Warum Hat Nachtigal Nur Wenig Über Kordofan Berichtet?

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Warum Hat Nachtigal Nur Wenig Über Kordofan Berichtet? Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ROLF HERZOG Warum hat Nachtigal nur wenig über Kordofan berichtet? Originalbeitrag erschienen in: Herbert Ganslmayr(Hrsg.): Gedenkschrift Gustav Nachtigal : 1874 - 1974. Bremen: Selbstverl., 1977, S. 113 – [133] R. Herzog Warum hat Nachtigal nur wenig über Kordofan berichtet? Aus: GEDENKSCHRIFT GUSTAV NACHTIGAL 1874 - 1974 Veröffentlichungen aus dem Übersee-Museum Bremen Reihe C, Band 1 (= Deutsche Geographische Blätter, N.F., Band 1) WARUM HAT NACHT1GAL NUR WENIG ÜBER KORDOFAN BERICHTET? Rolf Herzog Die letzte Etappe von Gustav Nachtigals großer Reise führte von el-Fasher (Darfur) über el-Obeid (Kordofan) nach Khartum. Nach einem etwa viermonati- gen Aufenthalt in dem damals noch unabhängigen Darfur stattete Nachtigal Anfang Juli 1874 dem ihm wohlgesonnenen Herrscher einen Abschiedsbesuch ab. Er trat wenige Tage danach in Begleitung ortskundiger Händler die Reise ost- wärts an, in eine Landschaft, die in diesen Wochen bereits Aufmarschgebiet von Truppen war, die gemäß den türkisch-ägyptischen Expansionsplänen das unab- hängige Darfur erobern sollten, wovon noch zu sprechen sein wird. Im Westen Kordofans überschritt Nachtigal nach eigenem Empfinden die Grenze zur Zivi- lisation. So verstand er wohl den Eintritt in das Hoheitsgebiet des osmanischen Reiches, zu dem das Deutsche Reich diplomatische Beziehungen unterhielt, d.h. einen Gesandten in Konstantinopel, einen Generalkonsul in Kairo und einen Honorarkonsul in Khartum. Diese vorwiegend formale Absicherung hätte Nachtigal eigentlich nicht das Gefühl der Rückkehr in geordnete Verhältnisse, in seiner Sprache in die Zivilisation, vermitteln dürfen, denn die ägyptische Verwaltung Kordofans entsprach zu jener Zeit kaum strengen Maßstäben. Wenn sich auch die Gouverneure und darunter rangierende Verwaltungsbeamte nicht mehr offen selbst am Sklavenhandel beteiligten, so duldeten sie ihn doch oft stillschweigend. Der Khedive Said hatte zwar während seiner Regierungszeit (1854 - 63) den Sklavenhandel im Sudan verboten und zu unterdrücken versucht, jedoch mit nur geringem Erfolg (R. Hill, 1959: 102). Im 3. Bande seines berühmten Reisewerkes „Sahara und Sudan" kam tdiese Weg- strecke nur sehr kurz weg. Im folgenden möchte ich mutmaßen, warum wohl Nachtigal so wenig über Kordofan berichtete. Zuerst ist festzuhalten, daß Nachtigal am Ende seiner Reise noch einen längeren Erholungsaufenthalt in dem Schwefelbad Helwan bei Kairo einlegte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland - 114 - wurde er als Entdecker gefeiert, Ämter und Aufgaben politischer, diplomatischer und wissenschaftsorganisatorischer Art wurden ihm angetragen. Solche Aktivi- täten nahmen ihn so stark in Anspruch, daß die Arbeit am Manuskript seines Afrikawerkes nicht sonderlich rasch vorankam. 1882 wurde er schließlich zum Generalkonsul in Tunis und später zum Beauftragten des Kaisers für die Erwer- bungen deutscher Schutzgebiete ernannt. Von dieser politisch nachhaltig wirken- den Tätigkeit kehrte er nicht mehr zurück. An Bord eines deutschen Kriegsschif- fes starb er im April 1885 im Alter von nur 51 Jahren. Immerhin lagen zehn Jahre zwischen der Rückkehr von der Expedition und seinem frühen Tode. Erst fünf Jahre nach Abschluß der Reise erschien 1879 in einem Berliner Verlag der erste, nochmals drei Jahre später der zweite Band sei- nes Werkes über die Sahara und den Sudan. Vergleicht man die Zeitspanne zwischen Heimkehr und Fertigstellung des 1. Bandes der Ergebnisse, so bleibt Nachtigal - etwa im Vergleich zu Barth, Rohlfs, Schweinfurth und Junker - der publizistisch langsamste der großen deutschsprachigen Entdecker Afrikas. Den abschließenden Teil hat er selbst nicht vollendet. Die Herausgeberin des 3. Bandes schreibt: " . doch war seinerzeit der Bericht über die Reise von Bornu nach Wadai und Darfur und von da nach el-Obeid von ihm einem Steno- graphen in die Feder dictirt worden. In gleicher Weise war der Aufenthalt in Wadai und Darfur geschildert, jedoch sämmtliche Dictate waren späterer Bearbei- tung vorbehalten und aus diesem Grunde von dem Verfasser weder der Correctur noch auch einer Durchsicht unterworfen worden. Außer den genannten Manuskripten lagen Tagebücher und Aufzeichnungen des Verstorbenen aus Bornu, Wadai und Darfur vor, die zum größeren Theile auf Erkundigungen beruhten und die Gebräuche Wadais, die Volksstämme des Landes, Sitten und Gebräuche usw. betrafen . ". Offenbar lagen keine über das Diktat hinausgehenden Unter- lagen über Kordofan vor. Nachtigal scheint die frischen Eindrücke der letzten Reisewochen weder in Khartum noch in Ägypten zu Papier gebracht zu haben. Erst vier Jahre nach seinem Tode erschien der Schluß bei Brockhaus in Leipzig, somit in einem anderen Verlag als die beiden vorangegangenen. Herausgegeben wurde er von Frau E. Groddeck, über die ich keine biographischen Angaben erreichen konnte. Nur das, was sie selbst im Vorwort schreibt, steht zur Verfü- gung. Daraus geht einmal hervor, daß ihr „afrikanische Verhältnisse nicht fremd waren", daß sie mit Nachtigal den Inhalt des 3. Bandes oft besprochen und er dabei die Absicht zu erkennen gegeben hatte, sie bei der Redaktion mitwirken zu lassen, und daß er schließlich ihr letztwillig seinen literarischen Nachlaß anver- traute. Sie gesteht selbst ein, daß sie sich weder als Gelehrte noch als fachlich kompetente Frau fühlte und es deshalb als ihre Aufgabe ansah, sich streng an das zu halten, was Nachtigal noch zu Lebzeiten diktiert hatte. Über den Schluß des Nachtigalschen Manuskriptentwurfs erfahren wir von Frau Groddeck: „Dr. Nachtigals Reisebericht, wie er ihn selbst dem Stenographen dictirt hatte, schließt mit seiner Ankunft in el-Obeid ab. Es wird vielleicht als eine Lücke empfunden werden, daß derselbe nicht nach den , vorhandenen Quellen bis zur Ankunft des Reisenden in Kairo fortgeführt ist." • Fand Nachtigal nicht mehr die Zeit, weitere Beobachtungen in Kordofan ins Stenogramm zu diktieren? Waren ihm im Laufe der Jahre schon Einzelheiten und Zusammenhänge entfallen? Hielt er den letzten Teil seiner Reise etwa für uninteressant, weil andere über Kordofan schon berichtet hatten? Glaubte er den Umfang seines bereits mehrbändigen Reisewerkes nicht noch weiter aus- dehnen zu dürfen? Es soll im folgenden untersucht werden, ob Nachtigal Grund hatte, bei wissenschaftlich interessierten deutschsprachigen Lesern eine schon ausreichende Information über Kordofan voraussetzen zu dürfen, die ihm eine nochmalige Beschreibung entbehrlich scheinen ließ. Welche Quellen standen über Kordofan damals zur Verfügung? Von welchen Forschungen, die noch zu seinen Lebzeiten durchgeführt oder wenigstens begonnen wurden, konnte Nachtigal Kenntnis genommen haben? Im folgenden soll ein Abriß der über Kordofan vorhandenen Publikationen deutscher Sprache die Grundlage für eine Antwort auf die angeschnittenen Fragen geben. Die Reisenden, welche vor Nachtigal Kordofan erreichten, sind verkehrsgeo- graphisch in zwei Gruppen zu gliedern. Ein Teil gelangte bis el-Obeid, d.h. in die Hauptstadt der Provinz, manche sogar von dort aus nach den Nubabergen oder -116- nach Westkordofan an die Grenze Darfurs. Nicht wenige berührten Jedoch nur den äußersten Nordosten Kordofans, wenn sie die Route von Ägypten nach Khartum über Dongola legten. Dann verkürzten sie, wie man es heute noch tut, den Weg, indem sie vom Nilknie bei ed-Debba durch die Bajuda-Wüste mit nur geringer Abweichung von der Luftlinie nach Omdurman ritten. Diese Durchquerung wurde in deutscher Sprache erstmals von Krump beschrieben, der sie 1 700 miterlebte. Sie vermittelt allerdings nur eine dürftige Vorstellung von den Verhältnissen Kordofans. Im 18. Jahrhundert blieben Nachrichten über Kordofan spärlich: Krump (Herzog 1957) am Anfang und W.G. Browne am Ende dieses Jahrhunderts. Das Ziel des englischen Reisenden war Darfur, welches er auf der berühmten Karawanenstraße Darb el Arbain (Herzog 1963) erreichte. Über Kordofan, damals von einem Statthalter Darfurs regiert, gab es nur beiläufige Informationen von Gewährs- leuten. Auch der berühmte Schweizer Forscher J.L. Burckhardt (1819) konnte 1813 in Nubien nur wenige Aussagen von reisenden Händlern über Kordofan sammeln, welches zu betreten ihm die unruhigen politischen Umstände ver- wehrten. Nach der Eroberung Kordofans durch die türkisch-ägyptischen Truppen 1821 war der deutsche Naturforscher Eduard Rüppell (1794 - 1884) der erste, der Kordofan erforschte. Zunächst hatte er die Bajuda-Wüste durchquert und andere Teile des Sudans durchstreift. Im Winter 1824/25 hielt er sich einige Wochen in Zentral- kordofan, besonders in el-Obeid, auf. Er war vom Nilknie aus auf einer seltener benutzten Piste genau südwärts nach Bara geritten. Nach weiteren Forschungen am Roten Meer und auf dem Sinai kehrte er 1827 nach Deutschland zurück. Schon zwei Jahre später veröffentlichte er in gedrängter Form, und nicht in der damals üblichen Art eines Tagebuchs, seine Forschungsergebnisse (vgl. R. Mertens, 1949). Nach Rüppells Aufenthalt in Kordofan vergingen immerhin ein Dutzend Jahre, bis die nächsten Europäer nach Kordofan gelangten. Es war einmal ein etwas ex- zentrischer, aber sehr schreibfreudiger Deutscher, Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau (1785 - 1871), der seine Durchquerung der Bajuda- Wüste im Juli 1837 in seinem Buche mit dem nicht sonderlich aussagekräftigen Titel „Die Rückkehr; vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen" schildert. Er- kundigungen über andere Teile Kordofans arbeitete er in sein Buch „Aus Mehemed Alis Reich" ein. Der österreichische Geologe und Bergfachmann Josef Russegger
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