Praha, duben 2010

Prohlášení Prohlašuji, že jsem diplomovou práci na téma Die Motive des Jüdischen im Werk von Leo Perutz vypracovala samostatn ě a vyzna čila všechny citace z pramen ů.

V Praze dne 15. 04. 2010 ……………………………….. podpis studenta

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Bedankung

An dieser Stelle möchte ich mich bei der Betruerein meiner Diplomarbeit PhDr.Viera Glosiková, CSc. Für ihre fachlichen Ratschläge bei der Bearbeitung des Themas herzlich bedanken

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Inhalt

1. EINLEITUNG………………………………………………………………………5

2. DAS LEBEN UND WERK VON LEO PERUTZ…………………………………6 2. 1 Familie und Herkunft…………………………………………………………………..……… 6 2. 2. 1888-1902: Schullaufbahn...... 7 2. 3. 1903-1904: Militärdienst...... 8 2. 4. 1904-1907: Studienzeit und erste literarische Versuche...... 8 2. 5. 1907-1915: Versicherungsmathematik und Freundschaften im Café...... 9 2. 6. 1915-1918: Erste Erfolge und der Erste Weltkrieg...... 10 2. 7. 1918-1928: Produktivste Periode...... 10 2. 8. 1928-1933: Rückzug aus dem öffentlichen Leben und Finanzprobleme...... 12 2. 9. 1934-1945: Perutz geht in den Exil und Stagnation...... 12 2. 10. 1945-1957: Das Leben zwischen zwei Staaten...... 13

3. JÜDISCHE MOTIVE IN DEM BUCH NACHTS UNTER DER STEINERNEN BRÜCKE...... 14 3. 1. 1. Die erste Erzählung: Die Pest in der Judenstadt...... 17 3. 1. 2. Die zweite Erzählung: Des Kaisers Tisch...... 19 3. 1. 3. Die dritte Erzählung: Das Gespräch der Hunde...... 20 3. 1. 4. Die vierte Erzählung. Die Sarabande...... 21 3. 1. 5. Die fünfte Erzählung: Der Heinrich aus der Hölle...... 22 3. 1. 6. Die sechste Erzählung: Der entwendete Taler...... 24 3. 1. 7. Die siebte Erzählung: Nachts unter der steinernen Brücke...... 25 3. 1. 8. Die achte Erzählung: Der Stern des Wallenstein...... 26 3. 1. 9. Die neunte Erzählung: Der Maler Brabanzio...... 29 3. 1. 10. Die zehnte Erzählung: Der vergessene Alchimist...... 30 3. 1. 11. Die elfte Erzählung: Der Branntweinkrug...... 32 3. 1. 12. Die zwölfte Erzählung: Die Getreuen des Kaisers...... 32 3. 1. 13. Die dreizehnte Erzählung: Das verzehrte Lichtlein...... 33 3. 1. 14. Die vierzehnte Erzählung: Der Engel Asael...... 34 3. 2. Interpretation ...... 36

4. JÜDISCHE MOTIVE IN ANDEREN WERKEN VON LEO PERUTZ...... 46 4. 1. Freiheit oder Zwischen neun und neun...... 48 4. 2. Der Marques de Bolibar...... 52

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5. ZUSAMMENFASSUNG...... 60

6. RÉSUMÉ…………………………………………………………………………...64

7. BIBLIOGRAPHIE…………………………………………………………………65

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1. Einleitung

Als Thema meiner Diplomarbeit habe ich Die Motive des Jüdischen im Werk von Leo Perutz gewählt. Warum ich mich ausgerechnet für dieses Thema entschieden habe, ist wohl auf mein Leben in Deutschland zurückzuführen. Dort, genauer gesagt in Baden- Württemberg, habe ich von meinem elften bis zum einundzwangsten Lebensjahr gelebt und auch das Carl-Laemmle Gymnasium in einem kleinen Städchen namens Laupheim, das in der Nähe von Ulm liegt, besucht. Bereits seit der fünften Klasse haben wir uns im Unterricht (z.B. in Religion, Deutsch oder Geschichte) mit den berühmten Juden unserer Stadt beschäftigt, da auch der Namensgeber unserer Schule, Carl Laemmle, ein berühmter Jude war. Denn er gehörte zu den einflussreichsten Gestalten der amerikanischen Filmgeschichte. Laemmle war der Gründer und Vorsitzender der Universal Studios und einer der mächtigsten Studiobosse seiner Zeit. Obwohl er in den USA lebte, unternahm er nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland alles, um den bedrängten, entrechteten Juden in Deutschland zu helfen. „ Er übernahm 300 Bürgschaften, so genannte Affidavits, das heißt, die Garantie eines amerikanischen Staatsbürgers, notfalls die Versorgung des Flüchtlings zu übernehmen. Damit bewahrte er viele Menschen vor dem Nazi-Terror und dem sicheren Tod in den Konzentrationslagern .“ 1 Aber es waren nicht nur die berühmten jüdischen Bürger Laupheims, wo einstmals die grösste württembergische Judengemeinde war und diese durch das NS-Regime ausgelöscht wurde, sondern auch die Schuld und Verantwortung der Deutschen an der Vernichtung und Deportation von Millionen von Juden während der Nazizeit mit der wir uns im Unterricht intensiv beschäftigt haben, sondern auch die Rolle der Juden in der Gesellschaft und ihre Außenseiterrolle in der christlichen Gemeinschaft. Die Frage der Sündenbock Thematik, und warum die Juden für jedes Unglück, wie z. B die Pest im Mittelalter verantwortlich gemacht wurden, was schon damals zu Judenprogromen geführt hatte, ist auch ein Motiv mit dem sich der jüdischer Prager Schriftsteller Leo Perutz in seinem Roman Nachts unter der steinernen Brücke auseinander setzt. Dort wird die Geliebte des Kaisers, die schöne Jüdin wegen eines angeblichen Ehebruchs mit

1 (online) erreichbar in < http://www.clg-laupheim.de/index.php/laemmle.html > (angesehen am 05.04.2010)

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einem Christen zum Sündenbock gemacht, der verantwortlich für die Pest in Prag ist. Mit diesem jüdischen Motiv und seiner literarischen Umsetzung beschäftigt sich Perutz in seinem Roman, der sich um die legendenumwobene Gestalt des hohen Rabbi Loew zur Zeit des Kaisers Rudolf II. dreht. Im 1. Kapitel meiner Diplomarbeit möche ich den Autor Leo Perutz vorstellen. Das Kapitel trägt den Namen Leben und Werk von Leo Perutz . Dieser jüdisch-Prager Autor verbrachte seine Kindheit in Prag, wo er in engen Kontakt mit der jüdisch- tschechisch-deutschen Geschichte kam, und der auf ihn rückbleibende Wirkung hinterließ. Erst in seinem letzten Roman, den er im Exil in Palästina fertig schrieb, setzt er seiner Geburtsstadt ein Denkmal. Im Hauptteil der Diplomarbeit (Kapitel 2): Jüdische Motive in dem Buch Nachts unter der steinernen Brücke werde ich mich mit den jüdischen Motiven ausführlicher beschäftigen. Das 3 Kapitel: Themen und Motive in Werken von Leo Perutz ist auf weitere Motive des Jüdischen in seinen zahlreichen anderen Werken fokusiert. In dem Roman Der Marques de Bolibar kommt z. B das Motiv des Ewigen Juden vor. Der "ewige Jude Ahasver" wurde zur ruhelosen Wanderschaft verdammt, nachdem er Jesus seines Hauses verwiesen hatte, als dieser sich auf dem Weg nach Golgatha ausruhen wollte. „Quellen des 13. Jahrhunderts weisen in verschiedenen europäischen Ländern auf die Legende hin. Im Deutschen, Polnischen und Tschechischen ist es der „Ewige Jude“, in den meisten anderen europäischen Sprachen ist es der wandernde, unstete Jude, bisweilen mit einem überlieferten typischen Schmähnamen.“ 2 Ein weiteres Motiv, das mir während meiner Recherche der Perutz Romane auffällt, ist unter anderem die Verwendung der kabbalistischen magischen Zahlen, wie z. B. die Nummer neun in seinem Roman Zwischen neun und neun .

2. Leben und Werk von Leo Perutz

2. 1. Familie und Herkunft

2 (online) erreichbar in (angesehen am 05.04.2010)

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Der jüdisch Prager Schriftsteller und Versicherungsmathematiker, Leo Perutz, gilt als herausragender Repräsentant der phantastischen Literatur in Deutschland. Bei der Bearbeitung des biographischen Teils der Diplomarbeit stütze ich mich auf folgende Werke: SIEBAUER, U. Leo Perutz - Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich. Eine Biographie , MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie , ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz . In KROLL, F . Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik , MIKULÁŠEK, A. GLOSIKOVÁ, V./ SCHULZ, A.B. Literatura s hv ězdou Davidovou , SERKE, J. Böhmische Dörfer . Leo Perutz (eigentlich Leopold Perutz) wurde am 2.11. im Jahre 1882 in Prag geboren. Er war Sohn jüdischer Eltern und wuchs mit Deutsch als Mutter- und Schulsprache auf. Perutz war das älteste Kind von vier Sprösslingen des Textilunternehmers Benedikt Perutz und dessen Frau Emilie (geb. Österreicher). Seine Familie war jüdisch-spanischer Abstammung. Sein Urgrossvater, Nathan Perutz, wurde mit seiner Familie im Jahre 1730 in dem Provinzstädchen Rakonitz ansässig. „Die Familie hatte eine Wohnung in der Mariengasse 26, einer vornehmen Prager Wohngegend“ 3, und sie achtete, darauf, dass die Kinder eine sehr gute Schulausbildung erhielten. Die Familie war zwar jüdischen Glaubens, aber assimiliert und wenig religiös. Leopold hatte noch drei jüngere Geschwister, die Brüder Paul (* 1885) und Hans (* 1892) und die Schwester Charlotte (* 1888).

2. 2. 1888-1902: Schullaufbahn Perutz war kein guter Schüler und wurde in der Familie als schwieriges Kind angesehen. Zu Beginn seiner Schullaufbahn von September 1888 bis Juli 1893 besuchte er die angesehene Deutsche Privat-Volksschule des Piaristen-Ordens in der Prager Neustadt.4 Im Anschluss an die katholische Volksschule besuchte Perutz vom Schuljahr 1893/94 bis 1898/99 das k.k. Deutsche Staatsgymnasium in Prag von dem er wahrscheinlich wegen schlechten Noten im Jahre 1899 verwiesen wurde. Von 1899 bis 1901 besuchte er das k.k. Gymnasium in Krumau ( Český Krumlov), aber auch hier waren seine Leistungen so schlecht, dass er zum Abitur nicht zugelassen wurde. Im

3 SIEBAUER, U. Leo Perutz - Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich. Eine Biographie . Gerlingen: Bleicher Verlag, 2000, S. 22. ISBN 3883506664 . 4 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 26. ISBN 978-3-552- 054165-5.

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Jahre 1901, als Perutz 19 Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern nach Wien, wo Perutz das k.k. Erzherzog-Rainer-Real-Gymnasium besuchte, das er jedoch im September 1902 ohne Abschluss verließ. Nach dem Schulabgang verlieren sich zunächst alle Spuren von Leo Perutz.

2. 3. 1903-1904: Militärdienst Am 3. April des Jahres 1903 nahm er an der Musterung in Prag teil. Aber erst seit dem 30. Dezember 1903 leistete er seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilligerer auf eigene Kosten bei der 9. Feldkompanie des k.k. Landwehrregiments Prag Nr. 8. Am Ende der Dienstzeit wurden die Einjährig-Freiwilligen zu Reserve-Offizieren, vorausgesetzt, sie bestanden die Abschlussprüfung. Dies scheint bei Perutz nicht der Fall gewesen zu sein, denn er verpflichtete sich für ein zweites Jahr. Wegen gesundheitlichen Problemen schied er vorzeitig im Dezember 1904 im Rang eines Korporals aus der Armee aus.

2. 4. 1904-1907: Studienzeit und erste literarische Versuche Nach der Entlassung aus dem Militärdienst fehlt für ein Jahr jede Spur von Perutz. „Im Wintersemester 1905/1906 immatrikulierte er sich als ausserordentlicher Hörer an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, da er nicht über die Hochschulreife verfügte.“ 5 Er belegte Lehrveranstaltungen in Mathematik und Volkswirtschaftslehre. Zum Wintersemester 1906/1907 wechselte er an die Technische Hochschule Wien und besuchte Kurse in Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik, Versicherungsmathematik, Volkswirtschaft sowie Handels- und Privatrecht. Obwohl es formal eigentlich nicht möglich war, scheint Perutz dort einen Abschluss in Versicherungsmathematik gemacht zu haben, denn er besaß ein Abschlusszeugnis, dass er bei seinem neuem Arbeitsgeber der Anker-Versicherung in Wien im Juli 1908 vorlegte. Schon zu Schulzeiten in Wien entwickelte Perutz Kontakte zu angehenden Schriftstellern, die wie Perutz im Verein „Freilicht“ ihre ersten literarische Versuche vortrugen. Zu seinen Bekannten aus dieser Zeit gehörten z. B Richard A. Bermann (der später unter dem Pseudonym Arnold Höllriegel bekannt wurde) und Berthold Viertel. Ein einflußreiches literarisches Vorbild war „ Karl Kraus, dessen Fackel-Hefte Perutz

5 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 299. ISBN 978-3-428-10293-8.

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regelmäßig las.“ 6 „Eine erste Prosaskizze erschien im Februar 1906 in der Zeitschrift Der Weg , eine Novelle (der Tod des Messer Lozenzo Bardi) “7 im Jahr 1907 in der Sonntagsausgabe der Wiener Tageszeitung Zeit.

2. 5. 1907-1915: Versicherungsmathematik und Freundschaften im Café Im Oktober 1907 war Perutz in Triest bei der „Assicurazioni Generali“ angestellt. Einer seiner Kollegen war auch der in Prag geborene , der dort als Jurist arbeitete. Obwohl Perutz berufstätig war, veröffentlichte er weiterhin Erzählungen und Rezensionen. Ein Jahr später ging er zurück nach Wien, „wo er bis 1923 für die Versicherungsgesellschaft Anker, mit Unterbrechung wegen seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg, tätig war.“ 8 Während seiner Arbeit als Versicherungsmathematiker schrieb er mehrere versicherungsmathematische Abhandlungen. Er beschäftigte sich mit diesem Thema sehr intensiv und veröffentlichte seine Thesen auch in zahlreichen Fachzeitschriften. Perutz entwickelte auch eine mathematische Formel, die nach ihm benannt ist und noch längere Zeit in der Branche verwendet wurde. Perutz befasste sich sein ganzes Leben mit mathematischen Problemen, was sich auch in der Konstruktion einiger seiner literarischen Werke wiederspiegelte. 1911 begann er an seinem ersten Roman Die dritte Kugel zu arbeiten, der 1915 herausgegeben wurde. Dieser Roman über die Kolonialisierung Südamerikas zeigt schon den Peruz eigenen Stil. 1916 folgte Mangobaumwunder , die in Zusammenarbeit mit Paul Frank entstanden ist.. Während seines Lebens in Wien besuchte Perutz häufig literarische Cafés, zunächst das Café Museum, dann das Café Central. Zu seinen Bekannten gehörten z.B. Hermann Bahr, Oskar Kokoschka, Alfred Polgar, der Zeichner B.F Doblin und Peter Altenberg. Bevor der Erste Weltkrieg ausbrach, war Perutz stark am literarischen und musikalischen Leben Wiens beteiligt. Er trieb darüberhinaus auch viel Sport wie Skifahren und Eislaufen, Bridge und machte mehrere Reisen, so „ nach Frankreich, 1911 nach Skandinavien, 1912 nach Spanien, 1913 in den Vorderen Orient und nach

6 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 36. ISBN 978-3-552- 054165-5. 7 MIKULÁŠEK, A. GLOSIKOVÁ, V./ SCHULZ, A.B. Literatura s hv ězdou Davidovou . Praha: Votobia, 1998, S. 280. ISBN 80-7220-019-4. 8 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 299. ISBN 978-3-428-10293-8.

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Palästina. “9 Wie Perutz sein gesellschaftliches Leben und zahlreiche Hobbys mit seiner regelmäßigen Berufstätigkeit vereinbaren konnte, ist schwer vorstellbar.

2. 6. 1915-1918: Erste Erfolge und der Erste Weltkrieg Am 26. Oktober 1915 erschien Perutz' erster Roman Die dritte Kugel . 1916 folgte ein zweiter Roman, Das Mangobaumwunder, den er zusammen, wie bereits erwähnt wurde, mit Paul Frank geschrieben hatte. Beide Bücher waren recht erfolgreich. Das Buch Die dritte Kugel wurde unter anderem von Kurt Tucholsky sehr positiv bewertet. In seinen Augen war Die dritte Kugel ein Unterhaltungsroman. „ Das ist ein hübsches Buch. So eins, das man, wenns draussen furchtbar regnet, mit einem Teller Knackmandeln neben sich, tot für die Umwelt, verschlingt… “10 Die Filmrechte am Mangobaumwunder konnte Perutz 1917 verkaufen. 1914 konnten sich viele Schriftsteller für den Krieg begeistern, nicht jedoch Perutz. Er war aber auch kein Kriegsgegner. Perutz war ein grosser Skeptiker, der sich vor dem Krieg kaum mit Politik beschäftigt hat. Bei Kriegsbeginn wurde er wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht eingezogen. Im 16. August 1915 musste jedoch auch er den Kriegsdienst antreten. Er galt nun als kriegstauglich. Perutz nahm an einer viermonatigen Ausbildung in der Nähe von Budapest teil, von wo aus er Ende März 1916 an die russische Front geschickt wurde. Am 4. Juli erlitt er einen Lungenschuss, der einen langen Aufenthalt im Lazarett zur Folge hatte. Nach seiner langwierigen Genesung wurde er anschließend zum Landsturm-Leutnant befördert. Seit August 1917 wurde Perutz im Kriegspressequartier eingesetzt. Während seiner Arbeit machte er Bekanntschaft mit Egon Erwin Kisch „ Ab 1918 arbeitete er als Kriegsberichterstatter für die Prager Zeitung „Bohemia “. 11 Nach dem Krieg am 19.3. 1918 vermählte sich Perutz mit Ida Weil, die 13 jahre jünger ist als er. Die beiden haben sich bereits 1913 kennen gelernt und waren seit 1917 verlobt.

2. 7. 1918-1928: Produktivste Periode

9 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 67. ISBN 978-3-552- 054165-5. 10 PANTER, P. Die dritte Kugel. In. Die Weltbühne 15, Nr.24 (5.6.1916) S. 662. In MÜLLER, Hans-Harald. Leo Perutz. Eine Bibliographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 81. ISBN 978-3-552-054165-5. 11 SERKE, J. Böhmische Dörfer . Wien-Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987, S. 262. ISBN 3552039260.

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Das Ende des Krieges, den Zusammenbruch der Habsburg-Monarchie und die Revolutionszeit erlebte Leo Perutz in Wien. Er nahm sogar an politischen Versammlungen teil. Er sympathisierte mit der Sozialdemokratischen Partei. Während dieser Zeit schrieb er mehrere Artikel, in denen er die österreichische Militärjustiz scharf kritisierte. Für einige Zeit war er ein Mitglied des Arbeiterrats in der Anker- Versicherung. Perutz´ literarisch produktivste Periode war zwischen den Jahren 1918 bis 1928. In dieser Zeit verfasste er sechs erfolgreiche Romane, die vom Publikum und Kritik positiv aufgenommen wurden. Seine Bücher waren so erfolgreich, dass er sogar ihre Filmrechte verkaufen konnte. Darüberhinuas veröffentlichte er zahlreiche Novellen, Erzählungen und schrieb Drehbücher. Er betätigte sich auch als Übersetzer von Romanen (z.B. von ). Im Jahre 1918 publizierte Perutz den bereits 1917 enstandenen Roman Zwischen neun und neun . 1919 folgte die anonyme Veröffentlichung einer Schrift gegen die Militärjustiz im Weltkrieg, Die Feldgerichte und das Volksgericht . Zwischen 1918/1919 begann er die Arbeit an Der Marques de Bolibar , der im Jahre 1920 erschien. 1923 gelang Perutz mit dem Roman Der Meister des Jüngsten Tages ein großer Erfolg bei Publikum. Das Werk wurde in den folgenden Jahren in viele Sprachen übersetzt. 1924 wurde das Werk Turlupin veröffentlicht. 1928 folgte der Erstabdruck seines Nachkriegsromans Wohin rollst du, Äpfelchen? , der in der damals größten Illustrierten Europas, der Berliner Illustrierten Zeitung , in Fortsetzungen erschien. „ Dieser Roman war sein größter Erfolg der zwanziger Jahre. “12 Durch seine diversen Erfolge wuchs sein Bekanntenkreis. Er war in ständigem Kontakt auch per Korrespondenz mit den Schriftstellern Bertolt Brecht, Theodor Kramer, Anton Kuh, Robert Musil, Bruno Brehm, Alexander Roda Roda, Walther Rode, Josef Weinheber, Franz Werfel Friedrich Reck-Malleczewen. Sie trafen sich regelmässig in ihrem Wiener Stammcafe Herrenhof. Perutz hatte im hinteren Raum seinen eigenen Tisch, an dem er Tarock spielte und „ wo er auch für seine oft bösartigen, manchmal auch gewalttätigen Auftritte bekannt war .“ 13

12 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 154. ISBN 978-3-552- 054165-5.

13 (online) erreichbar in (angesehen am 15.03.2010)

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Perutz lebte mit seiner Frau Ida in einer glücklichen Ehe. Das Ehepaar wohnte ab 1922 in einer Vierzimmerwohnung im Bezirk Alsergrund in der Porzellangasse 37, nahe dem Liechtensteinpark. 1920 wurde die Tochter Michaela geboren, 1922 eine zweite Tochter, Leonore. Am 13.3. 1928 starb allerdings Perutz' Frau Ida einen Tag nach der Geburt des Sohnes Felix an Lungenentzündung.

2. 8. 1928-1933: Rückzug aus dem öffentlichen Leben und Finanzprobleme Perutz zog sich nach dem Tod seiner Frau aus dem öffentlichen Leben zurück. Er besuchte Okkultisten, mit deren Hilfe er versuchte, mit seiner toten Frau Kontakt aufzunehmen – obwohl er solchen Methoden gegenüber eher skeptisch war. Während der Zeit der Wirtschaftskrise bekam Perutz finanzielle Schwierigkeiten. Dies war zwei Gründen zu verdanken – erstens weil der Verkauf seiner Bücher in dieser schwierigen Phase nachließ und auch deshalb, weil die Einnahmen in der Firma seiner Brüder stark zurückgingen. Politisch wandte sich Perutz in den 1930er Jahren dem Legitimismus zu. Er war gegen die Abdankung Kaiser Karls I.. Dennoch gab Perutz nicht auf und versuchte auf dem literarischen Gebiet durch z.B die Zusammenarbeit mit Autoren wie Alexander Lernet-Holenia sein Geld zu verdienen. Außerdem beteiligte er sich an Theaterstücken, die er mit mehr oder weniger Erfolg meist gemeinsam mit Ko-Autoren schrieb. Im Jahre 1933 kam in Deutschland der Perutz' Roman St. Petri-Schnee auf den Markt, der jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kaum noch Umsatz machte und auch nicht mehr so richtig vetrieben werden konnte. Perutz selbst stand nicht auf der Liste der verbotenen Autoren. sein Verlag Zsolnay jedoch galt als jüdisch und konnte seine Bücher nicht mehr nach Deutschland ausliefern. Perutz musste dank dieser Umstände auf nicht geringfügige Geldeinnahmen verzichten, da sein wichtigster Markt verloren ging.

2. 9. 1934-1945: Perutz geht in den Exil und Stagnation Im Jahre 1934 machte Perutz Bekanntschaft mit Grete Humburger, die er 1935 heiratete. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland floh Perutz 1938 mit seiner Familie zunächst nach Venedig, ging von dort nach Haifa und ließ sich schließlich in Tel Aviv nieder. Perutz wäre lieber in ein europäisches Land, oder auch in die USA geflüchtet. Allein die Einwanderungsbedingungen dorthin waren schwierig zu erfüllen. Dazu kam noch ein weiterer Aspekt, nämlich dass sein Bruder Hans, ein überzeugter

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Zionist, von dem er wirtschaftlich stark abhängig war, seine Firma bereits nach Tel Aviv verlegt hatte und darauf drängte, dass Perutz mit seiner Familie hinterher käme. In Palästina hatte Perutz am Anfang starke Probleme. Er vermisste die deutsch- österreichische Kultur und hatte für den Zionismus wenig Sympathien, denn er war kaum religiös. Dennoch lebte er sich nach kurzer Zeit gut ein, wozu sicher auch beitrug, dass er kaum finanzielle Sorgen hatte. Erstens hatte er Ersparnisse aus dem Verkauf von seinen Büchern und Filmrechten. Ausserdem wurde er von seinem Bruder unterstützt, dessen Firma, wie bereits erwähnt wurde, in Tel Aviv prosperierte. Das moderne, chaotische und heiße Tel Aviv sprach ihn nicht so an, aus diesem Grund verbrachte er und seine Familie lieber die Sommermonate im kühleren Jerusalem. Perutz schätzte sehr ihre Altstadt mit den engen Gassen.. In Palästina hatte er keine Möglichkeit seine Bücher und Werke zu veröffentlichen. Mit Exil-Zeitschriften und den Verbänden der Exilanten hatte er überhaupt keinen Kontakt. Auch mit den wenigen deutschsprachigen Autoren, die nach Palästina ausgewandert waren - beispielsweise Max Brod, Felix Weltsch und Arnold Zweig – hatte er kaum Kontakte und Berührungspunkte. Was durch die Korrespondenz zwischen Arnold Zweig und Leo Perutz vermittelt wird. Eine Wende kam 1941, durch Vermittlung von nach Argentinien ausgewanderten Bekannten Annie und Hugo Lifczis und unterstützt durch , wurden einige Bücher von Perutz auf spanisch veröffentlicht. Er schrieb in dieser Zeit recht wenig. Dennoch machte er für einige ältere Projekte fleißig Recherchen.

2. 10. 1945-1957: Das Leben zwischen zwei Staaten Im Jahre 1940 nahm Perutz die Staatsbürgerschaft Palästinas an. Bald nach 1945 dachte er an die Rückkehr nach Europa, was jedoch so kurz nach dem Ende des Krieges nicht möglich war. Darüberhinaus war sich Perutz, der auch schon im fortgeschrittenen Alter war nicht im Klaren, ob er diesen abermaligen Ortswechsel würde bewältigen können. Nach der Gründung des Staates Israel fühlte er sich dort zunehmend unglücklich. Er „ lehnte jeden Nationalismus ab “14 , und die Vertreibung der Araber durch die Juden war ihm nicht nur zuwider, sondern sie zerstörte für ihn auch die geschätzte orientalische Atmosphäre des Landes. Hinzu kamen die Postzensur und Schwierigkeiten mit Ausreisegenehmigungen. „ 1950 erhielt Perutz nach großem Mühen

14 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 355. ISBN 978-3-552- 054165-5.

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erstmals eine Einreisebewilligung nach Österreich “15 und er durfte auch nach England reisen. 1952 nahm Perutz wieder die österreichische Staatsbürgerschaft an. Die nächsten Jahre verbrachte er die Sommermonate fast immer in Wien, oder im Salzkammergut in Österreich. Die Wintermonate verbrachte er in Israel. Perutz literarischer Neuanfang war problematisch. Zwar fing Perutz wieder damit an zu schreiben, konnte jedoch zunächst keinen Verleger finden. Besonders problematisch war, dass ein nach wie vor vorhandener Antisemitismus dazu führte, dass Verleger entweder allzu „jüdische“ Passagen aus seinen Werken kürzten oder, aus Rücksicht auf den Markt, diese nicht veröffentlichen wollten. 1953 erschien der historische Roman Nachts unter der steinernen Brücke . Er wurde von der Kritik sehr positiv bewertet, doch bald darauf ging der Verlag in Konkurs und das Buch konnte nicht mehr vertrieben werden. Ein zweiter neuer Roman, Der Judas des Leonardo, wurde erst nach seinem Tode veröffentlicht.

Perutz starb 1957 starb Perutz in , nachdem er nach dem Besuch seines Freundes Lernet-Holenia zusammengebrochen war. Er wurde auf dem Friedhof von Bad Ischl beigesetzt. Der Grabstein trägt die Menorah (siebenarmiger Leuchter). Sie ist eines der wichtigsten Symbole des Judentums und ist auch auf dem Staatswappen präsent. Auf dem Siegelring des toten Dichters und Schriftstellers ist eine Gravierung, die einen Fisch zeigt und folgende Worte enthält: „ Contra torrentem. Gegen den Strom .“ 16

3. Jüdische Motive in dem Buch Nachts unter der steinernen Brücke

Im Jahre 1951 vollendete der bereits 69-jährige Leo Perutz seinen Roman Meisls Gut. Der endgültige Titel des Buches wurde allerdings Nachts unter der steinernen Brücke . Die Geschichte des magischen historischen Romans, der um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert spielt, schrieb Perutz bereits 1924 in der Novelle Die Pest in der Judenstadt. Die Eingangserzählung, die mit drei anspielungsreichen Sätzen endet, deutet auf das weitere Geschehen des Romans hin: „ In dieser Nacht erlosch die Pest in den Gassen der Judenstadt. In dieser Nacht starb in ihrem Haus auf dem Dreibrunnenplatz die schöne Esther, die Frau des Juden Meisl. In dieser Nacht fuhr auf seiner Burg zu

15 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 358. ISBN 978-3-552- 054165-5 16 SERKE, J. Böhmische Dörfer . Wien-Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987, S. 262. ISBN 3552039260.

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Prag der Kaiser des Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum .“ 17 Eine zweite Phase in der sich Perutz mit dem Roman auseinandersetzte war zwischen 1936 und 1937. In dieser Zeit machte Perutz intensive Vorarbeiten, die in Niderschriften und Gestaltungspläne mündeten. Er nahm sie mit in seinen Exil nach Palästina. Für ihn waren sie von großer Bedeutung, da es ihm persönlich um „ das Bewahren und Mitnehmen eines wie auch immer fragmentarischen Vorrats von Erinnerungen an eine für ihn lebensbestimmende europäische Kultur “ ging. 18 Die dritte Phase der Arbeit fing Perutz an, als die unmittelbare Bedrohung des Zweiten Weltkriegs fast vorüber war. Die Fortsetzung des Romanprojekts war zum Teil Identitätsbehauptung und ein Zeugnis dessen, „dass der Schrifsteller Leo Perutz noch am Leben ist “. 19 (Perutz an Annie und Hugo Lifczis). Im Laufe des Jahres 1943 vollendete er die sechs Kapitel des Romans. Darunter war auch Die Sarabande , die ursprünglich den Titel Die Todes-Sarabande trug. Erst im April 1945 hatte Perutz acht der endgültigen Gestalt vierzehn Novellen unfassenden Romans geschrieben. Die restlichen sechs Novellen schrieb er zwischen den Jahren 1945 und 1951. Warum er für die Vollendung des Romans so lange brauchte, versuchte er in einem Brief an seine Freunde im März 1951 zu erklären: Mir haben seit Jahren drei Kapitel zu Meisls Gut gefehlt, sie schienen mir zu schwierig, zu wenig durchdacht, zu substanzlos, und so true ich mich nicht an sie heran: Aber ich kam aus Europa mit einer immensen Arbeitswut geladen zurück und habe die drei Kapitel in einem Zug geschrieben, und sie, wie auch das ganze Buch, sind so geworden, wie ich es mir immer erhofft habe.“ 20 Perutz fand für seinen Roman zunächst keinen Verleger. Über seine Publikationsschwierigkeiten schrieb Perutz am 2. Juli 1951 an seinen Agenten Hugo Lifczis: „ Ich habe das Manuskript dem Zsolnay geschickt, aber er will die Veröffentlichung hinausschieben – obwohl es ein völlig politik – und ressentimentloser, rein historischer Roman ist, der eben zum Teil im Ghetto spielt und den hohen Rabbi Loew zu einer der Hauptfiguren hat. Es ist nichts als eine Vebeugung vor dem alten Prag…Aber Zsolnay schont die Empfindlichkeit jenes Wiener Gesindels, das nicht gerne daran erinnert werden will, dass es Juden gibt, gegen die es sich schlecht benommen

17 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 20. In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 344. ISBN 978-3-552-054165-5. 18 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 344. ISBN 978-3-552- 054165-5. 19 Ebenda, S.344. 20 Ebenda, S.345.

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hat. Ich will aber nicht warten, bis – wie Zsolnay schreibt – die deutsche Seele sich Werken jüdischen Geistesguts wiedereröffnet …“ 21 Im Jahre 1953 erschien der Roman Nachts unter der steinernen Brücke in der Frankfurter Verlags-Anstalt. Er erhielt ausnahmslos gute Kritiken (Perutz "wahrscheinlich reifster und eindrucksvollster Roman"22 , so ). Entlang einer unmöglichen Liebe zwischen dem Habsburger Rudolf II. und der schönen Jüdin Esther und deren Beziehungen zum reichen Mordechai Meisl und zu Rabbi Löw verknüpfen sich die 14 Erzählungen, aus denen der Roman besteht, zu einer vielgestaltigen mythischen Legende zwischen Prager Judenstadt und dem Hradschin, der Prager Burg. Erst nach und nach eröffnen sich dem Leser die Zusammenhänge zwischen einzelnen, auch unabhängig funktionierenden Geschichten aus dem Prag um 1600, die nicht in der chronologischen Abfolge aneinandergereiht sind. Rahmenhandlung sind die Familiengeschichte des Hauslehrers cand. med. Meisl und die Zerstörung der alten Prager Judenstadt um die Jahrhundertwende, die Perutz als Gymnasiast erlebt hatte. Der römische Kaiser Rudolf II. sieht bei einem Besuch in der Judenstadt von Prag eine schöne junge Frau und verliebt sich. Rudolf verlangt von Rabbi Löw, die Schöne solle ihm auf die Burg geschickt werden. Der Rabbi weigert sich, denn Esther ist mit dem Kaufmann Mordechai Meisl verheiratet. Darauf droht der junge Kaiser, die Juden zu vertreiben. Aus Sorge um seine Gemeinde pflanzt Rabbi Löw unter der Steinernen Brücke an der Moldau einen Rosenstock und einen Rosmarinstrauch nebeneinander, in denen sich die Seele von Rudolf und Esther Nacht für Nacht im Traum vereinen. Diese Sünde bringt aber ein großes Kindersterben über die Judenstadt. Als Rabbi Löw die Ursache des Fluchs ergründet, reißt er den Rosmarinstock wieder aus. Die schöne Esther stirbt und lässt Mordechai Meisl ebenso wie Rudolf untröstlich zurück. Jahre später sind Rudolf II. und Meisl, ohne einander je gesehen zu haben, auch anderweitig miteinander verbunden. Der hoch verschuldete Kaiser macht mit dem reichen Kaufmann Geschäfte - Geld gegen Privilegien. Außerdem soll der Kaiser nach Meisls Tod sein Gut erben. Als Mordechai Meisl aber in den letzten Wochen seines Lebens erfährt, dass seine Esther die Geliebte des Kaisers war, verschenkt er sein ganzes Geld, um sich zu rächen. Damit reißt er ganz Böhmen mit ins Unglück. In all diese Vorgänge ist immer auch

21 SERKE, J. Böhmische Dörfer . Wien-Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987, S. 278. ISBN 3552039260 . 22 (online) erreichbar in (angesehen am 15.03.2010)

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Rabbi Löw verstrickt, der mit seinen Zauberworten, die Gutes bewirken sollen, doch das Gleichgewicht der Welt stört.

3. 1. 1. Die erste Erzählung: Die Pest in der Judenstadt Im Herbst des Jahres 1589 planen Koppel-Bär und Jäckele-Narr, zwei arme Musiker und Spaßmacher, der kleinen Schneiderstochter, dem Blümchen vorzuspielen. Das Blümchen ist jedoch tot, die Kinder der jüdischen Gemeinde werden von der Pest umgebracht. Die zwei Musiker gehen auf den Friedhof, sehen dort die Geister der toten Kinder spuken. Es beunruhigt sie sehr, deshalb suchen sie den Rabbi Löw auf. Er weiß das als Zeichen zu deuten, „dass ein Sünder in der Gemeinde frevelt, Tag um Tag.“ 23 Der Rabbi beauftragt die beiden einen der Kindergeister zu fangen und nach dem Namen des Sünders zu fragen. Nachdem die beiden seinen Rat befolgt haben, erfahren sie nun, dass es sich um einen Ehebruch handelt. Der Rabbi versammelt darauf die Gemeinde und verlangt, dass die Sünderin, die das Kindersterben über die Gemeinde gebracht hat, vortreten solle. Als auch nach dreimaliger Aufforderung niemand vortritt, verflucht er die Sünderin. Doch der Fluch wird an keiner Person sichtbar. Darufhin schickt Rabbi Löw die beiden Musiker erneut auf den Friedhof, sie sollen erneut einen Geist fangen und den dann in das Zimmer von Rabbi locken. Und so geschieht es auch. Kaum im Zimmer, verwandelt der Rabbi den Geist in ein lebendiges Kind zurück und befragt es selbst. Das Kind antwortet dem Rabbi: „Wer jene Sünde begangen hat um derentwillen uns Gott zu sich rief, das weiß ich nicht und auch der Diener des Herrn weiß es nicht, der über uns gesetzt ist. Das weiß nächst Gott nur einer und der bist du.“ 24 Rabbi Löw begreift. Er macht sich selbst auf zum Ufer der Moldau. Dort stehen unter der steinernen Brücke ein Rosentrauch und ein Rosmarin ineinander verschlungen. Er trennt die Pflanzen, gräbt den Rosmarin aus und wirft ihn ins dunkle Wasser. In dieser Nacht endet das Kindersterben, die schöne Jüdin Esther Meisl stirbt, der Kaiser Rudolf „fährt mit einem Schrei aus dem Bett.“ 25 In der ersten Erzählung Die Pest in der Judenstadt werden die Hauptprotagonisten Rabbi Löw, der Kaiser Rudolf II., die schöne Jüdin Esther, die die Frau des Meisl ist, vorgestellt. Neben den genannten Protagonisten bedient sich Leo Perutz zusätzlich kleinerer Nebenfiguren, die immer wieder im Verlauf des Romans auftauchen werden

23 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 13. ISBN 978-3- 423-13025-7. 24 Ebenda, S. 20. 25 Ebenda, S. 20.

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und dadurch ihren Beitrag zum Zusammenhalt des Geschehens leisten, wie etwa die beiden Spielleute Jäckele-Narr und Koppel-Bär. Perutz erzählt jedes Mal aus Sicht der Hauptfigur/en des entsprechenden Kapitels, also eben auch aus Sicht der „kleinen Leute”. Ebenso wie sie selbst quasi Nebenrollen haben, bilden die Geschichten dieser Nebenfiguren zusätzliche Handlungsstränge zur Haupthandlung, die mal näher, mal weiter entfernt von dieser verlaufen. Den Hauptstrang der Erzählung, den „roten Faden”, bildet die Geschichte um Rudolf II., den Juden Mordechai Meisl und dessen Frau Esther, wobei Perutz mühelos fantastische und reale Elemente verbindet. Das Magische wird dabei vorwiegend von Rabbi Loew verkörpert. Perutz sieht ihn als " den verborgenen König ..., der kundig war der Sprachen der Toten, der die Stimmen der Tiefe hörte und die furchtbaren Zeichen Gottes zu deuten vermochte. Er saß in seiner Kammer über das Buch der Geheimnisse gebeugt, das genannt wird Indraraba oder die große Versammlung. Verloren in die Unermeßlichkeit der Zahlen, der Zeichen und der wirkenden Mächte, hörte er die Schritte der Eintretenden nicht, und erst als sie ihn grüßten "Friede dem heiligen Licht!", kehrte seine Seele aus der Geisterferne zurück in die irdische Welt. "26 Er ist in der Lage die abgewandte Seite der Zahlen zu sehen und er hat Einsicht in die Träume der Menschen. Rabbi Löw versteht Träume und böse Absichten und kann sie daher wenn Gefahr droht abwandeln und damit neutralisieren. Doch der Rabbi kann nur auf Zeichen und Situationen reagieren, sie nicht aber selbst herbeirufen. Dafür braucht er Mittler, und das sind für ihn zum Beispiel die beiden Spaßmacher, die bei Hochzeitsgesellschaften auftreten und aufspielen, Koppel-Bär und Jäckele-Narr. Sie können nämlich mit ihrem Spiel die vor wenigen Tagen gestorbenen Kinder herbeirufen, die ihnen "von weißem Licht umflossen" erscheinen. Der Rabbi kann diese Vision nicht herbei beschwören, aber er weiß, was Koppel-Bär und Jäckele- Narr zu tun haben: "Du, Jäckele-Narr, wirst auf der Geige eines von den Liedern spielen, die die Kinder an den Tagen des Laubhüttenfestes singen. Und die Geister der Verstorbenen werden dich hören, denn sie bleiben sieben Tage lang durch die irdischen Melodien mit dieser Welt verbunden." 27 Die Spassmacher haben sich im Gegensatz zu vielen anderen Chrakteren im Roman dem Goldmachen entziehen können. Sie gehen ganz in ihrem eigenen Element auf, unfähig Geld festzuhalten und sich irgendwo zu verwurzeln. Weil sie nicht dem Gold

26 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 13. ISBN 978-3- 423-13025-7. 27 Ebenda, S. 18.

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hinterher laufen, treffen sie buchstäblich den richtigen Ton, der die bereits verstorbenen Seelen anregt, nochmal auf die Erde zurückzukommen. Dann erst vermag der Rabbi sie zu befragen.

3. 1. 2. Die zweite Erzählung: Des Kaisers Tisch Im Sommer des Jahres 1598 gehen die Verwandten Zaruba und Kaplirsch durch die Judenstadt. Kaplirsch, der reiche Gutsherr, entzürnt sich über die Juden und ihre Handelschaften. Daraufhin fragt er den armen Zaruba, ob er ihn auf die Burg begeiten will, wo er mit dem Kämmerer des Kaisers Geschäftliches zu besprechen hat. Denn dann werde auch er an des Kaisers Tisch eingeladen. Peter Zaruba erklärt, dass eine alte Weissagung berichtet, einer aus der Familie werde die heilige böhmische Freiheit wieder aufrichten, nur dürfe er nicht von des Kaisers Tisch essen. Zaruba lässt also Kaplirsch allein auf die Burg gehen. Auf dem Weg nach Hause kommt Zaruba bei einem Gasthaus vorbei und kehrt ein, weil der Wirt vier Gänge für nur drei böhmische Groschen verspricht, und speist vorzüglich. Als Kaplirsch am Gastgarten vorbeikommt, ist er schlecht gelaunt. Der Hof hat Zahlungsprobleme und deshalb soll ausgerechnet er, der Judenfeind, zum Juden Meisl, eine Geldanweisung einholen. Das habe ihm sogar den Appetit verschlagen, dass er von des Kaisers Tisch kaum gegessen habe. Dabei stellt sich heraus, dass die beiden Verwandten das Gleiche serviert bekommen haben. Der Wirt erzählt, dass er die Reste der kaiserlichen Tafel aufgetragen habe. „ Zaruba ist verzweifelt, auf diese Weise die böhmische Freiheit verspielt zu haben .“ 28 In der zweiten Erzählung des Romans wird dem Leser die Historie so präsentiert, als ob alle Ereignisse auf streng deterministische Weise miteinander verknüpft seien. „Niedere Leidenschaften wie z.B körperliche Bedürfnisse bei Zaruba, der dem billigen Essen nicht widerstehen kann bilden die geschichtstreibenden Motive, hinter denen das Interesse an Humanität auf der Strecke bleibt.“ 29 Der Erzähler klärt in Des Kaisers Tisch darüber auf, die Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berge rühre daher, daß Peter Zaruba nicht den Verstand gehabt hat, den Wirt zu fragen: “ Wie kannst du zwölf solche Portionen für drei böhmische Groschen geben, das ist doch, Mensch, eine volkswirtschaftliche Unmöglichkeit! “30 Für Zaruba ist in dem Moment

28 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 34. ISBN 978-3- 423-13025-7. 29 (online) erreichbar in < http://www.kisc.meiji.ac.jp/~mmandel/perutz_3_8.html#t27> (angesehen am 20.03.2010) 30 Ebenda, S. 33.

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weniger ´die böhmische Freiheit´ wichtig, statt dessen möchte er relativ billig an das Essen heran kommen.

3. 1. 3. Die dritte Erzählung: Das Gespräch der Hunde Im Winter des Jahres 1609, während des Sabbats, soll der vom Unglück verfolgte, aber fromme Jude Berl Landfahrer wegen einer unbeabsichtigten Hehlerei gehenkt werden. Die kaiserlichen Truppe haben ihn mit einem Pelz, den er von einem Soldaten zu einem ungewöhnlich billigen Preis gekauft hatte, erwischt und verhaftet. Zur besonderen Abschreckung soll er zwischen zwei Hunden, die zu seinen Seiten ebenfalls "hingerichtet" werden sollen, gehenkt werden. Die Nacht vor der Hinrichtung verbringt Landfahrer mit den zwei Hunden in der Zelle, ein magerer Straßenköter und der Pudel des verstorbenen Mordechai Meisl. Die Hunde bellen, während er beten will. Das verärgert ihn und er will einen Bann über die beiden Hunde verhängen. Dazu schreibt er den magischen Spruch in den Staub und ruft den Bann. Doch er irrt sich in einem Buchstaben und bei der Kabbala wiegt so etwas schwer. Statt der erwünschten Ruhe kann er nun die Hundesprache verstehen. So hört er, wie der Pudel erzählt, wo der Meisl Geld für den unglücklichen Berl Landfahrer vergraben hätte, das er ihm hätte zeigen sollen, doch kenne er den nicht. Berl Landfahrer stellt sich daraufhin dem Pudel vor. Der Pudel freut sich und verspricht, dass er Morgen das Versteck zeigen wird. Landfahrer verrät dem Pudel dass sie drei am Morgen gehenkt werden sollen. Der Pudel kündigt daraufhin an, schnell zu entwischen, wenn jemand komme. Am nächsten Morgen kommen aber statt dem Henker der Judenrat herein und eröffnen Berl Landfahrer, dass er begnadigt sei. Doch statt sich darüber zu freuen, verzweifelt er, weil der Pudel durch die offnene Tür entwischt ist, bevor er ihm das Versteck hätte zeigen können. Den Rest seines Lebens verbringt er auf der Suche nach dem Pudel. Man sagt über ihn, „ in der Nacht vor der Hinrichtung habe er seine Menschenseele verloren.“ 31 Diese Erzählung ist ein weiterer Mosaikstein, der zum Entschlüsseln der Haupthandlung beiträgt. Man erfährt hier, dass der reiche Jude Mordecheai Meisl ganz arm gestorben sei. Nun stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte und was die Ursache war. Der Pudel verrät, dass Meisl Angst vor Jemand hatte, der ihm sein Geld weg nehmen wollte, und da er wusste, dass er bald sterben werde, entschloss er sich es Einem zu vermachen, „ der niemals Glück gehabt hat. Glück, - das kann ich ihm ich ihm nicht

31 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 47. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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hinterlassen, aber die achtzig Gulden, die soll er haben.“ Er sagte zu seinem Hund: “Wenn der Berl Landfahrer in die Stadt zurückkommt, dann fasse ihn am Mantel und führe ihn hierher, das Geld ist sein, aber ich kann´s ihm nicht mehr geben, denn ich werde heute noch den Weg aller Menschen gehen.“ 32 . Der Leser stellt sich nun die Frage, wovor, oder besser gesagt vor wem Meisl soviel Angst hatte, dass er es lieber einem armen Juden vermachte um zu verhindern, dass es nicht in die falschen Hände fällt. Es macht ihn neugierig auf die folgenden Erzählungen, den er möchte gern das Geheimnis um den reichen Juden Mordechai Meisl erfahren.

3. 1. 4. Die vierte Erzählung. Die Sarabande Der Graf Collalto und der kroatische sind auf ein Fest eingeladen und beide haben ein Auge auf dasselbe Mädchen geworfen. Dieses ist vom Baron ziemlich angetan und tanzt mit ihm den ganzen Abend. Graf Collalto wird eifersüchtig und stellt dem ungelenken Baron Juranic beim Tanz mit der jüngsten Berkatochter ein Bein, um ihn vor dem Mädchen lächerlich zu machen. Der Baron ist ausser sich und fordert den Graf daraufhin für den Abend zum Fechten heraus und ist ihm im am Kampf haushoch überlegen. Er schenkt dem Collalto das Leben unter der Bedingung, dass er die ganze Nacht durchtanze. Zwei kroatische Musiker spielen eine Sarabande. Der Graf wird immer müder. Nur, wenn sie an einer christlichen Statue vorbeikommen, kommt der tanzende Graf kurz zur Ruhe, denn dann pausierten die Musiker, um zu beten. Juranic, der das verhindern will, führt sie in die Judenstadt, wo es keine christlichen Zeichen gibt. Graf Collalto ist schließlich am Ende, er schreit verzweifelt um Hilfe. Diesen Schrei hört Rabbi Löw und schaut zum Fenster heraus. Collato fleht ihn um ein Christusbild an. Als der Rabbi die Situation versteht, zaubert er auf die gegenüberliegende Wand ein Bild, ein Ecce homo. Davor geht auch Baron Juranic mit seinem steinernen Herzen in die Knie, klagt sich selbst an und erbarmt sich des Grafen. Das Ecce homo war aber kein Christusbild, „sondern ein Bild des verfolgten Judentums.“ 33 Die Erzählung Die Sarabande endet ebenfalls so wie Die Pest in der Judenstadt mit einer Selbserkenntnis. Sie unterbricht den schicksalhaften, mechanisch bestimmten Ereignisablauf.

32 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 45. ISBN 978-3- 423-13025-7. 33 Ebenda, S. 61.

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Der verzweifelte Tanz des Collalto durch die Prager Judenstadt, getrieben von seinem Gegner Juranic, gegen den er im Duell verloren hatte, entspricht der Auffassung des Christentums vom Judentum: In den christlichen Stadtteilen Prags hatte Collalto immer dort, wo die Diener Juranics vor einem Kreuz ihre Gebete anstimmten, eine Verschnaufpause und damit Gnade gefunden. In der Judenstadt werde sein Opfer dagegen keinerlei Gnade finden, spekuliert der von seiner Rache besessene Juranic, weil es dort keine Gottesbilder gebe. „ Das alttestamentarische "Gesetz" und die neutestamentliche "Gnade" scheinen sich entsprechend auf die christlichen und jüdischen Stadtteile Prags zu verteilen.“ 34 Mit dem "Ecce homo", das der Rabbi auf eine verfallene Mauer zaubert, verkehren sich jedoch die Verhältnisse. Statt des von Collalto verzweifelt geforderten christlichen "Jesusbildes“ zeigt Loew "das durch die Jahrhunderte verfolgte und verhöhnte Judentum" 35 . „Christlich gefaßt stimuliert im Ecce homo das Leiden Gottes den Betrachter zur Umkehr; hier veranlaßt dagegen ein Bild menschlichen Leidens, in dem er auch die seinem 'Streich' sich verdankenden Qualen Collaltos wiedererkennen kann, Juranics Konversion. In den im Bilde konzentrierten Leiden des Judentums kann er auch sich selbst erkennen, insofern ihm darin die Folgen seines eigenen Handelns, in historische Dimensionen verlängert, entgegentreten.“ 36 Das Ecce homo Rabbi Löws stellt in doppelter Weise eine gelingende Vermittlung zwischen dem Juden und Christentum dar: „zum einen vermittelt es beider Gehalte, obwohl in ihm das Leiden des Judentums und damit das Scheitern der Beziehung zwischen Juden und Christen dargestellt ist, zum anderen vollzieht sich in ihm auch die konkrete Vermittlung in der Selbstüberschreitung Juranics .“ 37 Diese Vermittlung kann glücklicherweise als gelungen bezeichnet werden, da Juranic zu einer Selbserkenntnis gelangt. Der Graf Collalto wird dadurch vor dem drohendem Tod gerettet.

3. 1. 5. Die fünfte Erzählung: Der Heinrich aus der Hölle Die Geschichte der Heinrich aus der Hölle aus Leo Perutz Werk Nachts unter der steinernen Brücke beginnt im Schlafzimmer des Kaisers Rudolph II, welcher Probleme

34 (online) erreichbar in < http://www.kisc.meiji.ac.jp/~mmandel/pdf/perutz_spaetwerk.pdf > (angesehen am 20.03.2010) 35 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 61. ISBN 978-3- 423-13025-7. 36 (online) erreichbar in < http://www.kisc.meiji.ac.jp/~mmandel/perutz_3_8.html > (angesehen am 20.03.2010) 37 Ebenda.

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hat einzuschlafen da er seit Tagen von Alpträumen geplagt wird. In Gedanken versunken erinnert er sich an seine kürzlich von ihm gegangene Geliebte die Jüdin Esther und an seinen Geschäftspartner Mordechai Meisl, der wie bereits erwähnt wurde, ebenfalls ein Jude ist. Als er letzendlich einschläft, plagen ihn erneut Alpträume, die ihn wieder aus dem Schlaf reißen und ihn schweißgebadet nach seinen Hofleuten Červenka, Hanniwald, Sternberg und Bubna rufen lassen. Der Kaiser verwechselt aus Versehen jedoch den jungen Mundschenk Bubna mit jemandem anderen. Erst nachdem Bubna auf Befehl des Kaisers das Paternoster betet, beruhigt er sich. Der Kaiser berichtet von seinen Träumen. Im ersten Traum begegnetem ihm drei Boten in Tiergestalt, ein Rabe, ein Kuckuck und eine Hummel. Sie forderten von ihm, dass er dem christlichen Glauben entsagt, und drohten ihm falls er es nicht täte, würde seine Krone und sein Reich in die Hände seines Bruders Matthias des Erzherzogs von Österreich fallen. Eine Nacht später erschienen ihm nur der Kuckuck und die Hummel. Diese ermahnten ihn erneut, er solle Christus entsagen, da er sonst seinen Schatz (Das Erbe des todkranken Meisl) verlieren würde. Im letzten Traum erschienen die Boten wieder zu dritt und warnten ihn ein letztes Mal, es würde noch ein Bote kommen, einer in Menschengestalt und wenn er diesem nicht die richtige Antwort gebe, verlöre er sein Reich und seinen Schatz. Der ratsuchende Kaiser wird von seinem Diener davon überzeugt, dass der Teufel, von dem er vermutet, dass er die Traumboten erscheinen ließ, die Drohungen nicht wahr werden lassen könne, solange der Kaiser sich „nicht eines Fingers breit von dem Herrn Jesus, der uns erlöst hat, hinwegbegibt “ 38 . Die Formulierung Hanniwalds gefällt dem Kaiser und er beruhigt sich, erkennt auch den Bubna wieder und geht schließlich wieder ins Bett. Der marokkanische Gesandte mit großer, reich ausgestatteter Gefolgschaft trifft in Prag ein und wird am Hof empfangen. Doch der Kaiser reagiert erneut seltsam. Er hält den marokkanischen Gesandten für den Heinrich Twaroch, einen ehemaligen Futterknecht in den kaiserlichen Stallungen, der ihm drei seiner Goldmünzen gestohlen hat und dann kurz bevor man ihn zur Strafe hängen konnte, verschwunden ist. Rudolf II. wirft dem Gesandten vor, dass er ungläubig sei und aus der Hölle komme. Den Hofleuten ist es peinlich. Der Kaiser aber lässt sich nicht beirren. Um seine Theorie zu bestätigen, fragt er ihn, ob er an Jesus Christus glaube und ob er die Artikel des Glaubens aufzählen könne. Als der Gesandte verneint, ist sich Rudolf seiner Sache sicher. Er sieht im Gesandten den Abgesandten des Teufels, der nun seine Antwort

38 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 69. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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erwarte. So wiederholt er die Worte des Hanniwald: „Ich weiche keinen Fingers breit von dem Herr Jesu“ 39 Die Audienz ist beendet. Abends begibt sich der Gesandte als Handwerker verkleidet zu einem Gärtner am Stadtrand. Dem erzählt er, dass der Kaiser ihn empfangen habe. Und ihn als einziger am Hof erkannt habe - ihn, den einstigen Stallburschen Heinrich Twaroch, den zum Islam übergetretenen Sohn des Prager Gärtners. Dieser Teil von Nachts unter der steinernen Brücke weißt viele Bezüge zu den anderen Geschichten auf. Ein Bezug zu der Erzählung Die Pest in der Judenstadt findet sich darin, dass die dort gesuchte Ehebrecherin die Geliebte des Kaisers, nämlich die Jüdin Esther ist. Die Verbindung zur zweiten Geschichte Des Kaisers Tisch , ist daran ersichtlich, dass die Geschäftsbeziehung zwischen dem Kaiser und Mordechai Meisl Erwähnung findet. Dies geschieht durch eine Anweisung die Georg Kapli ř, ein Gläubiger des Kaisers, vom zweiten Sekretär im Oberhofmeisteramt erhält um sie beim Meisl gegen zwanzig Gulden einzutauschen.

3. 1. 6. Die sechste Erzählung: Der entwendete Taler Der junge Kaiser Rudolf II., Sohn des Kaisers Maximilian, verirrt sich auf seinem Ritt ohne Gefolge und hat eine seltsame Erscheinung: mitten im Wald begegnet er zwei Riesen bei drei blinkenden Haufen aus Gold, Silber und Kupfer. Er fragt die Geister, wem der Schatz gehöre und erfährt, dass das alles für den Juden Mordechai Meisl bestimmt sei, dem zukünftigen Kammerherrn des Kaisers. Das verärgerte den jungen Prinz und er nimmt einen Silbertaler aus dem Haufen an sich. Bevor der ganze Spuk verschwindet, wird ihm noch gesagt: Behalte den Taler nur, aber er wird keine Ruhe finden, bis er bei dem ist, dem er gehört. In den folgenden Tagen wird er vom Unglück verfolgt, bis er beschließt, sich des unrechtmäßig angeeigneten Talers zu entledigen. Doch er kann den Juden Mordechai Meisl nicht finden, um ihm den Taler zurückzugeben, keiner kennt ihn. Aus letzter Not und Ratlosigkeit wirft er den Taler von der Steinernen Brücke in die Moldau. Er fällt in ein Boot, das gerade unter der Brücke durchfährt. Ein Fischer steckt den Taler in seine Manteltasche. Rudolf beschließt, den Taler zu verfolgen. Ein Fremder kauft dem Fischer den Mantel ab, um als Fischhändler getarnt seine Geliebte zu besuchen. Am Morgen nach der Liebesnacht bleibt der Mantel im Birnbaum hängen, über den der Liebhaber aus dem Garten klettert. Den Mantel samt

39 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 76. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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Taler nimmt ein Fuhrmann an sich und verkauft ihn beim Altkleiderhändler. Der junge Rudolf nimmt beim Altkleiderhändler Platz und wartet lange. Schließlich kommt ein kleiner Junge, der gegen einen Groschen die Manteltaschen der Kleidung durchsucht und alles darin Befindliche behalten darf. Er findet den Taler. Auf die Frage Rudolfs, was er sich damit kaufen werde, antwortet der Junge: „Ich werde den Taler nicht für mich ausgeben, denn aus einem Taler können leicht zwei werden.“ 40 Und er läuft glücklich davon. Rudolf erfährt, dass der Junge Mordechai Meisl heißt. „In der sechsten, einer chronologisch früh angesiedelten Erzählung in der Rudolf noch Kronprinz und Mordechai Meisl noch ein kleiner Junge ist, findet sich erneut über Meisls Reichtum eine Verbindung, da sich „der entwendete Taler“ im Laufe der Handlung dieses Teils als Beginn des Meislschen Vermögens entpuppt.“ 41 Seit diesem Jugenderlebnis wusste der Kaiser, dass es dem Juden Meisl eines Tages „übernatürlich“ gut gehen werde.

3. 1. 7. Die siebte Erzählung: Nachts unter der steinernen Brücke Unter der Steinernen Brücke winden sich ein Rosenstrauch und ein Rosmarinstock umeinander. „ Rudolf II. und Esther begegnen sich Nacht für Nacht im Traum als Liebende“ 42 und wissen nicht, wie das ganze passiert. Esther ist bekümmert, denn sie fühlt Gottes Zorn: „Gott zürnt mir, und ich habe Furcht vor seinem Zorn. Ich habe mich vergangen gegen sein Gebot. Er ist kein Gott, der lächelt und verzeiht.“ 43 Obwohl sie Angst hat, ist ihre Liebe zum Kaiser stärker als alle religiösen Gesetze und Gebote . „Aber mag geschehen, was will, mag er mich verwerfen und verstoßen, - ich bin bei dir, und ich kann von dir nicht lassen.“ 44 Morgens erwachen sie allein in ihren Betten. Rudolf sehnsüchtig und verzweifelt, Esther erleichtert, dass es, wenn auch ein schöner, doch nur ein Traum ist. In dieser Erzählung, die der ganzen Sammlung ihren Namen gibt, findet sich erneut der Bezug über eine der Personen aus dem Judenviertel von Prag zu denen der Kaiser eine Beziehung hat. In Nachts unter der steinernen Brücke wird nämlich die Affäre

40 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 94. ISBN 978-3- 423-13025-7. 41 (online) erreichbar in < http://literaturzirkel.wordpress.com/14/> (angesehen am 20.03.2010) 42 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 95. ISBN 978-3- 423-13025-7. 43 Ebenda, S. 97. 44 Ebenda, S. 97.

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zwischen dem Kaiser und der Jüdin Esther zum Gegenstand der Handlung. Diese Liebesbeziehung hatte als Folge schwere Auswirkungen auf die Prager Judengemeinde z.B. die Pest. In diesem Kapitel lässt sich auch die Begründung für die Entscheidung des hohen Rabbis nachlesen, Esther durch den Tod zu bestrafen, denn wie bereits erwähnt wurde, ist sie sich bewusst, dass sie Unrecht begeht und gegen Gottes Gebote verstösst.

3. 1. 8. Die achte Erzählung: Der Stern des Wallenstein Im Jahre 1606 leider der Hof des Rudolf II. Unter finanziellen Problemen, deshalb wird gespart und vielen Bediensteten das Gehalt nicht ausbezahlt, darunter leidet auch der Astronom Johannes Kepler. Im Gespräch mit dem Geheimsekretär Hanniwald beschwert sich Kepler, dass er als seriöser Astronom nicht die astrologische Voraussagen treffen wolle, die der Kaiser wünsche. Zum Abschluss des Gesprächs fragt Kepler noch nach dem jungen Adeligen Wallenstein, denn der will sich von ihm ebenso eine astrologische Berechnung machen lassen. Er ist neugierig, denn Kepler liest aus der Handschrift des Wallenstein einen schwierigen, aber großen Charakter. Nun kommt der junge verarmte Wallenstein zum Kepler. Er beschwert sich, dass ihn das Quaken der Frösche im Teich hinter Keplers Haus übermäßig störe, und wütend mache, wie auch all die Tiere, die er rund um seine Wohnung schreien, bellen und meckern höre. Der junge Wallenstein will sich von Johannes Kepler für die kommende Nacht ein astrologisches Gutachten erstellen lassen, er hat vor, sich einer Diebesbande anzuschliessen, um an Geld für seine politischen Unternehmungen zu kommen. Dafür hofft er auf den guten Einfluss des Mars. Doch Kepler berechnet für ihn die Venus. Wallenstein verspricht Kepler den Lohn für die Berechnung nach der betreffenden Nacht. Wallenstein hat nämlich verabredet, dass er abends von einer Kutsche abgeholt wird, die ihn unter strengen Sicherheitsvorkehrungen zu Barvitius, dem Haupt der Diebesbande bringen soll. Der Überfall soll auf den reichen Juden Mordechai Meisl verübt werden, der heimliche Schatzmeister des Kaisers, der in letzter Zeit sein Geld wie ein Verrückter verschenke und unter die Leute bringe. Wallenstein steigt in die vorfahrende Kutsche ein. Die Augen werden ihm verbunden. Nach langer Fahrt wird er in ein Schloss geführt, wo ihn aber nicht der Barvitius, sondern eine schöne maskierte Frau erwartet. Nach Missverständnissen auf beiden Seiten, wird Wallenstein erklärt, dass die Dame die Freiheit liebe und deshalb inkognito und maskiert für eine Nacht seine Geliebte sein wolle. So verbringt Wallenstein mit der Unbekannten eine Liebesnacht. Doch morgens erkennt er am verhassten Krähen des Hahnes seiner Wirtin, dass er sich nicht weit von

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zuhause befindet und es sich bei der Unbekannten um seine Nachbarin, die schöne, sehr reiche Witwe Lukretia handelt. Nachdem er sie enttarnt hat, willigt sie ein, ihn zu heiraten. Als er in sein kleines Zimmer zurückkommt, wartet dort der Verbindungsmann der Diebesbande aufgeregt auf ihn. In der Nacht sind der Barvitius und seine Gesellen verhaftet worden. Zum Dank für das gute Horoskop, das ihn nun reicher gemacht hat als der geplante Beutezug, schickt Wallenstein einen Beutel Dukaten an den armen Kepler, der der Astrologie nun zugute hält, dass sie besser nährt als die Astronomie. In dieser Erzählung wird Kepler nur nur im einleitenden Teil erwähnt, aber gerade von ihm geht in diesem Kapitel eine besondere Wirkung aus. Kepler steht im Brennpunkt zwischen all den Figuren. Perutz hebt besonders sein Interesse hervor an "des Menschen Natur und Neigung, sein Gemüt und seiner Seele Vernunft" 45 weswegen er sich für Astrologie und Graphologie interessiert. Kepler wird als ein Mann beschrieben, "dessen Geist die sichtbare Welt umspannte" 46 . Das unterscheidet ihn vom Rabbi Löw. „Wenn auch ohne anklagenden Ton, übernimmt Perutz die Grundaussage der jüdischen Tradition, dass nur auserwählten Menschen wie Rabbi Löw die höchste Weisheit offenbart wird, während Kepler an der Grenze steht, die gewöhnlichen Forschern erreichbar ist, ohne sie jedoch überschreiten zu können.“ 47 Gleichzeitig beschreibt Perutz Kepler als einen gefühlskalten Menschen. Auch nach 5 Jahren in Prag fühlt Kepler sich " noch immer (wie) ein Fremder in dieser Stadt" 48 . Als der kaiserliche Abgesandte ihn demütigt, scheint er das gar nicht zu spüren. Er nimmt ihn einfach nicht mehr wahr, sondern ist bereits vertieft in der Betrachtung einer Schneeflocke, deren sechswinklige Gestalt ihn fesselt (Nachts unter der steinernen Brücke, S. 109). Wallenstein kann nicht verstehen, wie es Kepler möglich ist, gestört von Alltagsgeräuschen verschiedenster Art sich auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Das liegt daran, dass Kepler sich nicht ablenken lässt von Zielen wie z.B. dem Goldmachen. „ Kepler sagt Wallenstein voraus, dass dieser eine Nacht unter dem Zeichen der Liebe verbringen wird, aber selbst das wird Wallenstein vergällt, weil er sich nicht vom bösen Stern des Geldes trennen kann. Und ebenso wenig wie vom Gold lässt Kepler sich beeindrucken von den anderen Fähigkeiten die von den Dämonen

45 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 107. ISBN 978-3- 423-13025-7. 46 Ebenda, S. 101. 47 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/8_wallenstein.html > (angesehen am 05.04.2010) 48 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 105. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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unter die Menschen gebracht wurden, auch nicht der Astrologie, dem Sternschauen, der Wolkenkunde usw., obwohl das für ihn noch viel näher gelegen hätte.“ 49 Daher kommt es zum Streit mit dem Abgesandten des Kaisers, der astrologische Voraussagen von Kepler verlangt, und all dies trägt Kepler die Missgunst am Hof bei, die er mit seiner Armut bezahlen muss. Aber Kepler scheint auch kein Verantwortungsgefühl für die eigene Glaubensgemeinde zu kennen wie Rabbi Löw. Er wirkt tot und leblos, wenn er sich im Leben nicht zurecht findet, sich ungewollt mit allen anlegt, sich buchstäblich "nicht verkaufen" kann. Der todkranke Mordechai Meisl hat mit den Geschehnissen dieser Erzählung nur am Rande zu tun. Um sein Vermögen nicht dem Kaiser in die Hände fallen zu lassen entschließt er sich sein Geld zu verschenken. Er gibt es bedürftigen Personen und bezahlt auch einige gemeinnützige Bauten im Judenviertel damit . Um als armer Mann zu sterben lässt er sogar alle Gassen des Viertels pflastern. „Barvatius, adeliges Oberhaupt einer Diebesbande bekommt jedoch davon Wind und will, da er erfahren hat, dass seine Verhaftung bevor steht und das Geld des Juden jeden Tag weniger wird als letzten Coup noch Mordechai Meisl entführen und mit der erpressten Lösegeldsumme ein sorgenfreies Leben im Ausland führen.“ 50 Zu dieser letzten Unternehmung heuert er auch Wallenstein an einen kampferfahrenen jungen Adligen in Geldnöten, der wiederum vor einem derart gewagten Auftrag den Astronomen Kepler um Rat ersucht. Die junge Witwe Lucrezia von Landeck lebt sehr zurückgezogen und möchte unverheiratet bleiben, um ihr gesamtes Vermögen der Kirche hinterlassen zu können. Als jedoch Wallenstein nach ihrer gemeinsamen Liebesnacht ihre wahre Identität herausfindet, möchte sie ihre Ehre bewahren und entschließt sich zunächst Wallenstein zu erschießen. Statt dessen bietet sie ihm ihre Hand an, da er „als ihr Gatte“ 51 sicher über ihre amourösen Abenteuer schweigen würde. Hocherfreut über diese überaus gut Partie stimmt von Waldstein der Heirat die schon am nächsten Morgen vollzogen wird, zu .

49 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/8_wallenstein.html > (angesehen am 05.04.2010) 50 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/8_wallenstein.html > (angesehen am 05.04.2010) 51 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 137. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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Abgerundet wird die Handlung durch den Erzähler, einem Nachfahren des Meisl, der ebenso treffend wie provokant behauptet, „Ein Hund, der bellte, und ein Hahn, der krähte, die haben das Glück des Wallenstein begründet.“ 52 . Erläuternd fügt dieser auch noch hinzu, dass neben der Venus auch noch der Merkur, „der Gott des Geldes“, „der wahre Stern des Wallenstein“ (S. 141), im Haus der Wallenstein standen. Lucrezia stirbt früh und hinterlässt ein großes Erbe, mit dem von Waldstein zwei Dragonerregimenter aufstellt kann, mit denen er den Kaisers im Krieg gegen Venedig unterstützt. „Dies war der Beginn seines steilen Aufstieges, dem dann ein Hellebardenstoß in Eger ein Ende gesetzt hat.“ 53

3. 1. 9. Die neunte Erzählung: Der Maler Brabanzio Kaiser Rudolf II., der ein besessener Kunstsammler ist, gerät ein kleines Bild des Prager Malers Brabanzio in die Hände, das er als Meisterwerk erkennt. Er besucht inkognito den Maler, der gerade einen Flösser porträtiert, in seinem Atelier. An der Wand hängt ein kleines Bild, das ihn fasziniert. Er rät dem Maler, auf der Burg sein Glück zu versuchen, doch Brabanzio will davon nichts wissen, denn es hat sich schon herumgesprochen, dass der Kaiser allen das Gehalt schuldig bleibe. Mordechai Meisl betritt das Atelier. Er will, dass der Maler ihm ein Porträt seiner vor langer Zeit verstorbenen Frau Esther malt, die er nicht vergessen kann. Er versucht, Esther zu beschreiben. Brabanzio kann aber nach diesen Beschreibungen mit den Augen der Liebe kein Porträt malen. Doch dem Kaiser Rudolf dringen die Worte Meisls ins Herz und er zeichnet gedankenverloren aus der Erinnerung das Gesicht seiner Geliebten aus den Träumen, die er nie vergessen konnte. Selbst ist er mit der kleinen Zeichnung nicht zufrieden, es erscheint ihm zu oberflächlich. Er lässt sie liegen und verlässt das Atelier mit dem Vorsatz, am nächsten Tag einen Kämmerer um das kleine Gemälde von Brabanzio zu schicken. Ein Windstoß bläst die Zeichnung des Kaisers vor den Maler und Meisl. Meisl erkennt auf diesem Bild seine verstorbene Frau und honoriert den verwunderten Maler großzügig. Als nächsten Tag findet der Kammerdiener des Kaisers das Atelier des Brabanzio leer vor. Mit den acht Gulden des Meisl hat sich der unstete Maler auf eine Reise aufgemacht.

52 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 140. ISBN 978-3- 423-13025-7. 53 Ebenda, S. 140.

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Brabanzio wird als ein hartgesottener, umtriebiger Haudegen präsentiert, der seine große Kunstfertigkeit darauf verwendet, Personen des Milieus, in dem er verkehrt zu porträtieren. Da er Mangel an Disziplin besitzt und mit dem verdientem Geld locker umgeht, ist sein großes Talent unerkannt geblieben. Dies alles geschieht unter Missbilligung seines Bruders, eines Flickschneiders, bei dem sich Brabanzio gelegentlich und auch gegenwärtig aufhält. Der Kaiser Rudolf II., dem ein Bild von Brabanzio in die Hände gefallen ist, ist von seinem Können begeistert und entschließt sich, ihn als Schriftsteller verkleidet aufzusuchen. „Hierbei wird die Begeisterung und Sammelleidenschaft des Kaisers deutlich, welche die Ursache für die hohe Verschuldung und den desolaten Staatshaushalt ist. Weiterhin wird deutlich, dass sich der Kaiser nicht mehr um die Politik des Landes kümmert, und aus späteren Aussagen des Flickschneiders, dass sein Ansehen bei der Bevölkerung gelitten hat.“ 54 Meisl und der Kaiser treffen sich - ohne sich zu kennen - bei Brabanzio. Beide haben einen Anspruch an die Kunst, der den Zielen Brabanzios zuwider läuft. Meisl will ein Bild seiner Frau, obwohl diese nicht mehr lebt. Brabanzio aber, der versucht, Herz und Seele seiner Motive zu erfassen und darzustellen, haben sämtliche Beschreibungen des Juden bisher nicht gereicht. Dennoch will er es auf Zuraten durch seinen Bruder versuchen, da ihm 8 Gulden versprochen sind, er will in diesem einen Fall also "Gold machen". Das wird sein Verhängnis werden, denn mit diesem Geld wird er seine letzte Reise antreten, in der Ferne umkommen und in Vergessenheit geraten. Dem Kaiser, der die Ausführungen des Kaufmanns verfolgt hat, widerfährt auf die Worte „An jedem Morgen kommt das alte Leid“ , etwas „ Seltsames“ . Er beginnt das Bild seiner Traumgeliebten, eben jener Esther zu zeichnen. Aber unzufrieden und traurig darüber, dass er allem Anschein nach „zu sehr in ihr Antlitz und zu wenig in ihr Herz“ 55 gesehen hat, lässt er das fertige Bild fallen und verlässt den Laden. Mordechai Meisl, dem es durch einen Windstoß in die Hände fällt, ist von dem Bild begeistert, „was auf Seiten Rudolfs auf eine gewisse Oberflächlichkeit seiner Beziehung hinweist. Er bezahlt den verwunderten Maler, von dem er fälschlicherweise annimmt, er hätte es gezeichnet, und verlässt ebenfalls den Laden.“ 56

54 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/9_brabantio.html > (angesehen am 06.04.2010) 55 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 155. ISBN 978-3- 423-13025-7. 56 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/9_brabantio.html > (angesehen am 06.04.2010)

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3. 1. 10. Die zehnte Erzählung: Der vergessene Alchimist Der Kaiser hat finanzielle Probleme. Er ist seit Langem zahlungsunfähig, verschuldet sich aber immer mehr, um Kunstwerke zu kaufen. Er ist verzweifelt, als die Räte ihm für einige Gemälde kein Geld mehr bewilligen wollen. Sein Leibkammerdiener Philipp Lang beruhigt ihn und rät ihm, statt auf Alchimisten wie den Hofalchimisten Jakobus van Delle zu setzen, sich geschäftlich mit dem reichen Juden Mordechai Meisl zusammenzutun. Der Hofalchimist Jakobus van Delle hat beim Kaiser seinen Kopf darauf verwettet, dass er bis zum St-Wenzelss-Tag einen Barren Gold erzeugt haben werde. Doch die Umwandlung von Blei in Gold ist misslungen und van Delle hatte Todesangst. Sein Freund, der Ofenmeister und ehemalige Hofnarr Brouza, beschließt, ihm zur Flucht aus der Burg und zu Geld für die Weiterreise zu verhelfen. Dazu geht er zum Kaiser und reizt ihn solange, bis der Kaiser auf ihn losgeht. Brouza lässt sich verprügeln, doch danach beklagt er sich, was der verstorbene Vater des Kaisers, dessen liebster Hofnarr er war, dazu sagen würde. Um ihn und sein Gewissen zu beschwichtigen, gibt ihm der Kaiser drei Gulden. Brouza bringt die drei Gulden zu van Delle und hilft ihm, mit einer Strickleiter aus der Burg zu entkommen. Dabei verletzt sich Van Delle und versteckt sich ängstlich in Brouzas kleinem Haus. Die Flucht des Alchimisten wird erst lange Zeit nach dem Wenzelstag bemerkt, doch der Kaiser hat die Wette ohnehin längst vergessen. Und Philipp Lang erklärt dem Brouza, dass der Kaiser einen neuen, erfolgreicheren Goldmacher für sich gewonnen habe. Als van Delle das erfährt, ist er so gekränkt, dass er sich die Pulsadern aufschneidet und stirbt. Sein Freund Brouza ist untröstlich wie damals, als Kaiser Maximilian starb. Der Inhalt der zehnten Erzählung gliedert sich in drei Hauptteile: Der erste handelt von den Geldsorgen Kaiser Rudolfs und den Lösungsansätzen mit Hilfe des Juden Mordechai Meisl, der zweite von der „Freundschaft“ des Alchimisten Jakobus van Delle mit dem Ex-Hofnarr Brouza und der dritte von ihrer geminsamen Flucht. Goldmachen ist das durchgehende Motiv des Romans: Alle wollen diese dämonische Kraft wiedererlangen. Meisl fällt dank Unterstützung der Dämonen buchstäblich das Gold zu. „Der Kaiser läuft ihm nach und treibt es von Meisl ein, ebenso die Alchemisten mit ihren Goldmacher-Projekten, und schließlich auf zynische Art der Hofnarr Brouza, der den Kaiser mit Spottreden herausfordert bis der ihn prügelt und ihm dann aus Schuldbewusstsein einen kleinen Teil des kaiserlichen Goldes abgibt. Brouza bezeichnet

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dies herausfordernd ebenfalls als "Goldmachen".“ 57 Verhalten sich der Kaiser und die Alchemisten anders als der Hofnarr? Auch sie wollen auf schändliche Art Anteil am Gold erwerben, das ihnen eigentlich nicht zugesprochen wurde. Nur der Kaiser kann sich immerhin noch darauf berufen, dass die Dämonen sein Wappen auf das Geld geprägt haben. Konsequenterweise begeht der Alchemist Selbstmord, als er hört, der Kaiser habe einen erfolgreicheren Goldmacher gefunden.

3. 1. 11. Die elfte Erzählung: Der Branntweinkrug Die beiden alten und ergrauten Musiker Jäckele-Narr und Koppel-Bär ziehen spät nachts um einen Krug voll Branntwein streitend bei der Altneuschul vorbei. Darin hören sie ein Singen und Rufen - in der Woche nach dem Neujahrfest rufen die Geister der Verstorbenen nachts die Namen derer, die im kommenden Jahr sterben werden. Jäckele- Narr und Koppel-Bär hören gebannt zu, wer da gerufen wird, hören schließlich auch den Namen des Jäckele-Narr. Koppel-Bär ist verzweifelt, dass sein Freund sterben soll; auch der ist still betroffen. Als aber auch der Mordechai Meisl gerufen wird, und zwar als „der Mann, dem nichts gehört“ 58 , zweifeln die Beiden daran, dass es die Geister der Verstorbenen sind, die da rufen. Sie halten es für einen schlechten Jux des Goldstickers, der dort wohl die Brokatfahne repariere, denn dass der Meisl steinreich ist, steht für sie außer Frage. Sie sind getröstet und finden sogar den zerschlagen geglaubten Branntweinkrug unversehrt wieder. Die beiden wissen allerdings nicht, dass der einst reiche Meisl, sein ganzes Hab und Gut in seinen letzten Lebenstagen verschleudert hat, damit der Kaiser nichts von seiner versprochenen Hälfte des Erbes habe. „ Dies ist dem Meisl ein Racheakt, nachdem er herausgefunden hat, dass seine verstorbene Frau die Geliebte des Kaisers gewesen ist. Dies erfährt man allerdings erst in der Geschichte Das verzehrte Lichtlein. “59

3. 1. 12. Die zwölfte Erzählung: Die Getreuen des Kaisers Im Jahre 1621, drei Jahre nach dem Anfang des 30-jährigen Krieges herrscht Krieg in Mitteleuropa zwischen der protestantischen Union und der katholischen Liga. Der König ist aus Böhmen vertrieben, es herrscht Kriegszustand, die Zeiten sind schlecht.

57 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/10_alchemist.html > (angesehen am 06.04.2010) 58 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 203. ISBN 978-3- 423-13025-7. 59 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/11_branntweinkrug.html > (angesehen am 07.04.2010)

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Nach der großen Hinrichtung, bei der 27 Männer als Hochverräter gehenkt wurden, treffen der ehemalige Hofnarr und Hofofenmeister Brouza, der ehemaligen Hofbarbier Svatek, der greise, ehemalige zweite Kammerdiener Cervenka und Kasparek, der Lautenspieler des Kaisers, in einem Gasthaus aufeinander. Es stellt sich heraus, dass auch der Wirt Vondra früher einmal als Pfefferstoßer in der kaiserlichen Küche gearbeitet hat. Sie tauschen Anekdoten aus der alten Zeit aus. Der alte Cervenka erzählt nun die Geschichte von Rudolfs schwerer Krankheit: Doktor Jessenius setzte Rudolf auf strenge Diät, verordnete Frischluft und zwang ihn aufzustehen. Da Rudolf bereits zu schwach war, zog er ihn gewaltsam hoch. Da prophezeite Rudolf dem Arzt, weil er an ihn Hand angelegt habe, werde er einmal am Galgen enden. Heute habe er, Cervenka, diese Prophezeiung wahr werden sehen. Und er spricht vom Fluch, den Rudolf II. über ganz Prag ausgesprochen hat. Es kommt die Rede auf die Gründe, warum das alte böhmische Reich untergegangen ist. Auf die Bemerkung, Rudolf hätte eben nicht so knausrig sein dürfen, erzählt Cervenka, dass der Kaiser zuletzt kein Geld hatte, denn sein Goldmacher hätte ihn im Stich gelassen. „Unter den Anwesenden scheint nur Brouza zu wissen, dass es sich dabei lediglich um den Juden Mordechai Meisl handelt, denn Brouza hatte den verstorbenen ersten Kammerdiener des Kaisers, Philipp Lang, des Öfteren zu Meisls Haus in der Judenstadt verfolgt. Er gibt dieses Geheimnis jedoch nicht preis, da er es dem Kaiser versprechen musste.“ 60 Nicht einmal, als ihm der Schlossermeister die größten Speisen verspricht, stattdessen antwortet er ihm, dass er es ihm nur im Himmel anvertrauen werde und auch nur wenn er dort den versprochenen Schweinebraten erhält.

3. 1. 13. Die dreizehnte Erzählung: Das verzehrte Lichtlein Abends hadert Mordechai Meisl alleine zuhause mit dem Leben. Er weiss, dass er keinen Sohn hat, dem er sein Gut hinterlassen könnte. Er denkt mit Kummer an seine früh verstorbene Frau und die rätselhaften Worte, die sie in ihrer Todesstunde rief: „Rudolf hilf!“ 61 Dann grübelt er über seine geschäftliche Verbindung mit dem Kaiser, der von ihm gegen eine Vielzahl von Privilegien nicht nur einen vierteljährlichen Anteil am Gewinn erhält, sondern nach seinem Tod auch die Hälfte erben soll. Und der Tod scheint nah, Meisl ist bei sehr schlechter Gesundheit. „ Mordechai Meisl empfindet, dass

60 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/12_getreuen.html > (angesehen am 07.04.2010) 61 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 227. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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er ein eigentlich bereits erloschenes und nur noch gewaltsam am Leben erhaltenes Licht sei - wie jenes, das der Rabbi Löw einmal mit einem Zauberwort eine lange Nacht am Verlöschen hinderte - weil Gott ihn noch zu irgendeinem Zweck auf dieser Welt brauche.“ 62 Aber zu welchem? Nun kommt der Kammerdiener Philipp Lang zu Besuch und beobachtet den Gesundheitszustand Meisls mit kalter Gier. Er wartet auf den geheimen Schatz, den zur Hälfte der Kaiser erben soll, und dessen andere Hälfte er sich selbst unter den Nagel reißen will. Sie sprechen über Geschäfte und Tratsch vom Hof. Meisl fragt Lang, warum der Kaiser, so wie er selbst, weder Frau noch Kind hat. Lang erzählt ihm, dass Rudolf II. einer geheimnisvollen Geliebten treu geblieben sei, die wohl die Frau eines Anderen gewesen und dem Kaiser plötzlich entrissen worden wäre. Die Geschichte bedrückt Meisl unerklärlich, und er äußert den Wunsch, den Kaiser einmal persönlich zu sehen. Lang vertröstet ihn auf später, weil er hofft, dass Meisl davor noch sterben werde. So verkleidet sich der alte Mordechai Meisl als Metzger und fährt mit der Fleischlieferung für die Raubtiere in die Burg, um den Kaiser zu sehen. Rudolf II. ist bedrückt, er hat wieder schlecht geträumt. (Der Kaiser versucht, vom Ofenheizer Brouza 100 Gulden zu leihen, doch der narrt ihn mit frechen abschlägigen Antworten). Die Fütterung der Löwen zu Mittag lässt sich Rudolf aber nicht entgehen. Doch auf seinem Weg zu den Käfigen wirft sich ein als Gärtnerin verkleidetes Mädchen vor ihn hin, um für ihren Vater um Gnade zu bitten, und ruft: „ Rudolf hilf! „63 Der Kaiser hält das Mädchen für einen faulen Küchenjungen, rügt sie und geht weiter. Doch Mordechai Meisl fallen diese zwei Worte tief in die Seele und er begreift, dass der Kaiser Rudolf der Geliebte seiner Frau gewesen ist. Er sinnt auf Rache. Der Kaiser soll nichts erben, er beschließt, seinen großen Reichtum loszuwerden - und gerade so lange will er noch leben. Die Verstorbenen, die für das nächste Jahr den Tod des armen Meisl vorher gesagt haben (Der Branntweinkrug), sollen recht behalten. Man kann tatsächlich beobachten, „wie Meisl sein Geld verschenkt, die Judenstadt saniert („Der Stern des Wallenstein“) und letzten Endes ohne einen Taler im Haus dahinscheidet, das letzte Geld gräbt er sogar heimlich ein („Das Gespräch der Hunde“). Dennoch blieb sein Reichtum über die Jahrhunderte hin legendär (Epilog).“ 64

62 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/13_lichtlein.html > (angesehen am 07.04.2010) 63 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 246. ISBN 978-3- 423-13025-7. 64 (online) erreichbar in

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3. 1. 14. Die vierzehnte Erzählung: Der Engel Asael Rabbi Löw wird eines Nachts von einem Engel besucht, der mit ihm über die Macht der Worte, die Spuren in der Welt hinterlassen, spricht. Der Rabbi erinnert sich an seine Zauberworte. Dem jungen Rudolf II. hatte er das Leben gerettet, als er bei einem Besuch des Kaisers in der Judenstadt einen Stein, der den Kaiser erschlagen sollte, in ein Schwalbenpaar verwandelt hatte. Der Engel mahnt den Rabbi, dass dieser Zauber damals den göttlichen Plan gestört hätte. Denn an diesem Tag hatte Rudolf in der Judenstadt ein Mädchen gesehen und sich unsterblich in sie verliebt. Nach langer vergeblicher Suche nach dem Mädchen, besuchte Rudolf den Rabbi Löw und befahl ihm, das Mädchen zu suchen und ihm auf die Burg zu bringen. Rabbi Löw weigerte sich, denn die Schöne ist Esther, die Ehefrau von Mordechai Meisl. Darauf drohte der vor Liebe rasende Rudolf, die Juden aus Prag und seinen Landen zu vertreiben. Aus Angst davor pflanzte Rabbi Löw einen Rosenstock und einen Rosmarinstock unter die Steinerne Brücke, in denen sich „ die Seelen von Esther und Rudolf Nacht für Nacht vereinen sollten, und brachte damit die Sünde in die Judenstadt. Auf die Frage des Engels, warum sich die Menschen mit der Liebe beschwerten, die nur Unglück in die Welt brächte, erinnert Rabbi Löw den Engel an den Beginn der Zeit, als Engel und Menschentöchter einander liebten. Der Engel weint.“65 „Der Engel Asael“, die vierzehnte und damit letzte Erzählungl des Romans Nachts unter der steinernen Brücke von Leo Perutz, „ setzt sich aus einem philosophisch theologischen Dialog zwischen dem hohen Rabbi Loew und dem lehrenden Engel Asael auf der einen Seite und den Erinnerungen der beiden an Vergangenes auf der anderen Seite zusammen .“ 66 Auf diese Weise werden dem Leser letzte ungeklärte Fragen beantwortet und wichtige Hintergründe rundum die Thematik der Traumbeziehung zwischen der schönen Esther und dem Kaiser Rudolf II. nachträglich erläutert. Bezüge werden vor allem zu den Kapiteln Die Pest in der Judenstadt und Nachts unter der steinernen Brücke aufgebaut, in denen es sich ja fast ausschließlich um die Liebesbeziehung des Kaisers zu Esther und deren Auswirkungen auf die Prager Judengemeinde (Drohungen Rudolfs II., Pest etc.) dreht. Im siebten Kapitel lässt sich

< http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/13_lichtlein.html > (angesehen am 07.04.2010) 65 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 255. ISBN 978-3- 423-13025-7. 66 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/14_asael.html > (angesehen am 07.04.2010)

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auch die Begründung für die Entscheidung des hohen Rabbis nachlesen, nur Esther zu bestrafen, denn dieser ist stets bewusst, dass sie Unrecht begeht. „ Anschließend lässt sich festhalten, dass der Autor, indem er in diesem letzten Kapitel dem Leser anhand von zwei Beispielen die problematische Situation der Prager Juden näherführt, im wesentlichen den Abschluss der Rahmen- und Kernhandlung bildet, die sich um die immer wieder akut werdende Bedrohung der gesamten jüdischen Gemeinde in dieser Stadt dreht. “67 Weiterhin wird hier auch mit dem Engel Asael und den höheren Geheimnissen des Himmels die Motivkette der Mystik zum Ende gebracht, die fast den gesamten Roman durchzieht und mit der Rekapitulierung Loews auch die des Traums und der Liebe.

3. 2. Interpretation Die Autorin Alefeld Yovonne-Patricia befasste sich in ihrer Arbeit intensiv mit den Themen und Motiven aus den Werken von Leo Perutz und ihr ist dabei folgendes aufgefallen: „Die Novellenkomposition aus 14 Erzählungen und dem Epilog, ein Kunstgriff, um die 15 Pfeiler der Prager Karlsbrücke zu symbolisieren, stellt weitaus mehr dar als eine nostalgisch verklärte Erinnerung. Bereits die Publikation einzelner Novellen vorab beweist, dass ein Werk eines jüdischen Autors nach Ende des Dritten Reiches von der Öffentlichkeit nicht als „ politik- und ressentimentlos“ akzeptiert werden würde .“ 68 In der Novelle Des Kaisers Tisch wurden jene Passagen bei der Veröffentlichung entfernt, in denen Juden vorkommen, „ da man vom Psychologischen her auf gewisse Empfindungen heute sehr Rücksicht nehmen muß “69 , wie der Redakteur Ernst Molden im Hinblick auf potentiell antisemitisch eingestellte Leser an Leo Perutz schrieb. Das Rudolfinische Prag, in der Zeit zwischen 1571 und 1621, ist ein Schauplatz, der die Situation der Deutschen und Juden wiederspiegelt. Im Zentrum der Geschichte ist das Liebesverhältnis der schönen Jüdin Esther und des römisch-deutschen Kaisers, Rudolf II. Leo Perutz inszeniert eine problematische Komplexität menschlicher Beziehungen in einem religiösen und kulturellen Spannungsfeld. „ Die Karlsbrücke ist das Sinnbild für die den Roman konstituierenden konfliktuösen Beziehungen,

67 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/14_asael.html > (angesehen am 07.04.2010) 68 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 312. ISBN 978-3-428-10293-8. 69 Ebenda, S. 312.

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Wiedersprüche und gemeinsamkeiten von Judentum und Christentum, vom Alten und Neuen Testament. “70 Es ist historisch belegt, dass es zwischen dem reichen Mordechai Meisl und dem hohen Rabbi Löw Beziehungen gab. „ Heute am Sonntag, den 10. Adar des Jahres 5352 nach Erschaffung der Welt (23. Februar 1592) erging´, so verzeichnet Rabbi Isak Kohen in seinen Memoiren, ,durch den Fürsten Berthier ein Befehl des Kaisers an Mordechai Meisel und Isak Weisl, dass sich mein Schwiegervater Rabbi Löwe in der Burg einfinden solle. Diesem Befehl gemäss begab er sich dahin, von seinem Bruder Rabbi Sinai und mir begleitet. ...Den Gegenstand der Unterredung müssen wir aber, wie es bei königlichen Angelegenheiten üblich ist, geheimhalten .“ 71 Perutz verrät in seinem Roman das Thema der geheimen Unterredung: Der Kaiser liebt die Frau des jüdischen Finanziers, des reichen Mordechai Meisl. Wenn ihm Rabbi Löw die schöne Esther nicht als Geliebte zuführe, wird der Kaiser die Juden aus dem Ghetto vertreiben. Dieses Zitat der Autorin ist jedoch falsch. Nach meiner Recherche und mit der Unterstützung von PhDr. Viera Glosiková, CSc. fand ich heraus, nachdem ich das Buch Den Golem wiederzuerwecken von Kisch Egon Erwin (S. 125) nachgeschlagen habe, dass es in diesem Falle nicht um die schöne Esther ging, sondern um den Golem. Aus diesem Grund ist auch die Interpretation der Autorin Alefeld Yvonne-Patricia falsch. „Da ging der hohe Rabbi, und er pflanzte am Ufer der Moldau unter der steinernen Brücke, vor den Blicken der Menschen verborgen, einen Rosenstrauch und einen Rosmarin. Und über beide sprach er die Worte des Zaubers. Da öffenete sich eine rote Rose an dem Rosenstrauch, und die Blüte des Rosmarins strebte zu ihr hin und schmiegte sich an sie. Und jede Nacht flog die Seele des Kaisers in die rote Rose und die Seeele der Jüdin in die Blüte des Rosmarins .“ 72 Der im Traum begangene Ehebruch zwischen einem Christen und einer Jüdin hat als Folge das große Kindersterben in der Judenstadt. Rabbi Löw konnte zwar zunächst die Vertreibung der Juden verhindern, doch nun steht die Existenz der jüdischen Gemeinde auf dem Spiel. Als der hohe Rabbi Löw erkennt, dass die Traumliebe sündhaft ist, reißt er den Rosmarinstrauch wieder aus

70 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 313. ISBN 978-3-428-10293-8. 71 KISCH, E. Den Golem wiederzuerwecken. In Ders. Geschichten aus sieben Ghettos. Amsterdam 1934, S. 199. In ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In. KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 313. ISBN 978-3-428-10293-8. 72 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 253. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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und wirft ihn in die Moldau. In derselbsen Nacht stirbt die schöne Esther. Sie wird zum Sündenbock und Opferlamm gemacht, dem die Verantwortung für die Krise aufgebürdet wird. „ Denn die Vereinigung zwischen dem Christen und der Jüdin ist in Nachts unter der steinernen Brücke Sinnbild einer zusammenbrechenden Ordnung, die ihre Stabilität aus der religiösen und kulturellen Differenz bezogen hat. Wenn das Religiöse zerfällt, dann ist nicht allein oder nicht sogleich die physische Unversehrtheit bedroht, sondern die kulturelle Ordnung. Das heißt für Perutz´ Roman: „Die Entsymbolisierung der Lebenswelt durch die Entdifferenzierung der Religionen entspricht dem Verlust der Identität.“ 73 Der Tod der schönen Esther versetzt den Kaiser in tiefe Depressionen und er kann den Tod eines geliebten Menschen nur schwer verkraften. Mordechai Meisel finanziert weiterhin die Ausgaben des kaiserlichen Hofs - im Austausch für den höchsten Schutz durch den Herrscher. Als Meisel jedoch von dem angeblichen Ehebruch erfährt, täuscht er nun den Kaiser, dem er seine Hinterlassenschaft versprochen hatte, und verschenkt zum Teil sein Geld heimlich. Den Rest investiert er in den Aufbau des Ghettos, damit nichts in die Hände des Kaisers gerät. Die vierzehn Erzählungen sind größtenteils in sich abgeschlossene Novellen aus dem Prag am Vorabend des 30-jährigen Krieges. Sie lassen nach und nach als zentralen Handlungsstrang die Traumliebe des Kaisers Rudolf II. zu der schönen Jüdin Esther hervortreten. Die spiritistisch inspirierte Beziehung zwischen dem Kaiser und der Jüdin wird ausführlich in dem siebten Kapitel beschrieben, das nicht zufällig im Zentrum des Romans steht. Die den Roman determinierende Zahl sieben verweist auf den Bezug des Romans zur Kabbala, die in der Zahl sieben die Nähe zum Göttlichen erkennt. Professor Friedrich Weinrieb, Erforscher der jüdischen Zahlenmystik, schreibt in seinem Buch Buchstaben des Lebens über die Zahl sieben: „Man nennt dieses Zeichen Sajin, und das bedeutet eigentlich Waffe. Ist es denn nicht auch wie ein Kampf? Ein Ringen von Liebenden oder eben ein Ringen der sich Hassenden. Denn mit der Liebe wird auch die Gegenmöglichkeit, der Haß, in die Welt hineinbeschworen. Wenn die Allmacht Liebe schenkt, öffnet sie auch dem möglichen Haß die Tore. Sonst wäre Liebe etwas mechanisch Zwangsläufiges. Der Neid lauert immer und weckt die Sucht zu konstruieren und Gottes Schöpfung als „machtbare Welt“- vom Menschen zu machende

73 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 314. ISBN 978-3-428-10293-8.

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– zu betrachten und zu behandeln. „ Dieser Kampf mit der Waffe Sajin ist der Krieg Gottes. Und an der anderen Seite stehen die Kriege der Menschen. Das siebte Zeichen zeichnet den 7. Tag der Schöpfung, es ist der Tag unseres fortwährenden „Jetzt “.“ 74 Der Roman beschreibt die Verhältnisse im jüdischen Ghetto, und weist ebenfalls auf die Verhältnisse zwischen den jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern Prags, des 17. Jahrhunderts, hin. Juden werden hier als eine Minderheit dargestellt, die unter grundlosen Verfolgungen zu leiden hat. In dem Kapitel die Sarabande wird erneut auf den Unterschied zwischen dem Christentum und Judentum hingewiesen. Auf dem Fest des Kanzlers von Böhmen genießt Baron Juranic, ein Held im Kampf gegen die Türken, in bester Laune die Gunst eines Fräuleins. Daraufhin wird der junge Graf Collalto eifersüchtig und versucht Juranic zu verhöhnen. Dieser läßt sich allerdings seine gute Laune nicht verderben. Collalto entscheidet sich nun auf anderen Wegen die Freude zu verderben. „ Er trat an das tanzende Paar heran und wußte dem Baron so geschickt ein Bein zu stellen, dass dieser der Länge nach hinschlug und im Fallen zwar nicht die Demoiselle, wohl aber den Herrn, der ihm zunächst tanzte, mit sich zu Boden riß .“ 75 Daraufhin fordert Juranic der Grafen zu einem Duell auf. Collalto verliert und zur Strafe muß er bis zum nächsten Morgen durch das nächtliche Prag tanzen. Dem Grafen bleibt nichts anderes übrig als um sein Leben zu tanzen. Er durchtanzt so vor dem Baron und seinen zwei Dienern die ganze Stadt. Die Diener sind fromme Christen und stoppen vor jeder christlichen Statue um niederzuknien und zu beten. Das erschafft dem erschöpften Collalto immer wieder eine Pause. Als der Baron diesen Umstand bemerkt, führt er den Umzug in die Judenstadt, denn dort gibt es keine „ Kruzifixe und keine Heiligenfiguren “76 . Er erhofft sich nun, dass der Collalto endlich seine gerechte Strafe findet. Vor dem Haus des hohen Rabbi Löw schreit der Graf total erschöpft um Hilfe. Der Rabbi erscheint und zaubert mit Hilfe der Kabbala ein Bild an die Hauswand. Alle sinken zu Boden, auch der Baron. „Aber es war nicht der Heiland … nein, es war ein Ecce Homo von anderer Art. “ Der Baron wird bei dem Anblick „von einem Blitzschlag des Selbsterkennens getroffen“: „Es war das Judentum, das durch die Jahrhunderte hindurch verfolgte und verhöhnte Judentum war es, das auf diesem Bild seine Leiden offenbart hat .“ 77 Durch das Bild des

74 SERKE, J. Böhmische Dörfer . Wien-Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987, S. 279. ISBN 3552039260. 75 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 51. ISBN 978-3- 423-13025-7. 76 Ebenda, S. 59. 77 Ebenda, S. 61.

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Ecce Homo, welches das leidende Judentum zeigt, erkennt Juranic wie grausam er gewesen war. Wie bereits erwähnt wurde, die fünfzehn Novellen bilden nur einen lockeren inneren Zusammenhang und zeigen, wie keiner der tragenden Figuren Einsicht in die größeren Zusammenhänge ihres Lebens möglich ist. Erst kurz vor Ende des Buches enthüllt ein Gespräch des Rabbi Löw mit dem Engel Asael den geschichtsphilosophischen Hintergrund des Romans, aber auch sie beide bleiben Gefangene eines größeren Geschehens, das sie nicht verstehen. Asael belehrt den Rabbi, " daß alles, was auf Erden zu Worten geformt wird, seine Spuren in der oberen Welt hinterlässt "78 . Asael wirft Rabbi Löw vor: " Du, Leichtfertiger, hast in den Plan der Schöpfung eingegriffen und das Gleichgewicht der Welt gestört. "79 Rabbi Löw hatte mit magischen Kräften einen Anschlag auf den Kaiser verhindert, der den Juden angelastet worden wäre. Dies hätte bestimmt zu gewalttätigen Übergriffen gegen die Juden geführt. „Das Attentat war vereitelt und die Integrität der Juden gewahrt, nicht jedoch das Gleichgewicht der Welt. „Das Lebende überwog das Tote“ 80 , schildert Asael und es geriet Streit unter die Engel, „ welcher nur unter dem Einsatz der Erzväter Abraham, Isak und Jakob beigelegt werden konnte .“ 81 Später setzte ihn Kaiser Rudolf II mächtig unter Druck, der bei einem Ritt durch das Judenviertel die mit dem Kaufmann Mordechai Meisl verheiratete Esther auf der Straße gesehen und sich ihn sie verliebt hatte, und drohte mit der Vertreibung der Juden aus der Stadt, falls er sie nicht wiedersehen werde. Der Rabbi fand einen vermeintlichen Ausweg, indem er "am Ufer der Moldau unter der steinernen Brücke, vor den Blicken der Menschen verborgen, einen Rosenstrauch und einen Rosmarin "82 pflanzte und dadurch ermöglichte, dass sich jede Nacht im Traum die Seelen des Kaisers und Esthers in Liebe vereinten. Doch Gott blieb das nicht verborgen, und er schlug das Judenviertel mit einem Kindersterben als Strafe für den Ehebruch und schlimmer noch die "Sünde Moabs", dass eine Jüdin Ehebruch mit einem Nicht-Juden beging. Dem Rabbi blieb nichts anderes, als den Rosmarin wieder zu brechen und Esther sterben zu lassen. Damit

78 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 249. ISBN 978-3- 423-13025-7. 79 Ebenda, S. 250. 80 Ebenda, S. 250. 81 (online) erreichbar in < http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/14_asael.html > (angesehen am 08.04.2010) 82 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 253. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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war nun zwar die himmlische Ordnung wieder im Gleichgewicht, aber alle Beteiligten in Prag hatten ihr Gleichgewicht verloren. „ Sie waren zurückversetzt in den Stand der unfertigen Schöpfung. Damit nahmen sowohl der Untergang der kaiserlichen Macht in Prag, konkret der 30-jährige Krieg, wie auch das Unheil der Juden in der Stadt ihren Lauf .“ 83 Zum Schluss dieses Kapitels meiner Diplomarbeit möchte ich mich etwas ausführlicher mit den jüdischen Personen, dem Milieu und dem geschichtlichen Hintergrund des Romans Nachts unter der steinernen Brücke beschäftigen. Das Prager Ghetto hat in diesem Roman eine dreifache Funktion. Zum einen ist es das historische, das geheimnis- und spukumwitterte Ghetto des 16. Jahrhunderts. Der Hohe Rabbi Loew ist hier die unbestrittene Autorität, die die geistliche und juristische Führerschaft ausübt. Man könnte das Ghetto auch als einen kleinen „theozentrischen jüdischen Staat“ im Staat des vom Habsburger Rudolf II regierten Reichs bezeichnen. Es ist aber auch das Ghetto der unmittelbaren Vergangenheit, „ das das 15-jährige “Ich” des Epilogs noch um die Wende zum 20. Jahrhundert kennenlernt, intakt in vielen seiner Funktionen, wenn auch heruntergekommen und von Krankheit und Kriminalität gezeichnen.“ 84 Und drittens ist es das zerstörte und demolierte Ghetto der vollendeten Assanierung um das der jüdische Medizinstudent Jakob Meisl, der Erzähler all der versammelten Erinnerungs-Geschichten, die Totenklage anstimmt: „Eine Weile ging er schweigend im Zimmer auf und nieder. Dann erhob sich seine Stimme zu einer Totenklage um die Häuser des Ghettos, die der Zerstörung anheimgefallen waren, denn sein Herz hing an allem, was alt und zum Verschwinden bestimmt war.“ 85 In dieser Totenklage beklagt er die verschwundenen Häuser als ob sie für ihn lebende Wesen gewesen wären. Dies äussert sich dadurch, dass er sie alle beim Namen nennt, als er anfängt sie einzeln aufzuzählen: „ Sie haben das Haus ´Zur kalten Herberge´ niedergerissen und das Haus ´Zum Kuckucksei´ ebenso wie das Häuschen ‘Keine Zeit’ oder schließlich das Haus ‘Zum Tode’ .“ 86 Gerade in dem Augenblick, in dem das reale Ghetto fast restlos verschwunden ist und seine Funktion als Zwingburg der Judenschaft endgültig verloren hat, beginnt die narrative Rekonstruktion des 15-jährigen “Ich“, als ob er den Verlust, der in diesem historischen Gewinn der Entghettoisierung liegt, nicht

83 http://home.arcor.de/d33s/kafkaundco/html/14_asael.html (angesehen am 08.04. 2010) 84 (online) erreichbar in < http://vdeutsch.eduhi.at/vorlesungen/fetz_prag.doc > (angesehen am 08.04.2010) 85 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 261. ISBN 978-3- 423-13025-7. 86 Ebenda, S. 261.

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vergessen lassen wollte. Es macht ihn truarig, dass die letzte Erinnerungen an die Vergangenheit, um das sagenumwobene Ghetto des Rabbi Löws und Meisls Gut „in Schutt und Trümmer fiel und wie es sich noch einmal vom Boden erhob und in die Höhe stieg, eine dichte Wolke von rötlich-grauem Staub. Noch immer war es Meisls Gut, und es stand, und wir sahen es, bis es ein Windstoss forttrieb und verschwinden liess.“ 87 Doch wie ist es dazu gekommen, dass das jüdische Ghetto zu Meisls Gut wurde? Dafür müssen wir uns genauer mit den einzelnen Personen auseinander setzten. Die wichtigste Person in Ghetto, wie bereits erwähnt wurde, war der Rabbi Loew. Er war Oberrabiner Böhmens und herausragender Pädagoge und Philosoph. Ausserdem war er grosser Förderer der Künste und Kultur und ein Gelehrter und Experte der kabbalistischen Geheimwissenschaft. Er war kundig der Sprachen der Toten und konnte furchtbare Zeichen Gottes deuten. "Der hohe Rabbi, der in den dunklen Nächten die zweiunddreißig verborgenen Wege der Weisheit gegangen war und in magischer Verwandlung die sieben Tore des Erkennens durchschritten hatte, - der hohe Rabbi verstand das Zeichen Gottes .“ 88 Dieses Beispiel zeigt die ausserordentlichen Eigenschaften die der Rabbi besaß, aber er war auch fähig in die Träume der Menschen zu schauen. Er konnte dadurch drohende Gefahr vorahnen und sie beseitigen, was er im Falle der schönen jüdischen Sünderin Esther bewies. Als der Rabbi begreift, dass sie für das große Kindersterben durch die Pest verantwortlich ist, zögert er nicht und lässt sie sterben um so die anderen Menschen vor der tödlichen Seuche zu bewahren. Der Rabbi kann zwar komplizierte Situationen und Konflikte meistern, jedoch kann er sie nicht selbst herbeirufen. Dafür braucht er Mittelsmänner, wie z.B die beiden jüdischen Spaßmacher und Hochzeitsmusikanten, Koppel Bär und Jäckele-Narr. Durch ihre Musik können sie die vor wenigen Tagen gestorbenen Kinder herbeirufen, die ihnen auch erscheinen. Die beiden werden als zwei „ alte, armselige müde Männer “89 beschrieben, die auf Hochzeitsfeiern auftreten. Sie treiben sich fast immer in der Nähe des Prager Judenfriedhofs rum. In der Erzählung Die Pest in der Judenstadt sind es die toten Kinder vom Friedhof, die sie durch ihre Musik anlocken und in der Erzählung der Branntweinkrug gehen sie wiedermal auf ihrem Heimweg von einer Hochzeitsfeier am Judenfriedhof vorbei. Plötzlich wird ihre Aufmerksamkeit auf seltsame Stimmen aus dem Alt-Neuschul-Gebäude der Prager Synagoge gelenkt und sie hören eine Weile zu.

87 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 262. ISBN 978-3- 423-13025-7. 88 Ebenda, S. 13. 89 Ebenda, S. 193.

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Aus Neugierde, welche Personen sich dort wohl aufhalten, hören sie eine Weile zu und stellen fest, dass diese Stimmen jüdische Anbetungen sprechen und daraufhin einzelne, noch lebende Personen zu sich ins Jenseits rufen, die noch dieses Jahr sterben sollen. Es wird auch der Name vom Jäckele-Narr gerufen, worüber sein Freund sehr bestürzt ist. Ein wenig später hören sie die Geister den Mordechai Meisl rufen, „ der ein armer Mann ist“, „der nicht einen halben Gulden im Hause hat. Der nichts besitzt, nichts sein eigen nennt.“ (Seite 203). Daraufhin glauben die beiden Freunde dem Spott von ein Paar Leuten erlegen zu sein, da sie noch nicht wissen können, dass der einst reiche Jude Meisl, sein ganzes Hab und Gut in seinen letzten Lebenstagen verschleudert hat, damit der Kaiser nichts von seiner versprochenen Hälfte des Erbes habe. Dies ist die Rache von Meisl, denn er kann nur schwer verkraften, dass seine Frau die Geliebte des Kaisers gewesen ist und er davon erst nach ihrem Tod durch Zufall erfuhr. Wer war dieser Mordechai Meisl, der zeitlang sogar als Finanzier des Kaisers Rudolf II. diente. Der einst arme Judenjunge Mordechai Meisl Der entwendete Taler schafft es, sich durch kaufmännische Fähigkeiten, Glück und dank Unterstützung der Dämonen ein erhebliches Vermögen anzueignen. Er wird der reichste Mann in Prag und Geldleiher für viele Adlige. Er ist mit der schönen Esther verheiratet, doch er weiß zunächst nicht, dass sie ein Verhältnis mit Kaiser Rudolf II hat, wenn auch nur auf mentaler Ebene. Nach ihrem Tod lebt er als einsamer Mann in seinem gut besuchten Haus. Tagsüber ist es voll von Bittstellern, Angestellten und Händlern, des nachts ist Meisl allein mit seinem Diener. Er weiß, dass sein Ende naht, denn er hat mit heftigen Hustanfällen zu kämpfen. Er hat keine Nachkommen und aus diesem Grund entscheidet er sich zunächst dem Römischen Kaiser, der ihm viele Freiheiten und Privilegien verspricht, im Falle seines Todes die Hälfte seines Besitzes zu vermachen. Als er jedoch von dem Verhältnis zwischen Rudolf II. und seiner Frau erfährt, vererbt er ein Teil seines Hab und Guts dem armen, glücklosen, aber frommen Juden Berl Landfahrer. Den Rest seines Guts, der auch unter dem Namen Meisls Gut bekannt ist, wird für den Aufbau und die Sanierung der Judenstadt verwendet. Doch nochmals zurück zu dem armen Juden Berl Landfahrer. Im Roman wird er als einer, der kein Fettnäpchen auslässt, charakterisiert. Ein im Buch erwähntes Zitat lautet: „Es gibt keinen Knüppel, über den er nicht stolpert, und wenn er Brot hat, so fehlt ihm das Messer, und hat er beides, so findet er kein Salz“ (S. 37). Eines Tages wird er aus seiner Stube in Prag geholt und in das Altstädter Gefängnis gebracht, weil er einem Soldaten einen Mantel aus Zobelpelz und ein Seidengewand abkauft hat, zu einem ,wie

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er selbst zugab, ungewöhnlich billigem Preis. Während Berl im Gefängnis sitzt, geben die Judenältesten und Judenräte ihr möglichstes, doch sie können ihn nicht aus dem Gefängnis befreien. Um die Schmach des Juden noch zu vergrößern, soll er mit zwei Hunden gehenkt werden, von denen einer, „ein Bauernköter“ schon bereits in seiner Zelle ist. Schließlich kommt ein zweiter Hund, der schöne Pudel des verstorbenen reichen Mordechai Meisl. Von diesem Pudel erfährt er dann auch, dass ihm der inzwischen verstorbene Meisl Teil seines Guts vermacht hat. Doch da Landfahrer ein ewiger „Pechpilz“ ist, haut der Pudel am Tage der Hinrichtung ab und der inzischen begnadigter Jude verbringt den Rest seiner Tage auf der Suche nach dem Hund und somit dem Erbe von 80 Gulden. In dem Roman Nachts unter der steinernen Brücke gibt es noch weitere jüdische Personen, wie z.B. die Ehefrau des Juden Meisl, die schöne Esther. Sie hat ein Liebesverhältnis (zwar nur im Traum) mit dem Christen Rudolf II. und begeht dadurch eine schwerwiegende Sünde, die die Pest in der Judenstadt zur Folge hat. Zur Strafe wird sie zum Sündenbock gemacht und muss sterben, damit die Ordung wieder hergestellt ist. Und zum Schluss sind da noch die kleinen jüdischen Kinder, die durch die Sünde der schönen Esther eines grausamen Todes sterben müsssen. Sie alle werden von der Pest gerafft. Nun sind sie tot, wie z.B die kleine Tochter des Schusters, das Blümchen und auch ihre Spielkameraden, die meistens zwischen 6-8 Jahren alt sind. Ihre Welt ist nun der Prager Judenfriedhof. „ Dort hart an der Friedhofsmauer schwebten leuchtende Gestalten in den Lüften, Kinder in langen weissen Hemdchen , die hielten einander an den Händen und wiegten sich im Tanz über den frischen Gräbern. Und über ihnen stand, unsichtbar dem menschlichen Aug´, der Engel Gottes, der als über Hüter über sie bestellt war.“ 90 Sie sind die einzigen, die die Frage beanworten können, wo die Ursache der Pest liegt. Diese Antwort übergibt eines von den Kindern den beiden Musikanten Jäckele-Narr und Koppel-Bär: „ Der Engel Gottes hat gesprochen, der Diener des Herrn hat gesagt: ´Es ist geschehen um der Sünde Moabs willen, die eine unter euch begangen hat. Und Er, der Ewige, hat es gesehen, und er, der Ewige, wird euch vertilgen, wie er vertilgt hat Moab .“ 91 Durch diese Aussage begriff der hohe Rabbi Löw, dass das Kindersterben in der Stadt von dem Ehebruch der schönen

90 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 12. ISBN 978-3- 423-13025-7. 91 Ebenda, S. 16.

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Esther herstammte und diese armen kleinen Kinder dafür mit dem Tod bezahlen mussten. Aus diesem Grund muss die schöne Jüdin ebenfalls mit dem Tod bezahlen. Die vierzehn Erzählungen des Romans spielen sich in verschiedenen jüdischen Prager Milieus ab. In der ersten Novelle Die Pest in der Judenstadt ist der Haupthandlungsort der Prager Judenfriedhof. Dort locken die beiden Musikanten Jäckele-Narr und Koppel- Bär die an die Pest gestorbenen Kinder aus den Gräbern. Dort liegen auch viele berühmten Persönlichkeiten begraben, wie z.B. das Grab des Rabbi Abigdor, oder „unter einem Ahornbaum der Grabestein des Rabbi Gedalja, des hochberühmten Arztes.“ 92 Der Friedhof wird als malerisch beschrieben, der mit Holunder und Ahornbäumen und Jasminbüschen bewachsen ist. (S. 11) Umgeben ist er von der Friedhofsmauer. Ein weiterer Schauplatz ist das Haus des hohen Rabbis Löws. Dort befindet sich in seiner Kammer das Buch der Geheimnisse aus dem er sein Wissen bezieht und welches er auch zum Zaubern verwendet. In seiner Kammer speist der Rabbi auch und bewirtet seine Gäste, wie z.B die beiden Musiker, oder lässt sogar die ganze Gemeinde versammeln, wenn er ihr was Wichtiges zu sagen hat. Der Friedhof und das Haus des Hohen Rabbi befinden sich im jüdischen Ghetto. In der zweiten Erzählung Des Kaisers Tisch begegnen die beiden Adeligen Peter Zaruba von Zdar und Georg Kaplir von Sulavice auf ihrem Weg durch Prag viele Juden auf dem Weg in die Kirche zur Predigt, über die sich natürlich der judenfeindliche Kaplir aufregt. In der Erzählung Das Gespräch der Hunde wird offesichtlich, dass alle Verbote und Bekanntmachungen in Gotteshäsuern der Judenstadt, in der Alt- und Neuschul, in der Pinchas-, der Klaus-, der Zigeuner-, der Meisl-, der hohen und der Altneuschul ausgerufen werden. Der arme Berl Landfahrer war jedoch so tief in den Lehren des Buches „Raja Mehemna“ und „Der getreue Hirte“ versunken, dass er sie verpasste. In der Erzählung die Sarabande lässt Baron Juranic den Grafen Collalto durch die Prager Innenstadt tanzen, da jedoch die frommen Kroaten vor jeder Marienstatue anhalten und beten, entscheidet er sich die Prozession in die Judenstadt zu führen, denn dort gibt es keine solchen Bildnisse. Dort gibt es nur verschlungene Gassen, die an der Friedhofsmauer bis an die Moldauufer entlangführen. Ausserdem sind dort das

92 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 11. ISBN 978-3- 423-13025-7.

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Judenbad, Rathaus, Backhaus und die versperrten Fleischbänke und der Trödelmarkt zu finden. Mordechai Meisl und seine Frau, die schöne Esther wohnen auf dem Dreibrunnenplatz in einer vornehmen Juden Gegend. Dank seiner Finanzen wird das neue Badhaus, Rathaus, Siechenhaus und eine Herberge für Waisenkinder gebaut. Ausserdem werden mit Hilfe seines Geldes alle Gassen des Judenviertels mit Pflastersteinen bepflastert. Nach dem Tod der schönen Esther bewohnt der reiche Kaufmann Meisl das Haus alleine, aber er wird dort oft besucht. Tagsüber ist es voll von Bittstellern, Angestellten und Händlern, des nachts ist Meisl allein mit seinem Diener. In der Erzählung der Branntweinkrug gehen Koppel-Bär und Jäckele-Narr an dem verfallenen, schwärzlich-grauen Mauerwerk der Altneuschul der Prager Synagoge vorbei. Dort hören sie auch eigenartige Stimmen jüdische Anbetungen sprechen und daraufhin einzelne, noch lebende Personen zu sich ins Jenseits rufen. Aus dem Roman wird offensichtlich, dass in der Judenstadt viele wichtige Gelehrten, Kaufleute auch auch Handwerker wie z.B die Metztger leben, die nicht nur in der Judestadt wichtig sind, aber auch auf dem kaiserlichen Hof hoch angesehen werden. Die Metzger beliefern den Kaiser mit hervorragendem Fleisch von ungarischen Ochsen

4. Jüdische Motive in anderen Werken von Leo Perutz

Obwohl Perutz in Prag geboren ist, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in Wien. Dennoch spielte Prag in seinen Werken eine grosse Rolle. Denn Prag ist eine Stadt, in der sich die Geschichte der Tschechen, der Deutschen und der Juden vereinigt. Prag ist die goldene Stadt der Mythen, Metaphysik, der Magie und Alchimie, der Kabbala und der christlichen Legenden. Hier wurden Schwejk und Golem hervorgebracht. Der Autorin Yvonne-Patricia Alefeld fällt auf, „dass das Schicksal Prags in unheimlicher Weise von Achterjahren bestimmt wurde.“93 Im Jahre 1618 war Böhmen ein Bestandteil der katholischen Habsburger. In Prag wurde jede Form des Protestantismus abgelehnt. Aus den Konflikten ergab sich der so genannte Prager Fenstersturz, der wiederum in den 30-jährigen Krieg mündete. 1648 ging der Krieg zu Ende, und das Königreich Böhmen wurde durch den Westfälischen

93 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 297. ISBN 978-3-428-10293-8.

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Frieden endgültig ausgelöscht. Am 28. Oktober 1918 kam es zur Gründung der Tschechoslowakei, T. G. Masaryk wurde erster Staatspräsident. Die bis dahin Ungarn administrativ unterstellte Slowakei schloß sich dem neuen Staat an. Ohne die Beteiligung der tschechoslowakischen Regierung unterzeichneten Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier am 29. September 1938 das Münchner Abkommen, nach dem die Tschechoslowakei das Sudetenland an Deutschland abtreten sollte. Etwa ein Drittel des Staatsgebietes fiel damit an das Deutsche Reich und die Demokratie zerschlagen. Im Jahre 1948 fand die vollständige Machtergreifung durch die Kommunisten statt. Es kam zur Verfassungsänderung und Umgestaltung des Landes nach sowjetischem Muster. 1968 wurde der Pragerfrühling durch die Truppen des Warschauer Pakts niedergeschlagen. Die Autorin macht darauf aufmerksam, dass Leo Perutz zu diesen schicksalhaften Achterjahren der tschechischen Geschichte noch das Jahr 1598 hinzufügt. In der Novelle Des Kaisers Tisch beschreibt Perutz nämlich, wie an einem Sommertag des Jahres 1598 Peter Zaruba von des Kaisers Tisch gegessen hat, trotz der Prophezeiung, dass wenn jemals ein Zaruba von des Kaisers Tisch esse, die Freiheit Böhmens verloren gehe. Der mit hohen Schulden belasteter Hofstaat belieferte das Wirtshaus, in das Zaruba an jenem unglücklichen Tag eingekehrt ist, mit königlichen Speisen. Dass der Wirt die Delikatessen „ für drei böhmische Groschen, das ist doch, Mensch, eine volkswirtschaftliche Unmöglichkeit “ feilbieten konnte, hätte eigentlich Zaruba irritieren müssen. Der ist „ nach der Schlacht am Weissen Berg mit vierundzwanzig anderen Herren vom böhmischen Adel auf dem Altstädter Ringplatz hingerichtet worden. Und da kannst du wieder sehen, wie die Geschichtsprofessoren am Gymnasium und die Herren, die die Geschichtsbücher für die Schulen verfassen, wie die alle zusammen nichts wissen und nichts verstehen .“ 94 Perutz ist ein Experte, der es beherrscht die Geschichte zu subjektivieren. Er ist in der Lage Geschichtswissenschaft zu ironisieren. Er kann aus einem „ vermeintlich objektiven Historismus eine bunte Tragikmödie der menschlichen Existenz “95 machen. Wie bereits in der Biographie von Leo Perutz erwähnt wurde, kam er aus einer reichen

94 PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008, S. 33. ISBN 978-3- 423-13025-7. 95 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 298. ISBN 978-3-428-10293-88.

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jüdischen Familie, die aus Prag stammt. Sein Vater war ein reicher Textilkaufmann und assimilierter Jude und seine Familie gehörte in Österreich zum gutsituierten Bürgertum. Obwohl er als Versicherungsmathematiker relativ erfolgreich war und mehrere versicherungsmathematische Abhandungen auf dem Gebiet der Versicherungsmathematik veröffentlichte, war er als Schriftsteller bis zu dieser Zeit realtiv unbekannt. Erst 1911 fing er an dem Roman Die dritte Kugel zu arbeiten. Dieses Buch wirft einen „ zeit- und kulturkritischen Blick auf die imperialistische Machtpolitik der Gegenwart, die zugleich Höhepunkt jener in Roman reflektierten frühneuzeitlichen Anfänge eines blutigen Kolonialismus war “. 96 Bereits mit seinem ersten Werk war klar, dass man ihn einerseits als Unterhaltungsautor wahrnehmen konnte, aber andererseits war seine geschichtsskeptische Haltung nicht zu übersehen. Nach dem Ersten Weltkrieg sympathisierte Perutz mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs –1918 übernahm er die Position eines “Beamtenrats“ und eines „Arbeiterrats“ bei der „Anker-Versicherung“. Er war auch gleichzeitig mit dem Redakteur der sozialistischen Arbeiterzeitung , Hugo Schulz, befreundet. Dennoch zählte er nicht zu den politischen Dichtern, die sich in der krisengeschüttelten Epoche nach dem Ersten Weltkrieg inszenierten. Er war „ vor allem ein in Wien bekannter Bohémien, der in den Caféhäusern, Zentren des kulturellen Lebens in Wien der Kriegs – und Nachkriegszeit (vor allem Café Zentral, Café Museum oder Café Herrnhof), Tarock spielte, Freundschaften pflegte und gesellschaftliche und literarische Beziehungen unterhielt .“ 97 In diesem intellektuellen Umfeld, zu dem wie bereits in der Biographie erwähnt wurde, die Journalisten und Schriftsteller Arnold Hoellrieger, Ernst Weiss, oder Josef Weinheber gehörten schrieb er den Roman, der zunächst unter dem Titel Freiheit im Berliner Tageblatt veröffentlicht wurde, allerdings dann unter dem Namen Zwischen neun und neun im Jahre 1918 erschien.

4. 1. Freiheit oder Zwischen neun und neun

96 LÜTH, R. Dämmerlicht der Zeiten. Ein Porträt des phantastischen Erzählers Leo Perutz. In Die dunkle Seite der Wirklichkeit. Aufsätze zur Phantastik . Hrsg. Von . Frankfurt am Main 1987, S.109. In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 110. ISBN 978-3-552-054165- 5. 97 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 298. ISBN 978-3-428-10293-8.

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Perutz beschreibt hier eine Geschichte, die sich um den Studenten Stanislauas Demba dreht. Dieser irrt durch Wien wie im Fieberwahn. Sein Verhalten ist sprunghaft und merkwürdig. Den Menschen, die er begegnet, erscheint er verdächtig, da er die ganze Zeit versucht etwas unter dem Mantel zu verstecken. Manche Menschen halten ihn für einen Dieb, oder Haschischraucher. Er selbst gibt sich sogar in einer Situation als Krüppel aus dem Ersten Weltkrieg aus. Zum Schluss glaubt sogar seine Angebetene Sonja, die ihn für einen anderen verlassen hat, und die er zurückgewinnen möchte, dass er bewaffnet sei. Nach zahlreichen weiteren Begegnugen sucht er Steffi Prokop auf, ein Mädchen, dass in ihn verliebt ist, und dem er sich anvertrauen kann. In diesem Augenblick erfährt der Leser, was Demba die ganze Zeit versucht hat zu vertuschen. Er erzählt Steffi, dass seine Freundin Sonja ihn für den reichen Georg Weiner verlassen hat. Sein Rivale möchte mit ihr nach Venedig reisen. Er ist überzeugt, dass wenn er selbst in der Lage ist Geld zu verschaffen, bekommt er sie zurück. Aus diesem Grund versucht Demba aus der Universitätsbibliothek gestohlene seltene Bücher zu Geld zu machen. Der Händler schöpft jedoch Verdacht und ruft die Polizei. Demba flieht jedoch durch einen Sprung durch das Fenster in die Freiheit – doch erst nachdem ihm die Polizei bereits Handschellen angelegt hat. Die Turmuhr schlägt bei seinem Sprung neun Uhr. Steffi Prokop erklärt sich bereit ihm zu helfen und verspricht ihm bis zum Abend einen Schlüssel anfertigen zu lassen. Währenddessen eilt Demba weiter durch das Wien der k. u. k. Monarchie, um das Geld doch noch zusammenzubekommen und Sonja zurückzugewinnen - und läuft dabei ständig Gefahr entdeckt zu werden. Den Rest des Romans fragt man sich, ob es Demba gelingen wird die Handschellen loszuwerden. Auf der Flucht vor der Polizei, springt er jedoch erneut vom Dachboden, als die Turmuhr neun mal schlägt. „ Innerhalb dieser Sekunden, in denen er verendet, imaginiert Demba die komischen, turbulenten, aberwitzigen und grotesken Ereignisse .“ 98 Die Handschellen aber „ waren durch die Gewalt des Sturzes zerbrochen. Und Dembas Hände, die Hände die sich in Angst versteckt, in Groll empört, im Zorn zu Fäusten geballt, in Klage aufgebäumt, die in ihrem Versteck stumm gezittert, in Verzweiflung mit dem Schicksal gehadert, in Trotz gegen die Ketten rebelliert hatten – Stanislaus Dembas

98 ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz. In KROLL, F. Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000, S. 301. ISBN 978-3-428-10293-8.

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Hände waren endlich frei .“ 99 Diese ganze Geschichte entpuppt sich nun als Fiktion, denn in Wirklichkeit ist Demba bei seiner Flucht vor der Polizei von der Dachkammer in den Tod gestürzt. Er hört die Neun-Uhr-Glocken schlagen und sein Traum bzw. Albtraum (in Handschellen gefesselt auf der Flucht vor der Polizei) läuft vor seinem inneren Auge wie ein Film ab. Der Roman Zwischen neun und neun weist erneut für Perutz typische Merkmale, z.B. seinen distanzierten Stil, der jedoch voller Pointen steckt. Man kann zwei Erzäh- lerinstanzen unterscheiden, einen berichtenden (auktorialen) Erzähler, der den Leser durch Wien führt und die Ereignisse objektiv schildert, und einen kommentierenden Erzähler, der Dembas Position zu verstehen scheint. Demba wird als ein nicht gerade sonderlich sympathischer Mensch beschrieben – als cholerisch und „machtgeil“. Seine Sonja, die als hübsche, aber oberflächliche Person geschildert wird, will er eigentlich nur zurück, „ weil sie ihn verlassen will - sie hat ihn eigentlich nie geliebt .“ 100 , ehe er fertig mit ihr war. Die durch brandnarben entstellte Steffi Prokop, die ihn aufrichtig liebt, beachtet er jedoch kaum, erst als es zu spät ist. Dennoch ist Demba eine beeindruckende Persönlichkeit, die allmählich die Sympathien des Lesers gewinnt. Es sind seine Kämpfernatur und Beharrlichkeit, die beeindrucken. Er weigert sich in den ausweglosesten Situationen aufzugeben. Mit Einfallsreichtum und Dickschädel kämpft er sich von Begegnung zu Begegnung - und wird dabei vom Pech verfolgt. Zwischen neun und neun hat Krimielemente und zeichnet sich durch eine anhaltende Spannung aus. Leo Perutz beschreibt in einem 1921 entstandenen Beitrag für die Wiener Arbeiter-Zeitung die Entstehungsgeschichte des Romans: „ wenn ich heute dieses Buch in die Hand nehme, habe ich den Eindruck, dass das Leben Stanislaus Dembas nicht das Schicksal eines einzelnen ist, sondern dass es mir als das Symbol der in Schlingen verstrickten und in Ketten geschlagenen Menschheit erscheint .“ 101 Eine konkrete Begegnung mit einem verwirrt wirkenden jungem Mann im Jahre 1916 hat Perutz den Impuls gegeben, den Roman zu schreiben. „ Einige Augenblicke starrte er – mit unverständlicher Erregung – in den Zigarettenrauch des Kaffeehauses, dann machte er kehrtum und verschwand. Ich sah ihn niemals wieder. Es war Stanislaus Demba .“ 102

99 PERUTZ, L: Zwischen neun und neun . München: Paul Zsolnay Verlag, 1980, S. 155. ISBN 978-3-552-04503- 3. 100 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 110. ISBN 978-3-552- 054165-5. 101 Ebenda, S. 109. 102 Arbeiter – Zeitung Wien Jg. 33, Nr. 316 (18.11.1921) (K 81). In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 109. ISBN 978-3-552-054165-5.

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Die gebundenen Hände sind ein Motiv, das sich durch die ganze Geschichte durchzieht. Die Motivation des Helden, sich trotz dieser erheblicher Einschränkung permanent der Öffentlichkeit und somit der Gefahr zu stellen, resultiert aus seinem Bemühen, Geld zu beschaffen. Das braucht er, um mit Sonja in Urlaub zu fahren. Darüberhinaus sind es „ Liebe und Stolz, die ihm den Zugang zu seinem individuellen Bedürfnis nach Freiheit verstellen. Der Wunsch nach Freiheit steht ihm nur einen Augenblick klar vor Augen – im Moment der Todesnähe. Sobald er seine Besinnung ´wiedererlangt´, setzt er seine nutzlose Jagd nach Geld fort. “103 Nun stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Zahl neun in Perutz´ Roman hat. Da der Autor von Beruf Mathematiker war und zugleich jüdischer Herkunft, was zwar nicht so ausschlaggenebd ist, standen seine Werke unter Einfluss der naturwissenschaftlichen Richtung, aber auch unter Einfluss der jüdischen Mystik und des Okkultismus. Bei der Wahl des Titels seines Romans Zwischen neun und neun ist es gut möglich, dass er sich von der kabbalistischen Zahlenlehre beeinflussen ließ. Die kabbalistische Zahlenlehre ist auch ein sinnbildendes jüdisches Thema. Nachdem ich in zahlreichen Quellen im Internet recherchiert habe, fand ich folgende kabbalistische Definition der Zahl neun: Sie steht für die Weisheit und Erkenntnis Als Demba, gefangen auf dem Dachboden eines Trödlers, die Polizisten kommen hört, erlangt er endlich die Erkenntnis (um neun Uhr! Neun ist die kabbalistische Zahl des göttlichen Bewusstseins): „ Und ich sah, wie reich ich gewesen war bei all meiner Armut, dass ich souverän meiner Zeit gewesen war, es wurde mir deutlich wie nie zuvor, was das zu bedeuten hat: Freiheit. Und jetzt war ich gefangen, war ein Sträfling, die Schritte, die ich in der engen Dachkammer zwischen dem Gerümpel machte, waren meine letzten freien Schritte. Mir schwindelte, es gellte mir in den Ohren: Freiheit! Freiheit !“ 104

103 http://books.google.de/books?id=lhSz6My_vV4C&pg=PA221&lpg=PA221&dq=zwischen+neun+und+neun+int erpretation&source=bl&ots=EpH_GhLwFX&sig=9Q2LPOGyBHvgN3LqUUArhFppyko&hl=cs&ei=5zySS7W ZHYOqmgPxuYGVCw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=4&ved=0CBgQ6AEwAw#v=onepage&q= zwischen%20neun%20und%20neun%20interpretation&f=false (eine philosophisch-literaturwissenschaftliche Analyse von Katrin Stepath) (angesehen am 20. 03. 2010) 104 PERUTZ, L. Zwischen neun und neun . München: Paul Zsolnay Verlag, 1980, S. 107. ISBN 978-3-552- 04503-3.

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Demba ist erst im Angesicht des Todes bewusst geworden, dass er sein Leben lang ein Gefangener seiner Leidenschaften (Jagd nach Geld und Liebe) war. Aber obwohl er – im Traum - den Todessprung überlebt und sozusagen ein zweites Leben erhält, lernt er nichts aus seinen Fehlern, selbst wenn ihm ein zweites Leben geschenkt worden wäre. Der Roman wurde nach Egon Erwin Kisch einer „der größten Erfolge des deutschen Büchermarktes“ 105 nach dem Ersten Weltkrieg. Die Metro Goldwyn Mayer kaufte 1922 zwar die Filmrechte, realisiert wurde das Projekt aber nie. Und Alfred Hitchcock gab in „einem Gespräch mit Francois Truffaut zu, dass das Motiv der Handschellen in seinem Film „Lodger“ sehr wahrscheinlich auf den Perutz-Roman “106 zurückzuführen sei.

4. 2. Der Marques de Bolibar Leo Perutz wurde ein berühmter Autor. Gleich zwei Jahre später, nämlich 1920 erschien Der Marques de Bolibar . Dieser Roman wurde auch als Film ein Erfolg. Bereits 1921, ein Jahr nach Erscheinen des Buches verfilmte die Wiener Sun-Film den Stoff als Stummfilm. 1929 realisierte die „Pro Patria Films“ in Großbritannien einen Tonfilm. Die Premiere des Marques als Bühnenfassung kam im Jahre 1930. Es ist leicht nachvollziehbar, warum das Kino diesen Stoff so früh aufgegriffen hat. Eine dramaturgisch so gekonnt in Szene gesetzte Handlung mit zahlreichen erzähltechnischen Raffinessen erzwingt dies fast. Kurt Tucholsky schrieb 1921 in der Weltbühne , dass dieser Roman „ sauber abläuft wie eine schnurrende Spule – aber es ist eine herrliche Sache, was der tote Marques de Bolibar noch alles für Gefahren heraufbeschwört. “107 Herrmann Broch bewertet Perutz´ Erzählweise mit folgenden Worten: „ Es ist eine Phantasie der Notwendigkeit, die damit abgerollt ist, eine Logik des Wunderbaren, die

105 KISCH, E. Wiener Erzähler. In Prager Tageblatt. Jg. 45, Nr.262 (7. November 1920), Unterhaltungsbeilage, S. 16. Zit. Nach Leo Perutz-Katalog, S. 83. In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 151. 106 KISCH, E. Wiener Erzähler. In Prager Tageblatt. Jg. 45, Nr.262 (7. November 1920), Unterhaltungsbeilage, S. 16. Zit. Nach Leo Perutz-Katalog, S. 83. In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 151. ISBN 978-3-552-054165-5. 107 (online) erreichbar in < http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7896&ausgabe=200503> (angesehen am 21.03.2010)

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die dramatische Handlung und ihre Begründung zu jener Geschlossenheit bringt, die das Wesen des Künstlerischen ausmacht. “108 Egon Erwin Kisch zieht ein ähnliches Fazit: „ Mit geradezu mathematischer Präzision arbeitet Perutz seine Stoffe aus, es ist einfach unfassbar, wie folgerichtig, naturnotwendig und lebenswahr seine Figuren das Unerwartete, Überraschende tun müssen. “109 In Marques de Bolibar verwendet Perutz erneut für ihn typische Themen und Motive – der ewige Jude tritt auf, es geht um Apokalypse und kollektiven Wahn. Auch die Erzählstruktur der doppelten Welt (Kombination von „realen“ und „mystischen“ Elementen), die er in seinen zahlreichen Weken verwendet, dient in diesem Wek zur Befriedigung des hohen Unterhaltungswertes. Der Handlungsblauf des Marques de Bolibar erzielt seine Spannung aus der geschickten Kombination von folgerichtiger Entwicklung und überraschenden Wendungen des Geschehens. Der Roman wird mit einem „Vorwort“ eines Namenlosen fiktiven Herausgebers eröffnet. Es werde hier aus dem Nachlass des „kurze Zeit vor Ausbruch des deutsch- französischen Krieges“ gestorbenen Rittergutbesitzers Eduard von Jochberg ein autobiographisches Manuskript vorgelegt, das eine Episode aus dem spanischen Feldzug Napoleons I. schildere. Jochberg habe daran als junger Offizier eines deutschen Rheinbundregimentes auf deutscher Seite teilgenommen. Das Manuskript behandele „ein dunkles und vorher niemals aufgeklärtes Kapitel der vaterländischen Kriegsgeschichte“, nämlich die Vernichtung zweier deutscher Regimente „Nassau“ und „Erbprinz von Hessen“ in der spanischen Stadt La Bisbal durch spanische Guerillas. „Das nassauische Regiment hat als Teil der Napoleonischen Armee in Spanien die Stadt La Bisbal besetzt. Die Guerillas, in den umliegenden Wäldern postiert, sind ohnmächtig gegen die wohldisziplinierte Invasion. Da macht sich der Schloßherr von La Bisbal auf, der Marques de Bolibar, erbötig, die Stadt zu befreien. „Es wird ein Aufstand ausbrechen, und drei vereinbarte Zeichen werden die Insurgenten zur

108 BROCH, H. Leo Perutz. Der Marquis de Bolibar. In Ders. Schriften zur Literatur 1: Kritik, Frankfurt a.M. 1975, S.361. In MÜLLER, Hans-Harald. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 145. ISBN 978-3-552-054165-5. 109 KISCH, E. Wiener Erzähler, Prager Tagblatt, 7. 11. 1920, Unterhaltungsbeilage, S.16, zitiert nach: Leo Perutz 1882-1957, S.112.In MÜLLER, Hans-Harald. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 151. ISBN 978-3-552-054165-5.

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Vernichtung der Eindringlinge herbeirufen .“ 110 Der verkleidete Marques wird allerdings beim Versuch in die Stadt zu gelangen, von den deutschen Besatzern erschossen. Nun scheint der Plan gescheitert, bevor er recht in Gang gekommen ist. Dennoch werden die drei Signale in einer Verkettung unglücklicher Umstände von verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Handlungszusammenhängen heraus tatsächlich gegeben, zudem empören sich die Bürger der Stadt gegen ihre Besatzer. Beides zusammen führt letzendlich zum Untergang der deutschen Truppe. Der tückische Leutnant Günther entzündet absichtlich in einem Stadthaus (1. Zeichen), um die versteckten Guerillas zur offenen Belagerung hervor zu locken und damit seine drohende Abkommandierung aus der Stadt zu verhindern, die ihn um ein paar Schäferstündchen mit der schönen Monjita gebracht hätte. Einige Nächte später spielt eine Gruppe eifersüchtiger deutscher Offiziere auf der Klosterorgel (2. Zeichen), um sich an ihrem Kommandeur zu rächen, den sie gerade beim Treffen mit der allseits begehrten Monjita beobachtet haben. Kurz danach revoltiert die gläubige Stadtbevölkerung gegen die deutschen Besatzer, weil ein unbedachter Offizier ausgerechnet die Hauptkirche La Bisbals als Quartier für die Soldaten und Pferde beschlagnahmt hat. In der Zwischenzeit sind die Guerillas bis zu der Stadt vorgerückt und erstürmen schließlich die Stadt, nachdem ihnen der Leutnant Jochberg, der die Hinrichtung des Marques kommandiert hat, ein bestimmtes Messer (3. Zeichen) in die Hände gespielt hat. Die beiden deutschen Regimenter werden vollständig niedergemetzelt. Der einzige, der überlebt ist Jochberg, der über Nacht die weiße Haarfarbe, die Gesichtszüge und die Stimme des toten Marques de Bolibar angenommen hat und als solcher in der Schlußszene von den Spaniern ehrerbietig aus der Stadt gelassen wird. Der Marques de Bolibar ist novellenhaft geschnitten. Er wird knapp erzählt und straff handlungsbestimmt. Im Mittelpunkt steht die Vernichtung der beiden deutschen Regimenter, wie der fiktive Herausgeber hervorhebt. Hans Harald Müller stellt fest, dass eines des zentralen Themen in Marques de Bolibar die Auffassung von der Sinnlosigkeit des Kriges ist. Sie kommt in diesem Buch „zwar nur mittelbar, aber dennoch sehr deutlich zum Ausdruck. Die beiden deutschen Regimenter führen sich in Spanien auf als arrogante Besatzungsmacht, die auf die Bevölkerung keine Rücksicht nimmt, ihre Offiziere zeichnen sich durch

110 BROCH, H. (Rezension zu:) Leo Perutz, Der Marquis von Bolibar (1920) (K 109-111). In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 144. ISBN 978-3-552-054165-5.

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Verantwortungslosigkeit und Leichtfertigkeit aus; sie interessieren sich mehr für ihre Liebesabenteuer und Saufgelage als für die Einhaltung ihrer Dinstpflichten .“ 111 Kurz nach der Ankunft der Deutschen in La Bisbal stösst der geheimnisvolle Rittmeister Salignac zu den deutschen Truppen. Um die Stirn trägt er stets ein Tuch gebunden. Sein Gesicht beschreibt Jochberg als farblos, „ beinahe gelb, und von einem tödlichen Siechtum schauerlich gezeichnet “. 112 Ihm geht der Ruf voraus, dass er stets Unglück bringt, selbst aber unbeschadet davon kommt. Von der abergläubischen spanischen Umgebung wird er die ganze Zeit ängstlich gemieden und mit „ Eure Ewigkeit “113 angeredet. Schliesslich erkennt ein spanischer Reiter in ihm den Ewigen Juden. Auch den Deutschen fällt Seltsames über den Rittmeister auf. Man vewahrt sich zwar gegen den spanischen Aberglauben. Der Hauptmann Eglofstein behauptet z.B seinen Kameraden gegenüber: „ Ihr wisst, dass ich jede Art törichten Aberglaubens verachte. Ich kümmere mich den Teufel um Gott und um die Heiligen und die Nothelfer und was sonst an himmlischen Fabelwesen das eingebildete Paradies bevölkert .“ 114 Jeder moderner Leser, identifiziert sich eher mit der Skepsis der deutschen Soldaten gegenüber dem spanischen Aberglauben und teilt somit auch den gleichen Standpunkt. Da jetzt aber auch die Deutschen geheimnisvolle Dinge über Salignac erzählen, gewinnt die Möglichkeit des übernatürlichen Geschehens an Glaubwürdigkeit. In einem Kapitel, der die Überschrift „Mit König Saul nach Endor“ trägt, erzählt Hauptmann Eglofstein den anderen Offizieren von früheren Begegnungen mit Salignac, der in der Armee bereits länger den Ruf habe, dass er immer dabei war, wenn es ein Unglück gab, und stets mit dem Leben davon kam. „ Es gibt Menschen, die sind die Avantgarde der Vernichtung. Wohin sie kommen, bringen sie Unheil und Verderben. Es gibt solche Menschen, Donop, ich weiss es und wenn du mich auch als einen Phantasten verlachst, “115 bekennt Eglofstein, und Donop stimmt zu: “ Ich lache nicht. Kommt nicht für jeden einmal die Stunde, in der er mit König Saul nach Endor geht ?“ 116 Die anderen wundern sich: „ Wie, Herr Hauptmann aus solch einem Zufall wollen Sie Schlüsse

111 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 145. ISBN 978-3-552- 054165-5. 112 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 59 . ISBN -10: 3423134925. 113 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 103 . ISBN -10: 3423134925. 114 Ebenda, S. 124.. 115 Ebedna, S. 124. 116 Ebenda, S. 125.

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ziehen ?“ 117 Hauptmann Eglofstein: „ Zufall. Mag sein. Aber die Zufälle häufen sich ,“ 118 und führt weitere Beispiele von Salignacs Unglücksaura auf. Die Offiziere fangen an nachdenklich zu werden. Der ich-Erzähler Jochberg schreibt: „ Und ein Schauer überrann mich und die Angst – schon wußt ich nicht mehr, wovor, und eine ferne Ahnung von einem fremden und uralten Geheimnis – aber nur eine Sekunde lang fühlt´ ich das alles, dann war´s verflogen .“ 119 Der einzige, der unbeeindruckt von Eglofsteins Erzählungen bleibt, ist der dicke Hauptmann Brockendorf: „ Mir wiederum sind vor zwei Tagen zwei Bouteillen Claret abhanden gekommen und eine Bouteille Burgunder. Ich durchsuchte das Haus und fand sie unter dem Bett meiner Wirtin versteckt. An diesem Falle wenigstens trifft Salignac keine Schuld. Man muss den Dingen immer auf den Grund gehe n.“ 120 Dieses Beispiel zeigt, dass nicht jeder den Ewigen Juden als eine Gefahr betrachtet und es noch einige Soldaten unter den Deutschen gibt, die sich über seine Erscheinung lustig machen können und auch nicht so richtig an seine Existenz glauben. Dieser Nachklang zu Eglofsteins Bericht über den unheimlichen Salignac ist typisch für Perutz Erzählweise. Es esteht der Eindruck, dass das Übernatürliche existiert. Aber dann kommen wieder neue Aspekte zum Vorschein, die diesen Eindruck relativieren. Ein paar Tage später wird aber Leutnant Jochberg als einziger Zeuge eines Zwischenfalls, der keinen Zweifel über Salignacs wahre Identität zulässt. In dem Kapitel „Ein Gebet“ gibt sich Salignac selbst als der Ewige Jude zu erkennen. Nun stellt sich die Frage: wer und was ist der Ewige Jude? Er besitzt die Merkmale der Unsterblichkeit und des ruhelosen Wanderns. Er wird „ mit der großen Pest in Verbindung gebacht und als Unglücksbote empfangen .“ 121 In Perutz Roman ist der Ewige Jude ein Helfer des Antichristen. Jochberg bemerkt, wie Salignac, der glaubt alleine zu sein, einem Christusbild ankündigt, dass bald der Antichrist kommen wird: „ Deine Stimme ist Sturmwind, doch ich erschrecke nicht. Der, dem ich diene, hat den Mund eines Löwen und seine Stimme donnert aus tausend

117 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 125 . ISBN -10: 3423134925. 118 Ebenda, S. 125. 119 Ebenda, S. 127. 120 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 128 . ISBN -10: 3423134925. 121 (online) erreichbar in (angesehen am 21.03.2010)

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Schlünden über die blutigen Felder der Erde…Er ist der Verheissene. Er ist der Rechte. Denn die hohen Zeichen sind alle erfüllt. Von der Insel des Meeres her ist er gekommen und die zehn Kronen trägt er auf seinem Haupt, wie es verkündet steht. Zittere du! Armseliger! Das Ende deiner Macht ist nah. Wo sind die, die für dich streiten? Wo sind die hundertvierundvierzigtausend, die deinen Namen auf der Stirne tragen? Ich sehe sie nicht. Aber er ist gekommen, der Furchtbare, der Überwinder und wird zerschmettern dein Reich auf dieser Welt .“ 122 Darauf reagiert der heimliche Beobachter Jochberg mit folgenden Worten: „ Als ich die hörte, erfasste mich Grauen, denn ich erkannte in diesen Worten das Bild des Antichrists, des Feindes der Menschheit, der sich mit seinen Zeichen und Wundern, mit seinen Siegen und Triumphen über alles erhebt, was Gott heisst und Gottesdienst. Die Siegel des Lebens zerbrachen vor meinen Augen. Und ich sah klar mit einem Male in der Wirrnis der Zeit und erkannte ihren geheimen und furchtbaren Sinn. “123 Der Antichrist wird als ein Tier beschrieben, das aus dem Meer steigt, auf dem Kopf hat es zehn Kronen und den Mund eines Löwen. Es ist ein bedrohendes Untier kosmischer Dimensionen. Im Judentum entwickelten sich im Zusammenhang mit dem Antichristen Endzeitvorstellungen die den Untergang der Menschheit bedeuten. Aber auch in Marques de Bolibar findet man Zweifel daran, ob es den Ewigen Juden tatsächlich gibt. Wenn sich rückblickend Jochberg an das Gespräch zwischen Salignac und dem Christusbild erinnert, denkt er, da er während der Zeit übermüdet war, „es mag sein, dass ich wirklich einige Sekunden hindurch geschlafen habe “124 ; danach ist ihm sogar zumute, „ als hätte ich geschlafen und schwer geträ umt.“ 125 Die Figur des Salignac ist nicht der einzige Protagonist im Roman, die übernatürliche Kräfte besitzt. Sein Gegner der Marques de Bolibar ist auch nicht von dieser Welt. Dies bemerkt auch ein Guerilla: „ Geben Sie ihm zwei Mass Blut, zwölf Pfund Fleisch und einen Sack Knochen, so macht er einen Menschen daraus, einen Christen oder einen Mohren, das ist ihm gleich .“ 126 Jedoch im Gegensatz zu seinem weltlichen und religiösen Gegenspieler, dem Salignac dessen Element der Krieg ist, „Was soll mir der Friede. Krieg war all mein Lebtag mein Element .“ 127 Nimmt Marques nicht all zu gern an Kämpfen teil: „ Ich verachte den Krieg, der uns zwingt, immer

122 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 185 . ISBN -10: 3423134925. 123 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 185 . ISBN -10: 3423134925 124 .Ebenda, S. 185. 125 Ebenda, S. 187. 126 Ebenda, S. 44. 127 .Ebenda, S. 45.

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wieder das Schlechte zu tun. Und ein armer Bauernknecht, der in Einfalt seinen Acker pflügt, hat mehr Ruhm, als die Feldherren und Generäle .“ 128 Es macht den Anschein, dass Marques im Gegensatz zum Salignac eine besondere Beziehung zu Gott pflegt, wohingegen sein Kontrahent in Verbindung mit dem Teufel steht. Dem Leutnant Rohn, welcher heimlich den Marques und die Guerillas belauscht, als sie gerade den Vernichtungsplan aushecken, „ war in seinem geängstigten und vom Fieber verwirrten Herzen zumute, als wären nun auch Gott und die Jungfrau mit den Guerillas im Bunde und nähmen Teil an der Verschwörung. “129 Kurze Zeit bevor der Marques von einer Truppe deutscher Soldaten, die unter dem Kommando von Jochberg stehen, erschossen wird, bittet er die Offiziere sich der Aufgabe anzunehmen, die er eigentlich zu erfüllen habe. „Was du zu tun hast, wollen wir für dich tun!“ geben sie ihm unvosichtigerweise ihr Versprechen. Als sie ihn dann fragen, worin ihre Aufgabe besteht, antwortet er schlau: „ Gott wird´s euch zeigen! “130 Nach seiner Erschiessung grübelt Jochberg, der auch als Einziger die wahre Identität von dem Marques erkannt hat, über diese komische Antwort nach: „ Ich begriff nun den Sinn des seltsamen Eides, den er uns hatte schwören lassen. Den Tod vor Augen …, hatte der Marques de Bolibar uns die Vollführung seines Werkes hinterlassen, wir selbst sollten die Signale geben, die uns Vernichtung bringen sollten…Ein plötzlicher Schauer durchlief mich und die Furcht vor etwas, was ich in Worte nicht fassen konnte und das so dunkel, so drohend, so voll Gefahren vor mir lag, wie die schwarzen Schatten jener fernen Eichenwälder.“ 131 Die folgende Aktion erscheint, wirkt nun als eine unfreiwillige Ausführung des letzten Willens von Marques de Bolibar. Er hat die nichtsahnenden deutschen Soldaten, mit der Hilfe von übernatürlichen Kräften, in Marionetten vewandelt um sie dann zu benutzen. Der Ausruf von Marques: „Gott wird´s euch zeigen!“ wird durch den plötzlichen Schlag der Kirchenglocken bekräftigt, und somit vom Allmächtigen beglaubigt. Eine weitere Frage stellt sich warum Jochberg für den toten Marques gehalten wird? Bereits zu Lebzeiten hatte der echte Marques große Wandlungsfähigkeit bewiesen. „ Ihr Gesicht ist keines von denen, die man leicht vergißt“132 , fällt einem englischen Verbündeten auf. Darufhin imitiert er den englischen Lord Hill so überzeugend, dass der

128 PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar. München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 45 . ISBN -10: 3423134925. 129 Ebenda, S. 39. 130 Ebenda, S. 77.. 131 Ebenda, S. 79. 132 Ebenda, S. 42.

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Engländer sogar Angst bekommt, die Spanier könnten ihn verkennen und als Feind wahrnehmen, und ihn sogar erschießen. In einer Szene verkleidet sich der Marques als Maultiertreiber und niemand erkennt ihn bis auf seinen Hund. Die Verwandlungsfähigkeit des Marques ist wirklich bemerkenswert, fast schauerhaft. Manch so einer denkt sich wieder Einmal, wie so oft bei Perutz, dass vielleicht übernatürliche Kräfte im Spiel sind. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Spanier in Jochberg, als er ihnen unfreiwillig das dritte Zeichen zum Angriff auf die Stadt überbringt, den verkliedeten Marques zu erkennen glauben. Nach der Entscheidungsschlacht um die Stadt Bisbal, die er als einziger deutscher Offizier überlebt, wird er sogar hinter der „Maske“ von Jochberg identifiziert. Leutnant Jochberg selbst schreibt über seine Verwandlung: „ Es war als hätte sich die Seele des Ermordeten in mir gehoben und sie kämpfte mit meiner eigenen, mit der ihres Mördersund zwang sie nieder. In mir war groß und furchtbar der Marques de Bolibar …Und es war mir, als wäre die Vernichtung des Regimentes von Anfang an mein Wille gewesen, als hätte ich sie bei mir beschlossen gehabt, um einer großen und erhabenen Sache willen. In mir war Sturmwind, mein Herz pochte, in meinen Schläfen brauste und dröhnte es, und ich stand taumelnd vor der Grösse dieser Stunde .“ 133 Hans-Harald Müller fragt sich in dem 18. Kapitel, welches sich mit dem Marques de Bolibar beschäftigt, ob es sich in diesem Falle um Identitätsverlust handele, oder um eine Fiktion? Denn nicht der Marques, sondern Jochberg ist der Verfasser der Memorien, „ die 1870 in seinem Nachlass gefunden wurden .“ 134 Nun stellt sich die Frage, ob Jochberg ein unzuverlässiger Erzähler sei. Schon bereits im Vorwort nimmt der fiktive Herausgeber eine skeptische Haltung gegenüber Jochberg ein: „ Es fällt schwer, daran zu glauben, obgleich unserer heutigen Zeit Erklärungen mystisch-okkulter Natur, Begriffe wie Selbstmordpsychose oder suggestive Willensübertragung, so leicht zur Hand sind. Die zünftige Geschichtswissenschaft wird denn auch den Wert der Memoiren des Leutnant Jochberg mit Skepsis einschätzen.“ 135 Bereits in der Binnengeschichte findet man einige Hinweise, die den ich-Erzähler Leutnant Jochberg im eigenartigen Licht erscheinen lassen. Von all den deutschen Soldaten hat er am meisten Kontakt mit dem Marques de Bolibar. Er ist ebenfalls der

133 PERUTZ, Leo. Marques de Bolibar, S. 257-8. In MÜLLER, Hans-Harald. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 148. ISBN 978-3-552-054165-5. 134 MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 149. ISBN 978-3-552- 054165-5. 135 Ebenda, S. 149.

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einzige, der den Marques unverkleidet gesehen hat. Dennoch erkennt er ihn in der Verkleidung des Maultiertreibers trotz genauester Betrachtung nicht wieder. Bei der Exekution des verkleideten Marques hat er das Kommando. Seine letzten Worte richtet der Verurteilte ausgerechnet an Jochberg und überträgt ihm auch seinen Hund. Jochberg ist auch derjenige, der entdeckt, dass der hinterhältige Leutnant Günther das erste Signal an die Guerilla, die versteckt vor der Stadt warten, gegeben hat – andererseits weiß aber Günther komischerwiese „ genau, dass ich (Jochberg) schweigen würde .“ 136 Nachdem, wieder Einmal unter Jochbergs Beteiligung – das zweite Signal gegeben wurde, fühlt er sich bei der Lagebesprechung schuldiger als alle anderen Soldaten – „als sässe ich auf der Armensünderbank und die anderen seien zusammengekommen, um über mich Gericht zu halten. “137 Mit dem geheimnisvollen und unheimlichen Salignac steht Jochberg auch in einer sonderbaren Verbindung. Denn Jochberg ist der einzige, der das vermeintliche Gespräch von Salignac mit Gott heimlich belauscht. Und zum Schluß ist es erneut Jochberg, der obgleich unwissentlich, das finale dritte Zeichen überbringt. Dieses löst den entscheidenden Angriff der Guerillas aus. Als er sich dessen bewusst wird, schreit in ihm „ eine Stimme, nicht meine eigene, laut und zornig und voll Heftigkeit: Das dritte Zeichen! Und du hast es gegeben “138 Schließlich halten die Spanier Jochberg für den Marques de Bolibar, da er als einziger die Abschlachtung der deutschen Regimenter überstehen konnte und La Bisbal unversehrt verliess. Nicht nur in den Augen der anderen, sondern auch auch zu seiner eigenen Verwunderung ist er auf geheimnisvolle Weise in den Marques verwandelt. Der Schluss ist wirklich irritierend. Kurt Tucholsky bewertet ihn mit folgenden Worten: „Es ist eine herrliche Sache, was der tote Marquis de Bolibar noch alles für Gefahren heraufbeschwört .“ 139

5. Zusammenfassung

136 PERUTZ, Leo. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006, S. 131 . ISBN -10: 3423134925. 137 Ebenda, S. 175. 138 Ebenda, S. 225. 139 PANTER, P. Der Marquis de Bolibar. In: Prager Tagblatt Jg. 45, Nr. 262 (7.11.1920) Unterhaltungsbeilage, S. 16 (K112). In MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007, S. 150. ISBN 978-3-552-054165-5.

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Das Ziel meiner Diplomarbeit war es Die Motive des Jüdischen im Werk von Leo Perutz zu suchen und zu analysieren. Im ersten Kapitel habe ich mich mit dem Leben und Werk von Leo Perutz intensiv auseinandergesetzt. Als Fazit dieses Kapitels habe ich folgende Erkenntnis gewonnen: Leo Perutz, der als ein Sohn eines wohlhabenden jüdisch Prager Textilunternehmers seine Kindheit in Prag verbrachte, beste Schulbildung wie in der angesehenen Deutschen Privat-Volksschule des Piaristen-Ordens in der Prager Neustadt, oder dem k.k. Deutschem Staatsgymnasium in Prag genoss, dennoch aber wegen schlechten Noten sein Abitur nicht bestehen konnte, brachte es letzendlich, obwohl auf Umwegen zu einem herausragendem Schriftsteller und Repräsentanen der phantastischen Literatur in Deutschland. In der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gehörte er sogar zu den meistgelesenen deutschsprachigen Schriftstellern und von seinen zahlreichen Romanen, wie z. B. Das Mangobaumwunder konnte er sogar die Filmrechte verkaufen. Als Autor lebte er bis 1938 in Österreich, wo er studierte und später auch arbeitete. In dieser Zeit war er bereits zum Zweitenmal verheiratet, da seine erste Frau Ida einen Tag nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Felix an Lungenentzündung starb und er somit einige Zeit als Witwer lebte und alleine für seine drei Kinder sorgen musste. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland floh er mit seiner zweiten Frau Grete Humburger und seinen Kindern über Italien nach Palästina. Im Exil beendete er auch seinen berühmtesten Roman, der zugleich auch das Hauptthema meiner Diplomarbeit ist: Nachts unter der steinernen Brücke. Im Jahre 1953 erschien der historische Roman, der vor allem von der Kritik postiv wahr genommen wurde. Perutz lebte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeitlebens zwischen zwei Staaten, nämlich Palästina und Österreich, wo er auch im Jahre 1957 in Bad Ischl an ein Herzversagen verstarb. Im zweiten Kapitel und zugleich wichtigstem Teil meiner Diplomarbeit, das den Namen jüdische Motive in dem Buch Nachts unter der steinernen Brücke trägt, befasste ich mich mit den Personen (vor allem jüdischer Herkunft), dem Milieu und dem geschichtlichen Hintergrund des Romans, der sich aus 14 Erzählungen und dem Epilog zusammensetzt. Perutz erzählt eine Liebesgeschichte zwischen dem christlichen deutsch-römischen Kaiser Rudolf II. und der schönen Jüdin Esther, die aber mit dem reichen jüdischen Kaufmann Mordechei Meisel verheiratet ist. Der Kaiser ist so schwer verliebt, dass er vom jüdischen sagenumwobenen Zauberkünstler und Gelehrten Rabbi

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Löw verlangt, er möge sie ihm als seine Geliebte zuführen. Wenn dies nicht geschehe, werde er die Juden aus dem Prager Ghetto vertreiben. Um dies zu verhindern pflanzt der Rabbi am Ufer der Moldau unter der steinernen Brücke, vor den Blicken der Menschen verborgen, einen Rosenstrauch und einen Rosmarin. Er verzaubert sie und seit diesem Augenblick fliegt jede Nacht die Seele des Kaisers in die rote Rose und die Seele der Jüdin Esther in die Blüte des Rosmarins. Der im Traum begangene Ehebruch zwischen einem Christen und einer Jüdin verursacht die Pest in Prag und vor allem in der Judenstadt. Als der hohe Rabbi erkennt, dass diese sündhafte Traumliebe für das große Kindersterben durch die Pest verantwortlich is, reißt er den Rosmarinstrauch wieder aus und wirft ihn in die Moldau. Daraufhin stirbt die schöne Esther, die zum Sündenbock gemacht wird und somit die Veranwortung für die Pest aufgebürdet wird. Die Sündenbock Thematik in diesem Werk ist ein klassisches Beispiel für den Umgang mit den Juden im Laufe der Geschichte, der im Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt fand. Hier im Roman ist es die Jüdin Esther, die wegen dem angeblichen Ehebruch mit einem Christen zur Strafe sterben muß. Als der Ehemann der Jüdin, der reiche Meisel von der Liebesbeziehung zwischen dem Kaiser und seiner Frau erfährt, entscheidet er sich sein Erbe, das er zwar dem Kaiser versprochen hat sein Geld zu verschenken und den Rest in den Aufbau des Ghettos zu investieren, damit des Kaiser davon nicht profitieren kann. Wie ich bereits im Kapitel zwei erwähnt habe, sind die 14 Erzählungen wie kleine in sich abgeschlossene Novellen. Obwohl sie abgeschlossen sind, haben sie alle mehr oder weniger mit den Hauptprotagonisten Rudolf, Mordechai und Esther zu tun. Doch Vorsicht, wer sich hier einen akribisch um den Sachverhalt einer verbotenen Liebe kreisenden historischen Roman vorstellen möchte, der liegt falsch, denn historisch sind zwar die zentralen Figuren Rudolf, Mordechai Meisl und der ebenfalls als Protagonist gesetzte Hohe Rabbi Löw; historisch sind auch der astrologiebesessene Wallenstein sowie die Entourage des Herrschers, soweit sie von Stand ist bzw. bedeutende Hoffunktionen ausübt. „Aber es ist doch eine ganz andere Geschichte, eine Geschichte gleichsam „von unten“, zudem angereichert mit Mythen und Legenden, die hier vorgetragen wird.“ 140 In diesem Roman finden wir die Welt der jüdischen Kabbala, wonach Esther stirbt, weil der Hohe Rabbi Löw, es so verfügt hat, um Gottes Strafgericht von der durch Esthers Ehebruch mitbetroffenen jüdischen Gemeinde zu nehmen. Himmlische Gewalten und Engel, wie z.B der Engel Asael spielen da in die

140 (online) erreichbar in < http://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/PerutzLeo> (angesehen am 13.04.2010)

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Menschenwelt hinein, deren Name allein schon mit dem Zwielichten okkulten Wissens behaftet ist. „Die Liebe zwischen Rudolf und der schönen Esther sprengt jede von der Legende zugestandene Realität, da sie sich nur mehr symbolisch in den Blüten einer Rose und eines Rosmarins, die sich nächtens umschlungen halten, und in den Träumen des Kaisers und der Jüdin verwirklicht. So ist die Fiktion noch einmal übersteigert, auf eine Höhe getrieben, um die selbst die Engel die Menschen beneiden.“ 141 Doch nicht nur die Engel verstehen das Geheimnis menschlicher Liebe nicht; unter den Menschen selbst hat es keinen Raum. Rudolf ist alles andere als ein Lyriker der Liebe: geizig, herrschsüchtig, abergläubisch. So wird er von dieser Liebe eher wie von einer fremden Macht ergriffen, als daß sie eine Tat seiner Person wäre. Und dann gibt es da noch die vielen, ebenso unverständigen Randfiguren dieser Liebesgeschichte, meist sehr skurrile Charaktere, wie z.B der Ofenfeger und Hofnarr Brouza, der sich für sein karges Auskommen vom Kaiser quälen läßt, „ein aufrechter Charakter allerdings, mit Witz und einer Weisheit, die manchmal nicht sehr hoch über dem tierischen Lebensinstinkt steht. Solche Typen wie er hauchen der Erinnerung an das alte Prag überhaupt erst Leben ein.“ 142 Im dritten Kapitel meiner Diplomarbeit habe ich mich mit den jüdischen Motiven in anderen Werken von Leo Perutz befaßt. Hierbei habe ich mich auf zwei seiner Werke konzentriert. Es waren die Romane Zwischen neun und neun und Der Marques de Bolibar. In dem erst genannten Roman ist mir vor allem der Titel ins Auge gefallen, in dem die magische kabbalistische Zahl neun beinhaltet ist. Sie bedeutet das göttliche Bewußtsein. Der Hauptprotagonist gelangt um neun Uhr zu der Erkenntnis, dass er sein ganzes Leben Gefangener seiner Triebe (Jagd nach Geld und Liebe) war. Doch obwohl er seinen Tod, zwar nur im Traum überlebt, lernt er nichts aus seinen Fehlern, selbst wenn ihm ein zweites Leben geschenkt worden wäre. Im zweiten Roman ist ein weiteres jüdisches Motiv, nämlich das Thema des Ewigen Juden. Für den "in der Kriegsgeschichte aller Zeiten wohl einzig dastehenden Fall", dass ein Offizierskorps die Vernichtung des ihm anvertrauten Regiments "mit vollem Bewußtsein, ja beinahe planmäßig" herbeiführt, enthält das Buch verschiedene

141 (online) erreichbar in < http://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/PerutzLeo> (angesehen am 13.04.2010). 142 Ebenda.

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Erklärungen. „Da sind die psychologisch stringent gezeichneten Motive der Offiziere, die aus Leidenschaft, Eifersucht oder Furcht die Signale auslösen; dann der Wunsch des Marques de Bolibar, durch den die Soldaten zu Vollstreckern des göttlichen Willens gemacht werden, und schließlich die Anwesenheit des Rittmeisters Baptiste de Salignac.“ 143 Er wird von den Bewohnern des Städtchens für den Ewigen Juden gehalten, von Jochberg sogar mit dem Antichrist identifiziert. Die antisemitische Mythe vom Ewigen Juden, der zwar selbst nicht sterben kann, aber Tod und Verderben denen bringt, auf deren Seite er steht, sorgt für große Problematik unter den anderen Mitbürgern im Roman. Bei meiner Arbeit verwendete ich zahlreiche Quellen und Bücher, die mein Wissen vertieft haben und aus denen ich zahlreiche Informationen und Materialien schöpfen konnte. Für die Biographie von Perutz habe ich vor allem den Autor Müller, Hans- Harald: Leo Perutz. Eine Bibliographie. Wien. Paul Zsolnay Verlag 2007 als meine Hauptquelle verwendet. Für den Roman Nachts unter der steinernen Brücke wie auch für die jüdischen Mottive in anderen Werken von Perutz war er ebenfalls für mich unentbehrlich. Desweiteren habe ich noch Informationen aus dem Internet und von anderen Autoren wie z.B. Serke Jürgen Böhmische Dörfer, Yvonne-Patricia Alefeld: Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz, Mikulášek, A. Glosiková, V./ Schulz, A.B.: Literatura s hv ězdou Davidovou , und der Zeitschrift Merkur 42 verwendet.

6. Résumé

Cílem mé diplomové práce bylo hledání a analýza židovských témat ů v díle Leo Perutze . V první kapitole jsem se zam ěř ila na život a dílo Leo Perutze a dosp ěla k poznání, že přestože Leo Perutz, židovský spisovatel narozený v Praze, kterému se jeho rodi če snažili poskytnout co nejlepší vzd ělání, byl špatným žákem, který dokonce nezvládl maturitu a musel si ji pozd ěji dod ělávat, tak jako autor byl a je jedním z nejúsp ěšn ějších autor ů v mezivále čném období a jeden z nejvýrazn ějších spisovatel ů píšící fantastickou literaturu. Jeho díla byla tak úsp ěšná, že se mu u n ěkolika z nich

143 (online) erreichbar in < http://www.projekt.gutenberg.de/?id=5&xid=5221&kapitel=84&cHash=8a04e5c16cchap084> (angesehen am 13.04.2010)

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poda řilo dokonce prodat i jejich filmová práva, jako například u jeho románu Zázrak mangového stromu (Das Mangobaumwunder 1923) . Jako dosp ělý žil tento spisovatel st řídav ě v Rakousku, kde taky studoval a pobýval p řed za čátkem druhé sv ětové války a v Palestin ě, která se stala jeho druhým domovem. Zde taky dokon čil své nejvýznamn ější dílo, které je zárove ň hlavním tématem mé diplomové práce: Noc pod kameným mostem (Nachts unter der steinernen Brücke 1953). V druhé kapitole, která nese jméno ztvárn ění židovských motiv ů v knize Noc pod kameným mostem a je zárove ň centrální kapitolou mé diplomové práce, jsem se zam ěř ila na obsah, protagonisty, prost ředí, historické pozadí a židovské elementy v tomto románu. Povídkový soubor tohoto autora nás p řivádí do tajemného, až magického sv ěta rudolfínské Prahy a jejího blízkého okolí: na Hrad obývaný císa řem Rudolfem II., do pražských ulic, uli ček a zákoutí, ale zejména do prost ředí pražského židovského ghetta. V povídkách z rudolfínské doby ožívá mnoho historických osobností, ale st ředem zájmu jsou hlavn ě postavy císa ře Rudolfa II. a bohatého židovského obchodníka Mordechaje Meisla, Rudolfova chrán ěnce a zárove ň poplatníka. Jejich životní osudy jsou vzájemn ě magicky propleteny a tajemství tohoto propojení je v p říb ězích podáváno od konce. Teprve postupn ě je rozšifrováváme a vlastn ě až v záv ěre čné povídce je nám odhalena podstata osudové lásky císa ře k Mordechajov ě krásné žen ě Ester, jejichž duše vt ělil dle pov ěsti velký Rabbi Löw do kv ětů r ůže a rozmarýny rostoucích u vltavského b řehu pod Kamenným mostem. A ani další p říb ěhy souboru nepostrádají tajuplné zápletky a překvapivá rozuzlení. V třetí kapitole mé diplomové práce jsem se soust ředila na židovské motivy v ostatních dílech Leo Perutze. Nejintenzivn ěji jsem analyzovala romány Od devíti k devíti (Zwischen neun und neun 1924) a Mistr posledního soudu (Der Marques de Bolibar 1925). U prvního díla m ě již zaujmul jeho název, který obsahuje kabalistické číslo dev ět. Jeho magický význam je božská uv ědom ělost. Stanislaus Demba, hlavní postava tohoto románu dosp ěje v hodinu své smrti (9 hodin) k poznatku, že byl celý svuj život v zajetí svých vlastních pud ů a chtí čů (to jest peníze a láska). P řestože svojí smrt, sice jen ve snu, p řežije, tak se stejn ě nic z jeho chyb nenau čí, i kdyby mu byla darována druhá možnost na život. V druhém románu je centrálním tématem „v ěč ný žid“, který byl odsouzen k v ěč nému putování sv ětem poté, co nedop řál Ježíšovi odpo činku p řed domem na jeho cest ě k uk řižováni do Golgathy.

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7. Bibliographie

PRIMÄRLITERATUR

PERUTZ, L. Der Marques de Bolibar . München: Paul Zsolnay Verlag, 2006 . ISBN -10: 3423134925.

PERUTZ, L. Nachts unter der steinernen Brücke . München: Paul Zsolnay Verlag, 2008. ISBN 978-3-423-13025-7.

PERUTZ, L. Zwischen neun und neun . München: Paul Zsolnay Verlag, 1980. ISBN 978-3-552-04503-3.

SEKUNDÄRLITERATUR

ALEFELD, Y. Poetische Geschichte und jüdische Identität. Zu Themen und Motiven im Werk von Leo Perutz . In KROLL, F . Deutsche Autoren des Ostens als Gegner und Opfer des Nationalsozialismus. Beiträge zur Widerstandsproblematik . Berlin: Duncker u. Humblot, 2000. ISBN 978-3-428-10293-8.

KISCH, E. Den Golem wiederzuerwecken. In Ders. Geschichten aus sieben Ghettos. Amsterdam: 1934.

MIKULÁŠEK, A. GLOSIKOVÁ, V./ SCHULZ, A.B. Literatura s hv ězdou Davidovou . Praha: Votobia, 1998. ISBN 80-7220-019-4.

MÜLLER, H. Leo Perutz. Eine Biographie . Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2007. ISBN 978-3-552-054165-5.

SERKE, J. Böhmische Dörfer . Wien-Hamburg: Paul Zsolnay Verlag, 1987. ISBN 3552039260.

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SIEBAUER, U. Leo Perutz - Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich. Eine Biographie .

Gerlingen: Bleicher Verlag, 2000. ISBN 3883506664 .

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