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Beobachtungen bei der Haltung und Aufzucht von (Serpentes, Boidae)

Hans Dieter Lehmann

7 Abbildungen

Eingegangen am 18. August 1969

Inhalt: Einleitung - Morphologie und Taxonomie - Besonderheit aufmerksam gemacht hat, schlug Haltungsbedingungen - Erste Beobachtungen und deshalb die Einführung einer eigenen Sub­ Geburt von 6 Jungschlangen - Nahrungsaufnahme - familie Tropidophinae für beide Gattungen Weitere Verhaltensweisen - Zusammenfassung - Summary - Schriften. vor. Diese Klassifizierung wurde von PETERS (1960) in seiner Liste der Schlangen von Ekua­ dor übernommen, während STIMSON (1969) in der jüngsten Boidenliste Trachyboa und Tropidophis wieder zur Subfamilie Boinae Die 1860 von W. PETERS erstmalig beschrie­ stellt. bene Gattung Trachyboa ( = Rauhboa) zeich­ Von Trachyboa sind zwei Arten bekannt: net sich aus durch einen mit kleinen Schuppen Trachyboa gularis PETERS 1860 und Trachy­ bedeckten Kopf, der vom Hals deutlich abge­ boa boulengeri PERACCA 1910. Letztere trägt setzt ist, ein fehlendes oder weitgehend redu­ als markantes Merkmal kleine Schnauzen- und ziertes Rostrale, große, die Kinnfurche begren­ Supraorbitalhörner. Beide Arten sind sich an­ zende Submentalschilder und stark gekielte sonsten außerordentlich ähnlich. Bemerkens­ Körperschuppen. In anatomischer Hinsicht werte Differenzen bestehen in der Wahl der nimmt Trachyboa gemeinsam mit der Gattung Biotope: Trachyboa gularis findet man in Tropidophis eine Sonderstellung unter den Trockengebieten an der Küste Ekuadors, Boiden ein. Beide haben im Unterschied zu Trachyboa boulengeri dagegen in der Regen­ diesen nur einen rechten Lungenflügel, dessen waldzone von Ekuador, Kolumbien und Pa­ Kapazität durch eine Tracheallunge ergänzt nama (PETERS, 1960; STIMSON, 1969). Mit wird, sowie nichtgelappte Nieren, die zudem einer Maximallänge von 430 mm gehören im Bauchraum deutlich weiter schwanzwärts diese Schlangen zu den Zwergen unter den liegen. BRONGERSMA (1951), der auf diese Boiden. Diesem Umstand und der versteckten H. D. Lehmann: Beobachtungen an Trachyboa boulengeri 33

Lebensweise in Höhlen u. a. (BARBOUR, blick (Abb. 2 , 3). Die Färbung des sich in 1937) dürfte es zuzuschreiben sein, daß Tra­ meinem Besitz befindlichen adulten Exempla­ chyboa nur selten importiert wird und für res ist recht unscheinbar und kontrastarm. Auf herpetologische Sammlungen eine Rarität dar­ mittelbraunem Grund stehen unregelmäßig ge­ stellt. Es war somit ein Glücksfall, daß ich im formte dunkelbraune Flecke, die von der Rük• Januar 1968 bei einem Händler in einer klei­ kenmitte, wo sie etwas hellere Partien begren­ nen Reptiliensendung aus Quito (Ekuador) ein zen, bis zu den Ventralia reichen. Auf den Weibchen von Trachyboa boulengeri entdeckte Seiten finden sich außerdem zwei parallele und erwerben konnte. Das Tier erwies sich Reihen kleiner schwarzer Flecken, die von später als trächtig. einer Reihe gleichgroßer, roter Flecken unter­ brochen sind. Die Kopfoberseite ist, mit Aus­ nahme einer mittelbraunen Zone um die Na­ Morphologie und Taxonomie sen- und die Hinterhauptsregion, einheitlich dunkelbraun gefärbt. Auf der Bauchseite Trachyboa boulengeri bietet mit ihrem ge­ heben sich große, schwarze Flecken deutlich drungenen Körp~rbau, dem deutlich abgesetz­ von einem blaßrosafarbenen Grund ab. Der ten Kopf, den Schnauzen- und Supraorbital­ Schwanz besitzt nur einen Doppelfleck unmit­ hörnern und den stark gekielten Schuppen telbar hinter der Kloakenöffnung. Die Kopf­ einen für eine Boide ungewöhnlichen und unterseite ist diffus dunkel pigmentiert. Prin­ weit mehr dem Viperntyp entsprechenden An- zipiell gleichartig gezeichnet sind die Jungtiere.

Abb 1 Trachyboa boulengeri. x 2/a. 34 Salamandra, Band 6, Heft 1/2, 1970

Tab. 1 Schuppenzahlen eines adulten Weibchens von Trach y boa boulengeri und seiner 6 Nachkommen. (SMF 66805-66809 nach Angaben von Dr. K. KLEMMER, Natur-Museum Senckenberg, Frankfurt am Main). Scale data for an adult Trachyboa boulengeri Sj! and its progeny.

Squamae Ventralia Subcaudalia Supralabialia Zahl d. Schuppenreihen + Anale + Endschuppe links/rechts zwischen Auge und Supralabialia links und rechts

Häutungshemd des Weibchens 1 SMF 66805 33 135 + 1 24 + 1 1 2/12 1/1

Jungtier 1 SMF 66806 29 134 + 1 24 + 1 11/11 1/1

Jungtier 2 SMF 66807 29 133 + 1 24 + 1 11/11 1/1

Jungtier 3 SMF 66808 29 131 + 1 24 + 1 12/11 2/2

Jungtier 4 SMF 66809 31 133 + 1 24 + 1 11/11 1/1

Jungtier 5 31 132 + 1 24 + 1 11/11 1/1

Jungtier 6 31 131 + 1 23 + 1 11/11 1/1

Da die Grundfarbe jedoch heller ist, entsteht zwei Stucke, deren Augen unmittelbar an die ein kontrastreicheres Muster. Auffällig ist der Supralabialia grenzen, wie dies bei T. gularis nur bei juvenilen Exemplaren auftretende die Regel ist. Die Variationsbreiten der Schup­ gelbe Schwanz. penzahlen beider Trachyboa-Arten auf Grund Die Totallänge des Weibchens betrug 1968 der in der Literatur vorliegenden ü'aten sind im Januar 350 mm. Davon entfielen 18 mm in Tab. 2 zusammengefaßt. Diese Werte ent­ auf den Kopf und 36 mm auf den Schwanz. sprechen bis auf die Zahl der Ventralia den Der Rumpf hatte an der dicksten Stelle einen Angaben von WERNER (1921), da keine Ver­ Umfang von 7 cm. Die zwei Schnauzen- und öffentlichungen neueren Datums über Schup­ zwei Supraorbitalhörner jeder Seite waren penzahlen von Trachyboa vorliegen. Korrigiert 0,5-1,0 mm lang. wurde die Zahl der Ventralia, da WERNER Die taxonomisch wesentlichen Schuppen­ ein Exemplar mit 142 Bauchschuppen, das zahlen aller 7 Schlangen, die in meinem Besitz BOULENGER 1898 zu T. gularis, 1913 dann waren oder noch sind, finden sich in der Tab.1. aber zu T. boulengeri stellte, unter T . gularis Ich verdanke diese Werte Herrn Dr. Klem­ aufführt. mer, Natur-Museum Senckenberg, Frankfurt Vergleicht man die Schuppenzahlen, so un­ a. M. Wie beim Typus-Exemplar (PERACCA, terscheidet sich T . boulengeri allein durch die 1910) berühren die Augen bei keinem der geringere Ventralia-Zahl und eine auffällige 7 Tiere die Supralabialia. Dies ist jedoch kein Variabilität der Squamae von T. gularis. In­ Artmerkmal. BOULENGER (1913) beschreibt wieweit die Schnauzen- und Supraorbitalhör- H. D. Lehmann: Beobachtungen an Trachyboa boulengeri 35

Abb. 2 Seitenansicht des Kopfes von Trachyboa bou­ lengeri. x :;. Lateral view of head of Trachyboa boulengeri. x :;.

ner für T . boulengeri ein konsistentes Merk­ schlossen war. Die Einrichtung bestand aus mal darstellen, muß fraglich bleiben, da BOU­ einer Torfschicht von 2-3 cm, einem Wasser­ LENGER (1913) ein Jungtier von 155 mm napf ( (/) 12 cm, 3,5 cm hoch) mit 1,0-1,5 cm Länge erwähnt, dessen Augen nicht an die Wasserstand sowie Moosstücken und Buchen­ Supralabialia grenzen und das nur angedeutete laub. Nachdem die Schlange fast 1 1/ 2 Jahre in Hörner aufweist. Es kann sich dabei keines­ diesem Glas gelebt und dort auch die Jungen wegs um einen generellen Befund bei juvenilen geboren hatte, guartierte ich sie in ein Plastik­ Stücken handeln, da meine eigenen Exemplare aguarium (38 x 18 x 23 cm) mit gleicher Innen­ relativ gleichgroße Hörner wie das Muttertier einrichtung um. Die vom Muttertier getrenn­ haben (Verhältnis der Supraorbitalhornlänge ten sechs Jungschlangen wurden anfangs in zu Kopfhöhe bei Jungtieren und adultem Stück einem Glasgefäß, später ebenfalls in einem = 1: 6). Plastikaguarium gehalten, dessen Maße und Ausstattung den beschriebenen Behältern des Muttertieres entsprechen. Der Wassernapf ist Haltungsbedingungen allerdings kleiner ( (/) 8 cm, 1 cm hoch, Was­ serstand 2-3 mm). Auf eine eigene Beheizung Das Trachyboa-Weibchen bezog bei mir zu­ und Beleuchtung der Terrarien wurde verzich­ nächst ein kleines, rundes Glasgefäß mit einem tet. Die Raumtemperatur schwankt zwischen Durchmesser von 2 3 cm und einer Höhe von 20-25° C, natürliches Licht kommt vom Fen­ 14 cm, das mit einem Drahtgazedeckel ver- ster. Torf, Laub und Moos besprühe ich im Abstand von 8-14 Tagen, so daß das Substrat stets feucht bleibt. Das Wasser des Badege­ fäßes wird etwa alle 8 Tage gewechselt. Tab. 2 Schuppenzahlen von Trachyboa gularis und Trachyboa boulengeri nach WERNER (1921). Scale data for Trachyboa gularis and Trachyboa bou­ lengeri after WERNER (1921). Erste Beobachtungen und Geburt von 6 Jungschlangen Trachyboa Squamae Ventralia 1 Subcaudalia gularis 29-31 146-153 23-30 In der Literatur sucht man vergeblich nach 1 Hinweisen über die Lebensbedingungen und die boulengeri 23-33 131-142 20-28 1 Nahrung von Trachyboa. Ich bot der Schlange Salamandra, Band 6, Heft 1/2, 1970 an: Maus- und Rattennestlinge sowie verschie­ Mitte Juni stellte die Trachyboa die Nah­ dene tote Süßwasserfische [Ukelei (Alburnus rungsaufnahme ein. Ich betrachtete dies als alburnus), Schleie (Tinca tinca), Karausche jahreszeitlich bedingte Ruheperiode, wie sie (Carassius carassius)] von 5-8 cm Länge. Eine bei tropischen Reptilien nicht selten zu beob­ Nahrungsaufnahme erfolgte nicht. An Frö• achten ist. Äußere Anzeichen einer bestehen­ schen standen mir anfangs nur große See­ den Trächtigkeit waren nicht festzustellen. frösche (Rana ridibunda) zur Verfügung, so Am 24. 10. 1968 fand ich gegen 20.00 Uhr daß ich Froschteile vorlegte. Aber nur ein ein­ ein offenbar frisch geborenes Trachyboa-Baby ziges Mal verschwand über Nacht ein Frosch­ im Behälter vor. Das Weibchen selbst lag völ• bein. Erst als ich Ende März 3-5 cm lange lig ausgestreckt. Um21.30, 22.00 und 23.00 Uhr Grasfrösche (Rana temporaria) erhielt, begann folgten unter leichten Wehen je ein weiteres die Schlange regelmäßig Futter anzunehmen. Baby. Die Tierchen hatten sich bereits im Mut­ Jede Woche wurden 1 bis 2 Frösche gefressen, terleib aus der Eihaut gelöst und erschienen allerdings immer erst dann, wenn es im Zim­ teils Kopf voraus, teils Schwanz voraus. Das mer völlig dunkel geworden war. nächste, bereits 23.05 Uhr geborene Baby be­ fand sich noch in der Eihaut. Da es nach 2 Mi­ nuten noch keine Bewegung zeigte, öffnete ich Abb. 3 Aufsicht des Kopfes von Trachyboa boulen­ die Eihaut, worauf die Schlange sofort zün• geri. x 3. gelnd herauskroch. Um 23.25 Uhr war das 6. Dorsal view of head of Trachyboa boulengeri. x 3. und letzte Baby da, ebenfalls noch von der Ei­ Fotos 1-3: Dr. H. D. Lehmann haut umgeben, aus der es sich aber nach kur­ zem selbständig befreite. Eine Stunde später trennte ich das Muttertier von den J ungschlan­ gen. Es fraß acht Tage danach erstmalig wieder zwei Rana temporaria (4 und 5 cm lang). Am 15. 12. erfolgte die Häutung. 24 Stunden nach der Geburt bestimmte ich die folgenden Maße und Gewichte der Neu­ ankömmlinge: 12,6 cm / 2,5 g; 12,6 cm / 2,3 g; 12,7 cm/ 2,1 g; 12,8 cm/ 2,1 g; 12,8 cm/ 2,0 g; 12,8 cm / 1,9 g. Auf die Ovoviviparltät von T. boulengeri wies bereits BARBOUR (1937) hin, der bei der Sektion eines aus Panama stammenden Exem­ plares sechs entwickelte Jungtiere (Länge: 10,2 cm) fand. Die Trächtigkeitsdauer betrug in dem von mir beobachteten Fall mindestens 10 Monate. Es mag aber sein, daß durch die unfreiwillige Hungerperiode von Januar bis März 1968 eine Verzögerung der Fetalentwick­ lung eingetreten ist. Die Futterbeschaffung für die Babys stieß auf · große Schwierigkeiten. Der Hilfsbereit­ schaft von Herrn Priv.-Doz. Dr. E. THOMAS, Mainz, hatte ich es zu danken, daß ich den in­ zwischen 4 Wochen alten Schlangen juvenile H. D . Lehmann: Beobachtungen an Trachyboa boulengeri 37

Riedfrösche (Hyperolius spec.), jeder etwa zu einem Ring zusammengeschoben. Das 5. 20-25 mm lang, anbieten konnte. Fünf Jung­ Exemplar zeigte alle Symptome der beginnen­ schlangen fraßen gleich in der ersten Nacht je den Häutungsphase, starb dann aber plötzlich einen kleinen Frosch, das 6. Exemplar ging nie am 15. 3. 1969 ohne ersichtlichen äußeren An­ freiwillig ans F11tter. Auch größere Kaulquap­ laß (Länge: 13,9 cm). Es handelte sich um jenes pen von Hyperolius spec. wurden im 1-2 mm Stück, das nie freiwillig ans Futter gegangen tiefen Wasser gefangen und verzehrt. Schließ• war, so daß eine mangelnde Vitalität als Todes­ lich mußte ich aber doch zur Zwangsfütterung ursache vermutet werden muß. Drei Tage zu­ schreiten. Ich verwendete dafür kleine Guppys vor war ein anderes Jungtier nach einer (Lebistes reticulatus ), Zebrabärblinge (Danio Zwangsfütterung gestorben, möglicherweise rerio) und Extremitätenteile von Rana ridibun­ an einem Schock (Länge: 13,9 cm). Eine acht­ da. Die einmal in der Woche vorgenommene tägige Abwesenheit Anfang April 1969 ko­ Fütterung bereitete infolge der Kleinheit der stete schließlich einer weiteren Trachyboa das Tiere gewisse Schwierigkeiten. Die Nahrung Leben. Infolge Überhitzung des Terrarienzim-

Abb. 4 T rach y boa boulengeri ~ mit 6 Jungen im Alter von 24 Stunden. x 3/4. Female T rach y boa boulengeri with 6: newborn, 24 hours old. x 3/ 4. Foto : D enzel

wurde aber gut verdaut. Am 9. 2. 1969 gab es mers trockneten Wassergefäß und Torf im Be­ den ersten Verlust. Beim Versuch, ein Futter­ hälter völlig aus. T. boulengeri ist gegen Was­ stück auszubrechen, erstickte ein Jungtier. Die sermangel offenbar sehr empfindlich. Eine Tra­ Länge dieses Exemplares betrug 13,5 cm. chyboa fand ich tot vor (Länge 14,2 cm), die Normalerweise häuten viele Schlangen we­ beiden anderen machten einen moribunden nige Tage nach der Geburt und nehmen vorher Eindruck. Sie erholten sich aber innerhalb we­ keine Nahrung zu sich. Bei diesen Trachyboa niger Stunden wieder völlig, nachdem ich sie in kam es erst nach Monaten zur 1 . Häutung, zu­ flaches Wasser gelegt hatte. Die vier gestor­ vor hatten fünf Tiere freiwillig Nahrung an­ benen Jungschlangen befinden sich heute in genommen. Die · 1 . Häutung fand statt am der herpetologischen Sammlung des Sencken­ 20. 2., 4. 3., 5. 3. und 7. 3. Die Haut war meist berg-Museums, Frankfurt a. M . Salamandra, Band 6, Heft 1/2, 1970

Ende April 1969 erschienen die ersten Laub­ beim Beutemachen im Wasser, da so jederzeit frösche (Hyla arborea) auf dem Markt. Von aufgetaucht und Luft geholt werden kann. Der nun an wurden von den beiden Trachyboa­ Erdrosselungsvorgang dauert 30-120 min. Es Jungtieren wöchentlich regelmäßig je eine war nicht immer festzustellen, ob die Frösche Hyla, selten auch zwei verzehrt. Die 2 . Häu• erst dann tot waren. VOGEL (1968) sah seine tung erfolgte am 3. 6. bzw. 20. 7. Im Juli 1969 jungen Tropidophis Frösche ohne vorherige hatten die zwei Exemplare folgende Maße und Umschlingung lebend fressen. Dies konnte ich Gewichte erreicht: 17,1 cm / 5,5 g und 15,6 cm / nur einmal bei dem Muttertier beobachten, als 5,0 g. eine sehr kleine Hyla arborea angeboten wurde, die infolge ihrer geringen Ausmaße nicht umschlungen werden konnte. ToteHylen, die nur das große Weibchen annimmt, werden Nahrungsaufnahme stets direkt gefressen. Bei dem Schlingakt, der je nach der Größe der Nahrung 15-120 min. Wie bereits ausgeführt, erwies sich T. bou­ dauert, hält die Schlange den Frosch weiter lengeri als Froschfresser. Das Muttertier nimmt umwickelt. Rana ridibunda, Rana esculenta und Rana Es war immer wieder erstaunlich, welche temporaria unterschiedslos, zieht aber Hyla gewaltigen Futterbrocken von Trachyboa be­ arborea allen Raniden vor. Bufo bufo und Bufo wältigt werden können. Das Weibchen fraß calamita lehnt es ebenso ab wie Triturus vul­ wiederholt Exemplare von Rana ridibunda mit garis. Die Jungtiere fressen neben Hyperolius 6-7 cm Länge und 20 g Gewicht bei einem spec. und Hyla arborea auch kleine Bufo cala­ Eigengewicht von etwa 50 g. Die Jungtiere ver­ mita, zeigen an kleinen Triturus vulgaris da­ zehrten Hylen von 2,5 cm Länge und etwa 3 g gegen kein Interesse. Gewicht, wogen aber selbst nur etwa 5 g. Be­ Hat eine Trachyboa Hunger, so liegt sie mit rücksichtigt man die Gewichtsrelation, so ist leicht angehobenem Kopf auf Lauer. Es konnte das Schlingvermögen von Trachyboa durchaus nie beobachtet werden, daß die Jungtiere da­ vergleichbar mit dem des vielzitierten Python bei (oder auch bei anderer Gelegenheit) ihre reticulatus (Zusammenstellung bei POPE, gelben Schwänze anhoben und Bewegungen 1961). damit ausführten. Ein solches Verhalten wurde von ebenfalls gelbschwänzigen, juvenilen Stücken einiger Agkistrodon-Arten (NEILL, 1960) und Tropidophis pardalis (HECHT, Weitere Verhaltensweisen WALTERS und RAMM, 1955) beschrieben und teils als der Beuteanlockung (Anolis, Bufo) Trachyboa boulengeri ist eine am Boden le­ dienend (NEILL), teils als aposematische Re­ bende, sehr bewegungsscheue, ausschließlich aktion (HECHT u. Mitarb.) gedeutet. Nur sel­ nachts aktive Boide, die ihren Ruheplatz tage-, ten verfolgt eine hungrige Trachyboa einen manchmal auch wochenlang nicht verläßt. Sie Frosch. Meist wartet sie dessen Vorbeikommen bevorzugt Verstecke unter Blättern und Moos­ ab und packt dann mit unerwarteter Schnellig­ stücken, wo sie eine unregelmäßig U-förmige keit zu. Der Frosch wird mit mehreren Schlin­ oder tellerförmige Ruhestellung einnimmt. Ich gen umwickelt und erdrosselt. Sobald die habe nie gesehen, daß sie im Substrat Höhlen Schlingen gelegt sind, löst die Schlange regel­ selbst anlegt oder vorhandene erweitert. mäßig ihren Biß und verharrt mit eigentüm• Auf das Feuchtigkeitsbedürfnis von T. bou­ lich verrenkter Kopf-Hals-Partie (Abb. 5). lengeri habe ich bereits hingewiesen. Bietet Diese Eigenart ist mir von keiner anderen man sowohl feuchte als auch trockene Torf­ Schlange bekannt. Sie erscheint aber sinnvoll partien an, so sucht sie die ersteren auf. Häu- H . D. Lehmann: Beobachtungen an Trachyboa boulengeri 39 fig findet man die Schlangen für Stunden oder radlinig, also nicht in Schlängelbewegung, im Tage im Wassergefäß, wobei der Nasenbereich Prinzip ähnlich wie etwa die großen Bitis­ ständig über Wasser gehalten wird. Nur wenn Arten. Mitunter richtet sie sich auch senkrecht man die Tiere erschreckt, tauchen sie für kurze an den Glasscheiben auf. Auf diese Weise ent­ Zeit völlig unter. Interessant ist in diesem Zu­ kam das 35 cm lange Muttertier einmal aus sammenhang, daß der Exporteur in Quito die einem 25 cm hohen Plastikeimer, in den es

Trachyboa als 11 drain boa" bezeichnet. Man während der Behälterreinigung gesetzt worden kann also vermuten, daß diese Art in Abzugs­ war. Als ich das Weibchen bei der nächsten gräben gefunden wird und somit offenbar Reinigung für kurze Zeit in einem anderen auch kultivierte Regionen bewohnt. Leider Terrarium unterbrachte, erkletterte es dort mißlangen die Versuche, über den deutschen einen 23 cm hohen Ast. Dies tut aber auch ge­ Händler eine Bestätigung dieser Vermutung legentlich meine Calabaria reinhardtii, eine und weitere Auskünfte zu erhalten. normalerweise im Torf und Laub lebende

Abb. 5 Erdrosselung einer Hyla arborea durch ein Jungtier von Trachyboa boulenger i. x 1,5. A young Trachyboa boulengeri overpowering a Hyla arborea by constriction. x 1,5.

Die Fortbewegung geht bei Trachyboa nor­ Boide. Trotz dieser Kletterfähigkeit wäre es malerweise im Zeitlupentempo vor sich. Ledig­ natürlich falsch, T. boulengeri als arboreal zu lich bei der Flucht unter schützendes Moos oder bezeichnen, wie dies POPE (1966) tut. Laub wird auf kurze Distanz eine höhere Ge­ Meine Trachyboa-Exemplare sind absolut schwindigkeit erreicht. In einigen Fällen habe friedfertig, was in einem gewissen Gegensatz ich letztere gemessen und fand dabei Werte zu ihrem Habitus steht. Nie versuchte ein von 0,2-0,5 cm/sec. Die Schlange kriecht ge- Stück zu beißen, noch machte es sich durch ein Salamandra, Band 6, Heft 1/2, 1970

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Abb. 6 Abwehrreaktion (gestreckte Form) von Trachyboa boulengeri. x 4/s . Defence reaction (stretched position) of Trachyboa boulengeri. x 4/s.

warnendes Zischen oder eine andere Laut­ Jungtiere. Nimmt man sie aus dem Behälter äußerung bemerkbar. Die einzige als Warn­ heraus, dann geben sie ein Sekret aus der reaktion zu deutende Reaktion war ein leichtes Kloake ab, das mich im Geruch an die ent­ öffnen des Mundes beim Weibchen in der sprechenden Produkte von Epicrates- und Co­ Anfangszeit der Pflege, sobald man ihm ein rallus-Arten erinnerte. Berührt man die Jung­ Mäusebaby oder Froschbein vorhielt. Auf eine schlangen lediglich, so nehmen sie eine linear derartige Belästigung reagiert dieses Stück ausgestreckte Körperlage ein, platten sich da­ jetzt immer zunächst mit einer seitlichen Be­ bei leicht ab und verharren völlig bewegungs­ wegung des Kopfes, um diesen in Sicherheit zu los (Abb. 6). Diese Akinese hält bis zu 60 min bringen. Erst bei anhaltender Störung bildet an. Mitunter war dies Verhalten auch bei dem sie ein lockeres Knäuel, in dem der Kopf jedoch Muttertier zu beobachten. Bei weiterer länger nicht immer verborgen wird (Abb. 4). Etwas andauernder Berührung rollen sich die Jung­ vielseitiger sind die Abwehrreaktionen der schlangen dann plötzlich sehr schnell in Seiten­ lage spiralig in einer Ebene zusammen. Der Kopf wird im Zentrum verborgen (Abb. 7). Auch diese Stellung behält die Schlange bis zu 60 min bei. Beim Muttertier konnte ich eine entsprechende Reaktion nicht auslösen. Den bisherigen Befunden zufolge nimmt Trachyboa boulengeri also nicht nur in Bezug auf den Habitus, sondern auch hinsichtlich des Verhaltens innerhalb der Boiden-Familie eine Sonderstellung ein. Am Schluß möchte ich sehr herzlichen Dank sagen den Herren Dr. K. KLEMMER, Frank­ furt a. M., und Priv.-Doz. Dr. E. THOMAS,

Abb. 7 Abwehrreaktion (gerollte Form) von Trachy­ boa boulengeri. x 1,5. Defence reaction (rolled position) of Trachyboa bou­ lengeri. x 1,5. Fotos: 5-7: Dr. H. D. Lehmann H . D . Lehmann: Beobachtungen an Trachyboa boulengeri 41

Mainz, die mich, über die im Text erwähnte SUMMARY Hilfe hinaus, bei der Literaturbeschaffung ent­ Six living young were delivered by a Trachyboa bou­ scheidend unterstützt haben. lengeri from Ecuador which was bought 10 month before. The lengths of the newborns varied from 12,6-12,8 cm, the weights from 1,9- 2,5 g. Four speci­ mens died during the first 6 months due to accidents. Trachyboa boulengeri feed only on frogs, but the young also on toads. The of the author prefer­ red Hylidae before Ranidae. The prey is constricted ZUSAMMENFASSUNG by the snakes. Trachyboa boulengeri is a terrestrial and moisture­ Ein weibliches Exemplar von Trachyboa liking . The specimens of the author never at­ tempted to bite nor did they hiss. The only defense­ boulengeri aus Ekuador mit einer Totallänge reaction shown was by akinetic position either von 350 mm wird hinsichtlich Morphologie s tretched or rolled or by a secretion of the cloaca. und Taxonomie beschrieben. Das Tier erwies sich als trächtig und brachte, zehn Monate nach dem Erwerb, sechs lebende Junge zur Welt. Die Maße der sechs Jungschlangen schwankten zwischen 12,6-12,8 cm, die Ge­ wichte zwischen 1,9-2,5 g. Durch verschie­ dene Unglücksfälle starben insgesamt 4 Stücke innerhalb des ersten halben Jahres. Trachyboa boulengeri erwies sich als reiner SCHRIFTEN Froschfresser. Die beobachteten Schlangen Barbour, T. (1937): Ovoviviparity in Trachyboa. - ziehen Hylen den Raniden vor, die juvenilen Copeia 1937 (2) : 139. nehmen auch Kröten an. Die Frösche werden Boulenger, G. A. (1898) : An account of the regelmäßig durch einige Körperschlingen er­ and batrachians collected by Mr. W. F. H . RO­ drosselt, der Kopf der Trachyboa liegt dabei SENBERG in western Ecuador. - Proc. Zoo!. seitwärts. Soc. London: 107-126. Boulenger, G. A. (1913): On a collection of batrachians Trachyboa boulengeri ist eine terrestrische, and reptiles made by Dr. H. G. F. SPURRELL, bewegungsscheue Schlange. Sie ist sehr feuch­ F. Z. 5., in the Choco, Colombia. - Proc. Zoo!. tigkeitsbedürftig und hält sich im Terrarium Soc. London: 1019-1038. entweder auf feuchten Bodenpartien oder im Brongersma, L. D . (1951): Some notes upon the ana­ Wasserbecken auf. Bei den seltenen raupen­ tomy of Tropidophis and Trachyboa (Serpen­ tes) . - Zoo!. Mededelingen 31 : 107- 124. förmigen Kriechbewegungen können auch Hecht, M. K. , V. Walters und G. Ramm (1955): Obser­ niedrige Äste erklettert oder senkrechte vations on the natural history of the Bahaman Wände mit einer Höhe entsprechend 2/3 der pigmy boa, Tropidophis pardalis, with notes on Körperlänge überwunden werden. autohemorrhage. - Copeia 1955 (3) : 249- 251. Meine Trachyboa-Exemplare sind absolut Neill, W. T. (1960): The caudal Jure of various juve­ nile snakes. - Quart. J. FI. Acad. Science 23: friedfertig, versuchen nicht zu beißen und 173-200. zischen nicht. An Abwehrreaktionen konnten Peracca, M . G. (1910) : Descrizione di alcune nuove beobachtet werden: Sekretion aus der Kloake specie di Ofidii de! Museo Zoologico della (nur bei juvenilen Stücken), Akinese in linear R.a Universita di Napoli. - Annuario Mus. ausgestreckter Lage für maximal 60 min (bei Zoo!. r. Univ. Napoli (N. 5.) 3 (12) : 1-3. Peters, J. A. (1960) : The snakes of Ecuador. - Bull. juvenilen und adulten Stücken), Akinese in Mus. Comp. Zoo!. 122: 490-541. spiralig zusammengerollter Seitenlage für ma­ Peters, W. (1860) - Monatsb. k. preuß. Akad. Wiss. ximal 60 min (nur bei juvenilen Stücken). Berlin: 200-202. Salamandra, Band 6, Heft 1/2, 1970 42

Pope, C. H. (1961): The giant snakes. Alfred Werner, F. (1921):Synopsis der Schlangenfamilie der A. Knopf, New York. Boiden und Typhlopiden auf Grund des BOU­ Pope, C. H. (1966): The world. Alfred LENGER'schen Schlangenkatalogs (1893/96). - A. Knopf, New York. Arch. Naturgesch. 87 A: 230-265. Stimson, A. F. (1969): Liste der rezenten Amphibien und Reptilien. Lief. 89, Boidae. - Verlag Wal­ ter de Gruyter u. Co., Berlin. Anschrift des Verfassers: Vogel, Z. (1968): Riesenschlangen aus aller Welt. - Dr. Hans Dieter Lehmann, D - 506 Bensberg-Franken­ A. Ziemsen Verlag, Wittenberg Lutherstadt. forst, Beethovenstraße 2.