Sagen im Limesgebiet zwischen Neckar und Main

Von Wolfgang Palm, Unser badisches Hinterland wird von zwei alles, was gefunden und beobachtet wird, zu Strecken des römischen Grenzwalles (Limes) erfassen und richtig einzuordnen. berührt. Die älteste dieser Linien ist jene Doch auch frühere Geschlechter haben sich von Wimpfen über Neckarburken, Ober­ über diese einzigartig große Befestigung, die scheidental, Schlossau nach Wörth am Main. durch ihre Felder und Wälder zog, ihre Ge­ Die jüngere Strecke des Limes führt von danken gemacht. Man versuchte sich deren Jagsthausen über Osterburken, Walldürn Entstehung zu erklären und gab seinen Ge­ nach Miltenberg. danken in Sagen und Flurnamen Ausdruck. Durch die römische Besetzung unserer Ge­ Beginnen wir unseren Streifzug auf der gend im nordbadischen Raum können zum Strecke Wimpfen—Wörth am Main, die erstenmal genauere Zahlen für das geschicht­ zuerst württembergisches Gebiet an Neckar liche Geschehen in und Franken­ und Jagst streift. land angegeben werden. Berichte von Ge­ Als Karl Schuhmacher als Streckenkom­ schichtsschreibern, Weihesteine mit ihren In­ missar bei den Reichsgrabungen im Auftrag schriften und Münzfunde ermöglichen von da der Reichs-Limeskommision unweit der an bestimmte Festlegungen. Die Besitznahme Stadt Wimpfen bei Duttenberg an dem Berg erfolgte in verschiedenen Abständen und Dermut die römische Kolonnenstraße un­ wahrscheinlich gegen den Widerstand der mittelbar bei einem römischen Wachturm hier zurückgebliebenen keltischen und viel­ der Linie aufdeckte, meinte ein hinzukom­ leicht auch germanischen Bevölkerungsreste. mender Bauer, der Turm sei der Galgen ge­ Schon unter Augustus gelingt es römischen wesen, und die Straße ziehe über 8 Stun­ Truppen, bis in die Gebiete der oberen Do­ den schnurgerade nach Norden. Das letztere, nau von Süden her vorzudringen. Doch erst offenbar aus alter Volkstradition Geschöpf­ im Jahre 50 n. Chr. ist das obere Donautal te, war also richtig. In gleicher Weise wer­ fest in römischer Hand. den auch die in kurzen Abständen immer 25 Jahre später stehen ihre Truppen am wieder zutage tretenden Wachtürme und Neckar bei Rottweil und um 90 n. Chr. bil­ die Straße zu der allgemein in der Gegend det der Neckar über Cannstatt bis Wimpfen verbreiteten Sage Anlaß gegeben haben, daß den Schluß der nassen Grenze des eroberten die Stadt Wimpfen (= Cornelia) früher Gebietes, um dann als Grenzsperre mit Pali­ viel größer gewesen sei und viele Stunden sade über Neckarburken, Oberscheidental nach Norden gereicht habe. nach Wörth am Main weitergeführt zu wer­ Im Flur „Gaisbusdi“ der Gemarkung den. Rund 60 Jahre hatte dann dieser Oedheim, 5 km östlich von Duttenberg lie­ Neckar-Odenwald-Limes Gültigkeit, bis um gen nahe der uralten „Hohen Straße“ rö­ 150 n. Chr. die Sperre vier bis fünf Stunden mische Baureste. Von Zeit zu Zeit, nament­ weiter östlich in die Linie Jagsthausen, Oster­ lich im Advent und in der Fastnachtszeit, burken, Walldürn, Miltenberg vorgeschoben so erzählt man, glänzt bis spät in der Nacht wurde. ein Licht in der Nähe der Stelle, wo die rö­ Seit zweihundert Jahren beachtet man die mische Niederlassung sich befindet, die das Überreste aus jener Zeit der Besetzung unse­ erste Falkensteiner Schloß gewesen sein soll. res Landes durch die Römer, und erst seit Das Schloß sei infolge der Missetaten des hundert Jahren müht sich die Forschung, letzten Sprosses derer von Falkenstein nach 387 einem Nachtgelage in Brand geraten und der als Schimmelreiter mit abgeschlagenem Kopf letzte Falkensteiner habe in den Flammen jedes Jahr an dem genannten Festtag im seinen Tod gefunden. Seither scheine immer Walde umherreiten und die späten Wan­ noch, einem unerlösten Geist vergleichbar, derer ängstigen. — Auch im Schimmelreiter ein dreiteiliges Licht über der Gegend des haben sich alte Erinnerungen an Wodan er­ zerstörten Schlosses. Eine andere Sage von halten, der auf seinem achtfüßigen Schim­ Oedheim berichtet, daß im Wald Diener mel Sleipnir durch die Lüfte geritten sein oder Loch bei den römischen Ruinen ein soll. — Nonnenkloster gewesen sein soll. Eine Non­ Eine Stelle der Gemarkung Tiefenbach, ne, das Lochfräulein genannt, sei dort öfters nicht weit von der Grenzlinie, heißt „Schloß­ gesehen worden. buckel“ und reizte seit Jahrhunderten die Bei Bachenau, wohin die Grenzlinie von Yolksphantasie zu lebhafter Beschäftigung Duttenberg aus weiterzieht, wird die Sage mit dieser Stelle in der Flur, öfter wurde vom „Wilden Heer“ erzählt. Im „unteren dort schon von Schatzgräbern und Neu­ Erle“ beim römischen Wachturm mußte gierigen gewühlt. Vermutlich liegt dort rö­ einst ein Bachenauer Bauer, der sich auf dem misches Mauerwerk, was aber bis heute Felde verspätet hatte, das wilde Heer über noch nicht einwandfrei untersucht ist. sich ergehen lassen. Es schlug gerade die 12. Von Wimpfen—Ofenau kommend führt Stunde, da kam es angeritten auf Pferden, von Süden her über die Markung Gundels- Hunden und Katzen mit Lärmen und To­ heim — eine Flur südlich der Stadt heißt ben, daß einem Hören und Sehen verging. „Maueräcker“ — und von hier weiter nach Der Bauer hielt sofort seine Pferde an, legte Norden vereinigt mit der über die Krumme sich auf den Bauch und steckte seinen Kopf Ebene im Westen der Duttenberger Mar­ zwischen die Räder seines Pfluges. Dann kung unter dem Namen „Dallauer Straße“ brauste das .wilde Heer über ihn hinweg, durch den Seelbachwald auf badisches Ge­ ohne daß er einen Schaden davontrug. — In biet beim Stockbronner-Hof (Gem. Neckar­ dieser Sage steckt die Erinnerung an den zimmern). Himmelsgott Wodan, der im Sturmwind Vor diesem Hofe, 0,4 km in östlicher mit den Helden Walhallas über die Erde Richtung entfernt, liegt unweit der westlich braust, und vor dem jedermann sich mit vorbeiziehenden römischen Grenzlinie im dem Angesicht auf die Erde legen muß; Gewann „Hasselt“ (die Stelle war früher denn keines Sterblichen Auge darf ihn mit Haselbüschen bedeckt, daher der Name) schauen ohne getötet zu werden. eine villa rustica, die im Jahre 1894 von In Kochertürn, etwa 10 km östlich von Dut­ Dr. Karl Schuhmacher untersucht wurde. tenberg, treffen wir auf die Sage vom Bei jenen Grabarbeiten erzählte einer Schimmelreiter, der den Kopf unterm Arm seiner Arbeiter aus dem nahen Neckar­ trägt und dadurch den nächtlichen Wande­ zimmern, daß er unweit dieses Dorfes eine rer schreckt. Im Norden dieses Dorfes liegt Stelle in der „unteren Au“ zeigen könne, wo der Donnerwald (vom Sturmgott Donar). deutlich heute noch Spuren vom Wege des Ein Edelmann ließ einst durch diesen Wald Hirsches wahrzunehmen seien, welcher der eine Straße bauen. Seine leibeigenen Bauern Jungfrau Notburga nach der Sage in die am mußten im Frondienst die Bäume Umschla­ jenseitigen Ufer des Neckars liegende Höhle gen und die Steine herbeiführen. Selbst am Speise und Trank trug. Nachforschungen er­ Dreifaltigkeitstag durften sie nicht feiern, gaben, daß dort die Reste eines weiteren und sondern mußten am Wegbau arbeiten. Da­ größeren römischen Landhauses lagen, dessen für muß noch heute der gestrenge Edelmann im Sommer oft zutage tretende Mauerzüge 388 Anlaß zu dieser im Dorf und seiner Um­ Besiedlung niederzulassen. Man ließ das Dorf gebung weit verbreiteten Sage gegeben hat­ seitwärts entstehen und nannte es wegen sei­ ten. Damals stellte Professor Schumacher ner Lage an der vermeintlichen alten Burg auch im Gemeindewald von Kälbertshausen „Burgheim“ (ad anno 774 Borocheim). Der anläßlich der Limesgrabungen das Vorhan­ gleiche Name wurde auch für das weiter öst­ densein einer weiteren römischen Villa fest. lich gelegene Osterburken gewählt, und um Die ihm durch Arbeiter bei der Grabung zur nun die beiden Orte leichter unterscheiden zu Kenntnis gekommene Sage, daß im sogenann­ können, nannte man sie nach ihrer Lage spä­ ten „Steinhaus“ früher ein Schloß gestanden ter Neckarburken und Osterburken. Daß habe, führte zu dessen näherer Untersuchung. man geglaubt hat, in den römischen Bauten Gleichzeitig wurde ihm erzählt, daß Käl­ kirchliches Eigentum sehen zu müssen, zeigt bertshausen auf eine römische Niederlassung eine Sage aus dem nördlich von Neckarburken zurückzuführen sei, auf deren Ruinen später gelegenen Sattelbach. Durch den Neckarbur- eine mittelalterliche Burg gestanden habe kener Bürgerwald zieht die im tiefen Waldes­ (Flurname „Bollwerk“). Ein römischer In­ dunkel noch heute gut erkennbare gepfla­ schriftstein auf dem Friedhof im Dorfe, der sterte Kolonnenstraße nach den Kastellen in sich heute im Landesmuseum in Karlsruhe Neckarburken. Auf dieser Straße sei alle befindet (Inschrift: In honorem domus Tage ein Edelfräulein, das im sogenannten divinae deae Viroddi Avita Maximini filia Gebsloch in Sattelbach ein Schloß gehabt v.s.l.l.m. = zur Ehre des Kaiserhauses hat habe, in die Kirche nach Neckarburken gefah­ der Göttin Viroddis die Großmutter von des ren. Eine andere Sage berichtet vom Gebsloch Maximinis Tochter ihr Gelübde gelöst froh — es liegt dort wahrscheinlich ein Zwischen­ und frei nach Gebühr), sollte angeblich nach kastell oder vielleicht auch ein Meierhof — der Volksüberlieferung vom letzten Besitzer hier habe im Schloß eine Gräfin gewohnt einer gräflichen Familie stammen, an welchen (Flurname Gräfinwiese), die bei einer Hun­ heute noch der Name „Grafenweg“ erinnere. gersnot den naheliegenden Bürgerwald — er Auf dem alten Kolonnenweg der Grenz­ geht bis vor die ersten Häuser von Sattel­ wehr, dem sogenannten Römersträßle beim bach — um zwei Laib Brot an die Neckar- Knopfhof (Gem. Mosbach), wandern wir wei­ burkener verkauft habe. ter, überqueren die breite alte Römerstraße Gut erhalten ist der römische Begleitweg Mosbach—Osterburken und erreichen im Elz­ auch im Mühlrainwald bei , mit bachtal das West-und Ostkastell von Neckar­ der ganzen Stückung und zahlreichen Gleis­ burken. Stockwerke hoch mögen noch in der spuren, allerdings vom Waldboden überdeckt Frühzeit germanischer Einwanderung die zer­ Eine Sage erzählt, daß sie vom Teufel in störten Kastellbauten aus dem Boden heraus­ einer Nacht erbaut worden sei. Vom Herrn geragt haben. Man konnte sich ihre Entste­ hatte sich dieser ein Stück Land auserbeten, hung nur so erklären, daß man annahm, es so groß wie das Gebiet, das er in einer Nacht seien Reste einer von Dynasten erbauten durch eine Straße oder einen Graben um­ Burg oder einer Kirche gewesen, denn die schließen könne. Die Bitte wurde ihm ge­ ganze übrige Bevölkerung der Frühzeit baute währt, und er begann unter Zuhilfenahme zumeist aus Holz. Heute noch heißen die Ge­ eines Schweines und eines Hahnes sein Werk. wanne, in der die Kastelle liegen, „Berk“ Doch er hatte die Grenzen zu weit gesteckt. (= Burg, wo man geborgen war) und „Bei­ Noch war er nicht fertig, da stieg schon der berk“ (Beiburg). Aberglaube hielt die ein­ neue Tag herauf, und der Hahn begann zu strömende Bevölkerung in der Folgezeit lange krähen. Aus Ärger über das Mißlingen seines davon ab, sich auf diesen Plätzen römischer Planes zerstörte Satan das unfertige Werk. 389 Als Straße und teilweise als Schweinegraben teres Hönenhaus (Gemeinde Balsbach) befun­ sind jene Reste bis heute erhalten geblieben. den habe. Dort sei es heute noch nicht ge­ Zwischen Robern und Wagenschwend liegt heuer. Oft erscheine hier die weiße Frau, man am Hange eines den dortigen Wald durch­ sehe dort auch manchmal ein Licht, wenn das ziehenden Bächleins das heute noch gut er­ Wetter sich ändere. haltene Zwischenkastell Robern. Es heißt im Auch der folgende Wachtposten 46 im Volksmund Hönehaus und befindet sich im Weißmauerfeld ist ein Hönehaus. Die beiden sogenannten Kapellenwald. Römische Wach­ Hönen von Wachtposten 45 und 46 seien türme, kleine Kastelle und vielfach auch die miteinander in Verbindung gestanden und Meierhöfe heißen im ganzen Odenwald und hätten nur einen Steinschlägel gehabt, den sie Hönehäuser, d. h. die Häuser der sich gegenseitig hinüber- und herübergewor­ Hönen, Hünen, Hennen, natürlich oft in fen hätten. Hühner, Hahnen, Hunnen usw. verderbt. Die auf den Äckern von Oberscheidental Die Hüni waren die dunkeln, schwarzen sichtbaren Erhebungen im Gelände des dor­ Leute gegenüber der blonden germanischen tigen Kohortenkastells suchte man dadurch Bevölkerung, vor allem der Römer, wohl zu erklären, daß dort eine Burg gestanden aber auch die älteren Einheimischen. Da vom habe. Die Flurnamen „Burgmauer“ und Hönehaus seit alter Zeit die Sage geht, daß „Alter Garten“ weisen noch darauf hin, wie dort ein goldenes Kalb vergraben liege, war bei dem weiter nördlich folgenden Zwischen­ das Erstaunen der Bevölkerung groß, als bei kastell Schlossau, das im „Burggewann“ liegt. Grabungen der Reichslimes-Kommission ein Der Sage nach soll dort ein Schloß gestanden Horn von dem Bilde eines jungen Stieres zum sein, doch hat das Dorf seinen Namen nicht Vorschein kam. Aber auch noch heute spielt von dem Schloß in der Au, sondern von dem das vergrabene goldene Kalb im ganzen Ge­ Bache, an dem es liegt (1271 Slozache = biet der Limesstrecke von Wimpfen bis zur Schloß am Wasser). hessischen Landesgrenze bei der Jägerwiese Kurz nach Schlossau verläßt der hintere (Gem. Schlossau) eine Rolle, und ich werde Limes badisches Gebiet und führt nach dem bei Begehungen oftmals von Leuten gefragt, hessischen Zwischenkastell Hesselbach weiter. ob ich das goldene Kalb suche. Aber noch Wenden wir uns deshalb jetzt der vor­ eine weitere Sage wird vom Hönehaus im deren Grenzlinie Jagsthausen, Osterburken, Kapellenwald erzählt: Die Sage vom Riesen­ Miltenberg zu, die 4 km nördlich von Jagst­ spielzeug. Ein Riese soll hier gewohnt haben, hausen das badische Land erreicht. der eine Tochter hatte, die einstmals einen Das Dorf Unterkessach, dessen Gemarkung pflügenden Bauer in ihrer eisernen Schürze von der Linie zuerst überquert wird, soll nach mit nach Hause brachte. Der Vater fragte sie der Sage früher viel größer gewesen sein. bei ihrer Ankunft, was sie da für Vögele habe, Man erzählt, daß es sich bis draußen vor die und befahl ihr, den Bauer zurückzubringen, „alte Kerch“ hin erstreckt habe, wo römisches denn „die Würmer vertreiben uns sonst und Mauerwerk im Boden liegen soll. Nordöstlich müssen doch Brot verschaffen“. Diese letzte von Leibenstadt im Ritterholz, einem kleinen Sage kehrt verschiedentlich wieder, wo Wäldlein, wo die römische Straße vorbei­ Hönenhäuser angetroffen werden und deutet zieht, sei vor Zeiten ein Schloß gestanden. darauf hin, daß die Römer, die hier mit den Die Grenzlinie zieht nun vom Tolnaishof Hönen gemeint sind, vom deutschen Volke in nordwestlicher Richtung weiter, wo sie öst­ vertrieben wurden. lich vom Flecken Hergenstadt im Wald der Vom Dreispitz bei Wagenschwend berich­ Herren von „Welscher Buckel“ tete ein alter Schäfer, daß sich dort ein wei­ als ein noch drei Meter hoher Wall mit Gra­ ben hervortritt. Von hier — so hört man in Schöne Mädchen mit schuppigen glatten Fisch­ der ganzen Umgebung — führe in der Limes­ leibern und -schwänzen, Brunnen- oder Was­ richtung ein unterirdischer Gang nach dem serfräulein genannt, die nachts die Menschen Kloster Schöntal bei Jagsthausen. Am Wäld- aufsuchen, wohnen darin. Oft schweben zwei lein Förstel vorbei, wo Grabhügel liegen und Brunnenfräulein im Nebel aus dem Stadt­ die Sage erzählt, daß dort ein Bischof auf brunnen. Verschiedene Male kauften sie in einem Schimmel umherreite, erreicht der ein­ einem Metzgerladen Fleisch. Als sie wieder stige Grenzwall über den Kirchberg die Stadt fortgingen und bezahlten, merkte der Metz­ Osterburken. Vom Kirchberg, wo ein römi­ ger, daß sich das für das Fleisch bezahlte sches Wachhaus liegt und sonstige Bautrüm­ Geld in Fischschuppen verwandelte. Er packte mer bis zum südwestlich davon gegenüber­ deshalb ein Brunnenfräulein bei den Haaren, liegenden Wachtposten, zieht zwischendurch doch dieses war sofort verschwunden. Von Hahnen-, im Volksmund Hennen-Klinge, ge­ diesem Tage an stürzten aus allen Wänden nannt. Wo aber die Straße nach Merchingen und aus dem Keller aus unversiegbaren Quel­ die Hahnenklinge schneidet, entspringt das len Wasserbäche. Zur Strafe für den Frevel Hahnenklingenbrünnlein. Dort sollen nach an den Wasserfräulein kann an dem Metzger­ Schumacher drei goldene Männer vergraben haus bis heute kein Keller mehr gegraben liegen, denn auf dem Kirchberg beim Flur­ werden. kreuz sei früher eine Kirche oder Kapelle Viel erzählt in Osterburken wird auch die oder ein Schloß gestanden. In der Kapelle Sage von den Brunnenfräulein, die mit ihren befanden sich drei kostbare Heiligenfiguren Spinnrädern an den Winterabenden in den von Gold. Damit diese nicht den im Drei­ Vorsitz kommen. Wo heute die Sparkasse ßigjährigen Krieg nahenden Schweden in steht, wurde früher eine Färberei betrieben. die Hände fielen, hätten zwei Osterburker Dorthin seien die Mädchen oft gekommen, Männer die Figuren aus der Kirche genom­ aber immer um V2II Uhr nahmen die hur­ men und in der Hahnenklinge verscharrt. tigen Quellgeister ihre Spinnräder unter die Weil die beiden Männer im Schwedenkrieg Arme und huschten zum Fenster hinaus. umgekommen seien, wisse bis heute niemand, Eines Abends stellten die Burschen die Uhr wo die drei „Goldenen“ begraben lägen. um eine Stunde zurück. Als die Brunnenweib­ Eine weitere Sage berichtet vom Kirchberg, chen dies merkten, verschwanden sie mit daß ein Schweinehirt nach dem Dreißigjäh­ lautem Aufschrei weinend durch die Fenster. rigen Kriege seine Herde über den Kirchberg Am heiligen Brunnen fand man am anderen getrieben habe. Einige Tiere hätten dabei Morgen rote Flecken von vergossenem Blut. unaufhörlich an einer Stelle die Erde auf­ Die Brunnenfräulein aber kamen nie wieder. gewühlt. Zum Staunen des Hirten sei eine Doch heute noch leuchten über dem Gumpen kleine Glock zum Vorschein gekommen, die in sternklaren Nächten im oberen Tal helle Lichter. im Volksmund später den Namen „Sau- Im Barnholz nordwestlich von Osterbur­ glöcklein“ führte. ken, wo die Reste eines römischen Meierhofes Auch die Sage von den Wasserfräulein liegen, und noch etwas weiter nordwestlich fehlt natürlich in dem an Quellen so reichen im Stöckich haust das Stöckimännle. Das­ Osterburken nicht. Über 100 kleinere oder selbe trägt einen grünen Hut und einen gras­ größere Quellen gibt es vom Gläschergumpen grünen Rock und hat ein Gesicht aus Moos. im oberen Wiesentale bis zum Heiligenbrun­ Seine Beine reichen nur bis zu den Knien, nen im unteren Tal. Viele Brunnen und Was­ aber es ist trotzdem flink wie eine Eidechse. serstuben liegen daneben noch im Orte selbst. Begegnet es jemanden, so schreit es zweimal

26 Badische Heimat 1969 391 fürchterlich „Wau! Wau!“, daß der ganze Odenwaldlimes her bekannte Sage vom Rie­ Wald erdröhnt, und es erhebt sich ein furcht­ senspielzeug und von den Riesen, die sich barer Sturm. gegenseitig den Hammer zuwerfen. Wie Auch im Rinschbach, d. h. dicht oberhalb lebendig die Hönensage beim dortigen Volke Bofsheim, wo der Limes nun vorbeizieht, ist, beweist auch der Umstand, daß die Leute finden wir die altgermanische Sage von den von Rinschheim erzählen, die ganz alten halb fisch-, halb menschenartigen Bach- oder Häuser dieses Ortes stammten von den Meerfräulein, die mitunter auch die Bezeich­ Hönen. nung „Nunnen“ führen. Die betreffende Von dem auf dem Lausenberg befindlichen Stelle in den Wiesen, wo die Nixen hausen Wachtposten 9 erzählt Schumacher als ein­ sollen, heißt „die Badstube“. zige Sage, daß hier ein Heer einem anderen Dicht hinter dem Hardberg von Bofsheim im Henigwald aufgelauert habe. befindet sich auf der Höhe eine Stelle, die Vom Kleinkastell Hönehaus (Gemarkung „im alten Haus“ genannt wird, die zu der Hettingen) an der Altheimer Straße, das Sage Anlaß gab, das Dorf wäre früher größer 1892 eines der besterhaltenen von allen da­ gewesen. mals zur Untersuchung anstehenden römi­ Etwa 1 km nordwestlich dieser Stelle liegt schen Bauwerke war, ist keine Sage über­ auf der rechten Seite des Rinschbachtales beim liefert. Nicht übergehen möchte ich aber eine Rosenacker, an der Grenze der Bofsheimer andere Sage, obwohl die Stelle, wo sie spielt, und Götzinger Gemarkung, eine flache An­ etwas weitab vom Kleinkastell Hönehaus höhe, die mit Äckern bestellt ist und den liegt. Nördlich von Hettingen liegt nämlich Namen „Hönenhaus“ führt. Es dürfte sich auf einer Landzunge ein wie zu einer Be­ hier um ein römisches Hirtenhaus handeln, festigung geschaffener Hügel, Künzberg oder da bei einer oberflächlichen Untersuchung Königsberg genannt. Hier soll im Mittelalter keine Spur von einem Anbau bemerkt wurde. ein altes Schloß gestanden haben. Mauerwerk Andere nennen diese Stelle auch „Am eenen steht heute noch im Boden, und wir haben Haus“ (d. h. einen Haus), so daß eigentlich es nach Karl Christs Meinung wahrscheinlich nur eine Untersuchung der Ortsbücher den mit einer alten Gerichtsstätte der großen alten Namen festzustellen vermag. Hettigheimer Mark zu tun. Hierfür spricht Nahezu 800 m von Götzingen liegt der auch die Sage, man sehe hier des Nachts einen Wachturm 11 der Grenzlinie, im Volksmund Haufen feuriger Kohlen, worüber zwei „Hönenhaus“ genannt. Man will wissen, daß Schwerter gekreuzt wären. hier die vorgeschichtlichen Menschen (Hönen) Vor Walldürn folgt innerhalb der Grenz­ gehaust haben, die in Götzingen ihren Götzen linie das Zwischenkastell „Alte Burg“ auf opferten. (Der Name Götzingen hängt natür­ einer flachen Erhöhung, am Morschbrunnen, lich mit einem Personennamen zusammen.) wo man früher einen römischen Votivaltar, Der 500 m weiter östlich liegende Waldname dem Mars und der Viktoria zu Ehren zweier Henigwald auf der Karte ist natürlich aus nicht genannter Kaiser (wahrscheinlich Septi- Hönigwald verunstaltet. Links an der Straße mius Severus und Caracalla) infolge eines nach Rinschheim, etwa 300 m nordwestlich Sieges errichtet, gefunden hat, der später in von Götzingen, liegt eine Stätte alter Ansied­ die Sammlung nach Erbach gelangte. Infolge lung „der Kirschgarten“ (vielleicht aus Kirch- dieses harmlosen Steines glaubte man hier garten entstellt), wo Mauerwerk im Boden dem entspringenden Morschbache den Namen stecken soll (ob römisch?). Marsbach erteilen zu müssen. Das Wort Erneut begegnet uns in der Gegend des „Morsch“ aber hat nichts mit dem Mart oder Hönehauses bei Götzingen die uns vom Mars zu tun, sondern ist ein gutes deutsches 392 Wort, das sumpfig bedeutet. Der Morsch­ Ihre volle Bedeutung erhält die geschil­ brunnen liegt denn auch in einem weitgedehn­ derte Sage aber vor allen Dingen dadurch, ten feuchten Wiesengrunde, die Seewiesen ge­ daß man im Morschbrunnen früher viele so­ nannt, weiter oberhalb Meerwiesen, von dem genannte Heidenklöpfel, d. h. römische Mün­ Worte Meer, dessen eigentliche Bedeutung zen gefunden hat, welche, wie dies von den „Sumpf“ ist, wie noch im Niederländischen Römern auch sonst bekannt ist, als Opferung maar. Daß diese Niederung ehemals mit in das Quellwasser geworfen wurden. Die Wasser bedeckt war, zeigt der Umstand, daß Verehrung der Quell-Nymphen, d. h. der man bei geringer Nachgrabung in den Wie­ germanischen Wassernixen (anderorts Schwa- sen eine Menge Muscheln findet. Einer Sage nenjungfrauen genannt) ist in Amorbach zufolge soll der Morschbrunnen einen unter­ durch eine römische Inschrift belegt. Auch in irdischen Abfluß in die Erf nach dem zwei dem Altstadt-Kastell Miltenberg kam ein Stunden entfernten Bretzingen haben. Der Nymphen-Stein zum Vorschein, und an dem eigentliche Abfluß des Morschbrunnens geht benachbarten Hennen-Brunnen, wie zu Rü- aber bei Amorbach in die Mud, nach Auf­ denau, kommen ebenfalls Andeutungen un­ nahme des Märzbrunnens (dessen Name serer Sage vor. ebenfalls von der morschigen Lage stammt), Im Lindigwald, wo die Grenzsperre durch­ des Mühlbaches bei Ripperg sowie der Morre zieht, soll es beim Katzensteg spuken. Vom bei Schneeberg. Entlang dem Laufe des gleichen Wald geht auch die Sage, daß sich Morschbaches treffen wir allerorten auf die dort ein Waldgeist umhertreibe. Nach dem uns bekannte altgermanische Sage von den Jagdruf des wilden Heeres wird dieser Wald­ Wasserfräulein, welche die Römer in ihren geist Hai-Hui genannt. Ein anderer ehema­ Nymphen wiedererkannten. — Raum und liger Wald trägt den Flurnamen „rappeliger Quelle hatten bei den Römern ihre Nym­ Busch“, weil es darin „rappelig“, d. h. nicht phen, im Murmeln der Quelle und des Wie­ ganz geheuer ist. senbaches hörte man das Plaudern der Nixen. Das nun folgende Kastell Hasselburg liegt In der Quelle des Morschbrunnens sollen 7,3 km nordwestlich von Walldürn entfernt. jene Nixen hausen, in anthropologischer Ge­ Reste sind kaum mehr sichtbar. Sein Stein­ staltung: halb Fisch, halb Mensch („desinit material soll insbesondere um das Jahr 1780 in piscem mulier formosa superne“). Bei der zum Bau einer Kirche in Reinhardsachsen Nacht, so wird auch hier wie anderwärts verwendet worden sein. Im einstigen Ge­ erzählt, seien sie in die Spinnstuben gekom­ mäuer glaubte das Volk, wie der Name des men und hätten dort mitgesponnen, wobei sie Kleinkastells heute noch verrät, eine Burg zu sich einmal bis 12 Uhr verspätet hätten, wor­ erkennen. auf man des Morgens das Wasser des Morsch­ Zwischen Walldürn und Miltenberg ent­ brunnens blutig gefärbt gesehen habe, als deckte der weithin bekannte und verdienst­ Zeichen, daß sie von dem Wassergeist zur volle Miltenberger Kreisrichter und Limes­ Strafe getötet worden seien. In Walldürn forscher Conrady durch die Aussage eines sowohl wie in Ripperg (wo heute noch ein Bauern, auf seinem Acker sei ein „Wasser- Wirtshaus „Zu den Meerfräulein“ besteht, fräle“ eingemauert, einen römischen Wach­ sowie eine Kirche mit Quelle dabei, einer turm. jener Quellen-Kapellen, wie sie vielfach als Die Grenzlinie verläßt nun 2,5 km nord­ Wallfahrtsplätze Vorkommen) wurden noch westlich der Flasselburg badisches Gebiet, um zu Anfang dieses Jahrhunderts bestimmte 9 km weiter den letzten römischen Haupt­ alte Häuser gezeigt, wohin die Nixen oder stützpunkt am Main zu erreichen, das 2,7 ha Nunnen beim Spinnen gekommen sind. große Kastell der Cohors I Sequanorum et 393 Rauricorum equitatae in Altstadt—Milten­ haben, in allerlei Gestalten im Odenwald berg. kenntlich, zumeist in der eines Waldgottes, Die auf dem Greinberg bei Miltenberg, wie wie ja den Germanen der Wald über alles auf dem Heiligenberg bei gefun­ heilig war und alles, was er barg, diesem in denen Altarinschriften deuten darauf hin, der Regel grün gekleideten Jagdgotte ge­ daß an beiden Stellen schon in vorrömischer hörte. Mit grünem Hut bedeckt soll er sich Zeit sich uralte germanische Kultstätten denn auch noch jetzt auf dem Greinberg befanden, welche dann in römischer Zeit zu (grien = Geröll, Kies, Sand) zeigen. Der festen Opferstätten umgewandelt wurden, zu römisch-germanisch befestigte Zufluchtsort Kapellen, in welchen der an die Stelle Wo­ auf dem Greinberg ist noch wohl erhalten dans und Donars getretene Merkur verehrt und besteht aus roh übereinander gehäuften wurde. Sandsteinblöcken, wie sie in der dortigen Noch jetzt ist Wodan, wie wir gesehen Gegend überall im Wald herumliegen.

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