BEAMTENREGIERUNG

Grabstätte Walter Breiskys im oberen Stadtfriedhof ; Sektionschef Walter Breisky: Ein-Tages-Bundeskanzler. „Fachmann ihres Vertrauens“

Der Spitzenbeamte Walter Breisky, Sektionschef im Bundeskanzleramt, leitete in der Zwischenkriegs- zeit viermal das Innenressort. Einen Tag lang leitete er auch das Bundeskanzleramt.

eamtenregierungen sind nichts den Staatsdienst ein. Er war Konzepts- onschef Walter Breisky auf. Laut Ignaz Neues in Österreich. In der Mo- beamter in der niederösterreichischen Seipel, der ab 1921 den Christlichsozia- Bnarchie leiteten manchmal Sekti- Statthalterei und kam 1905 in das Un- len vorstand und zweimal Bundeskanz- onschefs ihr Ministerium. Es gab „Be- terrichtsministerium, wo er Referent für ler war, wollte die Partei einen „Fach- amtenkabinette“ und Expertenregierun- den evangelischen Kultus war. 1907 mann ihres Vertrauens“ als Innenres- gen. Auch in der Zwischenkriegszeit wechselte er als Pressereferent in das sortchef haben, der das Regierungsamt wurden Spitzenbeamte mit Ministeräm- Ministerratspräsidium und wurde Mi- als „unparteiischer Beamter“ zu führen tern betraut. Der bekannteste Beamte in nisterialsekretär. 1909 wurde er Sekti- habe. Mit 22. Oktober 1920 wurde einer Regierungsfunktion war Wiens onsrat und 1913 Ministerialrat. Anfang Breisky vorübergehend auch mit der Polizeipräsident Johann Schober, der ab 1917 verlieh ihm Kaiser Karl das Ritter- Leitung des Staatsamtes für Heerwesen 1921 dreimal als Bundeskanzler ange- kreuz des Leopold-Ordens. Gegen Ende betraut, nachdem die Sozialdemokraten lobt wurde. Er hatte kurzfristig zweimal der Monarchie war er Stellvertreter des aus der Regierung ausgeschieden waren das Amt des Innenministers inne und Leiters des Pressebüros im Ministerrats- (und bis 1945 nicht mehr in der Regie- stand auch anderen Ministerien vor; zu- präsidium. Nach der Republiksgrün- rung waren). letzt war er Vizekanzler. In der Zweiten dung leitete Breisky 1919 die adminis- Mit dem Tag des Inkrafttretens des Republik fungierten mehrere Spitzenbe- trativen Agenden der Pressestelle in der Bundes-Verfassungsgesetzes am 10. amte als Justizminister. deutschösterreichischen Staatskanzlei, November 1920 änderten sich die Be- Ein Beamter leitete Anfang der dem späteren Bundeskanzleramt, und zeichnungen der Regierungsfunktionen. 1920er-Jahre gleich viermal das Innen- wurde zum Sektionschef ernannt. Aus der Staatsregierung wurde die Bun- ressort und war einen Tag lang Bundes- desregierung, aus dem Leiter der Staats- kanzler. Es handelte sich um Dr. Walter „Unparteiischer Beamter“. Zu Be- kanzlei der Bundeskanzler, aus den ABITZER S Breisky, Sektionschef im Bundeskanz- ginn der Ersten Republik wurde Öster- Staatsämtern die Bundesministerien,

ERNER leramt. Breisky wurde am 8. Juli 1871 reich von einer Koalition aus Sozialde- aus den Staatssekretären die Bundesmi- , W in der Schweizer Hauptstadt gebo- mokraten und Christlichsozialen regiert. nister und aus den Unterstaatssekretären

USTRIA ren. Sein Vater, der aus Böhmen stam- Als diese im Juni 1920 zerbrach, wurde die Staatssekretäre. Walter Breisky lei- A mende Gynäkologe August Breisky, am 7. Juli 1920 von der Konstituieren- tete nun das Bundesministerium für In- war ab 1867 Professor für Geburtshilfe den Nationalversammlung eine Über- neres und Unterricht.

ILDARCHIV an der Universität Bern, erhielt 1874 ei- gangsregierung unter als Zehn Tage später, am 20. November ne Professur in Prag und zog 1886 mit Leiter der Staatskanzlei gebildet, deren 1920, wurde eine neue Bundesregierung /ÖNB/B seiner Familie nach Wien, wo er an der Mitglieder proporzmäßig von Sozialde- gewählt. Walter Breisky wurde Vize- AYER

F Universität Professor für Gynäkologie mokraten, Christlichsozialen und Groß- kanzler und mit der Leitung der Angele-

EORG und Geburtshilfe wurde. deutschen bestimmt wurden. Als Leiter genheiten des Unterrichts und Kultus : G Walter Breisky studierte Rechtswis- (Staatssekretär) des Staatsamts für Inne- betraut. Sein Nachfolger als Bundesmi- OTOS

F senschaften in Wien und trat 1895 in res stellten die Christlichsozialen Sekti- nister für Inneres und Unterricht wurde

ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/20 73 POLIZEIGESCHICHTE

WIENER SICHERHEITSWACHE mit Egon Glanz-Eicha ebenfalls ein Spitzenbeamter. Ab 7. April 1921 leite- te wieder Breisky das Bundesministeri- um für Inneres und Unterricht (bis 23. April 1921) und gleichzeitig das Bun- desministerium für Heereswesen (bis 28. April 1921). Am 21. Juni 1921 wählte der Natio- nalrat eine neue Bundesregierung. Es handelte sich um ein großteils aus Be- amten bestehendes Minderheitskabinett der Christlichsozialen Partei, gestützt von der Großdeutschen Partei. Johann Schober wurde Bundeskanzler und Walter Breisky Vizekanzler, er wurde auch mit der Leitung der Angelegenhei- ten des Unterrichts und Kultus betraut. Am 26. Jänner 1922 erlangte Breisky die höchste Funktion in der Bundesre- gierung: Nach dem Rücktritt Schobers wurde er mit dem Vorsitz der Regie- rung betraut und war somit Bundes- Häftlingstransportwagen „Grüner Heinrich“: Die Zugpferde wurden von der kanzler – allerdings nur einen Tag lang. berittenen Sicherheitswacheabteilung zur Verfügung gestellt. Es handelte sich um eine einstweilige Regierung und am nächsten Tag traten die neuen Regierungsmitglieder ihre „Grüner Heinrich“ Ämter an. Als Ein-Tages-Kanzler wur- de Breisky auch mit der Fortführung der Bis 1925 wurden Festgenommene in Wien mit einem von zwei Verwaltung des Außenministeriums und Pferden gezogenen Wagen transportiert. des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht betraut. Damit wurde er nach m Polizeimuseum Wien des Bun- „grüne Heinrich“ Festgenommene Juli 1920, November 1920 und April Idesministeriums für Inneres in der durch die Hauptstadt. 1921 zum vierten Mal Leiter des Innen- Marokkanerkaserne in Wien-Land- Die Pferdewagen verschwanden, ressorts. straße befindet sich ein Modell eines der Name blieb. Die neuen grünen, geschlossenen Pferdewagens. Wegen mit vergitterten Fenstern versehenen Rückkehr ins BKA. Walter Breisky seiner Farbe wurde der Wagen in der Kleintransporter der Wiener Polizei wurde am 27. Jänner 1922 wieder Vize- Bevölkerung „grüner Heinrich“ ge- wurden weiterhin „grüner Heinrich“ kanzler und leitete weiterhin die Ange- nannt. Der zweiachsige Holzwagen genannt. Die neuen Arrestantenwagen legenheiten des Unterrichts und Kultus wurde von zwei Pferden gezogen; die befuhren täglich bestimmte Strecken – bis zum Rücktritt am 31. Mai 1922. Rösser wurden von der „berittenen Si- in Wien, um Häftlinge zwischen den Danach wechselte er als Sektionsleiter cherheitswacheabteilung“ zur Verfü- Polizeidienststellen, Gerichtsgebäu- wieder in das Bundeskanzleramt. An- gung gestellt. War eine Straße etwas den und Gefangenenhäusern zu beför- fang 1923 wurde Breisky Präsident des steiler, mussten zwei weitere Pferde dern. Ende der 1920er-Jahre brachten Bundesamtes für Statistik und in dieser vorgespannt werden. es die Arrestantenwagen auf rund Funktion 1925 Mitglied des Internatio- Der „grüne Heinrich“ wurde bald 80.000 Kilometer jährlich. nalen statistischen Instituts in Den nach der Gründung der Wiener Si- Der „grüne Heinrich“ ist im Volks- Haag. 1926 wurde er Vorstandsmitglied cherheitswache im Jahr 1869 für den mund auch als „grüne Minna“ oder der Paneuropa-Bewegung. 1931 trat er Häftlingstransport eingesetzt. Er fuhr „Frosch“ bekannt, in Tschechien aus gesundheitlichen Gründen als Präsi- bis zu fünfmal im Tag Polizeikom- nennt man ihn „grüner Anton“ und in dent des Statistik-Bundesamtes zurück. missariate, das Polizeigefangenenhaus Frankreich „Salatkorb“ (panier à sa- Er war auch Präsident des Komitees der und das landesgerichtliche Gefange- lade). Hochschulkurse. nenhaus an. Nach dem Ersten Welt- krieg erhielt die Wiener Polizei Das Polizeimuseum Wien in der Tragisches Ende. Im September 1944 Transportautomobile, mit denen auch Marokkanerkaserne wird von der Ab- wurde Walter Breisky von der Häftlinge transportiert wurden, sodass teilung I/8 (Protokoll und Veranstal- kurzfristig festgenommen und verhört. die geschlossenen Pferdewagen zu- tungsmanagement) des BMI betreut. Er war wegen Abhörens eines Feindsen-

nehmend aus dem Stadtbild ver- Zu den Aufgaben der Abteilung gehö- ders angezeigt worden. Vermutlich we- OLIZEIARCHIV schwanden. ren unter anderem die Bereiche Exe- /P gen dieser „Schande“ nahm er sich am IEN

Im September 1925 transportierte kutivgeschichte und Traditionspflege. 25. September 1944 in seinem Haus in W PD

der letzte von zwei Pferden gezogene Kontakt: [email protected] Klosterneuburg das Leben. : L OTO

Werner Sabitzer F

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