang in Bildungssysteme oder erweist sich als „Kapital“, das man in es definiert damit die sogenannte 2016 den Zugang ins duale System auch die Betriebe, dass die Abschlüsse und als Zugangsberechtigung unab- Berufskarrieren für alle zählen soll. Bildungsprozessen erwerben und im „Weiße Kragenlinie“, trennt also der Berufsausbildung; ca. 40 Prozent ihre „Garantiefunktion“ nicht mehr hängig von der Durchschnittsnote. In der Bildungsgeschichte immer Lebenslauf verwerten kann, und die Hand- und Kopfarbeit scharf vonein- der Hochschulzugangsberechtigun- erfüllen, weil die Kompetenzen, die in Das Berechtigungssystem lebt unter feiner ausdifferenziert, wird das Form dieses „Besitzes“ ist das schuli- ander und legitimiert über Bildungs- gen (allgemein und fachgebunden) Beruf und Studium erwartet werden, diesem Schutz und bestimmt trotz „Elend des Berechtigungswesens“ sche Zertifikat. Auch die Kontroverse zertifikate die großen Klassenun- werden außerhalb von gymnasialen trotz der Zertifikate nicht präsent sind, aller Qualitätsprobleme weiterhin das erstmals in der Weimarer Republik hat Kontinuität: Die einen sehen terschiede. Nicht zufällig ist das Bildungswegen erworben, es gibt den wie die hohen Quoten der Abbrecher Bildungssystem und die Zuordnung in seiner konkreten Funktionswei- in Prüfungen und Abschlüssen die Abitur bis heute der meist genutzte Hochschulzugang ohne Abitur, wenn belegen. Bildungsstandards sollen und Hierarchie von Bildung, Beruf und auch nur für sehr wenige, ein „Meis- seit 2004 in Schulen, heute auch beim sozialem Status. ter-Studium“, das berufliche Kompe- Abitur, die Qualität, Einheitlichkeit und Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth tenz honoriert, wir haben tatsächlich Vergleichbarkeit der Schulleistungen 1  war vor seinem Ruhestand Professor für einen zweiten Bildungsweg und ein und die Aussagekraft der Zeugnisse Ich beziehe mich auf Paul Ziertmann (1879 – 1954), damals im Preußischen Ministerium für Historische Erziehungswissenschaft an der vernetztes System der Abschlüsse und sichern, aber bisher ist die lokale Vari- Handel und Gewerbe für die Berufsbildung Humboldt-Universität zu Berlin und betei- Anschlüsse. anz zwischen den Bundesländern in zuständig, von den Nazis entlassen, nach 1946 ligte sich 1995 als Mitglied an Expertenkom- der Qualität der Schulen unüberseh- bis 1952 im Umkreis von Ludwig Erhard politisch und administrativ in Bildungsfragen tätig. Ein- missionen der Kultusministerkonferenz (zur Aber, das ist das Negativsaldo, die bar, sogar die Legitimität universaler zelheiten in Heinz-Elmar Tenorth: Paul Ziertmann Neuregelung der gymnasialen Oberstufe Ungleichheit nach der sozialen Standards ist strittig. Eine radikale – oder: Verwaltungs-Reflexion aus Distanz. In: K. Harney / G. Pätzold (Hrsg.): Arbeit und Ausbil- und zur Lehrerbildung). Er gehörte bis 2017 Herkunft besteht, modifiziert, immer Entkoppelung von schulischer Zerti- dung. Wissenschaft und Politik. Frankfurt a. M. Vorstand und Kuratorium des IQB an. noch. Vor allem aber hat die Expan- fikats- und Berufsstruktur wird aber 1990, S. 57 – 69. 22 woher? profil 70 Jahre Kultusministerkonferenz 23 ZWISCHEN

GESAMTSTAATLICHER Preis wollten und die vielbeschworene gesamtstaatliche wird versucht, politischen Schaden vom betroffenen Land Verantwortlichkeit zu einer inhaltsleeren Floskel wurde. abzuwenden oder sich lernbereit zu geben. Wirklich über- zeugend ist das für die Öffentlichkeit nicht. Denn deren Es gibt keinen Ausweg aus dem oft genug unbefriedigen- Interesse an Bildungsfragen steigt: Eltern erwarten die den Empfehlungscharakter der KMK-Beschlüsse, ohne den Lösung für Mobilitätsprobleme, Wirtschaft und Univer- VERANTWORTUNG UND Föderalismus in Frage zu stellen. Alle Versuche, der KMK sitäten brauchen aussagekräftige Zertifikate (und nicht mehr Gewicht im nationalen Bildungsdiskurs zu geben, ungedeckte Schecks) und Bildungsstandards überzeugen sind gescheitert: Eine mehrjährige Präsidentschaft eines solange nicht, wie die Öffentlichkeit sich des Eindrucks durch Wahl bestimmten Ministers (die kaum ein Kultus- nicht erwehren kann, dass damit auch eine Senkung der minister will, weil er damit seine Stellung im eigenen Land Anforderungen verbunden ist oder offen von Bildungsfor- LÄNDERBEWUSSTSEIN schwächt) erwies sich als ebenso illusorisch wie die Stär- schern erwogen wird. Ob ein kompetitiver Föderalismus kung des Generalsekretärs oder die Etablierung eines neu- diese Probleme löst, ist fraglich. Der Hinweis auf das gegen- en Bildungsrats nach dem Vorbild des Wissenschaftsrats. seitige Lernen jedoch überzeugt schon lange nicht mehr. Wenig sinnvoll wäre es auch, dem Bund Sitz und Stimme im Kreis der Kultusminister zu geben, denn so könnte er In nächster Zukunft wird die KMK nicht nur der Lehrer- jedes Ländervorhaben mit einem Veto zu Fall bringen. mangel beschäftigen, sondern auch die schwierige Integ- ration der Flüchtlingskinder, die vor allem in den Schulen Gerade im 70. Jahr ihres Bestehens sieht sich die KMK zu leisten ist und sich hürdenreicher gestaltet als gedacht, noch stärker mit dem Wunsch nach mehr Verbindlichkeit weil das einschlägige Fachpersonal mit einer Expertise für konfrontiert als bisher. Denn die Öffentlichkeit reagiert Deutsch als Fremdsprache fehlt. zunehmend genervt auf die unterschiedlichen Schulbe- S zeichnungen im Sekundarbereich, auf die Fülle der Sprach- Trotz aller Kompromisshaftigkeit ist die KMK auch in eit fast zwei Jahrzehnten verweisen die Leistungsstudien eingangsprüfungen und Fördermodelle, die nicht auf ihre der jüngeren Geschichte ihrer Koordinierungsfunktion der Schulen auf drei Defizite, deren Lösung in weite Ferne Wirksamkeit überprüft sind. Selbst wenn die Minister sich nachgekommen. Das zeigt sich am Hamburger Abkom- gerückt zu sein scheint: auf ein Leistungsdefizit, das sich selbst verpflichteten, nur wirksame Förderinstrumente men (1964) zur Vereinheitlichung des Schulwesens, an durch die Flüchtlingswelle vermutlich noch verschärfen einzusetzen, müsste zuvor festgelegt werden, nach wel- der Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen wird, auf ein Gerechtigkeitsdefizit unterschiedlicher Chan- chen Kriterien und von wem die Wirksamkeit geprüft wer- Oberstufe (1972), an den Konstanzer Beschlüssen aus dem cennutzung und auf ein Steuerungsdefizit, das vor allem den soll. Denn Fluchtwege aus der Verbindlichkeit gibt es Jahr 1997, die mehr Vergleichbarkeit anstrebten und an der der Konferenz der Kultusminister (KMK) angelastet wird. zur Genüge: nicht nur Schulversuche jedweden Zuschnitts, Exzellenzinitiative in ihrem kompetitiven Zuschnitt, die sondern auch landeseigene sogenannte wissenschaftliche auf ein gelungenes Zusammenwirken der A-und B-Seite Mindestens drei der im vertretenen Partei- Begleitungen statt Evaluationen mit Kontrollgruppen, zurückgeht. en hoffen, dieser Probleme durch eine Abschaffung des gehören zu den bewährten Strategien. Kooperationsverbots für den Schulbereich Herr zu werden. Die Rechtschreibreform als obrigkeitlicher Eingriff in In Frankreich ist die umgekehrte Bewegung zu beobach- In einem glücklichen Augenblick nach dem PISA-Schock Sprachentwicklung indessen ist ein Schandfleck in der Ge- ten: durch die Stärkung der Regionen und ihrer Rechte ist es der KMK gelungen, das Institut für die Qualitäts- schichte der KMK, der ihr öffentliches Ansehen empfindli- versucht man dort, den Schwächen des Zentralstaats zu entwicklung im Bildungswesen (IQB) zu gründen, was cher und langfristiger beschädigt hat, als ihr selbst klar ist. entkommen und nicht zuletzt die niederschmetternde heute womöglich nicht mehr gelänge. Das IQB braucht Leistungsbilanz der Schulen zu bessern. jedoch eine Stärkung durch zusätzliche Mittel und mehr Wichtige Großprojekte werden die Länder in den kommen- Freiheiten, um zusätzliche Forschungsaufträge für die den Jahren nur mit erheblicher Unterstützung des Bundes Nirgendwo macht sich das Akzeptanzproblem der Wirksamkeit schulpolitischer Interventionen in Auftrag zu bewältigen können. Nach den Erfahrungen mit den Bildungspolitik so deutlich fest wie an der Föderalismus- geben. Denn immer mehr Minister erwarten Handlungs- BAföG-Geldern, die in Landeshaushalten versickert oder frage. Weil die Kultusministerkonferenz schon immer anweisungen, die sie von Bildungsforschern allerdings an andere Bildungsinstitutionen als Schulen und Hoch- der Prügelknabe der Nation (und auch ihrer Mitglieder nicht bekommen werden, es sei denn, sie ringen sich zum schulen geflossen sind, wird der Bund sich in Zukunft nur Heike Schmoll war), wird das komplexe Geflecht der Zuständigkeiten und dem geradezu übermenschlich mutigen Entschluss durch, mit klaren Auflagen für die Verwendung der Finanzen ist bildungspolitische Korrespondentin der Finanzverteilungen unzulässig vereinfacht. Ganz unbetei- ihre eigenen bildungspolitischen Reformen von unab- beteiligen. Eine Rechenschaftslegung für Steuergelder ist FAZ, bei der sie seit 1989 als Redakteurin ligt ist die KMK an dieser Entwicklung insofern nicht, als hängiger Seite auf ihre Effekte untersuchen zu lassen. nicht zu viel verlangt. Das sollte eigentlich auch unter den beschäftigt ist, in Berlin und zuständig für die Öffentlichkeit zunehmend den Eindruck gewinnen Bisher beherrschen zwei Reaktionsmuster die öffentlichen 16 Ländern Konsens sein. die Seite Bildungswelten. musste, dass die Länder selbst eine starke KMK um keinen Darstellungen schlechter Leistungsergebnisse. Entweder FOKUS

Schulen und Hochschulen, Kultur, Europa und die Welt, Berufliche Bildung, Anerkennung und Austausch. Die Auf- gaben der Kultusministerkonferenz sind vielfältig und bilden das gesamte Spek- trum der Bildungspolitik ab. Werfen wir gemeinsam einen Blick auf eine Aus- wahl von Themen, die die Kultusminis- terkonferenz täglich beschäftigen.

WAS 26 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 27 VON DATEN

Prof. Dr. Olaf Köller Robert Rauh ist Professor für empirische Bildungsforschung an ist Lehrer für Geschichte, Politik und Deutsch am der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Barnim-Gymnasium in Berlin-Lichtenberg.­ 2013 wissenschaftlicher Leiter des Leibniz-Instituts für die wurde er mit dem Deutschen Lehrerpreis aus- Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathe- gezeichnet. Er nutzt die mediale Öffentlichkeit matik. Er war Gründungsdirektor des Instituts zur für schulpolitische Initiativen, um das deutsche Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und Bildungssystem zu verbessern. ist an der nationalen Durchführung und Bericht- erstattung des PISA-Studie beteiligt.

A llmählich erholt sich die deutsche Bildungsland- Mersch: Herr Köller, Sie sind an der Durchführung Köller: Aus meiner Sicht geht es gar nicht so sehr Köller: Die Einführung der Bildungsstandards schaft vom PISA-Schock aus dem Jahr 2001. In der der nationalen PISA-Studie beteiligt – und sehen um den Ranglistenplatz, den ein Land bei PISA war eine richtige Entscheidung, keine Frage. Alle internationalen Vergleichsstudie schnitten deut- das vermutlich ganz anders ... erreicht. Interessant ist doch die Entwicklung 16 Länder haben die Standards übernommen. sche Schülerinnen und Schüler damals unter- der jeweiligen Nation. Wenn wir uns den Trend Die Forderung, die Lehrpläne zu vereinheitlichen, durchschnittlich ab. Inzwischen haben sie einen Olaf Köller: Die Messbarkeit von Bildungspro- in Deutschland angucken für Lesen, Mathematik stößt an die Grenzen der unterschiedlichen Sprung nach vorne gemacht, aktuell belegen sie zessen infrage zu stellen, weil sich in Mexiko die und Naturwissenschaften, können wir festhalten, Grundschulzeit. Wie will man Lehrpläne verein- Platz 16 von 72 – aus Sicht der Bildungspolitik ein Schülerschaft anders zusammensetzt, halte ich dass sich die 15-Jährigen in Deutschland seit PISA heitlichen, wenn Berlin und Brandenburg eine Grund, sich zu freuen. Doch auch nach 18 Jahren für ein schwaches Argument. Die Tradition von 2000 permanent verbessert haben. Und was sechsjährige Grundschule haben, alle anderen PISA-Vermessung bleiben viele skeptisch, Schule ist, dass Ergebnisse von Bildungspro- die Frage nach dem abgefragten Wissen Länder eine vierjährige Grundschule? Davon ob Tests wie PISA, TIMSS oder Iglu das zessen gemessen werden. Jede Klas- angeht, so ist diese schon in den abgesehen wird sich kein Land diktieren deutsche Bildungssystem voran- senarbeit erhebt, ob der Unterricht 1990er-Jahren bei Timss aufge- lassen, die Strukturen zu vereinheitli- bringen. Britta Mersch sprach bei Schülerinnen und Schülern taucht. Jede dieser Studien hat chen – ein einheitlicher Lehrplan ist mit dem Berliner Lehrer Robert zu Lernerfolgen geführt hat. Bei länderspezifische Analysen der also unmöglich. Rauh und dem Bildungswissen- PISA wird ja auch nicht Bildung Curricula mit sich gebracht schaftler Olaf Köller über Stu- im eigentlichen Sinne gemessen, ZU TATEN und sehr viele der Aufgaben Mersch: Herr Rauh, aus Ihrer Sicht dien wie PISA und die daraus sondern es werden mathema- passten zu den Curricula. gehören Ländergrenzen in der folgenden Reformen. tische, naturwissenschaftliche Bildungspolitik aber abgeschafft. und Lesekompetenzen erfasst. PISA Mersch: Welche Instrumente Warum? Britta Mersch: Herr Rauh, die macht also nichts anderes als das, was würden Sie denn bevorzugen, um PISA-Studien haben in den vergangenen Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Alltag das deutsche Schulsystem zu verbes- Rauh: Die Länder und Kommunen sind Jahren Wirkung gezeigt. Zahlreiche Reformen ebenfalls tun. sern, Herr Rauh? nicht mehr in der Lage, die Herausforderungen wurden auf den Weg gebracht und die deutschen von Schule im 21. Jahrhundert zu meistern. Den Schülerinnen und Schüler haben sich im interna- Rauh: Das stimmt – auf den ersten Blick. Wenn Rauh: In den Bundesländern müssen einheitli- Sanierungsstau, die Digitalisierung, die Inklusion tionalen Ranking deutlich verbessert. Trotzdem ich aber als Lehrer eine Klassenarbeit schreiben che Maßstäbe geschaffen werden. So ist zum und die Integration können die Bundesländer gehören Sie zu den PISA-Skeptikern. Warum? lasse, beziehe ich mich auf Themen, die ich im Beispiel ein zentraler Pool für Abituraufgaben nicht mehr allein stemmen. Deshalb muss der Unterricht behandelt habe. Wenn bei PISA 15-Jäh- nur Kosmetik, weil es den Ländern überlassen Bund mehr in Schule investieren. Dafür muss das Robert Rauh: Ich bezweifle generell, dass sich rige in aller Welt die Frage beantworten müssen, bleibt, ob sie sich daraus bedienen und wie sie die Kooperationsverbot fallen, das für den Hoch- Bildung vermessen lässt. Alle drei Jahre wird warum sich ein Meteorit beschleunigt, wenn er Abi-Noten gewichten. Hier hat man das Pferd von schulbereich schon abgeschafft wurde. getestet, berechnet und verglichen. 72 Länder sich der Erdatmosphäre nähert, wissen wir nicht, hinten aufgezäumt, denn Voraussetzung für zen- nehmen an der PISA-Studie teil und überall gibt ob das Thema auf dem Lehrplan stand. Zudem trale Aufgaben wären einheitliche Lehrpläne. Die Mersch: Könnten so die nötigen Reformen im Bil- es unterschiedliche Bedingungen. In Mexiko werden geisteswissenschaftliche oder künstleri- Einführung von Bildungsstandards geht dagegen dungssystem angestoßen werden, Herr Köller? zum Beispiel geht nur die Hälfte der getesteten sche Fächer nicht erfasst. Insofern bleibe ich bei in die richtige Richtung. 15-jährigen Jugendlichen zur Schule. Wie soll sich meiner Kritik. Köller: Es gibt keine statistische Evidenz dafür,

das international vergleichen lassen? Bildungsstandards PISA, und Bildungstrends Mersch: Sind Sie der gleichen Meinung, Herr Köller? dass der Bildungsföderalismus zu einem Abstieg 28 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 29

der Schülerinnen und Schüler geführt hat. Darüber Mersch: Offenbar gibt es viel zu tun. Was sind aktuell die WARUM ARBEITEN SIE GERNE hinaus hat die Kultusministerkonferenz seit PISA 2000 dringendsten Fragen, die gelöst werden müssten? viel investiert, um mehr Einheitlichkeit ins System zu bringen. Es gibt Ländervergleichsstudien wie die Bil- Rauh: Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen und MIT DER KMK ZUSAMMEN? dungstrends, die zeigen, wo nachgesteuert werden muss. eine angemessene finanzielle Ausstattung. Dass wir in Die Erträge der Systeme in den 16 Bundesländern sind kleineren Klassen unterrichten, dass Lehrer professio- transparent. Im Übrigen fällt die parteipolitische Will- nell aus- und weitergebildet werden. Für die Inklusion kürlichkeit im Bildungssystem nicht weg, wenn wir ein und die Integration brauchen wir zusätzliches Personal. Bundesbildungsministerium haben. Und wir brauchen eine moderne Ausstattung der Schulen, um unsere Schüler angemessen auf die berufliche und Rauh: Natürlich können Fehler auch auf Bundesebene gesellschaftliche Teilhabe im digitalen Informationszeit- gemacht werden. Dennoch geht es im Kern um Bildungs- alter vorzubereiten. gerechtigkeit. Ich plädiere für ein deutsches Bildungs- forum, in dem nicht nur Bildungsexperten, sondern auch Köller: Ich wünsche mir eine stärkere Fokussierung auf „Seit über 50 Jahren ist Bildung eine der Kernaufgaben der „Die Gestaltung des Bildungssystems ist eine gemein- Lehrer, Schüler, Eltern und Studenten diskutieren, welche Unterricht und Unterrichtsentwicklung, auf die Professio- Robert Bosch Stiftung. Dabei leitet uns der Anspruch, nicht schaftliche Aufgabe. Auch wir als Stiftung mit bundesweiter einheitlichen Bildungsstandards, Lehrpläne und Prüfungs- nalisierung von Lehrerinnen und Lehrern. Auch muss es nur ergänzend zum Staat zu wirken, sondern als Teil der Zielsetzung wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten, neue anforderungen gelten sollen. Außerdem müssten Institu- für Seiteneinsteiger leichter werden, qualifiziert an Schu- Zivilgesellschaft neue Impulse in das System hineinzugeben. Modelle zu erproben und Evidenz für politisches Handeln te für Schulbildung gegründet werden, um die regionalen len zu unterrichten. Dazu würde ich mir eine hinreichende Wir sind davon überzeugt, dass sich diese Zusammenar- zur Verfügung zu stellen, dazu beitragen. Veränderung lässt beit gerade bei einem so wichtigen Thema wie Bildung gut sich aber nur im Miteinander von Praxis, Wissenschaft und Besonderheiten zu bewahren und die drei Phasen der Finanzierung wünschen, bei der der Bund mehr Möglich- ergänzt. In der Kultusministerkonferenz haben wir einen Politik bewirken. Im Verbund mit anderen bundesweit agie- Lehrerausbildung zu koordinieren. keiten bekommt, kluge Initiativen der Lehrerfortbildung Partner gefunden, der offen ist für Impulse und mit dem wir renden Stiftungen und der Kultusministerkonferenz gelingt oder Schulentwicklung zu unterstützen. Trotzdem haben gemeinsam an guten Lösungen arbeiten können. Neben der es uns immer besser, in regelmäßigem Austausch unsere Köller: Die Unterschiede in der Bildung bekommen Sie die Länder in den vergangenen 15 Jahren auch viel richtig Qualität von Bildungseinrichtungen sind auch Themen wie Ideen und Projekte abzustimmen und ihre Wirkung zu erhö- durch ein Bundesinstitut nicht weg. Die Unterschiede gibt gemacht. Da ist es wichtig, an bewährten Reformen Schulen in kritischer Lage, guter Ganztag oder die Digitalisie- hen. Aber auch darüber hinaus ist die KMK für uns zuneh- es auch innerhalb einer Stadt, wenn Schülerinnen und festzuhalten. rung in der Bildung wichtige Themen, bei denen wir hoffen, mend eine wichtige Partnerin: als kompetente Beraterin und Schüler zwei unterschiedliche Gymnasien besuchen. Das gemeinsam positive Veränderungen anstoßen zu können.“ fachliche Instanz in vielen Bildungsfragen.“ Gleiche gilt für die Abiturnote. Zwei Schülerinnen bzw. Schüler können innerhalb eines Landes die gleiche Abitur- Uta-Micaela Dürig Winfried Kneip durchschnittsnote bekommen, haben aber ganz unter- ist seit 2015 Geschäftsführerin der Robert Bosch Stiftung. ist seit 2014 Geschäftsführer der Stiftung Mercator. Er leitet schiedliche Leistungsstände. Dieses Problem löst nicht ein Zuvor verantwortete sie die weltweite Unternehmenskommu- das Ressort Bildung und hat 2017 die Funktion des Sprechers nikation sowie die Bereiche Markenmanagement und Nach- der Geschäftsführung inne. Seit 2009 verantwortet er das Wechsel von der Länderhoheit zur Bundeshoheit. Sinnvoll haltigkeit des Technologiekonzerns Robert Bosch GmbH. Themenfeld Bildung. sind hier Neuregelungen für den Zugang zur Hochschule.

Autorin: Britta Mersch ist freie Journalistin in Köln und schreibt unter anderem für Spiegel Online sowie den Deutschlandfunk. „Gemeinsam mit Partnern möchte die Bertelsmann Stiftung „Die Zusammenarbeit der Kultusministerkonferenz mit das Bildungssystem leistungsfähiger und chancengerechter Stiftungen hat sich in den letzten Jahren sehr erfreulich gestalten. Mit empirischen Studien und praktischen Ideen entwickelt: Beide Seiten haben gelernt, ihre Möglichkeiten sensibilisieren wir für Herausforderungen und entwickeln und Sichtweisen wechselseitig wertzuschätzen und die Lösungsansätze, wie Schüler individuell gefördert werden jeweiligen Grenzen zu respektieren. Aber nicht nur der die entwicklung von bildungsstandards können. Die Kultusministerkonferenz ist dabei gleicher- offenere und vertrauensvollere Umgang in Sachfragen prägt maßen wichtiger Partner und Adressat unserer Arbeit. die Zusammenarbeit; vielmehr finden KMK und Stiftungen Als Reaktion auf die PISA-Ergebnisse von 2001 hat die Die Bildungsstandards gelten als Maßstab für Zugegeben, wir sind manchmal unbequem. Aber uns allen auch in konkreten Projekten zu einem äußerst konstruktiven Kultusministerkonferenz im Mai 2002 beschlossen, län- die Qualitätsentwicklung an Schulen in allen geht es um die Sache: Wir wollen faire Bildungschancen Miteinander. Der Lackmustest war die Übernahme gemein- derübergreifende Bildungsstandards einzuführen. In den Bundesländern. Im Rahmen von Länderver- für alle Kinder und Jugendlichen, damit sie sich individuell samer Verantwortung für die Ausrichtung des International Jahren 2003, 2004 und 2012 wurden sie verabschiedet: gleichsstudien wird untersucht, ob die Länder die entfalten und die Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Summit on the Teaching Profession (ISTP) 2016 in Berlin. Die in den Bildungsstandards formulierten Kompe- 1. für den Primarbereich in den Fächern Deutsch Dafür möchten wir auch in Zukunft mit der KMK erfolgreich Stiftungen freuen sich auf Folgeaktivitäten und bauen für tenzanforderungen erreichen. zusammenarbeiten.“ die Zukunft auf eine vertiefte Kooperation mit der KMK.“ und Mathematik Dr. Jörg Dräger Dr. Ekkehard Winter 2. für die Sekundarstufe 1 zusätzlich für die erste ist seit 2008 Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung ist seit 2005 Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung Fremdsprache und die Naturwissenschaften und verantwortlich für die Bereiche Bildung und Integration. und Mitglied in verschiedenen Gremien im Bildungs-, Wissen- 3. für die Allgemeine Hochschulreife für Deutsch, Außerdem ist er Geschäftsführer des Centrums für Hochschul- schafts- und Stiftungsbereich. Mathematik und die fortgeführte Fremdsprache entwicklung. 30 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 31 WELTKULTURERBE

»Zukunft für unsere Entscheidend für ein erfolgreiches Management ist aber einkommens bei Schutz und Nominierung von Stätten nicht allein der rechtliche Schutz. Koordinierung und intensiviert wird. Das Beispiel der Welterbestädte Wismar Vergangenheit« Kommunikation sind unerlässlich für die erfolgreiche und Stralsund, die als Initiative aufgrund der globalen Umsetzung des Weltprogramms. Die Kultusminister- Strategie bereits während ihres Nominierungsverfahrens konferenz und die Länder haben sich dieser Aufgabe Ende 2002 den Beschluss fassten, die Deutsche Stiftung von Anfang an gestellt. Zunächst der Unterausschuss Welterbe zu gründen, sollte Schule machen und verdient Denkmalpflege, heute die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Welterbe Unterstützung. stellt in enger Zusammenarbeit mit der von den Ländern I und dem Auswärtigen Amt getragenen Koordinierungs- Welterbestätten als Lernorte für kulturelle Vielfalt n den 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das bau- Rechtlichen Schutz festigen und Management stelle Welterbe sicher, dass das Netzwerk funktioniert. und für die Verständigung auf universell verankerte kulturelle und archäologische Erbe wieder entdeckt. Die optimieren Dazu gehören neben den Denkmalpflegereferenten der Werte nutzen Besinnung auf den Denkmal- und auch Stadtbildschutz Länder inzwischen auch die Welterbe-Koordinatoren und war eine Reaktion auf die immensen Verluste an gewach- Inzwischen zählt Deutschland mit über 40 Welterbestät- der 2016 eingerichtete Fachbereich Welterbe bei der Deut- Die beiden jüngsten deutschen Welterbestätten – die senen historischen Strukturen im Zuge des Wiederaufbaus ten sowie der weltweit höchsten Anzahl an grenzüber- schen UNESCO-Kommission. beiden Häuser von Le Corbusier in der Weißenhofsiedlung in der Nachkriegszeit. Die nachhaltigste Wirkung auf die schreitenden und internationalen seriellen Eintragungen in Stuttgart sowie die Höhlen und die Eiszeitkunst auf der seinerzeit entwickelten Ansätze und Konzepte hatten die in die Welterbeliste zu den aktivsten Vertragsstaaten des Globale Strategie national umsetzen und internationale Schwäbischen Alb – unterstreichen eindrucksvoll, dass 1972 von der UNESCO verabschiedete Welterbekonvention Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes Zusammenarbeit stärken unser Erbe zum gemeinsamen Erbe der Menschheit wird, und das vom Europarat ausgerufene Europäische Denk- der Welt. Die programmatische Entwicklung des Welt- wenn zu seiner „DNA“ der Austausch zwischen Kultu- malschutzjahr 1975. Unter dem Motto „Eine Zukunft für erbeprogramms lässt sich gut an den deutschen Eintra- Die Welterbekonvention der UNESCO wird vor allem ren und Regionen gehört. Es sind Stätten, an denen uns unsere Vergangenheit“ wurde national und international gungen nachvollziehen. Neben Denkmälern, Ensembles über die von europäischen Kulturerbestätten geprägte bewusst wird, woher wir kommen, auf welchen Schultern der Forderung der Welterbekonvention, „eine allgemeine und Stätten sind mittlerweile auch Kulturlandschaften in Welterbeliste wahrgenommen. Es geht aber um viel mehr wir stehen, wo die entscheidenden Entwicklungsschritte Politik zu verfolgen, die darauf gerichtet ist, dem Kul- die Welterbeliste eingetragen. Das bringt zusammen mit als um ein „Who is who“ der Weltkultur. Ziel des Überein- der Menschheit stattgefunden haben, die Teil unserer tur- und Naturerbe eine Funktion im öffentlichen Le- sich entwickelnden Schutzansprüchen neue Herausforde- kommens ist die internationale Zusammenarbeit und die Identität geworden sind. ben zu geben und den Schutz dieses Erbes in erschöp- rungen, zumal das Welterbe nach wie vor insbesondere nachhaltige Sicherung des Natur- und Kulturerbes der fende Planungen einzubeziehen“, Nachdruck verliehen. durch große Infrastruktur- und Baumaßnahmen in Ver- Welt für uns und künftige Generationen. Das Welterbe „Die Vergangenheit ist nicht vorbei, sie begegnet uns bindung mit Defiziten im rechtlichen aktiv zu schützen, liegt nicht allein in der Verantwortung jeden Tag“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. In diesem In Deutschland wurde darauf um- Schutz und im Management gefähr- eines einzelnen Staates, sondern ist Aufgabe der Völker- Sinne gilt es, das Erbe der Menschheit nicht isoliert als fassend reagiert. Alle westdeutschen »DIE VERGANGEN- det wird. gemeinschaft. Mit der globalen Strategie versucht das statische Orte der Selbstvergewisserung zu begreifen, Länder erließen bzw. novellierten be- Welterbekomitee bereits seit 1994, diesen internationa- sondern zu vermitteln, dass Wandel und Austausch Teil stehende Denkmalschutzgesetze zwi- HEIT IST NICHT Echtheit und Unversehrtheit – len, ganzheitlichen und kooperativen Ansatz als Hand- unserer kulturellen Identität sind. Dafür sind Welterbe- schen 1971 und 1980. Auf Bundesebene VORBEI, SIE namentlich die strukturelle, funktio- lungsschwerpunkt in den Vordergrund zu stellen. Damit stätten prädestinierte Lernorte. wurden u. a. das Gesetz zur Erhaltung nale und insbesondere auch visuelle soll auch eine repräsentative, ausgewogene und glaub- und Modernisierung kulturhistorisch BEGEGNET UNS Integrität – haben sich als die ent- würdige Welterbeliste erreicht werden. und städtebaulich wertvoller Gebäude scheidenden Parameter für den Erhalt sowie das Gesetz zur Berücksichtigung JEDEN TAG« des außergewöhnlichen universellen Umsetzen lässt sich die globale Strategie nur von unten des Denkmalschutzes im Bundesrecht Wertes von Welterbestätten erwiesen. nach oben. Die Länder und die Kultusministerkonferenz verabschiedet. Komplementiert wurden diese Initiativen Der Schutz von Sichtachsen und die Ausweisung von Puf- haben sich dieser Aufgabe bei der letzten Fortschreibung durch die Zeichnung europäischer Konventionen wie bei- ferzonen sind mittlerweile gängige Schutzinstrumente. der deutschen Anmeldeliste mit der Berufung eines spielsweise das Übereinkommen zum Schutz des archäo- Wirksamkeit können sie nur entfalten, wenn sie rechtlich Expertenbeirats, der Berücksichtigung der ICOMOS-Stu- logischen Kulturgutes und das bereits genannte Überein- verankert sind. Wegweisend reagiert wurde auf diese die zu den Lücken auf der Welterbeliste sowie einer sehr kommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt. Herausforderung mit der Novelle des Raumordnungs- moderaten Zahl von neuen Nominierungen gestellt. Ein Dr. Birgitta Ringbeck Letzteres wurde seinerzeit als Verwaltungsabkommen gesetzes; auch in einige Ländergesetze sind inzwischen weiterer Schritt ist die Handreichung der Kultusminis- ist Ministerialrätin im Auswärtigen Amt, wo sie als Ko- abgeschlossen, ein Vertrags- und ein Ausführungsgesetz Bestimmungen zum Welterbeschutz aufgenommen terkonferenz der Länder zum UNESCO-Welterbe vom ordinatorin der Kulturkonventionen der UNESCO vor wurden nicht erlassen. Die Umsetzung in nationales Recht worden; die Länder Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Oktober 2017 mit dem ausdrücklichen Bekenntnis zur allem für das Welterbeprogramm zuständig ist. Außer- schien durch die bestehende Gesetzgebung hinreichend Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben den Wel- globalen Strategie. Wünschenswert ist darüber hinaus, dem ist sie Mitglied des Welterbekomitees der UNESCO, gesichert; diese Auffassung wurde 2009 nochmals von der terbeschutz in ihre Denkmalschutzgesetze integriert. dass die internationale Kooperation mit auf der Welterbe- in der Deutschen UNESCO-Kommission, der Deutschen Bundesregierung bestätigt. liste unterrepräsentierten Vertragsstaaten des Über- Welterbe-Stiftung und internationalen Gremien. 32 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 33

international summit on the teaching profession (istp) 6th Der ISTP ist ein hochrangiger internationaler Bildungskongress, an dem Minis- terinnen und Minister, hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Bildungs- International Summit und Lehrergewerkschaften sowie Vertreterinnen und Vertreter der Praxis teilnehmen. Im März 2016 richtete die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit der OECD und Education International den Kongress in Berlin aus. Dieser on the widmete sich der „Professionalisierung von Lehrkräften: Voraussetzungen für gute Unterrichtsqualität und beste Lernergebnisse“. 2016 nahmen rund 400 Experten aus 23 Staaten am Summit teil. Die Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Hertie- Stiftung, Stiftung Mercator, Vodafone Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Joachim Herz Stiftung unterstützen die Gastgeber. TEACHING PROFESSION I n March 2016 and the KMK To progress this agenda requires a Genuine progress is being made on played host to the 6th International powerful profession and enabling go- strengthening partnerships between Summit on the Teaching Professi- vernments – a partnership engaged governments, teachers‘ unions, com- on ( ISTP ), under the guidance and in collaboration and experimentation, munities and industry. leadership of Udo Michallik, General leading improvement, innovation and Secretary of the Standing Conferen- change. ISTP is making a vital contri- The Berlin Summit was widely ce of the Ministers of Education and bution to building this partnership. regarded as the necessary impetus Cultural Affairs of the Länder in the to increasingly propel countries from Federal Republic of Germany. The Berlin Summit focussed on how dialogue to action. This of course to strengthen the Teaching Profes- was reflective of the KMK itself – ISTP explores challenging policy sion to meet new demands, inclu- exercising the thought leadership, issues informed by evidence pro- ding the influx of large numbers of convening power and advocacy so vided by OECD and the knowledge refugees and immigrants. successfully demonstrated in the base of practice and research from German setting – but on the occasion Education International. The Host Over recent years Germany has of hosting the Summit, demonstra- Nation provides a powerful context enacted several major reforms. As ting these huge assets at a global for this unique international conve- a result of these policy measures scale. ning of Ministers and Teacher Union and of intensive efforts by German leaders from the top performing teachers and school leaders, there education nations. has been a significant improvement in academic achievement and a In preparing for the 6th ISTP in reduction in the performance gap Berlin, there was a sense of urgency between social groups, including to ensure that we are designing lear- that between native-born and those ning systems that are fit for purpose with an immigrant background. – that genuinely address learning for all (encompassing excellence The ISTP has provided the forum for Anthony Mackay and equity); that generate higher international discussions genera- ist seit 2011 Moderator des International levels of learning productivity; and ting a deeper shared knowledge of Summit on the Teaching Profession. In that equip young people to “learn a education policies and politics – and Australien sitzt er dem Vorstand des living”. none more so than the 2016 Berlin Centre for Strategic Education (CSE) in convening. Melbourne vor. 34 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 35

GLEICHWERTIGE Ties Rabe ist Senator der Behörde für Schule und Berufs- bildung in Hamburg und war vorher Lehrer. Seit 2015 ist er A-Länder-Koordinator für Bildung und Wissenschaft. SCHULABSCHLÜSSE Zentraler Baustein für einen modernen Föderalismus S iebzig Jahre nach ihrer Gründung ist die bundesdeutsche Recht angezweifelt wird. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie burg per Volksabstimmung gescheiterte sechsjährige Schülern umfassend bewerten. Dazu zählen viele fach- Schulpolitik deutlicher Kritik ausgesetzt. Die Diskussion sehr sich Schulabschlüsse und -noten von Bundesland Grundschule in anderen Ländern akzeptierter Standard. liche und überfachliche Kompetenzen, die sich nicht in beschränkt sich nicht mehr auf den bekannten Streit über zu Bundesland, aber auch von Region zu Region und von Der Föderalismus kann für sich darüber hinaus größere einer einzigen Abschlussklausur erfassen und bewerten die richtige Schulstruktur oder die richtigen Bildungsin- Schule zu Schule unterscheiden. Flexibilität und Bürgernähe, aber auch die Realität unter- lassen. Abschlusszeugnisse werden deshalb immer auch halte. Seit dem PISA-Schock wächst vielmehr die Kritik am schiedlich gewachsener Schulstrukturen, soziokultureller die Leistungen aus dem laufenden Unterricht berück- föderalen Bildungssystem insgesamt. Das Schulsystem Die Unterschiede verstoßen nicht nur gegen das Gebot Milieus und Familienbilder in Anspruch nehmen. Seine sichtigen müssen, wollen sie den Anspruch erfüllen, den sei unübersichtlich, unterschiedlich und äußerst unge- von Fairness und Gerechtigkeit und verbittern damit Grenzen findet der Bildungsföderalismus jedoch dort, Bildungsstand von Schülerinnen und Schülern umfassend recht, kritisieren Medien, Politiker und Stiftungen. Ursache Eltern und Schüler, deren Bildungschancen von diesen wo es um die Abschlussqualifikation für den Übergang darzustellen. dafür sei der Föderalismus. Sie sehen sich bestärkt durch Schulabschlüssen abhängen. Sie beschädigen zugleich von der Schule hinein in den Beruf oder weiterführende zahlreiche Untersuchungen, die die Uneinheitlichkeit das Leistungsprinzip als Grundpfeiler des deutschen Bildung geht. Unterschiedliche Wege – gleichwertige Doch trotz dieser Einschränkungen bleiben gleichwertige und Unterschiedlichkeit von Schul- und Bildungswegen Schulwesens. Wozu sollte man sich anstrengen, wenn es Abschlüsse: Diese Dualität weist den Weg für einen mo- Schulabschlüsse das Gebot der Zukunft. Die Kultus- in den Ländern zeigen. Die Schlussfolgerung der Kritiker: in der Nachbarschule, der Nachbarregion oder dem Nach- dernen Föderalismus. ministerkonferenz hat zur Sicherstellung deshalb nicht, Deutschland brauche eine zentral gesteuerte Bildungs- barland mit weniger Aufwand und weniger Grips bessere wie sonst üblich, wissenschaftliche Vergleichsstudien politik mit bundeseinheitlichen Normen. Noten gibt? Gleichwertige Abschlüsse herzustellen, ist kein einfacher beauftragt. Stattdessen wurden die Schulabschlüsse Weg. Viele Kritiker übersehen, dass sich Schulabschlüsse selbst verändert und angeglichen. In einem ersten Schritt Nun muss Politik nicht auf jede öffentliche Diskussion Die Forderung nach gleichwertigen Schulabschlüssen sogar innerhalb eines Landes jahrzehntelang erheblich wurden bundeseinheitliche Prüfungsaufgaben für die mit Reformen reagieren. Das gilt insbesondere für die sollte auch deshalb ernst genommen werden, weil die unterschieden haben. Prüfungen differierten von Schule schriftlichen Abiturprüfungen in den Kernfächern entwi- wenig reflektierten Forderungen nach einer zentral Kritiker mit ihrer Forderung die Bedeutung der Schul- zu Schule, von Lehrkraft zu Lehrkraft. Wer heute unter- ckelt. Die Länder können diese in einem Pool gelisteten gesteuerten Bundesschulpolitik. Wer empirische Befunde abschlüsse anerkennen und bewahren. Angesichts der schiedliche Abschlussprüfungen in Hamburg und Bayern Abituraufgaben in ihren Abiturklausuren einsetzen. Dort, wirklich ernst nimmt, findet darin keine Hinweise auf die ausufernden Praxis, die Vergabe von Ausbildungs- und kritisiert, übersieht, dass Prüfungen in Hamburg-Eidel- wo weiterhin sehr viele landeseigene Aufgaben einge- Überlegenheit zentral gesteuerter Schulsysteme, ganz zu Studienplätzen durch immer umfassendere Testverfah- stedt und Hamburg-Eppendorf jahrzehntelang unterein- setzt werden, sollen diese „Pool-Aufgaben“ zugleich das schweigen von den „Umbaukosten“, die ein solcher Sys- ren zu steuern und damit Schulabschlüsse zu entwerten, ander mindestens genau so große Unterschiede aufwie- Niveau der landeseigenen Prüfungsaufgaben prägen. temwechsel in einem 80-Millionen-Staat nach sich ziehen sollten Schulpolitiker froh sein, dass der Schulabschluss sen wie Prüfungen in Deggendorf und Landshut. Hier würde. Gleichwohl wäre es vermessen, Kritik gänzlich bundesweit nach wie vor als Qualitätssiegel anerkannt haben alle Länder erhebliche Anstrengungen unternom- Dieses zunächst als Angebot gedachte Konstrukt hat zu ignorieren. Das gilt insbesondere für die Kritik an der und eingefordert wird. Ein Grund mehr, die Kritik ernst zu men, die Anforderungen innerhalb eines Landes anzuglei- bereits in der ersten Abiturprüfung 2017 eine starke Unterschiedlichkeit der Abschlussprüfungen. nehmen. chen. Einheitliche Prüfungsaufgaben, mindestens in den Wirkung entfaltet. Rund drei Viertel aller Länder verwen- Kernfächern, sind heute die Regel. deten in so starkem Maße Aufgaben aus dem Pool, dass Die Aufmerksamkeit für dieses Thema ist berechtigt. Vergleichbare Schulabschlüsse können darüber hinaus sie – interessanter Nebeneffekt – trotz unterschiedlicher Schulabschlüsse entscheiden über den weiteren Bildungs- eine entscheidende Antwort auf die grundsätzliche Kritik Gleichzeitig muss man daran erinnern, dass eine absolute Ferienzeiten sogar die Prüfungsklausuren bundesweit auf weg, über Studium und Ausbildung, über Lebensglück, am Föderalismus sein. Denn tatsächlich bröckelt diese Kri- Bewertungsgerechtigkeit bei Abschlusszeugnissen nur den gleichen Tag zur gleichen Zeit festlegten. Wer hätte Chancen und Karrieren. Das gilt vor allem für die Studien- tik immer dann, wenn die Konsequenzen sichtbar werden. um den Preis absolut zu setzender zentraler schriftlicher das noch vor zehn Jahren gedacht? Ein schöner Erfolg, der platzvergabe. Die bundesweite Berechnung von Zehn- Nur wenige Hamburger würden sich für die Wiederein- Prüfungen erzielt werden könnte – ein Preis, den man Mut machen sollte, weitere Schritte zu gehen. tel- oder Hundertstelnoten setzt eine Vergleichbarkeit führung der Hauptschule im Zuge bundeseinheitlicher sich gut überlegen muss. Denn Schulabschlüsse sollen von Schulabschlüssen und Abschlussnoten voraus, die zu Schulstrukturen begeistern. Umgekehrt ist die in Ham- Lernstand und Lernleistungen von Schülerinnen und 36 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 37

VOM SCHULLEITER ZUM KMK-PRÄSIDENTEN UND ZURÜCK ten, durchaus begründet. Er selbst sagt: Manches Projekt im 20. Jahrhundert zum 9. November. Darüber hinaus habe er zu Ende und viele weitere vorangebracht, auf vertiefte er die deutsch-israelische Freundschaft und Landes- wie auch auf Bundesebene. hob die deutsch-polnische Zusammenarbeit mit der Der Werdegang von Henry Tesch (CDU), Einsetzung des deutsch-polnischen Ausschusses für Bil- Präsident der Kultusministerkonferenz Wobei Tesch einräumt, dass er sich anfangs umgewöh- dungszusammenarbeit auf Bundesebene (gegründet im Jahr 2009, ist außergewöhnlich: Eben nen habe müssen – wohl stärker, als erfahrene Politiker: in der Aula „seines“ Gymnasium Carolinum!) auf eine „Das geht bei Kleinigkeiten los wie etwa dem Autofah- ganz neue Ebene. noch Gymnasialdirektor wurde Tesch ren.“ In der Minister-Limousine habe er erst einmal lesen 2006 quasi über Nacht Bildungsminister lernen müssen: „Zum Glück hat das schnell geklappt.“ Ein Dass all das gelang, verdankt er zwei Eigenschaften, die und später auch KMK-Präsident. Nach weiterer Glücksfall: „Ich hatte vom ersten Tag an einen er bereits ins Ministeramt mitbrachte – „zum Glück“, dem Ende seiner Amtszeit ist er heute Henry Tesch Fahrer, der wunderbar mit mir harmoniert hat.“ Solche wie er heute sagt. Da sei die Fähigkeit, zuzuhören bis das wieder Leiter des Gymnasium Carolinum ist seit 2002 Schulleiter des Gymnasium vermeintlichen Kleinigkeiten entscheiden mitunter über Gegenüber wirklich alles gesagt hat: „Das muss man Carolinum in Neustrelitz. Von 2006 bis 2011 Erfolg oder Misserfolg einer Amtszeit. schon als Schulleiter können, der ja regelmäßig Streit zu in Neustrelitz. Dort spricht er über seine war er Minister für Bildung, Wissenschaft schlichten hat.“ Vor allem aber sei er ein „Leseverwerter“, Erfahrungen. und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern. Im Im politischen Alltag habe er schnell die Erfahrung der alles, was man ihm vorlege, auch wirklich lese. „Und Jahr 2009 war er Präsident der KMK. gemacht, „dass nicht jeder daran gewohnt ist, wenn der die Wahrheit ist: Das habe ich nicht in der Politik gelernt, Chef Klartext spricht“. In Beratungen und bei Akten- sondern im Germanistik-Studium. Da gab es nur ganz vermerken habe er mitunter für Stirnrunzeln gesorgt, wenige männliche Studenten und wir wurden deswegen wenn er einfach seine Meinung gesagt oder in die Akte von der Dozentin häufig aufgerufen.“ Mehrfach sei er D geschrieben habe: „Das wollte mir so mancher ausreden – damals aufgefallen, weil er Texte nicht gelesen habe: ie erste Frage von Lorenz Caffier, damals CDU-Generalse- ist, nicht mehr derjenige zu sein, der die Kultuspolitik ich habe mir das aber nicht ausreden lassen.“ „Und da habe ich mir geschworen: Das passiert dir nie kretär von Mecklenburg-Vorpommern, hat Henry Tesch „ausbaden“ muss, sondern derjenige, der sie „verzapft“. wieder!“ einfach überhört: „Nicht strategisch überhört, sondern In seiner Zeit als Vize-Präsident und dann vor allem als einfach richtig nicht gehört.“ Caffier hat es ihm später Über Vorerfahrungen verfügte Tesch kaum – allenfalls als Präsident der KMK im Jahr 2009 habe er das beibehalten, Ohne diese Ausdauer, glaubt Tesch, hätte er seine erzählt – und die Frage kurz darauf noch einmal gestellt: ehrenamtlicher Bürgermeister seiner damals 800 Einwoh- sagt Tesch. Ein Beispiel: „Während meiner Amtszeit gab es Amtszeit nicht zu Ende gebracht. „Denn die Foulspieler, „Willst du es nicht gleich selber machen?“ Gemeint war ner zählenden Heimatgemeinde Roggentin. Aber lässt sich viel Rumor über den Umzug nach Berlin. Ich bin dann, als die es in der Politik wie überall im Leben gibt, haben sich das Kultusministerium in Schwerin. Als Caffier fragte, im das wirklich mit der „großen“ Politik vergleichen? „Ich war ich Präsident war, sofort nach Bonn gefahren, habe mich natürlich auch an mir versucht.“ Das allerdings eher auf Herbst 2006, handelte die CDU gerade mit der SPD eine selbst überrascht, wie gut das ging“, sagt Tesch heute: vor die Mitarbeiter gestellt und gesagt: ‚Ich halte den Landes- als auf Bundesebene: „In der KMK hat mich eher große Koalition aus. Tesch, damals seit vier Jahren Leiter „Die Grundabläufe – zuhören, moderieren, vermitteln, ent- Teil-Umzug nach Berlin für eine gute Idee.‘“ Dass er gleich das Miteinander beeindruckt, die Sacharbeit, die mit den des Gymnasium Carolinum in Neustrelitz, saß als Ver- scheiden – sind wirklich dieselben.“ Ein Parteibuch hatte zu Beginn seinen Standpunkt klargemacht habe, so Tesch, Kollegen, gleich ob A- oder B-Zugehörigkeit, möglich war.“ handler mit am Tisch, wenn über die künftige Bildungspo- er bei seinem Start nicht, trat aber kurz nach der Ernen- habe dazu geführt, dass die anschließende Diskussion litik gesprochen wurde. Wenig später führte der Weg den nung der CDU bei: „Mir war das Signal wichtig, das damit ehrlich verlaufen sei: „Ich finde, die Mitarbeiterinnen und heute 55-Jährigen in das Kultusministerium. einherging, nach innen wie nach außen.“ Mitarbeiter hatten ein Recht darauf, meine Haltung zu kennen.“ Ähnlich habe er es gehandhabt, als 2009 der Bil- Dass mit seiner fünfjährigen Amtszeit auch die Funktion Die Fallstricke, die ein Quereinstieg bietet, habe er wei- dungsstreik hochkochte: „Da hatten wir gerade Tagung in des Präsidenten der Kultusministerkonferenz (KMK) ver- testgehend geahnt, sagt Tesch heute: Da sei die Tatsache, Bonn und sahen zunächst im Fernsehen die dramatischen bunden sein würde, ahnte Tesch damals noch nicht: „Dass dass die Bildungspolitik in der öffentlichen Wahrneh- Bilder, wie Studenten unser Tagungshaus umstellt hat- Mecklenburg-Vorpommern in meiner Amtszeit dran war mung vermintes Terrain sei. Zudem gebe es abertausende ten.“ Für ihn sei sofort klar gewesen: „Wir gehen jetzt da mit dem Vorsitz, war ja auch wirklich eher Zufall. Bevor ich Lehrer und Eltern. Hinzugekommen sei ein durchaus runter und diskutieren mit den Studenten – darauf haben mich entschieden habe, Minister zu werden, war das kein selbstbewusster Apparat im Ministerium, der in den sie ein Recht.“ Nicht alle Kollegen, von denen deswegen Autor: Gabriel Kords Thema.“ Da sei es um andere Fragen gegangen: „Meine vorangegangenen Jahren einige Minister habe kommen so manche ihre Flieger zurück ins Heimat-Bundesland ist heute leitender Redakteur der Tageszeitung Frau war anfangs nicht gerade begeistert.“ Da waren aber und gehen sehen. „Das ist allerdings eine Erfahrung, die verpasst hätten, seien darüber begeistert gewesen. Nordkurier in Mecklenburg-Vorpommern. Er auch die vielen Freunde und Weggefährten, die er wäh- ich später bei der KMK noch einmal in verschärfter Form schreibt zudem regelmäßig für ZEIT Online und die rend der Bedenkzeit anrief: „Ich habe zu jedem gesagt: gemacht habe – da wechselt der Chef ja schließlich jedes Tesch brachte in seiner Amtszeit den KMK-Umzug sowie ZEIT. Gabriel Kords studierte in Greifswald, während ‚Nun rede mir das mal schön wieder aus!‘ Aber keiner Jahr“, sagt er heute vergnügt. Dass Tesch mit sich im die Diskussion über einheitliche Standards beim Abitur Henry Tesch Bildungsminister war. Bereits damals wollte mir das so richtig ausreden.“ Also sagte Tesch zu. Reinen ist, über seinen Ausflug in die Spitzenpolitik, ist voran. Er initiierte einen deutschlandweiten Projekttag setzte er sich kritisch mit der Bildungspolitik des Nicht zuletzt, weil es wohl für viele Schulleiter verlockend unverkennbar. Und das ist, sagen auch seine Weggefähr- zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte Landes auseinander. V 38 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 39

Eine Schule an Jerusalems Stadtmauer, im Herzen des „heiligen“ und zugleich konfliktreichen Ortes – da eignen sich christliche und muslimische Schüle- rinnen gemeinsam die Bildung und Erziehung einer WARUM SIND exzellenz-zertifizierten deutschen Auslandsschule an. Der Schmidtschule gelingt es, ihre 600 Schülerin- nen professionell auszubilden, zu erziehen und Tole- ranz als Basis für jedwede interkulturelle Kompetenz zu vermitteln. So stärkt sie arabische Mädchen, die befähigt werden, in den verschiedensten Feldern AUSLANDSSCHULEN wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur kon- struktiv mitzuwirken, zu steuern und zu vermitteln.

Erwin Meyer – Auslandsdienstlehrkraft an der UNABDINGBAR? Deutschen Schmidtschule Ostjerusalem

Ganz besonders machen das Schulleben an der Deut- Ein besonderes und nicht schen Internationalen Schule Johannesburg in Südafrika ersetzbares Angebot: Weltverband, die Assemblies, zu denen sich die Schulgemeinschaft am letzten Schultag vor Beginn jeder Ferien für zwei Stun- Lehrkräfte, Schülerinnen und den in der Aula trifft, um das letzte Term Revue passieren Schüler berichten. zu lassen: u. a. um die Gewinner der Bundesjugendspiele zu küren, akademische Leistungen zu würdigen und die Marimba-Gruppe zu erleben. Häufig kommt es dabei zu sehr bewegenden Momenten, wie z. B. wenn im Septem- Detlef Ernst ber eines jeden Jahres bekannt gegeben wird, wer zum steht seit 2009 dem Vorstand des Mitglied des Präfektenteams des nächsten Schuljahres Weltverbands Deutscher Auslands- gewählt wurde oder wer zum Schüleraustausch mit nach schulen (WDA) als Vorsitzender vor. Deutschland darf. An der DSJ, einer Privatschule, herrscht ein Gemeinschaftsgefühl, in dessen Bann man sofort gezogen wird. Diese Schule stellt den Lebensmittelpunkt für Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrerinnen Die Deutschen Auslandsschulen leisten vielfältige und Lehrer, die 38 verschiedenen Nationalitäten angehö- gesellschaftliche Wertbeiträge. Das belegt eine ren, dar. gemeinsame Studie von Universität St. Gallen und Weltverband Deutscher Auslandsschulen (WDA). Die Svea Fürstenberg – Auslandsdienstlehrkraft, Oberstufen- Schulen bieten nicht nur weltweit Bildung „Made in koordinatorin, seit 2011 an der Deutschen Internationalen Germany“ an, sondern fördern auch den interkultu- Schule Johannesburg rellen Austausch. Durch ihre gemeinnützige Struktur stehen sie für Bildungs-, nicht für Geldeliten. Im Das Besondere an der Deutschen Schule Prag ist, Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wie organisch sie die Barrieren der Sprachen auf- übernehmen die Schulen also Aufgaben, die weit löst. Während der sieben Jahre an der DSP habe An der Deutschen Schule Johannesburg lernt man zwei über Sprachvermittlung hinausgehen. ich statt Angst vor der deutschen Sprache Liebe zum Teil äußerst unterschiedliche Kulturen kennen zur Literatur, Kultur und zum Debattieren gefun- und erlernt zwei Sprachen. Präfekten arbeiten aktiv mit Was das Netzwerk der Deutschen Auslandsschulen den. Die Lernkultur bemüht sich um die Inklusion der Schulleitung zusammen, um die Schule zu verbes- so besonders macht: Es ist auf einer öffentlich-pri- und Akzeptanz anderer Kulturen. Während dieser sern und um Feste zu organisieren. Ferner werden die vaten Partnerschaft aufgebaut. Ehrenamtliche Vor- Zeit wurden in meinem Kopf Samen der Neugier Auszeichnungen von Schülern im Bereich des Sports stände gründen und führen die Schulen, Bund und gepflanzt, und je älter ich werde, desto häufiger hoch geachtet. Ehrungen und Abzeichen werden an der Länder fördern sie. Die freien Träger erwirtschaften entdecke ich die DSP neu. Schuluniform getragen. Dies führt außerdem zu einem durchschnittlich rund 70 Prozent ihrer Schulhaushal- starken Familiengefühl an der DSJ. te in Eigenverantwortung. Somit ist das Auslands- Khoi Nguyen – Schüler der Deutschen Schule Prag schulwesen eines der ältesten und erfolgreichsten Yvonne von Brandis – Abiturientin an der Deutschen Beispiele der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand Internationalen Schule Johannesburg und privaten Trägern. 40 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 41 PROVENIENZ- FORSCHUNG IN DEUTSCHLAND Bestandteil der Forschung an Museen, Bibliotheken

Isabel Pfeiffer-Poensgen und Archiven ist seit Juni 2017 Ministerin für Kultur W und Wissenschaft in Nordrhein-West- ie kamen die Werke ins Museum? diese Anstrengungen erheblich aus- falen und war zuvor Generalsekretärin Diese Frage beschäftigt weltweit die zuweiten: 2015 entstand die Stiftung der Kulturstiftung der Länder. Nachfahren verfolgter und enteigne- Deutsches Zentrum Kulturgutver- ter jüdischer Kunstsammler ebenso luste in Magdeburg, die zentrale wie deutsche sammelnde Einrich- Ansprechpartnerin ist für Opfer wie tungen, seien es Museen, Bibliothe- für Kultureinrichtungen und die mit Die Umstände des NS-Kunstraubs ken oder Archive. Die heute intensiv einem deutlich aufgestockten Etat mit Flucht und Deportation haben betriebene Forschung fand vor 2008 ihre Aufgaben erfüllen kann. gewaltige Dokumentationslücken ständlich wird wie die Auseinander- Veröffentlichung führen zu fairen der DDR und in der Sowjetischen nur an einzelnen Museen statt. Wie- hinterlassen. Schmuck, Möbel oder setzung mit der historischen oder und gerechten Lösungen. Besatzungszone betreffen, aber wohl sich Deutschland bereits 1998 Die Länder haben darüber hinaus Geschirr aus jüdischem Privatbesitz kunsthistorischen Bedeutung? auch Fragen nach der rechtmäßigen – wie 43 andere Staaten – mit der die Bedingungen der Provenienz- sind häufig überhaupt nicht erfasst. Drittens brauchen wir ein museales Herkunft von antiken oder ethno- Unterzeichnung der Washingtoner forschung verbessert. So beschäf- Provenienzforschung erfordert Erstens muss Provenienzforschung Leitbild, das die Provenienzfor- logischen Artefakten in unseren Erklärung zur Aufklärung verpflichtet tigen beispielsweise Hamburg, daher spezialisierte Methoden- und fest in den universitären Strukturen schung angemessen berücksich- öffentlichen Sammlungen, so steht hatte, wurde erst 2008 – ausgelöst Baden-Württemberg und Hessen Quellenkenntnisse sowie einen fast verankert werden. Vereinzelte Initia- tigt und als selbstverständliches weiterhin der aus jüdischen Privat- durch die kontrovers diskutierte festangestellte Provenienzfor- schon detektivischen Spürsinn. tiven reichen nicht. Die Hochschulen Arbeitsfeld neben den Aufgaben des sammlungen geraubte und entzoge- Rückgabe und Versteigerung der scherinnen und -forscher für ihre müssen angehende Kunsthisto- Sammelns, Bewahrens, Ausstellens ne Kunstbesitz im Vordergrund. Ich „Berliner Straßenszene“ von Ernst Museen. Nordrhein-Westfalen stellt Zunehmend reagiert die Wissen- rikerinnen und Kunsthistoriker und Vermittelns etabliert. kann die sammelnden Einrichtungen Ludwig Kirchner aus dem Berliner Mittel zur Unterstützung der nord- schaft auf diese Anforderungen. flächendeckend auf die besonderen in Deutschland nur ermutigen, die Brücke-Museum – gemeinsam von rhein-westfälischen Museen bereit, Lehrangebote gibt es beispielsweise Anforderungen dieser Disziplin Und viertens müssen wir diese vorhandenen Strukturen zu nutzen Bund und Ländern die Arbeitsstelle um die Herkunft der dortigen Samm- an der Freien Universität Berlin und vorbereiten. Anstrengungen auch in die Öffent- und sich der Aufarbeitung zu stellen, für Provenienzforschung zur systema- lungsbestände zu erforschen. bald an der Universität Bonn, wo lichkeit tragen. Viele Menschen und junge Menschen, sich in diesem tischen Erforschung der öffentlichen die Krupp-Stiftung im vergangenen Zweitens müssen wir die internati- wollen wissen, wie die Werke in ihre spannenden und wichtigen Arbeits- Sammlungen gegründet. Ebenso wichtig ist jedoch die zuneh- Jahr die bundesweit ersten beiden onale Zusammenarbeit der Prove- Museen, Bibliotheken oder Archive feld zu professionalisieren. Es ist und mende Professionalisierung der Pro- Lehrstühle für Provenienzforschung nienzforschung ausbauen. Viele gekommen sind. bleibt eine Verpflichtung aus unserer Es bedurfte offensichtlich eines wei- venienzforschung als wissenschaft- eingerichtet hat. Kunstwerke, die jüdischen Sammlern Geschichte, diese Fälle aufzuklären teren spektakulären Falles, diesmal liche Fachdisziplin. Die Recherche geraubt und abgepresst wurden, Wenn inzwischen auch andere Fälle und für moralische wie materielle mit erheblichen internationalen findet in der Regel unter schwierigen Wie können wir erreichen, dass die sind vom NS-Regime ins Ausland von Kulturgüterverlagerungen in Gerechtigkeit zu sorgen, so gut das Auswirkungen – des sogenannten Bedingungen statt: Die meisten Zeit- Beschäftigung mit der Herkunft der verkauft worden. Internationale unser Blickfeld gelangen, die die heute noch möglich ist. Schwabinger Kunstfundes –, um zeugen sind mittlerweile verstorben. Objekte zukünftig ebenso selbstver- Standards und Transparenz durch unrechtmäßigen Enteignungen in 42 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 43

Prof. Dr. Johanna Wanka ist seit 2013 Bundesministerin für Bildung und D Forschung. Vorher war sie bereits Ministerin ie bürgerliche Verfassung in jedem und bürgernahen Demokratie. Diese in Niedersachsen und in Brandenburg und Staat soll republikanisch sein“, for- Zuständigkeitsverteilung führt je- Rektorin der Hochschule Merseburg. derte der große Philosoph Immanuel doch nicht dazu, dass der Bund – und Kant. In einem föderalen Staat wie damit das Interesse des Gesamtstaa- der Bundesrepublik Deutschland ver- tes – in der Bildungspolitik außen vor teilt die Verfassung die Kompeten- ist. Selbstverständlich arbeiten Bund zen zwischen Bund und Gliedstaaten und Länder innerhalb ihrer jeweili- Hälfte eines Jahrgangs erwirbt eine So sah das Grundgesetz in seiner derung von Wissenschaft, Forschung funktional und sachlich, zum einen gen Zuständigkeiten zusammen. Das Hochschulzugangsberechtigung. ursprünglichen Fassung eine klare und Lehre in Fällen überregionaler nach Art der zu erbringenden Leis- zeigt sich zum Beispiel im Gaststatus Und 87 Prozent der Bevölkerung Trennung zwischen Bundes- und Bedeutung erheblich erweitert. Da- tung – so obliegt in vielen Bereichen des Bundesministeriums für Bildung (25- bis 64-Jährige) verfügen entwe- Länderaufgaben vor; es gab keine von haben Bund und Länder bereits dem Bund die Gesetzgebung und und Forschung (BMBF) in der Stän- der über einen Hochschulabschluss, Gemeinschaftsaufgaben. Dennoch mit der 2016 beschlossenen Exzel- den Ländern der Vollzug der Gesetze digen Konferenz der Kultusminister die Hochschulreife oder eine abge- engagierte sich der Bund bereits in lenzstrategie Gebrauch gemacht. –, zum anderen nach thematischen in der Bundesrepublik Deutschland schlossene Berufsausbildung. den 1950er- und 1960er-Jahren, zum Über weitere Möglichkeiten der Bereichen. (KMK). Beispiel im Bereich der außeruniver- Anwendung sind Bund und Länder Das Grundgesetz (GG) überträgt dem sitären Forschungsförderung. Die im Gespräch. Durch mein Amt als Bundesministe- Ein gutes Beispiel für die politische Bund in der Bildungs- und Wissen- Gemeinschaftsaufgaben wurden erst rin und zuvor als Landesministerin Kooperation von Bund und Ländern schaftspolitik vielfältige Aufgaben. 1969 in das Grundgesetz eingefügt. Auch wenn dem Föderalismus ein in Brandenburg und Niedersachsen ist die beim Bildungsgipfel 2008 So ist der Bund im Bereich der kon- Artikel 91a GG sah als obligatorische gewisses Spannungsfeld innewohnt, kenne ich den Föderalismus aus bei- verabredete gemeinsame Quali- kurrierenden Gesetzgebung für das Gemeinschaftsaufgabe den allgemei- das unterschiedliche Interessen den Perspektiven – der landes- wie fizierungsinitiative. Mit ihr haben Bundesausbildungsförderungsgesetz nen Hochschulbau, Artikel 91b GG die ganz natürlich mit sich bringen, der bundespolitischen. Während es Bund und Länder den wegweisen- (BAföG) zuständig, dessen Leistungen Bildungsplanung und Forschungs- besteht kein Anlass, die dem Subsi- aus Landessicht in erster Linie darauf den Beschluss gefasst, den Anteil er seit dem 1. Januar 2015 allein finan- förderung im Falle überregionaler diaritätsprinzip folgende föderale ankommt, die eigene Gestaltungs- der Aufwendungen für Bildung ziert und die er zum Wintersemester Bedeutung vor. Kompetenzverteilung als „Koopera- befugnis zu erhalten und zugleich und Forschung gesamtstaatlich auf 2016/2017 substanziell erhöht hat. Mit tionsverbot“ zu diffamieren. Klare finanziell vom Bund unterstützt zu zehn Prozent des Bruttoinlandspro- dem Deutschlandstipendium hat der Mit der Föderalismusreform 2006 Zuständigkeiten beinhalten auch kla- werden, gilt es aus Bundessicht be- dukts zu steigern. Zudem haben sie Bund ein bundesweites Programm wurde wieder das Ziel einer stringen- re Verantwortung, der der jeweilige sonders, überregionale, gesamtstaat- über alle Bereiche hinweg, von der auf den Weg gebracht, das private teren politischen Verantwortlichkeit Akteur bei Inhalten und Finanzierung liche und internationale Zielsetzun- frühkindlichen Bildung bis zu den Mittelgeber in die Förderung der verfolgt. Zum Beispiel wurden mit gerecht werden muss. gen in Bildung und Wissenschaft zu Hochschulen, gemeinsam Ziele und Studierenden einbezieht. Innerhalb der Abschaffung der Gemeinschafts- verwirklichen. Maßnahmen vereinbart. weniger Jahre hat das Deutschland- aufgaben des allgemeinen Hoch- Für die Zukunft wünsche ich mir, dass stipendium zu einem bundesweiten schulbaus und der Bildungsplanung wir den Bildungsföderalismus zeit- Seit Gründung der Bundesrepublik Und das mit Erfolg: So ist beispiels- Kulturwandel beigetragen, zu einer die Zuständigkeiten entflochten. An gerecht fortentwickeln. Dabei sollten Deutschland sind die Schulen Sache weise der Anteil der Schulabgänger Stipendienkultur, die von Bund, die Stelle des allgemeinen Hoch- Bildungsgerechtigkeit sowie die Qua- der Länder. Aus gutem Grund: Ent- ohne Abschluss von acht auf 5,9 Hochschulen und privaten Förderern schulbaus rückten zunächst die lität von Bildung und Wissenschaft spricht dies doch einer sach-, orts- Prozent gesunken. Mehr als die getragen wird. Dieses Prinzip einer Entflechtungsmittel des Bundes, die im Vordergrund stehen. Bildungs- öffentlich-privaten Bildungspartner- im Zuge der 2017 neu geordneten abschlüsse sollten im gesamten schaft hat Zukunft. Mit dem Auf- Bund-Länder-Finanzbeziehungen Bundesgebiet vergleichbar sein und stiegs-BAföG haben Bund und Länder ab 2020 durch zusätzliche Umsatz- gleiche Chancen zum Beispiel beim seit 1996 mit einem Fördervolumen steueranteile für die Länder ersetzt Hochschulzugang eröffnen. Hier ist SPANNUNGSFELD von ca. acht Milliarden Euro rund werden. An die Stelle der früheren die KMK mit der fortschreitenden zwei Millionen berufliche Aufstiege Bildungsplanung trat die Gemein- Etablierung von Bildungsstandards Von der Landesministerin zu Führungskräften, Mittelständlern schaftsaufgabe zur Feststellung der auf einem guten Weg. und Ausbildern unterstützt. Leistungsfähigkeit des Bildungswe- sens im internationalen Vergleich, Auch dem technologischen Wan- Eine sachgerechte Kompetenzab- die nach den alarmierenden PISA-Er- del müssen wir Rechnung tragen. grenzung in der Verfassung ist nicht gebnissen die verfassungsrechtliche Deshalb setze ich mich dafür ein, FÖDERALISMUS trivial. Ein Blick auf die Historie, insbe- Grundlage für die internationale und das Vorhaben eines Digitalpakts im sondere auf die Gemeinschaftsaufga- nationale Bildungsberichterstattung Bereich der Schulen zu verwirklichen. zur Bundesministerin ben und den das Zusammenwirken geschaffen hat. Ich gehe davon aus, dass diese wich- von Bund und Ländern in Bildung tige bildungspolitische Maßnahme in und Wissenschaft regelnden Artikel Auf Initiative des BMBF und mit der nächsten Legislaturperiode zügig 91b GG zeigt, dass die Intensität der Zustimmung aller Länder wurde umgesetzt werden kann. UND BUNDESEBENE Kooperation von Bund und Ländern schließlich zum 1. Januar 2015 Artikel von einer deutlichen Wellenbewe- 91b GG reformiert und damit die gung gekennzeichnet ist. Kooperationsmöglichkeit bei der För- 44 45

358. Plenarsitzung in Stuttgart am 02.

Blick ins Arbeitszimmer des Generalsekretärs 1962

06.

2017

01. 2017 30 Jahre Erasmus-Veranstaltung 06. 1958 in Berlin am 24.

66. Plenarssitzung in Konstanz am 19./20.

02. 1998

50 Jahre Kultusministerkonferenz am 26.

64. Plenarssitzung 1958 in Braunschweig am 24./25. 04.

Konferenz der deutschen 02. Erziehungsminister 1948 in Stuttgart am 19./20. 46 47

227. Amtschefskonferenz in Bonn am 08.

09. 2016

am 01./02. am

Trier in Plenarssitzung 103.

10.

1964

56. Plenarssitzung in Hamburg am 13./14.

12. 1956

Im Archiv der Kultusminister konferenz, Nassestraße 8 - Präsidentschaftsübergabe 2015

355. Kultusministerkonferenz in Bremen

durch die Kultusminister und -senatoren am 01. am -senatoren und Kultusminister die durch Besichtigung des Neubaus des Sekretariats (Nassestraße 8) 8) (Nassestraße Sekretariats des Neubaus des Besichtigung

am 06./07. 10. 2016

Im Sekretariat Nassestraße 8

07.

1965 48 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 49 BEWÄHRUNGSPROBE „Das Deutsche Sprachdiplom hat es mir ermöglicht, Das deutsche Sprachdiplom – mit einem DAAD-Stipendium an einer deutschen Top-Universität zu studieren. In dieser wichtigen ein Instrument der Erstintegration Lebensphase konnte ich somit neben der Wissen- schaft die deutsche Kultur und Gesellschaft kennen- lernen, die meine Werte und mein Selbstbild nach- haltig geprägt haben.“ BESTANDEN! Dr. Yin Cai, heute Head of Functional Module Sample ID and Quality Check bei Roche.

Die Kultusministerkonferenz verfügt mit dem Deut- Beschluss der Kultusministerkonfe- Die Idee, das DSD auch im Rahmen darüber abgestellt ist. Bereits bei schen Sprachdiplom über ein ausgereiftes schulisches renz den Nachweis der für den Besuch der Erstintegration von Schülerinnen seinem ersten Einsatz erreichte das Instrument für die sprachliche Erstintegration von eines Studienkollegs in Deutschland und Schülern mit Migrationshinter- DSD I PRO in diesem Jahr knapp 3000 notwendigen Deutschkenntnisse grund in Deutschland einzusetzen, Schülerinnen und Schüler im Inland. Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrations- dar. Im Falle der neu zugewanderten entstand vor ca. 10 Jahren. Nach Ver- oder Fluchthintergrund. Im Jahr 2017 nahmen über 6700 Schülerinnen und Schüler im Inland abschiedung der hierfür notwendigen In den vergangenen Jahren hat sich Schülerinnen und Schüler aus Willkommensklassen an bestätigt das DSD I die sprachliche Gremienbeschlüsse startete 2011 eine gezeigt, dass der Einsatz des DSD I den Prüfungen zum DSD I im Inland teil. Dabei erreichte Befähigung, einen deutschsprachi- erfolgreiche Pilotphase für Schüle- auch eine positive Wirkung auf den knapp die Hälfte die Niveaustufe B 1 des Gemeinsamen gen Fachunterricht zu besuchen. Mit rinnen und Schüler in Hamburger Unterricht in Deutsch als Fremdspra- dem Deutschen Sprachdiplom der Vorbereitungsklassen, die direkt nach che oder Zweitsprache hat. Lehrerin- Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Kultusministerkonferenz – Zweite der Zuwanderung die Sekundarstufe nen und Lehrer, die neu zugewanderte Stufe (DSD II) werden die für ein Stu- besuchten. Die Kultusministerkonfe- Schüler erfolgreich auf das DSD I dium an einer deutschen Hochschule renz erlaubte im Dezember 2012 den vorbereiten wollen, müssen in ihrem Thomas Mayer notwendigen Deutschkenntnisse Einsatz durch alle interessierten Län- Fremdsprachenunterricht alle vier ist als bayerischer Ministerialbeamter nachgewiesen. DSD I und DSD II sind der der Bundesrepublik. Im Jahr 2017 Kompetenzbereiche gleichermaßen seit 2013 der Vorsitzende des Zentralen sogenannte Stufenprüfungen: Mit führten 10 Länder insgesamt rund kontinuierlich entwickeln. Man kann Ausschusses des Deutschen dem DSD I werden Sprachkenntnisse 6800 Sprachdiplomprüfungen durch, also feststellen, dass der Unterricht Sprachdiploms. auf der Niveaustufe A2 bzw. B1 nach- nämlich Bayern, Berlin, Brandenburg, in Vorbereitungsklassen mit dem Ziel D gewiesen, mit dem DSD II das Sprach- Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklen- DSD I auf eine breit angelegte sprach- as Deutsche Sprachdiplom der Vorbereitung und Durchführung Kooperationsprojektes mit Frankreich niveau B2 bzw. C1 des Gemeinsamen burg-Vorpommern, Niedersachsen, liche Kompetenzentwicklung abzielt. Kultusministerkonferenz ist ein ge- der Prüfungen, die Festlegung der im Jahr 2005 und die Initiative des Europäischen Referenzrahmens für Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Außerdem ist der Unterricht kom- meinsames Bildungsprojekt von Bund Prüfungsaufgaben, die Bewertung der Auswärtigen Amtes „Schulen: Partner Sprachen. Holstein. Es ist damit zu rechnen, munikativ aufgebaut und in seiner und Ländern, das im schulischen Prüfungsleistungen sowie die Zu- der Zukunft“ (PASCH) im Jahr 2008 dass sich in den nächsten Jahren die Projektorientierung schülerzentriert. Unterricht erworbene Deutsch- erkennung der Diplome. Das Sekreta- führten zum sprunghaften Anstieg Die Prüfungen auf beiden Stufen glie- Zahl der teilnehmenden Länder sowie Flankierende Maßnahmen wie schul- kenntnisse auf der Grundlage einer riat der Kultusministerkonferenz fun- der Prüfungszahlen. Heute nehmen dern sich in vier Teile, mit denen die die Anzahl der Prüfungen weiter übergreifende DSD-Sprachcamps, standardisierten Prüfung beschei- giert als Geschäftsstelle des Zentralen an den Sprachdiplomprüfungen rund Kompetenzen Leseverstehen, Hörver- erhöhen werden. Schülerzeitungswerkstätten oder nigt. Seit dem Jahr 2011 wird es als Ausschusses. 80 000 Schülerinnen und Schüler pro stehen, schriftliche Kommunikation Teilnahmen an „Jugend debattiert“ integrationspolitisches Instrument an Jahr in mehr als 70 Ländern teil. Da und mündliche Kommunikation abge- Die Prüfungen zum DSD I sind in ers- unterstützen diese unterrichtlichen Schulen in Deutschland eingesetzt, Diese Kooperation besteht seit dem sich das Deutsche Sprachdiplom der prüft werden. Auf den Diplomen wird ter Linie für Schülerinnen und Schüler Ziele und erweitern den Lernort über im Auslandsschulwesen bereits seit Beschluss der Kultusministerkon- Kultusministerkonferenz nicht als rei- das erreichte Niveau für jeden der vier im Alter von 14 bis 16 Jahren an allge- die Schule hinaus. über 40 Jahren. Die Verantwortung ferenz aus dem Jahr 1972, in dessen ner Sprachtest versteht, sondern als Kompetenzbereiche ausgewiesen. meinbildenden Schulen entwickelt für das DSD trägt der Zentrale Aus- Folge 1974 die ersten Sprachdiplom- schulisches Programm für Deutsch als Die drei Teilprüfungen Leseverste- worden. Für ältere Schülerinnen und Mit dem Einsatz des DSD I im Inland schuss, in dem drei Vertreterinnen prüfungen an einigen Deutschen Fremdsprache, besucht der größte Teil hen, Hörverstehen und schriftliche Schüler und solche in berufsbilden- ergibt sich für zurückkehrende Aus- des Bundes (Auswärtiges Amt und Auslandsschulen in Südamerika der Prüflinge staatliche oder private Kommunikation werden zu zentra- den Schulen wird seit diesem Jahr das landslehrkräfte ein weiteres Betä- Bundesverwaltungsamt – Zentral- durchgeführt wurden. Seit damals Schulen in den jeweiligen Staaten. len Terminen mit einem weltweit DSD I PRO angeboten, eine Variante tigungsfeld: Diese Lehrerinnen und stelle für das Auslandsschulwesen) sind die Prüfungszahlen stetig gestie- einheitlichen Prüfungssatz schriftlich des Prüfungsformats, die sowohl bei Lehrer bringen durch ihren Einsatz sowie drei Ländervertreterinnen und gen. Besonders die außenkulturpoli- Das DSD kann in zwei Stufen erwor- durchgeführt. Der Teilbereich Mündli- den Textsorten als auch den Inhalten an Deutschen Auslandsschulen oder -vertreter aus Niedersachsen, Hessen tischen Weichenstellungen in Mittel- ben werden: Das Deutsche Sprach- che Kommunikation folgt in Form von stärker berufsvorbereitende Elemente DSD-Schulen im Ausland umfangrei- und Bayern zusammenarbeiten. Seine und Osteuropa nach dem Ende der diplom der Kultusministerkonferenz Einzelprüfungen. berücksichtigt und auf eine etwas che Kenntnisse im Bereich des DaF- Aufgaben sind die organisatorische Sowjetunion, die Vereinbarung eines – Erste Stufe (DSD I) stellt gemäß ältere Zielgruppe von 16 Jahren und und DaZ-Unterrichts mit. 50 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 51

bei der Bewertung ausländischer ob die Ausbildung im Herkunfts- in ein anderes Leben geöffnet. Jetzt Zeugnisse zu unterstützen. Seit 1958 land wesentliche Unterschiede im muss ich nur noch hindurchgehen.“ ist die ZAB Bestandteil des Sekretari- Vergleich zur deutschen Ausbildung Im Jahr 2017 hat die ZAB ca. 22 000 ats der Kultusministerkonferenz am aufweist. Zeugnisbewertungen ausgestellt Standort Bonn. und damit Perspektiven und Lebens- Besondere Bedeutung hat die Arbeit chancen eröffnet! Die Bedeutung der ZAB ist in den der ZAB bei den Berufen, für die es in SIE HABEN MIR EINE vergangenen Jahren stetig ge- Deutschland staatliche Zugangsbe- Inhaber eines ausländischen Be- » wachsen. Und zwar aus folgenden stimmungen gibt (den sogenannten rufsabschlusses, der in Deutschland Gründen: reglementierten Berufen), wie z. B. in einer schulischen Berufsausbildung Zum einen haben hierzu seit 2012 den Lehrerberufen: entspricht, können sich dies in Form TÜR IN EIN ANDERES die Anerkennungsgesetze von Bund eines Gleichwertigkeitsbescheids und Ländern in Verbindung mit den Ist der Inhaber einer türkischen bestätigen lassen. Auch dieser Be- Anwerbemaßnahmen zur Fachkräf- „Lisans“ berechtigt, als Lehrer in scheid erleichtert den Zugang zum tesicherung in Deutschland beige- Deutschland zu arbeiten? Kann ein deutschen Arbeitsmarkt. tragen, auf die immer mehr hoch griechischer „nomikos“ als Lehrer LEBEN GEÖFFNET« qualifizierte Menschen aus aller Welt für Politik eingesetzt werden? Darf Im Jahr 2016 wurde die Gutachten- reagieren. der kirgisische „muhalim“ oder der stelle für Gesundheitsberufe in der Hierzu trägt aber auch die Zuwan- georgische „mascavlebeli“ auch in ZAB eingerichtet. Das neu einge- Die Arbeit der Zentralstelle für ausländisches derung aus süd- und südosteuro- der Sekundarstufe II unterrichten? stellte medizinische Fachpersonal päischen Staaten der Europäischen unterstützt die Anerkennungsstellen Bildungswesen eröffnet Perspektiven und Union bei – junge Fachkräfte und Mit dem Informationsportal ‚anabin' der Länder bei der gesetzlich vorge- Hochschulabsolventen suchen bes- macht die ZAB ihre Bewertungen schriebenen detaillierten Bewertung Lebenschancen sere Beschäftigungsmöglichkeiten in auch der Öffentlichkeit zugäng- ausländischer Gesundheitsberufe. Deutschland. lich. ‚anabin‘ informiert über die Bildungssysteme von 180 Staaten, Die ZAB leistet durch ihre gutacht- In den letzten Jahren spielte zudem verzeichnet 30 000 ausländische liche und beratende Arbeit für alle die Bewertung von Qualifikationen Hochschulen, bewertet 27 000 Länder, für die Anerkennungsbe- Geflüchteter eine wichtige Rolle. Für ausländische Hochschulabschlüsse hörden und für private Auskunfts- ihre Integration in Ausbildung und und 1 600 Hochschulzugangsqualifi- suchende einen entscheidenden Beruf ist die Anerkennung ihrer in kationen. Beitrag zur Qualitätssicherung im D der Heimat erworbenen Qualifikatio- Bereich der Anerkennung von Qua- ie Zentralstelle für ausländisches Dienstleistungen für Privatpersonen. nen von entscheidender Bedeutung. Seit 2010 stellt die ZAB auf Antrag lifikationen, zur beruflichen Integra- Bildungswesen (ZAB) im Sekretariat Etwa 100 Mitarbeiterinnen und eine individuelle Zeugnisbewertung tion von ausländischen Fachkräften der Kultusministerkonferenz ist das Mitarbeiter beobachten und analy- Für die Anerkennung ist – je nach für ausländische Hochschulabschlüs- und damit zur Integration der Men- Kompetenzzentrum der Länder für sieren dazu die Bildungssysteme von Anerkennungsziel – eine Vielzahl un- se aus. Diese beschreibt die auslän- schen, die ihre berufliche und private die Bewertung und Anerkennung über 180 Staaten, erstellen Gutach- terschiedlicher Stellen in den Ländern dische Qualifikation, nennt die Ebene Zukunft in Deutschland suchen. ausländischer Bildungsnachweise in ten und Zeugnisbewertungen und zuständig. des entsprechenden deutschen Deutschland. beantworten Anfragen von Behörden Abschlusses (zum Beispiel Bachelor- und Privatpersonen – rund 2 000 Diese Stellen können die ZAB um oder Masterebene) und bescheinigt Über 40 000 Anfragen von Aner- Anrufe und 5 000 Mails pro Monat. ein Gutachten zu einer konkreten ihre beruflichen und akademischen kennungsbehörden und Anerken- Alle sind hoch qualifizierte Fachkräfte ausländischen Qualifikation oder um Verwendungsmöglichkeiten in nung Suchenden erreichten die und Spezialisten für die Länder, deren Informationen zum Bildungssystem Deutschland. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Qualifikationen sie bewerten. Sie des betreffenden Landes bitten. Im im vergangenen Jahr. Denn die ZAB beherrschen zusammen mehr als 30 Bereich der akademischen Anerken- Die ZAB trägt damit entscheidend informiert und berät alle deutschen Fremdsprachen. So ist gewährleistet, nung berät die ZAB Hochschulen und dazu bei, Personen mit ausländi- Behörden, Bildungsinstitutionen dass sie Zeugnisse und Gesetzestexte gibt Empfehlungen zur Bachelor-, schem Hochschulabschluss den Zu- und öffentlichen Einrichtungen, die in der Originalsprache lesen und Infor- Master- und Promotionszulassung gang zum deutschen Arbeitsmarkt mit der Anerkennung von ausländi- mationen recherchieren können. sowie zur Anrechnung von Studien- zu erleichtern: „Ich bin vor 20 Jahren Heidi Weidenbach-Mattar schen Qualifikationen befasst sind. leistungen. Bei der beruflichen Aner- nach Deutschland gekommen, hatte wurde 2013 die Ständige Vertreterin des Dies umfasst ein breites Spektrum Die Geschichte der ZAB geht bis auf kennung wird die ZAB um Auskunft aber bisher keine Gelegenheit, mei- Generalsekretärs der Kultusminister- von Schulabschlüssen, Studien- und das Jahr 1905 zurück. Damals grün- gebeten, welchem deutschen Beruf nen Hochschulabschluss anerkennen konferenz, nachdem sie mehrere Jahre Prüfungsleistungen, Hochschulab- dete das preußische Kultusministe- eine ausländische Qualifikation zu lassen“, berichtete eine Frau aus im heutigen Ministerium schlüssen bis hin zu Berufsabschlüs- rium eine zentrale Auskunftsstelle zuzuordnen ist. Die ZAB benennt den Kolumbien. Ein junger Mann aus für Kultur und Wissenschaft des Landes sen. Darüber hinaus erbringt sie mit der Aufgabe, die Universitäten deutschen Referenzberuf und prüft, Slowenien: „Sie haben mir eine Tür Nordrhein-Westfalen tätig war. 52 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 53

Jeremy Issacharoff ist seit dem 29. August 2017 Botschafter MEINE VERBINDUNG ZU des Staates Israel in der Bundesrepublik » Deutschland. Zuvor war er Vize-General- direktor im Außenministerium in DEUTSCHLAND IST MEHR Jerusalem. החיבור שליALS DIE GESPROCHENE לגרמניה הוא SPRACHE « Ein Interview mit dem neuen israelischen Botschafter in Berlinמעבר לשפה Philip Kuhn: Herr Botschafter, seit dem vergangenen ist wichtig, dass gerade junge Deutsche dieses moderne Jahr gibt es erstmals Deutsch an israelischen Schulen als Israel zu Gesicht bekommen. Wahlpflichtfach. Schüler haben dann an entsprechenden Schulen, die Möglichkeit, Deutsch als zweite Fremdsprache Kuhn: Israels Premier Benjamin Netanjahu hat einst erklärt, zu lernen. Eine historische Entscheidung, oder? dass er es nicht gern sieht, wenn junge Israelis in Scha- .ren ihr Land verlassen – zum Beispiel in Richtung Berlin המדוברת Jeremy Issacharoff: Dieses Abkommen muss man vor dem Überspitzt gefragt: Ist es da nicht kontraproduktiv jungen Hintergrund verstehen, wie sich das Verhältnis zwischen Israelis Deutsch in der Schule anzubieten? Deutschland und Israel in den vergangenen Jahren ent- wickelt hat. Ich bin sehr angetan davon, wie sich der Blick Issacharoff: Ich glaube nicht, dass die Gefahr eines gene- Israels und der Israelis auf Deutschland zum Positiven ver- rellen Exodus besteht. Natürlich kann es sein, dass dieje- ändert hat. Beide Länder haben sich über die Jahrzehnte nigen Kinder, die nun Deutsch lernen, auch in Deutsch- hinweg stark angenähert. Da ist es eine logische Entwick- land studieren wollen. Vielleicht kommen sie dann nach lung, dass israelische Schüler nun auch Deutsch lernen Israel zurück und gründen hier Unternehmen, die eng mit können. Auf der anderen Seite wünsche ich mir, dass sich Deutschland verbunden sind. Wir sind ein freies Land, so deutsche Schüler noch intensiver mit Israel beschäftigen etwas kann man nicht kontrollieren. Wir brauchen einen – grundsätzlich müssen wir Kindern auf beiden Seiten die aktiven Austausch zwischen unseren beiden Völkern. Das Kultur des anderen Landes nahebringen. wird unser gegenseitiges Verhältnis weiter stärken.

Kuhn: Wo haben deutsche Schüler noch Nachholbedarf? Kuhn: Bevor Sie nach Berlin entsandt wurden, gab es in Israel eine Debatte über Ihre nicht vorhandenen Deutsch- Issacharoff: Es ist gut und wichtig, dass nun so viele junge kenntnisse. Tenor: So einen kann man dort nicht hinschi- Israelis Berlin und Deutschland entdecken. Ich wünsche cken. Wie sehr hat sie das getroffen? mir aber auch, dass gleichaltrige Deutsche noch stärker als bisher Israel besuchen. Und ich wünsche mir, dass das Issacharoff: Mein Deutsch wird jeden Tag besser, ich Wissen um unsere gemeinsame Geschichte nicht auf mache Fortschritte. Und ich kann Ihnen versichern: Seit zwölf Jahre NS-Herrschaft beschränkt bleibt. Israel ist August habe ich viele wichtige Verhandlungen geführt heute eine sehr dynamische Gesellschaft, ein Land, in dem und an keiner Stelle hat sich irgendjemand über fehlende junge Leute nicht nur ausgiebig feiern und das Leben ge- Sprachkenntnisse beklagt. Mein Verhältnis zu Deutsch- nießen, sondern sich anschicken, das Land zu verändern. Es land geht über eine gemeinsame Sprache hinaus. 54 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 55

mich mit dem Verhältnis unserer beiden Länder. Das ist für mich die größte und wichtigste Aufgabe. Ich bereue .nichts אנחנו צריכים עוד

Kuhn: Wenn wir schon über Bereuen reden: Ihr Sohn ist einer der Sprecher der israelischen regierungskritischen פעילויות של חילופים Organisation „Breaking the Silence“, die mutmaßliche Ver- brechen der israelischen Armee anprangert. Sie arbeiten für Autor: Philip Kuhn die Regierung. Wie passt das zusammen? ist Redakteur für „Die Welt“. Dort בין שני העמים. schreibt er vornehmlich über Flücht- Issacharoff: Ich bereue nichts, was meine Kinder angeht lingspolitik, Islamismus und Israel. (lacht). Mein Sohn war fünf Jahre Soldat, er hat im letzten Krieg in Gaza gekämpft. Jetzt ist er Sprecher für „Breaking ההדדיות תחזק יותר »WIR BRAUCHEN NOCH MEHR the Silence“ und studiert. Wissen Sie: Eltern geben den Kindern Wurzeln und Flügel, mehr nicht. Er ist seinen Weg AUSTAUSCH. ZWISCHEN gegangen und ich meinen. Er ist mein Sohn und ich liebe את AKTIVENהקשר בנינו ihn. Und dass wir beide so unterschiedliche Dinge tun, UNSEREN BEIDEN VÖLKERN. DIESE spielt auf dieser Ebene keine Rolle. Manchmal hört mir mein Sohn zu und manchmal nicht. Wissen Sie, mein Vater war in der Untergrundarmee Etzel, er hat gegen die Briten WECHSELWIRKUNG WIRD UNSER gekämpft. Diese Heterogenität, das ist die Geschichte Isra- els: Jeder sollte an seinen eigenen Taten gemessen werden. VERHÄLTNIS STÄRKEN«

Bereits in der Vergangenheit habe ich sehr intensive Kuhn: Ihr Vorgänger im Amt des Botschafters, Yakov Gespräche mit deutschen Kollegen geführt, zum Bei- Hadas-Handelsman, hat einmal gesagt, dass es während spiel über strategische Interessen, die den Iran oder den seiner Kindheit wie selbstverständlich keine deutschen Pro- Umgang mit der Hisbollah betreffen. Und Sie können mir dukte im Haushalt gab. War das bei Ihnen ähnlich? glauben: Wir haben uns prima verstanden. Issacharoff: Natürlich hatten wir früher ein völlig anderes Kuhn: Wie überall in Europa ist auch in Deutschland Bild von Deutschland. In den 1960er-Jahren waren die Antisemitismus ein Problem. In den vergangenen Jahren Themen Krieg und Holocaust in Israel sehr präsent. gab es zahllose Vorfälle, auf einigen deutschen Schulhöfen Allerdings war meine Familie durch den Holocaust nicht ist „Jude” ein gebräuchliches Schimpfwort. Wie bringen wir direkt betroffen. Zum ersten Mal war ich auf familiärer den vielen jungen Flüchtlingen, die in unser Land kommen Ebene direkt damit konfrontiert, als ich meine Frau Laura und unsere Schulen besuchen, bei, dass Antisemitismus geheiratet habe, deren Familie aus Dortmund stammt gesellschaftlich geächtet ist? und deren Großvater nach Auschwitz deportiert und dort dokumente zur deutsch-israelischen vergast wurde. bildungszusammenarbeit Issacharoff: Natürlich sind einige Syrer, die in den vergan- 2013: Gemeinsame Absichtserklärung zwischen Broschüren genen Jahren nach Deutschland geflüchtet sind, zuvor Kuhn: Sie sind in London aufgewachsen, erst mit 18 Jahren Kultusministerkonferenz und Yad Vashem jahrelanger Gehirnwäsche durch das syrische Regime aus- nach Israel gekommen. Haben Sie jemals darüber nachge- 2015: „Erinnern für die Zukunft – Deutsch-israelische gesetzt gewesen. Für solche Menschen ist Israel, sind Juden dacht, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie in England 2014: Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Bildungszusammenarbeit“ der Feind. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat geblieben wären? Erinnerungskultur als Gegenstand historisch-politi- Herausgegeben aus Anlass des 50. Jahrestages der bei seinem Israel-Besuch im Mai 2017 klargestellt, dass es scher Bildung in der Schule Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Teil der deutschen Identität sei, für Israel, für den Juden- Issacharoff: Als ich beschlossen habe, nach Israel zu gehen, 2015: Gemeinsame Absichtserklärung zwischen staat Verantwortung zu tragen und einzustehen. Und war das eine sehr persönliche, gut durchdachte Entschei- Kultusministerkonferenz, Auswärtigem Amt und 2015: „Deutschland und Israel – Stationen eines jeder, der nach Deutschland kommt, wird Teil dieser dung. Meine Eltern sind ja dort geboren. Das war also israelischem Bildungsministerium zur Zusammen- einzigartigen Verhältnisses“ Identität. Insofern gilt das auch für syrische oder andere immer ein stärkerer Teil meiner Identität als derjenige, arbeit bei der Förderung der deutschen Sprache in Eine kommentierte Quellensammlung für den Flüchtlinge. Antisemitismus ist eine Gefahr – egal von englisch zu sein. Ich hätte als Anwalt in London vielleicht ausgewählten israelischen Schulen Geschichts- und Politikunterricht. welcher Seite er kommt, und er passt nicht zu dem Bild sehr viel Geld verdienen können. Aber ich spüre, dass des modernen Deutschlands. ich als Diplomat genau das Richtige tue. Ich beschäftige 2015: Kommuniqué zur deutsch-israelischen Bil- dungszusammenarbeit 56 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 57

Über den Pädagogischen Austauschdienst

„Austausch bildet“ lautet das Motto des Pädagogischen Austauschdienstes (PAD), der 1952 durch einen Beschluss der Kultusminister der Länder eingerichtet wurde und heute eine Abteilung im Bonner Sekretariat der KMK ist. Rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter koordinieren heute etwa 40 Programme für den europäischen und internationalen Austausch. Ihre Arbeit kommt jedes Jahr rund 35 000 Schü- lerinnen und Schülern, Lehramtsstudierenden, Lehrkräften und Bildungsfachleuten zugute.

Mit meinen Schülerinnen und Schülern trete ich während des Unterrichts regelmäßig mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt. So VON COMENIUS haben wir mit unseren Partnerklassen in Frankreich und Spanien Shakespeare in die Gegenwart geholt und Macbeth Zusammen mit Schülern aus an- zu einer neuen Identität verholfen. deren Staaten forschen wir über ZU ERASMUS+ erneuerbare Energien und entwickeln Jana Tokaryk unterrichtet Englisch und Franzö- sisch am Romain-Rolland-Gymnasium in Berlin. neuartige Lernmaterialien. Damit schaf- Für europäische Schülerprojekte im Internet fen wir etwas, was die einzelne Schule nutzt sie die Plattform von eTwinning. niemals erreichen könnte. Und im Der 30. Geburtstag des Erasmus- Der Austausch mit Kolleginnen Austausch mit unseren europäischen Programms für den akademischen und Kollegen in Europa ermög- Partnern erlernen unsere Schülerinnen licht es uns, neue Wege für Heraus- Austausch, der 2017 gefeiert wurde, war und Schüler praxisbezogen und ganz forderungen in unserem Schulalltag auch für Schulen ein Grund zur Freude. natürlich die Fremdsprache Englisch. zu finden. Job-Shadowings an unserer Denn COMENIUS und Erasmus+ bringen Partnerschule in Wales haben uns Dr. Jürgen Braun unterrichtet Biologie, die europäische Idee auch ins Klassen- gezeigt, wie sich digitale Medien Chemie und Biotechnologie an der Johanna- Wittum-Schule in Pforzheim (Baden-Württem- zimmer. Mitmachen, etwas bewegen und besser im Unterricht mit autistischen berg). Zur Kooperation mit anderen Bildungsein- anderen begegnen – tausende Schulen Schülern einbinden lassen. richtungen in Europa nutzt die Schule Leitaktion haben sich seit Mitte der 1990er-Jahre auf 2 des Programms Erasmus+ Schulbildung. den Weg nach Europa gemacht. Wolfgang Janus leitet die Don-Bosco- Schule Lippstadt, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung im Kreis Soest (Nordrhein-Westfalen). Für Fortbildun- gen und Job-Shadowings im europäischen Ausland nutzt die Schule Leitaktion 1 des Programms Erasmus+ Schulbildung.

erasmus+ im überblick Erasmus+ ist das Programm für Bildung, Jugend und Sport der Europäischen Union und läuft von 2014 bis 2020. Das Programm soll Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit verbessern sowie die Modernisierung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung voranbringen. Zu den prioritären Zielen im Schulbereich zählen die Verbesserung der Bildungschancen von benachtei- ligten Kindern und Jugendlichen, die Vermeidung von Schulabbruch und die Förderung der Kompetenzen von Lehrkräften und Schulleitungen. Der PAD ist im Auftrag der Länder die Nationale Agentur für EU-Programme im Schulbe- reich und Nationale Koordinierungsstelle für eTwinning. 58 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 59

GESCHMACKSSACHE »ICH EMPFEHLE Ob deutscher Spargel oder amerikanischer Burger: Was Schülerinnen und Schülern während eines Austauschs im Gastland als Spezialität serviert bekommen, trifft nicht immer sofort ihren Geschmack. ALLEN STUDIERENDEN Für Stephanie Hausotter aus New Mexico und Christoph Lehner aus Bayern war das jedoch kein Grund, nicht wieder zurückzukehren. EINEN AUFENTHALT Inzwischen leben und arbeiten sie in dem Land, das sie mit dem German American Partnership Program (GAPP) kennengelernt haben. IM AUSLAND«

esse ich sogar sehr gerne Spargel“, bruder Benjamin und dem Land sagt sie. Und den kauft sie auf dem der unbegrenzten Möglichkeiten. Wochenmarkt in ihrem Berliner Kiez Nach seinem ersten Besuch im Jahr Herr Professor Reimann, vor einer Klas- Mit welchen Argumenten würden Sie im Prenzlauer Berg, wo die studierte 2000 kam er immer wieder – erst Prof. Dr. Daniel Reimann se zu stehen war Ihnen nicht fremd, Studierenden, zumal denen für das Germanistin inzwischen lebt und mit Freunden, mit denen er die lehrt und forscht als Fachdidaktiker als Sie sich gegen Ende Ihres Studiums Lehramt, solche Aufenthalte ans Herz für das deutsch-amerikanische Bard USA auf ausgedehnten Roadtrips am Institut für Romanische Spra- als Fremdsprachenassistent beworben legen, wenn diese angesichts ihres eng College arbeitet. Hier berät sie Stu- erkundete, dann als Physikstudent. chen und Literaturen der Universität haben. Warum hatte das Programm getakteten Studiums Skepsis äußern? Ausgerechnet der Deutschen liebstes denten aus über 60 Ländern. »Ohne Vor sieben Jahren schließlich, nach Duisburg-Essen. 1999/2000 war er trotzdem einen so großen Reiz für Sie? Gemüse war es, das Stephanie Haus- den GAPP-Austausch wäre ich sicher erfolgreicher Promotion, packte er Fremdsprachenassistent in Italien. Ich drücke meinen Studierenden otter am guten Geschmack ihrer nicht hier«, erzählt die 34-Jährige. die Umzugskisten und zog mit seiner Ich hatte schon einige Jahre an gegenüber immer wieder mein Gastgeber zweifeln ließ – damals im Familie von Bayern nach Babylon, Volkshochschulen mit Erwachsenen Bedauern aus, dass sie unter einem Juni 1999, als sie für einen Monat ins einem beschaulichen Ort auf Long gearbeitet und Jugendgruppen bei Druck stehen, den meine Generation niedersächsische Nienburg kam. Die Island. Seine Arbeitsstätte ist dort Seine Italienischlehrer hatten Austauschen begleitet. Dennoch war so nicht kannte. Dennoch empfehle edlen Stangen gedeihen hier beson- das Brookhaven National Laboratory, ihn für das Land und dessen es ein lange gehegter Traum, einmal ich allen, sich die Zeit für einen mög- ders gut. Kein Wunder also, dass die eine der renommiertesten naturwis- Sprache begeistert. Als Fremd- als Fremdsprachenassistent an einer lichst langen Aufenthalt im Ausland Gasteltern der damals 15-Jährigen senschaftlichen Forschungsstätten sprachenassistent verbrachte Schule im Ausland tätig zu sein und zu nehmen. Es ist etwas anderes, ob diese Spezialität nicht vorenthalten des Landes. Ihr Motto „A Passion den Alltag dort kennenlernen zu ich in den Semesterferien vier Mal für Daniel Reimann später ein Jahr wollten. Erwartungsvoll schauten for Discovery“ passt perfekt zu dem können. Als Schüler hatte ich selbst jeweils einen Monat oder aber vier, an einer Schule in Padua. Heute Gastschwester Anja und deren Kulinarisches kommt auch Christoph deutschen Wissenschaftler, der Fremdsprachenassistenten im Unter- wenn nicht sogar sechs oder neun Familie deshalb Stephanie an, als Lehner in den Sinn, wenn er sich an sich hier mit Leidenschaft seinem bildet er als Fachdidaktiker richt erlebt. Spätestens mit Beginn Monate ohne Unterbrechung im der Spargel serviert wurde. „Ich habe seinen ersten Aufenthalt in den USA Fachgebiet, der Hochenergiephy- angehende Fremdsprachen- des Studiums stand deshalb für mich Ausland lebe. Inter- und transkultu- nur gekaut und gekaut und kaum erinnert. Als 16-Jähriger verbrach- sik, widmen kann. „GAPP war einer lehrkräfte aus – und empfiehlt fest, dass ich das machen wollte. relle Kompetenz kann man eigentlich etwas runter gekriegt und irgend- te der Bayer aus Dingolfing drei von vielen Bausteinen, über die ich ihnen einen längeren Studien- nur durch das längerfristige Leben vor wann konnte ich nicht mehr“, erzählt Wochen in der Metropole Cincinnati in die USA gekommen bin. Durch aufenthalt in einem Land der Was haben Sie als Fremdsprachenassis- Ort erwerben. Insofern würde ich trotz Stephanie Hausotter heute lachend. im Bundesstaat Ohio. Es dauerte den Austausch bin ich viel offener Sprache, die sie später unter- tent gelernt? aller äußeren Zwänge einem Studien- Erst Jahre später habe sie verstan- nicht lange, da wünschte er sich, geworden, habe meine Ansichten jahr im Ausland immer den Vorzug ge- richten wollen. den, dass er damals wohl nicht Burger gegen Brezen eintauschen hinterfragt und Vorurteile abgebaut. Was das Fachliche betrifft, konnte ben – gerade bei Fremdsprachenphi- richtig geschält worden war und ihr zu können. „Die haben mir wirklich Das betrachte ich als großen Nutzen ich mich in „Deutsch als Fremdspra- lologinnen und -philologen. Dass das deshalb keine Freude bereiten konn- gefehlt“, seufzt der 33-Jährige. Auch und ich wünsche mir, dass möglichst che“ einarbeiten. Als Nichtgermanist Fremdsprachenassistentenprogramm te. Das kulinarische Missverständnis für ihn war der Schüleraustausch viele Schüler das ebenfalls erleben waren mir viele grammatikalische neben der Förderung der sprachli- hat ihr Interesse an Deutschland der Beginn einer langjährigen können“, sagt er heute im Rückblick. Zusammenhänge vorher so nicht be- chen Kompetenz einen realistischen aber nicht geschmälert. „Inzwischen Freundschaft – mit seinem Gast- wusst. Darüber hinaus konnte ich mir Einblick in den Beruf ermöglicht, sollte neue landeskundliche Themenfelder ebenfalls nicht unterschätzt werden. erschließen. Und schließlich meine ich, eine größere Souveränität und über schulpartnerschaften Routine im Umgang mit Schülerinnen und Schülern und einen tieferen Ein- Schulpartnerschaften in Deutschland blicken auf eine lange Tradition zurück. Kultusministerien blick in das italienische Schulsystem und Schulverwaltungen haben sie stets unterstützt. Im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und mit den dort üblichen Formen der Bildungspolitik fördert auch der PAD den internationalen Austausch. Neben GAPP bestehen Anerkennung oder den hierarchischen Programme für Austauschprojekte mit Schulen zum Beispiel in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Verhältnissen zwischen Schülerin- oder Israel. Durch die Initiative »Schulen: Partner der Zukunft« (PASCH) kann der PAD Schul- nen und Schülern sowie Lehrkräften partnerschaften weltweit fördern. Gemeinsam mit der Stiftung Mercator wurde ein Fonds für gewonnen zu haben. deutsch-chinesische Projekte aufgelegt. Mit der Deutsche Telekom Stiftung wird der Austausch zu Themen des MINT-Unterrichts unterstützt. 60 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 61 D as „Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutsch- len und Wissenschaftsministern aus 29 europäischen land“ der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vom Juli Ländern am 18./19. 06. 1999. Die Erklärung „The European 19921 und die „10 Thesen zur Hochschulpolitik“ des Higher Education Area“ wurde für Deutschland von Ver- Wissenschaftsrats vom Januar 19932 trugen dazu bei, dass tretern des Bundes und der Länder unterzeichnet. KMK (1./2. 07.) und HRK (12. 07. 1993) gemeinsam konkrete Dr. Josef Lange Maßnahmen zur „Umsetzung der zur Studienstrukturre- Die Umstellung der traditionellen Studiengänge verlief war von 2003 bis 2013 Staatssekretär im form“3 beschlossen, u. a. Festlegung des inhaltlichen und vielfach ohne inhaltliche Änderung der Studienstruktur. Niedersächsischen Ministerium für Wissen- zeitlichen Rahmens des Studiums, Rücknahme der Prü- Die Entkopplung der Studiengänge von Strukturvorgaben schaft und Kultur. Sein beruflicher Fokus lag fungsrelevanz fachlicher Spezialisierung, Verbesserung der früheren Rahmenprüfungsordnungen, die zunehmen- vorher vor allem im Hochschulbereich, zum der Qualität der Lehre. de Differenzierung der Wissenschaftsdisziplinen und un- Beispiel als Generalsekretär der Hochschul- zureichende innerfachliche Klärungen über Kernelemente rektorenkonferenz und Berater des Centrums Bereits am 24. 10. 1997 definierte die KMK in ihrem Be- eines Studiengangs führten zu einer steigenden Zahl sehr für Hochschulentwicklung. schluss „Zur Stärkung der internationalen Wettbewerbs- spezialisierter und zur Überfrachtung „umgewandelter“ fähigkeit des Studienstandortes Deutschland“ Grund- Studiengänge. In Teilen der Universitäten wurde der sätze zur Einführung von Bachelor-/Bakkalaureus- und Bologna-Prozess auch konterkariert, um die „bewährten“ Master-/Magistergraden: Bachelorabschluss als berufs- Studiengänge und Abschlüsse zu behalten. qualifizierender Abschluss mit einer Studiendauer von mindestens drei, höchstens vier Jahren und Masterab- Im Herbst 2009 kam es zu Studierendendemonstrationen schluss nach einem oder höchstens zwei Jahren bei einer gegen verstärkte Verschulung des Studiums, Überlastung Gesamtstudiendauer von nicht mehr als fünf Jahren. Zur der Studierenden mit Prüfungen und vermeintliche „Öko- DER Qualitätssicherung der neuen Studiengänge fasste die nomisierung“ der Hochschulen. HRK nach Vorbereitung in der KMK/HRK-Arbeitsgruppe am 06. 07. 1998 einen Grundsatzbeschluss „Akkreditie- Im August 2009 startete der niedersächsische Wissen- rungsverfahren“, der zum Beschluss der KMK „Einführung schaftsminister Lutz Stratmann eine „Bologna-Initiative“ eines Akkreditierungsverfahrens für Bachelor-/Bakkalau- zur Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses. Die KMK reus- und Master-/Magisterstudiengänge“ am 03. 12. 1998 beschloss auf dieser Basis am 15. 10. 2009 einen 10-Punk- führte. Am 05. 03. 1999 beschloss die KMK „Strukturvorga- tekatalog. Am 04. 02. 2010 beschloss die Amtschefkon- ben für die Einführung von Bachelor-/Bakkalaureus- und ferenz Flexibilisierungen der „Ländergemeinsamen Master-/Magisterstudiengängen“. Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterstudiengänge“ zu verbesserter Studierbarkeit der Studiengänge.6 BOLOGNA- Die am 20. 08. 1998 in Kraft getretene Novellierung des HRG mit dem Ziel, durch Deregulierung, Leistungsorien- Inzwischen werden rund 90 Prozent aller Studiengänge tierung und Schaffung von Leistungsanreizen Wettbe- mit den Abschlüssen Bachelor oder Master angeboten. Die werb und Differenzierung und die internationale Wett- inhaltliche Diskussion ist weder in den Hochschulen noch bewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen zu fördern, in den Fächern abgeschlossen. Das zeigt die gemeinsame ermöglichte rahmenrechtlich – vor der Verabschiedung Erklärung von HRK (10. 11. 2015) und KMK (08. 07. 2016) der Bologna-Erklärung – die Vergabe der Hochschulgrade „Europäische Studienreform“7. Sie belegt, dass Länder und „Bachelor/Bakkalaureus“ und „Master/Magister“. Hochschulen nach dem Grundsatz „universitas semper reformanda“ im Interesse der jungen Generation und der Am 25. 05. 1998 unterzeichneten die Wissenschaftsminis- Zukunft unseres Landes eng zusammenarbeiten. PROZESS ter des Vereinigten Königreichs, Italiens, Frankreichs und der Bundesrepublik in Paris nach einem Kolloquium mit 1 Bonn 1992. Repräsentanten europäischer Universitäten die Sorbon- 2 In: Wissenschaftsrat, Empfehlungen und Stellungnahmen 1993, Köln 1994, S. 7 ff. ne-Erklärung „Joint Declaration on Harmonisation of the 3 Im Auftrag von KMK und HRK hrsg. von der HRK, Bonn 1994. Der Beschluss Reformvorschläge für Studiengänge wurden be- Architecture of the European Higher Education System“4. war von der KMK/HRK-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Struktur des Damit hatte der Bundeswissenschaftsminister im Rah- Hochschulwesens“ vorbereitet worden. Ihr gehörten unter gemeinsamer reits seit den grundlegenden Empfehlungen des Leitung des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Prof. Dr. E. Jürgen Wissenschaftsrats zum Ausbau der Hochschulen men der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zu den Zöllner und des HRK-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen die Mitglieder auswärtigen Beziehungen auch innerhalb Deutschlands des Präsidiums der HRK und sechs Amtschefs der Wissenschaftsressorts der nach 1970 und dann intensiv in den 1980er-Jahren eine Richtung vorgegeben, die von den Ländern unter- Länder an. 4  Erklärung und Texte des Bologna-Prozesses: http://www.bmbf.de/de/15553. erörtert. Nach der Wiedervereinigung und der stützt wurde. php Umgestaltung der Hochschulen in den „jungen 5  Trends in Learning Structures in Higher Education. Project Report prepared for the Bologna Conference on 18 – 19 June 1999, by Guy Haug, Jette Ländern“ wurde die Studienstrukturreform erneut Experten der Vereinigung der europäischen Universitäten Kirstein and Inge Knudsen. Published by The Danish Rectors’ Conference, und der Confederation der Europäischen Rektorenkon- Copenhagen 1999 Thema der Hochschulpolitik. 6   ferenzen erarbeiteten den Bericht „Trends in Learning http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/ 2003/2003_10_10-Laendergemeinsame-Strukturvorgaben.pdf 5 Structures in Higher Education“ als Grundlage für die 7  https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse Bologna-Konferenz von Repräsentanten der Hochschu- /2016/2016_07_08-Europaeische-Studienreform.pdf 62 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 63

Die Umsetzung von Rahmen- und ehemals in der landespolitischen Zielvorgaben der Länder gelingt Arena entschieden wurde, wären dann am besten, wenn sie den Hoch- dann lediglich in die Gremienstruk- schulen überlassen bleibt. Eine au- tur der Hochschulen hineinverlagert. HOCHSCHULSTEUERUNG tonome Hochschule mit tatkräftiger Einschränkungen der Strategiefähig- Hochschulleitung, Globalhaushalt, keit wachsen ferner in dem Maße, selbstbestimmter Binnenorganisati- wie Hochschulen zur Erfüllung ihrer on und Freiheit der Personalbewirt- Kernaufgaben von eingeworbenen schaftung ist für diese Aufgabe gut Drittmitteln abhängen. Diese Ab- Zwischen Landeskompetenz gerüstet. Genauso wie das Land die hängigkeit begünstigt Prozesse der Entwicklung seiner Hochschulland- kurzfristigen, programmgetriebenen und Hochschulautonomie schaft insgesamt plant, vermag die Profilbildung zulasten nachhaltiger Hochschule Visionen für die eigene Hochschulentwicklung. Zukunft zu entwickeln, indem sie die Erfordernisse der Gesamtplanung Hinzu kommt, dass Organisations- strategisch auf ihre spezifischen struktur und Kompetenzverteilung Verhältnisse bezieht. Auch im All- innerhalb der Hochschulen die tagsgeschäft verfügt die autonome gewonnene Autonomie angemessen Hochschule prinzipiell über alle nö- abbilden müssen. Die Rechtspre- tigen Instrumente, um selbstständig chung der zurückliegenden Jahre hat D zum Beispiel darüber zu entscheiden, deutlich gemacht, dass es nicht aus- ie Frage nach dem Verhältnis von weniger zugänglich sind. Gezielte fi- beiden Partner indes sehr unter- mit welchen personellen Ressourcen reicht, eine starke Hochschulleitung staatlicher Steuerung und Hoch- nanzielle Anreize oder Eingriffe in die schiedliche Steuerungsaufgaben zu sie die vom Land bestellten Studien- zulasten anderer Selbstverwaltungs- schulautonomie ist so alt wie die Personalplanung einer Hochschule bewältigen. platzkapazitäten sicherstellt. organe zu etablieren. Die Heraus- Hochschule als Institution. Wesent- können kreativen Forschergeist und forderung besteht also darin, eine lich verändert hat sich in den zurück- intrinsische Motivation beflügeln, Die Länder sollten sich darauf Damit aus der rechtlichen Autono- Balance zwischen den Prinzipien liegenden Jahrzehnten das Ver- nicht aber von Grund auf entstehen beschränken, wissenschafts- und mie die gewünschte strategische notwendiger Führung und legitimer ständnis von Hochschulautonomie. lassen. gesellschaftspolitisch begründete Handlungsfähigkeit erwächst, bedarf Partizipation zu finden. Darunter fallen jenseits der traditio- Anforderungen an ihre Hochschulen es jedoch weiterer Voraussetzun- nellen akademischen Selbstverwal- Diese Beobachtung ist keineswegs in Zielvorgaben zu übersetzen. Eine gen, von denen ich zwei besonders Die Verschiebung von Entschei- tung auch Aufgaben der operativen als Aufforderung an die Länder zu derartige Kontext- statt Detailsteu- hervorheben möchte. dungskompetenzen der Länder Steuerung, der Wirtschaftsführung verstehen, in Sachen Forschung und erung hat sich angesichts des wei- zugunsten der Hochschulen war und der Personalbewirtschaftung, Third Mission untätig zu bleiben. Als terhin expandierenden tertiären Bil- Die staatlichen Hochschulen und ist mit Unsicherheiten und die zuvor den Ländern vorbehalten Träger der Hochschulen können und dungssektors bewährt. Der Verzicht benötigen eine hinreichende und Konflikten verbunden. Gleichwohl waren. sollen sie sehr wohl deren Stärken auf eine engmaschige Fachaufsicht verlässliche Finanzierung, die ihrem bin ich sicher, dass es die richtige identifizieren und steuernd ein- wirkt entlastend für beide Seiten. gewachsenen und weiter wachsen- Entscheidung war, mehr Hochschul- Die Ausgangsfrage kann nicht greifen, wo es gilt, leistungsstarke Wesentliche Länderkompetenzen den Aufgabenumfang gerecht wird. autonomie zu wagen. Länder und beantwortet werden, ohne zunächst und zukunftsträchtige Forschungs- bleiben davon unberührt. Dazu Andernfalls droht strategisches Hochschulen stehen gemeinsam in Möglichkeiten und Grenzen externer schwerpunkte mit dem Ziel der Clus- gehört, die notwendige Legitimation Handeln im Rahmen der Hoch- der Verantwortung, diesen Transfor- Hochschulsteuerung zu bestimmen. terbildung zusammenzuführen oder für hochschulpolitische Richtungs- schulautonomie zu einer kreativen mationsprozess erfolgreich abzu- Staatlicher Steuerung unmittelbar die Verbindungen der Hochschulen entscheidungen herzustellen. Diese Verwaltung des Mangels zu verküm- schließen. zugänglich ist die Lehre als eine mit gesellschaftlichen Akteuren zu kann allein von den Parlamenten und mern. Verteilungskonflikte, über die von drei zentralen hochschulischen fördern. Eine kluge Landeshochschul- Regierungen der Länder ausgehen. Leistungsdimensionen. Umfang und planung wird im Übrigen darauf Den Ländern als Hochschulträgern Art der geforderten Leistungen in bedacht sein, vorhandene wissen- bleibt ferner die Pflicht, einen ge- Studium und Weiterbildung können schaftliche Ressourcen auch über sellschaftlichen Konsens in politisch von den Ländern präzise definiert Landesgrenzen hinweg zu bündeln. umstrittenen Fragen zu vermitteln, werden. Mit der Entscheidung über deren Tragweite die Entscheidungs- Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst den Aufbau, Ausbau oder Fortfall Meine Kernthese ist, dass Hochschul- kompetenz einzelner Hochschulen ist seit Mai 2016 Präsidentin der Humboldt- bestimmter Fachbereiche kann steuerung nur in einem produktiven übersteigt. Ob es um die Etablierung Universität zu Berlin. Zuvor war ein Land darüber hinaus auch das Zusammenspiel von Landeskompe- nichtchristlicher Theologien geht, Sie von 2011 bis 2016 Ministerin für Wissen­ fachliche Profil einer Hochschule for- tenz und Hochschulautonomie gelin- um die Akademisierung von Aus- schaft, Forschung und Kultur des Landes men. Anders verhält es sich mit den gen kann. Idealerweise bewegen sich bildungsberufen oder um Eingriffe Brandenburg. Leistungsdimensionen Forschung Land und Hochschule abgestimmt in die menschliche Keimbahn – das und Transfer, die einer unmittelbaren auf klar umrissene Entwicklungsziele Spektrum kontroverser Themen ist Einflussnahme seitens der Länder zu. Auf dem Weg dorthin haben die vielfältig. 64 was? fokus 70 Jahre Kultusministerkonferenz 65

Die Berufsschulen in Deutschland können gleichermaßen BERUFLICHE dazu beitragen, dass die Berufsausbildung wieder stärker als zweiter Königsweg neben einem Studium sichtbar wird. Wo sie als Bildungszentren wahrgenommen wer- den, die für modernste Technologie, für hochqualifizierte Lehrkräfte, für eine alters- und inhaltsgerechte Pädagogik, für ein konstruktives Lernklima, für eine gute Vernetzung BILDUNG – mit der Wirtschaft und mit der Region stehen und nicht zuletzt dafür, dass sie jedem jungen Menschen einen erfolgreichen Anschluss an einen aussichtsreichen Be- rufs- und Lebensweg bieten, brauchen sie den Vergleich mit der Option „Studium“ nicht zu scheuen. Um sie in dieser Rolle zu stärken, hat die Kultusministerkonferenz EIN ZWEITER im Dezember 2017 die Initiative „Berufliche Schulen 4.0 – Weiterentwicklung von Innovationskraft und Integrati- onsleistung der beruflichen Schulen in Deutschland in der kommenden Dekade“ verabschiedet, die Entwicklungs- impulse in den genannten großen Handlungsfeldern und der Qualität der beruflichen Schulen setzt und damit zur KÖNIGSWEG Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung beitra- Die Schulen in Deutschland leisten einen großen Bei- gen will. Mit hoher Priorität wird die Digitalisierung als trag zum guten Funktionieren der Berufsausbildung der derzeit zentrale Rahmenprozess der Unterrichtsent- in Deutschland. Mit dem zwischenzeitlich durch das wicklung an beruflichen Schulen vorangetrieben, wobei Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) die berufsfachlichen Inhalte ebenso wie die didaktische aufgebauten Monitoring der Schülerleistungen besteht Nutzung der digitalen Medien und die Ausstattung der ein kontinuierlicher Impuls zur Verbesserung der Lern- Schulen in Entwicklung sind. Ein ebenso bedeutsames leistungen der Schülerinnen und Schüler. Im Bereich der Themenfeld ist die Sprachkompetenz der zugewanderten beruflichen Orientierung werden mit der durch die Kul- jungen Menschen, die in der Berufsschule besonders gut tusministerkonferenz im Dezember 2017 verabschiedeten individuell gefördert werden können. Und im Gleichklang Empfehlung neue Impulse gesetzt, um den Wert einer damit einher gehen neue Impulse zur Qualitätsentwick- Berufsausbildung wieder stärker ins Bewusstsein von lung und zur weiteren Öffnung der beruflichen Schulen, Schülern und Eltern zu rücken. Damit soll sehr konkret die beispielsweise mit Blick auf internationale Kontakte und „Passung“ beim Übergang in die Berufsausbildung ver- Austausche. Ein Themenfeld, das keine einfache Lösung W bessert, das vorhandene Ausbildungsplatzangebot besser zulässt, ist indes die Lehrergewinnung in den derzeitigen ir brauchen Euch nicht – diese alarmierende Botschaft der Dabei geht es zunächst darum, aktuelle Veränderungen genutzt und Ausbildungsabbrüchen vorgebeugt werden. Mangelfächern wie einigen Ingenieurfächern oder dem Gesellschaft an ihre nachwachsende Generation drücken schnell zu bewältigen. Dies sind zum einen technologi- In größerem Maßstab betrachtet wird damit aber auch IT-Bereich. Die Schulen stehen hier in einem starken Wett- Zahlen von Jugendarbeitslosigkeit jenseits der Zehnpro- sche Entwicklungen und Veränderungen in Berufsbildern, ein Gegengewicht zum allgegenwärtigen Drang zu Abitur bewerb mit der Wirtschaft. Durch intensive Impulse zur zentmarke aus. Dass der jungen Generation in Deutsch- andererseits sind es Veränderungen im Verhältnis von und Studium gesetzt. Aus- und Weiterqualifizierung der Lehrkräfte werden die land diese Botschaft erspart bleibt, hat viele Gründe. Einer Angebot und Nachfrage, z. B. durch Zuwanderungswel- beruflichen Schulen ein Maximum an Unterrichtskapazi- der wichtigsten davon ist, dass in der Verantwortungs- len oder in Zeiten schwächerer Konjunktur. Für solche tät und -qualität sicherstellen. gemeinschaft von Wirtschaft und Staat, von Betrieben, kurzfristigen Entwicklungsnotwendigkeiten gibt es ein Berufsschulen und Schulträgern das duale System der gut eingespieltes Ensemble von Verfahren und Routinen, Die berufliche Bildung in Deutschland zeichnet sich beruflichen Bildung nach wie vor einen hohen Stellen- das wirksame Maßnahmen schnell zu entwickeln in der dadurch aus, dass ihr Regelungswerk über lange Jahre im wert hat, der sich in hoher Ausbildungsqualität und in Lage ist. Schwieriger zu beherrschen sind längerfristige, Kern stabil geblieben ist. Das Berufsprinzip ist der didakti- passgenauen Kompetenzprofilen ausprägt. Damit wird erosive Entwicklungen wie der Trend zum Studium, der sche Kern, die Verteilung der Verantwortung die tragende die duale Ausbildung zu einem dreifachen Gewinn: Für stetig rückläufige Anteil von Ausbildungsbetrieben oder Organisationsstruktur und das Konsensprinzip die allseits die Betriebe stellt sie ein flexibles Qualifikationsfunda- Maßnahmen gegen sektoralen oder regionalen Fach- – wenn auch manchmal zähneknirschend – akzeptierte ment für wertschöpfende Fertigungs- und Verwaltungs- kräftemangel. Gegen diese Trends braucht es wirksame Vorgehensweise bei anstehenden Entwicklungen. Wir tun prozesse dar, für die jungen Menschen ist sie der Einstieg Maßnahmen der jeweils Verantwortlichen; mit den zehn Dr. Susanne Eisenmann gut daran, diese Fundamente auch künftig nicht in Frage in ein erfolgreiches Arbeitsleben und Staat und Gesell- von der Allianz für Aus- und Weiterbildung beschriebenen ist seit Mai 2016 Ministerin für Kultus, Jugend zu stellen, sondern auf ihrer Basis den fortlaufenden wirt- schaft gewinnen an Wirtschaftskraft und an Stabilität. Arbeitsschwerpunkten werden zentrale Themenfelder in und Sport in Baden-Württemberg und 2017 die schaftlichen und gesellschaftlichen Wandel in das duale Das duale System ist ein wertvoller Teil der Arbeits- und Angriff genommen, die erwarten lassen, dass das duale Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Das System aufzunehmen. Die Schulen werden das ihre dazu Beschäftigungskultur Deutschlands und wir setzen alles System seine bedeutende Funktion als „Kompetenzmo- gewählte Schwerpunktthema für ihr Präsident- beitragen, dass die berufliche Bildung für Deutschland daran, dieses System mit Nachdruck und Augenmaß tor“ Deutschlands auch in Zukunft noch wahrnimmt. schaftsjahr war die berufliche Bildung auch zukünftig ein Erfolgsmodell sein wird. weiterzuentwickeln. WOHIN

PERSPEKTIVE

Zwar kann niemand die Zukunft vorher- sagen, doch die wichtigen Entwicklungs- linien deutscher und internationaler Bildungspolitik werden wir auch künftig maßgeblich mitgestalten. Wie können wir kommenden Generationen ein erfolg- reiches Deutschland bieten? 68 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 69 LEISTUNGSSTARKE

Anja Schöpe ist Leiterin des Referats I. 5 Qualitätsent- SCHÜLERINNEN UND wicklung, Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler im Hessischen Kultusministerium SCHÜLER FÖRDERN

Bundesweit nehmen 300 Schulen der Primarstufe und der Sekundarstufe I teil. Grundschulen stellen rund die Hälfte dieser Schulen, wodurch u. a. im Rahmen der Initia- tive die Förderung Leistungsstarker nicht mehr allein den Gymnasien zugeschrieben wird, wie es in der Praxis bisher nicht selten der Fall war. In den ersten fünf Jahren werden an den Schulen Konzepte und Strategien entwickelt und Doch dies ist gerade nicht geschehen. Es ist gemeinsame erprobt, während die zweite Hälfte der Laufzeit dem Intention aller Länder, sich zeitgleich und getragen durch Transfer der Ergebnisse in die Praxis weiterer Schulen eine Vernetzung über die Ländergrenzen hinweg sowie für alle Schülerinnen und Schüler, den individuell best- dient. Die teilnehmenden Schulen übernehmen in dieser orientiert an einer einheitlichen Ziel- und Rahmensetzung möglichen Bildungsabschluss zu erreichen. Und genau in Zeit die Aufgabe der Multiplikatoren. Die Arbeitsschwer- der Aufgabe der Qualitätsentwicklung des deutschen diesem Sinne ist es folgerichtig und konsequent, jetzt den punkte sind modular konzipiert. Verpflichtend sind die Bildungssystems auch im Bereich der Förderung leis- Fokus auch auf die andere Seite des Leistungsspektrums Entwicklung eines Leitbildes mit Ausrichtung auf die tungsstarker Schülerinnen und Schüler zu stellen. Sowohl zu richten. Im Beschluss über die Gemeinsame Initiati- leistungsfördernde Schulentwicklung und der Aufbau die Länder als auch das Bundesministerium für Bildung ve von Bund und Ländern wird einleitend betont: „Der einer kooperativen Netzwerkstruktur sowie das Fordern und Forschung werden jährlich 5 Millionen Euro für die Schlüssel […] ist die individuelle Förderung aller Schüle- und Fördern im Regelunterricht, zunächst fokussiert auf erste Phase und jährlich 7,5 Millionen Euro für die zweite D rinnen und Schüler. Das gilt gleichermaßen für leistungs- die Bereiche Mathematik, Naturwissenschaften, Deutsch Phase der Laufzeit einsetzen. Dies entspricht einem ie „Förderstrategie für leistungsstarke Schülerinnen und starke wie potenziell besonders leistungsfähige Kinder (produktive Sprachkompetenzen des Schreibens und Gesamtvolumen von 125 Millionen Euro. Den Ländern Schüler“ (Beschluss der KMK vom 11. 06. 2015) und die „Ge- und Jugendliche.“ Auch diese Schülergruppe bedarf der Argumentierens) und Fremdsprachen (Englisch). obliegt die Auswahl und die Betreuung der Schulen sowie meinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung gezielten Forderung und Förderung, denn ein hohes Leis- die landesweite Umsetzung erfolgreicher Maßnahmen, leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähi- tungspotenzial bedeutet nicht automatisch Erfolg in der Dabei werden das einzelne Kind und seine Entfaltung während das BMBF für die wissenschaftliche Unterstüt- ger Schülerinnen und Schüler“ (Beschluss der KMK vom Schule und das Erreichen des individuell bestmöglichen in den Mittelpunkt aller Überlegungen gestellt, indem zung und Begleitung, die Evaluation sowie die ergänzen- 10. 11. 2016) zielen auf die Verbesserung der Lernbedin- Bildungsziels. die Förderung über seine gesamte Lernbiografie von der de Forschungsförderung zuständig ist. gungen, um leistungsstarken Kindern und Jugendlichen Jahrgangsstufe 1 bis 10 in den Blick genommen wird. Es eine optimale Entfaltung ihrer Potenziale zu ermöglichen. Diese Erkenntnis ist selbstverständlich nicht neu und liegt geht damit auch zentral um die sinnvolle Gestaltung der Durch diese Ziel- und Rahmensetzung trägt die Initiative Ausgangspunkt sind u. a. die Ergebnisse der PISA-Studien. bereits der Grundposition der Länder zur begabungsge- Übergänge, die derzeit nicht selten einen Bruch in der auch zur Bewältigung anderer aktueller Herausforde- Diese belegen einen vergleichsweise geringen Anteil an rechten Förderung (Beschluss der KMK vom 10. 12. 2009) Bildungsbiografie der einzelnen Schülerin oder des einzel- rungen bei. Die Schwerpunktsetzung im MINT-Bereich Schülerinnen und Schülern auf den beiden oberen Kom- zugrunde. Neu hingegen ist, dass durch die aktuelle nen Schülers darstellen. Um dies möglichst vermeiden zu gerade im Kontext der Förderung leistungsstarker Schü- petenzstufen sowohl im Bereich der Naturwissenschaften Förderstrategie und die Gemeinsame Initiative von Bund können, sind zwischen den Schulen Netzwerke zu bilden. lerinnen und Schüler leistet einen Beitrag zur zukünftigen und Mathematik als auch in Deutsch und Englisch. und Ländern nicht nur ein klares, aktuelles Bekenntnis Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Diagnostik, um Deckung des Fachkräftebedarfs. Dabei wird durch die zur Förderung dieser Zielgruppe erfolgt ist, sondern über leistungsstarke und potenziell leistungsfähige Schü- besondere Förderung von Mädchen in diesem Bereich Keine Gesellschaft sollte sich leisten, die hier liegenden alle Ländergrenzen hinweg eine Selbstverpflichtung zum lerinnen und Schüler frühzeitig zu erkennen sowie die die Chancengerechtigkeit gestärkt. Gleiches gilt für die Potenziale nicht so gut wie möglich zu nutzen. Es war konkreten Handeln beschlossen wurde. Bemerkenswert ist diagnostischen Kompetenzen der Lehrkräfte zu stärken. besondere Förderung von Kindern und Jugendlichen notwendig und richtig, nach dem sogenannten „PISA- dabei auch, dass die Länder sich über eine Laufzeit der Ini- aus bildungsfernen Elternhäusern und mit Migrations- Schock“ zunächst die Leistungsschwächeren in den Blick tiative von zehn Jahren gebunden haben, also über einen Bei diesen inhaltlichen Vereinbarungen hätte man es hintergrund, die gleichzeitig die aktuelle gesamtgesell- zu nehmen. Dies entspricht dem Solidaritätsprinzip Zeitraum, der dem allgemeinen Zeitbedarf von Entwick- durchaus belassen und die Umsetzung der Strategie schaftliche Aufgabe der Integration von Schülerinnen und unserer Gesellschaft und dient der Chancengerechtigkeit lungsprozessen in Schulen angemessen Rechnung trägt. ausschließlich den einzelnen Ländern übertragen können. Schülern nicht deutscher Herkunft unterstützt. 70 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 71

Bei den Ländern indes ist das 2013 jedoch völlig neue Fragestellun- tät, denn die Internationalisierung »MÄCHTIGER ALS EIN STAAT: Bewusstsein für diese Herausfor- gen eröffnet, sagt Ulrich Steinbach: muss weiter hochgefahren werden.“ derungen bereits geschärft. Über „Nehmen Sie zum Beispiel die Fälle, Schwierigkeiten sieht er in der man- die reinen Organisationsfragen bei denen eine Studienbewerberin gelnden Grundfinanzierung: „Eine EINE GUT KOORDINIERTE KMK hinaus wirke sich auch die politische oder ein Studienbewerber fluchtbe- konsistente Internationalisierungs- « Dynamik des Weltgeschehens auf dingt eine im Heimatland erworbene strategie der Hochschulen braucht die Hochschulen aus, sagt Ulrich Hochschulzugangsberechtigung eine dauerhafte und ausreichende Wissenschaft, Forschung und Lehre sind grenz- Steinbach, Ministerialdirektor nicht oder nur unvollständig mit Finanzierung durch die Länder.“ Dass und Amtschef im Ministerium für Dokumenten nachweisen kann.“ die Finanzfrage dabei entscheidend überschreitend. Für die KMK ist das eine enorme Heraus- Wissenschaft, Forschung und Kunst Bereits im Dezember 2015 hat die sein dürfte, unterstreicht auch die forderung – und eine Chance zur Neuorientierung in Baden-Württemberg: „Flücht- KMK dazu eine Handreichung für Studie der Körber-Stiftung. Die lingskrise, Brexit und ein weltweit die Hochschulen verabschiedet und akademischen Bildungseinrichtun- Autor: Armin Himmelrath erstarkender Rechtspopulismus sind arbeitete auch an einem Papier zum gen müssten auf hoher qualitativer Bildungs- und Wissenschafts- nur einige Phänomene, die es zu selben Thema unter Federführung Ebene gut aufeinander abgestimmt journalist in Köln. erwähnen gilt.“ Hier hätten die Mi- des Bundesamts für Migration und werden, schreiben die Autoren, und nisterinnen und Minister von Bund Flüchtlinge mit. „Das ist ein Beispiel, das werde „erhebliche politische E und Ländern bereits 2013 mit der bei dem die KMK sich als äußerst Entschlossenheit, Haushaltsmittel r wurde in Rotterdam geboren, mit der KMK – nicht ohne jedoch der Zielsetzung der Hoch- gemeinsamen Strategie für die Inter- wertvolles Koordinationsgremium und vor allem viel Zeit erfordern“. studierte in Frankreich und England, darauf hinzuweisen, „dass die KMK schulbildung über Fragen des nationalisierung der Hochschulen in erwiesen hat“, sagt Steinbach. Und Allerdings weisen sie auch darauf promovierte in Turin, lehrte in Cam- den länderinternen Dialog weiter Zugangs zu akademischer Deutschland ein gutes Fundament auch die Stärkung der Zentralstelle hin, dass Deutschland – gefolgt von bridge und arbeitete später in Basel voranbringen muss, damit wir nach Bildung bis zur Finanzierung gelegt, so Steinbach: „Die damals de- für ausländisches Bildungswesen Frankreich – international eine Aus- und Freiburg: Erasmus von Rotter- außen nicht 16 Fronten haben“. Ein von Forschung und Lehre“, finierten Handlungsfelder sind nach (ZAB) sei in diesem Zusammenhang nahme sei, „weil es die öffentliche dam lebte bereits im 15. und 16. Jahr- Ansatz, den auch Uwe Gaul vertritt. schreiben die Autoren. Sie kon- wie vor gültig, müssen angesichts „ein notwendiger Schritt“ gewesen. Finanzierung auf einem Niveau hält, hundert vor, was heute als „globali- Er ist Staatssekretär im Sächsischen statieren, dass derzeit angesichts der Entwicklungen der vergangenen das Studiengebühren zur Erhaltung sierte Wissenschaft“ diskutiert wird. Staatsministerium für Wissenschaft von mehr als 200 Millionen Studie- Jahre aber ergänzt und überarbeitet Dass auf die Länder und damit die öffentlicher Bildungsinstitute ver- Grenzüberschreitende Zusammenar- und Kunst. „Wissenschaft ist ein renden weltweit und eines rasanten werden.“ KMK weitere Anforderungen zukom- meidbar macht“. beit, Forschung ohne Nationalismen weltweites System, Kleinstaaterei Anwachsens des Hochschulsektors men, ist allen Beteiligten klar. Die – kein Wunder, dass der Humanist können wir uns an dieser Stelle ein Zustand von „postsekundarer Eines dieser Handlungsfelder ist die – auch internationale – Abstimmung Für Staatssekretär Uwe Gaul aus Erasmus zum Namenspatron für schlicht nicht leisten“, sagt Gaul. Bildungsanarchie“ herrsche. „Um „Etablierung einer Willkommens- bei der Gestaltung von gemeinsa- Sachsen ist eine der wichtigsten das weltweit größte internationale Tatsächlich laufe aus seiner Sicht die stetig wachsende, zunehmend kultur“ an den Hochschulen. Mit der men Studienprogrammen nennt KMK-Aufgaben für die kommenden studentische Austauschprogramm vieles gut, sagt Uwe Gaul – etwa der diverse Klientel mit den Fertigkeiten Ankunft von Studieninteressierten HRK-Generalsekretär Jens-Peter Gaul Jahre, „die bisherige Verlässlichkeit wurde. internationale Studierendenaus- auszustatten, die die Wissensgesell- aus den Krisenländern der Welt als ein Beispiel: „Wir müssen damit und die Planbarkeit von Entwicklun- tausch, die institutionellen Kontakte schaft erfordert, bedarf es dringend hätten sich den Hochschulen seit Werbung machen für mehr Mobili- gen sicherzustellen“. Auch Amtschef Taugt Erasmus also als Vorbild der Hochschulen ins Ausland oder der Planung und Strukturierung Ulrich Steinbach aus Baden-Würt- für heutige Wissenschaftler? Für der Zugang der Wissenschaftler zum kohärenter Systeme postsekunda- temberg schlägt den Bogen in die Jens-Peter Gaul, den Generalsekretär EU-Forschungsprogramm HORIZON rer Bildung“, heißt es weiter – ein Zukunft: Die Hochschulen hätten die der Hochschulrektorenkonferenz 2020. „Trotzdem dürfen wir natür- klarer Hinweis an die Bildungs- und Fähigkeit, Menschen über Grenzen (HRK), ist der Humanist einerseits lich in unseren Bemühungen nicht Wissenschaftspolitik und damit auch und Länder hinweg in Forschung und ein Vorreiter der internationalen nachlassen. Denn es ist klar: Eine in Richtung der KMK. Lehre zu vernetzen. „Gerade jetzt Wissenschaft. „Andererseits: Würde gut koordinierte KMK tritt deutlich kommt es darauf an, dass sie diese ein Forscher, der heute denselben mächtiger auf als ein einzelner Fähigkeit einsetzen, den Kontakt Lebensweg nimmt, immer rechtzei- Staat.“ Dr. Jens-Peter Gaul zu ihren oft langjährigen Partnern tig seine Visa und Arbeitserlaubnisse ist seit 2016 Generalsekretär der Hochschul- Ulrich Steinbach trotz widriger politischer Umstände bekommen? Was wäre mit seinen Und dieses gemeinsame Auftreten rektorenkonferenz und war vorher Leiter der ist als Ministerialdirektor seit 2016 Amtschef aufrechterhalten und den klügsten Pensionsansprüchen?“, fragt Gaul. wird in Zukunft immer wichtiger, Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorgani- im Ministerium für Wissenschaft, Forschung Köpfen im Notfall sogar Schutz Und macht damit auf die rechtliche wie eine Studie im Auftrag der Kör- sationen und Geschäftsführer des „Vereins zur und Kunst in Baden-Württemberg und bieten.“ Damit Erasmus von Rotter- und administrative Unterstützung ber-Stiftung zeigt, die Mitte 2017 ver- Förderung europäischer und internationaler arbeitete vorher in verschiedenen Bereichen dam auch heute nach Deutschland aufmerksam, auf die international öffentlicht wurde (Download: www. wissenschaftlicher Zusammenarbeit e.V.“ wie als internationaler Berater bei der OECD Uwe Gaul kommen könnte – ohne Probleme arbeitende Wissenschaftlerinnen koerber-stiftung.de/htulc-studie). Die und am Rechnungshof Rheinland-Pfalz. ist seit 2014 Staatssekretär im Sächsischen mit der Aufenthaltserlaubnis oder und Wissenschaftler angewiesen Autoren untersuchen darin, vor wel- Staatsministerium für Wissenschaft der Anerkennung von Arbeits- und sind. chen Herausforderungen nationale und Kunst. Zuvor war er als Leiter des Dezer- Forschungsleistungen. Hochschulsysteme weltweit stehen. nates Kultur, Jugend, Schule und Sport der „Die Hochschulen schätzen die „Diese reichen von der Bedrohung Stadt Flensburg und Oberschulrat für den Trägerschaft durch die Länder“, ihrer Autonomie und akademischen flächendeckenden Ausbau des Hamburger sagt der HRK-Generalsekretär und Freiheit über die Frage nach den Ganztagsschulwesens in der Schulbehörde in betont die gute Zusammenarbeit Kernaufgaben der Universität und Hamburg tätig. 72 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 73 S iebzig Jahre Kultusministerkonferenz, das heißt auch drei- ßig Jahre deutscher Beitrag zu einem der erfolgreichsten DER WURM Förderprogramme in der Geschichte der EU: Erasmus+. Martine Reicherts » Erasmus+ ist weit über seinen Nutzerkreis hinaus leitet seit 2015 die Generaldirektion bekannt; es weckt positive Assoziationen; alle kennen je- Bildung, Jugend, Sport und Kultur in der manden, der daran teilgenommen hat und der begeistert Europäischen Kommission. MUSS DEM FISCH war. Nicht nur in Deutschland spricht man bereits von der „Generation Erasmus“. Seit seinem Bestehen hat das Programm neun Millionen Menschen unterstützt: Stu- arbeit und Erasmus+ bieten Möglichkeiten des Aus- dierende, Schüler, Auszubildende, Teilnehmer an Freiwilli- tauschs, des Voneinanderlernens, und die Chance, über gendiensten, Lehrkräfte, Ausbilder. Erasmus+ macht einen gemeinsame Projekte an der Entwicklung und Verbrei- SCHMECKEN Unterschied im Leben dieser Menschen – und für Europa. tung erfolgreicher Praktiken zu arbeiten. « Erasmus+ hat als Austauschprogramm im Bereich der 80 Prozent der an Erasmus+ teilnehmenden Studieren- Hochschulbildung angefangen und ist sehr erfolgreich den geben an, dass der Auslandsaufenthalt ihre Kompe- bei der Förderung der Mobilität der Studierenden und der tenzen und ihre europäische Identität gestärkt habe und Internationalisierung der europäischen Hochschulen. Es ihnen eine bessere Perspektive für ihr Leben gegeben ist inzwischen aber auch nicht mehr aus der schulischen, habe. Und das ist genau das, was wir in Europa noch mehr beruflichen und Erwachsenenbildung wegzudenken. brauchen. Wenn die Europäische Union politisch, wirt- Schulpartnerschaften, grenzüberschreitende Projekte schaftlich und sozial erfolgreich sein soll und wenn wirk- sowie die Mobilität von Schülern, Auszubildenden und lich alle jungen Menschen gute Chancen haben sollen, in Lehrern machen Schulen und Ausbildungsstätten zu ihrem Leben erfolgreich zu sein, müssen wir früh anfan- offenen und anregenden Lernorten. Europäisch aktiv zu gen. Das heißt, auch die Internationalisierung von Bildung sein ist ein echtes Qualitätsmerkmal. muss früh ansetzen – bereits in den Schulen und in der beruflichen Bildung. Deswegen denke ich, dass Erasmus+ Die Bildungslandschaft in Europa steht vor großen Her- auch in diesen Bereichen noch weiter ausgebaut werden Ein Gespräch mit Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, dem Prä- ausforderungen. Eine bessere Bildung ist die Grundlage muss. Das wird Geld kosten. Aber wie Jean-Claude Jun- sidenten des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn. für Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und cker, der Präsident der Europäischen Kommission, im Juni Demokratie in Europa. Die Herausforderungen reichen im Europäischen Parlament gesagt hat: „Jeder Euro, den Thomas Kerstan: Sie sind gelernter Bäcker. Was können Sie von der Frage, welche Kompetenzen unsere Bildungssys- wir in Erasmus investieren, ist eine Investition in die Zu- aus der Lehrzeit heute als Professor und Institutsleiter noch teme in einer globalisierten Welt vermitteln sollen, über kunft – nicht nur in die Zukunft eines jungen Menschen, gebrauchen? Chancengerechtigkeit und die Integration von Kindern sondern eine Investition in unsere europäische Idee.“ mit Migrationshintergrund bis zur Digitalisierung. Friedrich Hubert Esser: Ich habe dort wirklich fürs Leben Meine Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen gelernt. Aus der Schule kommend habe ich einen Betrieb Europa ist sehr vielfältig. Diese Vielfalt gilt es zu nutzen. Kommission und ich freuen uns auf eine weiterhin sehr ungeschminkt von innen erleben dürfen; hautnah erfah- Denn es ist kein Thema vorstellbar, für das es in Europa konstruktive Zusammenarbeit mit der Kultusministerkon- ren, wie gewirtschaftet wird, wie wichtig Teamarbeit ist, keine Vorbilder für innovative Projekte und erfolgreiche ferenz, damit diese Perspektiven für junge Menschen in dass es bei der Arbeit auf Qualität ankommt. Für meine Strategien gibt. Die europäische Bildungszusammen- Europa Realität werden. jetzige Aufgabe als Forscher und Politikberater ist es na- türlich sehr hilfreich, den Betrieb als Ausbildungsort, die duale Berufsbildung als Lehrling selber erlebt zu haben. Zur Zukunft der Kerstan: Würden Sie jedem raten, nach der Schule erst einmal eine Ausbildung zu machen? beruflichen Bildung EUROPA UND Esser: So pauschal nicht. Wer mit dem Abitur in der Tasche zum Beispiel eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebt, Neue Perspektiven. Neue Horizonte. dem würde ich das nicht aufdrücken wollen. Aber wer später in die Wirtschaft gehen will, für den oder die kann eine duale Berufsausbildung eine wichtige Erfahrung sein. Wenn die Fächerkombination passt, dann ist die Praxis- ERASMUS+ erfahrung auch ein Vorteil im Studium. Ein gelernter Kaufmann kann etwa ein Betriebswirtschaftsstudium viel zielgerichteter absolvieren. 74 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 75

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser ist seit 2011 Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn. Zuvor leitete er die Abteilung Berufliche Bildung beim Zentralverband des Deutschen Hand- Kerstan: In welchem Zustand ist eigentlich die deutsche Be- Kerstan: Wie konnte dieses erfolgreiche System denn in die Bildungszentren, moderne Lehrpläne und pädagogische werks in Berlin. Er ist zudem seit 2005 als rufsbildung? Sie wird weltweit gelobt, weil ihr zugeschrie- Krise geraten? Konzepte. Da bewegt sich vieles noch zu langsam. Honorarprofessor an der Wirtschafts- und ben wird, dass wir eine so geringe Jugendarbeitslosigkeit Sozialwissenschaftlichen Fakultät der haben. Andererseits scheint sie in der Krise zu stecken, denn Esser: Die Attraktivität hat gelitten. So wird oft kolpor- Kerstan: Was tut sich da aktuell? Universität zu Köln tätig. die Zahl der Studienanfänger steigt und steigt, die Zahl der tiert, dass man mit einem akademischen Abschluss mehr Ausbildungsanfänger sinkt. verdient, besser gegen Krisen gewappnet ist und leichter Esser: Wir überarbeiten beispielsweise gerade die IT-Be- aufsteigen kann. rufe, das ist naheliegend. Aber auch der frühere Gas- und Esser: Genauso ambivalent ist die Lage. Die duale Berufs- Wasserinstallateur und Heizungsbauer muss mit der Zeit ausbildung – mit den Ausbildungsorten Berufsschule und Kerstan: Aber dafür gibt es ja auch viele Belege. gehen. Er muss sich heute mit dem Thema Smarthome Betrieb – ist ein sehr leistungsstarkes Qualifizierungssys- auskennen und technologisch komplizierte Umweltsys- tem. Was die Integration der Jugendlichen in den Arbeits- Esser: Es gibt aber auch viele Beispiele von Absolventen teme beherrschen. Auch da hat die Digitalisierung Einzug markt angeht, ist es den rein schulischen Ausbildungs- der beruflichen Bildung, die sich etwa zum Meister fort- gehalten und verändert den Beruf. gängen in vielen andern Ländern überlegen. Auch die gebildet haben und mehr verdienen als manche Geistes- Sozialisationswirkung ist groß dadurch, dass man in der wissenschaftler, die in der Verwaltung gelandet sind. Die Kerstan: 30 Prozent der Betriebe können nicht alle Aus- Mitte der Wirtschaft und der Gesellschaft lernt und nicht Wirklichkeit ist da wesentlich vielfältiger als das Klischee, bildungsplätze besetzen, die Zahl der Beschäftigten in Autor: Thomas Kerstan separiert davon. Zudem sammeln die Jugendlichen früh das wieder und wieder verbreitet wird. An diesem Image- Deutschland ist gestiegen, die der Auszubildenden gesun- ist bildungspolitischer Korrespondent Praxiserfahrung. Andererseits verliert die Berufsausbil- problem muss gearbeitet werden. Aber die Berufsausbil- ken. Muss man nicht den Betrieben sagen: Macht die Aus- der ZEIT, Chefredakteur des ZEIT- dung für Schulabgänger offenkundig an Attraktivität. In dung muss auch beweglicher werden. bildung attraktiver, zahlt höhere Ausbildungsvergütungen, Studienführers und Herausgeber von den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der neu abge- dann zieht ihr die jungen Leute schon rüber. ZEIT CAMPUS. schlossenen Ausbildungsverträge um 100 000 gesunken, Kerstan: Inwiefern? während die akademische Ausbildung mehr junge Leute Esser: Der Wurm muss ja dem Fisch schmecken, also hier anzieht. Esser: Wer zum Beispiel Betriebswirtschaftslehre studiert, den jungen Leuten. Da können große Unternehmen eini- der hat erst einmal einen sehr breiten Ansatz, viele Mög- ges bieten: Karrieremöglichkeiten, Auslandsaufenthalte, Kerstan: Liegt das womöglich daran, dass die duale Berufs- lichkeiten und muss sich erst später spezialisieren. Wer familienfreundliche Arbeitszeiten und vieles mehr. Klein- bildung ein Erfolgsmodell des Industriezeitalters ist, in dem Speditionskaufmann lernt, der spezialisiert sich gleich zu und Kleinstbetriebe können da aber nicht mithalten, Ingenieure und sehr qualifizierte Facharbeiter zusam- Beginn, legt sich sehr eng fest. Er kann sich zwar fort- meine Sorge ist, dass die Hochschulen und die Großunter- menarbeiten oder die Hierarchie Meister-Geselle-Stift für bilden und beruflich verändern, das ist vielen aber nicht nehmen ihnen die Auszubildenden wegschnappen. Wir Qualität bürgt? Mit der Digitalisierung gelangen aber halb bekannt. müssen sie deshalb unterstützen. fertige Produkte auf den Markt, die erst nach und nach per- schulen schon einiges auf die Beine gestellt. Den Schülern fektioniert werden. Amerika ist ja in der Berufsbildung nicht Kerstan: Sollte man die Berufe in der Ausbildung breiter Kerstan: Haben Sie dazu Ideen? mit Startschwierigkeiten wird gezeigt, welche Berufe es so stark, aber Vorreiter bei der Hard- und Softwareentwick- anlegen? gibt, und sie finden im besten Fall einen gestuften Weg lung. Passt das alte Erfolgsmodell noch in diese neue Zeit? Esser: Da sind vor allem die Innungen, die Kreishandwer- in die Berufsausbildung. Das ist ein schwieriges Geschäft, Esser: Darüber muss man nachdenken. In vielen Berufsfel- kerschaften und die Kammern gefordert. Sie müssen die aber es lohnt sich. Wir wollen aber auch die sehr guten Esser: Ja, denn die duale Berufsbildung zieht ihre Stär- dern ist das möglich, daran arbeiten wir auch. kleinen Betriebe massiv darin unterstützen, attraktive und Schüler für eine Berufsausbildung gewinnen. ke aus der Kombination zweier Lernumgebungen, der moderne Ausbildungsplätze anzubieten. situativen oder fallorientierten im Betrieb unter realen Kerstan: Haben Sie noch mehr Ideen, wie man die Berufs- Kerstan: Wie wollen Sie das anstellen? Bedingungen und der fachorientierten in der Schule. In ausbildung attraktiver machen kann? Kerstan: Es gibt ja auch Jugendliche, wie die PISA-Studie der Sparkasse lernt der Auszubildende etwa, wie er einem zeigt, die so schlecht lesen und rechnen können, dass sie Esser: An den Gymnasien und anderen weiterführen- Kunden einen Kredit verkauft, und in der Berufsschule Esser: Wir brauchen zukunftsfähige Berufsbilder und nicht sofort eine Ausbildung beginnen können. den Schulen darf nicht nur über Studienmöglichkeiten den theoretischen Hintergrund. Der Gegenstand der müssen die Ausbildungspläne sehr schnell der sich ver- informiert werden, sondern es müssen auch attraktive Be- Wirtschaft ist dabei letztlich egal. Entscheidend ist die ändernden Realität anpassen. Dazu gehören modern aus- Esser: Da wird meistens lokal von den Unternehmen, rufsausbildungen und berufliche Karrierewege vorgestellt geschickte Kombination aus Theorie und Praxis. gestattete Berufsschulen, hochmoderne überbetriebliche überbetrieblichen Bildungszentren, Kammern und Berufs- werden. Einige Bundesländer sind da schon auf dem Weg. 76 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 77

DIE ATTRAKTIVITÄT Hans Peter Wollseifer ist seit 2010 Präsident der Handwerkskam- mer zu Köln und dazu seit 2014 Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Außerdem engagiert er sich in der Sozial- und DER BERUFSBILDUNG Gesundheitspolitik.

rigkeit im Schulsystem mit der zentralen Säule Realschule Initiative werden systematisch-strukturiert Aspekte zur ein. Lehrkräfte werden systematisch unter anderem Stärkung der Attraktivität der Berufsbildung im Hand- STÄRKEN mit Unterrichtsmaterial unterstützt, wenn sie in ihrer werk miteinander verknüpft und sie zeigt chancenreiche täglichen Arbeit den jungen Menschen die Berufsaus- berufliche Bildungs- und Karrierewege auf. bildung im dualen System nahebringen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Berufsorientierungsmaßnahmen Denn eine höhere und perspektivenreiche Bildung ist in den Bildungszentren des Handwerks, die bereits dazu nicht nur an den Hochschulen, sondern auch im berufli- beigetragen haben, dass sich der Anteil bei den Lehrlingen chen Bildungssystem systematisch angelegt und steht mit Realschul- oder gleichwertigem Abschluss seit der allen Bildungsinteressierten gemäß ihrer individuellen Jahrtausendwende von rund 15 Prozent auf heute über 30 Lebensplanung offen. Beispiele hierfür sind der Meister Prozent in Bayern mehr als verdoppelt hat. auf DQR-Stufe 6 und der Betriebswirt nach der Hand- werksordnung auf DQR-Stufe 7. Chancenreiche Die Handwerkskammer Dresden beteiligt sich seit dem Schuljahr 2009/2010 wie zahlreiche andere Kammern am Das Konzept der Höheren Berufsbildung leistet damit berufliche Bildungs- bundesweiten Projekt „Förderung der Berufsorientierung einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung, von der in überbetrieblichen und vergleichbaren Bildungsstät- die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft – F und Karrierewege ten“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und hier insbesondere der klein- und mittelständischen ür das Handwerk ist und bleibt Bildung ein Schlüssel- (BMBF). Seitdem haben mehr als 6 200 Schüler zumeist Betriebe – wesentlich abhängt. begriff. Der Erfolg des deutschen Handwerks steht und im Handwerk aus der Klassenstufe 7 und 8 an Werkstatttagen im Bil- fällt mit der Qualität der Aus- und Weiterbildung. Das dungszentrum der Handwerkskammer in Dresden teilge- Eines der Handlungsfelder im Konzept der Höheren Handwerk sieht sich jedoch mit wachsenden Heraus- nommen. Dazu schloss die Handwerkskammer Dresden Berufsbildung ist das „BerufsAbitur“, das wir gemein- forderungen bei der Fachkräftenachwuchssicherung bislang 30 Kooperationsverträge mit Schulen. Ziel ist es, sam mit der Kultusministerkonferenz voranbringen. konfrontiert. Auf der einen Seite führt die nach Vorausbe- die Schüler mit Berufsfeldern bzw. Berufen frühzeitig be- Als doppelt qualifizierender Bildungsgang verbindet es rechnung der Kultusministerkonferenz überproportional kannt zu machen und sie über deren Anforderungen und den Gesellenabschluss und die allgemeine Hochschul- rückläufige Anzahl der Haupt- und Realschulabsolventen, Inhalte während und nach der Ausbildung zu informieren, zugangsberechtigung miteinander. Die Jugendlichen die das Gros der Auszubildenden im Handwerk stellen, sodass sie die Voraussetzungen für einen Ausbildungs- müssen ihren beruflichen Lebensweg nicht nach dem zu einer entsprechenden Reduzierung des aus dieser platz im gewünschten Beruf schaffen können. mittleren Abschluss planen, sondern können diese Ent- Gruppe kommenden Nachwuchskräftepotenzials. Auf der scheidung später mit mehr Lebens- und Berufserfahrung anderen Seite ist das Handwerk im Zuge des technologi- Die demografische Entwicklung und eine anhaltend hohe treffen. Dieser doppeltqualifizierende Bildungsgang wird schen Wandels auf eine steigende Zahl hoch qualifizierter Studierneigung junger Menschen sind für das deutsche in Kooperation mit beruflichen Schulen durchgeführt, die Fach- und Führungskräfte angewiesen. Aufgrund dieser Handwerk eine besondere Herausforderung. Steigende wie bisher als starker dualer Partner benötigt werden. Entwicklungen nimmt das Handwerk neben Haupt- und Übertrittsquoten in Gymnasien und Karriereplanungen, Wir wollen die Duale Bildung weiter stärken, die mit der Realschulabsolventen zunehmend auch Abiturienten als die primär auf ein akademisches Studium fokussieren, Verknüpfung von betrieblicher und schulischer Bildung Zielgruppe in den Fokus. teilweise auch am Arbeitsmarkt vorbeizielen, haben zu ein Alleinstellungsmerkmal hat. Sie bietet nicht nur allen Verschiebungen im Verhältnis von beruflicher und aka- jungen Menschen eine nachhaltige Perspektive auf dem An unserem Leitsatz halten wir indessen unbenommen demischer Bildung geführt. Die Zahl der Studienanfänger Arbeitsmarkt, sondern gibt ihnen auch das Rüstzeug fest: Im Handwerk erhält jeder eine Chance. Jeder, der übersteigt die der abgeschlossen Ausbildungsverträge für individuelle berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. bereit ist, seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten seit mehreren Jahren. Darüber hinaus bildet sie mit der Qualifizierung des Fach- zu ergreifen. kräftereservoirs eine wesentliche Voraussetzung für den Der Zentralverband des Deutschen Handwerks stellt sich Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Für diesen Die Kooperationen zwischen Haupt- und Realschulen und als Spitzenverband der deutschen Wirtschaft den skizzier- Weg der Qualifizierung wird sich das Handwerk auch in dem Handwerk sind sehr vielfältig. In Bayern beispielswei- ten Entwicklungen unter anderem mit der bildungspoli- Zukunft gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz mit se setzt sich das Bündnis Beste Bildung für die Mehrglied- tischen Initiative „Höhere Berufsbildung“. Im Rahmen der Überzeugung und Engagement einsetzen. 78 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 79 STRATEGIE ZUR BILDUNG IN DER DIGITALEN WELT

Ein Interview mit Dirk Loßack

Jan-Martin Wiarda: Herr Loßack, hat die Kultusminister- Dirk Loßack konferenz die Digitalisierung verpennt? war von 2012 bis 2017 Staatsse- kretär für Bildung im Ministerium Dirk Loßack: Ich finde nicht, dass man das speziell der für Bildung, Wissenschaft und KMK vorwerfen kann. Wenn, dann haben wir alle geschla- Kultur in Schleswig-Holstein. fen in Deutschland: Bund und Länder, die Wirtschaft. Zuvor arbeitete er als Lehrer und Schauen Sie mal, was in Skandinavien passiert, in den bal- Schulleiter in Flensburg. tischen Ländern, da hinken wir meilenweit hinterher. Und darüber können wir jetzt lange lamentieren und weiter Loßack: Sie wurden zu nichts verpflichtet, sie haben sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes riskieren – oder, was selbst verpflichtet. Die Erkenntnis, dass wir in die Gänge ich besser finde, wir legen los. kommen müssen, ist so drängend, dass es da keinerlei Diskussionen gab, auch zwischen den parteipolitischen Wiarda: Im Dezember 2016 hat die KMK ihre Strategie Lagern nicht. Aber Sie haben Recht: Das ist in der Tat et-

_DIGITALISIERUNG „Bildung in einer digitalen Welt“ verabschiedet. Fünf Jahre was Seltenes, etwas Großes in unserem föderalen System. zu spät, sagen viele – dafür hat die Strategie selbst Lob Okay, wir haben die Bildungsstandards, aber jedes Land erhalten. Erklären Sie bitte in ein paar Sätzen, was drinsteht. hat seine eigenen Lehrpläne und Curricula. Und jetzt kommen wir als KMK und legen den Kompetenzrahmen Loßack: Zunächst mal: Auch wenn wir in der Breite drüber, der für jedes einzelne Fach umzusetzen ist, von hinterher sind, heißt das nicht, dass sich nicht längst Physik über Chemie bis zu Deutsch oder Mathematik. In sehr viele Schulen auf den Weg gemacht haben. Und um ganz Deutschland. unsere Strategie auf den Punkt zu bringen: Die Digitali- sierung verändert jeden Lebensbereich, sie verändert, wie Wiarda: Es gibt noch eine zweite Selbstverpflichtung: Bis wir lernen und wie wir Wissen weitergeben können. Das spätestens 2020 sollen alle Schüler zu jeder Zeit Zugang zu ergänzt auch den klassischen Bildungsauftrag in Schulen, digitalen Lernumgebungen haben. Haben die Länder da den Hochschulen und in der Ausbildung. Wenn wir den Schü- Mund nicht etwas voll genommen? lern von heute Teilhabe in der Welt von morgen ermögli- chen wollen, kulturell, politisch, wirtschaftlich, beruflich, Loßack: Wir haben doch gar keine andere Wahl. Wir dann müssen wir verbindlich sagen, welche Kompetenzen müssen die technische Infrastruktur in und für die Schu- sie dafür brauchen und wie wir sie vermitteln. Das haben len schaffen. Der von der Bundesregierung angebotene wir Kompetenzrahmen genannt und alle Länder müssen Digitalpakt, wenn er denn kommt, wird helfen, aber die sicherstellen, dass alle Kinder, die ab 2018/19 eingeschult Länder investieren selbst längst kräftig in die Umsetzung werden oder auf weiterführende Schulen wechseln, nach der Digitalisierung im Bildungswesen. Übrigens schon diesem Kompetenzrahmen lernen. jetzt weit mehr als die fünf Milliarden Euro auf fünf Jahre, die für den Digitalpakt im Gespräch sind. Aber natürlich Wiarda: Wie haben Sie denn das hinbekommen? Die Länder können wir ihre Umsetzung nicht allein hinbekommen. lassen sich doch kaum einmal zu irgendwas verpflichten. Darum haben wir die Strategie von Anfang an auch in 80 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 81

einem offenen Prozess erarbeitet. Kein Akteur, ob staatlich ignorieren, weil es sonst hoffnungslos ins Hintertreffen oder gesellschaftlich, kann von sich behaupten, dass das geriete. Außerdem wird die KMK-Lenkungsgruppe weiter- nötige Know-How allein bei ihm liegt. arbeiten und in einigen Jahren bei den Ländern nachfra- gen: Wie weit seid ihr? Habt ihr die Lehrpläne angepasst? Wiarda: Auch das war neu: Dass Sie nicht nur Experten Und was ist mit der Infrastruktur? Das Ergebnis wird eingeladen haben, wie das so üblich ist, sondern auch den dann veröffentlicht, und Sie können sich vorstellen, wie ersten Entwurf der Strategie online zur Diskussion gestellt aufmerksam das verfolgt werden wird. haben. Haben da die Ministerialbeamten eigentlich sehr aufgemuckt? Wiarda: Und was machen wir gegen all die Digitalmuffel in den Lehrerkollegien? Loßack: Der Zeitdruck ließ gar nichts anderes zu. Zwi- schen dem Auftrag an die von Dr. Frank Pfeil aus Sachsen Loßack: Ich finde es Unsinn, unseren Lehrkräften vorzu- und mir geleitete Staatssekretärsarbeitsgruppe, eine werfen, sie wollten in der Kreidezeit verharren. Die Wahr- Strategie auszuarbeiten, und dem Beschluss in der KMK heit ist: Die Anforderungen, die wir als Gesellschaft an sie lag nur ein Jahr. Da mussten wir neue Wege gehen, und richten, waren noch nie so komplex. Die Schulen müssen so stark wir die Zivilgesellschaft eingebunden haben, die eine immer stärkere Erziehungsfunktion übernehmen, Wissenschaft, die kommunalen Spitzenverbände, Stiftun- dazu kommen Themen wie Integration, Einbindung der gen und die Wirtschaft, so sehr mussten wir die diversen Flüchtlinge, Binnendifferenzierung, Inklusion. Es kann Gremien und Ausschüsse, in denen KMK-Vorlagen sonst sein, dass da bei einigen Kollegen das Gefühl aufkommt: entstehen und behandelt werden, knapp halten. Auch Und jetzt auch noch die Digitalisierung. Unsere Botschaft so war es für uns alle, die Leitungen und Arbeitsebenen muss lauten: Nein, nicht noch eine Aufgabe, sondern Digi- IN DER NEUEN der Ministerien und das KMK-Sekretariat, eine extrem talisierung ist Teil der Lösung für diese in höchstem Maße herausfordernde Aufgabe, alle Workshop-Ergebnisse und komplexe Aufgabe des Unterrichtens. Aber natürlich schriftlichen Eingaben auszuwerten und einzuarbeiten, müssen wir den Lehrkräften dafür die nötigen Fähigkeiten und das Ganze bei Vollgas. in ihrer Aus- und Weiterbildung vermitteln – und ihnen die Zeit geben, das Gelernte im Unterricht umzusetzen. Wiarda: Wenn der Bund sich jetzt beteiligt, wird er auch WIRKLICHKEIT seinen Einfluss geltend machen. Kommt die Bundeszen- Wiarda: Was sagen Sie eigentlich zu den Warnungen eini- tral-Cloud? ger Bildungsexperten, von der Digitalisierung in der Bildung Es hat sich viel getan: Hochschulen und profitierten vor allem die Konzerne und zuletzt die Schüler? Bildungspolitik haben erkannt, dass Hoch- Loßack: Quatsch. Da wäre der Berliner Flughafen dreimal schulbildung unter den Vorzeichen der fertig gebaut, bis die funktionieren würde. Wir brauchen Loßack: Schon als das Fernsehen aufkam, gab es Leute, die Digitalisierung verändert werden muss. Das gemeinsame technische Standards und Schnittstellen, vor dem Untergang des Abendlandes warnten. Wenn re- vom BMBF mandatierte Hochschulforum damit die verschiedenen Clouds, die jetzt überall in den nommierte Wissenschaftler fordern, man solle Kinder bis Digitalisierung (HFD) hat dabei als nationa- Ländern, Kommunen und Schulen entstehen, miteinander zum 15. Lebensjahr von elektronischen Geräten fernhal- kompatibel bzw. interoperabel sind, und dafür ist auch ten, widerspricht das dem gesunden Menschenverstand. le Initiative mit Unterstützung der KMK eine solche Bund-Länder-Vereinbarung gut. Aber auf Da ist es mir lieber, wir machen unsere Kinder stark und und dem Engagement vieler Expertinnen der Grundlage dieser Standards kann jedes Bundesland medienkompetent, bewusst für die Gefahren des Inter- und Experten eine überfällige Diskussion beispielsweise seine eigenen Identitätsmanagementsys- nets und der allumfassenden Verfügbarkeit ihrer Daten. über Herausforderungen und Gestaltungs- teme entwickeln. Die sensiblen Daten der Schüler und Am Ende ist es doch so: Als Gesellschaft tragen wir die möglichkeiten einer Hochschulbildung Lehrkräfte bleiben so föderal organisiert, gleichzeitig kann große Verantwortung, unsere Kinder aufs Leben vorzube- im digitalen Zeitalter bundesweit in Gang sich ein bundesweiter Markt entwickeln. Wichtig ist doch, reiten, damit sie später klarkommen, privat wie beruflich. gebracht. Was fehlt: eine konsequente dass die Lernsoftware, die auf dem System in Bundesland Klammern wir das digitale Lernen aus weltanschaulichen Orientierung an den Kompetenzen, die im A läuft, auch im Bundesland B funktioniert. Und dass die oder sonstigen Gründen aus, schaden wir einer ganzen 21. Jahrhundert gebraucht werden. Softwareanbieter nicht für jedes Land eine angepasste Generation. Lösung basteln müssen. Diese Schnittstellen müssen da sein. Wenn bei der Schaffung von Standards und der Sicherstellung der Interoperabilität sowohl die öffentliche Autor: Jan-Martin Wiarda Hand als auch die Wirtschaft zusammenarbeiten, dann ist seit August 2015 freier Journalist, kriegen wir das auch hin. Autor und Moderator. Seine Texte veröffentlicht er unter anderem in Wiarda: Was müssen eigentlich die Länder befürchten, die der Süddeutschen Zeitung, in der FAZ, ihre Selbstverpflichtung nicht einhalten? Nichts oder? im Tagesspiegel und bei brand eins. Er war acht Jahre lang Redakteur in Loßack: Sanktionen sind da auch überflüssig. Kein Land Hamburg bei der ZEIT im Bildungsres- wird sich erlauben können, diesen KMK-Beschluss zu sort "Chancen". 82 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 83

Dr. Volker Meyer-Guckel ist stellvertretender Generalsekretär und Mitglied der Geschäftsleitung des Stifterverbandes. Er leitet den Bereich „Programm und Förderung“.

Neuer Morgen

Was tun? Die Förderanträge haben gezeigt: Reformideen müssen früher ansetzen. Notwendig ist ein Fokus auf Status: Quo vadis? Kompetenzentwicklung mit Blick auf die genannten Trends. Eine konsequente Ausrichtung darauf bedeu- Die Digitalisierung ist als Herausforderung im Land tet auch eine Umstellung in der Lehre zugunsten von angekommen. Für den Hochschulbereich konnte u. a. aktivierenden Lehr- und Lernformaten wie problem- und das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) zur Sichtbar- projektbasiertem Lernen. keit von guten Praxisbeispielen einzelner Pioniere und Hochschulen beitragen. Notwendige Reformen und neue Hierbei können die neuen technischen Möglichkeiten Strategiekonzepte von Bund und Ländern genießen fast weiterhelfen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Durch D Trend 1: Die Welt braucht mehr kreative Problemlöser. bundesweit eine höhere Priorität. Und wir stellen erfreut den Inverted Classroom kann die inhaltliche Vermittlung ie Digitalisierung wälzt derzeit Wirtschaft und Gesell- Während auch komplexe Routinetätigkeiten zunehmend fest: Die Politik handelt und hat eine Reihe von Förder- ins Netz verlagert und Interaktion in Präsenz neu geschaf- schaft um; es ist allenthalben die Rede von der vierten automatisiert werden, braucht es immer mehr Menschen, programmen aufgelegt bzw. in Planung. Kurz: Es passiert fen werden. Durch soziale Kollaborationstools lässt sich Industriellen Revolution. Alte Jobs verschwinden, neue die komplexe Probleme lösen, adaptiv denken und kreativ bereits einiges. Und das ist gut so. die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Leh- entstehen. Die US-Ökonomen Carl Frey und Michael Os- arbeiten können. renden neu gestalten und es entstehen ortsunabhängige borne erwarten, dass in den kommenden 10 bis 20 Jahren Was wir allerdings an vielen Orten beobachten: Es fehlt Austauschmöglichkeiten. etwa die Hälfte aller derzeitigen Tätigkeiten wegfallen. Trend 2: Die Welt wird programmierbar. Es entstehen eine grundlegende Vision, wie wir Bildungsprozesse neu Diesen Pessimismus muss man nicht teilen: Ähnliche neue Interaktionen zwischen Mensch und Technik. So ist gestalten können. Im vergangenen Jahr hat der Stifter- Aber auch die Politik ist gefordert. Sie muss in die bessere Befürchtungen gab es schon früher, sei es bei der Einfüh- die Zukunft von einem komplexen Zusammenspiel von verband mit der Carl-Zeiss-Stiftung einen Wettbewerb für Ausbildung von Hochschullehrenden und in hochschul- rung von Industrierobotern oder beim Umstieg vom Pferd Mensch und Maschine geprägt. Das bedeutet nicht, dass Studiengangsreformprojekte unter dem Titel „Curriculum übergreifende Supportstrukturen investieren – denn dass aufs Automobil. Die Warnungen sind bisher nie eingetrof- jeder programmieren können muss. Aber Absolventen 4.0“ durchgeführt. Fast 150 Bewerbungen wurden einge- ein guter Forscher nicht automatisch ein guter Lehrender fen, aber einzelne Berufsgruppen verschwanden, weil für aller Fachbereiche müssen die Fähigkeit haben, produktiv reicht, viele davon lassen sich mit Blick auf neue Lehrfor- ist, ist hinreichend belegt. Die Abkehr von 90-minütigen ihre Kompetenzen kein Bedarf mehr bestand. mit Daten umgehen zu können. mate und Studieninhalte als innovativ bezeichnen. Vorlesungen zugunsten einer wirklich kompetenzorien- tierten Lehre ist aufwändig und braucht Unterstützung. Entscheidend für den nun vor uns liegenden Transfor- Trend 3: Die Welt wird noch vernetzter. Noch stärker als Wir haben die Bewerbungen aber auch auf ihre Projektion Sie braucht übrigens auch kluge Begleitforschung. mationsprozess in der Digitalen Revolution wird sein, heute werden Arbeitnehmer transdisziplinär zusammen- der anstehenden Veränderungen hin untersucht. Kaum wie wir als führender Industriestandort neue Antworten arbeiten müssen. Hierfür braucht es unter anderem eine ein Antrag zeigte hier schlüssige Ideen zur Zukunft der In den vergangenen Jahren sind wir hier insbesondere auf alte Fragen finden: Wie bilden wir Studierende für hohe soziale und interkulturelle Intelligenz. Diese Fähig- Bildung an Hochschulen auf. Dieser Befund ist aus unserer durch die produktive Zusammenarbeit im HFD hoch- Jobs aus, die so noch nicht existieren? Wie bereiten wir keiten kann man trainieren. Sicht symptomatisch für etwaige Reformbemühungen: schulübergreifend im Austausch mit den Bundesländern sie auf das Lösen von Problemen vor, die wir selbst noch Nur in wenigen Fällen denkt man Curricula mit Blick auf bereits ein gutes Stück vorangekommen – um aber den nicht kennen? Wie helfen wir ihnen, agil Kompetenzen im Trend 4: Wir werden älter, arbeiten länger und müssen die in Zukunft notwendigen Kompetenzen strukturell neu. „Digital Turn“, wie wir ihn genannt haben, erfolgreich und Umgang mit neuen Technologien zu entwickeln, die erst permanent dazulernen. Dieser Trend wird vom demogra- Dies muss sich schnell ändern! kontinuierlich agil zu bewältigen, bleibt es ein mühevoller noch erfunden werden? fischen Wandel noch verstärkt. Das bedeutet: Studierende wiewohl lohnender Weg. müssen in der Lage sein, ein Leben lang aktiv zu lernen. Damit sollen die zahlreichen Initiativen zur Verbesserung Alles macht weiter der Lehre keineswegs kleingeredet werden, im Gegenteil: Der KMK wünsche ich, dass sie diesen, um im Bild zu Zusammengefasst: Komplexität und Dynamik erhöhen Diese Arbeit ist wichtig und sollte weiter gestärkt werden. bleiben, steinigen Weg in eine digitale Zukunft noch Die gute Nachricht: Wir stochern nicht komplett im Nebel. sich und wir müssen Studierende bestmöglich hierauf Aber die bestehenden Ansätze müssen neu fokussiert stärker als bisher mit dem Bund und zahlreichen weiteren Es zeichnen sich klare Trends ab, in welche Richtung die vorbereiten. Dies tun wir, indem wir gezielt den Auf- und werden – es geht darum, die Kompetenzentwicklung, die Partnern gemeinsam geht, um so für eine innovations- Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesell- Ausbau von Kompetenzen fördern, die Studierenden Studierende im 21. Jahrhundert brauchen, in den Mittel- freudige Hochschulbildung im 21. Jahrhundert zu sorgen schaft gehen werden. ermöglichen, im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein. punkt der Hochschulbildung zu rücken. – die wir dringend brauchen. 84 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 85

Bildung ist entscheidend für die Entfaltung individueller Potenziale ebenso wie für die Digitalisierung in Teilhabe an Gesellschaft und Wirtschaft. Der Entwicklung von Schule in einer zunehmend NEUE CHANCEN der Schule digitalen Welt kommt daher besondere Bedeutung zu. Mark van Mierle, Vorsitzender der Geschäftsführung des Cornelsen Verlags, illustriert im nachfolgenden Beitrag, dass digitale Technologien und der Erwerb digitaler FÜR BILDUNG Kompetenz nicht nur zu einer zeitgemäßen schulischen Bildung gehören, sondern auch Mark van Mierle neue Lehr- und Lernperspektiven eröffnen. ist seit 2015 Vorsitzender der Geschäftsfüh- rung des Cornelsen Verlags und der Franz Cornelsen Bildungsholding. Sein beruflicher Schwerpunkt ist die Digitalisierung, unter anderem im Verlagswesen. W enn wir per App ein Taxi bestellen, auch in Schule zu nutzen – für erfolg- online noch eine Rechnung über- reicheres Lernen und als wirksame weisen oder uns das neueste E-Book Möglichkeit, um Lehrer und Schule herunterladen, dann zeigt das, wie systemisch zu entlasten. Das hat selbstverständlich digitale Techno- auch die Kultusministerkonferenz in logien in unserem Alltag bereits sind ihrer Strategie „Bildung in der digita- verbessern – im Klassenzimmer und – im Privaten, im Beruf, bei uns selbst len Welt“ aufgezeigt. Das Ende 2016 zu Hause. Dafür braucht es passen- und bei unseren Kindern. Deshalb veröffentlichte Dokument ist Aus- de didaktische Konzepte. Richtig ist es wichtig, dass auch schulische druck eines länderübergreifenden eingesetzt unterstützen digitale Bildung sich auf diese Technologien Willens, gemeinsame Grundlagen Technologien das selbstständige und ausrichtet, neue Wege des Lehrens und verbindliche Rahmenbedingun- eigenverantwortliche Lernen und und Lernens beschreitet und junge gen für digitales Lernen zu schaffen. fördern kollaborative Arbeitsweisen. Menschen auf die Lebenswirklichkeit Die KMK-Strategie nennt nicht nur Sie bieten leichteren Zugang zum im 21. Jahrhundert vorbereitet. klare Ziele, sondern verdeutlicht, wie Lernstoff und erhöhen die Motivation komplex die anstehenden Heraus- der Schüler. 86 Prozent der Deutschen sind für forderungen sind. Digitalisierung mehr digitale Bildung in der Schule von Schule ist eine gesamtgesell- Nehmen wir zum Beispiel die Abi- Natürlich sind wir vom verbreite- Nur wenn sie die Freiheit haben, digitaler Lernlösungen oder Fortbil- – so der „ZukunftsMonitor“ 2016 schaftliche Aufgabe, die zuverlässige turientin, die sich per App auf ihre ten schulischen Einsatz solcher digitale Lernlösungen entsprechend dungsangeboten. des Bundesministeriums für Bildung Partner aus Wirtschaft und Zivilge- Prüfungen vorbereitet und immer Technologien noch ein gutes Stück ihrer individuellen Bedürfnisse und Forschung. Dieses Ergebnis sellschaft braucht. Aufgaben erhält, die ihrem jewei- entfernt. Zunächst einmal geht es einsetzen zu können, lassen sich die Die Veränderungen durch digitale überrascht nicht. Dennoch, wer über ligen Leistungsstand entsprechen. darum, Schule grundsätzlich fit zu neuen Chancen für Bildung realisie- Technologien sind so einschneidend Digitalisierung spricht, stößt schnell Als Bildungsverlag sind wir Teil der Durch direktes Feedback kann sie ihr machen für digitale Lernlösungen, ren. Dann erst geht die Entwicklung und umfassend, dass der KMK hier auch auf Vorbehalte und Ängste Bildungsentwicklung und wissen, Wissen überprüfen und gezielt ver- und darum, entsprechende Bildungs- von Schule auch einher mit der eine entscheidende Rolle zukommt. – gerade, wenn es um Kinder und dass Digitalisierung nicht heißt, an bessern. Oder nehmen wir eine ganz strategien schneller umzusetzen. gesellschaftlichen Dynamik. Um Ver- Sie hat die Chance als zentraler Jugendliche geht. Doch die sind (jen- den Schulen nur Tablets zu verteilen. andere Technologie. Mithilfe einer Digitalisierung in Schulen braucht änderungen mitzugestalten, müssen Katalysator den wichtigen Dialog seits von WhatsApp und Computer- Digitale Technologien bringen erst Virtual-Reality-Brille kann ein Siebt- eine ausreichende Ressourcenaus- Lehrkräfte schließlich auch in Aus- zwischen Bund, Ländern und Bil- spielen) dem Einsatz digitaler Tech- dann einen Mehrwert, wenn sie klässler durch den menschlichen stattung – technisch, finanziell und und Weiterbildung gestärkt werden. dungsakteuren lebendig zu halten nologien in der Schule gegenüber sinnvoll in Lernprozesse integriert Körper reisen und die komplexen personell – und klare Vorgaben, etwa Dabei sollten sie auf verlässliche und sich für eine zügige Umsetzung äußerst offen. Über 82 Prozent der werden. Ob Schüler also mit einer Abläufe in unserem Inneren in einer zu Medienentwicklungsplänen oder Partner bauen können. Bildungs- der Strategie stark zu machen. Mit 14- bis 19-Jährigen haben mehr Lust App, einer Arbeitsmappe oder einem 360-Grad-Simulation erleben. Nur zum Datenschutz. verlage können durch ihre didakti- den richtigen Bildungspartnern kann am Lernen, wenn sie Computer, Ta- Schulheft lernen, hängt auch künftig eines von unzähligen Beispielen, wie schen, fachlichen und systemischen sie Schulen neue Wege eröffnen. So blets oder Smartphones verwenden von der jeweiligen Aufgabe ab. Die künftig abstrakte Zusammenhän- Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, Kompetenzen die Schulentwicklung lässt sich Bildung ebenso zeitgemäß dürfen. Gute Voraussetzungen also, neuen Anwendungen haben aber ge anschaulich vermittelt werden den Weg zusammen mit den Lehre- unterstützen – sei es mit Inhalten, wie chancengerecht entwickeln. Wir die Chancen digitaler Technologien das Potenzial, schulisches Lernen zu können. rinnen und Lehrern zu beschreiten. Bildungsmedien, der Kuratierung sind bereit dafür. 86 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 87

ZUM Mein Plädoyer für den Föderalismus und eine ehrliche Bildungsdebatte SCHLUSS

Die Debatte um den Bildungsföderalismus scheint zeitlos. wesentlichsten Organisationsprinzip unseres Gemein- Die nicht enden wollende Kritik unterminiert ein leis- wesens, missachtet die Ewigkeitsklausel aus Artikel 79 tungsstarkes und weltweit anerkanntes Bildungssystem III des Grundgesetzes, die „die Gliederung des Bundes in und setzt seine Stabilität fortwährend aufs Spiel. Alterna- Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der tiven werden nur insofern formuliert, als dass der Bund Gesetzgebung“ als zwingend erforderlich für die Bun- mehr Verantwortung übernehmen soll. Aber wer davon desrepublik vorschreibt, und ignoriert wissentlich oder im Bund? Die Bundesregierung oder gesetzgebend der unwissentlich die Gedanken der Mütter und Väter, die das Bundestag? Selbst diese Frage wird in der durchlaufenden Grundgesetz formulierten. Nie wieder sollte es zu einer Kritik nicht eindeutig oder gar nicht beantwortet. Die Gleichschaltung der Staatsgewalt kommen. Sicherlich Frage, die sich mir zunehmend aufdrängt: Warum lassen ist kein System perfekt, aber 70 Jahre Kulturhoheit der sich die Länder zum Teil in kleinen Schritten auf diesen Länder als die wesentliche und substanzielle Zuständig- grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der föderalen keit der Länder stehen jedem Ruf nach mehr Zentralismus Ordnung ein? diametral entgegen.

Bereits im Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfas- Die Kultusministerkonferenz, die Stimme für Föderalis- sungskommission von Bundestag und Bundesrat (1991 bis mus, Bildungs- und Kulturhoheit der Länder, wird oft mit 1993) betonten die Ministerpräsidenten der Länder, dass dieser einschneidenden Systemkritik am föderalen Kern der Föderalismus nur funktionieren kann, „wenn Bund des Grundgesetzes konfrontiert. In dieser Debatte sind Udo Michallik und Länder gleichermaßen über substanzielle Zuständig- die Rollen derzeit schnell verteilt. Wer sich für Zentra- ist seit 2011 Generalsekretär der Kultusminister- keiten verfügen. Ein solcher Zustand ist in der Bundesre- lismus einsetzt, wird bejubelt. Wer den Föderalismus konferenz und war zuvor Staatssekretär im publik Deutschland gefährdet“. Gilt der 1993 formulierte verteidigt, muss sich dafür rechtfertigen. Wer sich beliebt Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Grundsatz mit Blick auf den Bildungsföderalismus 2017 machen will, wird aus Opportunismus die Ländervielfalt Kultur in Mecklenburg-Vorpommern. nicht mehr? aufopfern, ohne alle Folgen zu bedenken. Es wäre das Ende der Subsidiarität, nach welchem Prinzip sich die In der wechselvollen deutschen Geschichte verzeichnen Landesregierungen und Kommunen unmittelbar an den wir seit 1949 die größte politische Stabilität einschließlich Bedürfnissen der Bürger vor Ort orientieren. Der Bund der Erfolgsgeschichte der deutschen Wiedervereinigung. ist dazu in seiner Rolle nicht in der Lage. Eine Bundesbil- Die fundamentale Kritik am föderalen System, dem dungsbehörde würde lediglich mehr Bürokratie und kol- 88 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 89

IMPRESSUM »INSBESONDERE IN DER herausgeber BILDUNGSPOLITIK Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder HAT SICH IN DEN LETZTEN in der Bundesrepublik Deutschland Taubenstraße 10, 10117 Berlin JAHREN VIELES GETAN.« Postfach 11 03 42, 10833 Berlin Telefon 030 25418 -499 www.kmk.org

design/konzeption DITHO Design GmbH, Köln druck Brandt GmbH, Bonn auflage 5 000 lektive Verantwortungslosigkeit herbeirufen. Das wider- der unaufhaltsamen Dynamik unserer Gesellschaft der Stand: Januar 2018 spricht unserem Anspruch, das weltbeste Bildungssystem Föderalismus immer wieder als Auslaufmodell gebrand- zu kreieren. Bund, Länder und Kommunen sollten in dieser markt wird. Wer kennt nicht die Debatten im Bundestag, Debatte die bewährte und im Grundgesetz manifestierte in denen ein Ende der Länderautonomie gefordert wird. föderale Ordnung verteidigen. Ein konsequentes Bekennt- Finanziell sitzt der Bund zumindest meist am längeren danksagung nis hierzu würde alle Akteure dazu bewegen, im Interesse Hebel. Hinzu kommt, dass ab 2020 die Länder einen aus- Unser Dank gilt den Interviewpartnern sowie den Autorinnen der Zukunft kommender Generationen beständig an der geglichenen Haushalt aufweisen müssen. Das lässt wenig und Autoren für ihre Beiträge zu diesem Magazin, dem Verlässlichkeit und Funktion dieses Systems miteinander Spielraum für zeitgemäße Anpassungen in unserem Redaktionsteam im Sekretariat der Kultusministerkonferenz, zu arbeiten. Dafür haben alle Ebenen entsprechende Gre- Bildungssystem. In der Debatte wird oft verschwiegen, dem Lektorat sowie den Kolleginnen und Kollegen in den mien etabliert. Über die Finanzverfassung hat der Bund dass es durchaus andere und dabei grundgesetzkonforme Ländern für ihre hilfreichen Hinweise. die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Länder und Möglichkeiten gibt, für eine Erhöhung der Bildungsaus- Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können. gaben Sorge zu tragen. Daher sollten wir beispielsweise eher über mehr Umsatzsteuerpunkte für die Länder reden Mein Appell richtet sich an die Länder, ihre Regierungen, als über eine Richtungsänderung des Grundgesetzes. Das an die Landtage, Bürgerschaften und Abgeordnetenhäu- Schweizer Verfassungsmodell bietet dabei eine Blau- ser: Die Preisgabe der Kulturhoheit der Länder an den pause, wie der Bund eine solche Verstärkung der Länder- Bund, aber auch ihre Relativierung aus rein finanziellen finanzmittel „absichern“ kann, ohne die Zuständigkeit Erwägungen würde die Aufgabe eines der noch verblie- der Länder im Grundsatz aufzuheben. Im Kern sagt die benen substanziellen Zuständigkeitsbereiche der Länder Schweizer Verfassung, dass in bestimmten Bereichen die im föderalen Gefüge Deutschlands bedeuten. Geben die Kantone (Länder) eine Einigung herbeiführen müssen. Länder das sogenannte Kooperationsverbot im Ringen Wenn das nicht passiert, trifft der Bund die Regelung. um mehr finanzielle Mittel des Bundes auf, steht meines Erachtens die grundsätzliche Neuordnung unseres Ge- Deutschland hat in der westlichen Wertegemeinschaft bildnachweise meinwesens und die damit verbundene Frage, Zentral- eines der weltbesten Bildungssysteme. Sicher, nicht jeder staat oder föderaler Staat, ernsthaft auf der Tagesord- versteht es auf Anhieb, aber wenn es jemand verstanden S. 6 Jacob Schroeter, S. 11 Karl-Heinz Reith, S. 12 Jan Voth, S. 15 Generalsekretariat EDK, S. 17/18 Bayerisches Staatsministerium für Bildung nung. Ob einer der Akteure dieses Experiment wirklich hat, dann werden wir um unseren Ideenreichtum und und Kultus, Wissenschaft und Kunst, S. 20 Doris Poklekowski, S. 27 Silvia von Eigen, S. 28 now68, S. 29 Foto Dürig: Björn Hänssler; Foto Kneip: Stiftung Mercator; Foto Dr. Dräger: Jan Voth; Foto Dr. Winter: Deutsche Telekom Stiftung, S. 32/33 Rühmeier/Müller Witte/ eingehen will, wage ich zu bezweifeln. unsere Vielfalt beneidet und bewundert. Die Triebkräfte ISTP 2016, S. 34 Michael Zapf, S. 36 Bernd Lasdin, S. 37 ZEIT-Verlag, S. 38 Jan Michalko, S. 40 Ministerium für Kunst und Wissenschaft des bestehen in der Vielfalt und im Bestreben der Länder, ex- Landes Nordrhein-Westfalen/Bettina Engel-Albustin, S. 43 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, S. 44 (Bild 1) Ministerium Oftmals wird den Ländern „Kleinstaaterei“ vorgeworfen. zellent zu sein. Dafür hat sich die Gemeinschaft der Länder für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg; (Bild 2) Eduard N. Fiegel; (Bild 3) Rühmeier/Müller Witte/ISTP 2016; (Bild 4) Stadtbild- Doch ist das wirklich so? Insbesondere in der Bildungs- in der Kultusministerkonferenz in Form der nationalen stelle Braunschweig, S. 45 (Bild 1) Georg Munker; (Bild 2) Archiv KMK-Sekretariat; (Bild 3) BMBF/Annegret Hultsch Photography; (Bild 4) Bundesarchiv, S. 46 (Bild 1) KMK-Sekretariat; (Bild 2) Julius Schmidt Presse- und Werbephoto; (Bild 3) Foto Sachsse; (Bild 4+5) E. Knipp, S. 47 politik hat sich in den letzten Jahren vieles getan. Die Bildungsstandards anspruchsvolle Ziele gesetzt. Diese zu (Bild 1) Conti-Press Heinz Fremke; (Bild 2) Sekretariat der KMK; (Bild 3) Michael Schnelle, S. 48 Bayerisches Staatsministerium für Bildung Einführung nationaler Bildungsstandards, ein einheitli- erfüllen, fällt nicht immer allen Ländern gleichermaßen und Kultus, Wissenschaft und Kunst, S. 51 Max Tabaczynski, S. 52/55: Sven Darmer/DAVIDS Bildagentur, S. 55 WeltN24, S. 56/57 PAD/ cher Abituraufgabenpool und eine gemeinsame Strategie leicht. Daher muss der Bildungsföderalismus bestän- Marcus Gloger, S. 59 Pressestelle Universität Duisburg-Essen, S. 60 Pius-Hospital Oldenburg, S. 63 Matthias Heyde, S. 64/65 Ministerium zur Bildung in der digitalen Welt gehören zu den jüngsten dig gefordert, aber in nicht infrage gestellt werden. Ein für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, S. 70 Foto Himmelrath: Jessica Meyer; Foto J.-P. Gaul: HRK/Marcus Pietrek, S. 71 Foto Steinbach: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg/Pfisterer; Foto U. Gaul: Sächsisches Staatsminis- substanziellen normativen Vereinbarungen der Länder. gemeinsames Wirken in den jeweiligen Zuständigkeiten terium für Wissenschaft und Kunst/Christian Hüller, S. 72 Georges Boulougouris, S. 75 Foto Esser: BIBB; Foto Kerstan: Michael Heck, S. 77 und Verantwortung würde allen Akteuren auf dem Weg ZDH/Schuering, S. 79 Olaf Bathke, S. 83 Stifterverband/David Ausserhofer, S. 84 Cornelsen/Cordula Giese, S. 85 PAD/Marcus Gloger, S. 86 Viele wünschen sich dennoch, dass der Bund durchregie- helfen, diese Standards zu erreichen, Bildungserfolge zu KMK-Sekretariat, S. 90 Foto Sabine Hüllenhagen-Dimski: Anke Adam; Foto Cornelia Theisen-Bieker: Anke Adam; Foto Martina Schult: ren soll. Das würde die „Unitarisierung des Bundesstaa- erzielen und die Abhängigkeit vom sozialen Status zu Maximilian Tabaczynski; Foto Halina Makowiak: Anke Adam, S. 91 Foto Gernot Stiwitz: Anke Adam; Foto Petra Kourukmas: Anke Adam; Foto Anna Bayer: Anke Adam; Foto Hannes Krey: Maximilian Tabaczynski / Falls nicht anders angegeben: Fotoquelle privat tes“ befördern. Es scheint der Zeitgeist zu sein, dass in minimieren. 90 wohin? perspektiven 70 Jahre Kultusministerkonferenz 91

An den beiden Standorten Berlin und Bonn DAS SEKRETARIAT DER arbeiten über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sekretariat. Hier berichten KULTUSMINISTERKONFERENZ neun von ihnen über ihre Arbeit.

besondere überregionale dienste

zentralbereich

Seit 25 Jahren begleite ich die Kultusminis- Der Mix an politischer Koordinierungsarbeit und Ich arbeite seit 2016 für den Pä- Den Slogan „Einheit in der Die Gutachtenstelle für Gesund- terkonferenz und die Amtschefskonferenz organisatorischen Aufgaben sowie der Kontakt dagogischen Austauschdienst Vielfalt“ mit Leben zu füllen, ist heitsberufe ist ein junges, aber bei ihren Sitzungen. Dabei durfte ich viele Städte mit den obersten Bundesbehörden, Institutionen und und bin Leiter dieser sehr interessan- sowohl in der Beratung zu Fragen des bereits festes Mitglied der ZAB. Als neue und Regionen in Deutschland bereisen: Beispiels- Verbänden gestalten meinen Arbeitsbereich abwechs- ten und engagierten Abteilung im arabischen und afghanischen Kultur- Kollegin fühlt man sich durch die herzliche weise Eisenach, Hamburg, Mettlach oder Konstanz. lungsreich, interessant und spannend. Sekretariat der KMK. Für das Quer- raumes als auch zur Unterstützung Aufnahme und Hilfe der Kolleginnen und So unterschiedlich die Regionen sind, so weichen schnittsthema Austausch ist es ein eines kollegialen Miteinanders im Kollegen bei der „Integration“ am Arbeits- auch die Anforderungen an das Bildungssystem Als Schnittstelle zur Hausleitung, den Mitarbeiterinnen Segen, dass es in der KMK angesiedelt Sekretariat der KMK eine spannende platz von Beginn an als ein Teil von etwas voneinander ab. In den Diskussionen der KMK wird und Mitarbeitern im Sekretariat sowie den Ländern ist und damit länderübergreifend und lohnende Aufgabe. Großem, das ein gemeinsames Ziel ver- deutlich, dass jedes Land im Bereich Bildung den macht mir meine Aufgabe „in der ältesten Fachminis- bearbeitet werden kann. folgt – Personen mit einer ausländischen Bedürfnissen seiner Bevölkerung Rechnung trägt terkonferenz“ sehr viel Spaß. Eine Anekdote wird mir Petra Kourukmas, Bonn, ist Qualifikation im Gesundheitsbereich auf immer im Gedächtnis bleiben: Ich musste einmal für und dies in die Abstimmungsprozesse einbringt. Gernot Stiwitz, Bonn, ist Leiter der Referentin in der ZAB und Vorsitzende dem Weg zur beruflichen Eingliederung Männerbeine in Bhutan Kniestrümpfe einpacken. Es Deshalb ist der Bildungsföderalismus so wichtig Abteilung V (Pädagogischer Austausch- des Personalrats zu helfen. war ein Gastgeschenk für eine Auslandsdienstreise. und ein hohes Gut in Deutschland. dienst) Anna Bayer, Bonn, Sachbearbeiterin in Sabine Hüllenhagen-Dimski, Bonn, ist Leiterin Cornelia Theisen-Bieker, Bonn, betreut das Vorzimmer der Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe des Zentralbereichs Konferenz- und Präsidiums- der Ständigen Vertreterin des Generalsekretärs und ist der ZAB angelegenheiten Mitarbeiterin im Zentralbereich 4 (Öffentlichkeitsarbeit/ Dokumentations- und Bibliotheksdienste)

allgemeine dienste koordinierung

Das Sekretariat ist Treffpunkt für Vertreter „Kunst ist schön, macht aber Seit Juni 1999 arbeite ich in der Schul- Internationale Vernetzung bietet auch für Bildung aus Bildung, Wissenschaft und Kultur. Mit viel Arbeit“ – besser als mit abteilung des Sekretariats und habe ein und Kultur eine Vielzahl von Chancen: Das Pro- unserem fleißigen Team unterstützen wir u. a. die diesem Valentin-Zitat kann man mein Viertel der 70-jährigen Geschichte der KMK gramm Erasmus+ der Europäischen Union oder die UN- Sitzungen der KMK und der AK. Das reicht von der Arbeitsgebiet nicht beschreiben. Die miterlebt. Trotz verdichteter Arbeitsprozesse ESCO-Welterbestätten sind hierfür zwei herausragende kulinarischen Versorgung bis hin zur Bereitstellung Koordinierung von Angelegenheiten macht mir die Arbeit Freude und bereichert Beispiele. Menschen aller Altersklassen in Deutschland, in von Technik, die tatsächlich funktioniert. Sollten die von Kunst und Kultur bietet die einma- mich. Das liegt insbesondere am guten Mitei- Europa und auf dem ganzen Globus profitieren von sol- Politiker mal keinen Kompromiss finden, so lag das lige Gelegenheit, sich täglich mit der nander, an der angenehmen und vertrauens- chen Kooperationen und dem internationalen Austausch. sicher nicht am Essen … Auch die Fahrer der Gäste Vielfalt von 16 Kulturlandschaften und vollen Zusammenarbeit mit den Kolleginnen Die zugrunde liegenden Prozesse zu unterstützen und die sind uns willkommen und finden bei uns einen Platz. den dahinterstehenden Menschen zu und Kollegen in den Ländern und nicht zuletzt Arbeit der vielen Beteiligten in den Ländern zu koordinie- Fast wie zu Hause treffen sich dann alle in der Küche beschäftigen. – bei aller Routine – an immer wieder neuen ren, ist eine vielfältige Aufgabe, der sich alle Beteiligten zum Klönen. und interessanten Themen mit einem breiten im Referat gerne widmen. Halina Makowiak, Bonn, ist Referats- Spektrum. Martina Schult, Berlin, ist beschäftigt in Abteilung I D leiterin der Abteilung III D (Kunst und Hannes Krey, Berlin, ist Referent in der Abteilung IV B, (Innerer Dienst) Kultur) Dr. Andrea Schwermer, Berlin, Referentin die sich um europäische und multilaterale Angelegenheiten in Referat II A (Allgemeinbildenes Schulwesen) der KMK kümmert. 1948 — 2018