„Die Volksbildungstätigkeit Müsse Grundsätzlich Eine Freie Und
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80 RECHERCHE „Die Volksbildungstätigkeit müsse grundsätzlich eine freie und selbständige bleiben“1 Ludwig Koesslers Bemühungen um eine gesetzliche Regelung des Volksbildungswesens zwischen 1916 und 1922 Thomas Dostal Die Volksbildung – eine zivilgesellschaftliche Gründung der – wie man es heute nennen würde Errungenschaft – Zivilgesellschaft.3 Die Volksbildung in Österreich ging nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft aus. Ermöglicht „Desinteressement“ des Staates gegenüber durch die rechtlichen Grundlagen des liberalen der Volksbildung Vereinsgesetzes von 1867, entstanden auf Ini tiative Diesem zivilgesellschaftlichen Engagement einer einzelner liberaler, sozialreformerisch orientierter, Phalanx aus bildungsbürgerlicher Intelligenz und zum Teil auch antiklerikal gesinnter bürgerlicher besitzbürgerlichem Mäzenatentums für die Bildung Honoratioren ab den 1870er-Jahren in einzelnen „des Volkes“ stand zunächst die weitgehende Passi- Kronländern der Habsburgermonarchie Volksbil- vität des Staates und seiner Institutionen gegenüber: dungsvereine als die organisatorischen Träger der „Das vollkommene Desinteressement der Unter- Volksbildungsarbeit im jeweiligen Kronland: so richtsverwaltung an der Volksbildungsarbeit kann 1870 der Steier märkische Volksbildungsverein in nicht mit der im ersten Absatze des Artikels 17 des Graz, 1872 der Oberösterreichische Volksbildungs- […] Staatsgrundgesetzes normierten Freiheit der verein in Linz, 1885 der Nieder öster reichische Volks- Wissenschaft und ihrer Lehre begründet werden; bildungsverein in Krems an der Donau, 1893 der denn Volksbildung ist nicht wissenschaftliche For- Wiener Volksbildungsverein in der Reichshaupt - schung, sondern Unterricht und Erziehung, eine und Residenzstadt, der bereits 1887 als „Zweigver- Ergänzung und Fortsetzung der Schule.“4 Diese ein Wien und Umgebung“ des Niederösterreichi- (verfassungs-)rechtliche „Unterlassung der Stellung- schen Volksbildungsvereins begründet wurde.2 nahme“ zu den volksbildnerischen Unternehmun- Auch die erste – im engeren Sinne des Wor tes – gen gab diesen zwar die Gewähr der Unabhängigkeit Abendvolks hochschule der Monarchie, das 1901 von politischen Wandlungen der Regierungen und geschaffene „Volksheim“ in Wien Ottakring, das ihren Ansichten über das Unterrichts- und Erzie- seinen Ursprung im Wunsch von Hörerinnen und hungswesen. Die Kehrseite aber war, dass das Volks- Hörern der volkstümlichen Universitätsvorträge bildungswesen fast gänzlich auf die private Freige- nach intensiverer Bildungsarbeit hatte, ist eine bigkeit angewiesen war.5 „DIE VOLKSBILDUNGSTÄTIGKEIT MÜSSE GRUNDSÄTZLICH EINE FREIE UND SELBSTÄNDIGE BLEIBEN“ 81 Mit dem Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember Volksbildung mit polizeilicher Lizenz, 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aber ohne staatliche Zuständigkeit für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Konnte daraus gefolgert werden, dass der Vollzugs- Länder sowie mit dem am 25. Mai 1868 erlassenen gewalt des Staates auch die oberste Leitung und Schulgesetz wurde das grundsätzliche Verhältnis Beaufsichtigung der freien Volksbildungseinrichtun- zwischen Kirche und Staat im Bereich des Schul- gen zukam? Jahrzehntelang war dies eine rein wesens nach jahrzehntelangen Kämpfen endgültig akademische Frage, denn die staatliche Unterrichts- zu Gunsten des letzteren entschieden. Mühsam verwaltung hatte das private Volksbildungswesen hatte der Staat der katholischen Kirche das Recht von Amts wegen überhaupt nicht bekümmert. Dort der obersten Leitung und Aufsicht über das gesam- einlaufende Subventionsgesuche wurden als eine te Unterrichts- und Erziehungswesen abringen kön- Art Gnadensache behandelt. Die Volksbildungsver- nen. Der Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes von eine waren gemeinnützige Vereine, wobei es grund- 1867 hält ferner fest, dass jeder Staatsbürger berech- sätzlich egal war, ob sie sich mit Volksbildung oder tigt ist, „Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu mit einer anderen öffentlichen Aufgabe befassten. gründen und in solchen Unterricht zu erteilen, […] Lediglich bei der Genehmigung oder Abänderung der seine Befähigung in gesetzlicher Weise nachge- der Satzungen traten die Volksbildungsvereine mit wiesen hat.“ Diese Beschränkung war aber offen- den Behörden in Verbindung. Vom Standpunkt der sichtlich nur für die Unterrichts- und Erziehungs- öffentlichen Ordnung und Sicherheit kümmerten anstalten im engeren Sinne, insbesondere für jene sich regelmäßig nur die politischen Unterbehörden der schulpflichtigen Jugend, gedacht. Auf das Volks- um die Volksbildungsvereine. Da die Erwerbszweige bildungswesen, also auf die von der Bevölkerung des Privatunterrichts und der Erziehung, aber auch selbst aus privaten Mitteln errichteten und durch die Unternehmungen der öffentlichen Belustigun- die Beiträge der Bevölkerung erhaltenen Einrich- gen und Schaustellungen aller Art von der Gewer- tungen der Erwachsenenbildung haben diese Geset- beordnung von 1859 ausgenommen waren, fiel das ze offenbar keine Anwendung. Denn erstens war volkstümliche Vortragswesen ebenso wie das Thea- ein außerschulisches Volksbildungswesen in den ter in die Kompetenz der Polizeibehörden. Der 1860er-Jahren noch kaum vorhanden, und zweitens volks bildnerische Vortragsbetrieb ruhte also ledig- war die Vorschrift eines amtlichen Befähigungs- lich auf einer Produktionslizenz der Polizeibehörde, ausweises auf dieses schwer anwendbar.6 Anderer- die von Zeit zu Zeit erneuert werden musste. Wollte seits waren alle Privatlehranstalten klar geregelt, die man zum Beispiel in Wien ein eigenes Gebäude für nach Paragraph 12 der Kaiserlichen Verordnung die Volksbildung errichten, kamen noch das städti- vom 27. Juni 1850 (R.G.Bl. Nr. 309) unter der Ober- sche Bauamt, das Bezirks-Polizeikommissariat, die aufsicht der Regierung standen. Diese hatte das Bezirksvertretung und die städtische Feuerwehr Recht, sich in geeigneter Weise von deren Zustand hinzu.8 Das für die oberste Leitung und Aufsicht des genaue Kenntnis zu verschaffen und sogar Anstalten Unterrichts- und Erziehungswesens zuständige k.k. zu schließen, wenn diese einen in moralischer oder Ministerium für Kultus und Unterricht erklärte sich politischer Beziehung schädlichen Charakter annah- vor dem Ersten Weltkrieg für Anfragen von Wiener men.7 Volksbildungseinrichtungen für unzuständig. Und 82 SPURENSUCHE 25. Jg., 2016 auch mit der Wiener Gemeindeverwaltung hatten keit.12 Beim Niederösterreichischen Volksbildungs- diese trotz umfangreicher Gemeindeautonomie der verein führten die allgemeinen Kriegsfolgen zur Groß-Kommune Wien keine durch die Volksbil- Lahmlegung fast aller seiner Zweigvereine.13 dungsarbeit an sich begründete Verbindung.9 Am Anfang des Kriegs herrschte die Überzeu- Doch erhoben sich bereits vor dem Krieg Stim- gung, dass niemand Lust, Zeit und Geld für Volks- men, die für eine öffentliche Verantwortung gegen- bildungszwecke haben werde. Die Universität Wien über dem um die Jahrhundertwende insbesondere bot zu Beginn des Kriegs im Rahmen ihrer volks- in Wien aufblühenden Volksbildungswesen plädier- tümlichen Universitätsvorträge sogenannte Kriegs- ten. So war der bedeutende Volksbildner Univ.-Doz. kurse an, in denen man nützliche Belehrungen etwa Dr. Ludo Moritz Hartmann davon überzeugt, dass zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten, über sich Volksbildungseinrichtungen nicht selbst erhal- Volksseuchen und über wirtschaftliche Kriegsfragen ten könnten, da der ärmere Teil der Bevölkerung, erhalten konnte. Anfänglich gut besucht, schwand für den die Einrichtungen primär geschaffen wur- aber schon im zweiten und noch mehr im dritten den, nicht in der Lage sei, die Lasten zu tragen. Bei Kriegsjahr das diesbezügliche Interesse deutlich, einem entsprechend hohen Eintritt für volksbildne- weshalb wieder das bisherige, thematisch breit ge- rische Veranstaltungen sei wiederum nur jenen fächerte natur- und kulturwissenschaftliche Pro- Kreisen der Zugang möglich, die ihr Wissensbedürf- gramm eingeführt wurde. Zwar sank die Zahl der nis auch auf andere Weise stillen könnten. Daher angebotenen Kurse, aber jene der Teilnahmen stieg forderte Hartmann die Übernahme und Erhaltung deutlich. Auch bei den Bücherentlehnungen war für von Volksbildungseinrichtungen durch den Staat den Verlauf des Kriegs in Wien ein beträchtlicher oder die Gemeinden.10 Das private Vorgehen könne Anstieg zu konstatieren. Zwar war auch in den jedenfalls nur die Bahn brechen. Ziel bleibe, dass Wiener Volksbildungseinrichtungen ein großer Teil die Volkshochschulen – so wie die Universitäten – der Mitglieder eingerückt, doch traten an ihre Stelle als eigenständige Körperschaften vom Staate unter- andere, so dass der Ausfall gering blieb. Erfahrene halten werden. Die Volkshochschulen müssten aber Volksbildner wie Ludo Moritz Hartmann zeigten selbstständig bleiben. Der Staat dürfe sie nicht sich davon überzeugt, dass gerade während des büro kratisch regeln, denn das wäre das Ende ihrer Kriegs viele Zurückgebliebene an der „Heimatfront“ Wirksamkeit.11 für die Volksbildung gewonnen werden konnten, und dass auch unter den Kriegsheimkehrern auf- „Der Weltkrieg hat die Grundlagen des grund ihrer Kriegserlebnisse ein erhöhtes Interesse menschlichen Daseins und der menschlichen an der Volksbildung bestehen werde.14 Gemeinschaft erschüttert …“ Einen enormen Aufschwung erlebte die 1897 als Der Erste Weltkrieg führte vor allem in den Kron- Syndikat gegründete Urania in Wien, die nach ei- ländern zu einer Beeinträchtigung der Volksbil- nem finanziellen Desaster nach Beendigung der dungsarbeit. Die Einberufung vieler Vortragender