Journal Juden in Sachsen
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JJIS Journal Juden in Sachsen Oktober 2010 ISSN 1866-5853 Herausgeber: Deutsch-Russisches Zentrum Sachsen e.V. Bernhard-Göring-Straße 152 04277 Leipzig www.juden-in-sachsen.de Inhaltsverzeichnis Thema: Der Musikverlag C. F. Peters Der Musikverlag C. F. Peters und seine „Arisierer“ Teil I. Der Verlag 3 Reportage aus der Partnerregion Blutiger Sand. Spuren des stalinistischen Terrors im Gebiet Woronesch 6 Kurzbiografien Familie Freier 13 Historische Orte - Personen & Biografien Felix Mendelssohn Bartholdy und das Mendelssohn-Haus Leipzig 17 Impressum 21 2 Thema: Der Musikverlag C. F. Peters Der Musikverlag C. F. Peters und seine „Arisierer“ Teil 1. Der Verlag Über die Leipziger Verlegerfamilie Hinrichsen und über die Bedeutung der Hinrichsens für die Stadt Leipzig und deren Musikkultur ist von berufeneren Autoren schon viel geschrieben worden. Weniger Beachtung wurde dagegen den „Arisierern“ des Verlags Gerhard Noatzke, Dr. Johann Petschull und Dr. h.c. Kurt Herrmann geschenkt. Die Ereignisse des Jahres 1939 und die Vorgeschichte dazu sollen hier deshalb nochmals rekonstruiert werden. Zunächst an dieser Stelle jedoch ein kurzer Abriss der Familien- und Verlagsgeschichte. Vor genau 210 Jahren – am 1.12.1800 - wurde in Leipzig das „Bureau de Musique“, der spätere Musikverlag C. F. Peters gegründet. Damit ist er „einer der ältesten und traditionsreichsten europäischen Musikverlage“, wie Norbert Molkenbur bereits 1988 anlässlich des Leipziger Kolloquiums „Jüdisches Musikschaffen und europäische Musikkultur“ schrieb.[1] Im Laufe der zwei Jahrhunderte hatte der Verlag wechselnde Besitzer. Es sei stellvertretend nur der Buchhändler Carl Friedrich Peters (1779-1827) genannt, der das Unternehmen 1814 erwarb. Ihm verdankt der Verlag bis heute seinen Namen. Am 21. April 1860 kaufte der Berliner Buch- und Musikalienhändler Julius Friedländer den Verlag. Friedländer war der Erfinder einer Notenschnelldruckpresse, die auf einem durch Johann Gottlob Immanuel Breitkopf entwickelten Verfahren mit 350 beweglichen Einzeltypen beruhte. Durch die neue Technik der Notenherstellung konnte der Druck um 800 Prozent verbilligt werden.[2] Der 1831 in Danzig geborene Max Abraham trat am 1. April 1863 als Teilhaber in den Verlag ein. Abraham hatte in Danzig (Musik); Berlin (Jura), Paris und London (Bankfach) studiert und anschließend auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft den Doktorgrad erworben. Als Geschäftsführer des Verlags war er so erfolgreich, dass er Julius Friedländer bei dessen Ausscheiden aus der Firma am 1. April 1880 - nach genau 17 Jahren - eine Abfindung von 600 000 Mark (bei einem ursprünglichen Kaufpreis von 29.000 Taler) zahlen konnte. Im Jahr 1867 und etwa zeitgleich zur Gründung der Reclam’schen Universalbibliothek (1. Titel: Goethes Faust) - eröffnete Abraham seine musikalische Universalbibliothek, die „Edition Peters“ (1. Titel: J. S. Bach: Das wohltemperierte Klavier). Das war die Geburtsstunde der später weltberühmten „grünen Noten“. Die Klassikerausgabe bestach durch ihre „rein äußerliche Qualität: tadelloser Stich, vortrefflicher Druck, gutes Papier und handliches Format“ und die „inhaltliche Qualität: hohe Exaktheit, billige, populäre Preise“.[3] Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Drucker C.G. Röder konnte der Notendruck abermals revolutioniert werden. Leipzig war damals die weltweit führende Stadt des Notendrucks und die Firma C.G. Röder die größte Musikaliendruckerei der Welt. 90 Prozent aller zu jener Zeit produzierten Musikalien wurden in Leipzig gedruckt. Am 15. Mai 1891 trat Henri Hinrichsen, geboren 1868 in Hamburg, als Prokurist in den Peters-Verlag ein. Der Sohn von Abrahams Schwester Betty wurde am 1. Januar 1894 Teilhaber des Verlags. Nach dem Tod Abrahams im Jahr 1900 übernahm er die Geschäftsführung. Als Alleininhaber des Verlags C. F. Peters vertiefte er das exklusive Verlagsprofil und prägte dadurch die nationale und internationale Musikkultur. Außerdem bekleidete er eine Vielzahl von Ehrenämtern und tat sich durch sein Mäzenatentum hervor. Nicht zuletzt deshalb wurde ihm der Titel Geheimer Kommerzienrat und 1929 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig verliehen. 3 Neben seinen verlegerischen Leistungen war er auch ein großer Stifter für die Stadt und Universität Leipzig: • 1901 Stiftung für den Unterhalt der Musikbibliothek Peters • 1911 Stiftung eines Grundstücks in der Goldschmidtstraße und eines größeren Finanzbetrags für die erste deutsche Hochschule für Frauen (Henriette- Goldschmidt-Schule) • 1926 Erwerb der Heyerschen Instrumentensammlung aus Köln, die der Grundstock für das Musikinstrumentenmuseum der Universität wurde Norbert Molkenbur, Direktor zu Zeiten des VEB Edition Peters Leipzig und Verfasser einer Verlagsgeschichte, beschrieb ihn als „zutiefst jüdischen Humanisten und Demokraten“.[1] Mit Beginn der Nazidiktatur wurden die Arbeits- und Lebensbedingungen für die jüdische Familie Hinrichsen zunehmend schwieriger. Bereits im April 1933 musste Henri Hinrichsen aus dem Vorstand des deutschen Musikalien-Verleger-Vereins ausscheiden, obwohl er kurz zuvor noch in diesen gewählt worden war. 1936 gehörte C. F. Peters zu den 17 „nichtarischen“ Musikverlagen, die mit einer Sondergenehmigung ihre Arbeit fortsetzen durften. Eine besonders herausragende Stellung besaßen dabei C. F. Peters und der Musikverlag Adolph Fürstner in Berlin. Die weltberühmten Musikverlage verfügten über eine große wirtschaftliche Bedeutung und internationales Renommee. Das war auch die Begründung für die Weiterexistenz des jüdischen Musikalien- und Antiquitätenhandels. Entsprechende Argumente des Reichswirtschaftsministers Hjalmar Schacht waren zu diesem Zeitpunkt noch gewichtiger, als die Interessen des Staatskommissars Hans Hinkel, „Sonderbeauftragter“ für die „Entjudung des Kulturlebens“ im Propagandaministerium.[4] 1936 verließ der 1907 geborene Sohn Walter Hinrichsen Leipzig und wanderte nach Chicago aus. Ein zweiter Sohn, Max Hinrichsen (geboren 1901), verließ 1937 Leipzig und ging nach London. Während der „Reichspogromnacht“ wurden Verlagsgebäude und Wohnung der Familie Hinrichsen in der Talstraße 10 durch SS-Trupps verwüstet, Noten von Mendelssohn Bartholdy im Verlagshof verbrannt. Henri Hinrichsen und sein Sohn Hans-Joachim wurden verhaftet. Hans-Joachim verschleppten die Nazis in das KZ Sachsenhausen. Erst einen Monat später war er wieder auf freiem Fuß.[4] Ein Schreiben Hinkels (15.11.38) veranlasste den Ausschluss von Henri und Hans- Joachim Hinrichsen aus der Reichsmusikkammer. Das bedeutete den Verlust des Rechts auf Berufsausübung. Hinkel setzte als „staatlichen Verwalter“ den „Referenten der Abteilung II A SS-Standartenführer G. Noatzke“ ein, der mit der „kommissarischen Leitung“ des Verlags betraut wurde.[4] Gerhard Noatzke war im November 1938 von Hinkel zum „Kommissar für die Entjudung der Kulturwirtschaft“ ernannt worden. Außer dem C.F. Peters Verlag „arisierte“ er fünf weitere jüdische Verlage bzw. Buchhandlungen in Leipzig. Im Stadtarchiv Leipzig findet sich eine handschriftliche Notiz des Leipziger Stadtrats F. A. Hauptmann, in der es heißt, dass sich bis Mitte Januar 1939 „fast alle angesehenen Musikverleger Deutschlands“ um die Übernahme des Verlags beworben hätten.[4] Schließlich wurde der Verlag an den Musikverleger Dr. Johannes Petschull und den Millionär Kurt Herrmann verkauft. Der Kaufvertrag datiert auf den 22. Juli 1939. „Herrmann galt wenig später als reichster Leipziger und erfolgreichster ‚Arisierer’ in Leipzig.“[5] 4 Am 28. Januar 1940 gelang es Henri Hinrichsen, seiner Frau Martha und dem Sohn Hans-Joachim, Leipzig zu verlassen und nach Belgien zu fliehen. Bei Kriegsausbruch musste Hans-Joachim seine Flucht von Belgien nach Frankreich fortsetzen. Er wurde jedoch von der französischen Polizei verhaftet und im Internierungslager St. Cyprien in Perpignan interniert, wo er am 27. September 1940 an Typhus starb. Seine Mutter Martha starb am 7. Oktober 1941 in Brüssel in Folge einer fehlenden Diabetes- Behandlung. Im September 1942 verhafteten und deportierten die Nazis Henri Hinrichsen. Am 17. September 1942 wurde er im KZ Auschwitz ermordet.[5] [1] Norbert Molkenbur: Die jüdischen Musikverleger der Edition Peters, ihr Beitrag zur Entwicklung der Musikstadt Leipzig und ihr tragisches Schicksal im faschistischen Deutschland, in: Jüdisches Musikschaffen und europäische Musikkultur: Bericht des Kolloquiums am 1. Oktober 1988 in Leipzig / hrsg. von Norbert Molkenbur, Leipzig: Edition Peters, 1989. [2] Norbert Molkenbur: C.F. Peters 1800-2000. Ausgewählte Stationen einer Verlagsgeschichte, Sachsenverlag, Leipzig 2001. [3] Irene Lawford-Hinrichsen/ Norbert Molkenbur: C. F. Peters – ein deutscher Musikverlag im Leipziger Kulturleben. Zum Wirken von Max Abraham und Henri Hinrichsen, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig: Edition Leipzig, 1994. [4] Erika Bucholtz: Ausgrenzung und „Arisierung“. Der Leipziger Musikverlag C. F. Peters, in: Monika Gibas (Hg.): „Arisierung“ in Leipzig. Annäherung an ein lang verdrängtes Kapitel der Stadtgeschichte der Jahre 1933 bis 1945, Leipziger Universitätsverlag: Leipzig, 2007. [5] Ralf Julke: Musikbibliothek Peters. Die Geschichte, in: Leipziger Internetzeitung [www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2004/09/Musikbibliothek-Peters-Die-Ge-200409021953.html] Der zweite Teil des Artikels folgt in der nächsten Ausgabe unseres Online-Journals Juden in Sachsen. prd 5 Reportage aus der Partnerregion Blutiger Sand. Spuren des stalinistischen Terrors im Gebiet Woronesch. Opfer aus Massengräbern