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KULTUR

SOUNDS

Mit majestätischer Kraft Vorkämpfer für die «Verlierer» Supergruppen funktionieren meist nach eigenen Gesetzen. Vor lauter Name- dropping wird die Musik buchstäblich Origineller Kopf Ein ganz und gar ungewöhnlicher Dirigent: Adriano aus Zürich an die Wand gedrückt. Dass es auch an- ders geht, beweisen : Die einst als Nebenprojekt von Tool- Am Samstag ist die erste Pre- Sänger und dessen Gitarrentechniker Billy Hower- miere der Saison am Opernhaus del auf die Beine gestellte Band nimmt Zürich. Meist unsichtbar arbeitet immer festere Konturen an. Auf «Thir- teenth Step» sind ihre melancholischen dort der Souffleur Adriano. Aber Hymnen noch sorgfältiger und sparsa- er ist viel mehr als Einflüsterer. mer instrumentiert als auf dem Debüt «». Die Reduktion zahlt Über dreissig CDs hat er schon sich aus: Aus diesem Album strömt ei- ne Ruhe und eine Kraft, die man fast eingespielt – mit Musik, die majestätisch nennen möchte. Dass in abseits des Mainstreams liegt. der Band nebst Ex-Guns-’n’-Roses- Drummer nun auch Jeor- MARIO GERTEIS die White (alias , ex Ma- rilyn Manson) und James Iha (ex Sma- shing Pumpkins) mittun, sei bloss am driano, 1944 in Freiburg gebo- Rande bemerkt. (zas) ren und im Tessin aufgewach- A Perfect Circle:. Asen, ist ein musikalisches Multi- EMI/Virgin. Konzert: 25. 9. Festhalle talent: Komponist, Dirigent, Schriftstel- Rüegerholz, Frauenfeld (Support von ler, Herausgeber. Sein Brotberuf ist Deftones). noch einmal ein anderer: Souffleur am Mit Synthies und Zitaten Zürcher Opernhaus (in Rossinis «Turco Noch mehr Retro-Zukunft? Scheint so. in Italia» durfte er sich sogar als Schau- Nachdem Kraftwerk mit ihrem Come- spieler bewähren – der Souffleur auf back-Album «Tour de France Sound- der Szene!). track» heftig am eigenen Menschma- Allerdings ist Adriano mehr als ein schinen-Mythos kratzen zu müssen glaubten, wills nun auch ihr ehemaliger blosser Einflüsterer. In seinem Kasten Gefährte Karl Bartos nochmals wissen. spricht er nicht nur die Worte vor, son- Auf «Communication» lässt es Bartos dern gibt oft auch die Einsätze – «weil aus diversen Sequenzern und Synthies manche Dirigenten, selbst ganz be- wummern, zirpen und jaulen. Dazu jagt rühmte, vor lauter Arbeit mit dem Or- er seine Stimme noch und noch durch chester kaum auf die Bühne schauen». den Vocoder, um altbackene Moderne- Kritik zusammen mit einem ganzen Zi- In Italien nennt man dies einen tatewust unters Volk zu bringen. Immer- «maestro suggeritore». hin: das Album mutet um einiges griffi- Als Dirigent ist Adriano Autodidakt – ger an als der vergleichsweise harmlo- vielleicht übt er gerade deswegen diese se Kraftwerk-Schwachstrom. Doch um Tätigkeit mit besonderer Leidenschaft an ein zeitgemässes Netz zu gehen, reicht diese Antenne aus dem Elektro- aus. Er will sich für die «Verlierer» auf meer dann doch nicht aus. (zas) der kompositorischen Szene einsetzen. Karl Bartos: Communication. «Die Musikgeschichte ist nicht die Ge- Sony/Home Records. schichte von grossen Komponisten, sondern die Geschichte von Gewin- Im Stillen Sie lieben Feedback, lange Instrumental- nern. Ich möchte zeigen, was neben Multitalent Komponist, Dirigent, Schriftsteller, Herausgeber und auch Souffleur am Opernhaus Zürich. BRUNO ARNOLD passagen und leichte Disharmonien: den anerkannten Meistern auch sonst Manfred Hirt (voc, git), Daniel Hobi an Wertvollem geschaffen wurde. Ich lässt er nach Möglichkeit längere Pas- das eine eigene Reihe «Schweizer Ro- Jelmoli (1877–1936), wirklich ein (voc, dr) und Roberto Tomai (b, electr) finde, das gehört zum kompletten Bild sagen in einem Block durchspielen. mantiker» führt, wieder zwei hochinte- Spross der Warenhausdynastie, prak- sind Gabardine. Das Zürcher Trio, des- einer künstlerischen Epoche.» Wo stö- «Ich ziele auf einen einheitlichen ressante Neuerscheinungen herausge- tisch vergessen ist – seine «Drei Stücke sen Jazzausbildung nur noch unter- bert Adriano seine Raritäten auf? In Klang. Es darf nicht ein Musizieren aus kommen. für Orchester» entpuppen sich als ge- schwellig mitschwingt, begann 1993 und tritt nun mit seiner dritten CD her- Büchern, er trifft Leute, die Hinweise dem Handgelenk sein, sondern ein Mu- Da ist die impressionistische Palette fällige Miniaturen –, bleibt der am 28. vor: «Slowmotion Rocket». Der parado- geben, oder Nachfahren einstiger sizieren aus dem Herzen.» des Westschweizers Pierre Maurice April 1870 in aargauischen Kaiserstuhl xe Titel führt treffend in die fünfzehn (Klein-)Meister. Die meisten Schätze In seinem Repertoire setzt Adriano (1868–1936). Ein Naturschwärmer mit geborene Hermann Suterzumindest als Stücke des Albums ein: Zum einen ver- ortet er in Bibliotheken, etwa in der gezielte Schwerpunkte. Mit Respighi poetischer Ader, am deutlichsten ables- langjähriger Basler Musikpapst in Erin- fallen Gabardine einem schnelleren reich dotierten Zürcher Zentralbiblio- hatte er einst begonnen, es folgte eine nerung. Er starb am 22. Juni 1926. Rhythmus, zum anderen schwelgen sie thek; hier unterstützt übrigens die ganze Galerie von Aussenseitern meist Im Gegensatz zu seinen Zeitgenos- im Langsamen, Mikroskopischen, das «Die Musikgeschichte zu hören Zeit benötigt – und die Bereit- Czeslaw-Marek-Stiftung diverse CD- aus der spätromantischen Epoche. sen Hans Huber und Fritz Brun war Su- schaft des Publikums, sich darauf einzu- Projekte. Zwei Bereiche werden im Moment be- ist nicht die Geschichte ter kein Sinfoniker; er hat zu diesem lassen. Lo-Fi-Pop ists, Lärm-Pop gele- Natürlich kann Adriano solche Aus- sonders akzentuiert: Filmmusikvon eu- Genre nur ein einziges Stück beigesteu- gentlich, in dem sich die Songstruktu- grabungen nicht mit internationalen ropäischen Komponisten («Im Gegen- von grossen ert, doch ist diese d-Moll-Sinfonie ein ren ab und zu gefährlich auflösen, dann Spitzenorchestern einspielen, das kä- satz zu ihren Kollegen in Hollywood Monument helvetischer Tonkunst. Ein wieder purer Rock ’n’ Roll sind. The Komponisten» Jesus And Mary Chain mögen einem me zu teuer. Immerhin sind das Slowa- waren sie nicht klischeehaften Bedin- sehr schweizerisches Stück mit raffi- einfallen, und wenn Gabardine sich kische Radio-Sinfonieorchester und gungen unterworfen; sie konnten ihre niert eingewobenen folkloristischen Zi- ausdrücklich auf Beck, Sonic Youth oder vor allem das Moskauer Sinfonieor- konzertanten Erfahrungen einbrin- bar an «Pêcheur d’Islande», während taten, noch fern der südlichen Locker- viel zitierte Lo-Fi-Bands wie Sebadoh chester tüchtige, ja ausgesprochen ein- gen») und Schweizer Musik. Hier be- «Perséphone» auffallend tänzerische heit von Suters Oratorium «Le Laudi». oder Pavement berufen, übertreiben sie satzfreudige Ensembles. Als Interpret wundert Adriano «manch wunderbar Züge offenbart. Noch fesselnder ist die Adriano packt entschlossen zu, betont damit hörbar nicht. (rz) Gabardine: «Slowmotion Rocket». ist Adriano kein Detail-Fetischist; ihm kurlige Gestalt am Rande». Gerade Platte mit Zeugnissen zweier Deutsch- das Aufbegehrende, sogar Widerborsti- RecRec/Daisycutter. geht es um den grossen Bogen, und so sind beim schwedischen Label Sterling, schweizer Vertreter. Während Hans ge im impetuosen Viersätzer.

IN KÜRZE

Keine Erlösung für den holländischen Sadisten Jean Cocteau Ausstellung In Schieflage Richard Wagners romantische Oper «Der Fliegende Holländer» am Luzerner Theater im Pariser Centre Pompidou Unter dem Titel «Jean Cocteau, sur le Beweis I: Es geht auch so – das rung nicht hinwegtrösten. Der Zyniker fil du siècle» (Jean Cocteau, im Laufe Luzerner Theater kann (frühen) Holländer; der Jammerlappen Erik; die des Jahrhunderts) zeigt das Pariser Wagner spielen. Beweis II: So Hysterikerin Senta; der Kriecher Da- Centre Pompidou vom 25. September land. Keine innere Zerrissenheit, kein bis 5. Januar eine der grössten geht es nicht. Pendeln zwischen Realität und Alb- Retrospektiven, die diesem Künstler je traum. Sondern brutale Wasserbäder, gewidmet wurden. (sda) MARIO GERTEIS blutgetränkte Kopfverbände, verstüm- melte Glieder. Der Zeigefinger er- ein steiles Felsenufer am Meer. schlägt den Hintergrund. Bernhard-Littéraire Stimmen Kein Zimmer bei Daland. Keine aus drei Landesteilen KSeebucht am Gestade. Und Buhs mit Lächeln quittiert Am Montag beginnt in Zürich die schon gar keine romantische Oper, wie Der Sturm tobt zumindest im Orches- 19. Saison des Bernhard-Littéraire in Richard Wagner seinen «Fliegenden tergraben. Christian Arming, bald wie- prominenter Besetzung. Moderator Pe- Holländer» nannte. Schiffe sind natür- der scheidender Luzerner Musikchef, ter Zeindler unterhält sich mit dem lich auch nicht vorhanden, es sei denn beweist, dass diese frühe Wagner-Parti- Deutschschweizer Hugo Loetscher, der in Form von winzigen Papierschifflein, tur selbst unter beengenden Verhältnis- Romande Pascale Kramer und dem die den Patienten als Hüte aufgesetzt sen ihre Kraft entwickeln kann. Auf Tessiner Giovanni Orelli. (sda) werden. Patienten? In der Tat, wir be- Kraft, das heisst auf Lautstärke, setzen finden uns (Bühnenbild: Alexander kaum minder die Protagonisten; sie alle www.rubikon.ch Schweizer Müller-Elmau) in einer medizinischen Beharrlich anders Anfangsszene aus Patakis «Holländer»-Umdeutung. KEY schwimmen kernig auf Wagnerschen Versuchsanstalt, in welcher mit den Klangfluten: Sorin Coliban als Hollän- Web-Literaturmagazin männlichen Insassen brutale Experi- Während manche Regisseure die «Hol- nichts als kalkulierte Rollenspiele. Die- der, Woong-jo Choi als Daland, Vojtech Die Schweizer Literaturszene hat ein mente angestellt werden. Die weibli- länder»-Handlung als krankhafte Aus- ser Mann begehrt keineswegs nach Er- Alicca als Erik. Vielfältigere Töne findet neues Web-Magazin. www.rubikon.ch chen wurden bereits vergewaltigt, denn geburt Sentas schildern, sieht Pataki al- lösung, sondern nach sadistischer Lust. man am ehesten beim einzigen zugezo- unterscheidet sich von ähnlichen Web- sie sind ausnahmslos schwanger. Herr les aus dem Gesichtswinkel des Titel- Dieser darf er zweieinhalb Stunden genen Gast – Sabine Hogrefe übersteht sites dadurch, dass sie ausschliesslich an diesem schauerlichen Ort, Chefarzt helden, der ein Titelschurke ist. lang frönen. Aber seltsam: Was hier mit flexiblem Sopran alle szenischen Originalbeiträge präsentiert und auf und KZ-Aufseher zugleich (die Nazi- überaus konkret vorgeführt wird, denn und musikalischen Strapazen. ein Schweizer Publikum fokussiert ist. Assoziation darf nicht fehlen), ist der Details als Verlust Pataki spart an anschaulichen Details Das Luzerner Publikum ist meistens In der aktuellen, ersten Ausgabe gibt Holländer. Er liebt Quälereien und perfide Ma- keineswegs, ist letztlich ein Verlust. Es nett. Ensemble und Dirigent wurden es unter anderem ein Interview mit Zumindest eines kann man der In- nipulation; und so sind alle Gescheh- reduziert die Personen zu gnadenloser beklatscht. Dem Regisseur wurden Peter von Matt zu lesen, in dem er szenierung Jarg Patakis nicht abspre- nisse – Sentas Opfer, Eriks Warnung, Einschichtigkeit; darüber kann auch ei- Buhs entgegengeschleudert. Was dieser gesteht, keine Liebesgeschichten chen: beharrliche Andersartigkeit. Dalands Verkauf der eigenen Tochter – ne handwerklich treffliche Sängerfüh- – ein Masochist? – lächelnd quittierte. schreiben zu können. (sda)