Klinckerfuß, Johanna

ler, 1921, S. 178)

Profil

Die Pianistin Johanna Klinckerfuß studierte Klavier bei Sigmund Lebert am Stuttgarter Konservatorium sowie bei in Weimar und konnte sich anschließend als herausragende Solistin und Kammermusikerin im deutschen Musikleben etablieren. Dabei zeichnete sich ihr Repertoire durch eine große Bandbreite aus. Neben dem klassisch-romantischen Repertoire, das Werke von , Robert Schumann und Johannes Brahms sowie von Anton Rubinstein und Franz Liszt um- fasste, nahm Johanna Klinckerfuß auch Werke zeitgenös- sischer Komponisten in ihre Konzertprogramme auf und förderte auf diese Weise, vor allem in späteren Jahren, gezielt die aktuelle Musik. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Stuttgarter Klavierfabrikanten Apollo Klinckerfuß, arbeitete sie zudem an historischen Instrumenten. So ist z. B. überliefert, dass Johanna Klinckerfuß Werke Jo- hann Sebastian Bachs auf einem von ihrem Mann restau- rierten Cembalo vortrug.

Das Stuttgarter Haus des Ehepaares Johanna und Apollo Klinckerfuß galt als ein Ort, an dem LiteratInnen, bilden- de KünstlerInnen und MusikerInnen zusammentrafen, Die Pianistin Johanna Klinckerfuß darunter Johannes Brahms, Edvard Grieg, Hugo Wolf und Wilhelm Furtwängler. Johanna Klinckerfuß Geburtsname: Johanna Schultz Orte und Länder Varianten: Johanna Klinkerfuß, Johanna Klinckerfuss, Johanna Klinckerfuß wurde in Hamburg geboren und er- Johanna Schulz hielt dort ihre erste musikalische Ausbildung. Von 1870 bis 1873 studierte sie Klavier am Stuttgarter Konservato- * 22. März 1855 in Hamburg, Deutschland rium sowie in den Sommern 1872 und 1873 bei Franz † 12. Dezember 1924 in , Deutschland Liszt in Weimar. Anschließend kehrte sie für kurze Zeit nach Norddeutschland zurück. Ende 1873, Anfang 1874 Pianistin heiratete sie den Stuttgarter Klavierfabrikanten Apollo Klinckerfuß und ließ sich mit ihm in nieder. Jo- „In ihrer besten Zeit war sie eine ausgezeichnete Virtuo- hanna Klinckerfuß starb 1924 in Ludwigsburg. sin, eine bedeutende Liszt-, Rubinstein-, Brahms- und Griegspielerin. Menschlich wie künstlerisch aber war sie Johanna Klinckerfuß trat nach ihrer Heirat vorwiegend eine ‚Lisztianerin‘ [...], immer künstlerisch überschweng- in Stuttgart auf, gab jedoch auch vereinzelt Konzerte in lich, immer in Exstase und Exaltation, immer aber auch Leipzig und Hamburg sowie in weiteren deutschen Städ- menschlich selbstlos, idealgesinnt, edel, warmherzig und ten. lieb, eine Meisterin ohne Fehl und Tadel aus großer und schon beinah ganz verklungener Zeit ...“ Biografie

Johanna Klinckerfuß, geb. Schultz, wurde am 22. März (Walter Niemann über Johanna Klinckerfuß, in: Meister 1855 als Tochter des Musikdirektors und Kapellmeisters des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und der letz- Heinrich Schultz und seiner Frau in Hamburg geboren ten Vergangenheit. 14. Auflage. Berlin: Schuster & Loeff- und erhielt dort ihre erste musikalische Ausbildung. Ab

– 1 – Klinckerfuß, Johanna dem Alter von sechs Jahren wurde sie von dem Musik- jungen Dame günstig.“ („Musikalisches Wochenblatt“ pädagogen Moritz Beer in Klavier unterrichtet und trat vom 7. November 1873, S. 642) noch als Kind in den Stockhausenschen Kammermusik- Soiréen auf, die der Sänger und Dirigent Julius Stockhau- Ungefähr Ende 1873, Anfang 1874 heiratete Johanna sen in Hamburg veranstaltete. So übernahm sie z. B. bei Klinckerfuß den Stuttgarter Klavierbauer und Hofrat einem dieser Konzerte den Klavierpart in Felix Mendels- Apollo Klinckerfuß (1840-1923), der dort die Klavierfir- sohn Bartholdys Klaviertrio d-Moll (op. 49) und spielte men Bechstein, Blüthner und Steinway vertrat. Das Ehe- Solostücke von Domenico Scarlatti, Carl Maria von We- paar hatte drei Kinder, die beiden Söhne Walther und ber und Frédéric Chopin (vgl. Biographisches 1885). Erich Klinckerfuß sowie die spätere Pianistin Margaret- he Klinckerfuß (1877-1959). Von 1870 bis 1873 studierte Johanna Klinckerfuß Klavier am Stuttgarter Konservatorium bei Sigmund Lebert. Ge- Die Villa der Familie Klinckerfuß in der Kanzleistraße gen Ende ihres dortigen Studiums wurde sie von Sig- Nr. 18 auf der so genannten Silberburg in Stuttgart blieb mund Lebert an Franz Liszt nach Weimar empfohlen, wo mehrere Jahrzehnte lang eines der wesentlichen Musik- Johanna Klinckerfuß in den Sommermonaten 1872 und zentren der Stadt, in dem u. a. Johannes Brahms, Ed- 1873 ihr Studium fortsetzte. Am 13. Oktober 1872 sch- ward Grieg, Hans von Bülow, Anton Rubinstein sowie rieb Franz Liszt an Sigmund Lebert: „Sie hatten mir Fräu- die Dirigenten Fritz Busch und Wilhelm Furtwängler ein lein Johanna Schultz nicht übertrieben empfohlen. Ger- und aus gingen. Auch Hugo Wolf gehörte ab 1894 zu den ne erkenne ich in ihr eine bemerkenswerte, auserlesene häufigen Gästen des Hauses und schrieb am 20. Februar Pianistin, welche der Stuttgarter Schule besondere Ehre 1894 aus Stuttgart an Melanie Köchert: „Der Aufenthalt macht. Die seltene Korrektheit, die feine Nuancierung hier behagt mir ganz besonders u. der Verkehr mit mei- und das gediegene innige Verständnis ihres Vortrags erf- nen Freunden hier [...] ist höchst angenehm u. anregend. reuten mich mehrmals“ (zit. n. Klinckerfuß 1947, S. 22). Namentlich Herr u. Frau Klinckerfuß überbieten sich an Am 23. April 1873 gab Johanna Klinckerfuß ein Ab- Aufmerksamkeit mir gegenüber.“ (zit. n. Draheim 1996, schiedskonzert in Stuttgart, das – einem Rezensenten S. 32) Belegt ist auch ein Besuch in der Villa Klinckerfuß des „Musikalischen Wochenblatts“ zufolge – „durch ein am 13. Mai 1896, bei dem Hugo Wolf „auf einem pracht- interessantes Programm sich auszeichnete und auch ver- vollen neuen Bechstein zwei Akte Corregidor“ spielte möge der gediegenen Ausführung desselben anziehend (Brief an Melanie Köchert vom 14. Mai 1896, zit. n. Sup- war“ („Musikalisches Wochenblatt“ vom 30. Mai 1873, S. pan 2007, S. 224). Jahrzehnte später berichtete Grete Bu- 332). sch, die Frau des Dirigenten Fritz Busch, über das Haus der Familie Klinckerfuß: „Ein anderes dieser Musikhäu- Nach Beendigung ihres Studiums unternahm Johanna ser des alten Stuttgart war das des Ehepaares Hofrat Klinckerfuß gemeinsam mit Julius Stockhausen eine Kon- Apollo Klinckerfuß, des Klavierfabrikanten in der Kanz- zerttournee durch Norddeutschland, bei der sie u. a. leistraße, dessen überschwenglich temperamentvolle auch in einem von ihm veranstalteten Konzert am 22. Frau Johanna eine bedeutende Schülerin Franz Liszts ge- September 1873 in Hamburg auftrat. Dabei spielte sie ge- wesen war. Alle Klinckerfuß waren Originale: Vater Klin- meinsam mit ihrem ehemaligen Lehrer Moritz Beer Ro- ckerfuß ein Patriarch von Humor und Herzensgüte, die bert Schumanns „Andante und Variationen“ für zwei Kla- Tochter Margarethe, Pianistin wie ihre Mutter, romanti- viere (op. 46) sowie Solostücke von Frédéric Chopin und sch, erfüllt von hochgestimmten Freundschaften wie der Franz Liszt. Die Kritik reagierte allerdings eher verhalten sehr innigen mit Hugo Wolf, später mit dem italieni- auf ihr Spiel: „Die anderen Vorträge des Abends bestan- schen Poeten Marchese di Casanova. Im Hause Klincker- den in Soloclavierstücken und den Variationen für zwei fuß lernte ich im frühen Sommer 1924 auch Wilhelm Claviere von Schumann. Frl. Johanna Schultz [...] trat Furtwängler kennen und gewann bestimmende Eindrü- nach beendigten Studien zum ersten Mal in ihrer Vaters- cke, an denen sich Wesentliches im späteren Leben nicht tadt an die Oeffentlichkeit. [...] Obwohl technisch bereits geändert hat.“ (Busch 1970, S. 27) bedeutend entwickelt, entbehrt ihr Spiel noch jenes feine- ren Schliffs, der nothwendig ist, um dem Vortrag die er- Zu der Faszination des Hauses trugen zudem umfangrei- wünschte Belebung zu geben, auch war die Wahl der zu che Sammlungen bei. So berichtete z. B. die Tochter Mar- schwierigen Composition nicht für die Individualität der garethe Klinckerfuß, dass sich im Haus ihrer Eltern eine

– 2 – Klinckerfuß, Johanna alte Truhe mit zeitgenössischen Abschriften von Werken gemeine musikalische Zeitung“ vom 4. Juni 1879, Sp. Johann Sebastian Bachs befunden habe, die Johannes 360f.) Brahms eingehend im Hinblick auf Verzierungen studier- te (Klinckerfuß 1948, S. 9). Ebenfalls im Besitz von Apol- In den folgenden Jahrzehnten blieb Johanna Klinckerfuß lo und Johanna Klinckerfuß war auch ein Autograph Jo- im öffentlichen Musikleben präsent und konzertierte da- hann Sebastian Bachs, die Suite E-Dur BWV 1000 für bei regelmäßig als Solistin mit der Württembergischen Laute (eine Übertragung der Partita Nr. 3 für Violine so- Hofkapelle in Stuttgart, spielte bei Wohltätigkeitsveran- lo, BWV 1006; vgl. Schmieder 1990, S. 730; Schilling staltungen und war ein regelmäßiger Gast der Singer- 1994, S. 296), sowie die Totenmaske Friedrich Schillers schen Kammermusik-Soiréen in Stuttgart. Zudem förder- (vgl. Suppan 2007, S. 224). Auch ein zweimanualiges te sie junge Komponisten und nahm deren Werke in ihre Cembalo von Friedrich Ring aus dem Jahr 1700, das aus Konzertprogramme auf, was in der Presse überregional dem Besitz von Georg oder Gottlieb Muffat stammte und wahrgenommen wurde. So hieß es z. B. in einem „Biogra- von Apollo Klinckerfuß aufwendig restauriert worden fischen Portrait“, das das „Musikalische Wochenblatt“ war, blieb eine Attraktion. So berichtete z. B. Hans von am 16. Juli 1885 über Johanna Klinckerfuß veröffentlich- Bülow einem unbekannten Kapellmeister über die Beson- te: „Besonderes Verdienst hat unsere Künstlerin sich um derheiten der Sammlung Klinckerfuß: „Bei dem hiesigen Vorführung von Werken jüngerer Componisten, sowie höchst kunstgebildeten Inhaber eines Pianofortelagers, durch ihre selbstlose Bereitwilligkeit, in Concerten für Herrn Klinckerfuß – seine Frau eine ganz vorzügliche wohlthätige Zwecke mitzuwirken, erworben. Gar man- klassische Klavierspielerin – habe ich außer anderen his- cher junger Componist kann sich bei ihr bedanken, denn torischen Kostbarkeiten (einem zweimanualigen Flügel sie diente diesem nicht nur in der liebenswürdigsten Wei- – wunderbar! von Fr. Ring, Straßburg, 1700, den Muffat se, sondern auch unbekümmert um den jeweiligen Er- besessen) unter anderem ein mir total unbekanntes folg.“ (Biografisches 1885) Werk von Spohr – Autograph – gesehen.“ (Brief Hans von Bülows an einen unbekannten Kapellmeister, zit. n. Johanna Klinckerfuß spielte am 29. November 1880 Klinkerfuß 1948, S. 19) nochmals gemeinsam mit dem Singer-Quartett Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur (op. 44) sowie – als Nach der Geburt der Kinder zog sich Johanna Klincker- Solostück – die „Veränderungen“ für Klavier solo (op. fuß vorübergehend aus dem Konzertleben zurück und 20) des zeitgenössischen Stuttgarter Komponisten Wil- trat erst im April 1879 wieder als Pianistin an die Öffent- helm Fritze. Die „Allgemeine musikalische Zeitung“ re- lichkeit. Gemeinsam mit dem Singer-Streichquartett, zu zensierte: „Die zweite Quartett-Soirée fand am 29. No- dessen Mitgliedern in dieser Zeit Edmund Singer, Hugo vember unter Mitwirkung der Frau Johanna Klinkerfuss Wehrle, Carl Wien und ein Herr Cambisius gehörten, von hier, einer ehemaligen Schülerin des Conservatori- spielte sie Robert Schumanns Klavierquartett E-Dur (op. ums, statt. Ausser dem D moll-Quartett von Mozart und 47) und wurde von Presse und Publikum begeistert emp- dem Quintett für zwei Violinen, zwei Bratschen und Vio- fangen: „Die vierte (letzte) Quartett-Soirée der Herren loncello in B-dur (op. 87) von Mendelsohn, brachte uns Singer, Wehrle, Wien, Cambisius am 21. April war gesch- das Programm das unsterblich schöne Quintett von Schu- mückt durch Mitwirkung der Pianistin Frau Johanna mann, dessen Clavierpart von der vortrefflichen Künstle- Klinckerfuss. Das Programm umfasste drei Nummern: rin Johanna Klinkerfuss mit Schwung und Feuer ge- Das G dur-Quartett Mozart’s, das Clavierquartett Op. 47 spielt, in vollendeter Weise wiedergegeben wurde. Die von Schumann und ein Streichquartett (F-dur, Op. 7) ‚Veränderungen‘ über ein eigenes Thema für Clavier (Op. von Otto Dessoff. Frau Klinckerfuss, vormals als Fräu- 20) von W. Fritze konnten uns nicht sonderlich erwär- lein Schulz eine ausgezeichnete Schülerin des Conserva- men; die Composition ist im Uebrigen eine tüchtige Ar- toriums, in dessen Prüfungsconcerten sie immer eine der beit. Frau Klinkerfuss bewältigte die ungemein grossen ersten Zierden bildete, hatte meines Erachtens seit ihrer technischen Schwierigkeiten mit Meisterschaft; reicher Verheirathung nicht mehr öffentlich gespielt; ihr Wieder- und begeisterter Beifall lohnte ihr schönes, durchgeistig- erscheinen vor dem Publikum wurde mit allgemeiner tes Spiel.“ („Allgemeine musikalische Zeitung“ vom 29. Freude begrüsst, und in dem Clavierpart zu Schumann’s Dezember 1880, S. 827; vgl. auch „Musikalisches Wo- Quartett bewies sie, wie viel ihr Vortrag an Selbständig- chenblatt“ vom 27. Januar 1881, S. 68). Im Januar 1882 keit und Tiefe der Auffassung noch gewonnen hat.“ („All- trat Johanna Klinckerfuß gemeinsam mit Clara Schu-

– 3 – Klinckerfuß, Johanna mann in Stuttgart auf. Die beiden Pianistinnen spielten wie Piècen von Stark, Linder, Schumann, Grief, Albert, Robert Schumanns „Andante und Variationen“ für zwei Henselt, Chopin und Liszt. Sie entfaltete wiederum alle Klaviere B-Dur (op. 46), und Johanna Klinckerfuß beglei- die Vorzüge, welche wir bei dieser Künstlerin hervorzuhe- tete den Sänger Raimund von Zur Mühlen in einigen Stü- ben stets in der angenehmen Lage sind; saubere, auf das cken für Sologesang. Im Vorfeld hatte Clara Schumann feinste ausgebildete Technik – sie ist eine Schülerin Le- an Johannes Brahms geschrieben: „Du wirst in Stuttgart bert’s und Pruckner’s –, geistige Beherrschung des Stof- eine Frau Klinckerfuß (geb. Schulze aus Hamburg) ken- fes, Verschmähen aller äusserlichen Effectmittel. [...] Die nen lernen, sie wird Dir sicherlich vorspielen, und bitte Sarabande, Gigue und Bourée von Bach spielte Frau Klin- ich Dich recht sehr, mir dann zu sagen, wie sie spielt, sie ckerfuss auf einem Clavicymbel von F. Ring vom Jahre hat mich gebeten, im Januar, wo ich in Stuttgart konzer- 1700. Herr Klinckerfuss erwarb vor einiger Zeit dieses tiere, die Variationen für 2 Klaviere von Robert mit ihr seltene Instrument und verwandte grosse Mühe und zu spielen. Gern will ich ihr nützen und es tun, aber ich Fleiss darauf, dasselbe historisch treu wieder herzustel- weiß nicht, wie sie spielt, auch müßte sie in meiner Soi- len. [...] Nicht unerwähnt soll die treffliche Begleitung ree die Lieder von Zur Mühlen begleiten, und wüßte ich des Herrn Hofmusikus Hummel sein.“ („Allgemeine mu- gern, ob sie gut begleitet und musikalisch ist.“ (Brief von sikalische Zeitung“ vom 13. Dezember 1882, Sp. 800f.) Clara Schumann an Johannes Brahms vom 15. Novem- Die Tochter Margarethe Klinckerfuß berichtete später in ber 1881, in: Litzmann 1927, Bd. 2, S. 246) Die „Allgemei- ihren Memoiren, dass Johanna Klinckerfuß in den ne musikalische Zeitung“ schrieb über das Konzert: „Aus- 1880er Jahren auf diesem Instrument historische Musik- ser dieser Sonate und dem Präludium und Fuge in E- abende in echtem Rokokokostüm gab und dabei die Kon- moll von Bach spielte Frau Schumann ausschliesslich zertprogramme aus alten Handschriften und Drucken Werke ihres Gatten, darunter den Carneval (jedoch nicht aus der umfangreichen Sammlung Apollo Klinckerfuß’ vollständig), sowie das Andante und Variationen für zwei (s. unten) zusammenstellte (vgl. Klinckerfuß 1948, S. Claviere, welche sie mit unserer vortrefflichen einheimi- 19). schen Künstlerin, Frau Klinckerfuss vortrug. Der gesang- liche Theil lag in den Händen des Herrn R. von Zur-Müh- Anfang des Jahres 1885 vertrat Johanna Klinckerfuß ih- len [...]“ („Allgemeine musikalische Zeitung“ vom 12. Ap- ren ehemaligen Lehrer Sigmund Lebert während einer ril 1882, Sp. 236). längeren Krankheit als Lehrende am Stuttgarter Konser- vatorium (vgl. Biographisches 1885). Sie wurde vom Bei ihren Konzerten spielte Johanna Klinckerfuß aller- württembergischen König Karl zur königlich-württember- dings nicht nur das klassisch-romantische Konzertreper- gischen Hofpianistin ernannt und erhielt die goldene Me- toire sowie aktuelle Kompositionen, sondern setzte sich daille für Kunst und Wissenschaft (vgl. „Musikalisches auch mit älteren Werken auseinander. Dabei experimen- Wochenblatt“ vom 19. Februar 1885, S. 113). Im selben tierte sie gemeinsam mit ihrem Mann mit älteren Tasten- Jahr unternahm sie mehrere Konzertreisen und trat da- instrumenten. So konzertierte sie z. B. am 8. November bei u. a. zwei Mal in den Leipziger Euterpe-Konzerten so- 1882 in Stuttgart mit Werken von Georg Friedrich Hän- wie in Hamburg auf. Bei einem Leipziger Euterpe-Kon- del, Johannes Brahms, Johann Sebastian Bach, Robert zert im Februar 1885 spielte Johanna Klinckerfuß Anton Schumann, Eugène d’Albert, Adolf Henselt, Frédéric Cho- Rubinsteins Klavierkonzert d-Moll (op. 70), Adolf Hen- pin, Franz Liszt und aktuellen Kompositionen unter der selts „Sextenetüde“ Fis-Dur, Johann Sebastian Bachs Leitung von Ferdinand Hummel und interpretierte dabei „Chromatische Fantasie und Fuge“ d-Moll (BWV 903) so- drei Tänze von Johann Sebastian Bach auf einem zwei- wie Frédéric Chopins Etüde cis-Moll (op. 25 Nr. 7). Ein manualigen Cembalo von Friedrich Ring aus dem Jahr Rezensent des „Musikalischen Wochenblatts“ schrieb 1700, das ihr Mann aufwendig restauriert hatte: „Mittwo- über das Konzert: „Das 8. ‚Euterpe‘-Concert war Eines ch den 8. November erfreute uns unsere treffliche einhei- der gelungensten in dieser Saison. [...] Die Solovorträge mische Künstlerin, die Pianistin Frau Johanna Klincker- lagen in den Händen der kgl. württembergischen Hofpia- fuss in einer zu Gunsten der unter dem Protectorate der nistin Frau Johanna Klinckerfuss: Ihr Vortrag des Rubin- Königin stehenden Loga-Heilanstalt stattgefundenen Mu- stein’schen Dmoll-Concertes war eine fulminante Leis- sik-Soirée mit ihren trefflichen Leistungen. Sie spielte tung. Musste man auch öftere Unreinheiten des Spiels, à die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel la Rubinstein, mit in den Kauf nehmen, so gestaltete sich von Brahms, Sarabande, Gigue und Bourée von Bach, so- doch der Vortrag des Concertes zu einem namentlich in

– 4 – Klinckerfuß, Johanna virtuoser Hinsicht hochbedeutenden. Die Technik der ren Franz Liszt-Schüler, dem Hofkapellmeister Karl Poh- Dame ist eminent und mit ihr verbindet sich eine seltene lig, regte sie 1901 die Errichtung eines Franz-Liszt-Denk- Kraft und Energie des Spiels. Es wird ihr wohl kaum eine mals in den Stuttgarter Schlossanlagen an, das der Bild- andere Clavierspielerin der Jetztzeit den letzten Satz des hauer Adolf Fremd erstellte. Hierfür fand am 9. Dezem- Rubinstein’schen Concertes in gleicher Bravour nachzu- ber 1901 ein Konzert statt, in dem Johanna Klinckerfuß, spielen vermögen. Möchte die hochbegabte Künstlerin ihre Tochter Margarethe Klinckerfuß und die Sängerin bei einem hoffentlich bald sich wiederholenden Auftre- Hertha Ritter gemeinsam mit der Stuttgarter Hofkapelle ten in Leipzig jene künstlerische Ruhe bewahren, ohne unter der Leitung von Karl Pohlig auftraten. Im Oktober die eine vollendete Ueberwindung aller technischen 1903 wurde das Denkmal aufgestellt und mit einer Auf- Schwierigkeit nicht möglich ist.“ („Musikalisches Wo- führung von Franz Liszts „Die heilige Elisabeth“ einge- chenblatt“ vom 5. März 1885, S. 137) Weniger begeistert weiht (vgl. „Zeitschrift der internationalen Musikgesell- zeigte sich die Musikkritik – im Gegensatz zum Publi- schaft“ 3 [1901/02], S. 109; Brief von Johanna Klincker- kum – bei ihrem zweiten Auftritt in den Leipziger Euter- fuß an Lina Ramann vom Oktober 1903, Goethe- und pe-Konzerten Ende 1885, bei dem sie u. a. Ludwig van Schillerarchiv Weimar, Sign.: 59, 375, 2; Klinckerfuß Beethovens Klavierkonzert G-Dur (op. 58) und Robert 1948, S. 157f.) Im Frühjahr 1913 konzertierte Johanna Schumanns „Carnaval“ (op. 9) spielte: „Weniger glückli- Klinckerfuß nach wie vor und gab z. B. gemeinsam mit ch, als gelegentlich ihres ‚Euterpe‘-Auftretens im vor. dem Wendling-Quartett Kammermusikabende in Stutt- Winter, fand sich die Pianistin Frau Klinckerfuss aus gart (vgl. „Die Musik“ 12 [1913], Bd. 3, S. 63). Stuttgart, die Solistin des Abends, diesmal mit ihren Auf- gaben ab. Sowohl das Gdur-Concert von Beethoven, als Johanna Klinckerfuß starb am 12. Dezember 1924 in Lud- Schumann’s Carnaval klangen stellenweise etwas nüch- wigsburg. tern, das Beethoven’sche Poëm liess ausserdem Manches Würdigung an richtiger Phrasirung zu wünschen übrig. Das Spiel der sonst so trefflichen Künstlerin litt offenbar unter augen- Die Pianistin Johanna Klinckerfuß war über viele Jahr- blicklicher Indisposition. Das Publicum urtheilte anders zehnte im Stuttgarter Musikleben präsent und galt dabei und zeichnete die Gastin durch warmen Beifall aus.“ als herausragende Solistin und Kammermusikerin, die („Musikalisches Wochenblatt“ vom 20. Dezember 1885, nicht nur mit älterer Musik sowie dem klassisch-romanti- S. 639) schen Repertoire vertraut war, sondern sich darüber hin- aus auch für zeitgenössische Komponisten und deren Trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades sind Konzerte und Werke einsetzte. weitere Tätigkeiten von Johanna Klinckerfuß bislang nur vereinzelt zu belegen. Die wenigen Berichte zeigen je- Gemeinsam mit ihrem Mann führte Johanna Klincker- doch, dass sie bis mindestens 1913 im öffentlichen Kon- fuß in Stuttgart eines jener „Musikhäuser des alten Stutt- zertleben als Solistin und Kammermusikerin präsent gart“, wie Grete Busch es nannte, in denen MusikerIn- blieb. So spielte sie z. B. in der Saison 1886/87 Franz nen und LiteratInnen regelmäßig zu Gast waren. Als be- Liszts Klavierkonzert Es-Dur in den Abonnementskonzer- sonders anregend galten dabei die Sammlungen von ten der Stuttgarter Königlichen Hofkapelle und trat in Apollo Klinckerfuß, die neben einer umfassenden Biblio- Konzerten des dortigen Tonkünstlervereins auf (vgl. thek älterer Musik auch ein Cembalo von Friedrich Ring „Neue Zeitschrift für Musik“ vom 17. August 1887, S. aus dem Jahr 1700 enthielten. 377f.). Ende der 1880er, Anfang der 1890er Jahre spielte Rezeption sie mit der Stuttgarter Hofkapelle Edvard Griegs Klavier- konzert a-Moll (op. 16) unter der Leitung des Komponis- Eine Rezeption der Tätigkeiten von Johanna Klinckerfuß ten. 1895 begleitete Johanna Klinckerfuß im Stuttgarter findet derzeit (April 2009) nicht statt. Lediglich in Zu- Tonkünstlerverein die Sängerin Emma Hiller in Liedern sammenhang mit Forschungen zu Hugo Wolf wird ihr von Robert Franz und Felix Mendelssohn Bartholdy, und Name regelmäßig genannt (vgl. z. B. Draheim 1996; Sup- die „Musikpädagogischen Blätter“ urteilten über das Kon- pan 2007). zert: „Die sämmtlichen Leistungen des Abends tragen Repertoire den Stempel künstlerischer Vollendung.“ („Musikpädago- gische Blätter“ 1895, S. 77) Gemeinsam mit einem weite-

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Eine Repertoireliste von Johanna Klinckerfuß kann der- Literatur zeit aufgrund fehlender Forschungen nicht erstellt wer- den. Von den folgenden Werken sind Aufführungen be- Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Das goldene Buch legt: der Musik. W. Speeman (Hg.). Berlin, Stuttgart: Verlag von W. Speemann, 1900. Bach, Johann Sebastian. Chromatische Fantasie und Fu- ge d-Moll, BWV 903 Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Kurzgefaßtes Ton- Bach, Johann Sebastian. Sarabande, Gigue und Bourée künstler-Lexikon. Paul Frank (Hg.). 12. Aufl., bearb. von (keine Präzisierung möglich) Wilhelm Altmann. 1926 (verfügbar in wbis – world bio- graphical information system). Beethoven, Ludwig van. Konzert für Klavier und Orches- ter G-Dur, op. 58 Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Illustriertes Musikle- xikon. Hermann Abert (Hg.). 1927 (verfügbar in wbis – Chopin, Frédéric. Etude cis-Moll, op. 25 Nr. 7 world biographical information system).

Fritze, Wilhelm. „Veränderungen“ für Klavier solo, op. Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Musiklexikon. Hugo 20 Riemann (Hg.), 11. Aufl., bearb. von Alfred Einstein. 1929 (verfügbar in wbis – world biographical informati- Grieg, Edvard. Konzert für Klavier und Orchester a-Moll, on system). op. 16 Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Lexikon der Frau. Henselt, Adolf. Sextenetüde Fis-Dur Bd. 2. (verfügbar in wbis – world biographical informati- on system). Liszt, Franz. Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur Artikel „Klinckerfuß, Johanna“. In: Deutsche Biographi- Mendelssohn Bartholdy, Felix. Klaviertrio d-Moll, op. 49 sche Enzyklopädie. Walther Killy (Hg.). Bd. 5. 1997 (ver- fügbar in wbis – world biographical information system). Rubinstein, Anton. Klavierkonzert d-Moll, op. 70 Biographisches. Johanna Klinckerfuss. In: Musikalisches Schumann, Robert. Andante und Variationen für zwei Wochenblatt vom 16. Juli 1885, S. 369. Klaviere B-Dur, op. 46 Schumann, Robert. Carnaval, op. 9 Busch, Grete. Fritz Busch. Dirigent. Frankfurt a. M.: S. Fi- Schumann, Robert. Klavierquartett E-Dur, op. 47 scher, 1970. Schumann, Robert. Klavierquintett Es-Dur, op. 44 Draheim, Joachim. Hugo Wolf in Stuttgart. In: Hugo Ihr Repertoire umfasste ferner Werke von Georg Fried- Wolf. Briefe an Hugo Faißt. Joachim Draheim, Susanne rich Händel, Domenico Scarlatti, Carl Maria von Weber, Hoy (Hg.). Tutzing: Schneider, 1996, S. 11-86. Johannes Brahms, Eugène d’Albert und Franz Liszt so- wie von mehreren jungen zeitgenössischen Komponis- Klinckerfuß, Margarethe. Aufklänge aus versunkener ten. Zeit. Urach: Port-Verlag, 1948.

Quellen Schilling, Ulrike. Philipp Spitta: Leben und Wirken im Dokumente Spiegel seiner Briefwechsel: mit einem Inventar des Nachlasses und einer Bibliographie der gedruckten Wer- Stiftung Weimarer Klassik. Goethe- und Schillerarchiv ke. Kassel u. a.: Bärenreiter, 1994. Weimar. Brief von Johanna Klinckerfuß an Lina Ramann vom Oktober 1903, Sign.: 59, 375, 2. Schmieder, Wolfgang (Hg.). Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebas- tian Bach. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 1990.

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grund der labilen Persönlichkeit Margarethe Klincker- Schumann, Clara/Brahms, Johannes. Briefe aus den Jah- fuß’ nur mit sehr viel Vorsicht zu verwenden (vgl. hierzu ren 1853-1896. Berthold Litzmann (Hg.). Leipzig: Breit- auch Draheim 1996, S. 12; Suppan 2007, S. 224f.). kopf & Härtel, 1927. Sowohl Johanna Klinckerfuß’ Tochter Margarethe Klin- Suppan, Wolfgang. Wolfiana in der „Sammlung Wam- ckerfuß als auch ihre Enkelin Leonore Klinckerfuß wirk- lek“, Graz. In: Österreichische Musikzeitschrift 15 ten als Pianistinnen. (1960). Im Nachlass von Hans Wamlek in Graz befindet sich ei- Suppan, Wolfgang. Artikel „Klinckerfuß (Familie)“. In: ne so genannte „Klinckerfuß-Mappe“, die mehrere Ergän- Hugo Wolf Enzyklopädie. Ernst Hilmar (Hg.). Tutzing: zungen zur Autobiografie von Margarethe Klinckerfuß Hans Schneider, 2007, S. 224f. enthält (vgl. Suppan 1960; Suppan 2007).

Forschungsbedarf

Konzertkritiken und Zeitungsartikel Der Forschungsbedarf zu Johanna Klinckerfuß umfasst ihre Biografie sowie alle ihre Tätigkeiten. Besonders in- Allgemeine musikalische Zeitung vom 4. Juni 1879, Sp. teressant wäre hier ein übergreifender Blick auf die ers- 360f. ten Absolventinnen des Stuttgarter Konservatoriums, Allgemeine musikalische Zeitung vom 29. Dezember das zur Studienzeit von Johanna Klinckerfuß erst seit we- 1880, Sp. 827. nigen Jahren bestand (vgl. hierzu auch die Artikel zu An- Allgemeine musikalische Zeitung vom 12. April 1882, Sp. na Mehlig und Irma Steinacker). Ebenso interessant wä- 236. re es, ausgehend von der Villa Klinckerfuß, das Stuttgar- Allgemeine musikalische Zeitung vom 13. Dezember ter Musikleben zwischen 1880 und 1920 näher zu unter- 1882, Sp. 800f. suchen.

Normdaten Die Musik 12 (1913), Bd. 3, S. 63. Virtual International Authority File (VIAF): Musikalisches Wochenblatt vom 30. Mai 1873, S. 332. http://viaf.org/viaf/171192594 Musikalisches Wochenblatt vom 7. November 1873, S. Deutsche Nationalbibliothek (GND): 642. http://d-nb.info/gnd/1012279197 Musikalisches Wochenblatt vom 27. Januar 1881, S. 68. Autor/innen Musikalisches Wochenblatt vom 19. Februar 1885, S. 113. Silke Wenzel, 5. November 2009 Musikalisches Wochenblatt vom 5. März 1885, S. 137. Bearbeitungsstand Musikalisches Wochenblatt vom 20. Dezember 1885, S. 639. Redaktion: Regina Back Zuerst eingegeben am 16.11.2009 Musikpädagogische Blätter 1895, S. 77. mugi.hfmt-hamburg.de Neue Zeitschrift für Musik vom 17. August 1887, S. 377f. Forschungsprojekt an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft 3 Projektleitung: Prof. Dr. Beatrix Borchard (1901/02), S. 109. Harvestehuder Weg 12 D – 20148 Hamburg Forschung

Die Lebenserinnerungen der Tochter von Johanna Klin- ckerfuß, Margarethe Klinckerfuß, enthalten viele Erzäh- lungen und Dokumente über die Familie (s. Klinckerfuß 1948); als wissenschaftliche Quelle sind sie jedoch auf-

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