Masarykova univerzita

Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Diplomová práce

Historischer Grund und Elemente der Phantastik in zwei Romanen von Leo Perutz und Alexander Lernet­Holenia

Autor práce: Petra Bednářová

Vedoucí práce: PhDr. Zdeněk Mareček Brno 2008 Ich erkläre, dass ich meine Diplomarbeit selbstständig geschrieben habe und dass ich nur die im Literaturverzeichnis angeführte Literatur verwendet habe. Petra Bednářová Danksagung

Ich möchte an dieser Stelle meinen herzlichen Dank vor allem dem Betreuer meiner

Diplomarbeit Herrn PhDr. Mareček für seine Hilfsbereitschaft aussprechen.

Zugleich danke ich dem Literaturhaus und der Universitätsbibliothek in Wien, die mir das Studium der Materialien zu meiner Diplomarbeit ermöglicht haben. Inhaltsverzeichnis Begründung der Textauswahl...... 6 Forschungsstand...... 7 Forschungsstand zu Leo Perutz...... 7 Forschungsstand zu Lernet­Holenia...... 8 Forschungsstand zum Vergleich beider Autoren...... 9 Ziel meiner Arbeit...... 10 Der Meister des jüngsten Tages im Kontext des Gesamtwerks von Leo Perutz...... 11 Gemeinsame Merkmale seiner Bücher...... 13 Mars im Widder im Gesamtwerk von Alexander Lernet­Holenia...... 16 Gemeinsame Merkmale seiner Bücher...... 19 Kontakte beider Autoren zueinander ...... 20 Sprache beider Autoren...... 22 Phantastische Literatur...... 22 Entstehung und Entwicklung der phantastischen Literatur...... 22 Definition der phantastischen Literatur...... 23 Verunsicherter Leser...... 24 Entlarvung von Yosch als unverlässlichen Erzählers...... 26 Mars im Widder als phantastischer Roman?...... 28 Eine phantastische Welt...... 29 Identitätsproblem...... 31 Wahrnehmung der Zeit...... 32 Visionen und Träume...... 34 Der Meister des jüngsten Tages als ein Kriminalroman?...... 38 Historisches Kolorit...... 40 Umgang mit Quellen...... 40 Historische Stoffe...... 41 Auslegung der Namen...... 42 Kritik der gegenwärtigen Situation ...... 42 Politische Reflexionen...... 45 Persönliche Erlebnisse...... 45 Situation auf dem Balkan als mögliche Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg ...... 46 Unzufriedenheit mit dem herrschenden Regime...... 47 Einstellung von Lernet­Holenia zu Nazis...... 50 Symbolhaftigkeit des Krebszuges...... 51 Typologie des historischen Romans...... 53 Entstehung und Entwicklung des historischen Romans ...... 55 Der historische Roman nach dem Ersten Weltkrieg...... 55 Der historische Roman in der Zeit des Zweiten Weltkrieges...... 55 Perutz´ Reaktion auf die Monumentalbiographien...... 56 Antihelden...... 56 Die Kontinuität der Geschichte...... 59 Zufälle...... 59 Rolle des Schicksals bei Leo Perutz und Lernet­Holenia...... 60 Sinn der Geschichte...... 62 Leo Perutz und Alexander Lernet­Holenia als postmoderne Autoren...... 64 Zusammenfassung...... 67 Literaturverzeichnis...... 68 Begründung der Textauswahl

Als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit haben mir mehrere Romane von Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia zur Verfügung gestanden. Die Romane Der Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder habe ich deshalb gewählt, weil sie die Auseinandersetzung der Autoren mit ihren Kriegserlebnissen reflektieren und weil in den beiden Romanen Merkmale der phantastischen Literatur vorkommen. Der Vergleich liegt auch aus biographischen Gründen nahe.

Beide Romane sind an breites Publikum orientiert und ihre spannende Handlung trug zur Aufnahme in der Zeitung bzw. in der mondänen Zeitschrift. Der ursprüngliche Titel von Der Meister des jüngsten Tages war Das jüngste Gericht. Der Meister des jüngsten Tages erschien in einem Vorabdruck in der Deutschen Allgemeinen Zeitung (22.12.1922 bis 13.2.1923) in Berlin und dann in Der Tag in Wien (1.3. bis 20.4.1923). Im gleichen Jahr folgte die Buchausgabe im Münchner Albert Langen-Verlag. Dank dieses Buches, das häufig übersetzt wurde, war Perutz finanziell gesichert. Das Buch wurde auch von Michael Kehlmann 1989 verfilmt. Die Haupthandlung des Romans Der Meister des jüngsten Tages1 spielt sich während fünf Tage (26–30. September 1909) in Wien ab. In dieser kurzen Zeit bemüht man sich mysteriöse Selbstmorde zu erklären.

Das zweite untersuchte Buch ist Mars im Widder. Ursprünglicher Titel von Mars im Widder war Die blaue Stunde. Dieser Roman wurde in der Zeitschrift ,Die Dame' im Ullstein-Verlag am 15. Februar 1940 abgedruckt. Die Buchausgabe von 15 000

1 Perutz, Leo: Der Meister des jüngsten Tages. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1989. Exemplaren wurde jedoch noch vor der Auslieferung vom Propagandaministerium verboten und in einem Lager bei Leipzig deponiert, das bei Luftangriffen 1943/44 zerstört wurde. Das Buch erblickte erst 1947 auf Grund des Fahnenexemplars, das Lernet bei sich hatte, bei Bermann-Fischer in Stockholm das Licht der Welt. In dem Roman Mars im Widder2 wird der Polenfeldzug (von der Slowakei aus) detailgetreu in seiner Grausamkeit und Sinnlosigkeit und mit Sympathie für die Polen beschrieben. Mars im Widder wird als Österreichs einziger Widerstandsroman bezeichnet. Das Buch beginnt am 15. August und endet am 23. September 1939.

Forschungsstand

Forschungsstand zu Leo Perutz

Die Literaturkritik beschäftigte sich bis in die siebziger Jahre mit den Romanen und

Erzählungen von Leo Perutz nicht. Es waren spannende und unterhaltende Elemente,

die das Ignorieren seiner Werke und deren origineller Erzählkonstruktionen von der

seriösen Literaturwissenschaft verursachten. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft das Genre, zu dem Leo Perutz sehr oft zugeordnet wurde, und zwar die phantastische Literatur, erst später reflektiert wurde. Die Veränderung brachten die von Rein A. Zondergeld edierten Almanache Phaicon 1 und 2.3 Dem Literaturwissenschaftler Hans Harald Müller gehört das Verdienst, dass Perutz´

Werk nicht in Vergessenheit geraten ist. Er edierte Perutz´ Romane und Erzählungen

bei Zsolnay neu seit dem Jahr 1985. Er ermöglichte weitere Untersuchungen zu

diesem Autor, weil er sich um die Übernahme des Perutz­Nachlasses durch das

Deutsche Exilarchiv in Frankfurt 1986 verdiente. 1989 gab er mit Brita Eckert den

Ausstellungskatalog4 Leo Perutz 1882–1957 heraus. Dieser Katalog fasst zum ersten

Mal das Leben und Werk dieses jüdischen Schriftstellers zusammen. Die Beiträge

zum zweiten internationalen Symposium, das vom 20. bis zum 23. September 2000

2 Lernet-Holenia, Alexander: Mars im Widder. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1997. 3 Cersowsky, Peter: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jh. München: Fink, 1983. S. 11. 4 Müller, Hans-Harald; Eckert, Brita: Leo Perutz 1882–1957. Eine Ausstellung der deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1989. zum 120. Geburtstag von Leo Perutz in Wien und Prag stattfand, sind im Band

Unruhige Träume – abgründige Konstruktionen, Dimensionen des Werks, Stationen

der Wirkung5 enthalten. An der Erscheinung dieses Bandes arbeitete auch Hans­

Harald Müller mit Brigitte Forster. Erst Ende der 80er Jahre beschäftigte man sich mit der Vielschichtigkeit Perutz' Werkes. Seitdem betrachtete man sein Werk nicht nur als phantastische Literatur. Es ist Verdienst von Wendelin Schmidt-Dengler, dass die Betrachtung von Perutz' Romanen als Opposition gegen die nationalistische historische Belletristik wieder rekontextualisiert wurde.

Forschungsstand zu Lernet­Holenia

Auch Alexander Lernet-Holenias Werk betrachtete man als Unterhaltungsliteratur und es wurde zuerst von der literaturwissenschaftlichen Forschung nur im Rahmen der Phantastik wahrgenommen. Lernet-Holenia wurde 1997 von Jean-Jacques Pollet im Rahmen seiner Einführung in die deutschsprachige Phantastik in die nachromantische Tradition des Genres hineingestellt.6 Die erste Biographie Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia7 wurde anlässlich des Jubiläumsjahres publiziert. Ihr Autor ist der österreichische Schriftsteller Roman Roček, ein Freund des Dichters und Herausgeber seines gesamten Gedichtwerks. Im Zusammenhang mit der Aufwertung von Lernet-Holenias Romanen wurde die gesellschaftspolitische Dimension seines Werkes betont. Der erste, der an den kulturpolitischen Aspekt seines Werkes aufmerksam machte, ist Robert von Dassanowsky, der Vorstand des Germanistischen Instituts an der University of Colorado in Colorado Springs, USA. Er veröffentlichte 1996 sein Buch Phantom Empires. The Novels of Alexander Lernet-Holenia and the Question of Postimperial Austrian Identity8 (Schattenreiche. Die Romane Alexander Lernet-Holenias und die

5 Müller, Hans-Harald; Forster, Brigitte [Hrsg.]: Leo Perutz. Unruhige Träume – abgründige Konstruktionen, Dimensionen des Werks, Stationen der Wirkung. Wien: Sonderzahl 2002. 6 Zitiert nach Eicher, Thomas; Gruber, Bettina [Hrsg.]: Alexander Lernet-Holenia, Poesie auf dem Boulevard. Köln: Böhlau, 1999. S. 14. 7 Roček, Roman: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia: Eine Biographie. Wien [u.a.]: Böhlau, 1997. 8 Dassanowsky, Robert: Phantom Empires. The Novels of Alexander Lernet-Holenia and the Question of Postimperial Austrian Identity. Riverside, Calif: Ariadne Press, 1996. Frage der postimperialen österreichischen Identität). Er wies auf den Autor als auf den Kritiker der politischen Verhältnisse in Österreich seit dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie hin. Die österreichische Identität war für Lernet-Holenia mit der Monarchie verknüpft. Zwei Institutionen wollen den Autorennamen ins allgemeine Bewusstsein bringen, nämlich die 1998 in Wien gegründete Internationale Alexander-Lernet-Holenia- Gesellschaft (Herrengasse 5) und die im folgenden Jahr entstandene Alexander- Lernet-Holenia-Forschungsstelle in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar (Friedrich Ebert-Platz 3). Der Wiener Zsolnay Verlag entdeckte nicht nur Leo Perutz, sondern auch Alexander Lernet-Holenia wieder. Dieser Verlag ordnete die Neu-Auflagen von Lernet-Holenias Romanen Der Mann im Hut (1975), Mars im Widder (1976) und Der Graf von Saint- Germain (1977) der Reihe 'Phantastische Romane' zu. Man bereitet die Verfilmung von Mars im Widder in Aries nach dem Drehbuch von Robert von Dassanowsky und Judy Sharinger für das Jahr 2009 vor.

Diese Autoren wurden, wie schon angedeutet, nur dem Begriff der Trivialliteratur zugeordnet. Claudio Magris9, der Perutz im Jahre 1966 anscheinend gar nicht kennt, erwähnt als einzigen Roman von Lernet Die Standarte unter der Rubrik „Die unbedeutendere Literatur“ und charakterisiert den Dichter als Vertreter einer „eher oberflächlichen Strömung“. In der letzten Zeit entstehen immer neue Studien, die die Wiederentdeckung dieser österreichischen Schriftsteller für notwendig halten. Nun möchte ich noch zwei Studien erwähnen, die diese Autoren in Vergleich setzen.

Forschungsstand zum Vergleich beider Autoren

Mit dem Vergleich der epischen Werke von Leo Perutz und seines Schülers Alexander Lernet-Holenia beschäftigte sich schon 1988 Reinhard Lüth in seinem Buch Drommetenrot und Azurblau.10 Diese zwei Farben treten bei Perutz und Lernet- Holenia als Symbole für Schuld und ihre Bestrafung und für Augenfarbe der 9 vgl. Magris, Mythos (1966), Kap. VI. 2, S. 249. In: Lüth, Reinhard: Drommetenrot und Azurblau. Studien zur Affinität von Erzähltechnik und Phantastik in Romanen von Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia. Meitingen, 1988. S. 39. 10 Lüth, Reinhard: Drommetenrot und Azurblau. Studien zur Affinität von Erzähltechnik und Phantastik in Romanen von Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia. Meitingen, 1988. (Studien zur phantastischen Literatur; Bd. 7). Dämonen auf. Schon der Titel, der diese zwei Farben bei Perutz und Lernet-Holenia mit dem Auftreten des phantastischen Elementes in ihren Werken (z.B. Der Meister des jüngsten Tages, St. Petri-Schnee von Leo Perutz, Baron Bagge, Die Inseln unter dem Winde, Ein Traum in Rot, Der Mann im Hut, Die Standarte und Mars Im Widder von Lernet-Holenia) verbindet, weist darauf hin, worum es hauptsächlich in diesem Werk gehen wird. Es werden hier die Erzählmittel untersucht, die oft die Gestaltung des Phantastischen bestimmen – z.B. subjektive Erzählperspektive, Rahmentechniken, analytisches Erzählen, Zahlensymbolik. In diesem Werk kann man auch zahlreiche Parallelen zu den weiteren Autoren beobachten, z.B. zu Kleist, Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Hofmann, Doderer, Roth, Weiß. Lüth erwähnt auch den Einfluss von Machs Positivismus und von Freuds Psychoanalyse. Mit diesem und auch mit der Abgrenzung der Autoren gegen die „Trivialliteratur“ und die okkultistische Horror- Phantastik von Meyrink, Strobl, Ewers, Spunda und Soyka, will Lüth vor allem eine untypische Stellung der Autoren innerhalb der österreichischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts zeigen. Er macht auch auf unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten ihrer Werke aufmerksam.

Die nächste Autorin, die die Erzählstrategie der beiden Autoren beschreibt, ist Marina Rauchenbacher. Sie stellt sich am Anfang ihres Werkes Wege der Narration. Subjekt und Welt in Texten von Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia folgende Fragen:

Wie werden Zeit bzw. Zeit-Räume vom Individuum erfahren? Wie wird die Erfahrung von Zeit mit Dingen und Räumen verknüpft? Wie hängt die Wahrnehmung von Zeit und Raum mit Erinnerung und Identität zusammen?11

Sie will diese Fragen an den Werken Der Schwedische Reiter (von Perutz) und Beide Sizilien (von Lernet-Holenia) mit Hilfe von Bachtins Chronotopos-Theorie, Martínez' Theorie der Doppelten Welten und Todorovs Theorie der Unschlüssigkeit beantworten. Abschließend erwähnt die Autorin, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit sehr subjektiv ist und dass:

Die Wahrnehmung des Einzelnen von Zeit, Raum und Dingen scheint nur mehr mit Bezug auf Numinoses erklärbar.12

Ich kann nicht umhin, Ursula Kocher zuzustimmen, dass Marina Rauchenbacher ein

11 Rauchenbacher, Marina: Wege der Narration. Subjekt und Welt in Texten von Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia. Wien: Praesens Verlag, 2006. S. 9. 12 Rauchenbacher, M.: Wege der Narration. S. 112. hohes Ziel vor Augen hat.13

Ziel meiner Arbeit

Sowie Leo Perutz, als auch Alexander Lernet-Holenia sind Autoren, die sich eindeutigen Zuordnungen entziehen. Ihre Werke sind in vielerlei Hinsicht heterogen. Ich möchte die Elemente, die zu diesen unterschiedlichen Zuordnungen beitragen, an den ausgewählten Romanen reflektieren. Ich will eine neue Fragestellung untersuchen, die allerdings mit dem Thema meiner Bakkalaureatsarbeit zusammenhängt. Mein Kapitel 4.2. Turlupin als phantastischer Roman? befasste sich schon mit der Konzeption der historischen Romane, die oft phantastische Elemente enthalten. Der Vergleich von Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder soll die Affinitäten, die Perutz und Lernet-Holenia nachgesagt werden, überprüfen und eventuell korrigieren. Das Ziel meiner Arbeit ist zu zeigen, wie sie sich mit ihren Romanen Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder mit den Kriegserlebnissen auseinandersetzten und welche Funktion die phantastischen Elemente haben, also wie die Autoren historischen Stoff und Phantastik verknüpfen. Am Ende meiner Arbeit möchte ich noch einige Parallelen mit dem Postmodernismus erwähnen und ihre Beliebtheit begründen.

Zuerst möchte ich aber die Lebensläufe beider Autoren kurz skizzieren, weil die

persönlichen Erlebnisse oft ihre Werke mitgeprägt haben, und ich möchte auch die

Stellung der beiden Romane in ihrem Gesamtwerk andeuten, weil auf einige Werke

zur Verdeutlichung einiger Theorien später hingewiesen wird.

Der Meister des jüngsten Tages im Kontext des Gesamtwerks von Leo Perutz

Leo Perutz wurde 1882 in Prag geboren. Er lebte seit 1899 in Wien. In seinen schriftstellerischen Anfängen ging er aus der Literatur des Wiener Fin de Siècle aus.

13 Kocher, Ursula: Literaturkritik.de. Labyrinthe und Sackgassen. Online in Internet: URL http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9376&ausgabe=200604 [Stand 2008-3-12]. Sein erster Roman Die dritte Kugel erschien 1915 und sein letzter Roman Der Judas des Leonardo wurde postum (1959) dank der Bearbeitung seines „Schülers“ Alexander Lernet-Holenia veröffentlicht:14

Nach des Dichters am 25. August 1957 zu Ischl erfolgtem Tode bin ich gebeten worden, das fertiggeschriebene Manuskript durchzusehen und für den Satz bereitzustellen. Ich habe mich dieser Aufgabe umso lieber und mit umso größerem Respekt unterzogen, als ich Leo Perutz stets als meinen besonders verehrten Lehrmeister betrachtet habe.15

Als Höhepunkt seiner Karriere kann man das Jahr 1928 betrachten. Berliner Illustrierte Zeitung druckte in diesem Jahr seinen Roman Wohin rollst Du, Äpfelchen? von der Sehnsucht nach Rache. Diese Zeitung war die auflagenstärkste des Kontinents und so gehörte Leo Perutz in dieser Zeit zu den meist gelesenen Autoren. 1933 veröffentlichte er den Roman St. Petri-Schnee. Der Roman Der Schwedische Reiter (1936) konnte in Deutschland nicht mehr erscheinen. Bücher dieses jüdischen Autors wurden nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verboten. Nach der Annexion Österreichs ging er 1938 ins Exil nach Palästina. Während seines Exils veröffentlichte Leo Perutz nur zwei Bücher, ein Buch über die mathematische Theorie des Bridge-Spiels und den Roman Nachts unter der steinernen Brücke, der als sein Meisterwerk angesehen ist. Sein ursprünglicher Titel war Meisls Gut, was eine jüdische metaphorische Bezeichnung für den absoluten Überfluss ist. Mit der Novelle Die Sarabande, in der ein Christ durch Rabbi Loew gerettet wurde, reagierte Perutz auf die Massenvernichtung der Juden durch die Deutschen im Juni 1943. Paul Zsolnay weigerte sich 1951 diesen Roman herauszugeben und so erschien er 1953 in Eugen Kogons Frankfurter Verlagsanstalt. Perutz vermisste im Exil seine Freunde, womit man seine geringere Produktivität während dieser Zeit erklärt. In Wien war sein Stammcafé das Café Herrenhof, in dem er sich mit Richard A. Bermann, Egon Erwin und Paul Kisch, Anton Kuh, Ernst Weiß, Franz Werfel und Alexander Lernet-Holenia traf, denen er aus seinen Skizzen vorlas und mit denen er über die Bücher sprach. Leo Perutz bezeichnete sich selbst nach dem Zweiten Weltkrieg als „für Europa ein forgotten writer“ und prophezeite die Renaissance seines Werks in 40 Jahren.16 Das Werk von Leo Perutz bilden 10 Romane, 8 Novellen oder Erzählungen und mehrere Schauspiele.

14 Neuhaus, Dietrich: Erinnerung und Schrecken. Die Einheit von Geschichte, Phantastik u. Mathematik im Werk Leo Perutz. Frankfurt am Main: Lang, 1984. S. 21. 15 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 407. 16 Müller, Hans-Harald: Leo Perutz. München: Beck, 1992. S.7. In einem Brief von Leo Perutz an Gerty Hanemann vom 4. Mai 1946 aus Tel Aviv. Wie schon gesagt, ist es schwer, Leo Perutz einem Genre zuzuordnen. Er wird als historischer und/oder phantastischer17 Autor angesehen. In allen seinen Büchern mischt sich nämlich oft das Reale mit dem Fiktiven, was unterschiedliche Lesarten ermöglicht. Nach Dietrich Neuhaus lassen sich die Romane und Erzählungen wie Die dritte Kugel, Der Marques de Bolibar, Die Geburt des Antichrist, Der schwedische Reiter, Nachts unter der steinernen Brücke, sowohl phantastischem, als auch historischem Genre zuordnen.18 Leo Perutz äußerte sich dazu nie. Er gab kein Interview zu seiner Person und auch keine Kommentare zu seinem Werk. Diese Zurückhaltung bezeugt auch seine Antwort für die Zeitschrift Die Literatur:

Ihr Verlangen nach einer autobiographischen Skizze bringt mich in Verlegenheit. Ich befürchte, mit einer Darstellung meines Lebensweges weder bei den Lesern meiner Bücher noch bei den Lesern Ihrer Monatsschrift Interesse zu finden. Meine innere Entwicklung ergibt sich für jeden, nur nicht für mich, aus der Lektüre meiner Romane. Meine Auffassung der schriftstellerischen Tätigkeit war leider bei jedem Buch, an dem ich arbeitete, notgedrungen eine andere.19

Sein Werk wurde in 21 Sprachen, vor allem ins Englische, Französische, Italienische und Spanische übersetzt. In Frankreich hat Perutz 1962 postum den „Prix Nocturne“20 für Marques de Bolibar erhalten, womit man vermutlich den Einfluss von Perutz´ Indizienroman auf die Vertreter des Nouveau Romans in Frankreich anerkannte.

Gemeinsame Merkmale seiner Bücher

Nicht ohne Einfluss auf seine Bücher blieb sein Beruf als

Versicherungsmathematiker. Für sein Werk sind bis zum kleinsten Detail

durchgearbeitete logische Konstruktionen typisch, die als „Logik des

Wunderbaren“21 bezeichnete. Zur Erhöhung der Spannung verwendet Perutz den analytischen Erzählaufbau. Am Anfang gibt es ein Rätsel, dessen Lösung dem Leser unmöglich scheint. Es geht um

17 historische Romane – Murayama Masato, Bettina Hey´l, Hans-Harald Müller phantastische Literatur – Florian F. Marzin, Reinhard Lüth, Stephan Berg, Marianne Wünsch 18 Neuhaus, D.: Erinnerung und Schrecken. S. 23. 19 Berg, Stephan: Schlimme Zeiten, böse Räume. Zeit- und Raumstrukturen in der phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler, 1991. S. 131. 20 Serke, Jürgen: Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft. Wien, Hamburg, 1987. S. 262. 21 Strelka, Joseph P.: Des Odysseus Nachfahren: Österreichische Exilliteratur seit 1938. Tübingen und Basel: A. Francke Verlag, 1999. S. 113. das so genannte Hysteron-Proteron-Prinzip22, d.h. die Tatsache, die die Spannung erweckt, wird chronologisch erst später erzählt. Egon Erwin Kisch schrieb 1920 über Leo Perutz:

Mit geradezu mathematischer Präzision arbeitet Perutz seine Stoffe aus, es ist einfach unfassbar, wie folgerichtig, naturnotwendig und lebenswahr seine Figuren das Unerwartete, Überraschende tun müssen und wie in einem minutiös studierten Hintergrund des Verschollenen das ewig Heutige nicht verloren geht.23

Im Roman Der Meister des jüngsten Tages, der aus drei Rahmen besteht (Vorwort statt eines Nachworts spielt sich zwischen 1909–1914 ab, Yoschs Erzählung zwischen dem 26. und dem 30. September 1909, die Schlussbemerkungen des Herausgebers beziehen sich auf die Zeit nach 1914), wird schon im ersten Teil die Spannung des Lesers durch die retrospektive These des Erzählers hervorgerufen:

In Wirklichkeit war der 30. September der Tag, an dem die Entscheidung fiel, das habe ich mit Hilfe der Notizen, die ich aus jener Zeit besitze, festgestellt.24

Dann erfährt der Leser, dass man an diesem Tag einen Feind verfolgte, „der nicht von Fleisch und Blut war, sondern ein furchtbarer Revenant aus vergangenen Jahrhunderten“25 und der nach Solgrubs Hypothesen italienisch sprach. Wer ist der Täter in dem Fall, in dem „[d]er eine spricht, der andere schweigt und horcht und [übersetzt]“26? Dieses Rätsel scheint seine Lösung nur im Bereich des phantastischen zu finden. Ein weiteres Rätsel für den Leser, der noch nicht weiß, dass es mit der Handlung zusammenhängt, stellen die unmotivierten Selbstmorde des Seeoffiziers und seines Bruders dar. In Turlupin erweckt der Autor die Neugierde des Lesers damit, dass die französische Revolution schon im Jahre 1642 hätte stattfinden können:

Es gehört zu den großen Rätseln der Menschheitsentwicklung, dass die französische Revolution erst im Jahre 1789 zum Ausbruch gekommen ist.27

Wie ist es möglich, dass in dem Roman Der schwedische Reiter28 die Hauptgestalt auf Seite des schwedischen Königs Karel XII. kämpft und zugleich nachts seine Tochter

22 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 183f. 23 Kisch, E.: Wiener Erzähler. In: Prager Tagblatt. 45 (1920), 262 (7.11.), Unterhaltungsbeilage, S. 16. Zitiert nach: Leo Perutz 1882–1957, S. 112. 24 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 9. 25 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 10. 26 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 150. 27 Perutz, L.: Turlupin. S. 10. 28 Perutz, Leo: Der schwedische Reiter. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1990. besucht? Martinez bezeichnet Perutz´ Romane als proleptische Rätselromane. Der Leser weiß schon wie sie enden werden, er ist aber neugierig, wie der Autor dieses Rätsel lösen wird. Seine Bücher enthalten also eine Wie-Spannung statt einer Finalspannung.29 In Meister des jüngsten Tages geht es um ein Buch, das tötet. In Turlupin wird das historische Ereignis von Turlupin verhindert, weil dieser den Führer des Volkes, den Vicomte von Saint-Chéron, tötet. Der schwedische Reiter wird als die Geschichte zweier Männer erklärt.

Perutz´ Einbeziehung übernatürlicher Phänomene in seine historischen Romane war der Grund, warum man sein Werk oft der Trivialliteratur zuordnete. Im Vordergrund dieser historischen Romane steht ein sehr unwahrscheinliches Ereignis und so scheint es, dass sie mit dem historischen Geschehen nur wenig zu tun haben. Dass es nicht so sein muss, war das Thema meiner Bakkalaureatsarbeit. Mit dem spannenden Roman Turlupin (1924) gab er dem historischen Roman eine neue Form. Auf diesem Roman, der sich im historischen Frankreich Kardinal Richelieus abspielt und in dem Richelieu mit dem Volk eine Verschwörung gegen den Adel vorbereitet, projiziert der Autor gegenwärtige revolutionäre Situation in Wien im Jahre 1918. Er reflektiert auch seine Geschichtsfassung. Die Charakterisierung von Leo Perutz' Roman Die dritte Kugel von seinem Mitschüler und Freund Arnold Höllriegel, mit bürgerlichem Namen Richard A. Bermann, lässt sich auf alle seine historischen Romane beziehen:

Man kann den Roman von Leo Perutz als Unterhaltungswerk lesen und wird keinen Kitzel der Erregung vermissen; es ist wirklich kein historischer Roman von der bewusst faden Sorte. Aber es handelt sich zugleich um ernste Kunst.30

Historisches Thema kann man in folgenden Romanen finden, die sich in einer Krisenzeit abspielen. In Die dritte Kugel (1915) wird die Eroberung Mexikos durch Cortez geschildert, in Der Marques de Bolibar (1920) der Untergang zweier Rheinbund-Regimenter im Freiheitskampf der Spanier gegen Napoleon, in Turlupin (1923) das Frankreich des 17. Jahrhunderts, in Der schwedische Reiter (1936) der Nordische Krieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in Nachts unter der steinernen Brücke (1953) das Prag zur Zeit Rudolfs II., also der Jahre 1589 – 1621, und in Der

29 Martinez, Matias: ,Proleptische Rätselromane. Erzählrahmen und Leserlenkung bei Leo Perutz´. In: Leo Perutz. Unruhige Träume – abgründige Konstruktionen. S. 117, 126. 30 Müller, H.: Leo Perutz. S. 27. Judas des Leonardo (postum 1959) die italienische Renaissance.

Für Perutz´ Stil sind gegensätzliche Eigenschaften charakteristisch. Er ist einerseits knapp, andererseits bildhaft. Er verwendet oft Metaphern, Witz, Ironie. Der Roman Turlupin, dessen Hauptgestalt als Narr und Träumer auftritt, der die Verhinderung der Revolution nicht aus politischen, sondern aus persönlichen Gründen verursacht, wirkt ironisch. Turlupin ist in seinem blinden Glauben an eigene historische Sendung eigentlich eine komische Gestalt: seine schlechte Deutung einiger Zufälle ruft komische Situationen hervor. In Meister des jüngsten Tages ist Yosch auf Solgrub eifersüchtig. Deshalb will er ihn vor Dina bloßstellen. Er ist Objekt Yoschs ironischer Betrachtungen:

Ich finde, dass seine Scherze recht gewöhnlich sind und dass er sich ein wenig zu viel mit meiner Person befasst. Ich weiß wirklich nicht, wie ich zu dieser Ehre komme.31

Viele komische Situationen sind auch in diesem Buch zu finden. Yosch bezeichnet Solgrub als Pottwal,32 was er auch auf seine Art und Weise des Sprechens bezieht: Er hatte eine Art, beim Sprechen die Worte mit Heftigkeit aus dem Mund zu schleudern, die mich lebhaft an sein Urbild erinnerte, wenn es den Wasserstrahl aus seinem Spritzloch hervorstößt.33

Als Yosch Selbstmord begehen will und sich einen Schlaftrunk vorbereitet, will ihn der zu Besuch kommende Felix unbewusst trinken. Yosch bemerkt, dass er es an seiner Stelle nicht machen würde. Dadurch werden seine Selbstmordabsichten quasi zurückgenommen, obwohl es nur dem Leser verständlich sein kann.

Mars im Widder im Gesamtwerk von Alexander Lernet-Holenia

Alexander Lernet-Holenia gilt als letzter Vertreter der literarischen Tradition des Jung-Wien-Impressionismus. Er gehörte seinerzeit zu den bekanntesten österreichischen Schriftstellern, geriet aber schnell nach seinem Tod fast in Vergessenheit. Erst seit den neunziger Jahren wuchs das Interesse an den Werken Lernet-Holenias. Alexander Maria Norbert Lernet wurde 1897 in Wien geboren. Lernet wurde 1920 von der Familie seiner Mutter adoptiert und trug seither den Doppelnamen Lernet-

31 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 18. 32 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 15. 33 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 16. Holenia. Im gleichen Jahr entschloss er sich, freier Schriftsteller und Übersetzer zu werden. Manche kritisieren seine Bemühungen, sich den Anforderungen des Tages, der Zeitungen, der Theater und der Verlage anzupassen. Für seinen Durchbruch auf der Bühne und auf dem Literaturmarkt war er bereit auf stilistische Feinarbeit zu verzichten, er strebte einen eleganten Stil an, konzentrierte sich auf spannende Momente auf Kosten von Reflexion und Innovation der Erzähltechnik, die beim Lesepublikum meisten nicht gleich ankommen. Er selbst bezeichnete einige seiner Romane als Kitsch: „Man muss unterscheiden zwischen dem, wofür man einsteht, und dem, wofür man Geld einnimmt.“34 Mit seinen 30 Theaterstücken, rund 50 Romanen, zahlreichen Kurzgeschichten, Novellen, 8 Gedichtbänden, Essays, Biographien, Radio- und Fernsehspielen und Übersetzungen war Alexander Lernet-Holenia einer der produktivsten und auch erfolgreichsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Hofmannsthal, von dessen Werken Märchen der 672. Nacht und Chandos-Brief sich Lernet-Holenia für seine Romane Graf von Saint-Germain und Beide Sizilien inspirieren ließ, setzte sich für ihn ein: „Lernet kann alles, was er will.“35 Seine ersten Gedichte zeigen einen großen Einfluss von Rilke. Karl Kraus bezeichnete ihn spöttisch als „Sterilke“. Das erste veröffentlichte Buch ist der Gedichtband Pastorale, der in der Wiener Literarischen Gesellschaft 1921 publiziert wurde. Im Insel-Verlag erschien 1923 Kanzonnair, ein Gedichtband, für dessen Erscheinen sich Rainer Maria Rilke, dem das Buch auch gewidmet ist, sowie Hermann Bahr beim Verlag einsetzten. Trotz der prominenten Fürsprecher war das Publikumsinteresse vorerst gering. Obwohl Alexander Lernet-Holenia zeit seines Lebens Lyriker sein wollte, wandte er sich Mitte der zwanziger Jahre dem Theater zu. Er schrieb 1925 zwei Kassenschlager – die Komödien Ollapotrida und Österreichische Komödie. Die Österreichische Komödie löste nicht nur in Kärnten, sondern auch in Wien einen großen Skandal aus, weil sich eine ganze Reihe von Kärntner Aristokraten darin wieder erkannte.36 1926 wurde er dafür mit dem renommierten Kleist-Preis geehrt. Gemeinsam mit Stefan Zweig schrieb er unter dem Pseudonym Clemens Neydisser die Komödie Gelegenheit macht Liebe (oder Quiproquo).

34 Zitiert nach: Eicher, T.; Gruber, B. [Hrsg.]: Alexander Lernet-Holenia, Poesie auf dem Boulevard. S. 10. 35 Hübel, Thomas; Müller, Manfred: Alexander Lernet-Holenia: Die Lust an der Ungleichzeitigkeit. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1997. S. 7. 36 Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S. 137. Der Literaturkritiker Bernhard Diebold, der ihn vier Jahre vorher für den Kleist-Preis vorschlug, bezeichnete das gemeinsam mit Paul Frank verfasste Stück Attraktion als Plagiat. Lernet-Holenia wollte deshalb den Preis zurückgeben. In den dreißiger Jahren wandte er sich unter dem Einfluss von Perutz der Epik zu. Es entstanden Romane wie z. B. Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen (1931), Ich war Jack Mortimer (1933) oder Die Standarte (1934), die alle auch verfilmt wurden. Die Standarte widerspiegelt detailliert und mit erheblicher Realitätstreue Alexander Lernet-Holenias letzte Tage als Soldat des Kaisers. Nicht nur Die Standarte, sondern auch Beide Sizilien, Der Baron Bagge, Mars im Widder und viele seiner anderen Bücher leben vom Mythos der Donaumonarchie. Der Roman Beide Sizilien, wird schließlich zu einem Werk, das nach Hilde Spiel ,,alles übertrifft, was Lernet-Holenia sonst mit epischen Mitteln auszudrücken versuchte.“37 Seine Novelle Der Baron Bagge wurde von den meisten Kritikern als ein Gipfel der Erzählkunst der Jahre zwischen den beiden Weltkriegen gepriesen. Diese Novelle zeigt eine Beeinflussung von Kleist und Perutz. Perutz' Werk Zwischen neun und neun diente dem Traumgeschehen in dieser Novelle als Vorlage. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen haben, unterlagen die Verlage der Zensur. Das Gesamtwerk von Lernet-Holenia stand auf der „Schwarzen Liste der Schönen Literatur“, die im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel veröffentlicht wurde. Sein Gesamtwerk außer der Gedichte wurde als „unerwünscht bezeichnet“.38 Lernet-Holenia blieb während des Zweiten Weltkriegs in Österreich. Er nahm am Polenfeldzug teil, aber er wurde gleich am zweiten Tag verwundet. So wurde er nach Berlin beordert und zum Chefdramaturgen der Heeresfilmstelle ernannt. 1944 wurde er wieder einberufen. Um diesem Dienst zu entkommen, ließ er sich von einem bekannten Arzt eine Injektion geben, die hohes Fieber auflöste. Nach dem Krieg wurde er von den Amerikanern mit der Entnazifizierung in St. Wolfgang beauftragt. Den Gewinn der ausländischen Leserschaft verdanken beide Autoren Hugo und Anna Renée, die das Büro „International Editors Co.“ 1940 gründeten und die im spanischen Sprachraum die Werke von Franz Werfel, , Robert Musil, Leo Perutz, Alexander Lernet-Holenia, Stefan Zweig, Thomas Mann, E.M. Remarque, Vici Baum, Hertha Pauli, Annemarie Selinko u.a. vermittelten.

37 Blaser, Patrice, Müller, Manfred: Lernet-Holenia. Kurzbiographie. Online in Internet: URL: http://www.lernet-holenia.com/lernet/kurzbiog.htm [Stand 2008-03-12]. 38 Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S. 174. (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Nr.112, vom 16. Mai 1933). Germanien (1946) ist seine bekannteste Elegie, in der er sich zur Kollektivschuld der

Deutschen bekannte: „Schiebt nicht die Schuld auf andre, – diese Schuld/ und alles andre Schuldsein!“39 Weitere Werke, die sich mit der Vergangenheit im

Nationalsozialismus auseinandersetzen, sind außer Mars im Widder die Romane Der

Graf von Saint Germain (1948) und Der Graf Luna (1955), in dem er als einer der ersten auf die Mitschuld Österreichs im Zweiten Weltkrieg hinwies. Auch die

Hauptgestalt Jessiersky ist mitschuldig am Tod von Luna, weil er nichts tat, als Luna in ein Konzentrationslager geschickt wurde und dort starb. Jessiersky glaubt an seinen Tod nicht, er ist paranoid und denkt, dass ihn Luna überall verfolgt. Jessiersky will durch römische Katakomben fliehen, wo er seinen Tod findet.

Am Höhepunkt seiner Anerkennung stand er wohl nach dem Ende des Zweiten

Weltkriegs. Der Kritiker Hans Weigel schreibt, dass die österreichische Literatur aus zwei Hauptfiguren, dem „Lernet“ und dem „Holenia“ bestehe. Manche Kritiker legen die marktbeherrschende Rolle Lernet­Holenias als ein Merkmal der ungesunden Dominanz der PEN­Autoren und der Unterdrückung junger Autoren in den 50er Jahren in Österreich. Anlässlich seines 60. Geburtstages wurde er mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, kurze Zeit später mit dem Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich, das er zurückgab, weil er Streitigkeiten mit der ,,Finanz-SS“, wie er die Steuerbehörde nannte, hatte. In den sechziger Jahren erhielt er weitere Ehrungen wie den Großen Österreichischen Staatspreis (1961) oder die Ehrenmedaille Gold der Stadt Wien (1967). Er war von 1969 bis 1972 Präsident des österreichischen PEN-Clubs. Diese Funktion legte er aus Protest zurück, als der Nobelpreis an Heinrich Böll verliehen wurde, weil Böll die terroristische Rote Armee Fraktion verteidigen sollte. Aus Empörung über Lernet-Holenia gründeten daraufhin Alfred Kolleritsch, Ernst Jandl und Peter Turrini die „Grazer Autorenversammlung“ als „Gegen-PEN“ für die „Moderne“.

39 Strigl, Daniela: Lernet-Holenia. Eine Tagung, die weiter ging. Online in Internet: URL: http://www.lernet- holenia.com/lernet/ueber.htm [Stand 2008-03-12]. Gemeinsame Merkmale seiner Bücher

Lernet-Holenia verknüpft in seinem Werk Tod und Liebe. Ursache dafür sieht Müller- Widmer in seiner Beliebtheit solcher Kriegsgeschichten, in denen den Liebenden nicht gegönnt wird, miteinander zu bleiben,40 wie z.B. in der Standarte wird Menis abkommandiert, damit er sich nicht mit Resa treffen könnte. Die Erinnerung bildet auch ein wesentliches Erzählmittel des Autors. Man kann es als Fixierung auf die alte untergegangene Welt, als Unmöglichkeit der Protagonisten, sich in der neuen Welt zurechtzufinden, auslegen. Lernet-Holenia sowie Leo Perutz haben Vorliebe für die historischen Epochen, die an der Grenze zu einer neuen Ära stehen, z B. der Roman Die Standarte schildert den Untergang des alten Kaiserreichs, Ein Traum in Rot aus dem Jahre 1939 spielt sich nach dem Untergang des russischen Zarenreiches ab und wie Der Mann im Hut (1937), Der Graf Luna, Der Graf von Saint Germain und Mars im Widder drückt es die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus. Dass die Romane Der Mann im Hut und Ein Traum in Rot von der Zensur nicht beanstandet wurden, verdanken sie vor allem nach Funk der „kryptisch-mythologischen Anspielung“ und der „geographischen Distanz“41. Trotzdem untersuchte man sein Werk im Zusammenhang mit Literatur im Dritten Reich lange nicht. Erst Roman Ročeks Studie Zwischen Subversion und Innerer Emigration leitete eine Aufnahme Lernet-Holenias als politischen Autor ein. Auch in Lernet-Holenias Romanen kann man sehr oft Rätsel finden, die mit dem Phantastischen verbunden sind und mit derer Auflösung „erst das eigentliche, unauflösbare Geheimnis“42 beginnt: Die Herkunft der falschen Cuba bleibt auch nach der Erklärung des Passdiebstahls im Unklaren. Beide Autoren bemühen sich, das Wesentliche dem Leser als verschlüsselte Botschaft mitzuteilen. Die Elemente, die mit dem Phantastischen auch sehr eng verbunden sind und die bei beiden Autoren sehr oft auftreten, sind das Verhältnis zwischen Traum/Vorstellung und Wirklichkeit und das Identitätsproblem.

40 Müller-Widmer, Franziska: Alexander Lernet-Holenia. Grundzüge seines Prosa-Werkes dargestellt am Roman „Mars im Widder“. Ein Beitrag zur neuen österreichischen Literaturgeschichte. Bonn: Bouvier Verlag, 1980. S. 61. 41 Funk, Gerald: Artistische Untergänge. Wetzlar: Förderkreis Phantastik, 2002. S. 34. 42 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 203. Kontakte beider Autoren zueinander

Die Kontakte beider Autoren kann man aus zahlreichen Briefen rekonstruieren. Es ist schade, dass Briefe von Perutz nicht erhalten geblieben sind, weil Lernet-Holenia sie nach der Lektüre wie alle anderen Briefe zu vernichten pflegte. Alexander Lernet-Holenia lernt den um fünfzehn Jahre älteren Leo Perutz am 31. Juli 1928 in St. Wolfgang kennen. Beide Autoren werden Freunde und Leo Perutz ermuntert ihn ‒ wie übrigens auch andere Schriftsteller ‒ zu schreiben. Annie Lifezis erinnert sich „in diesem Zusammenhang an drei Persönlichkeiten, mit deren Anfängen Perutz in Beziehung stand: Josef Weinheber, Bruno Brehm und Alexander Lernet-Holenia.“43 Sie hatten auch viele gemeinsame Freunde, ich möchte hier vor allem den Co-Autor Paul Frank erwähnen. Er schrieb zusammen mit Leo Perutz Romane Das Mangobaumwunder (1916) und Der Kosak und die Nachtigall (1927) und mit Lernet-Holenia Schauspiele Tumult (1929) und Attraktion (1930). Der Kontakt zwischen Lernet-Holenia und Leo Perutz dauerte bis zum Jahre 1938 und wurde erstaunlicherweise nach 1945 wieder aufgenommen, was Brief Leo Perutz an [Hugo] Lifczis beweist:

Ich muss Sie auch noch schonend darauf vorbereiten, dass ich auch noch für einen zweiten alten Freund als Zeuge aufgetreten bin, nämlich für Dr. Bruno Brehm. Im Juni 1938, als ein solcher Besuch für einen Arier schon gefährlich werden konnte, erschien er in meiner Wohnung und bot mir seine Hilfe an. Ich kann Lumpereien eines Menschen restlos vergessen, aber ich bin nicht imstande, eine mutige, anständige und freundschaftliche Handlung einfach aus meinem Gedächtnis zu streichen. Unser Lernet, der bis zu Hitlers Einmarsch zweimal wöchentlich sich bei mir mit mir „zusammenrottete“ ließ seit dem 12. März 38 nicht mehr von sich hören, ja nicht einmal einen Telefonanruf bei mir hat er riskiert. Es interessierte ihn überhaupt nicht, ob und wie ich den Nazis entkäme [...]44

Dieses Desinteresse für seinen Freund wirft kein gutes Licht auf Lernet-Holenia, dessen Stellung zu NS-Macht immer umstritten ist (mehr darüber im Kapitel Stellung von Lernet-Holenia zu Nazis). Dass Leo Perutz für ihn nicht nur ein Vorbild war, was aus den gleichen Erzählstrukturen und Motiven ihrer Werke offenbar ist, sondern dass er ihm manche Denkanstöße gab, beweist am deutlichsten das Buch von Alexander Lernet-Holenia Jo und der Herr zu Pferde und die Danksagung von Lernet-Holenia:

Ich wollte Ihnen nur nochmals für das Roman-Thema danken. Das Buch ist nicht sehr umfangreich geworden und, was die Vorgeschichte anlangt, ist das Thema stark verändert. Das Wesentliche allerdings ist geblieben. Ich bin neugierig, was Sie dazu sagen (ALH an Leo Perutz, 43 Lifezis, Annie: Erinnerungen, a.a.O., S.5. In: Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 55. 44 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 342.Brief T[el] A[viv,] 15.4. [19]47 Postkarte, St. Wolfgang, 8. Mai 1932).45

Auch die Widmung des Buches weist auf diese Tatsache zurück: „Leo Perutz, dem eigentlichen Dichter dieses Romans, als ein Zeichen aller jener Dankbarkeit, die ich ihm schulde.“46 Auch Leo Perutz' Notizbucheintragung vom 2. Mai 1935 erwähnt seinen Anteil an diesem Buch: „Dann Lernet, er verkauft ,Jo´ an dem ich mit 45 % beteiligt bin, für den Film.“47Für manche Kritiker ist es gerade die unerwartete Schlusspointe in dem Buch Jo und der Herr zu Pferde, die Perutz' Einfluss sichtbar macht. Auch Leo Perutz schickte ihm sein Stück Grazinia zur Beurteilung. Lernet-Holenias Kommentar hebt das wesentlichste Merkmal von Perutz' Erzählstrategie hervor:

Ich zweifle nicht daran, dass auch dieses Stück schließlich jenen bewundernswerten mathematisch vorauszusehenden notwendigen Abschluss erhalten wird, der alle Ihre übrigen Bücher auszeichnet.48

Das letzte „Zusammentreffen“ der beiden Autoren fand sich 1957 auf dem Friedhof von statt. Am Perutz' Grabe sprachen Alexander Lernet-Holenia und Bruno Brehm.

Bevor ich die Reflexion der aktuellen Probleme am Beispiel der Romane Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder zeigen werde, möchte ich mich mit den phantastischen Elementen in diesen Romanen befassen.

Sprache beider Autoren

Sprache von Perutz' Gestalten wirkt natürlich, sie ist dem Stand und der Epoche gut angepasst „(vgl. das archaisierende Lutherdeutsch in der Kugel)“49 oder Benutzung des Wiener Dialekts in Meister des jüngsten Tages, wogegen Lernets Figuren „etwas gekünstelte aristokratische Hochsprache des Autors“50 sprechen. Beliebtes Erzählmittel ist Dialog. Lüth51 gibt an, dass für Lernet-Holenias Stil eine Nachahmung der Stichomythie aus dem antiken Versdrama typisch ist. Es geht um

45 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 209. 46 Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S.171. 47 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 209. 48 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 210. Brief, Wien 5.11. [1932?]. 49 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 397. 50 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 397. 51 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 144f. metrisch gleichgebaute Verse, die unverbunden und ohne Strophengliederung aufeinander folgen. Sie ist ein Element des Dramas, das zur Steigerung der Spannung und zum Miteinbeziehen der Zuschauer/Leser in das Geschehen dient. Man kann diese Technik auch bei Perutz in Turlupin oder Meister des jüngsten Tages finden.

Phantastische Literatur

Entstehung und Entwicklung der phantastischen Literatur

Als Anfänge der phantastischen Literatur bezeichnete Roger Callois das Ende des 18. Jahrhunderts, also die Zeit der Romantik. Die phantastische Literatur entstand aus dem Bedarf Rationalismus zu eliminieren und sie wurde in den Zeiten der politischen und sozialen Instabilität immer mehr verbreitet:

Besonders in historischen Perioden krisenhafter Unsicherheit, die von politisch-sozialem Paradigmenwechsel gezeichnet sind, erlebt phantastische Literatur wie andere irrationalistische Tendenzen nicht nur ihre Konjunkturen, sondern wird immer wieder von neuem Ziel jener Polemiken.52

Nach Winfried Freund53 kann man zwei Höhepunkte in der Entwicklung der phantastischen Literatur bemerken:

Zwei Gipfel ragen bisher heraus, einer verbunden mit dem Zeitalter der Revolution, der andere mit der Industrialisierung und der Entstehung der industriellen Massengesellschaft sowie mit der Katastrophe der Weltkriege.

Für den ersten Gipfel ist typisch die Schauerphantastik mit ihren Monstern, Gespenstern, Doppelgängern u.a. Ihren Höhepunkt erreicht sie im Werk von Hofmann, Poe und der Gothic Novel, ihr Einfluss lässt nach Mitte des 19. Jahrhunderts nach. Die zweite Blütezeit der phantastischen Literatur dauert von fin de siècle bis 1930. Zu den Themen der ersten Phase kommen auch „Spiritismus, Tiefenpsychologie, die Schrecken des Ersten Weltkriegs, die Auseinandersetzung mit den politischen Entwicklungen“54 hinzu.

52 Schmidt-Dengler, Wendelin; Sonnleitner Johann u. Zeyringe Klaus [Hrsg.]: Die einen raus – die anderen rein. Kanon und Literatur: Vorüberlegungen zu einer Literaturgeschichte Österreichs. Berlin: E. Schmidt, 1994. S. 99. 53 Zitiert nach Grande, Jasmin: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit:zu ausgewählten Prosawerken Alexander Lernet-Holenias. Wetzlar: Förderkreis Phantastik in Wetzlar, 2005. S. 22. 54 Grande, J.: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit:zu ausgewählten Prosawerken Alexander Lernet-Holenias. S. 22. Sowohl der Erste Weltkrieg, als auch der Zweite Weltkrieg sind wichtig für die phantastische Literatur. Diese grausamen Zeiten trugen wesentlich zur Massenbeliebtheit des Irrationalen bei.

Definition der phantastischen Literatur

Es gibt verschiedene Theorien dazu, nach welchen Kriterien man über die Zuordnung zur phantastischen Literatur entscheiden sollte. Die Inventare des Phantastischen änderten sich im Laufe der Zeit. Ich möchte mich in meiner Arbeit nicht mit allen Theorien befassen, weil dazu schon umfangreiche Studien entstanden. Die wichtigsten werden im Bezug auf die analysierten Romane erwähnt. Was den Theorien gemeinsam ist, ist das Zusammentreffen zweier Wirklichkeiten

einer Normwirklichkeit und der einbrechenden Wirklichkeit [...] wobei der Leser nicht einschätzen kann, ob die einbrechende Wirklichkeit real ist oder nicht.55

In den Werken beider Autoren, zeichnet sich die Phantastik auch durch die verschobene Wahrnehmung der Realität, was zum Verlust von Raum- und Zeitgefühl der Protagonisten führt. Clemens Ruthner ordnet diese Autoren einer „kriminalistische[n] und eher historisch-psychologische[n] Phantastik“56 zu.

Es bietet sich die Frage an, welche Motive man in diesen Romanen als phantastische bezeichnen kann. Zur Konstruktion des Phantastischen dienen hier unheimlich- dämonische Figuren und Geschichten, Visionen, Identitätsproblem, Traum- Wirklichkeits-Konflikt. Diese verschobene Wahrnehmung erzeugt die Unschlüssigkeit in dem Leser, was Todorovs Kriterium für die Bestimmung der phantastischen Literatur ist:

Zuerst einmal muss der Text den Leser zwingen, die Welt der handelnden Personen wie eine Welt lebender Personen zu betrachten, und ihn unschlüssig werden lassen angesichts der Frage, ob die evozierten Ereignisse einer natürlichen oder einer übernatürlichen Erklärung bedürfen. 57

Lüth erweiterte diese Unschlüssigkeit nach Cersowskys Vorschlag um die generelle „Ungewissheit von Figuren bzw. Leser hinsichtlich der Deutung der dargestellten 55 Grande, J.: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit:zu ausgewählten Prosawerken Alexander Lernet-Holenias. S. 14. 56 Ruthner, Clemens: Am Rande. Kanon, Kulturökonomie und die Intertextualität des Marginalen am Beispiel der (österreichischen) Phantastik im 20. Jahrhundert. Tübingen [u.a.]: Francke, 2004. S. 105. 57 Todorov, T.: Introduction à la littérature fantastique, Paris 1970, dt. Einführung in die fantastische Literatur, München 1972. Zitiert nach Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 20. Welt.“58 Lüth versteht darunter auch die Verunsicherung hinsichtlich der Frage, ob die Wahrnehmung der Figuren der Wirklichkeit oder dem Traum zuzuschreiben ist.

Verunsicherter Leser

In Meister des jüngsten Tages werden die Ereignisse im Vorwort statt eines Nachworts und in der Haupthandlung aus der Perspektive von Gottfried Adalbert Freiherr von Yosch erzählt. Er geht am 26. September mit Doktor Eduard Ritter von Gorski zu Eugen Bischoff, dem man den Krach der Bank, in der er sein Vermögen hat, und die Nichtverlängerung des Vertrages bei dem Hoftheater verheimlichen will. Hier gibt es auch seine Frau Dina, die frühere Geliebte von Yosch, ihren Bruder Felix und Ingenieur Waldemar Solgrub. Mit Begründung seiner Unfreundlichkeit zu Solgrub stellt Yosch eine glaubwürdige Instanz dar. Erster Grund sollte sein Stören des Spieles sein. Gleich darauf gesteht er, dass es nicht wahr ist:

Nein! Wen will ich denn belügen? Es ist ja alles nicht wahr. Eifersucht ist es, klägliche Eifersucht, der Schmerz verratener Liebe. Wenn ich Dina sehe, werde ich zum Kettenhund, der sie bewacht. Wer in ihre Nähe kommt, wird mein Todfeind.59

Und in mir war wilde Verzweiflung und ein stechender Schmerz – wie, um Gottes willen, ist es gekommen, dass wir einander so fremd geworden sind? schrie es in mir auf. – Kann denn das sein, dass das verschwindet, was einmal zwei Menschen miteinander verbunden hat? Wie ist es möglich, dass wir heute einander gegenübergesessen sind wie zwei Fremde und hatten einander nichts zu sagen! Wie hat es nur geschehen können, dass sie mir so plötzlich aus den Armen geglitten ist, und ein anderer hält sie an sich gepresst, und ich, ich bin es jetzt, der draußen steht und an der Tür kratzt und winselt.60

Sie spielen Musik und Yosch deutet immer die Umstände, die man Bischoff nicht verraten will, an. Dann soll Eugen ein Stück aus seiner neuen Rolle (Richard III.) vorführen. Er geht sich vorbereiten und begeht Selbstmord. Bevor er stirbt, ist er überrascht, dass er Yosch sieht und dann ist sein Gesicht voll von Hass. Man stellt fest, dass Selbstmorde von Eugen, dem Seeoffizier und seinem Bruder Gemeinsamkeiten aufweisen. Für Felix ist Yosch für den Selbstmord Eugens verantwortlich. Er sollte ihm, als er sich für seine Rolle vorbereiten wollte, folgen und ihn über seine ungünstige Lage berichten. Er wollte ihn zum Selbstmord treiben,

58 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 24. 59 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 19. 60 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 51. damit er Dina gewinnen konnte. Der Grund für zwei Schüsse ist nach ihm die Probe des Revolvers. Diese Variante wird von Doktor Gorski abgelehnt, nachdem sich Yosch mit seinem Ehrenwort dagegen wehrte. Sie beginnen also nach dem Mörder zu suchen. Die Spuren führen sie zum Sammler und Wucherer Albachary und weiter zur Apothekerin Leopoldine Teichmann, deren Nachricht für Eugen mit seinen letzten Worten („das jüngste Gericht“) übereinstimmte. Solgrub erfährt, dass man Maler Chigi Giovansimone, der 1520 in Florenz lebte, als Meister des Jüngsten Tages bezeichnete. Sie finden den Mörder zum Schluss bei Albachary. Es geht um ein Buch, in dem sich ein Rezept zur Vorbereitung einer Droge61 befindet. Albacharys Atelier benutzte der junge Maler, der Selbstmord beging. In diesem Buch befindet sich auch die Geschichte des Pompeo di Bene aus dem Jahr 1532. Sein Meister war Chigi Giovansimone, also Meister des Jüngsten Tages. Diesem versprach der Arzt Messer Donato Salimbeni, dass er wieder seine Gestaltungskraft bekommt. Chigi hatte Streit mit dem Sohn von Donates Bruder, der tot gefunden wurde. Pompeo di Bene sollte alle Zutaten für die Droge besorgen. Chigi sah nach der Aufnahme der Droge Tiere, Verstorbene und „die Farbe Drommetenrot, in der die Sonne leuchtet am Tag des Gerichts.“62 Er wird von Dämonen verfolgt, was bedeutet, dass er den Sohn von Donates Bruder wirklich tötete. Dank Salimbenis Schlag wird er gerettet. Nach dem Erwachen spricht er aber nur von den Dämonen, geht ins Kloster und zeichnet den Jüngsten Tag. Solgrub macht dasselbe Experiment, dem Seeoffizier, dessen Bruder und Eugen zum Opfer fallen. Auch Solgrub wird nicht verschont. Er reißt aber das Blatt, auf dem die Vorbereitung der Droge beschrieben ist, aus dem Buch, damit niemand mehr diesem „Monster“ zum Opfer fällt. Diese Droge erregt die Phantasie. Die Bilder, die man nach der Einnahme der Droge sieht, stammen aus dem Unterbewusstsein und enden mit der Vision des jüngsten Tages. Eugens Selbstmord wird dadurch begründet, dass er nach dem Genuss der Droge eine Vision von Dina, die mit Yosch ist, hatte. Es erklärt auch die zwei Schüsse. Mit dem ersten wollte er Yosch töten und mit dem zweiten tötete er sich selbst. Deshalb war er verwundert, als er kurz vor seinem Tod Yosch sah, der am Leben war. Nach Yosch soll damit seine Unschuld bewiesen werden.

61 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. Nachwort von Hans-Harald Müller. S. 238–239. Hans-Harald Müller führt ein, dass er sich von Arthur Conan Dyles und dessen Sherlock-Holmes-Geschichte „Der Teufelfuss“ inspirieren ließ, in der auch eine Droge (die Teufelswurzel) Todesfälle verursacht. 62 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 186. Entlarvung von Yosch als unverlässlichen Erzählers

Erst nach Yoschs Tod ändert sich die Erzählperspektive, indem die Ereignisse von dem anonymen Herausgeber auf die richtige Bahn gebracht werden. Er war Regimentsmitglied und Leser von Yoschs Bericht. Er sagt, dass er sich noch an Eugens Tod erinnert und auch daran, wie Yosch mit dieser Affäre verbunden wurde. Yosch musste seine Charge niederlegen, wodurch auch die Glaubwürdigkeit des Herausgebers unterstützt wird. Der Herausgeber sagt, dass nur der erste Teil seines Berichts wahr ist und gerade von der Stelle, an der Yosch versichert: „In mir und rings um mich war alles anders geworden, ich gehörte wieder der Wirklichkeit an“63, alles dem Phantastischen gehört. Seine Aussage entspricht der Beschuldigung, die Felix gegen Yosch vorgebracht hat. Er sollte dem Schauspieler von dem Zusammenbruch von Bischoffs Bank erzählen, der dann Selbstmord beging. Der Herausgeber hält Yoschs Darstellung für eine Erfindung, die dessen Schuld verbergen soll:

[...] aber die starren Augen in dem fahlen, verzerrten Gesicht, die blieben, die wollten nicht verschwinden.64

Den Phantasien von Yosch stellt er eine angeblich realistische Begründung gegenüber. Der Leser wird verunsichert, welche Variante die richtige ist, was das Kriterium für die Bestimmung des Phantastischen im Sinne von Todorov ist, und wird zur zweiten Lektüre veranlasst. Mit den Indizien, die die Glaubwürdigkeit des Herausgebers oder Yoschs beweisen, beschäftigte sich Hans-Harald Müller im Nachwort zu diesem Buch.65 Ich möchte hier einige von denen kurz erwähnen: Das erste Indiz für den unverlässlichen Erzähler ist, dass Yosch behauptet, dass er nicht weiß, wie lange er im Garten war, während Eugen Selbstmord beging. Diese Anschauung unterstützt auch die Tatsache, dass Yosch eine Wunde an der Stirn hat. Yosch geht nach Eugens Selbstmord in diesem Haus, in dem er schon mehrmals war, fehl. Er stößt dabei an etwas, wodurch er sich seine Wunde an der Stirn herbeiführt. Er führt an, dass es hier dunkel war und dass er das Licht nicht machen konnte. Ein paar Seiten nachher, ist er sich nicht sicher, wann und wo er zu seiner

63 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 205. 64 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 89. 65 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. Nachwort von Hans-Harald Müller. S. 209–243. Wunde kam. Lüth interpretiert diese Wunde als „Kainsmal“66. Seiner Meinung nach sollte er Eugen nicht über die Pleite der Bank benachrichtigen, in der er sein Vermögen hatte. Als er sich aber im Garten vor der Nässe schützen will, nimmt er aus der Tasche die Zeitung, in der ein Artikel darüber steht. An einer Stelle bekennt er sich, dass er der eigentliche Mörder von Bischoff ist:

,Und wie, wenn ich Ihnen nun sage, dass Felix im Recht ist? Dass sich die Sache genauso zugetragen hat, wie er es Ihnen gestern geschildert hat? Wenn ich Ihnen nun gestehe, dass ich wirklich der Mörder Eugen Bischoffs bin −?'67

Doch der Erzähler verneint es unmittelbar darauf, indem er Solgrub sagen lässt, dass er es deshalb machte, weil er ihn betrügen wollte. Yosch weiß zuerst nicht, wem die Stimme am Telefon gehört, dann erinnert er sich aber auch an die Details aus dem Leben von Leopoldines Familie. Mit Leopoldines Mutter hatte Yosch eine Liebesaffäre. Nicht nur sie, sondern auch Albachary kannte Yosch, obwohl er sich zuerst verstellt, dass er sich an beide nicht erinnern kann. Yosch war nämlich Vorgesetzter seines Sohnes. Ist das ganze nur ein Erzeugnis der Einbildungskraft des Hauptprotagonisten? Hans-Harald Müller deutet darauf hin, dass auch der Herausgeber keine glaubwürdige Person sein muss. Er würde sonst die Erklärung der zwei Schüsse geben. Dieses Spiel mit dem Leser und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der Ereignisse kann man auch in Perutz' Roman „Turlupin“ beobachten.

Mars im Widder als phantastischer Roman?

Welche Stellung hat Lernet-Holenia zur Phantastik?

Das Transzendente, Irrationale, Jenseitige lockte mich, und immer wieder versuchte ich, es zum Sprechen zu bringen in den Gedanken und Gestalten meiner Bücher. Ich glaubte, glaubte mit ganzer Seele daran, dass die übersinnliche Welt einen direkten Einfluss auf unser Tun, auf unser Leben habe – glaubte, wenn man es banal sagen will, an Geister –, und meine Phantasie schuf ihnen tausend Kostüme und Formen. Dieser Glaube ging nicht mit meiner ersten Jugend dahin, erlosch nicht mit der ersten ernüchternden Begegnung mit den sehr realen Tatsachen meines Lebens. – Nein, er verstärkte, vertiefte sich.68

66 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 293. 67 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 143. 68 Dolores Maria Bauer: Interview mit ALH – Mein menschlichstes Erlebnis: Keine Geistergeschichte, in: Neuer Kurier vom 22. November 1957. In: Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S. 48. Roman Mars im Widder wird sehr oft als phantastischer Roman bezeichnet:

Ein Traum in Rot – Roman von Alexander Lernet-Holenia, erschienen 1939. – Das Erscheinungsdatum mag dazu beigetragen haben, dass dieser kurze Roman des österreichischen Erzählers weitgehend unbeachtet blieb, obwohl er, neben Der Mann im Hut (1937), Mars im Widder (1941) und Die Inseln unter dem Winde (1952) zu seinen Hauptwerken im Bereich des Phantastischen gehört.69

Todorovs Kriterium des Phantastischen – die leserbezogene Unschlüssigkeit – ist vor allem für den Kreis um die blauäugige Cuba (was schon nach Lüth ein Merkmal des Dämonischen ist, Cuba stellt für ihn eine Art von „femme fatale“70 dar, die zwar passiv ist, aber schon durch ihre Existenz Unheil bewirkt), Herrn von Örtel und Baron Drska relevant. Vor dieser Gesellschaft, von der Wallmoden manche Leute bei dem „Kartenspiel“ kennen lernt, wird Wallmoden vom Gutsbesitzer Baumgarten gewarnt, was er als Warnung vor Cubas schlechtem Ruf missdeutet. Die Geschichte wird aus der Perspektive des österreichischen Kavallerieoffiziers Wallmoden erzählt und der auktoriale Erzähler kommentiert ab und zu das Geschehen:

Das war, wie gesagt, am Morgen des 29. August. Es waren jene zwei oder drei wirklich – nicht bloß anscheinend – kritischen Tage, an denen die Entscheidung über das Schicksal Europas fallen sollte.71

Im Falle des Kreises um Cuba lässt aber der auktoriale Erzähler den Leser im Stich. Diese Restriktion erzeugt auch wie im Falle der Romane Turlupin und Meister des jüngsten Tages Geheimnis und damit Spannung:

In Wahrheit aber gestand er [Wallmoden] sich, in ein Netz von Geschehnissen verstrickt zu sein, die er nicht begriff und denen er nicht mehr zu entrinnen vermochte.72

Auch nach dem Erschießen von Cuba erfährt Wallmoden von Leutnant Rex die wahre Identität dieser Frau nicht. Rex sollte ihm die Verabredung mit dieser Frau vermitteln, als er an der polnischen Front kämpfte. Rex sagt nur:

Es waren Existenzen aus einer ganz anderen Welt als unsereins, mit ganz andern Ehrbegriffen, wenn man das so nennen kann, und andern Vorstellungen.73

Wallmoden erfährt nur, dass Cuba Örtels Frau gewesen war.

69 Jens, Walter [Hrsg.]: Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 10. München: Kindler, 1996. S. 255–259. 70 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 375. 71 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 124. 72 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 82. 73 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 185. Diese Unschlüssigkeit wird am Ende des Textes im Unterschied zu Turlupin und Meister des jüngsten Tages nicht zerstört. Hier kommt an Stelle des „impliziten Lesers“74 im Sinne von Todorov ein realer Leser, der aber keine Indizien für die eindeutige Erklärung bekommt. Man kann nur seine Vermutungen äußern, so spricht z.B. Otto F. Beer dieser Gesellschaft eher eine politische Funktion zu:

dass der Kreis um den geheimnisvollen Herrn Örtel, den Empfänger von Geheimbotschaften, aus Österreichern bestand, denen das Dritte Reich gegen den Strich ging und die sich in verborgenen Konventikeln organisierten.75

Obwohl diese Deutung nicht zwingend ist, sollte man in Betracht ziehen, dass man in der Zeit der Entstehung des Buches wegen der Zensur sehr vorsichtig sein musste. Müller-Widmer meint, dass die Funktion dieser Gesellschaft ist, die phantastische Atmosphäre hervorzurufen: „Das Wesentliche bleibt der Eindruck des Phantastischen und nicht der politischen Widerstandsbewegung“.76

Eine phantastische Welt

Die mysteriösen Geschichten, die am Anfang der Romane Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder erzählt werden, haben die Aufgabe, eine unheimliche Atmosphäre zu schaffen. Eugen Bischoff erzählt von einem Seeoffizier, der den unmotivierten Selbstmord seines Bruders untersuchen wollte. Dieser Mann begann, das Leben seines Bruders zu führen, um darüber Klarheit zu gewinnen. Er zog nach Wien um, er war Schüler der Akademie, hatte dieselben Freunde, ging in dasselbe Stammcafé und besuchte denselben Italienischkurs, obwohl er als Marineoffizier Italienisch gut beherrschte. Dann stürzte auch er aus dem Fenster, was unbegreiflich blieb. Doktor Gorski drückt seine Skepsis gegenüber der Wahrhaftigkeit der Geschichte aus. Solgrub ahnt einen gewissen Zusammenhang zwischen diesen Selbstmorden (Selbstmorde ohne Motive; Türen in den Zimmern, wo Eugen und Seeoffizier tot gefunden wurden, waren versperrt), aber Felix lehnt seine Erklärung ab. Was einem normal vorkommt, scheint dem anderen phantastisch:

74 Berg, S.: Schlimme Zeiten, böse Räume. S. 15. 75 Beer, Otto F., Lernet im Mars, Nachwort in Mars im Widder, S. 157–161. In: Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 198 f. 76 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 98. Waldemar, du bist offenbar nicht bewusst, in welch phantastische Regionen du dich verstiegen hast.77

Während der Untersuchung bemüht sich Doktor Gorski Solgrub davon zu überzeugen, dass seine Hypothesen falsch sind. Im Verlauf der Geschichte ändern sich diese Realisten (Felix und Doktor Gorski). Nach Solgrubs Tod setzen sie selbst die Ermittlungen fort.

Die Soldaten in Mars im Widder erzählen auch Geschichten, die die phantastische Atmosphäre hervorrufen sollen. Sie sagen zum Beispiel, dass man den Leib eines Ertrunkenen nicht finden kann. Als Lösung schlagen sie vor, den Geist dieses Ertrunkenen zu fragen. Dann erzählt Major Dombaste von seinem Vetter, der in eine Russin verliebt war. Weil sie tot sein sollte, wollte man deren Geist durch spiritistische Sitzung hervorrufen. Sie war aber nicht tot und kam zu seinem Geliebten zurück. Robert von Dassanowsky bezieht auch diese Geschichte auf die Geschichte Österreichs: „The motif of resurrection suggests Austria's death and possible rebirth”.78 Dann wird eine gemeldete Besichtigung des Regiments vom Geist von Wallmodens Urgroßvater erwähnt. Der Leutnant Obentraut denkt, dass man nicht erkennen muss, dass jemand tot ist, was er mit einer Geschichte belegt. Diese Geschichte ist von einem Straßenunfall, dessen Akteur von seinem Freund, der längst tot war, erfuhr, dass auch er nicht mehr lebt. Nach diesen Geschichten meldet sich Rittmeister Sodoma spöttisch Wallmoden immer mit den Wörtern, dass er noch lebt und dass er noch nicht ein Gespenst ist.

[ Wallmoden...] ,Wichtig zu wissen wäre eigentlich nur, ob unser ganzes Leben geisterhaft oder ob es das ist, was man – allgemeinhin – wirklich nennt. Oder mit anderen Worten: ob wir selber tatsächlich Menschen oder eigentlich nur eine Art von Gespenstern sind.'79

Am Ende des Buches nach Sodomas Tod trifft Wallmoden sein Gespenst. Sodoma kann als eine Entsprechung von Doktor Gorski verstanden werden, der auch zuerst die Glaubwürdigkeit der Geschichte in Frage stellt. Im Unterschied zu ihm bleibt Sodoma sein Leben lang Realist und so wirkt er als Geist ironisch. Wallmoden erkennt nicht, dass es der tote Sodoma ist. Sodoma ist froh darüber, dass seine ursprüngliche Behauptung – die Unmöglichkeit der Unterscheidung zwischen einem Lebendigem

77 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 81. 78 Dassanowsky, R.: Phantom Empires. S. 94. 79 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 40. und einem Geist – bestätigt wird. Dann wird Wallmoden über Sodomas Tod informiert. Es könnte auch um eine Vorausdeutung gehen, weil er auch seine Geliebte nach ihrem Tod „trifft“.

Identitätsproblem

Ein weiterer Grund, warum der Roman Der Meister des jüngsten Tages der phantastischen Literatur zugeordnet werden könnte, ist das Identitätsproblem, das in der phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts häufig vorkommt.80 Von dem Identitätsbegriff ist die Literatur des Jungen Wien geprägt, wozu die Popularisierung der Formel „das Ich ist unrettbar“ von Ernst Mach beitrug.81 In diesem Fall hängt der Verlust der Identität mit Yoschs Schuld zusammen und mit seinem Wunsch diese Schuld loszuwerden:

Was habe ich noch mit ihr zu tun? Ich schiebe sie beiseite, als hätte sie ein anderer erlebt oder erdacht, ein anderer geschrieben, nicht ich.82

Auch in Mars im Widder bietet sich als zweites Kriterium des Phantastischen das Identitätsproblem. Die Geliebte von Wallmoden macht vor, dass sie Cuba Pistohlkors heißt. Nach ihrem Tod trifft Wallmoden eine Frau, die sagt, dass sie auch so heißt. Wie ist das möglich, dass Wallmoden, nachdem seine Geliebte von der Polizei erschossen wurde, als sie sich bei der Verhaftung zur Wehr setzte, zum Schluss die „blaue Stunde“83 mit einer Andern exakt zur angegebenen Zeit – am 16. September um 17 Uhr – hatte, die den gleichen Namen hatte? Wie auch oft bei Leo Perutz wird das Unheimliche und Irrationale auf natürliche Weise erklärt. Es wird mit Hilfe des Passdiebstahls erläutert, was Cubas Bezeichnung als Widerstandskämpferin rechtfertigen mag. Dazu trug noch ihr „zweifelnd[er] Blick“84 auf Wallmodens Uniform bei. Damit wird auch Cubas Antwort, als sie Wallmoden fragte, wie sie heißt, verständlich – sie müsse in den Pass gucken. Müller-Widmer interpretiert dieses Treffen zur vereinbarten Stunde gleich wie Wallmoden:

80 Neuhaus, D.: Erinnerung und Schrecken. S. 157. 81 Müller, H.: Leo Perutz. S. 114. 82 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 11. 83 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 218. 84 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 17. Die Überwindung des Todes ist also letztlich nichts anderes als der größte mögliche Liebesbeweis, den eine Frau überhaupt erbringen kann.85

Man kann hier den Einfluss von Leo Perutz sehen, und zwar die mathematische Präzision, nach der die Ereignisse stattfinden, obwohl es unwahrscheinlich scheint. Auch Wallmoden ist sich seiner Identität nicht sicher. Als er Cuba besuchte und hier nur ihre Dienerin fand, die er küsste, kam es ihm vor, als: „lebe er in zwei Personen.“86

Wahrnehmung der Zeit

Einerseits ist Yosch sehr empfindlich, was die Wahrnehmung der Details betrifft, andererseits bekennt er sich gleich am Anfang zu seiner schlechten Wahrnehmung der Zeit:

Während des Schreibens machte ich die Entdeckung, dass mein Gedächtnis eine Unzahl Einzelheiten – zum Teil recht unwichtige Dinge: Gespräche, kleine Vorfälle des Tages – lebendig und deutlich bewahrt hat; dass sich jedoch in mir von der Länge des Zeitraums, in dem sich das alles abgespielt hat, eine ganz falsche Vorstellung herausgebildet hat. Noch jetzt habe ich den Eindruck, als wären es mehrere Wochen gewesen.87

Erst dank seinen Notizen stellt er das genaue Datum der niedergeschriebenen Geschichte fest. In dem entscheidenden Moment, in dem Eugen Selbstmord beging, sagt Yosch, dass er im Garten war und dass er sich der Zeitdauer nicht sicher ist: „Ich weiß nicht, wie lange ich im Garten geblieben bin“.88 In seiner Erzählung kommen oft Erinnerungen an frühere gemeinsame Erlebnisse mit Dina, die er mit dem gegenwärtigen Geschehen verknüpft. Als er nach Eugens Selbstmord verschwand und Erklärung dafür sucht, wo er war, fällt ihm eine mit Dina zusammenverbrachte Nacht ein. Sie fragte ihn, wo er so lange gewesen war, worauf er antwortete, dass er fort gewesen war, weil er die Tür hatte zuschlagen wollen.

Auch die Hauptfigur (Wallmoden) in Mars im Widder beschreibt nach dem Traum von zwei badenden Mädchen seine Wahrnehmung der Zeit:

85 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 67. 86 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 87. 87 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 7. 88 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 39. Überhaupt hatte er von da an den Eindruck, dass seine Wahrnehmungsgabe zwischendurch, in ziemlich regelmäßigen Intervallen, auf kurze Zeit aussetzte, sie ließ, gewissermaßen, immer Takt aus, sie piaffierte sozusagen, und wenn er wieder Wahrnehmungen machte, war alles immer, wie mit einem Ruck, schon um ein Stück weiter.89

Wallmoden denkt in Janowka, wo er die richtige Cuba findet, an den Traum aus Jedenspeigen:

Es war ganz die gleiche Art von Spur, die er, im Traume in seinem Zimmer im Schloss von Jedenspeigen, gesehen hatte, damals, als er gemeint, zwei Frauen seien in sein Zimmer gekommen, doch nur eine habe es verlassen. Es konnte zwar nicht sein, dass es die Fährten der gleichen Füße waren. Denn wie wäre das Geträumte hierhergekommen! Aber sie waren die Fortsetzung jener andern, die damals irgendwohin geführt hatten und die nun wieder heraufkamen, von irgendwoher.90

Wallmoden denkt, dass die Zeit, die sich zwischen diesen zwei Erlebnissen erstreckte, nicht mehr vorhanden war.

Auch für Wallmoden war die Zeit, die zwischen dem Traum und dem Wiederauffinden der Fährten lag, auf einmal wie nicht mehr da.91

Yosch, der Erzähler in Meister des jüngsten Tages, will die Zeit, von der er in seinem Roman schreibt, vergessen:

Und es ist nicht vorüber, nein, noch immer ist es nicht vorüber, aus ihren Tiefen steigen die Bilder auf und dringen auf mich ein, nachts und am hellen Tage – jetzt freilich, dem Himmel sein Dank, nur blass und schattenhaft, nur wesenlose Schemen.92

Ihm kommt auch vor, als ob es die Zeit, in der Eugen Selbstmord beging, überhaupt nicht gegeben hätte:

Und es war mir, als hätten wir das Scherzo eben erst zu Ende gespielt, die Schlussakkorde des Klaviers und der langgezogene letzte Celloton klangen mir im Ohr. Von einer freundlichen Vision ließ ich mir vortäuschen, dass wir alle noch um den Teetisch säßen, nichts hatte sich ereignet [...]93

Für beide Hauptfiguren gibt es also bestimmte Zeiträume nicht. Was geschieht gerade in ihnen? Bei Wallmoden geht es um die Beschreibung des Polenfeldzugs und bei Yosch um den Selbstmord von Eugen und die Suche nach dem Täter, der ihn zu diesem Selbstmord „zwang“. Wallmoden will, dass seine Kriegserlebnisse nicht mehr vorhanden seien und Yosch will seine Schuld an dem Selbstmord des Schauspielers

89 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 108f. 90 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 207. 91 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 208. 92 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 11. 93 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 83. verdrängen.

Visionen und Träume

Als ein weiteres konstituierendes Merkmal des Phantastischen gelten Visionen und Träume. Als Yosch mit Eugen Bischoff und Doktor Gorski spielt, ruft in ihm Brahms H-dur- Trio die Vision des Jüngsten Tages hervor, an dem Satan siegt und die Leute der Hölle verfallen. Er bezeichnet diese Vision als Traum und vergleicht sie mit dem Traum. In Solgrub evoziert die Musik die Vorstellung von einem Invaliden aus Napoleons Kriegen, dessen Uniform er beschreibt, und der hinkt. Wenn auch Yosch ihn verspottet:

Er flucht und poltert? Der Arme! Wahrscheinlich hat er seine paar ersparten Groschen eingebüßt.94

betont Schauspieler Eugen Bischoff die Aufgabe der Phantasie, die für Künstler besonders wichtig ist:

Nur die schöpferische Phantasie, die lässt sich nicht erlernen. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Die aus dem Nichts eine Welt aufbauende Phantasie, die fehlt mir, und die fehlt vielen anderen auch, den meisten fehlt sie.95

Als man Eugen bittet, ein Stück aus seiner neuen Rolle (Richard III.) vorzuführen, sagt er, dass er sich dafür noch vorbereiten muss und dass er hofft, neue phantastische Erregungen zu bekommen. Er beneidet Solgrubs Einbildungskraft: „Den Knopf an der Uniform will ich sehen.“96 Die Apothekerin, die eigentlich zur Malerei zurückkehren will, verspricht sich von der Droge dieselbe Wirkung:

Weil ich bessere Arbeit leisten werde. Dafür lass nur den Meister des Jüngsten Tages sorgen.97

Als sich Yosch nach Dina sehnt und diese im Garten finden will, kommt es zu einer Sinnestäuschung:

94 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 23. 95 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 25. 96 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 35. 97 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 147. Einmal glaubte ich in einer Mauernische eine Gestalt zu sehen – das ist Dina – dachte ich, aber als ich näher kam, waren es Gartengeräte, zwei leere Gießkannen, ein Korb, ein aufrechtstehender Rechen und eine zerrissene Hängematte, die der Wind bewegte.98

Als Yosch zwei Schüsse hört, denkt er, dass es um Einbrecher geht, und diese treten lebendig vor seine Augen. Dann gesteht er, dass er wusste, was in Wirklichkeit passierte:

Ich wusste es plötzlich, ehe ich noch einen Blick in das Zimmer geworfen hatte, wusste ich, was geschehen war. Dass kein Kampf mit Einschleichern stattgefunden, sondern dass Eugen Bischoff Selbstmord begangen hatte. Woher mir mit einmal diese Gewissheit gekommen ist, kann ich nicht sagen.99

Nach Eugens Tod verkörpert für Yosch der Gärtner, der Gras mäht, den Tod:

Nein! Ich habe ihn nicht gerufen – wie er dasteht und mich anstarrt und die Sichel schwingt und die Halme mäht –, es ist der alte, taube Gärtner, ja, aber einen Augenblick lang sah er aus wie auf einem alten Bilde die Gestalt des Todes.100

Yosch hat nicht nur optische Halluzinationen, sondern auch akustische Halluzinationen. Nachdem Eugen tot ist, fühlt er sich krank und folgt den Ratschlägen seines Arztes, was er machen sollte, um wieder bald gesund zu werden. Als sich Yosch gegen „falsche“ Beschuldigung wehrt, behauptet er, dass er mit Eugen nicht sprach und dass er das Zimmer, in dem der Tote gefunden wurde, nicht betrat. Felix macht auf die in diesem Zimmer vergessene Pfeife, die Yosch gehört, aufmerksam. Diese Erwähnung evoziert seine Erinnerung:

Wie eine längst vergessene Erinnerung tauchte es in mir auf, als wären Jahre darüber vergangen – ich sah mich durch den Garten gehen, über den Kiesweg, an den Fuchsienbeeten vorbei – wohin ging der Weg? Was suchte ich im Pavillon? Die Türe knarrte beim Öffnen. Wie Eugen Bischoff bleich wurde bei meinen ersten geflüsterten Worten, wie er verstört auf das Zeitungsblatt starrte, wie er aufsprang und wieder zurücksank! Und der scheue Blick, der mir folgte, als ich den Pavillon verließ und die knarrende Türe behutsam hinter mir zuzog.101

Dabei denkt Yosch an Selbstmord. Er hat eine Vision, dass er sich mit dem Revolver erschießt. Diese Vision betrifft nicht nur die Sphäre des Psychischen, sondern hat auch physische Folgen. Als er zum Bewusstsein kommt, hat er Kopfschmerzen. Seine Erinnerung, in der er selbst das Zimmer betritt, und damit seine Schuld beweist, deutet er als einen Traum. Doktor Gorski sagt, dass er Eugen mit der Pfeife weggehen

98 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 39. 99 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 43. 100 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 45. 101 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 71. sah. Als Yosch Eugens Villa verlässt, vergisst er seine Wunde auf der Stirn und missdeutet erschrockene Blicke, die ihm die Vorbeigehenden zuwerfen. Er ist paranoid, er denkt, dass alle in ihm einen Mörder sehen. Zugleich ist er sich dessen bewusst, dass es nur „ein Hirngespinst“102 ist. Nach der Erklärung des Herausgebers, dass alles nur Yoschs erfundene Geschichte ist, ist er für den Leser nicht mehr paranoid, weil der Leser begreift, dass er nur seine Schuld verdrängen will, was auch sein Entschluss zu einer Reise bestätigt. Als Yosch die Droge, deren Rest sich in seiner Pfeife befindet, die Eugen benutzte, raucht, sieht er einen Leprakranken, dann sich selbst in einer Irrenanstalt. Als er daran gehindert wird, diese Anstalt zu verlassen, nimmt er den Revolver. Dabei wird er von Felix und Doktor Gorski gerade wie Chigi mit einem Schlag in die Stirn gerettet. Doktor Gorski beschreibt die Wirkung der Droge folgenderweise:

,Der Sitz der Phantasie ist zugleich der Sitz der Furcht. Das ist es! Furcht und Phantasie sind unlösbar miteinander verknüpft. Immer waren die großen Phantasten zugleich Besessene der Angst und des Grauens. Denken Sie an den Gespenster-Hoffmann, denken Sie an Michelangelo und den Höllenbrueghel, denken Sie an Poe –!'103

Auch die Farbe Drommetenrot bemüht sich Doktor wissenschaftlich zu erklären und zwar dass die Droge die Empfindlichkeit der Netzhaut für eine andere Länge der Strahlen herbeiführt.

Wallmoden hatte auch Visionen. Er erlebte eine Vision der nackten Tanzenden bei dem Dorf Würmla, wo er die Übung leitete. Als er zum Bewusstsein kam, merkte er, dass diese Vision auch auf seinen physischen Zustand eine Wirkung hatte, weil ihm die Soldaten halfen, wieder auf die Beine zu kommen. Er ist erschrocken über seine Visionen und er sucht Arzthilfe. Er ist aber nicht imstande seinen Zustand näher zu beschreiben. Der Arzt versichert ihm, dass er nicht krank ist, sondern am „gesteigerten Zustand“104 leidet und er sagt ihm, dass er froh sein soll, weil er sich dadurch von Anderen unterscheidet. Wallmoden bittet ihn trotzdem um ein Mittel gegen diesen Zustand. Als ihm der Arzt erwidert, dass es auch gegen die wirklichen Krankheiten keine Mittel sind, bemerkt der Erzähler ironisch: „ein Ausspruch, der Wallmoden davon überzeugte, dass er es eigentlich mit einem

102 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 95. 103 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 200. 104 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 114. guten Arzt zu tun habe.“105 Wallmoden befindet sich sehr oft im „Zwischenbereich“. Das ist die Bezeichnung, mit der Wallmoden den Zustand zwischen dem Leben und Tod charakterisiert. „Weil sich auch unser ganzes Leben eigentlich nirgendwo anders als in einem solchen Zwischenreich abspielt,“ sagte Wallmoden.106 Auch wenn Wallmoden nach Osten rückt, sieht er den Zug und er sagt:

Er sah einen Expresszug. Aber er fuhr so schnell, dass Wallmoden die Leute nicht genau wahrnehmen konnte, die darin saßen. Es war, als flögen die Gesichter von Gespenstern vorüber. Es schien ihm, dass der Zug, aus einer ganz andern Welt kommend, in eine ganz andre Welt fuhr. Hier jedoch war keine Welt. Hier war etwas wie ein Zwischenreich.107

Man könnte es auch auf den Zustand zwischen Wirklichkeit und Traum übertragen. Der Autor verwischt die Grenzen zwischen diesen Bereichen.

Der Traum war deshalb so merkwürdig, weil er sich in nichts – oder fast nichts – vom Wachsein unterschied, zumindest weil er, ohne sich vom Wachsein zu unterscheiden, in das Träumen hinüberging.108

Für sein Zwischenreich (im dem sich Tod und Leben, Traum und Wirklichkeit vermischen), dem man in vielen Büchern begegnet (Baron Bagge, Mars im Widder, Graf Luna), bekam er auch von Leo Perutz wesentliche Antriebe – Turlupin, der in seiner Wirklichkeit lebt, Zwischen neun und neun, wo die kurze Zeitspanne vor dem Tod als sehr lange Geschichte und als Wirklichkeit geschildert wird. Wenn Wallmoden mit Sodoma nach Wien fährt, erinnert ihn die Frau, die zu Besuch im Hause Sodomas ist (später erfährt der Leser, dass sie Cuba heißt), an die junge Russin, von der Major Dombaste erzählte. Wallmoden begann „Erzähltes und Erlebtes zu verwechseln“.109 Für Müller-Widmer ist das die chiffrierte Vorausdeutung, weil die Geschichten der Frauen parallel sind. Beide „sterben“ und dann kommen sie zurück. Die gleiche Funktion hat nach Müller-Widmer Wallmodens Traum von den zwei badenden Mädchen, die Fußspuren nur einer Frau hinterlassen. Was schon vorausdeutet, dass beide Frauen einen gemeinsamen Namen haben. Auch der Ratschlag des Herrn von Örtel, dass Wallmoden ein zweites Paar Reitstiefel brauchen wird, lässt sich als Vorausdeutung der Berufung an die Front verstehen. Diesen Herrn Örtel lernt Wallmoden an demselben Tag wie Cuba kennen, weil er ihm den Brief von

105 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 115. 106 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 11. 107 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 120. 108 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S.104. 109 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 15. ihr in die Piaristengasse bringen soll. Nach Lüth entsprechen die zukunftsungewissen Vorausdeutungen in Romanen von Lernet-Holenia den kryptischen Indizien in Perutz' Romanen.110 Auch in Mars im Widder kommen akustische Halluzinationen vor, bei ihm sind sie Bestandteile der Träume. Als er nach Sodomas Tod das Bewusstsein verliert, träumt er. In seinem Traum gräbt er, weil er fühlt, dass ihn jemand aus der Höhle ruft. Er sucht möglicherweise seine Freunde, die die Attacke überlebten.

Der Meister des jüngsten Tages als ein Kriminalroman?

Obwohl sich der Autor selbst gegen die Zuordnung dieses Buches dem Genre Kriminalliteratur wehrte:

Ich habe niemals einen Kriminalroman geschrieben, niemals überhaupt ein Buch, das sich in eine Kritik, betitelt ,Kriminalromane auf Reisen' einfügen ließe.111

gibt es in Meister des jüngsten Tages einige Merkmale, die diese Zuordnung bestätigen können. Erstens geht es um Vorausdeutungen. Schon am Anfang wird von Yosch der Tod Eugen Bischoffs und Solgrubs vorweggenommen:

Die Keule sauste nieder, zweimal, dreimal, ihr letzter Schlag traf mich, und ich wäre verloren gewesen, ich hätte Eugen Bischoffs und Solgrubs furchtbares Geschick geteilt, wenn mich nicht im letzten Augenblick ein rascher Griff zurück ins Leben gerissen hätte.112

Warum steht hier die Bemerkung, dass auch Heinrich von Kleist möglicherweise der Besitzer eines Buches war?

Auf der Innenseite des Buchdeckels habe ich zwischen den Namen der früheren Besitzer eine halberloschene Unterschrift entdeckt. Habe ich sie recht gedeutet? Sollte auch Heinrich von Kleist – – ?113

Man ahnt, dass das Ereignis gerade mit der Farbe Drommetenrot zusammenhängt, die nach Lüth bei diesen beiden Autoren als Symbol der Schuld gilt. Yosch erwähnt diese Farbe schon im Vorwort:

110 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 252. 111 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 129. 112 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 10. 113 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 10. Niemals mehr hab' ich seit jenem Tag das grauenvolle Drommetenrot gesehen. Aber die Schatten sind da, sie kommen immer wieder, sie haben mich umstellt, sie greifen nach mir – werden sie niemals aus meinem Leben verschwinden?114

Eine andere Vorausdeutung, die bei der ersten Lektüre ganz unverständlich bleibt, ist die Notwendigkeit der Beseitigung eines Blattes, damit man andere Leute rettet:

Solgrub hat kurz vor seinem Tode ein beschriebenes Pergamentblatt vernichtet, er hat es getan, damit von nun an kein Opfer mehr dem grausigen Irrtum verfallen könne.115

Warum erzählt Yosch, dass er sich das Mädchen, das kurz nach Eugens Tod anruft und das sich dann vergiftet, mit Duft von Äther verbindet? Später ruft ihm das Niederschreiben des Wortes Brom, das er als Schlafmittel benutzen will, diese Frau in Erinnerung. Er identifiziert diese Frau als Apothekerin Leopoldine Teichmann. Weiter geht es um Ähnlichkeit mit den zwei berühmten englischen Detektiven, mit Sherlock Holmes (Solgrub) und Dr. Watson (Doktor Gorski wie Hans-Harald Müller und Siegfried Kracauer meinen116, oder Yosch nach Lüth117). Ich würde eher mit Doktor Gorski als Dr. Watsons Entsprechung übereinstimmen. Er folgt, wenn auch skeptisch, den Spuren von Anfang an mit Solgrub, während Yosch als Individualist auftritt. Lüth führt weiter an, dass Holmes und Solgrub den Leser mit ihren „clues“ zur richtigen Entdeckung bringen wollen und dass Solgrub auch „Hindernisse auf dem Weg zur Lösung des Falles, der so genannten red herrings oder falschen Fährten“118 überwinden muss. Leo Perutz schöpft aus dem Inventar der klassischen Motive, indem die Toten in „locked rooms“119 gefunden werden. Aufgrund der oben erwähnten Gemeinsamkeiten mit dem Genre des Kriminalromans, wundert es nicht, dass erreichte, dass Der Meister des jüngsten Tages in die Reihe der „El Septimo Circulo“ klassischer Kriminalromane aufgenommen wurde.120

114 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 11. 115 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 11. 116 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. Nachwort von Hans-Harald Müller. S.238–239. 117 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 213–214. 118 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 218. 119 Vgl. Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S 217–218. 120 Serke, J.: Böhmische Dörfer. S. 262. Historisches Kolorit

Umgang mit Quellen

Richard A. Bermann charakterisierte Perutz' Stil:

Niemand arbeitet sorgfältiger als dieser Fruchtbare. Aus seinen historischen Romanen können die Geschichtsprofessoren lernen. Er liebt historische Themen, weil er das Bunte und Romantische liebt, am meisten, wenn ein bisschen Wüstheit und Rauferei in dem Milieu liegt. Er versenkt sich jahrelang in die Geschichtsquellen, sucht die seltensten; dann versteht er es, vergessen zu lassen, dass irgendein Studium seine Phantasie beschwerte.121

Leo Perutz, der sich dem detaillierten Quellenstudium widmete, ist Meister, was den Übergang von dem Historischen zum Fiktiven betrifft, was sich nach Brigitte Forster vor allem an seinem Roman Turlupin zeigt.122 Im Unterschied zu den anderen Büchern von Leo Perutz kann man in Meister des jüngsten Tages kein Quellenverzeichnis finden, das zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit und der Objektivität dient. In Meister des jüngsten Tages versichert Yosch, dass er die Geschichte so niederschrieb, wie er sie erlebte:

Ich habe die volle Wahrheit geschrieben. Nichts übergangen, nichts unterdrückt – wozu auch? Ich habe keinen Anlass, irgendetwas zu verheimlichen.123

Inwieweit diese Figur zuverlässig ist, wurde schon erwähnt. In Mars im Widder kann man eine Inspiration von Leo Perutz sehen. Was man hier finden kann, ist die Garantie des auktorialen Erzählers von der Wahrheit des Geschilderten:

Zu Anfang des Sommers 1939 entschloss sich die Hauptperson – um nicht zu sagen: der Held – dieses wahrheitsgetreuen Berichts, ein gewisser Wallmoden, eine soldatische Übung, zu der er verpflichtet war, mit dem 15. August zu beginnen.124

Die Quellen, die Lernet-Holenia benutzte, sind seine eigenen Tagebücher aus dem Krieg.

121 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 125–126. 122 Forster, B.: Absichtliche Unabsichtlichkeit. S. 173f. 123 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 7. 124 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 5. Historische Stoffe

Im Falle des Romans Meister des jüngsten Tages geht es zwar um einen phantastischen Roman, trotzdem werden hierher einige historische Stoffe eingearbeitet. Yosch erinnert sich an einige Details vom 26. Septembers – z.B. an die Morgenblätter, in denen man über die Balkanfrage und Jungtürken schreibt. Im Unterschied zu seiner ungenauen Zeitwahrnehmung sieht er sogar zurückblickend noch die Überschrift: „Zuwartende Haltung Abdul Hamids“125 Dieser Sultan regierte wirklich im Osmanischen Reich und ihm fielen viele Armenier in den 90er Jahren zum Opfer. Im Jahre 1909 wurde er von den Jungtürken abgesetzt. In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor zwei Namen, „Schefket Pascha“ und „Niazi Bey“126. Der erste war Führer der Befreiungsarmee und nahm an der Einnahme Konstantinopels im Jahre 1909 teil. Niazi Bey war Führer des Aufstandes in Resna. Mit diesem historischen Stoff tritt wiederum eine fabulierte Nachricht vom Zusammenbruch des Bankhauses Bergstein auf, wodurch Eugen Bischoff sein Vermögen verliert. Der Autor bemüht sich mit Hilfe dieses Mittels glaubwürdig zu wirken. Im Roman Mars im Widder kann man persönliche Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg finden. Lernet-Holenia wurde nämlich am 15. August 1939 einberufen. Er selbst wurde während des Krieges verwundet (wie die Hauptfigur des Buches). Die Operationen werden hier realistisch dargestellt. Auch die Landschaft mit ihren zerstörten Dörfern und Städten wird detailliert beschrieben.

[...] Auch taktische Einzelheiten, Beschreibung von geografischen Besonderheiten sind von Lernet-Holenia nicht erfunden, sondern seinen genauen Aufzeichnungen entnommen worden. Selbst die Personen des Romans sind den tatsächlichen Kameraden Lernet-Holenias nachgebildet.127

Trotzdem kann man hier auch Widersprüche finden, wie Wolfgang Nehring nachgewiesen hat:

Der Erzähler kann sich offenbar nicht entscheiden, ob die Polen unversehens überfallen wurden, bevor sie überhaupt an Mobilmachung denken konnten, wie es zunächst scheint, oder ob sie eigene Kriegsvorbereitungen getroffen und strategische Ziele gesetzt hatten.128

125 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 8. 126 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 8. 127 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 46. 128 Nehring,W.: Trauer, Verständnislosigkeit oder Kritik? S. 315. Auslegung der Namen

Nicht nur Wallmoden, sondern auch andere Gestalten gehen auf reale Personen zurück, so z.B. der Name Pistohlkors geht auf ein real existierendes deutsches Adelsgeschlecht zurück, Rudolf Oertel (1902–68) sollte ein Dramaturg, Schriftsteller und Dramatiker sein.129 Dassanowsky analysierte die im Roman erwähnten Wiener Straßennamen – die Salesianergasse (in der Cuba wohnt) und die Piaristengasse (wohin Wallmoden gehen soll, um den Brief dem unbekannten Örtel zu geben). Diese Straßen wurden nach Missionsorden benannt und dienen seiner Meinung nach zur Bewusstmachung der österreichischen Identität. Die Erwähnung Rodaun assoziiert er mit Hugo von Hofmannsthal.130 Stallburggasse, wohin Wallmoden mit Cuba zu Baron Drska eingeladen ist, bezeichnet Dassanowsky als „a suitable arena for gathering of representatives from Old Order Europe and their mysterious sociopolitical interest“.131

Kritik der gegenwärtigen Situation

Die Romane von Leo Perutz (wie schon in meiner Bakkalaureatsarbeit gezeigt wurde) gehören zum dritten Typ des historischen Romans in der Kategorisierung von Musato Murayama. Zu diesem Typ kann man auch Romane von Lernet-Holenia zählen, weil sie die aktuelle Atmosphäre widerspiegeln und so zur Kritik der Gegenwart dienen. Zu diesem Typ gehören vor allem Romane, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind. In diesem Typ des Romans geht es nicht um die Geschichtstreue. Dieser Typ hat den sozial engagierten und später häufig im Exil lebenden Autoren ermöglicht, sich mit aktuellen politischen Problemen auseinanderzusetzen. Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder könnte man zu diesem dritten Typ zählen, obwohl die Autoren die Handlung nicht in eine entfernte Zeit verlegen. Im Falle des Buches Mars im Widder ist es schade, weil dies das Buch möglicherweise vor der Zensur hätte retten können:

129 Ruthner, C.: ,Erzählte Zwischen-Reiche'. In: Eicher, T., Gruber, B. [Hrsg.]: Alexander Lernet-Holenia, Poesie auf dem Boulevard. S. 195. 130 Dassanowsky, R.: Phantom Empires. S. 95. 131 Dassanowsky, R.: Phantom Empires. S. 100. Warum dann benützest du nicht zeitgenössische Kostüme, Requisiten, zeitgenössische Wendungen? […] Da ist die Möglichkeit, Wahrheiten, die im zeitgenössischen Gewand nicht oder doch mit Gefahr ausgesprochen werden können, in historischer Verkleidung auszudrücken, politische Inhalte vor allem und gewagt erotische.132

Aus dem Grunde, dass Leo Perutz und Lernet-Holenia über aktuelle Ereignisse schreiben, ohne auf „zeitgenössisches Gewand“ zu verzichten, könnte man einwenden, dass es sich eher um Zeitromane als um historische Romane handelt. Lernet-Holenia begann ja acht Wochen nach der Niederlage Polens mit der Niederschrift. Beide Autoren bemühen sich mit Hilfe von nicht so entfernter „Geschichte“, sich mit den aktuellen Problemen auseinanderzusetzen, vor allem mit dem herrschenden Regime. Auch aus der Sicht des heutigen Lesers könnte man diese Werke mit dem Titel „historischer Roman“ versehen.

In Turlupin, Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder kann man Leo Perutz' und Alexander Lernet-Holenias kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und politischen Situation ihrer Zeit und ihre subjektive Weltanschauung gut beobachten. Leo Perutz und Lernet-Holenia vermitteln ihr eigenes Weltbild, in dem sie die Gegenwartssituation ablehnen.

Lion Feuchtwanger forderte, dass der historische Stoff im historischen Roman nur als Hintergrund dient und dass er den zeitgenössischen Inhalt „in historischer Verkleidung“133 vermittelt. Für ihn stellt das Historische nur ein Distanzierungsmittel dar.

Echte Dichter haben auch in ihren Schöpfungen, die Historie zum Gegenstand hatten, immer nur Zeitgenössisches aussagen wollen, ihr Verhältnis zur eigenen Zeit, ihr erlebtes Erkennen, wie viel von der Vergangenheit in der eigenen Zeit atmet.134

In Meister des jüngsten Tages denkt Yosch gleich nach dem Tode Eugen Bischoffs daran, was man noch zu besorgen hat. Man muss einen Arzt und eine Leichenbestattungsgesellschaft anrufen und die Zeitungen informieren, wobei man die Tatsache, dass es um den Selbstmord ging, verheimlichen muss. Er verspottet diesen Akt, indem er an eine Anzeige in der Zeitungen denkt, die die üblichen Floskeln benutzt:

132 Feuchtwanger, L.: Das Haus der Desdemona. S. 149. 133 Feuchtwanger, L.: Das Haus der Desdemona. S. 149. 134 Feuchtwanger, L.: Das Haus der Desdemona.S. 145. Ein plötzlicher Todesfall, unerwartetes Hinscheiden des beliebten Künstlers. Auf der Höhe seiner Schaffenskraft, unersetzlicher Verlust für die deutsche Bühne – vielen Tausenden seiner Verehrer – der schwerbetroffenen Familie –.135

Richard A. Bermann bemerkt hinsichtlich dieses Romans:

Er spielt in Wien und riecht nach Wien; einen kurzen Ausflug in die geliebte Sphäre des Historischen hat er sich nicht versagt.136

Leo Perutz erwähnt in Meister des jüngsten Tages die Dominikanerbastei137 und die Bräuhausgasse.138 Die Wiener Atmosphäre spürt man auch, als Yosch als Offizier, mit seinem Ehrenwort schwört, dass er Eugen nicht begegnet ist. Felix ist vom Gegenteil überzeugt und zeigt ihm seine Pfeife, die er im Pavillon, in dem Eugen tot gefunden wurde, hinterließ. Dann ermahnt er ihn an den Ehrenkodex – Yosch sollte wegen falscher Aussage Selbstmord begehen. Felix versichert ihm, dass er darüber das Ehrengericht informieren wird. Nachdem er auf seine Schwester Dina verzichtet, wirft Felix diese Schrift ins Feuer. Doktor Gorski erinnert an andere Standespflichten der Offiziere. Doktor kann zum Beispiel im Unterschied zu ihnen mit einer Straßenbahn fahren und muss nicht wie Solgrub und Yosch auf einen Wagen warten.

In dem Roman Turlupin schildert Leo Perutz die Situation nach dem Ersten Weltkrieg – schlechte soziale Situation, viele Bettler, große Unterschiede zwischen der Bevölkerung und dem Adel. Lernet-Holenia reflektiert die Situation nach dem Ersten Weltkrieg in Mars im Widder. Wallmoden kommt auf den Ersten Weltkrieg, genauer auf seine Heimkehr zurück:

Er sah Revolten, Feste, Bahnwagen mit zerbrochenen Scheiben, geschminkte Frauen. Er sah Automobile, Hungernde, rotdekorierte Straßen, Zuschauerräume großer Theater, ferne Länder, Abenteuer. Er sah Geschäftsleute, Elendsviertel, die Bläue der Seen und unendlicher Sommer. Er sah Spielsäle, lange Winterabende, Straßenzüge und Menschen, die er geliebt hatte.139

Er nimmt wie Perutz die sozialen Unterschiede wahr – auf einer Seite „Hungernde“ oder wie im ersten Falle „Bettler“, auf der anderen Seite „Geschäftsleute“ oder

135 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 48. 136 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 126. 137 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 9. 138 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 136. 139 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 148f. „Adel“. Lernet-Holenia schrieb dieses Buch, als der Polenfeldzug zu Ende war, aber der Krieg dauerte noch. Die Beschreibung des Elends derjenigen, die geplündert werden, lässt sich als allgemeiner Zustand und als Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation interpretieren:

Alle Straßengräben waren voll Unrat, das ganze Land schien bei lebendigem Leibe in Verwesung übergegangen, von einem Hundert Soldaten standen nicht mehr zehn bei den Fahnen, es war der beispielloseste oder zumindest jäheste Zusammenbruch aller Zeiten.140

Wallmoden sieht während des Überfalls überall Tote oder Verletzte. Am schrecklichsten wirkt die Beschreibung, als Wallmoden im Sanitätswagen mit einem Toten und zwei Verletzten fuhr. Aus dem Verletzten, der über ihm lag, tropfte Blut auf ihn herunter.

Politische Reflexionen

Persönliche Erlebnisse

Der Erste Weltkrieg wurde nicht nur von Perutz und Lernet-Holenia, sondern auch von vielen anderen Autoren als Katastrophe empfunden. Man hat sich bemüht, diesen Schock aufzuarbeiten. Leo Perutz und Lernet-Holenia haben an diesem Krieg teilgenommen. Nachdem Leo Perutz bei Burkanow an der galizischen Ostfront durch einen Lungenschuss gefährlich verletzt war, wurde er wie viele andere österreichische Schriftsteller während des Ersten Weltkriegs dem Kriegspressequartier zugeteilt.141 Lernet-Holenia meldete sich als Einjährig-Freiwilliger und trat seinen Dienst 1915 beim Dragonerregiment No. 9 ,,Erzherzog Albrecht“ an. Ab dem 20. Juli 1916 war der junge Fähnrich Lernet in Polen, der Slowakei, Russland, der Ukraine und Ungarn im Feld. Am 17. September 1917 schlug eine verirrte Granate vor dem Schützengraben, in dem Lernet Wache hielt, ein und verschüttete ihn. Ende Februar 1918 wurde das Dragonerregiment in die südrussischen und ostgalizischen Gebiete verlegt. Ihre Kriegserlebnisse und das Ende der Donaumonarchie schildern beide Autoren in ihren epischen Werken.

140 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 172. 141 Müller, H.: Leo Perutz. S. 31. Situation auf dem Balkan als mögliche Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg

Leo Perutz gelang es mit seinem Roman Turlupin, mit der fiktiven nichtstattgefundenen Revolution, seine politischen Anschichten zu vermitteln. Das alte von Habsburgern regierte Österreich war für ihn ein Ideal, weil dieser multinationale Staat im Gegensatz zu den Nationalstaaten142 den Frieden hätte garantieren können.143 Er zeigt es darin, indem Turlupin, ein Narr und Träumer, die Revolution verhindert. Der Roman Der Meister des jüngsten Tages entstand nach dem Ersten Weltkrieg. Der Herausgeber sagt, dass Yosch an dem Ersten Weltkrieg teilnahm und dass er in der Schlacht bei Limanova starb. Diese Schlacht entspricht der historischen Tatsache. Sie dauerte vom 7.12.1914 bis 10.12.1914 und die Österreicher wollten den Durchbruch der Russen nach Schlesien abwenden. In den Visionen, die Ingenieur Solgrub loswerden will, könnte man auch Perutz' persönliche Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg sehen. Dieser Ingenieur ist Deutschbalte, der an dem russisch-japanischen Krieg (1904– 1905) teilnahm. Yosch denkt gleich an die Seeschlacht bei Tsushima.144 Sie fand vom 14. Mai bis 27. Mai 1905 statt. Diese Schlacht endete mit der russischen Kapitulation. Solgrub war aber nicht in dieser Schlacht, die Yosch als erste einfällt. Er fühlt sich schuldig, weil er durch Hochspannungsströme fünfhundert Leute tötete, deren Leichen ihn überall verfolgen:

[...] irgendetwas zwang mich, unausgesetzt daran zu denken, wie das wäre, wenn die einmal vor mir ständen ‒, einer neben dem anderen, fünfhundert gelbe, verzerrte Gesichter, und in allen Verzweiflung und Todesgewissheit und Anklage ‒.145

Es ist ein Bild, dessen die Soldaten keines Krieges erspart werden. Er will seine Schuld mit Alkohol vergessen. Diese Vision wurde ihm wahrscheinlich verhängnisvoll. Man kann hier auch Polemik mit der Ursache des Krieges finden. Man beschuldigt nicht mehr den Gott, sondern, die Menschen. Solgrub meint, dass es Kriege gibt, weil

142 Auch Lernet-Holenia war ein Fürsprecher der k.u.k. Monarchie. 143 Serke, J.: Böhmische Dörfer. S. 277. 144 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 56. 145 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 114. Menschen niederträchtig sind:

,Den Krieg wollen sie abschaffen! Was hilft das? Das da' ‒ er wies mit einer Bewegung des Zeigefingers auf den Revolver ‒ ,will man aus der Welt schaffen und alles andere von der Art. Was hilft das? Die menschliche Niedertracht bleibt, und die ist von allen Mordwaffen die mörderischste'.146

Das, womit man sich nicht abfinden kann, ist für den Weltgeist ganz natürlich:

Was uns erschüttert und zu Boden wirft, wird zum ironischen Lächeln auf dem Antlitz des Weltgeistes, dem Leid und Trauer und der Tod der Kreatur nichts ist als das vom Urbeginn der Zeiten an allstündlich und ewig sich Wiederholende.–147

Der Begriff Weltgeist stammt von Hegel und ist mit dem geschichtlichen Optimismus verbunden: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“148

Unzufriedenheit mit dem herrschenden Regime

Dass Lernet-Holenia mit den bestehenden Verhältnissen in seinem Land unzufrieden war, geht aus seinem Kommentar zum Roman Mars im Widder hervor:

Die Inflation und die Deflation, die Grenzkämpfe in Kärnten und Abenteuer aller Art hatten mir schon mitgespielt, ‒ nun galt es, Hitler zu bestehen. Die ersten Jahre seiner Regentschaft freilich waren mir sehr angenehm. Er hatte sich selbst und den Seinen durch eine genial ausgedachte Reisesperre verboten, nach Österreich zu kommen, und ich war beglückt. 1938 aber durchbrach er seine weise Selbstbeschränkung, erschien in Wien, und der Teufel war los. Um ihm auszuweichen, fuhr ich nach Amerika, kam aber, 1939, wieder zurück....Im September war ich veranlasst, nach Polen ins Feld zu gehen. Die wesentlichen Züge davon sind in meinem Roman Mars im Wider zu finden.149

Vor allem der verhüllende Satz, dass er „veranlasst war, nach Polen ins Feld zu gehen“, beweist seinen Unwillen, an dem Krieg teilzunehmen. Es war der neue Titel des Buches, der verursachte, dass sich das „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ mit diesem Buch beschäftigte. Mars im Widder ist eine unheilvolle Sternkonstellation – man kann nämlich diesen astrologischen Begriff, in dem Mars und Saturn in Konjunktion stehen auf den Gott des Krieges übertragen. So wurde die Auflage verboten. Müller-Widmer führt an, dass es in dieser Stellung 146 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 57. 147 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 47. 148 Rocker, Rudolf: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Online in Internet: URL: http://www.marxists.org/deutsch/referenz/rocker/1931/xx/hegel.htm [Stand 2008-05-21]. 149 Brief von Lernet-Holenia an Hans Reimann mit autobiographischer Skizze vom 24. Juni 1946, DLA A: Reimann In: Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 69. zur Verstärkung der Eigenschaften, die für den Mars typisch sind, kommt:

Wenn nun der Mars im Widder steht, sich der Planet in seinem Domizil befindet, spricht der Astrologe von einer „Erhöhung“, das heißt: die dem Mars zugeordnete Eigenschaften treten während der Dauer dieser Konstellation in verstärktem Ausmaße hervor. [...] Der Schluss liegt nahe, dass sich zur Zeit einer „Mars-Erhöhung“ die Menschen kämpferischer, aggressiver oder willensstärker, energiegeladener gebärden.150

Die Beobachtung des Himmels muss also nicht nur triviale Funktion haben, was das nächste Beispiel veranschaulichen soll:

Zur Linken schien Mars durch das Wagenfenster. Er stand wie eine glühende Speerspitze im Zenit. Östlich war, gläsernen Blicks wie das Auge eines Wahnsinnigen, Saturn über den Horizont gestiegen.151

Als einen Wahnsinnigen bezeichnete Lernet-Holenia nämlich oft Hitler .152 Das Verbot des Buches trägt auch dazu bei, das Buch nicht nur als Unterhaltungsroman zu betrachten. Lernet-Holenia schildert den Krieg mit voller Sympathie für den Feind und dessen Mut:

Hier wurden von Seiten der Polen auch Taten wirklicher Tapferkeit verrichtet. Es gab manche, vor allem Offiziere, die sich bis zum letzten zur Wehr setzten. Aber sie wussten nicht, dass sie längst verloren seien. Sie waren seit Wochen ohne wirkliche Nachrichten, sie meinten, weiter im Norden hätten ihre Armeen Berlin längst erreicht...Sie ahnten noch nichts vom Vormarsch der Russen, sie wussten überhaupt nichts.153

Auch die richtige Cuba, die keine Ahnung von dem Krieg zu haben scheint, spricht über den Krieg: „Die Polen scheinen der Meinung, sie hätten ihn verloren.“ Wallmoden lässt noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Polen zu, indem er antwortet: „Es macht, zumindest vorläufig, diesen Eindruck.“154 Das stimmte mit dem, was von dem Dritten Reich geprägt wurde, überhaupt nicht. Von der Kriegsbegeisterung ganz zu schweigen:

[...] der Respekt vor einem Feind, der nur deshalb überrumpelt werden konnte, weil er nicht oder nur ungenügend mobilisiert hatte; dann dessen mutiges Ausharren auf einem offensichtlich verlorenen Posten, das Elend der Flucht – dies alles passte nicht zum Feindbild des „ostischen Untermenschen“.155

Auch im Buch spürt man Mitleid mit: „unseligen, geschlagenen, zerschmetterten

150 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 100. 151 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 96. 152 Ruthner, C.: Am Rande. S. 203. 153 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 173. 154 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 216f. 155 Hübel, T., Müller, M.: Alexander Lernet-Holenia: Die Lust an der Ungleichzeitigkeit. S. 48. Polen“.156

Der weitere Grund, warum das Buch nicht erscheinen durfte, war, dass hier manche Lügen Hitlers notiert sind. Es sollte sich um einen Vergeltungsschlag gegen Polen handeln, der aber wie es im Buch steht sehr lange davor vorbereitet wurde:

[...] schon am 20. August 1939 bewegt Wallmodens Regiment sich nordostwärts, am 23.8. wird – man ist jetzt unweit der polnischen Grenze – scharfe Munition ausgegeben, am 27.8. ist der Aufmarsch des Regiments beendet, am 29.8. wird die Beschießung des Dorfes Tschysne besprochen, am 1.9.1939 ist schließlich die Aufstellung der Schwadronen vollzogen157

Als größte Geschichtsfälschung kann man den Beginn des Angriffs betrachten: „Es war, auf Wallmodens Uhr noch nicht ganz dreiviertel fünf.“158 In Wirklichkeit klang Hitlers Reichstagsrede vom 1. September 1939 um 10 Uhr:

Polen hat...heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.159

Der angebliche Überfall des Senders Gleiwitz diente ihm als Begründung für die Anzettelung des Krieges. Heute weiß man auch, dass die wirklichen Akteure SS- Männer waren und dass dieser Krieg schon um 4.45 Uhr mit den Schüssen aus dem Schiff ,Schleswig Holstein' auf die Westerplatte bei Danzig begann. Es handelte sich auf keinen Fall um Zurückschießen, was auch der Augenzeuge Lernet-Holenia widerlegt. Sie erwarteten schon Widerstand polnischer Soldaten, aber Polen war für diesen Überfall ganz unvorbereitet:

Auch seine eigene Schwadron erhob sich nun und lief, mit einem vielfältigen Klappern und Rauschen der Waffen und Geräte, über die Wiese und gegen den Fluss. Wallmoden lief, so schnell er konnte, denn er war sicher, dass längs des ganzen gegenüberliegenden Hanges prasselndes Feuer beginnen müsse. Aber es fiel kein einziger Schuss.160

Deshalb könnte man diesen Roman als „Widerstandsroman“ lesen. Hilde Spiel bezeichnet diesen Roman als „einzige edel verschlüsselte Absage an Hitler im gleichgeschalteten Österreich.“161 Auch in der Zeitung wird dieses Werk als

156 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 222. 157 Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S. 228. 158 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 149. 159 Becker, Josef: ,Weltmacht oder Untergang. Der Weg von Hitlers Reich in den Zweiten Weltkrieg'. In: Altrichter, Helmut, Becker, Josef [Hrsg.]: Kriegsausbruch 1939. Beteiligte, Betroffene, Neutrale. München: Beck, 1989. S. 21. 160 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 149. 161 Zitiert nach Daviau G, Donald: ,Alexander Lernet-Holenia in der Kritik. Mit besonderer Berücksichtigung seiner Beziehungen zu Auernheimer, Bahr, Kraus und Hofmannsthal'. In: Hübel, T.; Müller, M,; Sommer, G. [Hrsg]: Alexander Lernet Holenia: Resignation und Rebellion. S. 75. „bedeutendes pazifistisches Werk“162 betitelt. Wolfgang Nehring währt sich dagegen, dass es um einen Widerstandsroman geht, weil der Autor eine kritische Stellung zur Gesellschaft um Cuba einnimmt (falls es sich um die Widerstandsgruppe handelt), indem er deren Mitglieder als Schwindler bezeichnet:

ein Widerstandsroman ist das Buch deswegen nicht. Man mag noch so sehr argumentieren, dass ein kritischer Autor sich im Dritten Reich tarnen musste; diejenigen, mit denen er sympathisiert, als Schwindlerbande zu diffamieren, zwingt ihn nichts.163

Ich neige den Ansichten von Hilde Spiel zu, dass es sich um einen Widerstandsroman handelt, weil der Autor bestimmte Sympathien für diese Gesellschaft zum Ausdruck bringt, indem er ermöglicht, dass sich Wallmoden in Cuba verliebt. Das Thema dieses Romans war von höchster Aktualität. Wie konnte sich Lernet- Holenia in dieser demagogischen Zeit trauen so etwas zu schreiben, ohne vertrieben oder verfolgt zu sein. Das verdeutlicht Prof. Dubrovic:

lässt sich wahrscheinlich mit den Beziehungen seiner späteren Frau Eva in dem von Hermann Göring protegierten Berliner Künstlerkreis erklären. Auch der wegen seiner Popularität für die Nazis wichtige Schauspieler Emil Jannings soll für seinen Freund Lernet bei Goebbels interveniert und so eine drohende Verhaftung abgewendet haben.164

Einstellung von Lernet­Holenia zu Nazis

Hinsichtlich dieser Frage kann man verschiedene Meinungen finden. Wolfgang Nehring schreibt:

von Leuten wie Raoul Auernheimer gar als Nazi oder Nazi-Kollaborateur verketzerten Lernet- Holenia.165

Schon die Tatsache, dass er während des Dritten Reiches als Leiter der Heeresfilmstelle zu den besser verdienenden Kulturproduzenten gehörte, trägt zu dieser Behauptung bei. Auf der anderen Seite wurden Filme, die nach seiner Vorlage gemacht wurden, von der Zensur beanstandet, so z.B. Mein Leben für Maria Isabell nach seinem Roman Die Standarte. Von anderen wird er als Autor der inneren Emigration bezeichnet und das vor allem

162 Die Courage eines Unmodischen. In: News. 23. Oktober 1997, Nr. 43, Wien. S. 174. 163 Nehring,W.: Trauer, Verständnislosigkeit oder Kritik? S. 317f. 164 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 70. 165 Nehring,W.: Trauer, Verständnislosigkeit oder Kritik? S. 305. auf Grund des Romans Mars im Widder. In der Rezension von Daniela Strigl zu dem Buch Literatur der „Inneren Emigration“ aus Österreich, in das auch Lernet-Holenia angenommen wurde, kann man lesen:

Er [Mars im Widder] dient als Beispiel für die Strategien des „verdeckten Schreibens“, dessen Resultate mitunter jedoch von der NS-Presse vereinnahmt wurden.166

Aber auch hinsichtlich des Romans Mars im Widder kann Lernet-Holenia nicht eindeutig als Nazigegner angesehen werden. Manche Passagen, in denen der Autor mit aller Sympathie für Polen auftritt, fehlen in der Zeitschriftausgabe.167

Dass Lernet-Holenia den Barbarismus der Nazis verurteilte, erklärt Dassanowsky mit Wallmodens Interesse für die umgestoßene Bibliothek, die er in der verlassenen Wohnung eines Beamten in Polen fand, und für das Buch auf dem das polnische Wappen der Aristokratie Gozdawa ist. Er drückt auf diese Art und Weise seine Auseinandersetzung mit Nazis, die solche Bücher verbrannten.168 Auch in dem Roman Graf Luna, in dem er auf die Mitschuld Österreichs am Zweiten Weltkrieg hinwies, kann man widersprüchliche Äußerungen des Erzählers finden, die die Konzentrationslager betreffen:

[...] dass sich das Dritte Reich...Sklaven hielt; nicht verständlich aber war, dass es diese seine Sklaven, zum Unterschied von der Art, auf welche sie anderswo gehalten wurden, so miserabel behandelte, dass es sich um ihre Arbeitskraft und mithin auch um den Nutzen brachte, den es davon hatte, beziehungsweise hätte haben können.169

Symbolhaftigkeit des Krebszuges

Wenn Wallmoden am Vorabend des Überfalls auf Polen den Zug der Krebse sieht, ist er sich seiner Wahrnehmung nicht ganz sicher, er erwägt die Möglichkeit, dass er träumt.

Der Zug, schabend und schleifend, rasselnd und klirrend wie ein Geschwader von Gerüsteten, bewegte sich dahin, eine Summe unzählbar vieler Bewegungen, und schien unaufhaltsam, es war, als sei es ein einziges Tier, das über die Straße krieche, die Fühlfäden tasteten, die Augen starrten, und die Panzer glänzten im Mondlicht. Indem Wallmoden sich über die Krebse beugte und sie betrachtete, gingen ihm Worte, welche er kannte, durch den Sinn, aber wenngleich er

166 Strigl, Daniela: „Verdecktes Schreiben“ gegen den NS-Staat. in: Der Standard, 20. November 1999, Wien, S. 39. 167 Ruthner, C.: Am Rande. S. 197f. 168 Dassanowsky, R.: Phantom Empires. S.107. 169 Lernet-Holenia, Alexander: Der Graf Luna. Wien [u.a.]: Paul Zsolnay Verlag, 1981. S. 56f. selber es war, der sie im Ohr hatte, schien ihm dennoch, als spräche Rosthorn sie ihm vor [...].170

Die herankommenden Soldaten verursachen das plötzliche Verschwinden dieses Phänomens. Der Hauptzweck dieser kryptischen Schilderung ist meiner Meinung nach nicht den Eindruck der Ambiguität zu erwecken, sondern eher politisch (Krebse als Symbol der Panzerarmeen). Manche Kritiker (Roček und Funk) denken, dass Lernet-Holenia mit dieser Wanderung der Krebse von Osten nach Westen schon im Jahre 1941 Ende des Krieges prophezeite, also die Flucht der besiegten Deutschen aus den Ostgebieten. Müller-Widmer sieht darin dagegen die Flucht der Polen, die von Deutschen und Russen eingekreist wurden.171 Dazu könnte auch Wallmodens Gefühl beitragen, dass er diese Wanderung verursachte. Dass die Polen zuerst nach Osten und nach dem Eintritt der Russen nach Westen zu fliehen begannen, erwähnt Lernet- Holenia im Mars im Widder auch. Das Volk ging

ostwärts. Das ging bis gegen die Mitte des September. Danach begann die ganze Flucht sich, vor den Russen, die inzwischen gleichfalls in den Krieg getreten waren, wieder westwärts zu wälzen.172

Die Auto(r)interpretation ist noch anders:

[...] als Leseprobe könnte ich zum Beispiel aus dem (vergriffenen) Buch ,Mars im Widder' den sog. Zug der Krebse bringen, eine Episode, die sich in der Nacht vor dem Beginn des 2. Weltkrieges abspielt und das Vorrollen der russischen Panzer symbolisiert;“ (Brief, aufbewahrt im Literaturarchiv der Österr. Nationalbibliothek).173

Nach dieser Erscheinung folgt das lateinische Vulgata-Zitat, das das apokalyptische Bild nur unterstützt. Auch Rosthorn benutzt oft lateinische Ausdrücke. Dassanowsky erklärt die Benutzung der lateinischen Sprache als Auseinandersetzung mit der These der Nationalsozialisten, dass germanische Sprache die höchste Kultur darstellt.

Die Antwort auf die Frage, warum Lernet-Holenia die Metapher benutzt, erklärt Roman Roček. Der Autor als Reserveoffizier in der Deutschen Wehrmacht könnte sich die offene Kritik am Regime nicht leisten, sonst wäre er wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt worden.174 So wundert es nicht, dass die Anspielung zu Zeiten der Diktatur sehr beliebt war.

170 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 144f. 171 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 105. 172 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 173. 173 Zitiert nach Ruthner, C.: Am Rande. S. 206. 174 Roček, R.: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. S. 229. Müller-Widmer und Robert Menasse175 vertreten die Ansicht, dass nicht die Schilderung des Polenfeldzugs das Hauptthema des Buches ist, sondern eher die Geschichte mit Cuba. Lernet sieht sich historisch, er betont die Eingebundenheit seines Werks in seine Zeit:

Was ich je geschrieben habe, wird man einst, so glaube ich, nicht mit den Maßstäben der Literatur, sondern der Geschichte messen. An sich ist's, so viel es ist, nicht viel; aus dem Blickwinkel der Ereignisse gesehen aber ist's fast alles.176

Es ist klar, dass Leo Perutz und Lernet-Holenia in die Romanhandlung Probleme ihrer Zeit hineinprojizierten. Wollen sie aber nichts mehr? Erschöpft sich die Funktion der fiktiven Elemente darin, eine unterhaltsame Form für die Erörterung der Gegenwartsprobleme zu bieten? Um diese Fragen beantworten zu können, will ich zuerst die Tendenzen im Schreiben des historischen Romans zeigen.

Typologie des historischen Romans

Obwohl der historische Roman schon seit dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts definiert ist, hat man bis zur heutigen Zeit keine allgemein gültige Definition gefunden. Zuerst möchte ich den Unterschied hervorheben, der zwischen dem historischen Roman und der Geschichtsschreibung liegt. Nach Reinhold Bichler (Geschichte und Fiktion. Bemerkungen zur klassischen Historie der Griechen)177 wird schon seit der Antike, seit Theophrast (4./3. Jh. v. Chr.), über das Problem des Verhältnisses von Fakten und Fiktion diskutiert. Nietzsches Buch Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben178 regte zu weiteren Auseinandersetzungen an. Leo Perutz sah zwischen Historiographie und historischer Dichtung folgende Unterschiede:

zwei in Zielsetzung und Methode gänzlich verschiedene konstruktive Bemühungen der Menschen, ihrer Geschichte inne zu werden und sich ihres Ortes in ihr zu vergewissern.179 175 Luehrs-Kaiser, Kai: ,Gebrauch des Trivialen. Zur Funktion des Gattungsklischees in den Romanen Alexander Lernet-Holenias'. In: Hübel, T.; Müller, M.; Sommer, G. [Hrsg]: Alexander Lernet Holenia: Resignation und Rebellion. S. 46. 176 Autobiographische Skizze, DLA A: Reimann. In: Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 399. 177 Holzner, Johann, Wiesmüller, Wolfgang: Projekt historischer Roman. Ästhetik der Geschichte. Online in Internet. URL: http://www.uibk.ac.at/germanistik/histrom/docs/einl.htm . [Stand 2008-03-12]. 178 Müller, H.: Leo Perutz. S.109. 179 Müller, H.: Leo Perutz. S.109. Die Ansicht, dass das Ziel des historischen Romans keine treue Darstellung der Ereignisse ist, vertrat auch Alfred Döblin.180 Auch wenn die historischen Romane nicht objektiv sind, sind sie lebendiger als diejenigen, deren Ziel historische „Wahrheit“ ist. Lion Feuchtwanger begründet das:

Es ist nun einmal so, dass sich die Fakten nicht behaupten können gegen gut gefügte, glaubhafte, das Gemüt anrührende, lebendige, lebensfördernde Dichtungen.181

Statt einer rein positivistischen Historiographie, die nach Lion Feuchtwanger nur trockene Fakten vermittelt, lobt er sehr die Phantasie der Dichtung:

Keine tiefere und mehr beglückende Erregung weiß ich mir, als wenn große Dichtung mich teilnehmen lässt am Leben vergangener Menschen, wenn ihre Gedanken die meinen werden, ihre Probleme die meinen dergestalt, dass ich ihre komplexen Spürungen miterlebe und dass ihre Zeit und die unsere Ein Strom, Ein Fließendes werden.182

Hayden White sagt in seinem Buch (Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe), dass Historiker eigentlich Erzähler sind.183

Analysierte Bücher Turlupin, Meister des jüngsten Tages und Mars im Widder sind Dichtung und Wahrheit in einem. Wolfgang Nehring führt diese Tatsache hinsichtlich der Werke Der Baron Bagge und Mars im Widder von Lernet-Holenia an:

Aber in beiden Werken ist das Poetische mit Historischem und Zeitgeschichtlichem eng durchwoben.184

Entstehung und Entwicklung des historischen Romans

Anfänge des historischen Romans sind in England zu sehen und zwar im Roman Waverley aus dem Jahre 1814 von Walter Scott. Auch bei ihm tritt eine fiktive Nebenfigur, ein „mittelmäßiger“185 Held auf, dessen Aufgabe es ist, zu zeigen, dass die Namenlosen Träger der Geschichte sind. Die Geschichte wirkt zugleich auf den

180 Zitiert nach: Murayama, Masato: Leo Perutz. Die historischen Romane. Diss. phil., Wien, 1979. S.72. 181 Feuchtwanger, Lion: Das Haus der Desdemona: Größe und Grenzen der historischen Dichtung. Rudolstadt: Greifenverlag, 1961. S. 29. 182 Feuchtwanger, L.: Das Haus der Desdemona. S. 34. 183 Rea, Vicki:Metahistory. Online in Internet: URL: http://www.lehigh.edu/~ineng/syll/syll-metahistory.html [Stand 2008-5-20]. 184 Nehring,Wolfgang: ,Trauer, Verständnislosigkeit oder Kritik? – Alexander Lernet-Holenias Baron Bagge und Mars im Widder als zeitgeschichtlicher Kommentar zur österreichischen Situation'. In: Daviau, Donald G. [Hrsg.]: Jura Soyfer and his time. Riverside, Calif.: Ariadne Press, 1995. S. 307. 185 Lukács, G.: Der historische Roman. S. 26ff. Leser lebendiger, weil er sich mit diesem Helden identifizieren kann.

Der historische Roman nach dem Ersten Weltkrieg

Die phantastische Literatur und auch der historische Roman erleben Renaissance in politisch und sozial unstabilen Zeiten. Der historische Roman war sehr beliebt zwischen 1918 und 1933. In den zwanziger und in den beginnenden dreißiger Jahren überwiegen in der österreichischen Literatur Romanbiographien. Der Geschichtsablauf scheint von den einzelnen Persönlichkeiten bestimmt zu sein. Die klassischen historischen Romane des 19. Jahrhunderts, werden durch die „modernen“ ersetzt. Für den ersten Vertreter dieses Romans hält Hans-Harald Müller Alfreds Döblins Roman Wallenstein aus dem Jahre 1918.186

Der historische Roman in der Zeit des Zweiten Weltkrieges

Eine Statistik187 zeigt, dass die Anzahl der historischen Romane ihren absoluten Höhepunkt im Jahre 1937 erreichte. Nach Helmut Koopmann (Geschichte, Mythos, Gleichnis: Die Antwort des Exils) erlebt in dieser Zeit der historische Roman einen Aufschwung. Unter der Bedrohung des Faschismus kommt es vor allem im Exil zu einem „Sich-Vergewissern der eigenen Identität“188. Dieser historische Roman war aber nicht historisch getreu – er stand zwischen Geschichte und Mythos. In diesem Zusammenhang werden Lion Feuchtwanger, Heinrich und Thomas Mann erwähnt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs kommt es zum Zusammenbruch des literarischen Markts und auch zum Rückgang der historischen Romane. Es war Umberto Eco mit seinem Roman Il nome della rosa (Der Name der Rose), der in Deutschland 1982 publiziert wurde, dem großer Dank für die wiedergewonnene Stellung dieses Genres gehört. Nach Lüth ließ sich Eco für diesen Roman gerade von Meister des Jüngsten

186 Müller, H.: Leo Perutz. S. 103. 187 Habitzel, Kurt, Mühlberger, Günter: Projekt historischer Roman. The German historical novel (1780 – 1945). Online in Internet. URL: http://www.uibk.ac.at/germanistik/histrom/docs/kent.html . [Stand 2008-03-12]. 188 Holzner, Johann, Wiesmüller, Wolfgang: Projekt historischer Roman. Ästhetik der Geschichte. Online in Internet. URL: http://www.uibk.ac.at/germanistik/histrom/docs/einl.htm . [ Stand 2008-03-12]. Tages inspirieren189. Es waren die Autoren des Postmodernismus wie Patrick Süskind (Das Parfüm), Sten Nadolny (Die Entdeckung der Langsamkeit) und Christoph Ransmayr (Die letzte Welt), die den neuen Stil dieses Genres im deutschsprachigen Raum prägten.

Perutz´ Reaktion auf die Monumentalbiographien

Wie Perutz' auf die Marktüberflutung mit Monumentalbiographien reagierte und wie er die Geschichte wahrnahm, zeigte ich schon in meiner Bakkalaureatsarbeit an dem Roman Turlupin. Ich möchte meine Hypothesen durch den zweiten analysierten Roman Meister des jüngsten Tages unterstützen und die entsprechenden Tendenzen bei seinem Schüler Lernet-Holenia an Mars im Widder zeigen.

Antihelden

Die Hauptgestalten in diesen drei Romanen sind Hauptgestalten, keine Helden im rechten Sinne des Wortes. Turlupin wird als Narr und Träumer charakterisiert und er ist Objekt der Komik. Yosch hat keinen guten Ruf. Er wird von Felix als „Raubzeug“190 bezeichnet. Er vergleicht ihn also mit nicht jagdbaren Tieren, die dem Nutzwild nachstellen. Auch Aussagen von Doktor Gorski werfen kein gutes Licht auf ihn – Yosch sollte als Kavallerieoffizier einige Morde im Duell verursachen. Wenn Solgrub den Mörder sucht, fragt er Yoschs Freunde nach der Meinung von ihm. Seine Meinung von Yosch stimmt dann mit der Meinung des Doktors und Felix' überein. Yosch weist manche Züge eines Antihelden wie Turlupin, wird aber in keine historische bedeutsame Handlungen verwickelt. Man kann deshalb diese Figur nicht als Reaktion auf die Monumentalbiographien betrachten. Wallmoden könnte man auch als einen Antihelden bezeichnen. Auch der Erzähler spricht ihm am Anfang die Rolle eines Helden ab:

Zu Anfang des Sommers 1939 entschloss sich die Hauptperson – um nicht zu sagen: der Held [...]191

189 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 221. 190 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 72. 191 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 5. Er ist zwar nicht ein Narr, aber doch ein Träumer wie Turlupin (siehe Kapitel Mars im Widder als phantastischer Roman?). Grund dafür, dass er nicht als Narr charakterisiert wird, der das Geschehen beeinflusst, ist, dass Lernet-Holenia seine persönlichen Ereignisse darstellen wollte. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Narr die Ereignisse ändern könnte, die so viel Unheil in Europa verursachten. Der Kavallerieoffizier Wallmoden lebt sozusagen vorwiegend in seinen Träumen und so interessiert er sich kaum für das Kriegsgeschehen. Er kümmert sich eher um sein Liebesleben. Als das Regiment abmarschieren soll, kommt es ihm vor, als ob er zu Cuba fahren sollte. Leutnant Rex, der als Vermittler zwischen ihm und Cuba fungieren soll, hält das Datum für die Verabredung für sehr naiv. Wallmoden rechnete nämlich damit, dass er einen Monat dienen wird, und weil er am 15. August in den Dienst trat, muss er doch spätestens am 15. September zu Hause sein. Als Rex von Cuba kam und vortäuschte, dass er sie traf, sagte er, dass man mit Wallmodens baldigem Zurückkommen nicht rechnet, weil man schon weiß, dass der Krieg kommt. Wallmoden wundert sich sehr:

Wieso rechnete man schon am dreißigsten mit dem Krieg? Hier rechnete damals noch niemand damit.192

Wenn er überhaupt an den Krieg denkt, so steckt er noch mit seinen Gedanken in dem Ersten Weltkrieg. Diese Erinnerungen werden durch Ereignisse in dem Zweiten Weltkrieg evoziert:

,Von hier aus,' sagte er plötzlich, indem er an einer bestimmten Stelle stehen blieb, ,von hier aus bin ich zum ersten Mal ins Feld gegangen. Wir hatten mehrere Monate lang in der Stadt in Garnison gelegen. Hier war es, wo wir in den Zug stiegen, hier an dieser Stelle. Ich war damals achtzehn Jahre, oder wenig mehr.'193

,Früher, wenn Geschwader sich auf den Marsch begeben hatten, war es mit dem Rauschen unzähliger Hufe geschehen, als wirble der Wind welke Blätterhaufen empor oder als fielen Eisschloßen. Nun tosten die Motoren.'194

Er hat auch keine Ahnung von dem technischen Equipment. Man verwendet nicht mehr Schrapnells, sondern Granaten:

So dachte er die Schrapnellwolken sind jetzt schwarz, früher waren sie weiß oder pfirsichblütenfarben gewesen. Aber man erklärte ihm, es gebe keine Schrapnells mehr. Es sei ein Richtschuss gewesen. Es gebe nur noch Granaten.195

192 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 162. 193 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 169. 194 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 100. 195 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 150. Man benutzt also nicht mehr Pferde, sondern Motorfahrzeuge, gegen Gasvergiftung werden Losantintabletten eingeführt, auch die Visage der Soldaten veränderte sich, sie haben keine roten Hosen mehr, sondern graue Uniformen. Darin kann man auch seine Sehnsucht nach der k.u.k. Monarchie sehen. Weil Wallmoden mit seinen Gedanken im Ersten Weltkrieg verbleibt und weil er sich nach dem Ende der Donaumonarchie mit der Realität nicht abfinden kann, handelt es sich hier um den „doppelten Untergang“:

den offensichtlichen, aktuellen des Zweiten Weltkriegs, der aber nur eine Wiederholung des früheren Unterganges der Donaumonarchie in endgültiger Form darstellt. Der Anschluss an Deutschland bedeutete den definitiven Untergang Österreichs, weil dadurch nicht nur eine Staatsform vernichtet wurde, sondern ein Kulturgut, das trotz des Untergangs der Donaumonarchie noch bis zum Zweiten Weltkrieg weiterbestanden hatte.196

Der Name dieser Gestalt hatte auch sein wirkliches Vorbild, und zwar in der deutschen Grafenfamilie. Mitglieder dieser Familie waren auf dem militärischen Gebiet tätig, z.B. als Generäle oder Diplomaten auf dem Wiener Kongress.197 Eine intertextuelle Beziehung könnte das Gedicht Des edlen Herrn Thedel von Wallmoden Leben und Taten in Armin/Brentano Des Knaben Wunderhorn sein.198

Den gleichen Namen hat auch der Hauptheld des Romans Jo und der Herr zu Pferde (1933). Dieser Roman spielt sich nach dem Ersten Weltkrieg ab. Nach Clemens Ruthner erfüllt dieser Name eine „Klammerfunktion“, weil die beiden Romane, in denen dieser Name vorkommt, die „Kontinuität zwischen den Ereignissen der beiden Weltkriege schaffen.“199

Die Kontinuität der Geschichte

Leo Perutz lehnte mit seinem Roman Turlupin das Ursache-Wirkungs-Schema der Monumentalbiographien ab, sowie auch die Kontinuität der Geschichte. Bei ihm passiert etwas aufgrund von Zufällen oder deshalb, weil es das Schicksal wollte. Obwohl Meister des jüngsten Tages in den geschichtlichen Verlauf politischer

196 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 147. 197 Ruthner, C.: Am Rande. S. 196. 198 Ruthner, C.: Am Rande. S. 197. 199 Ruthner, Clemens: ,Erzählte Zwischen-Reiche'. In: Eicher, T., Gruber, B. [Hrsg.]: Alexander Lernet- Holenia, Poesie auf dem Boulevard. S. 195. Ereignisse nur marginal integriert ist, möchte ich aus diesem Buch einige Beispiele nennen, weil diese zwei Größen zu den Bauelementen von Perutz' und Lernet- Holenias Werk gehören.

Zufälle

In Turlupin ist alles Folge der Zufälle. Turlupin legt die Situationen, die seine Handlung anregen, meistens falsch aus. Dafür ist seine Einbildungskraft verantwortlich, die alles nach seinem Herkunftswahn interpretiert. Yosch in Meister des jüngsten Tages erklärt seine Teilnahme an Eugens Selbstmord als Zufall:

Ein unsinniger Zufall hatte mich in den Mittelpunkt eines Ereignisses gerissen, mit dem ich mich auch nicht durch die leiseste Beziehung verknüpft fühlte.200

Damit will er seine Schuld verbergen. Auf seinem Weg aus Eugen Bischoffs Villa kommentiert Yosch seine Begegnung den Leuten:

Welche Tollheit, dass ich aus den Augen fremder und gleichgültiger Menschen, die der Zufall mir in den Weg geführt hat – dass ich aus ihren Mienen Felix' unsinnige Beschuldigung herausgelesen habe!201

Aufgrund von Zufällen passieren auch vom Protagonisten geplante Treffen in Mars im Widder. Wallmoden ist wie Turlupin kein passiver Held. Er bestimmt selbst den Tag, an dem er mit Cuba Rendezvous haben soll. Wallmoden trifft, obwohl es unwahrscheinlich scheint, die wahre Cuba in Janowka in einem Gutshof. Er gerät hierher zufälligerweise nach der Panne des Sanitätswagens, in dem er transportiert wurde, weil man dachte, dass er verletzt war.

Trotzt seines Eingreifens wickelt sich das Schicksal ab, besser noch; es wickelt sich gerade erst wegen seines Eingreifens ab, denn den Zeitpunkt des Rendez-vous hat er ja selbst bestimmt.202

Die Zufälle werden als unausweichliches Schicksal aufgefasst.

200 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 118. 201 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 94 – 95. 202 Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 55. Rolle des Schicksals bei Leo Perutz und Lernet­Holenia

Das Schicksal ist für Leo Perutz ein Mittel, mit dem man den Sinn der Geschichte bestreiten kann. Das Handeln der Gestalten und der Verlauf der Ereignisse sind von einem höheren Wesen prädeterminiert. Alfred Polgar, der Perutz´ Romane interpretiert hat, hat dazu bemerkt:

Es ist ein Wirkungsgeheimnis dieser Bücher, dass die Ereignisse, deren Chronik sie sind, nicht nur ihre, mit aller Technik und Schlauheit einer ausgepichten Erzählerbegabung gefügte logische Folgerichtigkeit haben, sondern auch eine überlogische Kausalität, deren Kette letztes Stück durch Gottes Finger läuft. Der ist in jedem Buch von Perutz, so fern es aller Gläubigkeit und Religiosität, merkbar. 203

Seine Anwesenheit im Hause des Schauspielers Eugen begreift Yosch zuerst als Zufall, dann glaubt er, dass es Wille des Schicksals ist:

Und Staunen und Überraschung ergriff mich bei dem Gedanken an dieses Spiel des Zufalls, dass ich hier war, gerade heute und in dieser Stunde, dass ich zur Stelle war, da das Schicksal winkte. – Nein! Das war kein Spiel des Zufalls, das war mir so bestimmt gewesen, weil es unabänderliche Gesetze gibt, denen wir gehorchen.204

Der Herausgeber meint, dass das Schicksal als Ausrede für die Kriminellen dient:

Erfahrene Kriminalisten geben Antwort auf diese Frage. Sie verweisen auf das ‚Spiel mit den Indizien’, auf jenen bei vielen Verurteilten beobachteten selbstquälerischen Drang, die Indizien ihrer Tat umzudeuten, sich selbst immer den Beweis zu erbringen, dass sie schuldlos sein könnten, wenn das Schicksal es nicht anders gewollt hätte.205

Die häufige Berufung auf das Schicksal könnte als Gegensatz zur Schmidt-Denglers Darlegung betrachtet werden, der die Rolle des Zufalls in Perutz´ Werk hervorhebt. Leo Perutz relativiert aber diese Größe und zeigt, dass auch das Schicksal vom Zufall, von der Laune Gottes, abhängig ist:

Vielleicht hat Gott nach Art der großen Herren sich einen guten Tag aus einem einfältigen Menschen gemacht.206

Er führt auch an, dass Leute Vorstellungen des Schöpfers nicht entsprechen:

203 Müller, H.; Eckert, B.: Leo Perutz 1882–1957. S. 161. 204 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 52. 205 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 206. 206 Perutz, L.: Turlupin. S. 153. Wir alle sind Gebilde, die dem großen Willen des Schöpfers misslungen sind. Wir tragen einen furchtbaren Feind in uns und ahnen es nicht. Er regt sich nicht, er schläft, er liegt wie tot. Wehe, wenn er zum Leben erwacht! Möge niemals wieder ein menschliches Auge die Farbe Drommetenrot erblicken, die ich gesehen habe, ja, Gott helfe mir, ich habe sie gesehen. – 207

Er verspottet diese Instanz. In Meister des jüngsten Tages werden verschiedene Rollen angeführt, die der Schauspieler Eugen Bischoff verkörperte – auch die Rolle Gottes. Solgrub begreift nicht, warum die letzten Worte von Eugen „das jüngste Gericht“ waren, obwohl er nicht fromm war. Über die Frömmigkeit spricht Solgrub zuerst als vom „Märchen für gläubige Kinder.“208 Desto mehr verwundert seine Angst davor, dass ihn diejenigen, die er tötete, vor dem Richterstuhl Gottes anklagen könnten.

Mit dem Begriff Schicksal operiert Lernet-Holenia sehr oft in seinen Büchern. Er wurde als Fatalist bezeichnet.

,Jeder Mensch hat nur ein eigenes Schicksal' sagte er. ,Man glaubt zwar, das Schicksal sei ein zufälliges, aber in Wirklichkeit passt alles, was einem widerfährt, zu einem selbst.'209

Wenn sich Wallmodens Verabredung nicht stattfinden kann, legt er es als sein Schicksal:

Und wäre es, zum Beispiel, nicht auch mein Schicksal, jetzt hier zu sein und, wenngleich ich es nicht begreife, nirgendwo anders als hier, so befände ich mich bei einer Frau, die ich geliebt habe, eben jetzt befände ich mich bei ihr – um diese blaue Stunde, wie die Leute diese Zeit nennen.210

Die Entscheidung von Wallmoden für den Termin der Übung, scheint aufgrund der Aussage des Erzählers auch prädeterminiert. Der Erzähler erwähnt, dass Wallmoden früher eventuell später einrücken könnte:

Er vermochte nur anzugeben, dass er das Gefühl gehabt: er sei dort, an jenem Tage, erwartet worden. Von wem aber?211

Gleich wie Turlupin fühlt er, dass alles einem höheren Willen unterliegt. Auch das Rendezvous mit Cuba findet schließlich statt. Sein Fatalismus war die Ursache für manche Kritik. Dieser Begriff wurde in Zusammenhang mit Nationalsozialismus gebracht, auf das Schicksal und nicht auf

207 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 12. 208 Perutz, L.: Der Meister des jüngsten Tages. S. 59. 209 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 217. 210 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 218. 211 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 5. den Menschen wurde die Verantwortung für die Kriege übertragen. Das steht aber im Gegensatz dazu, wie er diesen Begriff am Anfang des Buches definiert:

Allein die zwei Machtbereiche, des Willens sowohl wie des Schicksals sind inkongruent. Sie decken sich niemals vollkommen. Bestimmt ist nur eines: dass diese Sphären ineinander greifen und dass das Schicksal dem Willen und der Wille letzten Endes nur dem Schicksal dient – wovon das Folgende ein Beispiel sein möge.212

Also nicht nur das Schicksal, sondern auch der Mensch ist an dem Geschehen schuldig. Wie stark der Wille sein kann, belegt die Geschichte, die von Wallmoden erzählt wird. Man kann sogar durch seinen Willen die Kugel, die sich in der Luft befindet, beeinflussen und damit gleichzeitig sein Schicksal beeinflussen. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch persönliche Geschichte, dass ihn russische Snajpers nicht erschossen, weil er nicht wollte. Im Unterschied zu Leo Perutz erfährt man nicht, ob auch das Schicksal mit dem Willen Gottes gleichzusetzen ist. Wallmoden denkt über diese Instanz während des Marsches gegen Lubien nach. Sie nahmen einige Zivilisten zur Hinrichtung und indem sie beteten, fiel Wallmoden ein:

[...] wie Gott sich wohl, in diesen Augenblicken, zu ihnen verhielt. Wahrscheinlich blieb er so unbeweisbar wie immer.213

Sinn der Geschichte

In ihren Werken benutzen Leo Perutz und Lernet-Holenia überwiegend fiktive Elemente als Reaktion auf den Historismus des 19. Jahrhunderts. In den Romanen beider Autoren kommen sowohl fiktive als auch reale Personen vor, was Geschichtsschreibung und literarische Fiktion in Zusammenhang setzt. Leo Perutz und Lernet-Holenia sind derselben Meinung wie Theodor Lessing, der Autor des Buches Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen.214 Für alle ist die Geschichte chaotisch (was das Handeln des Narren Turlupin bestätigt) und unerklärbar. Eine ähnliche Auffassung findet man auch bei Nietzsche:

Die Geschichte ist ein Chaos, das uns an sich überhaupt nichts angeht, in das jeder nach seinen

212 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 6. 213 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 156. 214 Lessing, Theodor: Dějiny jako vsunutí smyslu v nesmyslné. Klatovy: Reformátor, 1919. Bedürfnissen einen ihm passenden ,Sinn´ hineinträgt.215

Diesen Geschichtsskeptizismus kann man als Folge des Ersten Weltkrieges evtl. des Zweiten Weltkrieges auslegen. Die Geschichte ist ein „Prozess des Scheiterns.“216 Nach Theodor Lessing ist alles Zufall. Diese Auffassung, wie schon gezeigt wurde, prägt die Handlung und die Erzählweise bei Perutz, weniger bei Lernet-Holenia.

Dieselbe Ansicht (die Ereignisse bekommen ihren Sinn erst nachträglich) kann man

im Werk Beide Sizilien von Lernet­Holenia finden:

Und die höchste Ehre im Leben des Soldaten ist der Tod. Auch das Volk hat ja, wie immer die Kriege enden mögen, die es führt, eine vollkommene Verehrung für seine Toten. Überhaupt erweist sich der Sinn eines Krieges niemals während des Krieges selbst, sondern stets erst aus der Geschichte. Dies heißt zwar, den Geschichtsschreibern vielleicht zuviel Auszeichnung zu erweisen. Aber kommt es denn wirklich darauf an, wie die Dinge und Ereignisse waren? Es kommt darauf an, wie sie sind. [Beide Sizilien, 485]217

Nach Theodor Lessing hängt die Geschichtsdeutung von der persönlichen Wertskala

des Historikers ab. Leo Perutz belegt es, indem er in Turlupin mehrere Interpretationsmöglichkeiten der Ereignisse zum Ausdruck bringt, z. B. zwei verschiedene Erklärungen für den starren Blick der Herzogin von Lavan. Dass die Geschichte, nicht immer so sein muss, zeigt Lernet-Holenia mit seiner Schilderung der nationalsozialistischen Geschichtsfälschung:

Aber wie sehen wir die Dinge? Meist ganz falsch. Es käme darauf an, sie so zu sehen wie sie wirklich sind.218

Zum Schluss möchte ich die Beliebtheit der Autoren auf Grund einiger Parallelen zur Erzählstrategien der Postmoderne erklären.

Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia als postmoderne Autoren

In der zeitlichen Bestimmung der Postmoderne scheiden sich die Geister. Im

215 Zitiert nach: Lukács, G.: Der historische Roman. S. 190. 216 Schmidt-Dengler, W.: Der Autor Leo Perutz im Kontext der Literatur der Zwischenkriegszeit. S. 20. 217 Zitiert nach: Rauchenbacher, M.: Wege der Narration. S. 91. 218 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 51. Allgemeinen gilt, dass man die letzten dreißig Jahre des vergangenen Jahrhunderts als postmodern bezeichnen kann.219

Ich möchte einige postmoderne Merkmale nennen, die für Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia, der von Robert von Dassanowsky als postmoderner Autor bezeichnet wurde, relevant sind. Das wichtigste Merkmal der Postmoderne betont der Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler 1969 in seinem Vortrag The Case for Post-Modernism bzw. dessen schriftliche Fassung Cross the border, close the gap (Überquert die Grenze, schließt den Graben), der in Playboy veröffentlicht wurde. Er will die Grenze zwischen populären Texten und der so genannten Hochliteratur verwischen, damit die Romane nicht mehr nur für geschulte Leser bestimmt sind. Es kommt also zu einem Crossover, dessen Ziel es ist, die Kunst einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dass sowohl Leo Perutz als auch Lernet-Holenia zur Hochliteratur oder/und zur Trivialliteratur gezählt wurden, wurde schon mehrmals erwähnt. Der Ernst der Moderne, der neue gesellschaftliche Konstellation und neue Darstellungsformen erforderlich machte, ist also überwunden. Man denkt, dass nichts Neues mehr zu schaffen ist, was zum spielerischen Umgang mit dem vorhandenen Material führt. Literatur wird als Experimentierfeld wahrgenommen, so kommen fantastische Handlungselemente, metafiktionale Verweise und Tropen häufig vor. Statt Faktentreue oder Widerspiegelungskunststücke entwickelt sie eine neue Freiheit der fiktiven Phantasie. Phantastische Elemente dienen oft der Spannung und Unterhaltung. Das Schlagwort der Epoche ist „anything goes“. Grande führt an, dass:

,Anything goes' ist die Prämisse der binnenfiktionalen Wirklichkeit Lernet-Holenias, das eigentlich Phantastische in seinem Werk.220

Dasselbe gilt noch in einem verstärkten Maße auch für Leo Perutz. Während es in der Moderne noch um Schönheit, Sinn und Wahrheit geht, zielt die postmoderne Ästhetik auf eine ironische Intensivierung des Sinnlosen. Die Welt wird als etwas Chaotisches und Zufälliges betrachtet. Wie schon gezeigt, stellt Perutz ins Zentrum des geschichtlichen Ereignisses einen Narren, der alles auf den Kopf stellt. „Wie kann in der Postmoderne noch Geschichte geschrieben werden, was ist das für eine Geschichte, und wer schreibt sie?“221

219 Behrens, Roger: Postmoderne. Hamburg: Sabine Groenewold Verlag, 2004. S. 9. 220 Grande, J.: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit:zu ausgewählten Prosawerken Alexander Lernet-Holenias. S. 74f. 221 Behrens, R.: Postmoderne. S. 41. Genauso wie Leo Perutz mit der Geschichtsschreibung spielt, spielt Gott mit den Leuten:

Vielleicht hat Gott nach Art der großen Herren sich einen guten Tag aus einem einfältigen Menschen gemacht.222

Typisch für die Postmoderne ist die Vermischung der Literaturgattungen bzw. Romantypen und damit verbundene Ambiguitäten. So kann man die Romane auf mehreren Ebenen lesen. Es hängt von dem Leser ab, aus welcher Perspektive er die Romane betrachten wird. Es gibt nicht mehr eine allgemeingültige Wahrheit, eine Vernunft, eine Ästhetik, wie es für die Moderne typisch war, sondern die postmoderne Kunst erlaubt eine Vielfalt an Lesarten, rational nachvollziebaren sowie irrationalen. Sehr oft hat Kunst vielmehr mit politischem, ökonomischem oder gesellschaftlichem Nutzen zu tun. So kann man auch manche Romane unterschiedlich lesen, z. B. Meister des jüngsten Tages als Künstlerroman, psychologischen Roman, Kriminalroman, phantastischen Gegenwartsroman, Mars im Widder als eine Liebesgeschichte, Spionageroman, Unterhaltungsroman, einen Gegenwartsroman (Müller-Widmer), einen Militärroman (Hilde Spiel, Wolfgang Nehring), ohne darin etwas zu vermissen. Damit kommt man zu einem sehr beliebten Mittel der Postmoderne und zwar zur Intertextualität (vgl. Süskinds Parfüm, Jorge Luis Borges Die Bibliothek von Babel). Die Texte verweisen explizit oder implizit auf andere literarische Texte. Es ist sehr oft mit Ironie verbunden. Bei Perutz und Lernet-Holenia geht es um ein Pastiche. Es ist eine spielerische Nachahmung des Stils eines Autors, einer Stilrichtung oder Gattung in Formen- und Phrasenschatz. Leo Perutz ahmt die Schreibung der historischen Romane durch seine realen Personen, mit der Quellenangabe usw. nach. Lernet- Holenia ahmt die Abenteuerromane nach, vor allem durch die Verbindung der Liebesgeschichten mit dem Kriegsgeschehen. Sehr beliebt ist in der Postmoderne auch die Rückkehr zum Mythos. Dieses Motiv benutzt Lernet-Holenia sehr oft zur Vermittlung des Phantastischen. In seinem Roman Die Standarte stellt Hackenberg, der die Zukunft prophezeit, eine Reinkarnation Odins dar; in seinen Romanen Die Standarte, Mars im Widder, Der Graf Luna spiegeln die Wege ins Erdinnere orphischen Besuch der Unterwelt wieder und so lassen sie sich als Symbol der Gefährdung interpretieren. Das Erdinnere in den Romanen symbolisiert für Annie Reney und Maria Felsenreich: „Sinnbilder eines

222 Perutz, L.: Turlupin. S. 153. Menschen, der die Distanz zu den Dingen und Menschen schmerzlich fühlte, nach dem Schoss der Mutter.“223 Lernet-Holenia schöpft sehr oft aus der Mythologie – Merowinger, Hagen und die Nibelungensage, der germanische Helweg, die römischen Götter. Cuba in Mars im Widder wird mit der Göttin Aphrodite identifiziert.224 Nach Lüth ist Lernet-Holenias Epik nicht so reich an Variationen und nach ihm wurde Lernet-Holenia von Hofmannstahl bei der Schöpfung der mythologischen Elemente beeinflusst.225 Die Aufgabe solcher Mythen könnte, wie Grande anführt, Hinweis auf die Wiederholung der Geschichte sein. Das bestätigt auch Wallmodens Benehmen und die Rückkehr seiner Gedanken zum Ersten Weltkrieg.

Dass beide Autoren sehr beliebt waren, zeigt folgende Aussage:

Jene jeunesse dorée der 60er-Geburtenjahrgänge wird später zugeben müssen, dass sie im adoleszenten Alter die Romane von Lernet-Holenia und Leo Perutz nachgerade verschlungen hat, die damals wieder in Neuausgaben des Zsolnay-Verlags vorlagen [...]226

Heute freut sich Leo Perutz größerer Beliebtheit als Lernet-Holenia. Ich meine, dass der Hauptgrund in Perutz' spielerischer und ironischer Auffassung der Geschichte liegt. In Leo Perutz' Romanen befindet sich am Ende, wie schon erwähnt, eine unerwartete Lösung, wodurch die vorangehenden Ereignisse eine neue Auslegung bekommen.

Zusammenfassung

Aus der vorangehenden Analyse geht hervor, dass Leo Perutz und Alexander Lernet- Holenia sehr gern historischen Grund und Elemente der Phantastik vermischten und damit gelang es ihnen, dem historischen Roman eine neue Form zu geben. Ein wesentliches konstitutives Merkmal ihrer Werke ist Phantastik, die die Realität in Frage stellt. Eine Aufgabe der Phantastik könnte sein, wie es Cuba mit Örtel definieren, gegen monotone Auffassung des Lebens aufzutreten:

223 Reney, A., Felsenreich, M.: Alexander Lernet-Holenia: Ein Komplex. In: Der Graf von Saint-Germain, Wien, 1977. S. 269. Zitiert nach: Müller-Widmer, F.: Alexander Lernet-Holenia. S. 85. 224 Barrière, Hélène: ,Östliche Steppe, nördliche Wald, mittelmeerisches Licht: Himmelsrichtungen der erzählerischen Welt Alexander Lernet-Holenias'. In: Hübel, T.; Müller, M.; Sommer, G. [Hrsg]: Alexander Lernet Holenia: Resignation und Rebellion. S. 117. 225 Lüth, R.: Drommetenrot und Azurblau. S. 398. 226 Ruthner, C.: Am Rande. S. 184. Und meist ist nur das, was falsch ist, von einigem Geist. Es ist, als ob die Menschheit dadurch ihre Abneigung gegen die Wirklichkeit ausdrücken wollte, die völlig phantasielos ist. 227

Phantastik ist für beide Mittel, das ihnen ermöglicht spannend und witzig zu erzählen, aufgrund dessen sie lange Zeit der Unterhaltungsliteratur zugeordnet wurden. Sowohl die Phantastik, als auch die Unterhaltungselemente machen ihre Romane für die heutigen Leser lesenswert. Die verglichenen Romane entstanden in der Zeitspanne 1918–1945. Die Geschichten werden aus der Sicht der Protagonisten erzählt. Die Romane reflektieren verschlüsselt zeitgeschichtliche Ereignisse. In seinem Roman Turlupin zeigt Leo Perutz das Elend der Wiener Bevölkerung und seine Skepsis gegenüber revolutionären Unruhen in Wien vor dem historischen Hintergrund der französischen Revolution. In dem Roman Meister des jüngsten Tages könnte es um die Konfrontation mit den Erlebnissen aus dem Ersten Weltkrieg gehen. Bei Lernet-Holenia könnte man dagegen Hinweise auf die Lügen der Nazis während des Zweiten Weltkrieges finden. Bei Alexander Lernet-Holenia könnten es phantastische Elemente sein, dank denen die Geschichte zuerst nicht von der Zensur beanstandet wurde und in der Zeitschrift ,Die Dame' erscheinen konnte. Leo Perutz geht doch noch weiter. Es sind vor allem seine ironische Stellung zur Geschichtswissenschaft und seine Sprachökonomie, was man als die größten Unterschiede zu seinem Schüler empfinden kann. Leo Perutz bemüht sich nicht, die Ereignisse ernst und dramatisch zu erfassen. Der Leser der Romane Turlupin und Meister des jüngsten Tages kann im Gegenteil immer Ironie spüren – die Geschichte wird von dem Narren gemacht oder sie wird am Ende ganz bestritten. Dieser Narr bestimmt den geschichtlichen Lauf durch Zufälle, in der Welt herrscht also keine Kausalität.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur:

227 Lernet-Holenia, A.: Mars im Widder. S. 24. Lernet-Holenia, Alexander: Der Graf Luna. Wien [u.a.]: Paul Zsolnay Verlag, 1981.

Lernet-Holenia, Alexander: Die Standarte. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1996.

Lernet-Holenia, Alexander: Mars im Widder. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1997.

Perutz, Leo: Der Meister des jüngsten Tages. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1989.

Perutz, Leo: Der schwedische Reiter. Wien: Paul Zsolnay Verlag, 1990.

Perutz, Leo: Nachts unter der steinernen Brücke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH, 1990.

Perutz, Leo: Turlupin. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1988.

Sekundärliteratur

Altrichter, Helmut, Becker, Josef [Hrsg.]: Kriegsausbruch 1939. Beteiligte, Betroffene, Neutrale. München: Beck, 1989.

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Beharren im Wandel. Alexander Lernet-Holenia. Ausstellung im Kassensaal der Creditanstalt. Wien, 1997.

Behrens, Roger: Postmoderne. Hamburg: Sabine Groenewold Verlag, 2004.

Berg, Stephan: Schlimme Zeiten, böse Räume. Zeit- und Raumstrukturen in der phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler, 1991.

Cersowsky, Peter: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jh. München: Fink, 1983. S. 11–21.

Dassanowsky, Robert: Phantom Empires. The Novels of Alexander Lernet-Holenia and the Question of Postimperial Austrian Identity. Riverside, Calif: Ariadne Press, 1996. S. 86– 125, 148–149, 196–201.

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