Aus Bayerns Geschichte

Forschungen als Festgabe zum 70. Geburtstag von Andreas Kraus

herausgegeben von Egon Johannes Greipl . Alois Schmid- Walter Ziegler Redaktion: Ferdinand Kramer

EOS VERLAG ERZABTEI ST.OTTILIEN 1992 A/ois Schmid

UNTERSUCHUNGEN ZU GAU, GRAFSCHAFf UND VOGTEI IM VORDEREN BAYERISCHEN WALD

Die Probleme von Gau und Grafschaft des frühen und hohen Mit- telalters sind gerade in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten wieder zu einem heiß umstrittenen Thema deutscher Mittelalterforschung geworden. Die Diskussion wurde neu entfacht durch die 1973 er- schienene Untersuchung von Hans Kurt Schulze über »Die Graf- schaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebieten östlich des Rheins«, die im Widerspruch zur damals allgemein anerkannten Theorie von den Königsgutgrafschaften den Blick wieder zur in der klassischen deutschen Verfassungsgeschichte entwickelten Lehre von der Grafschaftsverfassung des fränkischen Reiches in karolingi- scher Zeit zurücklenken zu müssen glaubtet. Schulze hat 1983 weit- hin Zustimmung von Ulrich Nonn in einer Detailstudie über den nie- derlothringischen Raum erhalten-. Besonders intensiv wurde in den folgenden Jahren das Herzogtum Alemannien bearbeitet. Dabei ge- langte aber Michael Borgolte in seinen sehr breit angelegten Studien zu Ergebnissen, die denen Schulzes und Nonns nur zum Teil ent-

t Hans K. Schulze, Die Grafschaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebieten östlich des Rheins (Schriften zur Verfassungsgeschichte 19) Berlin 1973. 2 Ulrich Nonn, Pagus und Comitatus in Niederlothringen. Untersuchungen zur poli- tischen Raumgliederung im frühen Mittelalter (Bonner Historische Forschungen 49) Bonn 1983. 118 Alois Schmid sprachen und in zentralen Punkten Einspruch anmeldeten 3. Seither ist die Diskussion nicht mehr zur Ruhe gekommen, sie wurde sehr rege weitergeführt+ Der Jubilar hat ihr wegweisende Impulse verliehene, Trotzdem gilt weithin noch heute, was vor drei Jahrzehnten Pankraz Fried von der Grafschaft des hohen Mittelalters gesagt hat; sie ist eine »große Unbekannte-o, über deren Wesen und Funktion noch keine übereinstimmenden Aussagen erzielt werden konnten. Das machen nicht zuletzt die Artikel in den neuesten historischen Fach-

3 Michael Borgolte, Die Geschichte der GrafengewaIt im Elsaß von Dagobert I. bis Otto dem Großen (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein 131) 1983, 3-54; ders., Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit (Vorträge und Forschungen Sonderband 31) Sigmaringen 1984; ders., Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie (Archäologie und Ge- schichte 2) Sigmaringen 1986. 4 Karl Ferdinand Werner, Missus-Marchio-Comes. Entre I'administration centrale et I'administration locale de I'Empire carolingien, in: Werner Paravicini -Karl Fer- dinand Werner (Hg.), Histoire comparee de I'administration (IVe_XVIIIe siecles). Actes du XIve colloque historique franco-allemand Tours 1977 (Beihefte der Fran- cia 9) Sigmaringen 1980, 191-239; Ingo Toussaint, Die Grafen von Leiningen. Stu- dien zur leiningischen Genealogie und Territorialgeschichte bis zur Teilung von 1317/18, Sigmaringen 1982; Theodor Ruf, Die Grafen von Rieneck. Genealogie und Territorienbildung, 2 Bände (Mainfränkische Studien 32) Würzburg 1984; Hans K. Schulze, Grundprobleme der Grafschaftsverfassung (Zeitschrift für württember- gisehe Landesgeschichte 44) 1985, 265-282; Folker Reichart, Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des Ständestaates im Herzogtum Österreich, Köln - Wien 1985; Thomas Zotz, Grafschaftsverfassung und Personengeschichte (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrhein 136) 1988, 1-16; Pankraz Fried-Hein- rich Winterholler, Die Grafen von Dießen-Andechs, München-Zürich 1988. s Andreas Kraus, Marginalien zur ältesten Geschichte des bayerischen Nordgaus (Jahrbuch für fränkische Landesforschung l= JbfrkLf] 34/35) 1974n5, 163-184; ders., Grundzüge der Geschichte Bayerns (Grundzüge 54) Darrnstadt 1984, 31 f.; ders., Geschichte Bayerns. Von den Anfangen bis zur Gegenwart, München 21988, 25, 62f., 87, 127f. u. Ö. 6 Pankraz Fried, Grafschaft, Vogtei und Grundherrschaft als Grundlagen der wit- telsbachischen Landesherrschaft in Bayern (Zeitschrift für Bayerische Landesge- schichte l= ZBLG] 26) 1963, 112; ders., Verfassungsgeschichte und Landesge- schichtsforschung in Bayern: Probleme und Wege der Forschung, in: Karl Bosl (Hg.), Zur Geschichte der Bayern (Wege der Forschung 60) Darrnstadt 1965, 540. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 119

lexika und die einschlägigen Abschnitte in zusammenfassenden Dar- stellungen? deutlich. Die entscheidenden Beiträge zu diesem Arbeitsfeld kommen heute nicht mehr - wie früher - von der allgemeinen Mediävistik, son- dern von der Landesgeschichte. Eher als die in der Regel auf norma- tiven Quellen aufgebauten generalisierenden Darstellungen vermö- gen kleinräumige, auf überschaubare historische Landschaften be- grenzte Untersuchungen Klarheit in die Verfassungswirklichkeit des Mittelalters zu bringen. Deswegen wird heute auf diesem Gebiet überwiegend auf regionaler Basis gearbeitet. Am besten untersucht ist in Deutschland sicherlich das durch eine gute Quellenlage ge- kennzeichnete Herzogtum Alemanniens, Umfassende Untersuchun- gen sind aber auch in anderen Räumen durchgeführt worden: in Sachsens, Thüringen», Hessen», im Ardennengauu, Bereits seit Jahr-

7 Hans K. Schulze, Gau, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, hrsg. von Adalbert ErIer und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1971, 1392-1403; Diet- mar Willoweit - Elmar Wadle, Graf, Grafschaft, in: ebenda, 1775-1795; Michael Borgolte, Comes, in: Lexikon des Mittelalters Ill, hrsg. vom Artemis-Verlag, Mün- chen - Zürich 1984, 70-76; ders., Comitatus, in: ebenda, 78f.; ders., Gau, in: ebenda IV, München-Zürich 1988, 1141; ders., Graf, in: ebenda, 1633-1635; ders., Grafschaft, in: ebenda, 1635f. - Bei Gerhard Taddey (Hg.), Lexikon der deutschen Geschichte. Personen - Ereignisse - Institutionen, Stuttgart 1977 fehlen die Stichworte Gau und Grafschaft. - Friedrich Prinz, Grundlagen und Anfange. Deutschland bis 1056 (Neue deutsche Geschichte I) München 1985, 250-254; Eduard Hlawitschka, Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staaten und Völkergemeinschaft 840-1046. Ein Studienbuch zur Zeit der späten Karolinger, der Ottonen und der frühen Salier in der Geschichte Mitte1europas, Darmstadt 1986, 43-45; Peter Claus Hartmann, Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesher- zogtum zum Freistaat heute, Regensburg 1989,49. 8 Vgl, Schulze, Grafschaftsverfassung (wie Anm.l), 53-148; Borgolte, Grafschaf- ten (wie Anm.3); ders., Grafen (wie Anm.3); Wolfram Baer, Frühmittelalterliche Verwaltungsorganisation im alemannisch-schwäbischen und bayerischen Raum (Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 69) 1975,91-101; Heinz Bühler, Die Grafen von Kyburg, Freiburg 1981; ders., Studien zur Geschichte der Grafen von Achalm und ihrer Verwandten (Zeitschrift für württembergische Landesge- schichte 43) 1984, 7-87; Dieter Kudorfer, Die Grafschaft Oettingen (Historischer Atlas von Bayern l= HAB] Schwaben 1I, 3) München 1985; auch: Gertrud Kiefer, Grafschaften des Königs in Schwaben und Franken, Diss. masch. Tübingen 1954. 9 Sabine Krüger, Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 19) Hannover 120 Alois Schmid zehnten werden diese Fragen an das Niederrhein-Gebiet heran- getragen 13. Eine wegweisende Studie hatte schon 1927 Erich Freiherr von Guttenberg dem oberfränkischen Raum gewidmet 14. Für Altbayern ist die Forschungslage weniger günstig, da sich hier nach den übereilten und nicht geglückten Bemühungen von Elisabeth Hamm 1949 um eine Gesamtschau» niemand mehr an eine ver- gleichbar umfassende Aufarbeitung der Thematik gewagt hat. Das ist auch sinnvoll, weil hier seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die systematische Bearbeitung der Herrschaftsgeschichte durch den Hi- storischen Atlas von Bayern in Gang ist, der zumindest nach der

1950; Hans K. Schulze, Ade1sherrschaft und Landesherrschaft. Studien zur Verfas- sungs- und Besitzgeschichte der Altmark, des ostsächsischen Raumes und des Han- noverschen Wendlandes im hohen Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 29) Köln- Wien 1963; WaIter Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft. Unter- suchungen vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen, Darmstadt 31969; Karl-Heinz Lange, Der Herrschaftsbereich der Grafen von Nordheim 950-1144 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 24) Göttingen 1969. 10 Hans Patze, Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen (Mitteldeutsche Forschungen 22) Köln - Wien 1962. 11 Wolfgang Metz, Studien zur Grafschaftsverfassung Althessens im Mittelalter (Zeitschrift für Rechtsgeschichte GA 71) 1954, 167-208; ders., »Gau« und »pagus« im karolingischen Hessen (Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 5) 1955, 1-23; Wilhelm Niemeyer, Der Pagus des frühen Mittelalters in Hessen (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 30) Marburg 1968. 12 Manfred van Rey, Die Lütticher Gaue Condroz und Ardennen im Frühmittelalter (Rheinisches Archiv 102) Bonn 1977. 13 Hermann Aubin, Die Entstehung der Landeshoheit nach niederrheinischen Quel- len. Studien über Grafschaft, Immunität und Vogtei (Historische Studien 143) Berlin 1920 (Neudruck 1961); Albert K. Hömberg, Grafschaft-Freigrafschaft-Gaugraf- schaft, Bonn 1949; Albert K. Hömberg, Die Entstehung der westfälischen Freigraf- schaften als Problem der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte (Westfälische Zeitschrift 101/102) 1953, 1-138; Waiter Schlesinger, Bemerkungen zum Problem der westfälischen Grafschaften und Freigrafschaften (Hessisches Jahrbuch für Lan- desgeschichte 4) 1954, 262-277; Georg Droege, Pfalzgrafschaften, Grafschaften und allodiale Herrschaften zwischen Maas und Rhein in salisch-staufiseher Zeit (Rheinische Vierte1jahrsblätter 26) 1961, 1-21. 14 Erich Frhr. von Guttenberg, Die Territorienbildung am Obermain (Berichte des Historischen Vereins Bamberg 79) 1927, 1-539. IS Elisabeth Harnm, Herzogs- und Königsgut, Gau und Grafschaft im frühmittel- alterlichen Baiern, Diss. masch. München 1949. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 121

Konzeptionsausweitung in den sechziger Jahren in allen Heften ein ausführliches Kapitel dem Problemfeld Gau und Grafschaft zu wid- men hat=, Zweckmäßigerweise wird in Bayern jeder neue Versuch einer Synopse zunächst einmal den Abschluß der Untersuchungen zumindest eines Landesteiles abwarten; er erscheint für Altbayern in Sicht. Diesem gilt es zum einen durch beständige Selbstreflexion in Zwischenbilanzen 17, zum anderen durch möglichst viele Mikrounter- suchungen vorzuarbeiten, die den einschlägigen Problemen in über- schaubaren Räumen bis herauf zur Bildung der Landgerichte im 13. Jahrhundert nachgehen. Die räumliche Beschränkung ermöglicht einen größeren zeitlichen Rahmen, als ihn breiter angelegte Be- trachtungen haben können. Zusätzlich zu den üblichen Querschnitten gilt es nämlich auch vermehrt Längsschnitte zu legen, um über der notwendigen und sicherlich fruchtbaren Konzentration auf eine Epo- che die historische Gesamtdimension des Phänomens nicht aus den Augen zu verlieren. Die kritische Umschau in der derzeitigen For- schungsliteratur muß feststellen, daß sich die Diskussion weithin im Kreis bewegt und deswegen nicht über die Karolingerzeit hinausge- kommen ist; über die Grafschaft des Hohen Mittelalters vermag sie kaum mehr als wenig überzeugende Generalisierungen zu bieten 18. Die folgenden Ausführungen gehen den Problemen um den Gau, die Grafschaft und die Vogtei des Mittelalters am Beispiel des Rau-

16 Historischer Atlas von Bayern, hrsg. von der Kommission für bayerische Landes- geschichte, München 1950ff. 17 Pankraz Fried, Die Entstehung der Landesherrschaft in Altbayern, Franken und Schwaben im Lichte der Historischen Atlasforschung. Ein vorläufiger Überblick, in: Land und Reich - Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Ge- schichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag I, hrsg. von Andreas Kraus (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte [= SchbLG] 78) München 1984, 1-13; Wilhelm Volkert, Die Oberpfalz im Historischen Atlas von Bayern, in: ebenda, 35-54; Wolfgang Wüst, Geistliche und weltliche Staatlichkeit in Ostschwa- ben. Ergebnisse der Historischen Atlasforschung, in: ebenda, 55-68; WaIter Ziegler, Der Historische Atlas von Bayern - Teil Franken - und sein Ertrag für die Ge- schichtsforschung, in: ebenda, 69-88. 18 Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, Karlsruhe 21962, 103f.; Heinrich Mitreis -Heinz Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, München 131978,59-61 u.ö. 122 Alois Schmid mes östlich von Regensburg nach, der begrenzt wird von den Fluß- läufen der Donau und des Regens sowie der geotektonischen Struk- turlinie entlang der Altstraße - Straubing. Die Geographen be- zeichnen ihn als Vorderen Bayerischen Wald oder den Vorwald. Er ist nach den Methoden der Atlasforschung noch kaum behandelt worden 19, nachdem sich Max Piendls Heft Ch am als eines der ersten der Reihe ganz im Sinne der ursprünglichen Konzeption stark auf die Statistik des 18. Jahrhunderts konzentrierte> und auch Diethard Schmids Band Regensburg I den Schwerpunkt in die wittelsbachi- sehe Zeit setzte, um die Frühgeschichte im ebenfalls von ihm bear- beiteten Band Regensburg 11im Zusammenhang zu bieten». Am ein- gehendsten setzte sich innerhalb der Reihe Ingrid Schmitz-Pesch im Heft Roding mit dem Problemfeld auseinander», Der Band Straubing von Wolfgang Freundorferv hatte kaum auf das Nordufer der Donau auszugreifen, weil dieses Rodungsland überwiegend zum Landge- richt Bogen/Mitterfels gehörte, dessen Behandlung Max Piendl übernommen hatte, der in seiner Dissertation über die Grafen von Bogen entscheidend vorgearbeitet hat>, Der Vordere Bayerische Wald erweist sich bei näherem Zusehen als recht aussagekräftiges

19 Ein grober Überblick: Hans Schneider, Die Oberpfalz im frühen Wittelsbacher Landesstaat, in: Gustl Lang. Leben für die Heimat, hrsg. von Konrad Ackermann und Georg Girisch, Weiden 1989, 185-212; Wilhelm Störmer, Zum Adel der mittel- alterlichen Oberpfalz, in: ebenda, 213-221. Unergiebig: Daniel Waldmann, Grund- herrschaften auf dem bayerischen Nordgau von der Karolingerzeit bis zum Unter- gang der Staufer (Die Oberpfalz 54) 1966, 174-180, 196-197, 241-246; Gust! Motyka, Der Landkreis Regensburg im Wandel der Zeiten, Mainburg 1975,44-66; ders., Der Landkreis Regensburg. Geschichte, Kunst und Kultur, Regenstauf 1984, 132-149. 20 Max Piendl, Das Landgericht Cham (HAB AItbayern 8) München 1955. 21 Diethard Schmid, Regensburg I: Das Landgericht Stadtamhof, die Reichsherr- schaften Donaustaufund Wörth (HAB Altbayern 41) München 1976. 22 Ingrid Schmitz-Pesch, Roding. Die Pflegämter Wetterfeld und Bruck (HAB Alt- bayern 44) München 1986, bes. 20-158. 23 Wolfgang Freundorfer, Straubing. Landgericht, Rentkastenamt und Stadt (HAB Altbayern 32) München 1974. 24 Max Piendl, Die Grafen von Bogen. Genealogie, Besitz- und Herrschaftsge- schichte (Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung 55) 1952,25-82 (= I); (56) 1953,9-88 (=II); (57) 1954,25-79 (= Ill). Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 123

Beobachtungsfeld für eine Reihe von Fragen der Gau- und Graf- schaftsforschung. Vor allem um derartige verfassungsgeschichtliche Probleme geht es im folgenden. Es wird keine umfassende Herr- schaftsgeschichte des Raumes angestrebt, die dem Historischen Atlas vorbehalten bleiben muß.

I

Der Untersuchungsraum gehörte im frühen Mittelalter zum Do- naugau>. Dieser war sicherlich einer der ältesten bayerischen Gaue, weil das Donaubecken zwischen Regensburg und Deggendorf als immer offene und zudem äußerst fruchtbare Urlandschaft> einer der wichtigsten Siedlungsräume innerhalb des frühbajuwarischen Sied- lungsgebietes wurdest, Er führt bis heute die Bezeichnung »das Gäu«, gilt also als der Gau Bayerns schlechthin. Der Donaugau war jedenfalls einer der ausgedehntesten Gaue, ein ausgesprochener Großgau, der seinen Namen von der Donau als Schwerlinie führte; wie die meisten anderen bayerischen Gaue ist er nach einem Was- serlauf benannt. Die Siedlungsschwerpunkte lagen aber eindeutig auf dem rechten Ufer des Stromes. Der Donaugau ist durch eine Vielzahl von Zeugnissen gesichert, die vom Beginn der karolingischen Herr- schaft in Bayern bis ins 11. Jahrhundert hinein breit durchlaufen; er

25 Problematische Versuche der kartographischen Darstellung der Grafschaftsver- hältnisse bei: Karl von Spruner, Atlas zur Geschichte von Bayern. München 1838. Karte 4; Erich Frhr. von Guttenberg, Die politischen Mächte des Mittelalters, in: Gau Bayerische Ostmark. Land, Volk und Geschichte, hrsg. von Hans Scherzer, München 1940, 215: Die Gaulandschaften; Hamm, Herzogs- und Königsgut (wie Anm.15), Kartenbeilagen 1,2. Instruktiv: Hans-Werner Goetz, »Dux« und »Ducatus«, Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung des sog. »jüngeren« Stammesherzogtums an der Wende vom 9. zum 10.Jahrhundert, Diss. Bochum 1977. Kartenbeilage 1B: Komitatskarte. 26 Max Spindler (Hg.), Bayerischer Geschichtsatlas, Redaktion Gertrud Diepolder, München 1969, Karte 8. 21 Thomas Fischer, Römer und Bajuwaren an der Donau. Bilder zur Frühgeschichte Ostbayerns, Regensburg 1988. Dazu Andreas Kraus: ZBLG 51.1988.937-942. 124 Alois Schmid

ist einer der am dichtesten belegten Gaue», Allerdings betreffen diese fast ausschließlich das Gebiet südlich der Donau. In den Unter- suchungsraum fällt vor der Jahrtausendwende eine einzige Nennung. Um 790 taucht im Salzburger Indiculus Arnonis Besitz zu Krucken- berg (Lk Regensburg) auf, der in pago Tonagaoe lokalisiert wird», Kruckenberg liegt in der Donauebene am Fuß der Ausläufer des Bayerischen Waldes, muß also noch zur Altsiedelzone gerechnet werden. Nennungen für das nördlich anschließende Waldland vor der Jahrtausendwende gibt es nicht. Um 990 wird Schenkungsgut zu Mainsbach als iuxta jluuium Regan gelegen angegeben'« Und noch unter Kaiser Konrad 11. werden 1025 Besitzungen nördlich der Do- nau selbst in einem Königsdiplom nicht in den Donaugau, in dem sie zum Teil lagen, lokalisiert, sondern in septentrionali parte Danubii jluminis». Offensichtlich war es auch nach der Jahrtausendwende keineswegs selbstverständlich, den Vorderen Bayerischen Wald dem Donaugau zuzurechnen. Daß der Untersuchungsraum dennoch bereits damals zum Donau- gau gehörte, kann indirekt aus dem Diplom Karls des Großen er- schlossen werden, mit dem er im Jahre 791 dem Bendiktinerkloster Kremsmünster seinen Besitz bestätigte. In der Reihe der Schen- kungsgüter werden auch Liegenschaften ad Nordfilusa aufgezählt», Diese Angabe wird mit aller Wahrscheinlichkeit auf die oberpfälzi- sche ViIs bezogen» und belegt, daß in dieser Frühzeit noch das Vils-

28 Eine Zusammenstellung von Belegen: Hamm, Herzogs- und Königsgut (wie Anm.15) Anhang VII; Alfred Oesper, Zum Problem von Gau und Grafschaft im Bayern des 11. und 12. Jahrhunderts (Zulassungsarheit Regensburg 1976, greifbar im Institut für bayerische Geschichte der Universität München), 24-27, 58-61. 29 Salzburger Urkundenbuch I, hrsg. von Willibald Hauthaler, Salzburg 1910, 7; vg!. 20. 30 Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters St. Emmeram, hearb. von Josef Widemann (Quellen und Erörtungen zur bayerischen Geschichte, Neue Folge [= QE NF] 8) München 1943,209 Nr.250. 31 Monumenta Germaniae Historica l= MGH] D Ko n. 29. 32 MGH D KdGr. 169: ad Nordfilusa tertiam ecclesiam cum rebus secum pertinenti- bus in Tonahgaoe. 33 Das gegen den Auflösungsvorschlag des Herausgebers Engelbert Mühlbacher. Das gewichtigste Argument dafür ist die Parallelstelle: Vita Wynnebaldi abbatis Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 125 becken dem Donaugau zugerechnet wurde, der demnach das gesamte Altsiedelland nördlich von Regensburg eingeschlossen haben muß>, Der Nordgau hatte seinen Schwerpunkt zu dieser Zeit im Ingolstadt- Eichstätter Raum, verlagerte sich aber von hier aus - ganz im Sinne der Guttenbergischen Urgautheorie - immer mehr nach Osten», Dieses Vorrücken des Nordgaues hatte Verschiebungen im Gauge- füge nördlich der Donau zur Folge. Es kam zunächst zur Ausbildung der Westermannmark als bayerischer Gegenorganisation gegen den vordringenden fränkischen Einfluß im vorher völlig belegfreien Raum zwischen Eichstätt und unterer Naab», Um die Mitte des 10. Jahrhunderts erreichte der Nordgau dann aber die Naablinie=, um die Jahrtausendwende das Regental. Hier stießen der Donau- und der Nordgau aufeinander. Der Nordgau drängte den Donaugau zurück. Früher zum Donaugau gehörige Gebiete wurden seit dem mittleren 10. Jahrhundert zum Nordgau gerechnet. Der flußlauf des Regens bildete sich nun als lineare Gaugrenze aus. Dieser Vorgang ist in die spätottonische Epoche zu datieren und schließt die Veränderungen im Gaugefüge in diesem Raum ab. Der Vorwald wurde damals zum letzten Überrest des Donaugaues nördlich des Stromes. Die Flußgrenze ist erstmals im Jahre 1003 urkundlich faßbar. Schenkungsgüter an den Bischof von Freising zu Hötzing und Scharlau (beide Orte im Lk Cham) werden in Danachgowe lokali-

Heidenheimenis, hrsg. von Oswald Holder-Egger, MGH SS XV/I, Hannover 1887, no, 34 Hans Dachs, Der Umfang der kolonisatorischen Erschließung der Oberpfalz bis zum Ausgang der Agilolfingerzeit (Verhandlungen des Historischen Vereins filr Oberpfalz und Regensburg l= VHVO] 86) 1936, 171-173. 3~ Kraus, Marginalien (wie Anm.5); ders., Bayern und der Nordgau. Eine Richtig- stellung (VHVO 116) 1976, 175-178; ders., Amberg und der bayerische Nordgau im 11. Jahrhundert, in: Amberg 1034-1984. Aus tausend Jahren Stadtgeschichte (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 18) Amberg 1984,25-34. 36 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 119 Nr. 153 (in pago Vue- starmannomarcha); MGH D LdK 11 (in pago Uvestarmann); vg!. zur Wester- mannmark: Guttenberg, Territorienbildung (wie Anm.I4), 218; Dachs, Kolonisato- rische Erschließung (wie Anm.34), 169; Hamm, Herzogs- und Königsgut (wie Anm.15), 130; Kraus, Marginalien (wie Anm. 5), 178-180. 31 MGH DOl. 219: Premberg in pago Nortgouwe. 126 Alois Schmid

siert, während mit gleicher Urkunde an den nämlichen Empfänger gegebene Besitzungen im nahen Pösing und Frieding in Nordgowe liegen», Diese unterschiedliche Lokalisierung in zwei Gaue legt zwingend den Regen als Flußgrenze nahe, was durch eine Reihe von Urkunden, die andere Schenkungen betreffen, bestätigt wird. 1007 wird zum Beispiel Nittenau in pago Tonohkao lokalisiert», 1020 Diepenried (Gern. Bodenstein, Lk Schwandorf) in pago Toneh- gouuaw: Der Regen muß eine recht lineare Grenze zwischen den zwei Gauen gebildet haben, die allerdings im Dotationsgut auch übersprungen werden konnte. Die Schenkung zu Nittenau an den Bi- schof von Bamberg betrifft überwiegend Güter nördlich dieser Grenze, obwohl sie ausgehend vom Hauptort als in pago Tonohkoa gelegen bezeichnet wird-', Einzelne Pertinenzien konnten also offen- sichtlich durchaus außerhalb des genannten Gaues liegen. Maßgeb- lich für die Gauangabe war der Besitzmittelpunkt. Die genannten Urkunden beziehen sich ausschließlich auf das mittlere Regental, das als Altsiedelland und wichtiger Verkehrsweg nach Böhmen besondere herrschaftliche Bedeutung hatte. Doch ist mit diesen Nennungen zugleich die Zugehörigkeit des dazwischen- liegenden Waldlandes zum Donaugau ausgesprochen, auch wenn dieses überwiegend erst später erschlossen wurde. Dafür gibt es ein einziges direktes, freilich nicht unproblematisches Zeugnis. Für die Jahre zwischen 1022 und 1039 wird Kufberg (Gern. Wenzenbach, Lk Regensburg) ausdrücklich in comitatu Tuonichkevvense lokalisierte,

38 MGH D H 11.56. Vg!. Günther Rinck, Der Edelsitz Hötzing und seine Besitzun- gen (Die Oberpfalz 66) 1978,285. 39 MGH D H 11.145. 40 MGH D H 11. 432. 41 MGH D H n. 145. 42 Acta Tirolensia. Urkundliche Quellen zur Geschichte Tirols I: Die Traditions- bücher des Hochstifts Brixen vom 10. bis in das 14. Jahrhundert, hrsg. von Oswald Redlich, Innsbruck 1886 (Neudruck 1973),27 Nr. 67. Zu den Problemen um diese Urkunde vgl. Anm.114, lIS. - In MGH D Arn 13 wird ein Wolfersdorf im Do- naugau genannt (888). Herausgeber Paul Kehr hat es mit Wolfersdorf (Landkreis l= Lk] Freising) aufgelöst, was nicht zutreffen kann. Auch Wolfersdorf (Gern. Bern- hardswald, Lk Regensburg) erscheint ausgeschlossen. Alle Indizien sprechen für Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 127

In einem ähnlichen Entwicklungsgang bildete sich ebenfalls erst im 10. Jahrhundert der Regen unterhalb des Flußknies bei Marienthal als natürliche Grenze nach Westen hin aus. Auch das Gebiet westlich des Regens bis hinüber zum Unterlauf der Naab muß ursprünglich zum Donaugau gehört haben, wie ebenfalls aus der Kremsmünster-

Urkunde von 791 abzuleiten ist43• Doch wurde auch hier der Donau- gau im späteren 10. Jahrhundert verdrängt. Falls Maetingan in einer Schenkungsurkunde Ludwigs des Kindes von 901 auf Bergmatting (Gern. Sinzing, Lk Regensburg) zu beziehen ist, wofür alles spricht, wäre das ein erster Beleg hierfür=, 981 wird das im späteren Stadt- amhof aufgegangene praedium Scierstat in den Nordgau lokalisierte, Entsprechendes ist aus einem Diplom Ottos Ill. zu folgern, auch wenn dessen Gauangabe für das Kloster Prüfening letztlich doch nicht zutreffen kann-e, In spätottonischer Zeit wurde die Landzunge zwischen Donau, Naab und Regen zum Nordgau gerechnet, der im Nachbarraum östlich des Regen nie so weit nach Süden vorstieß. Damit wurde auch hier der Regen zur linearen Flußgrenze zwischen dem Nord- und Donaugau. Doch muß es hier - am ehesten im Rahmen des Vorgehens König Heinrichs Il. gegen den Markgrafen Heinrich von Schweinfurt 1002/03 - zu Veränderungen gekommen sein. Zu Recht haben schon Michael Doeberlv und Sigmund von Riezlerv angenommen, daß damals dieser südliche Landkeil vom Nordgau abgetrennt wor- den sei. Denn er befindet sich nach der Jahrtausendwende in der Ver- fügungsgewalt der Burggrafen von Regensburg und nicht der jewei-

Wolfersdorf (Gern. Altenbuch, Lk Dingolfing -Landau), so daß auch dieser Beleg dem oben entwickelten Zusammenhang nicht im Wege steht. 43 MGH D KdGr. 169; s.Anm.32. 44 MGH D LdK 11. 45 MGH DOli. 247. 46 MGH D 0 III. 351. 41 Michael Doeberl, Die Markgrafschaft und die Markgrafen auf dem bayerischen Nordgau, München 1894, 16f. 48 Sigmund Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (Geschichte der europäischen Staaten 20, 1) Stuttgart 21927, 15. - Auffallenderweise behandelt Riezler in seiner Über- sicht über die bayerischen Gaue 1/2, 541-550 den Donaugau nicht. 128 Alois Schmid ligen Grafen auf dem Nordgau. Dadurch wurde hier die Flußgrenze des Regens wieder gegenstandslos, weil nun die Gebiete westlich wie östlich des Flusses zur Burggrafschaft gehörten. Auch jetzt wurde der Raum zwischen unterer Naab und Regen dennoch nicht wieder zum Donaugau geschlagen, wie am eindringlichsten das ge- nannte Diplom Konrads 11.von 1025 belegt. Vielleicht hängt dessen ungewöhnliche Ortsangabe in septentrionali parte Danubii fluminis gerade mit der Lage des Schenkungsgutes in zwei Gauen zusam- men-', Vor allem veränderte dann aber der Aufstieg der Herren von Pettendorf - Lengenfeld - Hopfenohe ab der Mitte des 11. Jahrhun- derts die Verhältnisse hier abermals nachhaltig=, Ausgangspunkt ih- rer Herrschaftsbildung scheint der 1003 vom Nordgau abgetrennte Landkeil zwischen den Unterläufen von Naab und Regen gewesen zu sein, dessen eigenständige Entwicklung erstmals in einem Königsdi- plom Heinrichs 11. aus dem Jahre 1007 greifbar wird, das Holzheim am Forst (Lk Regensburg) in pago Horevun lokalisiert». Diese Gau- bezeichnung ist - trotz einiger vergleichbarer Ortsangabens - sin- gulär und deswegen nicht mit Gewißheit aufzulösen. Als einziger Anknüpfungspunkt bietet sich der Name des dortigen ausgedehnten Forstes Raffa an. Falls dieser Zusammenhang zutrifft, würde sich die Gaubezeichnung hier an einen Forst anlehnen, wofür es im übrigen

49 MGH D Ko 11.29. SO Heinrich Wanderwitz, Das Mittelalter, in: Gemeinde Pettendorf. Geschichte und Gegenwart, hrsg. von der Gemeindeverwaltung Pettendorf, Kallmünz 1991,29-43. 51 MGH D H 11. 153. Vg!. Georg Thomas Rudhart, Aelteste Geschichte Bayerns, Hamburg 1841,514; Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (wie Anm.48), 550; Wilhelm Störmer, Früher Adel. Studien zur politischen Führungsschicht im fränkisch-deut- schen Reich vom 8. bis 11. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittel- alters 6) Stuttgart 1973,406f. 52 Vielleicht steht in Zusammenhang damit Schenkungsgut ad Horuun, das durch MGH D Ko 11.29 an den Bischof von Freising gegeben wird. Es muß in diesem Raum liegen. Vermutlich um den gleichen Ort handelt es sich bei dem anläßlich ei- nes Tauschgeschäftes 1145 erwähnten praedium in Horwenn: Monumenta Boica XIII, München 1777, 212. Zwei Urkunden des Klosters Pettendorf (Bayerisches Hauptstaatsarchiv I= BayHStA] KU Pettendorf 27,28; 22.II.1303) nennen einen Hof zu Horwen unmittelbar nach einem Gut zu Dollackenried (Gern. Dinau, Lk Re- gensburg). Auch diese Angabe führt in den genannten Raum. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 129 aber keine Parallele gibt. Doch zwingt diese Kleingaunennung zum Schluß, daß zumindest ein Teil des Gebietes zwischen Regen und Naab damals nicht mehr zum Donau- und auch nicht zum Nordgau gerechnet wurde, sondern als Kleingau seine eigene Organisations- form erhalten hatte, die sich allerdings nicht näher verfolgen läßt. Eine weitere auffallende Gaubezeichnung findet sich für den Ostrand des Untersuchungsraumes. In der Vita S. Ermenfridi, die um die Mitte des 7. Jahrhunderts angesetzt wird, ist von Erzählungen der Bewohner des burgundischen Gaues Varasch, der Warasci, die Rede, die aus dem pagus Stadevanga am Fluß Regnus in dieses Land ge- kommen seien», Die Angabe wird als glaubhaft angesehen, zumal sie von entsprechend auswertbaren Toponymen bestätigt wird. Of- fensichtlich sind am Ausgang der Völkerwanderung ethnische Kleingruppen aus dem Siedlungsraum der Bajuwaren nach Burgund gekommen; Ernst Schwarz bringt sie mit den Naristen in Zusam- menhang>, Unklar und merkwürdig ist die Herkunftsangabe Stade- vanga». Sie ist verschiedentlich auf Stallwang (Lk Straubing - Bo- gen), ein Pfarrdorf an der Altstraße von Cham nach Straubing, bezo- gen worden. Ernst Schwarz sah dagegen keinen Ortsnamen zugrunde liegen, sondern eine Geländebezeichnung und löste deswegen anders auf: »Uferfelder am fluß Regen«. Er denkt an das Chamer Becken als Herkunftsland=, Für die Erörterung der Gaufrage kann dieser

53 De S. Ennenfredo abbate autore Egilberto praeposito Cusatinensi, Acta Sane- torum, September VII, Antwerpen 1760, 117: qui olim de pago, utferunt, qui dicitur Stadevanga, qui situs est circa Regnum flumen, partibus Orientis Juerant ejecti. - Ein Chamgau wird auch vorausgesetzt in: Der Landkreis Charn, hrsg. vom Kreistag Cham, Regensburg 1966, 285 f. Einen solchen hat es im frühen Mittelalter nicht ge- geben. 54 Ernst Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 4) Nürnberg 1960,46, 75; ders., Neues und Altes zur Geschichte der Naristen (JbfrkLf 22) 1962,288; ders., Die Naristenfrage in na- menkundlicher Sicht (ZBLG 32) 1969,401-403. 55 Zu dieser Stelle weiterhin: Ernst KIebeI, Baierische Siedlungsgeschichte (ZBLG 152) 1949. 79f.; Heinz Löwe, Die Herkunft der Bajuwaren (ZBLG 15) 1949, 27f.; Hans-Jörg Kellner, Raetien und die Markomannenkriege (Bayerische Vorge- schichtsblätter 30) 1965. 171-174. 56 S.Anm. 54. 130 Alois Schmid

Beleg aber ausgeschieden werden, obwohl er der weitaus älteste wäre. Die im fernen Burgund entstandene erzählende Quelle formu- lierte viel unpräziser als die späteren Urkunden. Daß sie nur auf dem Gerede der Leute aufbaut, sagt sie ausdrücklich: ut Jerunt. Pagus dient hier lediglich der geographischen Groborientierung und nicht der verfassungsgeschichtlich exakten Ortsangabe. Ein sehr früher Gau am Regen darf aus dieser hagiographischen Quelle sicherlich nicht abgeleitet werden. Im Bereich des Vorderen Bayerischen Waldes griff also der 00- naugau in einer weiten Ausbuchtung bis ins Regental aus. Er stieß hier weit über die Donau nach Norden vor, was den Untersuchungs- raum jedoch vom östlichen Anschlußgebiet, dem Mittleren Bayeri- sehen Wald, unterschied. Denn jenseits der Altstraße Cham - Strau- bing erstreckte sich der Donaugau nicht mehr ins Gebiet nördlich des Stromes hinein. Hier fehlt für das Waldland jeder Donaugau-Beleg, wenn man mit Piendl davon ausgeht, daß das Kloster Berg nicht auf den Bogenberg zu setzen istS7• Besitzungen werden in diesem Raum nach anderen Mustern lokalisiert, weil hier offensichtlich der Wald nicht mehr zum Donaugau gerechnet wurde. Das wird noch im Nie- deralteicher Urbar Abt Hermanns (1242-1273) deutlich, das Kloster- besitz nach pagi gegliedert verzeichnet. Doch beziehen sich die von Hermann genannten pagi ausschließlich auf die Donauebene. Die im Wald gelegenen Güter werden im Gegensatz dazu in nemore lokali- siert», Dafür gibt es im Urkundenmaterial Bntsprechungen», Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung des Vorderen und des

57 MGH DOli. 294; D H II. 408; ohne Gaubezeichnung: Widemann, Traditionen (wie Anm.30), 28 f. Nr.22. Zur Lokalisierung vor allem Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 62; Wilhelm Störmer, Adelsgruppen im früh- und hochmittelalter- lichen Bayern (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 4) Mün- chen 1972, 148-156; Friedrich Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monasti- sehen Entwicklung (4. bis 8.Jahrhundert), Darmstadt21988, 439f. S8 BayHStA KL Niederalteich 39, fol. 1v. S9 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 188 Nr.208: Menach (Lk Straubing-Bogcn), quod est prope saltum Nordwald situm (975-980); vgl. auch 214 Nr.256: Stefling in silva communi Nordwald nuncupata. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 131

Mittleren Bayerischen Waldes kann nur in der unterschiedlichen Er- schließung zu suchen sein. Während der Vorwald, vermutlich wegen seiner Nähe zur Pfalzstadt Regensburg und zum Zentralort Cham, bereits im 11.Jahrhundert breit gerodet wurde, trugen die Grafen von Bogen ihre Kolonisationstätigkeit in den östlichen Nachbarraum erst in der folgenden Epoche hinein. Diese andersartige Entwicklung kommt in den unterschiedlichen Befunden bezüglich der Gaube- zeichnungen sachgerecht zum Ausdruck. Die genannten Belege sind alle, die sich für den Untersuchungs- raum beibringen lassen. Sie sind vergleichsweise wenig und treten gehäuft lediglich nach der Jahrtausendwende unter Kaiser Heinrich 11.auf. Im Unterschied zu anderen Räumen, in denen die Gaubelege ab der Mitte des 11. Jahrhunderts dann aber oftmals gänzlich ver- schwinden, werden sie in spätsalisch-staufischer Zeit zwar auch hier noch seltener, sind aber weiterzuverfolgen. Es ist 1050 einmal von pagus Camprichew die Rede oder im mittleren 12.Jahrhundert» vom pagus Stoufa. Hier werden die Markgrafschaft Cham und der Herr- schaftsbereich des Bischofs von Regensburg, für den sich später die Bezeichnung comecia flndet=, angesprochen. Damit beinhaltet der pagus-Begriff nun etwas anderes, er hat seinen ursprünglichen Ge- halt abgelegt, indem er auf einen Herrschaftsbezirk verweist. Gerade diese herrschaftliche Komponente aber fehlt den frühen pagus-Bele- gen in diesem Raum, in dem es vor der Jahrtausendwende keine Gra- fen gab. Deswegen kann hier für das frühe Mittelalter kein Zusam- menhang von pagus und comes bestehen. Die pagus-Angabe dient hier allein der geographischen Bezeichnung.

60 MGH D H Ill. 248. 61 (Franz Michael) Wittmann, Schenkungsbuch des Stiftes Obermünster zu Regens- burg, in: Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte I, München 1856,157 Nr.5. 62 Schmid, HAB Regensburg I (wie Anm.21), 109. 132 Alois Schmid

II 1. PERTINENZ DES FISCUS REGENSBURG

Grafen werden im Untersuchungsraum bis zur lahrtausendwende nicht genannt. Er stellt auf der Verbreitungskarte der comes-Zeug- nisse bis 1050 eine ausgesprochene Insel dar, die sich von den Nach- barräumen im Süden wie im Norden, die von auffallender Beleg- dichte gekennzeichnet sind, deutlich abhebt. Dieser Befund ist merkwürdig und verlangt Erklärung. Er hängt zum einen mit dem Gang der Siedlungsgeschichte zusammen. Der Untersuchungsraum war bis zur lahrtausendwende weithin siedlungsleer. Lediglich an den Rändern entlang der Flußläufe von Donau und Regen sowie der Altstraße Ch am - Straubing ist mit agilolfingerzeitlicher Siedlung zu rechnen, wie der Ortsnamenbestand» und die Verbreitungskarte der Reihengräbers- zeigen. Das dazwischenliegende Waldland war dage- gen bis zur lahrtausendwende weithin unbewohnt; allein für die Wenzenbacher Mulde ist noch agilolfingerzeitliche Frühsiedlung be- zeugre, Hier gelangten schon in spätkarolingischer Zeit Güter an die Regensburger Domkirche, die in der marca ad Menzinpab einen frü- hen Besitzschwerpunkt erhielt. Die Schenkungen stammten zum einen aus königlichem Fiskalland, zum andern aus der Hand des Adels, der hier früh Ländereien an sich gebracht hatte=, Im übrigen

63 Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (wie Anm. 54); Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm.22), 16. M Armin Stroh, Die Reihengräber der karolingisch-ottonischen Zeit in der Oberpfalz (Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte 4) Kallmünz 1954 behandelt kein ein- ziges innerhalb des Untersuchungsraumes gelegenes Reihengräberfeld, auch nicht die zu Wiesing und Altenmarkt im Regental bei Roding und Cham; Spindler, Baye- rischer Geschichtsatlas (wie Anm.26), Karte 9. Vgl. auch Klaus Schwarz, Der frühmittelalterliche Landesausbau in Nordost-Bayern archäologisch gesehen, in: Ausgrabungen in Deutschland I/2 (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mono- graphien 1/2)Mainz 1975,338-409. 6S Rudolf Ebneth (Red.), Wenzenbach. Junge Gemeinde mit langer Vergangenheit, Regensburg 1983,20-32. 66 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 49 f. Nr.45; 56 Nr.54; 59 f. Nr.59; 84 f. Nr.94; 87 Nr.96; vgl. 109f. Nr. 136; 119f. Nr. 153. - Auch das Re- gensburger Kloster SI.Paul war hier seit seiner Anfangszeit geringfügig begütert: Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 133 war das Waldgebiet nur mit königlichen Rodungsbauern durchsetzt, die sich in besonderer Verdichtung im Ort Gonnersdorf (Gern. Grünthal, Lk Regensburg) befunden haben müssen, das seinen Na- men von Chuningesdorf i= Königsdorfjet herleiten dürfte=. Trotz der weitgehenden Siedlungsleere war der Raum aber keines- falls herrschaftsleer. Er gehörte vielmehr zum breiten und sehr lang- gestreckten Gürtel von Königsforsten, die auf der Höhe von Regens- burg einsetzten und sich dann entlang des Nordufers der Donau bis weit hinunter in die Ostmark erstreckten. Sie waren den Pfalzen an der Donaulinie zugeordnete. Der Untersuchungsraum gehörte zur Pfalz Regensburg. Er stellt einen weithin geschlossenen Fiskalland- gürtel dar, der aber vermutlich nicht auf dem Wege der Fiskalsukzes- sion an den Herzog gekommen ist und von diesem dann an das Kö- nigtum übergingv. Da sich für ein Ausgreifen der Römer, die den Nordwald wegen seiner Unwirtlichkeit fürchteten, auf das Nordufer der Donau in solcher Breite keine Anhaltspunkte ergeben", muß ge- schlossen werden, daß der Vorwald erst mit dem Aufbau der agilol- fingischen Pfalz in Regensburg an diese gebunden wurde. In karo- lingischer Zeit wurde die herrschaftspolitische Bedeutung des Rau- mes weiter intensiviert. Durch ihn führten mehrere Altstraßen, die im

Johann Geier, Die Traditionen, Urkunden und Urbare des Klosters St. Paul in Re- gensburg (QuE NF 34) München 1986,4 Nr.3 (Süssenbach, Lk Cham), 30 Nr.31 und 34 f. Nr. 36 (Altenthann, Lk Regensburg), 44 Nr.47 (Höslgrub, Lk Regensburg), 192. 67 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 49 f. Nr.45. 68 Schmid, HAB Regensburg (wie Anm. 21). 69 Karl Bosl, Pfalzen und Forsten, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer hi- storischen und archäologischen Erforschung I, hrsg. von Hermann Heimpel, Göttin- gen 1963, 1-29; ders., Pfalzen, Klöster und Forste in Bayern. Zur Organisation von Herzogs- und Königsgut in Bayern (VHVO 106) 1966,43-62. 70 Die Fiskalsukzession wurde erstmals nachgewiesen von: Hans Dachs, Römerka- stelle und frühmittelalterliches Herzogs- und Königsgut an der Donau, in: Aus Bayerns Frühzeit. Friedrich Wagner zum 75. Geburtstag (SchbLG 62) München 1962, 293-320; wieder in: Bosl, Zur Geschichte der Bayern (wie Anm. 6),44-84. Er sah gerade die Verhältnisse im Regensburger Raum so eindeutig, daß er sie nicht weiter untersuchte. '. 71 Karlheinz Dietz- Udo Osterhaus ~'Sabine Rieckhoff-Pauli - Konrad Spindler, Re- gensburg zur Römerzeit, Regensburg 21979. 134 Alois Schmid

Zuge der Böhmenpolitik als Heereswege seit dem 9. Jahrhundert auch strategische Bedeutung erlangten», Mit der Organisation des Königsgutes in der Umgebung des Pfalzortes Regensburg hat sich 1977 ausführlich Peter Schmid be- schäftigt», Hauptergebnis seiner Untersuchung ist, daß der Raum nicht in die karolingische Grafschaftsorganisation einbezogen wurde, sondern alsfiscus seine eigene Verwaltung hatte, an deren Spitze ein vicarius regis stand. Peter Schmid kam damit für den Zentralort Re- gensburg zu ähnlichen Resultaten, wie sie die vergleichende Pfalzen- forschung bereits an anderen Orten (Frankfurt, Ingelheim, Boppard, Aachen) ermittelt hatte> und wie sie seither noch für andere Zen- tralorte, z. B. Zürich», nachgewiesen wurden. Wenn sich der Unter- suchungsraum also durch eine auffallende Belegleere auf der Karte der Grafennennungen des frühen Mittelalters abhebt, erklärt sich das sehr einleuchtend durch den Nachweis einer derartigen Fiskalorgani- sation. Hier können keine Grafen begegnen, weil sie hier nicht zu- ständig waren. Ihre Kompetenzen waren im Bereich der Pfalzforsten anderen Organen der Krongutsverwaltung übertragen. Die auf- fallende Belegleere läßt sich bestens mit den Ergebnissen der jünge- ren Pfalzenforschung zur Deckung bringen. Sie entpuppt sich als sehr aussagekräftiges Indiz für die Erörterung der Grafschaftspro- blematik. Zuständig für den Untersuchungsraum war als Pertinenz der Pfalz Regensburg der vicarius regis. Die Forsten unterstanden einem ei-

72 Ihr Verlauf ist im einzelnen noch nicht hinreichend geklärt, nachdem Anton DoIl- acker, Altstraßen der mittleren Oberpfalz (VHVO 88) 1938, 167-186 für diesen Raum nur mehr wenig bietet. Eine Verbindungsstraße durch den Vorwald erschließt: Schwarz, Landesausbau (wie Anm. 64),384 f. 73 Peter Schmid, Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter (Regens- burger Historische Forschungen 6) KaIlmünz 1977, 193-271. 74 Wolfgang Metz, Das karolingische Reichsgut. Eine verfassungs- und verwal- tungsgeschichtliche Untersuchung, Berlin 1960; Marianne Schalles-Fischer, Pfalz und Fiskus Frankfurt. Eine Untersuchung zur Verfassungsgeschichte des fränkisch- deutschen Königtums (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Ge- schichte 20) Göttingen 1969; Hans Schmitz, Pfalz und Fiskus Ingelheim (Untersu- chungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 2) Marburg 1974. 75 Borgolte, Grafschaften (wie Anm. 3),78-101. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 135 gens dafür benannten Unterbeamten, dem Jorestarius. Diese beiden Funktionsträger werden erstmals in der Chammünster-Urkunde von 819 faßbar, mit der Abtbischof Baturich von Regensburg einen Grenzstreit zwischen seinem Eigenkloster und Rodungsbauern der Umgebung beilegte», Die Urkunde liefert sehr bezeichnende An- haltspunkte für den Inquisitionsprozeß des frühen Mittelalters", In diesem Zusammenhang ist sie vor allem wegen der beteiligten Per- sonen von Belang. Das Verfahren wird abgewickelt vor dem Eigen- kirchenherrn: Abtbischof Baturich. Das ist im Grunde auffallend, weil Karl der Große mit dem Capitulare missarum generale 802 allen Kirchen aufgetragen hatte, derartige Rechtsgeschäfte durch einen Vogt wahrnehmen zu lassen», Tatsächlich wird der zuständige Vogt in der Urkunde auch genannt, aber an ganz versteckter Stelle inner- halb der Zeugenreihe und hier sogar in nachgeordneter Position>, Diese Beobachtung ist wohl so zu deuten, daß eineinhalb Jahrzehnte nach der Erlassung des Capitulare dessen Bestimmungen in der Grenzprovinz Bayern noch nicht so weit durchgesetzt waren, daß sie

76 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 15-17 Nr.16. Über die Ur- kunde zuletzt: Reinhard Bauer, Die ältesten Grenzbeschreibungen in Bayern und ihre Aussagen für Namenkunde und Geschichte (Die Flurnamen Bayerns 8) Mün- chen 1988, 129-139; Regensburg - Kelheim - Straubing, bearb. von Sabine Rieck- hoff-Pauli - Waiter Torbrügge (Führer zu archäologischen Denkmalen in Deutsch- land 6) Stuttgart 1984, 180-184 (Waiter Torbrügge); 1250 Jahre Chammünster. Festschrift der Pfarrei, Chammünster 1989. 77 Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte Il, neu bearbeitet von Claudius Frhr. von Schwerin, München-Leipzig 21928,689-692; Heinrich Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis der karolingischen Zeit, in: ders., Forschungen zur Ge- schichte des deutschen und französischen Rechts. Gesammelte Aufsätze, Stuttgart 1894 (Neudruck 1969),88-247. 78 Capitulare missorum generale, hrsg. von Alfred Boretius, MGH Capitularia I, Hannover 1883,93. 79 Zu Vogt Immo, der in den Regensburger Traditionen mehrfach genannt wird (z. B. Nr.13, 14, 19, 20): Hermann Starflinger, Die Entwicklung der Domvogtei in den altbayerischen Bistümern, Diss. München 1908, 12,81; Piendl, Grafen von Bogen I (wie Anm.24), 62 f.; Ill, 26; Christine Rädlinger-Prömper, SI. Emmeram in Regens- burg. Struktur und Funktionswandel eines bayerischen Klosters im früheren Mittel- alter (Thurn und Taxis-Studien 16) Kallmünz 1987, 131-133; Karl Hausberger, Ge- schichte des Bistums Regensburg I, Regensburg 1989,35. 136 Alois Schmid den Eigenkirchenherrn in den Hintergrund gedrängt hätten. Der Abt- bischof blieb die entscheidende Person in diesem Verfahren, die be- legt, daß mit der Schenkung der marca ad Champa durch die Her- zöge Odilo und Tassilo Ill. der übereignete Bereich wirklich aus der regulären Landesverwaltung ausschied und Immunität erhielt. Diese Immunität wurde auch von den Karolingern anerkannt. Doch ver- dient gerade die Frage der Rechtsqualität dieser Immunität einen eingehenderen Blick. Die marca war zwar weithin, aber nicht gänz- lich immun. Denn am Rande ist ein Graf durchaus noch an diesem Verfahren beteiligt. Er überwacht das Rechtsgeschäft als oberste In- stanz, zumal es sich um usurpiertes Gut handelt. Der Graf ist zwar nicht persönlich anwesend, aber durch einen missus vertreten. In die- ser Frühzeit blieb also offensichtlich dem zuständigen Grafen auch innerhalb von Immunitätsbezirken noch immer die Oberaufsicht vor- behalten, die vor allem im Falle von Auseinandersetzungen wirksam wurde. Die kirchliche marca wird nicht gänzlich aus der gräflichen Zuständigkeit eximiert. Auch diese Urkunde macht deutlich, daß Immunität ein Zustand von vielfacher Abstufung war=, Als Graf wird Hatto genannt. Grafen dieses Namens sind mehrfach belegt, ohne daß sich dadurch greifbare Hinweise zur Identifikation ergäben. Deswegen ist sein Zuständigkeitsbereich nur zu vermuten. Er wird mit aller Wahrscheinlichkeit als Graf im Donaugau angesehen und in dieser Funktion amtete er 819 in Chammünster, dessen Zuordnung nach Regensburg gerade durch diese Urkunde belegt wird», Daß er nicht selber in diesen äußersten Winkel des ihm unterstellten Gaues ritt, könnte damit zusammenhängen, daß ihm hier lediglich das Recht der Oberaufsicht zustand. Vielleicht deswegen begnügte er sich mit der Entsendung des missus Hiltiroh.

80 Metz, Das karolingische Reichsgut (wie Anm. 74). 81 Karl Dinklage, Cham im Frühmitte1alter (VHVO 87) 1937, 173. Guttenberg, Die politischen Mächte (wie Anm.25), 222 rechnet ihn - mit wenig Wahrscheinlich- keit - dem Nordgau zu. Der Landkreis Cham, hrsg. vom Kreistag Cham (wie Anm.53), 285 spricht ihn als »Graf des Chamgaues« an; einen solchen hat es nicht gegeben. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 137

Außer dem Abtbischof, dem Vogt und dem Abgesandten des Gra- fen waren in dieses Rechtsgeschäft noch als Hauptzeugen der vena- tor Rodold und der vicarius Betto eingeschaltet. Bei beiden handelt es sich um verfassungsgeschichtlich bedeutsame Funktionsträger. Der venator wird als Oberaufseher über die Königsforsten im Re- gensburger Umland gedeutete. Dabei fällt seine Nennung vor allen anderen Funktionären auf. Er muß also in dieser Angelegenheit die nach dem Abtbischof wichtigste Person gewesen sein, zuständig für die Pfalzwaldungen bis in das Chamer Becken. Dieser venator ist in eine Reihe zu stellen mit dem princeps super omnes forestes, den eine Urkunde Ludwigs des Deutschen von 863-876 nennt», und dem königlichenJorestarius Sigifrid Konrads I. von 91484• Diese drei Di- plome dürfen in Zusammenhang miteinander gebracht werden und belegen eine Königsforstverwaltung, für die nicht der Graf, sondern eigene Funktionäre zuständig waren, die in den Umkreis der Re- gensburger Pfalz gehören. In die gleiche Richtung deutet der zweite Zeuge: der vicarius Betto. In den Regensburger Traditionen ist eine lange Reihe von Personen genannt, die diesen Titel führten», Er verweist aber sicher nicht auf ein einziges Amt. Vicarii können zur Umgebung des Bischofs, des Grafen und des Königs gehören. Der vicarius Betto ist letzterer Gruppe zuzurechnen, war also wohl der Spitzenbeamte des fiSCUS86• Daß er hier hinter dem venator eingestuft

82 Dinklage, Cham (wie Anm.81), 173. 83 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 49 Nr.44 = MGH D LD 152. Vg!. Alois Schmid, Zur Interpretation einer Urkunde König Ludwigs des Deut- schen für Abtbischof Ambricho von Regensburg (MGH DD LD 152) (ZBLG 44) 1981,571-581. 84 MGH D Ko I. 22. Vg!. Karl Bosl, Vorstufen der deutschen Königsdienstmann- schaft, in: ders., Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa. Ausge- wählte Beiträge zu einer Strukturanalyse der mittelalterlichen Welt, München - Wien 1964, 252f. 8S Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), Nr.16, 20, 36, 41, 45, 78, 97. 103.988. 86 So Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 256-259. Zum Amt weiterhin: Michael Mitterauer, Wirtschaft und Verfassung in der Zollordnung von Raffelstetten (Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 8) 1964,359-365. Unzutref- fend: Dinklage, Cham (wie Anm. 81), 173: Unterbeamter des Gaugrafen. 138 Alois Schmid wird, muß auffallen, ist aber vielleicht so zu erklären, daß der vena- tor der in erster Linie zuständige Fachmann war. Im vena tor Rodold und vicarius Betto werden also zwei Funktionsträger greifbar, denen der gesamte Vorwald unterstand. Sie, und nicht der Graf, hatten die Pfalzforsten zu verwalten. Deswegen zeichnen die Quellen durchaus ein zutreffendes Bild, wenn sie für den Untersuchungsraum keinen einzigen Grafen, wohl aber anderes Königspersonal überliefern. Hier war eine nach dem Fachprinzip arbeitende, hierarchisch abgestufte Krongutsverwaltung angesetzt. Zu dieser scheint auch der königliche Dienstmann Megingoz zu gehören, der 1003 einen Fiskalgutkomplex bei Roding (ministerium) verwaltete, ohne daß ein Graf genannt würdev, Die Ausbuchtung des Donaugaues im Vorderen Bayeri- schen Wald hatte als Pertinenz zum fiscus Regensburg ihre eigene Verwaltungsorganisation.

2. DER AUFBAU VON KIRCHLICHEN UND ADELIGEN HERRSCHAFfEN

Diese Krongutsverwaltung wurde in der ausgehenden Ottonenzeit im Rahmen der Neuorganisation der Königsgastung umgebaut, die mit der Ausbildung des ottonisch-salischen Reichskirchensystems zusammenhängt. Auf diese Verschiebungen weist voraus die große

Forstschenkung König Konrads I. von 91488, die unter unverkennba- ren politischen Vorzeichen steht. Der aus dem Herzogtum Bayern verdrängte König versuchte durch die Schenkung des Jorestum juxta Sulzipah seine Stellung in Regensburg und damit die Position des

87 MOH D H 11.56. Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 130,223,238, 242; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm.22), 23 Anm.24. Eine Parallele, die den locus Goldaron in ministerio Waltrammi allerdings in einen Gau und eine Graf- schaft lokalisiert, bietet: MOH D Ko I. 31. 88 MOH D Ko I. 22. Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg Ill, Regensburg 1886,58 überschätzt den Umfang der Schenkung Konrads I. 914, wenn er ihn anhand der Bestätigung von 1285 rekonstruieren will, weil er dem in der Zwi- schenzeit erfolgten Landesausbau nicht Rechnung trägt. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 139

Königtums in Bayern zu festigen=. Diese frühe königliche Schen- kung an einen bayerischen Bischof lehnte sich an ältere bischöfliche Positionen in der Wenzenbacher Mulde an und wurde das Herz des sehr ausgedehnten Donaustaufer und Wörther Forstes, in dem die Bischöfe auf der Grundlage der Forsthoheit die Landeshoheit ausbil- den konntenw, Er wurde der Hauptbestandteil des späteren Regens- burger Hochstiftsterritoriums. Auf diesem Wege gelang als ersten den Bischöfen von Regensburg im Süden des Untersuchungsraumes ein deutlicher Einbruch in den ursprünglich wohl ziemlich geschlos- senen Fiskallandgürtel des Vorderen Bayerischen Waldes. Sie wei- teten von diesem Ausgangspunkt aus ihr Herrschaftsgebiet durch Rodung aus. Dessen Eckpfeiler waren die Orte Donaustauf, Wörth, Brennberg, Falkenstein und Schönberg, die nach 1050 wohl ziemlich gleichzeitig befestigt wurden. Rechtsgrundlagen der Herrschaft in diesem Gebiet, für das sich später sogar einmal die Bezeichnung comecia findet, waren also zum einen königliche Schenkungen, zum anderen Landesausbau durch Rodungsarbeits. Die Herrschaftsrechte übten in diesem Immunitätsbezirk die Inha- ber der Domvogtei aus. Sie verfestigte sich im beginnenden 11.Jahr- hundert in den Händen des Geschlechts, das sie dann ab etwa 1050 als erbliches Lehen bis zu seinem frühen Aussterben 1148 be- hauptete. Es wurde immer als Nebenlinie der Grafen von Bogen an-

89 Kurt Reindel, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989. Sammlung und Erläute- rung der Quellen (QuE NF 11) München 1953, 111-114 Nr.56. 90 Im Wenzenbacher Tal (Anm.65, 66) und bei Wörth: Widemann, Traditionen (wie Anm.30), 2 Nr.2; MGH D LD 152 (Anm.83). Vgl. Josef Fendl, Die Burg Donau- stauf. »das beste und festeste Haus der Regensburger Kirche« (Die Oberpfalz 65) 1977,7-12,51-53; ders. (Hg.), Wörth: Stadt zwischen Strom und Berg, Regensburg 1979; Peter Morsbach, Die Reichsherrschaften, in: Ratisbona Sacra. Das Bistum Regensburg im Mittelalter, München-Zürich 1989,85-88; Hausberger, Bistum Re- gensburg I (wie Anm.79), 170-177. Zur Datierung der Befestigung von Donaustauf wichtige Beobachtungen bei: Richard Strobel, Romanische Architektur in Regens- burg. Kapitell, Säule, Raum (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 20) Nürnberg 1965,51-55. 91 Schmid, HAB Regensburg I (wie Anm.2l). 140 Alois Schmid gesehen=; erst in jüngster Zeit ist diese Zuordnung in Frage gestellt worden», Doch sind die Einwände nicht hinreichend beweiskräftig, so daß auch in Zukunft von einem Zusammenhang mit den Grafen von Bogen auszugehen ist. Die Bedenken gegen die bisherige Zu- ordnung konnten nur deswegen entstehen, weil sich das Geschlecht merkwürdigerweise nie - wie üblich - mit einer genauen Her- kunftsbezeichnung benannt hat, sondern in den Quellen - sowohl als Selbstaussage wie auch in Fremdbezeichnungen - immer nur als Geschlecht der Domvögte von Regensburg aufscheint. Bei ihm ist die Funktionsbezeichnung zum Standesattribut und Namen gewor- den=, Den Grafentitel hat es nie geführt, obwohl Cosmas von Prag die Familie ausdrücklich zu den vornehmsten im Herzogtum rech- netew, Dieser Fall ist in Bayern singulär, ohne daß gesagt werden könnte, warum die Entwicklung hier anders verlaufen ist als bei den übrigen Hochstiftsvögten. Als Erklärungsmöglichkeit bietet sich die Tatsache an, daß dieses Geschlecht immer auffallend stark auf die Hochstiftsvogtei konzentriert war. Es verdankte seinen Aufstieg die- sem Amt, mit dem es sich dann weithin begnügte, und hat außer Oberalteich und Mallersdorf keine weiteren Kirchenvogteien an sich gebracht. Dadurch unterscheidet es sich von den übrigen bayerischen Hochadelsgeschlechtern, die gerade in der Akkumulation von Vog- teien das wichtigste Mittel und vornehmlichste Ziel ihrer Territorial- politik sahen. Das Geschlecht der Domvögte von Regensburg hat sich in für die Zeit ungewöhnlicher Weise mit diesem Amt identifi- ziert. Es wurde wohl eine entscheidene Grundlage des Aufstieges

92 Kamillo Trotter, Die Domvögte von Regensburg und die Grafen von Bogen (Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 64) 1931, 101-112; Franz Tyroller, Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter, in: Wil- helm Wegener (Hg.), Genealogische Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte, Göttingen 1962- 1969, 234-245 Tafel 17; Piendl, Grafen von Bogen I (wie Anm.24); Hausberger, Bistum Regensburg I (wie Anm. 79),35. 93 Cornelia Mohr, Die Traditionen des Klosters Oberalteich (QuE NF 30, 1) Mün- chen 1979, 110*-133*. 94 Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm. 24),27. 9S Cosmas von Prag, Die Chronik der Böhmen. hrsg. von Berthold Bretholz (MGH SrG NS 2) Berlin 1923, 231: inter Bavaricos primates famosissimo viro. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 141 auch der Hauptlinie der Bogener, für die das comes-Attribut erstmals im Jahre 1104 nachgewiesen werden kann. Auch in Regensburg ist somit der Fall gegeben, daß die Hochstiftsvogtei nicht an die mäch- tigste Adelsfamilie der unmittelbaren Umgebung, sondern an ein fer- neres Geschlecht fiel, für dessen Aufstieg in den Grafenstand dieses Amt große Bedeutung erlangte. An den anderen bayerischen Bi- schofssitzen ist die Entwicklung in vergleichbaren Bahnen verlaufen. Ein Jahrhundert nach den Bischöfen von Regensburg im Süden gelang im Norden den Bischöfen von Freising und Bamberg der Ein- bruch in den Königslandgürtel. Heinrich 11. übereignete 1003 mit dem Eisenhart südlich von Roding einen bedeutenden Bannforst an Bischof Gottschalk von Freisingw, 1007 erhielt das neugegründete Bistum Bamberg mit Nittenau und Umgebung auch hier einen Teil seiner Grundausstattung=, Mit diesen beiden Schenkungen an wei- tere Bischofskirchen wurden ganz im Sinne des ottonisch-salischen Reichskirchensystems spürbare Anteile aus dem Königsland des Vorderen Bayerischen Waldes herausgeschnitten. In ihnen hatten nun nicht mehr die Königsbeamten, sondern kirchliche Vögte - die Wittelsbacher und Sulzbacher - die Herrschaftsrechte auszuüben. Diese wurden natürlich von seiten der Regensburger Bischofskirche infolge ihrer unmittelbaren Nähe viel intensiver wahrgenommen als von seiten der Freisinger und Bamberger Kirche, für die es sich um fernen Streubesitz von recht begrenzter Ausdehnung handelte. Ein ähnlicher Eingriff erfolgte auf anderer Grundlage und in ande- rer Zielsetzung zur gleichen Zeit in der Nordostecke des Untersu- chungsraumes. Im Rahmen der von Heinrich I. und Otto I. intensi- vierten Ostpolitik gewann Böhmen einen erhöhten politischen Stel- lenwert. Die Feldzüge in den böhmischen Kessel nahmen in der Re- gel von Regensburg ihren Ausgang und führten entlang der Altstraße des Regentals nach Osten. In diesem Zusammenhang wurde vermut- lich noch von Otto I. das Königsland um Cham militärisch neu ge-

96 MGH D H 11.55. 97 MGH D H II. 145. Vg!. Josef Klose, 800 Jahre Nittenau, in: Stadt Nittenau, Miln- ehen 1972,47. 142 Alois Schmid ordnet. Er setzte Wehrbauern an, die eine Marchfutterabgabe zu er- bringen hatten. Auf diesem Wege sollte der Unterhalt der zur Grenz- sicherung benötigten Soldaten gewährleistet werden. Deswegen wurde um die Jahrhundertmitte der Chamer Raum als Aufmarschba- sis gegen Böhmen effizienter organisiert. Die militärische Sonderab- gabe des Marchfutters» setzte eine Verwaltung voraus, die sie ein- trieb und bewirtschaftete. Es sind zwei Wege denkbar. Das Wirken des vena tor Rodold und des vicarius Betto in Chammünster könnte zur Annahme verleiten, daß ihre Amtsnachfolger diese Aufgabe zu leisten hatten. Doch ist das wenig wahrscheinlich, weil das March- futter nichts mit der Pfalz Regensburg zu tun hatte, sondern gezielt der Grenzsicherung diente. Da es die karolingische Markgrafschaft auf dem Nordgau, von der Michael Doeberl ausging, mit Sicherheit nicht gegeben hat, kann die Aufgabe auch nicht von Markgrafen er- füllt worden sein. Das Marchfutter ist ein Jahrhundert älter als die Markgrafschafte. Somit bleibt als einziges Organ der Marchfutter- verwaltung in spätottonischer Zeit nur der Donaugaugraf, der als Funktionsträger im Chamer Raum bereits in der Chammünster-Ur- kunde von 819 belegt ist. Dieser Schluß wird von der Tatsache be- stätigt, daß das Marchfutter bis zur Neuorganisation der Grenzsiche- rung unter Heinrich Ill. um 1050 eingetrieben wurde, während der fiscus Regensburg um diese Zeit schon abgebaut war 100. Marchfutter wurde im Nordosten des Untersuchungsraumes erhoben. Hier er- hielten die Grafen im Donaugau ein neues Tätigkeitsfeld, das in den

98 Karl Bosl, Die Markengründungen Kaiser Heinrichs Ill. auf bayerisch-österreichi- schem Boden (ZBLG 14) 1943/44, 177-247; wieder in: ders., Zur Geschichte der Bayern (wie Anm.5), 364-442; erneut in: ders., Oberpfalz und Oberpfälzer. Ge- schichte einer Region. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Konrad Ackermann und Erich Laßleben, Kallmünz 1978, 47-99; vgl. Friedrich Prinz, Böhmen im mittelal- terlichen Europa, München 1984,62-112. 99 Es ist quellenmäßig erst in den späteren Herzogsurbaren faßbar: Monumenta Boica XXXVI/I, München 1852, l lü, 438f. Zum Marchfutter. einer zur Versorgung von Pferden zu entrichtenden Hafer-Abgabe: Max Spindler, Die Anfänge des baye- rischen Landesfürstentums (SchbLG 26) München 1937 (Neudruck 1973), 115f. 100 Doeberl, Markgrafschaft (wie Anm.47). Dagegen: Bosl, Markgründungen (wie Anm.98), 377-385. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 143

Quellen nirgends direkt angesprochen wird, sondern nur zu erschlie- ßen ist. Das Marchfutter ist ein Zeugnis der ottonischen Grenzpolitik. Sie wurde unter Heinrich Ill. von einer salischen Markenorganisation abgelöst, die im Zuge der weiter intensivierten Böhmenpolitik erfor- derlich wurde. Kaiser Heinrich Ill. hat um 1050 die Markgrafschaft Cham eingerichtet. Sie erstreckte sich im Osten weit über den Unter- suchungsbereich hinaus, den sie nur im Westen mit einem schmalen Zipfel erreichte'«. Diese Mark Cham war 1055 einem comes Sizo übertragen, der mit den Sieghardingern im Chiemgau in Zusammen- hang gebracht wird=. Von ihm ging sie auf agnatischem Wege an die Diepoldinger über, die kurz vorher durch die große Forstbann- schenkung an die Bischöfe von Augsburg 1059 in ihren schwäbi- schen Ausgangslanden im Augstgau stark eingeengt worden wa- renl03• Sie wurden nun auf den Nordgau verpflanzt=, Die Markgraf- schaft blieb dann in ihren Händen bis zum Aussterben des Ge- schlechts im Jahre 1204. Gebildet wurde diese Markgrafschaft Cham aus Teilen des älteren Donau- und Nordgaues, aus denen sie um die Flußachse des Regens förmlich herausgeschnitten wurde, ohne daß auf die älteren Gaugrenzen Rücksicht genommen wurde. Die Mark- grafschaft legte sich als neue Organisationseinheit über die älteren Gaue. Ein ähnlicher Vorgang ist zur gleichen Zeit im Westen des Unter- suchungsraumes festzustellen. Vermutlich seit den Eingriffen Hein- richs 11.im Nordgau gehörte der Landkeil zwischen Naab und Regen zum Herrschaftsraum der Paponen, die die Grafschaft im westlichen Abschnitt des von Otto 11.geteilten Donaugaues und die Burggraf-

101 Schmid, Regensburg (wie Anm.73), 267-270. 102 Bosl, Markengründungen (wie Anm.98), 402-408: Piendl, HAB Cham (wie Anm. 20), 3 f. to3 MGH D H Ill. 248. Ob der bei Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 293 Nr.543 genannte Sizo mit ihm in Verbindung steht, muß offen blei- ben. Zu ihm: Lioba Throner, Die Diepoldinger und ihre Ministerialen, Diss. masch. München 1944, 3 f. 104 Claudia Eisinger-Schmidt, Marktoberdorf (HAB Schwaben 14) München 1985, 54-60. 144 Alois Schmid

schaft Regensburg innehattenw, Von diesen Ausgangspositionen aus stießen sie über den Regen in den Vorwald vor und bauten hier eine Grafschaft auf, deren entscheidende Grundlage die Rodung war. Sie war nicht mehr als der östliche Ausläufer einer ebenfalls viel umfas- senderen Herrschaft, die sich über die Naab nach Westen bis an die untere Altmühl erstreckte. Auch diese Grafschaft der Burggrafen von Regensburg umfaßte also Teile des früheren Nordgaues und des Do- naugaues, ohne daß diese noch eine Rolle spielten. Auch hier wurden die alten Gaue förmlich von der neuen Burggrafschaft überlagert. Im Jahre 1143 teilten die Paponen ihre Herrschaft. Ein Grund für diese Maßnahme wird in den Quellen nicht genannt; doch hängt der Vorgang vermutlich mit der beständigen Ausweitung der Grafschaft durch Landesausbau zusammen. Der Anteil der Burggrafschaft am Vorwald bildete von diesem Jahr an die Landgrafschaft der Paponen mit Hauptsitz in Stefling am Regen. Nach ihm hat sich das Ge- schlecht in Zukunft als Landgrafen von Stefling bezeichnen«, Es ist der einzige Träger dieses Titels innerhalb des bayerischen Adels, darf aber nicht mit dem Landgrafen von Thüringen oder Hessen in Verbindung gebracht werden=, Den Landgrafen von Stefling kam kein anderer oder gar höherer Rang zu als anderen Grafen. Der Landgrafentitel diente bei ihnen lediglich zur Unterscheidung von den Burggrafen, die ihren Herrschaftsschwerpunkt in der Stadt Re-

105 Pankraz Fried, Begegnung der Regionen. Historische Beziehungen zwischen Schwaben und der Oberpfalz in: Gust! Lang. Leben für die Heimat, hrsg. von Ackermann und Girisch (wie Anm.19), 313f.

)06 Zum Geschlecht der Paponen: Manfred Mayer, Geschichte der Burggrafen von Regensburg, Diss. München 1883; ders., Regesten zur Geschichte der Burggrafen von Regensburg (VHVO 43) 1889, I-55; TyroJIer, Genealogie (wie Anm.92), 165- 170 Tafel 11; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 68-96. 107 Zu den Landgrafschaften: Theodor Mayer, Über Entstehung und Bedeutung der älteren deutschen Landgrafschaften (Zeitschrift für Rechtsgeschichte GA 58) 1938, 138-162; Patze, Landesherrschaft in Thüringen (wie Anm.lO); Meinrad Schaab, Landgrafschaft und Grafschaft im Südwesten des deutschen Sprachgebiets (Zeit- schrift für die Geschichte des Oberrhein 132) 1984, 31-55. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 145 gensburg hatten 108. Der Titel ging von den Steflingern an die Leuch- tenberger überv=, Schließlich ist ein entsprechender Vorgang noch im Südosten des Untersuchungsraumes zu beobachten. Hier rückten nach der Mitte des 11. Jahrhunderts die Bogener als Nachfolger der Babenberger in die östliche Donaugaugrafschaft ein 110. Von ihrer Stammburg auf dem Bogenberg aus schoben sie sich nach Norden und Westen in den Bayerischen Wald hinein vor. So vergrößerten auch sie ihren Herr- schaftsbereich auf der Grundlage des Landesausbaues. Die Graf- schaft Bogen ist das Musterbeispiel einer Rodungsherrschaft, die immer weiter in den Vorderen und Mittleren Bayerischen Wald hin- einwuchs und so gerade in ihrem nördlichen Abschnitt keinen Bezug zu den früheren Gau- und Grafschaftsgrenzen mehr hattem. Sie überlagerte diese und führte so auch hier zu einem völlig veränderten Aussehen der Herrschaftsräume 112. Durch die Vogtei über das Haus- kloster Oberalteich wuchsen den Bogenern zersplitterte Herrschafts- rechte bis hinauf vor die Tore von Roding zu. Von allen Seiten her wurde also der Untersuchungsraum seit dem 10. Jahrhundert nach und nach herrschaftlich erfaßt und aufgeteilt. Von den vier Ecken her wurde nach dem Rückzug des Königtums gezielte und intensive Rodungsarbeit in das wenig erschlossene Waldland hineingetragen, wobei auf die älteren Gaue keine Rück- sicht mehr genommen wurde. Der Neuaufbau der Herrschaften er- folgte völlig unabhängig von den früheren Gaugrenzen im wesentIi-

108 Siegfried Rietschel, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren Mittelalters (Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Stadtverfassung l) Leipzig 1905 (Nachdruck 1965),83- 101; Mayer, Burggrafen von Regensburg (wie Anm. 106),31. 109 Michael Doeberl, Die Landgrafschaft der Leuchtenberger. Eine verfassungsge- schichtliche Studie, München 1893; IIIuminatus Wagner, Geschichte der Landgrafen von Leuchtenberg, 6 Bände, Kallmünz 1940-1956; Andreas Kraus, Die Landgraf- schaft Leuchtenberg (Die Oberpfalz 64) 1976, 129-138. 110 Piendl, Grafen von Bogen (wie Anm. 24). III Zum territorialen Umfang der Grafschaft Bogen: Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 63-79. 112 Den territorialen Wandel versuchten zu verdeutlichen die Skizzen von Gutten- berg, in: Scherzer, Gau Bayerische Ostmark (wie Anm.25), 215, 229 und 238. 146 Alois Schmid chen ab der Mitte des 11. Jahrhunderts. Der nördliche Ausläufer des früheren Donaugaues wurde von den neuen Gebilden überlagert und so aufgelöst. Ein Zusammenhang zwischen dem früheren Gau und den neuen Adelsherrschaften besteht hier nicht. Die neugebildeten Herrschaften fußten auf sehr unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Die Stellung der Diepoldinger basierte im wesentlichen auf dem Kö- nigsgutcharakter der Markgrafschaft; sie war ein vom Königtum auf- gebauter und organisierter Herrschaftskomplex, der ihnen Einkünfte, Festungen und Gefolgschaft sicherte. Auch die Bogener und die Paponen verdankten ihre Position königlicher Einsetzung, doch ha- ben sie ihre Herrschaften im wesentlichen dann durch Kolonisation selber weiter ausgebaut; sowohl die Landgrafschaft als auch die Grafschaft Bogen sind in starkem Ausmaß Rodungsgrafschaften. Im Unterschied dazu waren die Herrschaften Wörth und Donaustauf Vogteibezirke, die auf der Rechtsgrundlage der Forsthoheit zur Lan- deshoheit aufstiegen 113. Der Feststellung, daß der alte Donaugau ab der Jahrtausendwende seine Bedeutung verloren habe, scheint vor allem eine Brixener Ur- kunde aus der Zeit zwischen 1022 und 1039 zu widersprechen, die Schenkungsgut zu Kufberg und Wenzenbach in loco Chuffenberg in comitatu Tuonichkevvense lokalisiertu-, Ihr kommt eine Sonderstel- lung zu, weil sie den ersten Beleg für die Erstreckung des Donau- gaues ins Waldgebiet zwischen Donau und Regen bringt. Vor allem wird hier die Grafschaft nicht wie üblich mit dem Namen des zu- ständigen Grafen bezeichnet, sondern mit dem Namen des zugehöri- gen Gaues. Derartige Grafschaftsangaben sind äußerst selten 115. Die

113 Vgl. Michael Mitterauer, Formen adeliger Herrschaftsbildung im hochmittelal- terlichen Österreich (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsfor- schung 80) 1972, 265-338; Karl Bosl, Forsthoheit als Grundlage der Landeshoheit in Bayern, in: Gymnasium und Wissenschaft. Festschrift des Maximiliansgymna- siums in München, München 1949, 1-55; wieder in: Zur Geschichte der Bayern, hrsg. von Bosl (wie Anm. 6), 443-509. 114 S. Anm.42. m Parallelbezeichnungen aus der näheren Umgebung bieten: MGH D H H. 151 (das Pförring in comitatu Nortgovve lokalisiert); Monumenta Boica XXVHI/2, Mün- chen 1829, 297: comitia in Ylskeu (vgI. Ludwig Veit, Passau. Das Hochstift, HAB Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 147

Urkunde stammt aus Brixen. Da in der gleichen Stadt der innerhalb des bayerischen Quellenmaterials einzige weitere ähnliche Beleg entstanden ist, liegt hier offensichtlich eine Eigenheit der Brixener Kanzlei vor. Der dortige Notar kannte die komplizierten Zuständig- keiten in diesem fernen Raum nicht genau und lokalisierte deswegen das Schenkungsgut einfach nach dem ihm bekannteren Gau. Die Identität von Gau und Grafschaft darf also auch aus diesem Zeugnis nicht abgeleitet werden. Sie war in diesem Raum nie gegeben.

3. DER KAMPF UM DEN KERNRAUM

Von allen Seiten her wurde also die Königsherrschaft in diesem Raum durch hochadelige und kirchliche Herrschaftsbildungen abge- löst. Der Vorgang setzt im beginnenden 10. Jahrhundert mit der Schenkung König Konrads I. an Bischof Tuto von Regensburg ein, wird ab der Jahrtausendwende im unteren Regental von den Burggra- fen fortgesetzt und erreichte nach der Mitte des 11. Jahrhunderts durch die Diepoldinger und Bogener auch den Ostteil des Vorwal- des. Im Gebiet um Falkenstein prallten in der Folgezeit diese vier Adelsgeschlechter aufeinander. Hier kam es zu erbitterten Auseinan- dersetzungen um einen schmalen Landstreifen in westöstlicher Richtung in der Länge von etwa 20 Kilometern, der von Siegenstein über Falkenstein, bis hinüber nach Saueibogen reichte. Er war die Berührungszone von hochstiftischem Territorium, Landgrafschaft, Markgrafschaft und Grafschaft Bogen. Vor allem in der östlichen Hälfte dieses Streifens stießen die Interessen zusam- men. Hier kam es zu mehrmaligen herrschaftlichen Verschiebungen, weil jede der genannten Dynastenfamilien versuchte, ihren Einfluß auszudehnen. Ab 1050 trat dieser Kernraum des Vorwaldes in eine Phase auffallender Instabilität, die sich bis zur Mitte des 13.Jahrhun-

Altbayern 35, München 1978,41). Weitere Beispiele aus anderen Räumen bringt: Schulze, Grafschaftsverfassung (wie Anm.l), 88,110,318. 148 Alois Schmid derts hinziehen sollte. Die einzelnen Abschnitte der Auseinanderset- zungen sind schwer zu durchschauen 116. Diese Entwicklung nahm ihren Ausgang von der Markgrafschaft Cham. Auf dem Altsiedelland des Chamer Beckens wurde um 1050 von Kaiser Heinrich Ill. im Rahmen der Intensivierung der Ostpolitik die Mark Cham eingerichtet. Erster Markgraf war der Sieghardinger Sizo; von ihm ging sie an die verwandten Diepoldinger über. Ihr Umfang kann aus der Verbreitung der -ing-Orte abgelesen werden, die zum Zeitpunkt der Einrichtung der Mark aber schon bestanden haben. Damals muß die Aufsiedlung des Chamer Beckens bereits abgeschlossen gewesen sein. Die Verbreitung der -ing-Orte deckt sich recht genau mit dem Umfang des Dekanates Cham, dessen Grenzpfarreien im Untersuchungsraum Sattelpeilnstein, Michelsneu- kirchen, Martinsneukirchen, Wald und Unterzell waren. Gesichert wurde das markgräfliche Herrschaftsgebiet hier von den Burgen Sattelpeilnstein, Neuhaus, Sengersberg, Lobenstein und Regenpeiln- stein. Die Hauptburgen waren die beiden Peilnstein-Orte. Dieses sprechende Toponym wird als »ritterlicher Trutzname« für eine Burg gedeutet, »vor der sich der Gegner zum Kampf stellen muß« I 17. Auf beherrschender Höhe gelegen, konnten von ihnen aus die entschei- denden Straßenzüge in Richtung Westen und Süden an günstigen Geländepunkten kontrolliert werden. Vielleicht steht in Zusammen- hang mit der Burg Sattelpeilnsteinus das Geländedenkmal des soge- nannten Traitschinger Ringwallesus, Auch er diente gewiß der Si-

116 Darüber klagte schon: Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99),15. 117 Thaddäus Steiner, Bilstein (Bilstein-Beichelstein-Beilstein) (Blätter für ober- deutsche Namenforschung 25) 1988,21-46. 118 Johann Brunner, Schloß und Herrschaft Sattelpeilnstein (VHVO 57) 1906, 1-96; Die Kunstdenkmäler von Oberpfalz und Regensburg VI: Cham, bearb. von Richard Hoffmann und Georg Hager, München 1906 (Neudruck 1981), 129-134; Curt TiIImann, Lexikon der deutschen Burgen und Schlösser, 4 Bände, Stuttgart 1958-1961; hier 1I, 933; Max Piendl, Sattelpeilnstein, in: Handbuch der Histori- schen Stätten Deutschlands: Bayern, hrsg. von Karl Bosl, Stuttgart 31981, 659. 119 Kunstdenkmäler: Cham, bearb. von Hoffmann und Hager (wie Anm.118), 140; A.Schmalix, Der Ringwall bei (Der Bayerwald 43) 1951,88-90; Hans- Jürgen Hundt, Nachtrag zum »Traitschinger RingwalI« (Der Bayerwald 43) 1951, 7*-8*; Klaus Schwarz, Passau, Kallmünz, Straubing, Cham (Führer zu vor- und Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 149 cherung des Altstraßenzuges entlang der Kinsach in Richtung Do- nautal. Vermutlich ist mit ihm in Verbindung zu bringen ein ähnli- ches Geländedenkmal auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die genaue Zeitstellung der Anlagen ist noch nicht geklärt. Doch denkt die Archäologie heutzutage eher als an eine prähistorische an eine mittelalterliche Befestigung, die als Sicherungssystem der Zeit vor dem Burgenbau anzusehen ist und deswegen der Burg Sattelpeiln- stein vorausgehen wird 120. Deren Anfange dürften in die Frühzeit der Markgrafschaft zurückreichen. In diese weist vor allem der Name des Nachbarortes Sitzenberg, der mit hoher Wahrscheinlichkeit vom ersten Markgrafen Sizo 121 abzuleiten ist, wie noch heute die mund- artliche Lautung nahelegt. Offensichtlich hat Markgraf Sizo gerade die Südgrenze sehr demonstrativabgesteckt und gut gesichert. In den gleichen Zusammenhang gehört die in fortifikatorischer Hinsicht nicht minder günstig postierte Burg Neuhaus, die aber jüngeren Al- ters sein dürfte 122. Diese Stützpunkte hatten eine unverkennbare Stoßrichtung nach Süden. Hier lag der Herrschaftsraum der Grafen von Bogen. Diese haben als Nachfolger der Babenberger die Grafschaft im östlichen Donaugau kurz nach der Errichtung der Markgrafschaft erhalten und bauten hier ihre Herrschaft nach ähnlichen Methoden auf. In unmit- telbarer Nähe der diepoldingischen Ministerialenburg Sattelpeiln- stein errichteten sie als vorgeschobenen Stützpunkt Burg Sattel- bogen=. Auch deren Name ist ein sprechender Name, der den Bezug frühgeschichtlichen Denkmälern 6) Mainz 21967, 40 f.; Annin Stroh, Die vor- und frühgeschichtlichen Geländedenkmäler der Oberpfalz (Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte B 3) Kallmünz 1975,155; Rieckhoff-Pauli-Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 185-187. 120 Stroh, Geländedenkmäler der Oberpfalz, 155. 121 Tyroller, Genealogie (wie Anm. 92), 95, 99 Nr. 25; s. Anm. 103. 122 Kunstdenkmäler: Cham, bearb. von Hoffmann und Hager (wie Anm.1l8), 111-113; Tillmann, Burgen II (wie Anm.118), 711; Neuhaus ist der Markgrafschaft zuzuordnen. Der Name verweist auf eine spätere Ausbauphase. 123Johann Schmid, Geschichte der Hofmark Sattelbogen (Bibliothek für Volks- und Heimatkunde 26) Kaufbeuren 1904; Kunstdenkmäler: Cham, bearb, von Hoff- mann und Hager (wie Anm.118), 128 f.; Stroh, Geländedenkmäler der Oberpfalz (wie Anm. 119), 154; Max Piendl, Sattelbogen. in: Handbuch der Historischen 150 Alois Schmid

zum Herrengeschlecht gezielt zum Ausdruck bringt 124. Mit Sicherheit stehen sich hier an der Nahtstelle von Markgrafschaft Cham und Grafschaft Bogen zwei Burgen und ein weiterer Grenzort mit sehr demonstrativen Namen gegenüber, die davon herrühren, daß die ex- pansiven Bestrebungen der Bogener hier auf den Widerstand der Markgrafen stießen, wobei Sattelbogen sicherlich eine Bogener Gründung ist, deren Anfänge in die Zeit vor oder um 1100 zu setzen sind'>, Nur wenige Kilometer von diesen beiden bedeutenden Ministeria- lensitzen Sattelpeilnstein und Sattelbogen entfernt liegt die Ortschaft Ober-/Untergoßzell. Wenn Max Piendls Ortsnamenidentifikation zu- trifft, dann ist sie erstmals zwischen 1061 und 1089 als Sitz eines hochstiftischen Dienstmannen bezeugt, der wohl auch als namenge- bender Ortsgründer anzusprechen ist: Gozvvin de Gozvvinzellei», Demnach haben also auch die Domvögte von Regensburg nach der Mitte des 11. Jahrhunderts ihren Einflußbereich über den bisherigen Grenzort Falkenstein, den sie eben damals um 1070 zur Festung aus-

Stätten: Bayern, hrsg. von Bosl (wie Anm.118), 658 f.; Johann Brunner, Sattelbogen und sein Stammgeschlecht (Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham 4) 1987, 7-10. 124 Schmid, Sattelbogen, 2; Willibald Schmidt- Johann Brunner, Die Ortsnamen des Bezirksamtes Cham (VHVO 79) 1929, 89f. Doch bestehen keine Zusammen- hänge der Wappen. I2S Piendl, Grafen von Bogen 11 (wie Anm.24), 39f. Die Sattelbogener sind von 1156-1537 nachzuweisen. Die örtliche Tradition führt das Geschlecht in Anschluß an Georg Rüxner, Thurnierbuch. Von Anfang, Ursachen, Ursprung und herkommen der Thurnier im heutigen Römischen Reich Teutscher Nation, Frankfurt 1566, G 1IIl' (= Neudruck 1964, 89) und Wiguläus Hundt, Bayrisch Stammenbuch I, Ingol- stadt 1598,318-323 ins IO.Jahrhundert zurück. Das trifft sicher nicht zu. 126 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 148 Nr.197. Die zeitli- che Einordnung der Urkunde ist schwierig. Doch kann der vom Herausgeber ange- gebene Zeitraum 1016-1089 wegen der Nennung Bischof Ottos von Regensburg auf 1061-1089 eingeengt werden. Zum Ort: Kunstdenkmäler: Charn, bearb. von Hoff- mann und Hager (wie Anm.118), 114; Schmidt - Brunner, Cham (wie Anm.124), 85; s.Anm.174; Benedikt Braunrnüller, Der Natternberg (Verhandlungen des Histo- rischen Vereins für Niederbayern 17) 1872, 155 deutet zu Unrecht Gozpoldescella auf diesen Ort, das auf Kasparszell (Lk Straubing - Bogen) zu beziehen ist. Noch im 18. Jahrhundert war das Regensburger Domkapitel hier begütert: Piendl, HAB Cham (wie Anm.20), 18. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 151 bauten, hinaus vorgeschoben, bis unmittelbar an die Burgen Sattel- peilnstein und Saueibogen heran. Damit standen sich in einem Drei- eck von wenigen Kilometern Seitenlänge drei Dynastengeschlechter gegenüber. Goßzell ist der am weitesten im Norden gelegene und zugleich am frühesten belegte der vielen -zell-Orte im Raum Falken- stein. Dieser Befund muß so gedeutet werden, daß auch die Dom- vögte hier eine vorgeschobene Herrschaftsposition aufgebaut haben, während das rückwärtige Gebiet in dieser Zeit noch weithin uner- schlossenes Waldland war. Die fast gleichzeitige Übertragung der Grafschaften an die Markgrafen und die Bogener sowie die Verfesti- gung der Hochstiftsvogtei zu eben dieser Zeit in den Händen der Domvögte lösten offensichtlich geradezu einen Wettlauf um das zwischen den Herrschaftszonen liegende Waldland aus, aus dem sich das Königtum zurückzog. Da die genannten Geschlechter in den Kämpfen des Investiturstreites alle auf kaiserlicher Seite standen, können die Auseinandersetzungen damit nichts zu tun haben 127, sie sind allein territorialpolitisch begründet. Es wurden zunächst die In- teressensphären abgesteckt, ohne daß es zur Ausbildung linearer Ab- grenzungen gekommen wäre. In diese Auseinandersetzungen griffen im 12. Jahrhundert schließ- lich auch die welfischen Herzöge von Bayern ein. Ihr Interesse galt weniger dem Raum selber als dessen Nähe zum Vorort des Landes: Regensburg. Das Geschlecht war territorial kaum in seinem Her- zogtum verankert. Wenn es diesen Zustand beheben wollte, hatte das zweckmäßigerweise am ehesten im Zentralraum um Regensburg zu geschehen. Gerade er war damals heiß umkämpft. Als schwächstes Glied in der Kette der hier ansässigen Herrschaftsträger konnte das einzige größere geistliche Territorium erscheinen: die bischöflichen Forste im Osten. Heinrich der Stolze nahm deswegen den Tod Bi- schof Hartwigs I. 1126 zum Anlaß, gerade die Vogtei über dieses Gebiet an sich zu reißen. Er versuchte Domvogt Friedrich aus dem

127 Karl Bosl, Adel, Bistum, Klöster Bayerns im Investiturstreit, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen des Max-Planck-Insti- tuts für Geschichte 36, 2) Göttingen 1972, 1121-1146. 152 Alois Schmid

Raum hinauszudrängen. Die Kämpfe konzentrierten sich zunächst auf die Festung Donaustauf, weiteten sich dann aber auf den ge- samten Bischofsforst aus und erhielten ihren Schwerpunkt schließ- lich im weit rückwärts gelegenen Falkenstein 128. Diese Verlagerung ist auffallend, hängt aber sicher mit den umstrittenen Herrschaftsver- hältnissen gerade in diesem Raum zusammen. Sie ermöglichten es auch den Welfen, hier Fuß zu fassen. Einzelne Stützpunkte müssen an sie übergegangen sein. Jedenfalls begegnen die bisherigen Boge- ner Ministerialen zu Saueibogen im früheren 12.Jahrhundert plötz- lich im welfischen Gefolgew, Auch den Herzögen war damit der Einbruch in den mittleren Vorwald gelungen. Burg Falkenstein fiel in ihre Hände; von ihr aus haben sie einen schlimmen Verwüstungs- feldzug in das bischöfliche Forstgebiet hineingetragen. Die Ausein- andersetzungen zogen sich über Jahre hin und kamen erst 1132 auf Vermittlung des wittelsbachischen Pfalzgrafen Otto IV. in einer Ei- nigung mit dem neugewählten Bischof Heinrich I. zum Abschluß. Ergebnis der Auseinandersetzung war, daß die Herzöge sich aus dem Raum zurückziehen mußten und die Vogtei an die Domvögte zu- rückgegeben wurde 130. Es gelang Heinrich dem Stolzen nicht, gerade den Bischofsforst im Vorderen Bayerischen Wald zur Stärkung der Herzogsmacht im Zentralraum um Regensburg in seine Verfügung zu bringen. Der Versuch wurde im Jahre 1146 von seinem Sohn Heinrich dem Löwen noch vor der Herrschaftsübernahme wieder-

128 Historia Welforum, hrsg. von Erieh König (Schwäbische Chroniken der Stau- ferzeit 1) Sigmaringen 21978, 3D,32; Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hrsg. von Eduard Sehröder (MGH Deutsche Chroniken 1) Berlin 31969, 389, V.17057. Breite Schilderung der Auseinandersetzungen bei: Carl Theodor Gemei- ner, Regensburgische Chronik I, Regensburg 1800, neu hrsg. von Heinz Anger- meier, München 1971, 218-225. Vgl. Riezler, Geschichte Baierns 1/2 (wie Anm.48), 237-239; Ferdinand Janner, Geschichte der Bischöfe von Regensburg Il, Regensburg 1884,23-25; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 30-32. 129Otto Haendle, Die Dienstmannen Heinrichs des Löwen. Ein Beitrag zur Frage der Ministerialität (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte 8) Stuttgart 1930, 65. 130Schon am 18.August 1127 begegnet Friedrich wieder als Domvogt. In der Um- gebung des Königs wurde also immer er als rechtmäßiger Vogt betrachtet: MGH D Lo Ill. 11. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 153 holt, freilich mit ähnlich geringem Erfolgr», Sein Scheitern könnte damit zusammenhängen, daß er sich nun kaum noch auf Ministeria- lität in diesem Raum stützen konnte. Denn es gelang gerade in diesen vierziger Jahren den Diepoldingern, in dem der Mark vorgelagerten Landstreifen eine Reihe von Ministerialen zu gewinnen und so in einen Raum einzudringen, in dem bisher die Domvögte und die Bo- gener vorherrschend gewesen waren. 1141 ist Tiemo de Regilsmeize im Gefolge des Markgrafen als Zeuge einer Schenkung innerhalb der Markgrafschaft bezeugt, obwohl sein Stammsitz Regelsmais (Gern.

Michelsneukirchen) bisher nicht zu dieser gehört hatte 132. Zur glei- chen Zeit erscheinen die Dorfadeligen aus den Nachbarorten Mi- chelsneukirchen, Atzenzell, Lobmannswies und Pfaffengschwand in der Ministerialität der Diepoldinger», Dadurch wurde die Position der Welfen in diesem Raum zweifellos geschwächt. Es ist denkbar, daß diese Ausweitung des diepoldingischen Ein- flusses bereits auf den Vorgang vorausweist oder auch schon mit diesem zusammenhängt, der dann neue Bewegung in die Herr- schaftsgeschichte des Raumes bringen sollte: das Austerben der Domvögte im Jahre 1148. Ihre Nachfolger wurden die Grafen von Sulzbach, die aber die Territorialpolitik der Domvögte hier nicht fortsetzten, weil sich ihre Interessen auf andere Räume konzentrier- ten'>. Abermals wurden daraufhin die welfischen Landesherrn aktiv. 1161 versuchte Heinrich der Löwe ein letztes Mal, im bischöflichen Gebiet Fuß zu fassen, um die herzogliche Position auf Kosten des

131 Gemeiner, Regensburgische Chronik I (wie Anm.128), 237. 132 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 381 Nr. 805. Ein weiterer Beleg: Monumenta Boica XXVII, München 1829, 19 (um 1160). Die auffallende Bedeutung des Dorfes Regelsmais für die Herrschaftsgeschichte des Raumes ergibt sich allein aus seiner Lage; von hieraus konnte das Umland bis Cham überwacht werden. IJJ Belege: Monumenta Boica XXVII, 19f. Nr.XXII, XXIII. Vgl. Throner, Die- poldinger (wie Anm.l03), 70. 134 Ernst KIebeI, Die Grafen von Sulzbach als Hauptvögte des Bistums Bamberg in Bayern (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 41) 1926, 108-128; wieder in: ders., Probleme der bayerischen Verfassungsgeschichte. Gesammelte Aufsätze (SchbLG 57) München 1957,306-324. 154 Alois Schmid

Bischofs zu stärken 135. Doch gelang es ihm auch jetzt nicht, sich auf Dauer im Bannforst festzusetzen. Dieses Machtvakuum haben die Landgrafen von Stefling benützt, um nun auch ihrerseits in die Auseinandersetzung um den Kernraum des Vorwaldes einzugreifen und hier Ansprüche anzumelden. Für 1161 ist ein paponisches Grafenthing gerade am auffallenden Mini- sterialensitz Regelsmais bezeugtr=. Verhandelt wurde über strittige Güter im noch weiter ostwärts gelegenen Salmannsgrub und zu Wet- zelsberg. Damit war offensichtlich die Stoßrichtung angegeben. Nach dem Aussterben der Domvögte drangen zugleich mit Heinrich dem Löwen die Landgrafen von StefIing tief in deren bisherigen Herrschaftsbereich vor und und meldeten Anspruch auf einen Land- streifen zwischen dem bischöflichen Forst und der Markgrafschaft an, der sich wie ein Schlauch zwischen diese beiden Herrschaftszo- nen bis auf die Höhe des Bogener Grafschaftsraumes vorschob. Ob damals auch Falkenstein an die Landgrafen überging, wird nicht deutlich. Doch kann allein diese Burg das eigentliche Ziel des Vor- stoßes gewesen sein. Nur von hier aus waren die vorgelagerten Stützpunkte zu behaupten. 1182 ist Falkenstein dann aber mit Si- cherheit nicht mehr im Besitz der Landgrafen 137. Sie scheinen zu die-

135 Gesta archiepiscoporum Salisburgensium: Vita Eberhardi archiepiscopi, hrsg. von Wilhelm Wattenbach, MGH SS XI, Hannnover 1851,82; Armales Reichersber- genses, hrsg. von Wilhelm Wattenbach, MGH SS XXVII, Hannover 1861,468. Vg!. Riezler, Geschichte Bayerns 1/2 (wie Anm.48), 306f.; Janner, Geschichte 11(wie Anm.128), 146f.; Andreas Kraus, Heinrich der Löwe und Bayern, in: Heinrich der Löwe, hrsg. von Wolf-Dieter Mohrmann (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 39) Göttingen 1980, 187. Die von Hausberger, Bistum Regens- burg I (wie Anm.79), 112 aufgeworfene Frage nach den Motiven ist am ehesten mit diesem Hinweis auf territorialpolitische Zielsetzungen zu beantworten. 136 Monumenta Boica XIII, München 1777, 129: Acta sunt hec in loco qui dicitur Regi/ismaize, ubi pretoria sedes Ottonis comitis habetur. Vg!. Benedikt Braunmül- ler, Die lobsamen Grafen von Bogen (Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 18) 1874, 140; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 69; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 73. Zum Ministerialensitz Regelsmais: Anm.132. 131 Germania pontificia I (Regesta pontificum Romanorum 111),bearbeitet von Al- bert Brackmann, Berlin 1891, 273f. Nr.28; Albert Brackmann, Die Kurie und die Salzburger Kirchenprovinz (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 1) Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 155 sem Zeitpunkt bereits wieder zurückgedrängt worden zu sein. Die Aufgabe des vorgeschobenen Stützpunktes zu Regelsmais kann demnach nicht erst mit ihrem Aussterben 1196 zusammenhängen. Schon 1182 ist Burg Falkenstein wieder in Händen des Bischofs, dem es also gelungen war, seine Interessen trotz dieses Angriffes von zwei Seiten her zu behaupten. Zur Vormacht im südlichen Untersuchungsraum stiegen in diesen im ganzen Herzogtum Bayern von großer Instabilität gekennzeich- neten Jahren aber die Grafen von Bogen auf, nachdem durch das Aussterben der Sulzbacher 1188 die Hochstiftsvogtei abermals erle- digt war und die Nachfolger, die Herren von Lengenbach im Öster- reichischen, hier nicht mehr aktiv wurden. Zwar meldete der Bischof nach dem Ende der Paponen Ansprüche auf die Landgrafschaft an, durchzusetzen vermochte er diese jedoch nicht. So wurde Raum für die beiden Dynastien frei, die damals in ein erbittertes Ringen um die Vorherrschaft in Ostbayern eintraten: die Bogener und die Diepol- dinger. Die »Bogener Fehde« wurde auch hier ausgetragen 138. Sie endete mit einer Niederlage des herrischen Grafen Albert Ill., der diese auch mit territorialen Verlusten bezahlen mußte. Seine Einbu- ßen in diesem Raum werden im Detail erst greifbar im ältesten baye- rischen Herzogsurbar, das um 1230 im Goßzell-Sattelbogener Tal eine Reihe von Ortschaften anführt, die früher im Einflußbereich der Bogener und somit außerhalb der Markgrafschaft gelegen waren. Vor 1230 ist also wirklich die Grenze zwischen der Markgrafschaft und der Grafschaft Bogen über den Hügelkamm bei Sattelbogen nach Süden vorgerückt worden. Die Bogener mußten in einem Grenzsaum spürbare territoriale Verluste hinnehmen. Die Verschie- bungen müssen noch in die markgräfliehe Zeit zurückgehen. Diesen

Berlin 1912,222 (Besitzbestätigung durch Papst Lucius III.): Falckenstain cum om- nibus appendiciis suis. 138 Zur Bogener Fehde: Sigmund von Riezler, Geschichte Baierns II (Geschichte der europäischen Staaten 20, 2) Gotha 1880, 22 f.; Spindler, Landesfürstentum (wie Anm.99), 17f.; Waiter Dürig, Die bogen-bayerische Fehde des Jahres 1192 im Lichte eines zeitgenössischen liturgischen Gebetes (Historisches Jahrbuch 75) 1956, 167-172. 156 Alois Schmid zeitlichen Ansatz legen das Auftreten der letzten Diepoldinger als Schenker an das Kloster Reichenbach im Raum um Sattelbogen und der Sattelbogener als Zeugen im Reichenbacher Urkundenmateriali» nahe. Diesen Entwicklungsstand hält das älteste bayerische Her- zogsurbar fest; er spiegelt sich wider im Verlauf der heutigen Grenze zwischen den Landkreisen Cham und Straubing - Bogen, die also nicht identisch ist mit der Südgrenze der Markgrafschaft Cham, son- dern erst durch Verschiebungen in spätdiepoldingischer Zeit entstan- den ist. Sie sind am ehesten in die Jahre der Bogener Fehde zu datie- ren. Die Bogener erlitten damals an der Nordgrenze ihres Herr- schaftsraumes Einbußen, waren aber immer noch mächtig genug, sich für diese Verluste an anderer Stelle schadlos zu halten. Das spätere Landgericht Mitterfels erstreckte sich über den Bogener Herrschaftsraum hinaus in einer auffallenden Ausbuchtung nach We- sten, die auch Michelsneukirchen und Falkenstein einschloß und bis Schillertswiesen vorstieß. Offensichtlich handelt es sich um das In- teressengebiet, das um die Mitte des 12. Jahrhunderts die Landgrafen von Stefling an sich gebracht hatten; es kam nach deren Aussterben an die Bogener. In der Folgezeit begegnen deswegen die Falkenstei- ner immer im Gefolge der Bogener=, Auch diese Verschiebung muß am ehesten mit der Bogener Fehde in Zusammenhang gebracht wer- den. An deren Ende scheint somit das Arrangement zu stehen, daß die Bogener einen wichtigen Grenzstreifen im Norden ihrer Graf- schaft abtreten mußten, dafür aber Entschädigung im Nordwesten an für sie weniger günstig gelegener Stelle erhielten, wo durch das Aus- sterben der Landgrafen Raum verfügbar geworden war. Damit kehrte

139 Monumenta Boica XXXVIII (wie Anm.99), III f.; Ingrid Heeg-Engelhart, Das älteste bayerische Herzogsurbar. Analyse und Edition (QE NF 37) München 1990, 239 f. Das Ausgreifen der Diepoldinger auf diesen Grenzsaum belegen weiterhin die Urkunden: Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 35, 36, 41, 44; Cornelia Baumann, Die Traditionen des Klosters Reichenbach am Regen (QE NF 38) Mün- chen 1991; s.Anm.213. 140 S.Anm.136; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 69; Mohr, Traditio- nen von Oberalteich (wie Anm.93), 198-202 Nr.98, 213f. Nr.l02, 216-220 Nr.l04, 233f. Nr.112, 236-238 Nr.114. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 157 ein Gebiet in ihre Zuständigkeit zurück, das ursprünglich die ver- wandten Domvögte erworben und gerodet hatten. Die Herrschaftsverhältnisse im Kernraum des Vorwaldes waren also im hohen Mittelalter äußerst instabil. Gerade diese beständigen Verschiebungen zeigen, daß Grafschaften des hohen Mittelalters oftmals sehr labile, dynamische Gebilde waren, deren Grenzen sich beständig verschoben, weil vor allem die Berührungszonen sehr um- kämpft waren 141.

4. DAS VORDRINGEN DER WITTELSBACHER

Im 11. und 12. Jahrhundert waren die Kirche und der gräfliche Hochadel die dominierenden herrschaftlichen Kräfte im Untersu- chungsraum. Sie lösten das Königtum ab, dem nur mehr spärliche Ansatzpunkte verblieben, obwohl die Burggrafschaft Regensburg, die Markgrafschaft Cham und die Grafschaft der Bogener ebenso Reichslehen waren wie die Domvogtei. Doch verflüchtigten sich diese Bindungen im Laufe der Zeit immer mehr. Am stärksten blieb der Reichslandcharakter in der Markgrafschaft Cham142, wo er haupt- sächlich durch Reichsministerialen aufrecht erhalten wurde. Karl Bosl konnte hier eine Reihe von Reichsministerialen nachweisen: zu Süssenbach, Treitersberg, Wetterfeld, Regenpeilnstein, Seigenbach,

Stefling und schließlich auch in Sattelbogen 143. Gerade Friedrich

141 Zur Frage der Grenzen auch die Beobachtungen von Schmitz-Pesch, HAB Ro- ding (wie Anm. 22),97 Anm.9. 142 Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, hrsg. von Robert Holtz- mann (MGH SrG NS 9) Berlin 21955, 104: Imperator ... ad civitatem suam, quae Camma dicitur, venit. Das Königtum ließ hier Münzen prägen: Hermann Dannen- berg, Die deutschen Münzen der sächsischen und fränkischen Kaiserzeit I, Berlin 1876, 425f.; 11,Berlin 1894,687; Ill, Berlin 1898,815. Vgl. Piendl, HAB Cham (wie Anm.20), 2 f. 143 Karl Bosl, Reichsministerialität als Träger staufiseher Staatspolitik in Ostfran- ken und auf dem bayerischen Nordgau (Jahresbericht des Historischen Vereins für Mittelfranken 69) 1940/41, 1-103; ders., Die Reichsministerialität der Salier und Staufer. Ein Beitrag zur Geschichte des hochmittelalterlichen deutschen Volkes, 158 Alois Schmid

Barbarossa hat sich im Rahmen der staufischen Reichslandpolitik bemüht, den Königslandcharakter der Markgrafschaft noch einmal zur Geltung zu bringen, und jeden Ansatzpunkt zur Stärkung der Rechte des Königtums ausgenützt. Dieses Ziel wird besonders in der Frühgeschichte des Benediktinerklosters Reichenbach mehrfach deutlich; 1182 hat es Friedrich I. Barbarossa demonstrativ unter sei- nen Schutz gestellt'« Vor allem gelang es ihm, nach dem Aussterben der Burggrafen von Regensburg deren Burggrafschaft'» und der Gra- fen von Sulzbach deren bambergische Hochstiftsvogtei an sich zu bringen 146. Dadurch hat er die Position des Königtums im mittleren Regental wieder gefestigt. Friedrich Barbarossa war also auf dem be- sten Wege, die alten Königsrechte in einem Raum zu er-neuern, dem als Bindeglied zwischen Regensburg und den staufischen Positionen auf dem Nordgau innerhalb des angestrebten Königslandgürtels von Schwaben und Franken nach Mitteldeutschland noch einmal beacht- liche herrschaftliche Bedeutung für das Königtum zuwuchs. Aller- dings setzte der Tod Barbarossas 1190 und seiner Söhne kurz danach einen unerwartet jähen Schlußpunkt hinter die sehr zielstrebige stau- fische Reichslandpolitik. In diese Lücke rückte nun das in eben diesen Jahren erstarkende Herzogsgeschlecht der Wittelsbacher ein. Auch sie hatten sich be- reits in pfalzgräflicher Zeit um Ansatzpunkte bemüht, um ihr durch den Anfall des Pettendorf - Lengenfelder Erbes eingeleitetes Aus- greifen über die Donau auch in den Vorwald hineinzutragen. Doch konnten sie hier zunächst nur wenige Stützpunkte gewinnen. Deren wichtigster war die Burg Hof am Regen, der Stammsitz der Hofer (= de Curia). Dieses Ministerialengeschlecht begegnet in zahlreichen

Staates und Reiches (Schriften der Monumenta Gennaniae Historica 10) Stuttgart 1950/51, hier 11,473f. mit Kartenbeilage 6. 144 Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 33 f.; MGH D FI. 832; s. Anm.199. 145 Über den Verbleib der Burggrafschaft liegen keine direkten Zeugnisse vor. Spindler, Landesfürstentum (wie Anm.99), 16f. geht davon aus, daß Barbarossa an- gesichts der Hilflosigkeit des jungen Herzogs von Bayern und der Vakanz des Bi- schofsstuhles zu Regensburg die Burggrafschaft als erledigtes Reichslehen einzog. 146 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99), 16f. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 159

Urkunden der frühen Herzogszeitw, Weitere wittelsbachische Mini- sterialen saßen in Stockenfels!= und seit 1196 in Stefling=, Die Wittelsbacher konzentrierten ihr Interesse also zunächst auf das un- tere Regental zwischen den staufischen Positionen am mittleren Re- gen und Regensburg. Wo immer möglich, stießen sie aber auch ins Hinterland vor. 1179 begegnet sogar ein Otto von Falkenstein im wittelsbachischen Gefolge=, Ab 1204 tauchen die Sattelbogener dann endgültig in der herzoglichen Ministerialität auflsl• Gerade an diesen beiden Brennpunkten ist mit wiederholtem Ministerialitäts- wechsel zu rechnen, der sich gut mit den Verschiebungen in der Herrschaftsgeschichte des Raumes zur Deckung bringen läßttS2• Dazu kamen Vogteirechte im Freisinger Besitz südlich Roding 153. Über einzelne Stützpunkte sind die Wittelsbacher aber hier in pfalz- gräflicher Zeit nicht hinausgelangt.

147 Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 155; Schrnitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 80 f. Zu diesem Ministerialengeschlecht auch Siegfried Hofmann, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein von 1180/1214 bis 1255/1294 (Münchener Historische Studien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 3) Kallmünz 1967, 116. 148 Josef Klose, Das Umland von Nittenau, in: Stadt Nittenau (wie Anm.97), 81 f.; Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 155. Stockenfels kam wohl aus dem Erbe der Herren von Pettendorf - Lengenfeld - Hopfenohe. 149 Günther Flohrschütz, Machtgrundlagen und Herrschaftspolitik der ersten Pfalz- grafen aus dem Hause Witte1sbach, in: Hubert Glaser (Hg.), Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur bayerischen Geschichte und Kunst (Wittelsbach und Bayern Ill) München-Zürich 1980,55; Haendle, Mini- sterialen (wie Anm. 129), 66; Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 155. 150 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30),461 Nr.929. 151 Erster Beleg: Monumenta Boica XXVII (wie Anm.132), 46 (1204); Thomas Ried, Codex chronologico-diplornaticus episcopatus Ratisbonensis I, Regensburg 1816,338 f. Nr. 376 (a. a. 1224). 152 Das gilt vor allem für den Ministerialensitz Sattelbogen: zunächst Bogener Mi- nisterialen: Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 39f.; dann welfische Mini- sterialität: Haendle, Ministerialität (wie Anm. 129), 65; weiterhin Reichsministeria- lität: Bosl, Reichsministerialität 11(wie Anm.143), 473 und schließlich wittelsbachi- sehe Ministerialität: Anm.151. 153 Zur Freisinger Hochstiftsvogtei: Helmuth Stahleder - Kurt Steigelmann, Hoch- stift Freising: Freising - Ismaning - Burgrain (HAB Altbayern 33) München 1974, 17-75. 160 Alois Schmid

Der breite Einbruch in den Raum glückte erst in herzoglicher Zeit. Voraussetzungen dafür waren das reihenweise Aussterben der hier ansässigen Dynastengeschlechter und der endgültige Zusammen- bruch der Position des Königtums. Die Entwicklung setzte ein mit der Übernahme der staufischen Herrschaftspunkte im mittleren Re- gental=, 1196 beim Aussterben der landgräflichen Linie der Papo- nen gelang es dann den Herzögen, deren Grafschaft mit den Eck- pfeilern Regenstauf, Kürn und Stefling an sich zu bringen 155. 1204 beim Tode Markgraf Diepolds Ill. setzte sich Herzog Ludwig der Kelheimer, unbekümmert um deren Rechtsstatus als Reichsgraf- schaft und die noch lebenden Diepoldinger, auch in der Markgraf- schaft Cham durch, weil sich das in den Thronkampf verwickelte Königtum nicht zur Wehr setzen konntet», Das Gebiet wurde sofort durch die Anlage einer Stadt gesichert; Ch am ist eine der ersten wit- telsbachischen Stadtgründungen geworden m. Damit war innerhalb weniger Jahre die gesamte nördliche Hälfte des Vorwaldes in her- zogliche Hand gekommen. Und als 1242 beim Aussterben der Gra- fen von Bogen auch noch deren Grafschaft anfiel, unterstand fast der gesamte Raum den wittelsbachischen Landesherrn 158. Schließlich konnten 1269 noch die Bamberger Vogteirechte endgültig abgelöst werden 159. So blieb als einziger Fremdkörper das Hochstift des Bistums Regensburg, das - ganz im Sinne frühwittelsbachischer

154 Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm.22), 30--60. 155 Mayer, Burggrafen von Regensburg (wie Anm.106), 48. Vg!. Diethard Schmid, Die Ausbildung der wittelsbachischen Landesherrschaft im Raum Regensburg (VHVO 124) 1984,313-332; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 80f. 156 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm. 99), 19f. 151 Karl Bosl, Cham als Zentralort des Bayerischen Waldes. Herzogskloster, Reichsburg, Reichsmarkt und bayerisch-pfälzische Territorialstadt, in: ders., Die bayerische Stadt in Mittelalter und Neuzeit. Altbayern - Franken - Schwaben, Regensburg 1988, 339-359; ders., Cham. Die Geschichte der Stadt und ihres Um- landes in 1200 Jahren (Bayerische Städtebilder) Stuttgart 1989,22-24. 158 Spindler, Landesfürstentum (wie Anm.99), 21 f.; Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 74f. 159 Klose, Nittenau (wie Anm.97), 49f.; Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22), 36 f. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 161

Territorialpolitik - scharf unter Druck gesetzt wurdew, aber den- noch nicht errungen werden konnte. Lediglich die hochstiftische Herrschaft Schönberg ging auf nicht erhellbarem Wege an den Lan- desherrn über. Das zweite wittelsbachische Urbar weist Herzogsbe- sitz zu Zeitlarn, Lichtenberg, Pettenreuth, Hauzendorf, Wolfersdorf und Weichs aus, der ebenfalls daher stammen muß!s'. Im übrigen zeigt auch das Hochstift Regensburg, daß sich kirchliche Herrschaf- ten gegenüber der landesherrlichen Territorialpolitik in der Regel als zählebiger erwiesen als Adelsherrschaften. So blieb der Raum zwei- geteilt. Es gelang den Herzögen nicht, die ursprüngliche herrschaftli- che Einheit gänzlich wiederherzustellen. Der Vordere Bayerische Wald wurde, soweit er den Herzögen un- terstand, in die entstehende frühwittelsbachische Landesverwaltung eingebaut. Er wurde den Landgerichten Mitterfels, Cham, Wetterfeld und Stadtamhof zugeteilr=. Der Kernraum wurde im 15. Jahrhundert zum Pfleggericht Falkenstein erhobenre, Diese Verwaltungsorgani- sation baute nur sehr grob auf den alten Grafschaften auf. Sie schimmern im großen und ganzen noch durch, weil sie sich nicht - wie andernorts - nach dem Aussterben der Dynastengeschlech- ter einfach in ältere Bestandteile auflösten 164. Im einzelnen wurden dann aber doch weithin neue Verwaltungsbezirke geschaffen. Diese wurden schon bei der ersten Landesteilung von 1255 auseinanderge- rissen. Die Grenze zwischen Ober- und Niederbayern verlief mitten durch den Vorwaldie. Die Ämter Cham und Radling fielen an die

160 Den starken herzoglichen Druck zeigen vor allem die Bemühungen um den Stützpunkt Heilsberg: F. S. Gsellhofer, Beiträge zur Geschichte von Heilsberg (VHVO 7) 1843, 104-112. 161 Monumenta Boica XXXVI (wie Anm.139), 368f. Vg!. Ebneth, Wenzenbach (wie Anm. 65),35. 162 S. die entsprechenden Bände des HAB für Stadtamhof, Straubing, Cham und Roding (Anm. 20--23). 163 BayHStA Plansammlung 884,991. 164 Günther F1ohrschütz, Die Vögte von Mödling und ihr Gefolge (ZBLG 38) 1975,3-143. 165 Hermann von NiederaIteich, Annales, hrsg. von Philipp Jaffe, MGH SS XVII, Hannover 1861,397. 162 Alois Schmid niederbayerische Linie des Hauses Wittelsbach. Diese Trennung wurde von der späteren Viztumsorganisation übernommen und fand dann ihren Niederschlag auch in der Neuordnung der herrschaftli- chen Verhältnisse nördlich der Donau im Hausvertrag von Pavia 1329166• Seither gehörte die eine Hälfte des Vorwaldes zum Herr- schaftsgebiet der bayerischen Wittelsbacher, die andere dagegen zur Pfalz, die ihren Anteil zwischen 1348 und 1361 durch den Erwerb des verpfändeten Landgerichtes Cham noch auszubauen ver- mochte 167. Die in den einschlägigen Verträgen ausdrücklich ausbe- dungene Rücklösung gelang nur mehr für einen schmalen Grenz- streifen um Sattelpeilnstein-s, Im 14. Jahrhundert konnte auch die Reichsstadt Regensburg, die ihr Territorium nie in den Vorwald hin- ein auszudehnen in der Lage war, - ebenfalls auf dem Pfand- wege - die Reichsherrschaften Donaustauf und Wörth mit kurzen Unterbrechungen bis 1481 sowie über eine planvolle Burgenpolitik eine Reihe von wichtigen Herrschaftspunkten an sich bringen 169. Mit Albrechts IV. Griff nach der Reichsstadt Regensburg ging die Herr- schaft Donaustauf dann aber an das Herzogtum Bayern über, das sie bis 1715 behauptete, aber auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhun- derts um ihre Gewinnung kämpfte. Durch diese Verpfändungen wur- den die Bischöfe als Territorialherrn im Vorwald weithin ausge- schaltet. Es kam im wesentlichen zu einer herrschaftlichen Zweitei- lung des Raumes zwischen bayerischen und pfälzischen Wittelsba-

166 Hans RaU, Wittelsbacher Hausverträge des späten Mittelalters. Die haus- und staatsrechtlichen Urkunden der Wittelsbacher von 1310, 1329, 1392/93, 1410 und 1472 (SchbLG 71) München 1987. 167 Monumenta Wittelsbacensia 1I, hrsg. von Franz Michael Wittmann (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 6) München 1861, 403-405 Nr.321; Adolf Koch- Jakob WilIe, Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1214-1508, Innsbruck 1894, 144 Nr.2377. Vg!. Sigmund von Riezler, Geschichte Baierns III (Geschichte der europäischen Staaten 20, 3) Gotha 1889, 3 f.; Spindler, Bayerischer GeschichtsatIas (wie Anm. 26), Karten 20-21. 168 Regesta Boica IX, München 1841,37; Koch- Wille, Regesten der Pfalzgrafen I (wie Anm.167) 196 Nr. 3303. 169 Ernst KlebeI, Landeshoheit in und um Regensburg (VHVO 90) 1940,46-50; wieder in: Bosl (Hg.), Zur Geschichte der Bayern (wie Anm. 6) 623-629. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 163 ehern, die sogar einzelne Dörfer auseinanderrißw. Sie sollte vor al- lem im konfessionellen Zeitalter schwerwiegende Folgen haben und zu einer sehr unterschiedlichen religiösen Entwicklung des Raumes führen. Diese Zweiteilung wirkt bis in unsere Gegenwart darin nach, daß die Grenze zwischen den Regierungsbezirken Niederbayern und Oberpfalz bis heute mitten durch den Vorwald verläuft.

III

Im folgenden seien zur Abrundung der herrschaftlichen und verfas- sungsgeschichtlichen Entwicklung einzelne weitere Beobachtungen zur Gau- und Grafschaftsproblematik mitgeteilt, die sich im Untersu- chungsraum ergeben.

1. GAU UND DIALEKTRAUM

Die Dialektgeographie rechnet die im Vorwald gebräuchliche Mundart nicht zum Oberpfälzischen. Viele für das Oberpfälzische kennzeichnende Eigenheiten werden hier nicht gesprochen. Die Sprachgrenze zum Oberpfalzischen verläuft eindeutig nördlich des Regens und deckt sich in etwa mit der Grenze der Markgrafschaft Ch am zum Nordgau hin. Im Gebiet zwischen Regen und Donau spricht man dagegen bis heute eine Umgangssprache, die sich sehr stark am Mittel- und Niederbairischen des Donauraumes orientiert. Die Dialektologie bezeichnet sie als nordmittelbairisch. Die Donau- ebene und der Vorwald stellen - entgegen der völlig unterschiedli- chen naturräumlichen Gliederung - eine Sprachlandschaft dar, die sich unverkennbar an den alten Donaugau anlehnt. Im Dialekt wirkt die ursprüngliche Zugehörigkeit des Raumes zum Donaugau und sei- ne Erschließung von Süden her bis in unsere Gegenwart nach. Gau

170 BayHStA Plansammlung 1034, 1320,3414,3415 (Sattelbogen); auch Unterzell (Lk Cham). 164 Alois Schmid

und Dialektraum stehen hier in einem noch heute wirksamen Zusam- menhang. Ähnliches gilt für den benachbarten Nordgau, der in ent- sprechender Weise eine eigene, freilich ganz anders geartete Sprach- landschaft darstellt!",

2. ZUR ORTSNAMENGEBUNG

Das Untersuchungsgebiet zerfällt im hohen Mittelalter, als es herr- schaftlich erschlossen und aufgesiedelt wird, in vier Zonen, die die Kolonisationsräume der hier wirkenden Dynastengeschlechter ab- stecken. Deren Rodungstätigkeit prägt das Landschaftsbild bis heute. Sie fand ihren Niederschlag auch in einem unterschiedlichen Orts- namenbestand. Jede dieser Zonen weist gewisse Eigenheiten in der

Ortsnamengebung auf172• Der älteste Siedlungsraum nördlich der Donau ist das Chamer Becken mit einem Ausläufer im mittleren Regental. Hier ist bereits mit prähistorischer Besiedlung zu rechnen, die sich in einzelnen Siedlungsgassen auch in Nebentäler vorschieben konnte (z. B. bei Knöbling). Doch scheint diese nicht in Breite kontinuierlich ins frühe Mittelalter hineinzureichen, wie vor allem die Analyse des Ortsna- menbestandes zeigt. Im Chamer Becken treten in bemerkenswerter Konzentration -ing-Namen auf, die hier nicht durchwegs in die früh- bajuwarische Zeit zurückzureichen brauchen, sondern eher in die ka-

171 Grundlegend: Eberhard Kranzmeyer, Historische Lautgeographie des gesamt- bairischen Dialektraumes, Wien 1956; Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordost- bayern (wie Anm.54); Ludwig Zehetner, Das bairische Dialektbuch, München 1985 (61: Skizze zur Binnengliederung des Sprachraumes); ders., Der Bayerische Wald als Dialektlandschaft (Grenzgänge) 1985, 141-146. Besonders instruktiv: Adolf Gürtler, Nordbairischer Sprachatlas, München 1971 (Karten 17, 18,25,32,34,39). 172 Dachs, Kolonisatorische Erschließung (wie Anm.34), 162, 174f.; Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (wie Anm.54), 58-Ql; Ernst Schwarz, Die -ing-Namen des Chamer Beckens. Naristen und Veneter (Beiträge zur Namenfor- schung 4) 1953,291-322; Robert Schuh, Die Besiedlung der Oberpfalz im Spiegel der Ortsnamen, in: Gustl Lang. Leben für die Heimat, hrsg. von Ackermann und Gi- risch (wie Anm.19), 167-169. - Zum Raum Roding: Georg Hecht, Die Ortsnamen des Bezirksamtes Roding (VHVO 86) 1936, 193-276. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 165 rolingisch-ottonische Ausbauphase gehören. Als Ausgangspunkt der (Wieder-)Aufsiedlung gilt der Donauraum, wie auch sprachliche Be- funde nahelegen. Die -ing-Orte decken sich im wesentlichen mit dem Kerngebiet der Markgrafschaft, auch wenn sie überwiegend älter sein müssen als diese. Den -ing-Orten vorgelagert ist eine Zone mit Ortsnamen, die in die zweite Ausbauphase des hohen Mittelalters gehören. Außerhalb der Markgrafschaft sind nur ausnahmsweise ein- zelne -ing-Orte anzutreffen, wobei es sich gelegentlich - wie z. B. bei Völling (Gern. Falkenstein) - um unechte -ing-Orte handeln", Die -ing-Orte sind auch hier in der Regel größere Haufendörfer, oft- mals mit Pfarrsitz. Ganz anders geartet ist der Raum der Grafschaft Bogen. Ihn kenn- zeichnet das feingliedrige Siedlungsbild des hochmittelalterlichen Landesausbaus mit kleinen Dörfern bis hin zu Einöden. In einzigarti- ger Konzentration treten hier Ortsnamenbildungen auf das Beiwort -zell auf, die im wesentlichen in die zweite Hälfte des 11. und die er- ste Hälfte des 12. Jahrhunderts gehören. Sie reichen nicht in die Markgrafschaft und auch nicht in die Burg-Landgrafschaft hinein. Lediglich an den Rändern bei Falkenstein wird das bischöfliche Ge- biet berührt. Die -zell-Orte werden von Max Piendl mit viel Wahr- scheinlichkeit als wichtigstes Ergebnis der Kolonisationstätigkeit der

Grafen von Bogen gedeutet 174. Die Domvögte haben im Unterschied zu den Diepoldingern und Bogenern keine umfassende Rodungstätigkeit aufgenommen. Sie ließen den Kern des bischöflichen Forstes ungerodet. Bis heute ha-

173 Zum unechten -ing-Ort Völling: Hecht, Roding, 268. Weithin isoliert stehen Plitting (Gern. Wulkersdorf) und Schrötting (Gern. Michelsneukirchen), die auch wegen ihrer geringen Größe atypisch sind. Die Belege setzen sehr spät ein. 174 Willibald Fink, Der älteste Besitz der Abtei Metten (Ostbairische Grenzmarken It) 1922,55; ders., Die Besiedlung des westlichen Teiles des bayerischen Waldes bis 1200 (Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung 27) 1924,31-33; (28) 1925, 43f.; Piendl, Grafen von Bogen II (wie Anm.24), 25f., 34, 46; Max Piendl, Die Zell-Orte ostwärts Regensburgs. Ein Beitrag zur Siedlungsge- schichte des Vorderen Bayerischen Waldes (Altbayerische Heimat 2) 1949, Nr. 16. _ Die beiden zell-Orte im Altlandkreis Roding stehen in keinem Zusammenhang mit dieser Gruppe. 166 Alois Schmid

ben sich deswegen diese als geschlossene Waldungen erhalten. Le- diglich am Nordrand ihres Besitzes haben auch die Domvögte Kolo- nisationsarbeit geleistet und so ihre Herrschaft über die Königs- schenkungen hinaus ausgeweitet. Die Ausläufer der -zell-Orte, die in ihr Gebiet hereinreichen, sind mit der Verwandtschaft zu den Boge- nern oder aber auch erst mit der Übernahme des nördlichen Rand- streifens durch diese nach der Bogener Fehde zu erklären. Auch die Landgrafschaft der Paponen ist im wesentlichen von der Kolonisationstätigkeit des hohen Mittelalters geprägt. Hier herrschen die Rodungsnamen auf -thann, -schlag, -schwand oder -loh vor. In besonderer Konzentration sind Ortsnamenbildungen auf das Beiwort -berg anzutreffen, die Gertrud Diepolder als Eigenheit der paponi- sehen Rodungsarbeit erkannt hatm. Auf die gräfliche Siedlungstä- tigkeit unmittelbar verweisen die beiden Ortsnamen Grafenwinn und

Grafenhofen 176.

m Gertrud Diepolder, Die mittelalterliche Besiedlung des Stadt- und Landkreises Regensburg, in: Spindler, Bayerischer Geschichtsatlas (wie Anm. 26), Karte tOc mit Erläuterungen. 176 Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm.54), 342; Ernst Schwarz, Die na- menkundlichen Grundlagen der Siedlungsgeschichte des Landkreises Regensburg (VHVO 93) 1952, 25-63. - Grafenöd (Gern. Wiesent), ein dritter Ort mit derartiger Namenbildung, liegt aber außerhalb der Landgrafschaft. Es gibt eine Reihe von Ortsnamen, die auf das Beiwort -wing oder ähnlich enden: Appertszwing, Windhof, Wolferszwing, Grafenwinn oder Alletswind. Sie werden als Ansiedlungen gefange- ner Wenden gedeutet; es handelt sich auch hier um Ortsnamenbildungen mit sehr politischem Gehalt. Sie konzentrieren sich in der Burggrafschaft. Die Erstbelege lie- gen zum Teil vor 1031: Paul Mai, Der St. Emmeramer Rotulus des Güterverzeich- nisses von 1031 (VHVO 106) 1966, 100: Appertszwing. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 167

3. BURGEN- UND MINISTERIALENPOLITIK

Der Untersuchungsraum war gerade in der Blütezeit des hochmit- telalterlichen Burgenbaus sehr umkämpft. Das fand seinen Nieder- schlag in zahlreichen Burgen, die den Vorderen Bayerischen Wald zu einem der burgenreichsten Landstriche Bayerns machen 177. Diese Burgen wurden auffallend häufig mit Toponymen bezeichnet, die auf das Beiwort -stein enden; sie finden sich über alle vier Herrschafts- räume hinweg verstreut!". Die Kartierung der Standorte läßt im we- sentlichen zwei Gründe für ihre Lage erkennen. Sie reihen sich zum einen an den wichtigsten Altstraßenzügen durch den Vorwald auf, zum andern stecken sie die Grenzen der einzelnen Herrschaftsräume ab. Der bischöflich-domvögtische Forst etwa wird eingerahmt von den Burgen Donaustauf, Wörth, Brennberg, Falkenstein, Siegenstein und Lichtenberg. Entsprechendes gilt für die benachbarten Graf- schaften. Die jeweiligen Herrschaftsräume können am ehesten durch die Zuordnung der einzelnen Burgen abgesteckt werden, wobei frei- lich die aufgedeckten Verschiebungen in Rechnung zu stellen sind. Die dynastische Burgenpolitik hat dem Raum sein bis heute bezeich- nendes Gepräge gegeben. Überwiegend handelt es sich um kleinere Ministerialenburgen, die den Hauptburgen zugeordnet waren, die sich am Rande des Untersuchungsraumes aufreihten: Donaustauf und Wörth für den bischöflichen Forst, der Bogenberg für die Grafschaft Bogen, die Burg auf dem Galgenberg bei Cham für die Markgraf- schaft, Stefling und Regenstauf für die Landgrafschaft der Paponen. Auch in diesem Raum erfolgte der Herrschaftsauf- und -ausbau unter anderem mit Hilfe von Ministerialen. Dabei müssen hier drei Gruppen von Ministerialen unterschieden werden. Alle im Vorwald wirkenden Dynastengeschlechter haben ihre Ministerialität aufge-

177 Das zeigt eindringlich die Karte bei: Tillmann, Burgen und Schlösser IV (wie Anm, 118), Karte 42. 178 Fritz Schnelbögl, Die deutschen Burgennamen (ZBLG 19) 1956,221; Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm.54), 149-154; Josef Fendl, Burgen und Ritter rund um Regensburg, Regensburg 1984. 168 Alois Schmid baut: die Diepoldingert=, die Bogenerw, die Paponeni» und die Domvögte:», Neben dieser dynastischen Ministerialität begegnet herzogliche Ministerialität, die aber in welfische und wittelsbachi- sehe Dienstmannschaft unterteilt werden muß 183. Dazu kam auf dem Boden der Markgrafschaft, vor allem an ihrer Westgrenze, Reichs- ministerialität, die den ursprünglichen Reichsgutcharakter dieser Landschaft noch im hohen Mittelalter sichtbar macht. Einzelne Ge- schlechter - am deutlichsten wurde dies bei den Sattelbogenern und Falkensteinern - begegnen in mehreren dieser drei Gruppen. Dar- aus ist abgeleitet worden, daß sich gerade in der Markgrafschaft Ch am das Phänomen der Doppelministerialität belegen ließe'», Da- für ist ein überzeugender Beleg allerdings noch nicht beigebracht. Die in Frage kommenden Geschlechter sitzen in umkämpften Räu- men, für die - oft sogar mehrmaliger - Herrschaftswechsel aufge- zeigt wurde. Da die verschiedenen Dienstverhältnisse für unter- schiedliche Zeiten belegt sind, spricht mehr als für Doppelministe- rialität, die allein durch gleichzeitige Zeugnisse zwingend bewiesen werden könnte, für Ministerialitätswechsel. Er ist mehrfach zu beob- achten, in auffallender Breite beim Aussterben der Domvögte in Form des Übergangs einer Reihe von Geschlechtern an die Grafen von Bogen 185. Die Entwicklung der Ministerialität ist hier nicht min-

179 Throner, Diepoldinger (wie Anm.103), 24-71; Günther Flohrschütz, Studien zur Geschichte der Herrschaft Vohburg im Hochmittelalter I: Die Minsterialität der Diepoldinger (Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 96) 1987,9-83; (97) 1988,9-81. ISO Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 19-23. 181 Mayer, Burggrafen (wie Anm. 106), 59 f.; Rädlinger-Prömper, SI. Emmeram (wie Anm.79), 138-140. 182 Piendl, Grafen von Bogen 11(wie Anm.24), 30-35; z.B. die Herren zu Lieh- tenberg: Widemann, Traditionen (wie Anm. 30),437 f. Nr.896; 443 f. Nr.903; 464 f. Nr.933. 183 S.Anm.147, 148, 149, ISO, 15t. 184 Bosl, Reichsministerialität (wie Anm.143); Throner, Diepoldinger (wie Anm.103), 69. Siehe auch die Karte Nr.18/19 in: Spindler, Bayerischer Geschichts- atlas (wie Anm. 26), Karte 18-19. Dabei fällt auf, daß gerade bei den Sattelbogenern aus den gleichen Urkunden die unterschiedlichen Dienstverhältnisse abgeleitet wer- den. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 169 der wechselhaft als in anderen ähnlich brisanten Räumen 186 und so- mit sachgerechtes Abbild der komplizierten herrschaftlichen Verhält- nisse.

4. ZUM ZENTRALÖRTLICHEN SYSTEM

Aufschlußreich ist weiterhin die Betrachtung des zentralörtlichen Systems innerhalb des Untersuchungsraumes. Hauptort ist in unserer Gegenwart der Markt Falkenstein, der tatsächlich in etwa in der geo- graphischen Mitte liegt. Doch entspringt allein seine moderne Zen- tralität dieser Lage. Sie ist gewiß aus einer historischen Zentralort- funktion erwachsen, die freilich gerade umgekehrt die Randlage der Burg Falkenstein innerhalb des bischöflichen Herrschaftsgebietes zur Voraussetzung hatte. Falkenstein verdankt seine Gründung und sei- nen Aufstieg den Domvögten von Regensburg, die an der wichtig- sten und kürzesten Altstraße von Regensburg nach Cham quer durch den Vorwald an der Stelle, wo sie sich in die zwei Routen über Do- naustauf und Wörth zergabelt, eine Burg errichteten. Ihre Anfange werden um 1070 angesetzn=, Zur Verkehrslage kamen vorzügliche geographische Gegebenheiten: die Lage auf einem hochaufragenden

18S Piendl, Grafen von Bogen II (wie Anm.24), 31-35 mit dem Hinweis auf meh- rere Beispiele. 186 Günther Flohrschütz, Der Adel des Wartenberger Raums im 12. Jahrhundert (ZBLG 34) 1971, 85-164, 462-511, 909-911; ders.; Die Freisinger Dienstmannen im 12. Jahrhundert (Oberbayerisches Archiv 97) 1973,32-339; ders., Der Adel des Ebersberger Raumes im Hochmittelalter (SchbLG 88) München 1989. 187 Josef Heigl, Geschichte von Falkenstein/Opf. und Umgebung mit besonderer Berücksichtigung der Kirchengeschichte, Falkenstein o.J.; (Josef Beer,) 900 jähriges Falkenstein, Falkenstein 1976; Karl Bosl, Die Burg Falkenstein in der Oberpfalz als zentraler Wehrbau und Zentrum von Herrschaft und Gesellschaft, in: ders., Bayern. Modelle und Strukturen seiner Geschichte, hrsg. von Joachim Jahn, München 1981. 205-217; Ernst Emmerig, FalIcenstein in der bayerischen Oberpfalz. in: ders.• Kul- turlandschaft Oberpfalz. Gestalt und Gestalten eines Regierungsbezirkes. Aufsätze und Vorträge, Kallmünz 1989. 230-236. Zum Problem grundlegend: Klaus Fehn. Die zentralörtlichen Funktionen früher Zentren in Altbayern. Wiesbaden 1970 (zu Falkenstein: 65. 144). 170 Alois Schmid

Granitkegel. Dennoch aber bleibt festzuhalten, daß diese Burg inner- halb des Hochstifts gänzlich peripher gelegen war, unmittelbar am Rand zur Markgrafschaft hin. Am Ausgang der Altstraße aus dem Hochstiftsterritorium wurde der stärkste militärische Stützpunkt auf- gebaut (castrumfortissimum); er hatte sicher auch herrschaftsdemon- strativen Charakter. Das Gegenstück auf markgräflicher Seite war die weniger stark ausgebaute Burg Neuhaus, die ähnlich peripher gelegen ist. Neuhaus und Sattelpeilnstein waren die wichtigsten die- poldingisehen Burgen im Süden der Markgrafschatt=, Die Burgen liegen also selten zentral, sondern häufiger in Randge- bieten, von denen aus sie ihren Aufgaben leichter nachkommen konnten. Diese Beobachtung kann weniger überraschen als die Lage der Thingorte. Franz Genzinger hat am Beispiel der Grafschaften der Wittelsbacher gezeigt, wie ungewöhnlich peripher auch die Thing- orte dort gelegen sindl89• Wer diese Beobachtung in den Untersu- chungsraum überträgt, muß sehr rasch feststellen, daß hier kaum Thingorte greifbar sind. Die Paponen hielten ihre Gerichtssitzungen gerne in Regensburg, einmal auch in Lorenzen 190, die Domvögte in Wörth oder Schwabelweis!» ab. Doch gibt es ein sehr aufschlußrei- ches Beispiel. Burggraf Duo 11.führte im Jahre 1161 eine Gerichts- sitzung zu Regelsmais durch, also an sich außerhalb seiner Graf- schaft auf offensichtlich okkupiertem Gebiet. Er wollte damit seinen Anspruch auf den Landstreifen eindringlich zum Ausdruck brin- gen 192. Diese Feststellung korrespondiert mit einer Gerichtssitzung des Grafen von Abensberg 1180 an einern westlichen Gegenpunkt zu

188 S.Anm. 118. 122. 189 Franz Genzinger, Grafschaft und Vogtei der Wittelsbacher vor 1180. in: Die Zeit der frühen Herzöge. hrsg. von Glaser (wie Anm.149), 111-125. 190 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30), 491-493 Nr.973. Vgl, auch 438f. Nr.897, 472 Nr.914. 475 Nr.945.- Lorenzen: Monumenta Boica XIII (wie Anm. 52). 170. 191 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30). 462f. Nr.931, 464f. Nr.933. 192 S.Anm. 136. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 171

Abbach 193. Auch diese Beispiele zeigen, daß Gerichtstage vereinzelt an sehr peripher gelegenen Orten abgehalten wurden. Der wittelsbachische Frühbesitz im Untersuchungsraum wurde in den Urbarsämtern Radling und Cham organisiert 194. Es fällt auf, daß der Bereich der Markgrafschaft Cham nicht als geschlossene Ver- waltungseinheit aufscheint, sondern daß neben der Stadt Cham noch ein nur wenige Kilometer südlich dieses alten Zentralortes situiertes sehr kleines Dorf als eigenes ampt genannt wird. Es liegt an der ent- scheidenden Altstraße zum domvögtisch-bogenschen Zentralort Fal- kenstein hin, hat also nicht nur verwaltungsorganisatorischen Cha- rakter, sondern sollte zugleich eine Herrschaftsposition markieren. Offensichtlich kommen in der Ämterorganisation des ältesten Her- zogsurbars sehr politische Zielsetzungen zum Ausdruck 195; das zeigt auch das frühwittelsbachische Amt Radling. Bezeichnenderweise verschwand es, als durch den Anfall des Bogener Erbes Straße und Raum ihre brisante Bedeutung verloren hatten. Nun bildete sich Cham als bestimmender Verwaltungsmittelpunkt aus. Besonders aufschlußreich ist der Blick auf die Hausklöster. Auch sie liegen keineswegs zentral, sondern ebenfalls auffallend peripher. Am verständlichsten ist diese Lage noch beim Bogener Hauskloster Oberalteich in unmittelbarer Nähe der Stammburg des Geschlechtes auf dem Bogenbergw, Entsprechendes gilt für die Paponen, die in den ersten Generationen zu St. Emmeram in Regensburg, dem Aus- gangspunkt und Zentrum ihrer Herrschaft, zur letzten Ruhe gebettet

193 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm. 30), 504 f. Nr.991. 194 Monumenta Boica XXXVIII (wie Anm. 99), 109-112. 195 Das zeigt sich auch im Raum von Regensburg: Alois Schmid, Die Territorial- politik der frühen Wittelsbacher im Raume Regensburg (ZBLG 50) 1987, 380f. 196 Piendl, Grafen von Bogen III (wie Anm.24), 35-39; Mohr, Oberalteich (wie Anm.93),IIO*-133*. 172 Alois Schmid wurden 197. Die frühen Diepoldinger wurden in ihrem Hauskloster

St. Ulrich und Afra zu Augsburg begraben 198. Im Jahre 1118 gründete nun aber Diepold IlL, der mächtigste An- gehörige des Markgrafengeschlechtes, ein eigenes Hauskloster zu Reichenbach am Regen. Die näheren Umstände sind teilweise aus der Fundatio bekannt'», Die Anregung ging demnach von seiner Gattin Luitgard aus, deren Wunsch aber der Markgraf nur zum Teil erfüllen wollte. Er neigte mehr dazu, anstatt des Hausklosters eine Burg oder Stadt auf den Reichenbacher Berg zu setzen: volebat ci- vitatem et castrum in prenominato loco posuisse=. Hier wird der herrschaftliche Aspekt der Gründung deutlich. Sie erfolgte nicht auf Allod, sondern offensichtlich auf Gebiet, das der Markgraf nur als erbliches Reichslehen (haereditario successionis iure) innehatte, das vielleicht sogar usurpiert war. Deswegen wandte sich seine Gattin an Kaiser Heinrich V., der den Markgrafen schließlich dazu bewegen konnte, wirklich ein Kloster zu errichten. Der entscheidende Kern dieser Reichenbacher Haustradition ist, daß die Gründung des Klo- sters auch unter politischen Aspekten zu sehen ist. Diese Erkenntnis bestätigt vor allem der ungewöhnliche Standort. Reichenbach liegt ganz am Rande der Markgrafschaft, unmittelbar an der Grenze zur Landgrafschaft Stefling hin an beherrschender Stelle. Reichenbach ist ein sehr eindringliches bauliches Symbol der Ansprüche des selbstbewußten Markgrafen Diepold Ill. Dementsprechend ist der Reichenbacher Besitz ganz am Rande der Markgrafschaft gelegen:

197 Widemann, Regensburger Traditionen (wie Anm.30) bringt viele Schenkungen an das Kloster, dessen Konvent Familienmitglieder angehörten. Vgl. Mayer, Burg- grafen (wie Anm. 106), 57; Rädlinger-Prömper, SI.Emmeram (wie Anm. 79), 218. 198 Wilhe1mLiebhart. Die Reichsabtei Sankt U1richund Afra zu Augsburg. Studien zu Besitz und Herrschaft (1006-1803) (HAB Schwaben Il, 2) München 1982, 36-41. 199 Heribert Batzl, Kloster Reichenbach am Regen, Diss. masch. Würzburg 1958; ders., Zur Geschichte der älteren Reichenbacher Klosteranlage (Rodinger Heimat 3) 1986, 70-79; Baumann. Die Traditionen und Urkunden des Klosters Reichenbach (wie Anm. 139). 200 Fundatio et notae monasterii Richenbacensis, hrsg. von Oswald Holder-Egger, MGH SS XV, 2, Hannover 1888, 1078f. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 173

zu Wald, Roßbach, Süssenbach, Schillertswiesenaoi. Diese Umstände machten die diepoldingischen Aktivitäten zu Reichenbach zu einer großen Provokation für die Paponens« Die Vermittlerrolle des Sa- Iierkaisers Heinrich V. könnte damit zusammenhängen, daß er eine bessere Lösung für seinen alten Parteigänger suchen helfen wollte. Denn dieser Affront rief offensichtlich die direkt angesprochenen Paponen auf den Plan. Als sich Diepolds Ill. Leben dem Ende entge- genneigte, gründeten sie unmittelbar nach der Teilung der Herrschaft 1143 ein nicht minder demonstratives Hauskloster: . Dieses lag nun nicht mehr am Rande der Landgrafschaft, sondern of- fensichtlich außerhalb, da rund drei Kilometer östlich von Reichen- bach und sogar am Nordufer des Regens, das nie zum Donaugau oder zur Landgrafschaft gehört hatte. Die umgekehrte Lage der Hausklöster Reichenbach und Walderbach wäre viel eher einsichtig. Ihre tatsächliche, in jedem Fall exponierte Lage ist nur als Doku- mentation herrschaftlicher Ansprüche zu verstehen, auch wenn die Walderbacher Fundatio allein religiöse Motive für die Gründung an- führt203• Gleiches gilt für die Grundausstattung der beiden Hausklö- ster, die sich gegenseitig in sich verzahnte. Wenn Teile des Kloster- besitzes in der Nachbargrafschaft lagen, eröffnete sich aber über die Stiftervogtei ein Weg, herrschaftlich in die Grafschaft des Konkur- renten hineinzuwirken. Walderbach etwa erhielt Besitz zu Scharlau oder Pösing in der Markgrafschaft. Als Vogt konnte so in der Folge- zeit der Landgraf auch in der Markgrafschaft tätig werden. Gerade diese beiden Stiftungen zu Reichenbach und Walderbach zeigen, wie auch die Dynastenklöster zu wichtigen Mitteln gräflicher Territorial- politik wurden.

201 Josef Klose, Die kirchlichen und dynastischen Hintergründe der Stiftung des Klosters Reichenbach (Der Regenkreis 6) 1966,94-98; ders., Reichenbach am Re- gen, ein mittelalterliches Reform- und Dynastenkloster (VHVO 109) 1969, 7-26; Rieckhoff-Pauli- Torbrügge, Regensburg (wie Anm. 76),158-161. 202 Schmitz-Pesch, HAB Roding (wie Anm. 22),113-122. 203 Fundatio monasterii in Walderbach, in: Mayer, Burggrafen (wie Anm.106), 68: devocionis studia. Vgl. Heribert Batzl, Walderbach. Aus der Geschichte eines ober- pfälzischen Zisterzienserklosters (Schriftenreihe Kreismuseum Walderbach 5) Cham 1988. 174 Alois Schmid

Der Blick auf das zentralörtliche System des Untersuchungsraumes im Hohen Mittelalter zeigt, daß sich gräfliche Herrschaft in dieser Zeit nicht an Gesichtspunkten geographischer Zentralität ausrichtete, sondern im Gegenteil gerade an sehr peripheren Punkten ansetzte, von denen aus es möglich war, Herrschaft zu demonstrieren und An- sprüche durchzusetzen. Die Zentralisierung der Herrschaft in von allen Seiten her günstig erreichbaren Hauptorten erfolgte erst in der folgenden Epoche der Territorienbildung. Insofern ist auch der Blick auf das zentralörtliche System innerhalb des Untersuchungsraumes bezeichnend für das Herrschaftsverständnis und die Praxis der Herr- schaftsausübung im Hohen Mittelalter.

5. GRAFSCHAFf UND KIRCHLICHE VERHÄLTNISSE

Schon Karl Heinrich Ritter von Lang vertrat die Lieblingsidee, daß sich Grafschaften und Dekanatssprengel entsprächen=, Diese Hy- pothese erweist sich bei näherem Zusehen sicherlich nicht generell als haltbar. Doch darf daraus andererseits nicht abgeleitet werden, daß überhaupt kein Zusammenhang zwischen kirchlichen und weltli- chen Grenzen bestehe. Einen solchen vermochte schon Ernst Klebel an zahlreichen Beispielen deutlich zu machenze, Gerade am Beispiel der Markgrafschaft Cham hat ihn auch Karl Bosl überzeugend nach- gewiesenes. Zu diesem Problemfeld liefert der Untersuchungsraum weitere aufschlußreiche Einzelbeobachtungen. Kirchenorganisato- risch gehört er trotz seiner begrenzten Ausdehnung zu nicht weniger

204 Karl Heinrich Ritter von Lang, Bayerns Gauen nach den drei Volksstämmen der Alemannen, Franken und Bajoaren, aus den alten Bisthumssprengeln nachge- wiesen, Nürnberg 1830; ders., Baierns alte Grafschaften und Gebiete, Nürnberg 1831. Vgl. Carl von Spruner, Bayerns Gauen nach den drey Volksstämmen der Alemannen, Franken und Bajoaren ... gegen Herrn Ritter von Lang's Gauen, Bam- berg 1831. 20S Ernst KIebei, Kirchliche und weltliche Grenzen in Baiern (Zeitschrift für Rechtsgeschichte KA 28) 1939, 153-270; wieder in: KIebei, Gesammelte Aufsätze (wie Anm.134), 184-256. 206 Bosl, Markengründungen (wie Anm.98). Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 175 als vier Dekanaten, die noch heute im wesentlichen die vier aufge- zeigten Grafschaften widerspiegelnv', Das Dekanat Regensburg um- faßt in etwa den Raum der Landgrafschaft, das Dekanat Cham den Raum der Markgrafschaft, das Dekanat Donaustauf das alte Hoch- stift, das Dekanat Pondorf die Grafschaft Bogen. Als Enstehungszeit der Dekanate wird die Zeit um 1200 angesetzt. Einen besonderen Blick verdient der herrschaftlich am meisten umstrittene Raum um Falkenstein. Denn es muß auffallen, daß der wichtigste Ort, der Markt Falkenstein, erst im 20. Jahrhundert Pfarr- sitz wurde und eine Pfarrkirche erhielt. Bis in unser Jahrhundert her- ein war er ins nahe, viel kleinere Dorf eingepfarrte», Merk- würdigerweise wurden aber dieses Pfarrdorf und der zugehörige Markt nicht zum Dekanat Donaustauf geschlagen, wie zunächst an- genommen werden könnte, sondern zum Dekanat Pondorf'=, Hier wirkt die Zugehörigkeit des Ortes seit der Bogener Fehde zur Graf- schaft Bogen nach. Dieses Faktum stellt ein aussagekräftiges Datie- rungskriterium dar. Das älteste Pfarreienverzeichnis kann somit nach den Ergebnissen der vorausgehenden Betrachtung der herrschaftli- chen Entwicklung nicht vor 1192 angelegt sein. Daß Falkenstein nicht Pfarrsitz wurde, ist am ehesten mit dem beständigen herr- schaftlichen Wechsel zum Zeitpunkt des Aufbaues der Pfarreien in diesem Raum zu erklären. Der zuständige Pfarrort Arrach hat das hier seltene Patrozinium St. Valentin, das ebenfalls ins Niederbayeri- sche verweist=; während im hochstiftischen Grenzort St. Quirin - Quer demonstrativ die regensburgischen Patrozinien Wolfgang und

207 Paul Mai, Die Pfarreienverzeichnisse des Bistums Regensburg aus dem 14. Jahrhundert (VHVO 1l0) 1970, 7-33. Vg!. auch: Karl Schwarzfischer. Ge- schichte der Stadt Roding und ihres Pfarrgebietes, Roding 1957; Ernst Gagel, Die alten Dekanate der Oberpfalz (Oberpfälzer Heimat 12) 1968, 36-55. 208 Heigl, Falkenstein (wie Anm.187), 113-119. 209 Mai, Pfarreienverzeichnisse (wie Anm. 207), 16. 210 Johann B. Lehner, Die mittelalterlichen Kirchenpatrozinien des Bistums Re- gensburg (VHVO 94) 1953,56. 176 Alois Schmid

Dionysius belegt sind>'. Territorialpolitik wurde auch mit Kirchen- patrozinien gemacht. Das zeigt in besonderer Deutlichkeit die kirchliche Entwicklung am wichtigen Ministerialensitz Sattelbogen, dessen verwickelte Herrschaftsgeschichte mehrmals angesprochen wurde. Auch seine kirchliche Zuordnung war einem mehrmaligen Wechsel unterworfen. Heute gehört das Beneficium Sattelbogen, obwohl im Oberpfalzi- schen liegend, zum niederbayerischen Dekanat Pondorfut Kirchliche und staatliche Organisation stimmen in diesem kleinen Beneficium nicht überein, weil nach der Rekatholisierung im 17. Jahrhundert die ursprüngliche Zugehörigkeit der Kirche zur Oberalteicher Inkorpora- tionspfarrei Loitzendorf wiederhergestellt worden ist. Die Dekanats- gliederung spiegelt an diesem Punkt älteste geschichtliche Zusam- menhänge bis in die Gegenwart wider. Die heutige Kirchenorganisa- tion erweist sich hier als Reminiszenz der herrschaftlichen Zustände vor 1192. Wenn dagegen die mittelalterlichen Pfarreienverzeichnisse Sattelbogen dem Dekanat Cham zuordnenns, bieten sie den Zustand seit etwa 1200. Gerade die Analyse der kirchlichen Verhältnisse zu Sattelbogen vermag noch ein weiteres zu zeigen. Als Patrozinium der Burgka- pelle ist hier in Mittelalter und früher Neuzeit St. Ulrich bezeugtu-, Dieses Patrozinium begegnet in der Chamer Umgebung oftmals. Der Augsburger Heilige wurde von den Diepoldingern auf den Nordgau verpflanzt und steckt in etwa den Bereich der Markgrafschaft ab. Ul-

211 Lehner, Kirchenpatrozinien, 58; Alois Schmid, St. Quirin-Quer. Zum Patrozi- nium der Wallfahrt im Landkreis Cham (Oberpfälzer Heimat 29) 1985, 147- 154; Rieckhoff-Pauli - Torbrügge, Regensburg (wie Anm.76), 226--229 (Martin Dall- meier). 212 Matrikel des Bisthums Regensburg, Regensburg 1838, 231 f.; Matrikel des Bisthums Regensburg, Regensburg 1863, 314f.; Die Matrikel der Diözese Regens- burg, Regensburg 1916, 427 f. 213 Mai, Pfarreienverzeichnisse (wie Anm.207), 17; Matrikel der Diözese Regens- burg 1916 (wie Anm. 212),16,24. 214 Paul Mai, Das Regensburger Visitationsprotokoll von 1526 (Beiträge zur Ge- schichte des Bistums Regensburg 21) 1987,81 Nr.192. Untersuchungen zu Gau, Grafschaft und Vogtei 177 rich in der Oberpfalz ist also ein sehr politischer Heiligerns, Und of- fensichtlich wurde er von den Diepoldingern auch an diesem Grenz- ort durchgesetzt, als sie ihn um 1200 unter ihre Herrschaft brachten. Sie haben neben der Umgliederung in ihr Dekanat auch die Vereh- rung ihres Familienpatrons in der dortigen Burgkapelle begründet, wo er seitdem einen religiösen Antipoden zum Patron der älteren Pfarrkirche S1. Nikolaus darstellteus, der mit hoher Wahrscheinlich- keit mit dem Bogener Hauskloster Oberalteich in Verbindung steht. Sind diese Beobachtungen zutreffend, dann spiegelt sich der wieder- holte Herrschaftswechsel in diesem Kirchensprengel an der Grenze auch in den Kirchenpatrozinien wider, die bezeichnend sind für die entscheidenden Herrschaftsträger während des Hohen Mittelalters. Dann bestünde hier nicht nur ein Zusammenhang zwischen Graf- schaft und Dekanatszugehörigkeit, sondern auch zwischen Graf- schaft und Kirchenpatrozinien.

21S Adolf Layer, Heiliger und Adelssippe. Zur Ausbreitung des hochmittelalterli- ehen UlrichskuItes, in: Festgabe Spindler I, hrsg. von Kraus (wie Anm. 17), 366f. 216 Lehner, Kirchenpatrozinien (wie Anm. 210),46.