Der Musikerdiskurs: Zwischen Image, Kunst und Konventionen

Eine diskursanalytische Untersuchung des Künstlers am Beispiel von

Lukas Schreder, 01415952

MASTERARBEIT

eingereicht an der

FAKULTÄT FÜR BILDUNGSWISSENSCHAFTEN LEOPOLD-FRANZENS-UNIVERSITÄT INNSBRUCK

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts

MASTERSTUDIUM ERZIEHUNGS- UND BILDUNGSWISSENSCHAFT

Betreuungsperson: assoz. Prof. Mag. Dr. phil. Hermann Mitterhofer

Institut für Erziehungswissenschaften Fakultät für Bildungswissenschaften

Innsbruck, Februar 2021 1.1 Abstract

Diese Arbeit verfolgt das Ziel einen Künstlerdiskurs im Bereich der sichtbar werden zu lassen. Dafür werden folgende Forschungsfragen gestellt: Was zeichnet einen Künstlerdiskurs aus und in welchem Verhältnis stehen Image und Künstlerdiskurs? Um den Künstlerdiskurs an die Oberfläche treten zu lassen, werden Zeitungsartikel zwischen 1997 und 2005, die das schottische Duo Boards of Canada abdruckten, untersucht. Die Berichterstattung über diese Band statuiert ein Exempel, das zeigt, wie der Künstlerdiskurs in Erscheinung treten kann. Die theoretische Rahmung bilden Michel Foucault, Rainer Diaz-Bone und Silke Borgstedt. Für diese Arbeit wird die Methode der Diskursanalyse nach Jäger hinzugezogen, die sich an Äußerungen der Band sowie Aussagen über das Duo orientiert. Der Interpretationsteil zeigt, dass in den untersuchten Special-Interest-Zeitschriften ein Künstlerdiskurs in Erscheinung tritt. Abschließend werden Kriterien eines Künstlerdiskurs aufgelistet, wodurch die Komplexität zu anderen Diskurssträngen sichtbar wird. Künstlerdiskurs und Image bedingen sich gegenseitig und stehen damit in Zusammenhang.

This Master thesis aims to discover an artist-discourse in Intelligent Dance Music. Therefore following questions will be answered: What does an artist-discourse involve and how does it connect to the image-discourse? To show the existence of an artist-discourse, special-interest- newspapers between 1997 and 2005, which portray the scottish Duo Boards of Canada, are examined. The band’s media coverage shows an example of how this discourse can become visible. Michel Foucault, Silke Borgstedt and Rainer Diaz-Bone set the theoretical background and Jäger’s discourse-analysis, which focuses on the band’s statements, is used as a method. Results show, that the artist-discourse as well as the artist-dispositive can be found in the examined newspaper-articles. In the last chapter criteria of an artist-discourse are listed, where the complexity and the interconnectedness can be seen. This certain discourse as well as the image are mutually dependent and therefore connected.

2 Inhaltsverzeichnis 1.1 ABSTRACT ...... 2

2 EINLEITUNG ...... 6

3 DER DISKURS ...... 8

4 MICHEL FOUCAULT ...... 9

4.1 DIE ORDNUNG DES DISKURSES ...... 9

4.2 DIE WAHRHEITEN IM DISKURS ...... 11

4.3 DER DISKURS UND DESSEN MACHT ...... 11

4.4 DIE EPISTEME ...... 12

5 DER KUNSTDISKURS ...... 12

6 DAS DISPOSITIV ...... 14

6.1 DIE SOZIALE KLASSE ...... 16

7 KUNSTWELTEN ...... 17

7.1 KONVENTIONEN ...... 17

7.2 DAS PUBLIKUM ...... 18

7.3 STANDARDISIERUNGEN IN DER KUNST ...... 19

7.4 DIE HELFER IN DEN KUNSTWELTEN ...... 20

8 DIE GESCHLECHTERDEBATTE IN DER KUNST ...... 22

9 GENREKONSTRUKTION ...... 24

10 DIE AUTONOMIE ...... 26

10.1 DAS AUTONOME KUNSTWERK ...... 26

10.2 AUTONOMIE ALS SOZIALES POSTULAT ...... 27

10.3 AUTONOMIE ALS ÄSTHETISCHES POSTULAT ...... 27

10.4 AUTONOMIE ALS MEDIENONTOLOGISCHES APRIORI ...... 27

11 ÄSTHETISCHE URTEILE ...... 28

11.1 WAS IST KUNST? ...... 31

11.2 WAS IST GELUNGENE KUNST/MUSIK? ...... 31

12 HISTORISCHE SKIZZE DER PROMINENZ ...... 34

13 DER STAR UND DAS IMAGE ...... 36

13.1 GESCHICHTLICHER UMRISS DER MUSIKER_INNEN ...... 36

13.2 DAS VERHÄLTNIS VON STAR UND IMAGE ...... 36

13.3 DAS VERHÄLTNIS ZUM PUBLIKUM ...... 38

13.4 HOCHKULTUR VS. POPKULTUR ...... 38

3 13.5 EIGENSCHAFTEN DES STARTUMS ...... 39 1. Leistung und Erfolg ...... 40 2. Bekanntheit ...... 40 3. Feste Anhängerschaft ...... 41 4. Image ...... 41

13.6 DEFINITION DES IMAGE ...... 42

14 BOARDS OF CANADA ...... 47

14.1 DER CLOU VON TOMORROW’S HARVEST ...... 48 14.2 IDM ...... 49

14.3 DIE MUSIKINDUSTRIE ...... 50

15 METHODE ...... 51

15.1 WICHTIGE BEGRIFFE ...... 53 15.1.1 Der gesamtgesellschaftliche Diskurs in seiner Komplexität ...... 54 15.1.2 Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Diskursstränge ...... 54 15.1.3 Das Sysykoll ...... 54

15.2 VORGEHENSWEISE ...... 55 15.2.1 Analyse von Dispositiven ...... 55 15.2.2 Analyseleitfaden ...... 55

16 DATENERHEBUNG ...... 56

16.1 ERKLÄRUNG DES UNTERSUCHUNGSGEGENSTANDES ...... 58

16.2 VORARBEIT ...... 58

16.3 ZEITSCHRIFT NR.1: DE:BUG (1997) ...... 59 1) Institutioneller Rahmen ...... 59 2) Text-Oberfläche ...... 61 3) Sprachlich-rhetorische Mittel ...... 63 4) Inhaltlich-ideologische Aussagen ...... 65

16.4 ZEITSCHRIFT NR.2: JOCKEY SLUT (2000) ...... 68 1) Institutioneller Rahmen ...... 68 2) Text Oberfläche ...... 70 3) Sprachlich-rhetorische Mittel ...... 73 4) Inhaltlich-ideologische Aussagen ...... 76

16.5 ZEITSCHRIFT NR. 3: DE:BUG (2005) ...... 80 1) Institutioneller Rahmen ...... 80 2) Text Oberfläche ...... 81 3) Sprachlich-rhetorische Mittel ...... 83 4) Inhaltlich-ideologische Aussagen ...... 85

17 INTERPRETATION – DER ERSTE EINDRUCK ...... 86 4 17.1 VERGLEICH DER INTERVIEWS ...... 87

17.2 INTERPRETATION DER DISKURSANALYSE ...... 88 17.2.1 Soziale Höherstellung ...... 88 17.2.2 Equipment ...... 89 17.2.3 Die Bedeutung des Studios ...... 90 17.2.4 Vielfältige Interessen ...... 91 17.2.5 Abgrenzung und Distanzierung zu anderen ...... 91 17.2.6 Vergleich mit anderen ...... 94 17.2.7 Lebensführung ...... 94 17.2.8 Bandname ...... 94 17.2.9 Die Interview-Situation ...... 95 17.2.10 Heilige Kunstwerke ...... 96 17.2.11 Kritiken ...... 97 17.2.12 Neue Veröffentlichungen ...... 97 17.2.13 Genre ...... 98 17.2.14 Konzerte ...... 98 17.2.15 Der Mythos ...... 99 17.2.16 Das Image ...... 99 17.2.17 Der Musikerdiskurs ...... 101 17.2.18 Berichterstattung über Boards of Canada ...... 104 17.2.19 Imagebildung und Musikerdiskurs ...... 105

18 BILDLICHE DARSTELLUNGEN DER BAND ...... 106

19 CONCLUSIO ...... 108

20 WEITERFÜHRENDE ANSÄTZE ...... 112

21 LITERATURVERZEICHNIS ...... 113

22 INTERNETQUELLEN ...... 116

23 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...... 118

24 ANHANG ...... 119

25 EIDESTAATLICHE ERKLÄRUNG ...... 147

5 2 Einleitung

Da ein Star nur leuchten kann, wenn alles um ihn herum dunkel ist, geht dies auch mit einer Isolierung des Musikers einher, der sich immer in Relation zu anderen Menschen (vor allem anderen Musikern und dem Publikum) bewegt und sich entsprechend abgrenzen muss. (vgl. Borgstedt 2008, 18)

Dieses Zitat thematisiert die Abgrenzungsarbeit, die Musiker_Innen und Künstler_Innen verfolgen, um sich Gehör zu verschaffen. Doch der Prozess der Abgrenzung ist nicht die einzige Bedingung, um sich als Star zu etablieren, denn wie diese Arbeit zeigen wird, sind weitere Kräfteverhältnisse notwendig, um „leuchten“ zu können. Diese Kräfteverhältnisse werden in einem Künstlerdiskurs ausgearbeitet. Für die Darstellung dieses besonderen Diskurses, werden die Strukturen in dem Feld des künstlerischen Bildungsprozess aufgezeigt, Konventionen hinterfragt und der Image- und Kunstbegriff erläutert. Der Arbeit liegen zwei Thesen zugrunde. Die Hauptthese lautet: Es existiert neben einer Imagebildung bzw. neben diskursiven Imageprozessen ein Künstlerdiskurs. Dieser – und dies ist die zweite These – folgt Regeln und bildet den Grundstein für die jeweilige individuelle Imagebildung.

Sobald es scheint, dass in einer bestimmten Thematik vorgegeben wird, wie über etwas gesprochen werden soll bzw. kann, welcher Terminus verwendet wird und welche Positionen in diesem Bereich an die einzelnen Teilnehmer_Innen vergeben werden, so ist ein bestimmtes Regelsystem am Werk, welches zentraler Bestandteil des Diskurses ist (siehe Kapitel 4.2). Mit Rückgriff auf Arbeiten Michel Foucaults wird für die Beantwortung der Thesen die Diskursanalyse als Methodenwerkzeug angewendet, da sie Regelsysteme und Diskursfragmente sichtbar werden lässt.

In Kapitel 17, dem Interpretationsteil, wird ein Ansatz verfolgt, der Parallelen und Diskursstrang-Verschränkungen zu anderen Themen, die am selben Diskurs angrenzen, sichtbar macht. Aus diesem Grund bilden Kunstwelten, Konventionen, Autonomie und Image die theoretische Rahmung, da die Literatur den zu untersuchenden Künstlerdiskurs kaum thematisiert. Diese unterschiedlichen Themenbereiche bilden eine Überlappung, von der sich der Künstlerdiskurs nährt.

Die Arbeiten und Ansichten Michel Foucaults sind insbesondere für die Erziehungswissenschaft von großem Interesse. Mit Hilfe seiner Methoden werden „die komplizierten Verflechtungen von Machttechniken, Wissensformen und Subjektivitätstypen,

6 die pädagogische Handlungsfelder charakterisieren“ sichtbar und man läuft nicht in Gefahr sich in „dichotomen Beschreibungsmustern“ zu flüchten (Ricken/Rieger-Ladich 2004, 9). Mittels dieser Denkformen können Übergänge und Verflechtungen auch in der deutschsprachigen Pädagogik aufgezeigt werden (vgl. ebd.). In dieser dienen jene Konzepte auch als Anregung für deren Theoriebildung (vgl. Koller/Lüders 2004, 57). Der erziehungswissenschaftliche Mehrwert einer Diskursanalyse liegt beispielsweise darin, die in einem Diskurs beteiligten Akteure nach den unbewussten Regeln zu fragen und somit das konstitutive Element eines Diskurses ausfindig zu machen (vgl. ebd., 70).

Wie in dem Kapitel „Der Kunstdiskurs“ auch angesprochen wird, so hat sich nicht nur Bourdieu, sondern auch Immanuel Kant, der für die Erziehungswissenschaft allzu wichtige Beiträge geleistet hat, für das Ästhetische interessiert. In seinem Werk „Kritik der Urteilskraft“ stellt sich Kant die Frage, wie man aus eigenen Empfindungen ein allgemeingültiges Urteil ableiten kann. Den eigenen Empfindungen liegt ein Geschmack zugrunde, der über das Schöne ausgedrückt wird. Doch was ist das Schöne? Das Schöne ist etwas, das allgemein gefällt, ohne, dass man selbst weiß, warum (vgl. Casale 2004, 233). Darüber hinaus ist Kant der Ansicht, dass es keine allgemeingültigen Prinzipien des Geschmacks gibt, die das Schöne definieren, denn dies würde sich klar widersprechen (vgl. ebd., 234). Auch Schiller hat hierzu Ideen über Kunst, Erziehung und Ästhetik entwickelt. „Der Mensch wird erst glücklich, wenn er dank der Kunst des Scheins in der Nachahmung der Natur sie selbst überwindet“ (ebd., 236). Für ihn existieren zwei Arten der Natur, wobei die zweite vollkommener ist als die erste. Die zweite Natur gilt es sich anzueignen, um in einem Prozess schließlich über diese zu wachsen (vgl. ebd.). Das vierte und sechste Kapitel dieser Arbeit bauen auf diese Ideen auf und geben Aufschluss, wie sich sowohl Konventionen als auch der Geschmack zusammensetzt und welche Rolle dabei dem Publikum zukommt.

Wichtig zu erwähnen ist es, dass folgend vorwiegend das männliche Nomen des Musikers paraphrasiert beziehungsweise zitiert wird. Dies liegt ausschließlich daran, dass die für diese Arbeit hinzugezogene Literatur die weibliche Person nicht erwähnt. Die Erwähnung beider Geschlechter im Fließtext halte ich in dieser Masterarbeit mit deren poststrukturalistischen Methoden insofern für sinnvoll, da die Sprache die Realität mitkonstruiert, wobei sie diese nicht einfach nur abbildet, wie im Methodenteil zu sehen (vgl. Foucault 1971, 76f). In Textabschnitten, die nicht direkt den zu untersuchenden Musiker- bzw. Künstlerdiskurs fokussieren, wird daher bewusst eine geschlechtersensible Sprache verwendet.

7 Für die einheitliche Verwendung des Begriffes eines Künstlerdiskurses, ergibt sich für mich folgende Problematik: Einerseits ist dieser Begriff zu unspezifisch und spiegelt nicht den Diskurs wider, der in dieser Arbeit untersucht wird. Weicht man auf die Bezeichnung des Musikerdiskurses aus, so deckt dieser andererseits nicht die Tätigkeiten des Musikers in seiner vollen Bandbreite ab, da – wie auch im Falle der vorliegende Untersuchung – Musiker nicht nur Musiker, sondern zugleich auch Filmemacher, Produzenten und Künstler sind und demnach auch Unterschiede in verschiedenen Genres zu finden sind.

3 Der Diskurs

Um den Begriff des Diskurses zu definieren, wird zuerst die Bedeutung der Disziplin umrissen, da diese dem Diskurs innewohnt und diesen gleichzeitig auch hervorbringt: Die Disziplin meint ein bestimmtes „Fachgebiet“. Wer also in einem Fachgebiet Fuß fassen will, muss sich der Modi der Aussagenproduktion bedienen. Dies können (1) Methoden, die auf die Disziplin bezogen sind, (2) eine spezifische Art und Weise der Argumentation oder (3) die Unterteilung in vorausgesetzte und untersuchende Wissensbestände sein (vgl. Diaz-Bone 2010, 89). Foucault definiert die Disziplin als „ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses“ (Foucault 2019, 25). Der Diskurs meint – vereinfacht gesagt – eine Zirkulation von Gegenständen, Aussagen, Argumenten oder Personen untereinander (vgl. Lavagno 2011, 47). Eine Disziplin „definiert sich durch den Bereich von Gegenständen, ein Bündel von Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen, ein Spiel von Regeln und Definitionen, von Techniken und Instrumenten: das alles kontrolliert ein anonymes System, das jedem zur Verfügung steht, der sich seiner bedienen will oder kann, ohne daß sein Sinn oder sein Wert von seinem Erfinder abhängen“ (Foucault 2016, 22). Die Disziplin hängt insofern mit dem Diskurs zusammen, da sie diesen kontrolliert und produziert (vgl. ebd., 25).

Doch nicht jeder hat Zugang zu Disziplinen und Diskursen, denn durch Strategien, wie beispielsweise der Verknappung von Subjektpositionen, wird dies sichergestellt. Daraus resultierend gibt es Bedingungen, die nötig sind, um den Einsatz des Diskurses zu bestimmen und Regeln, die den Individuen auferlegt werden, um so einen niederschwelligen Zugang zu Diskursen zu verhindern (vgl. Diaz-Bone 2010, 89). Das Ritual spielt hier eine wichtige Rolle, denn es bestimmt welche Qualifikation und Verhaltensweisen mitgebracht werden müssen, um bestimmte Rollen ausführen zu dürfen. Neben dem Ritual gibt es notwendige

8 Zugangsvoraussetzungen, um an Disziplinen und Diskursen partizipieren zu können. Sie beruhen auf dem symbolischen Kapital. Zu diesem zählen beispielsweise „Wertschätzung, Status, Hervorhebung und eben Anerkennung“ (Fröhlich und Rehbein 2009, 138).

Ein weiterer Mechanismus der Verknappung, also dem Verhindern, dass jede_r die gleichen Chancen hat an einer Disziplin und/oder einem Diskurs zu partizipieren, ist die Diskursgesellschaft. Sie basiert hingegen nicht auf der Logik des symbolischen, sondern auf der Logik des sozialen Kapitals (vgl. Diaz-Bone 2010, 89). Damit sind „Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe [Herv. i. Org.] beruhen“, gemeint (Fröhlich und Rehbein 2009, 138). Demnach werden die Regeln, die einem den Zugang zum Diskurs verschaffen, von einer (virtuellen) Gemeinschaft, also der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, bestimmt. Neben der Diskursgesellschaft ist auch die Doktrin ein Ausschlussmechanismus. Die Partizipation an einem Diskurs ist laut ihr nur gewährt, wenn man dieselben Wahrheiten und Regeln anerkennt beziehungsweise akzeptiert. Auch der/die Sprecher_In wird mittels der Doktrin von Sprecher_Innen, welche die Doktrin nicht anerkennen, abgegrenzt. Demnach hat eine Doktrin sowohl Distinktionspotenzial als auch inklusiven Charakter, da sie soziale Gruppen mit inhaltlichen Aussagen miteinander verbindet oder voneinander abgrenzt (vgl. Diaz-Bone 2010, 89). Für eine konkrete Darstellung des Diskurses siehe Kapitel 17.2.17. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Partizipation an einem Diskurs zum einen durch das symbolische und soziale Kapital und zum anderen durch das Anerkennen derselben Wahrheiten reglementiert wird.

4 Michel Foucault

Den größten Teil der theoretischen Rahmung dieser Arbeit bilden die Werke Michel Foucaults. Im folgenden Kapitel werden seine Konzepte und Überlegungen über den Diskurs, die Disziplin und das Dispositiv dargestellt.

4.1 Die Ordnung des Diskurses

Foucault spricht in seiner Inauguralvorlesung, dass „in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche 9 Materialität zu umgehen“ (Foucault 2016, 10f). Ein Faktor, der die Produktion des Diskurses vorantreibt, ist eine Prozedur der Ausschließung: das Verbot. Dieses gibt in seiner Definition bereits vor, dass nicht jede_r im Stande ist, alles zu sagen und über alles zu sprechen. Hierzu können drei Typen von Verboten, die sich in diesem Zusammenhang einander summieren, ausschließen oder überschneiden, genannt werden: Das Tabu des Gegenstandes, das Ritual der Umstände und das bevorzugte oder ausschließliche Recht des sprechenden Subjektes (vgl. ebd., 11). Besonders im Bereich der Sexualität oder der Politik werden, laut Foucault, Verbote immer zahlreicher. Den Diskurs beschreibt er als, dasjenige, „worum und womit man kämpft; er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“ (ebd.). Ein konkretes Beispiel gibt Aufschluss, wie der Diskurs arbeitet und wie Macht und Disziplin in diesem eingeschlossen sein können: Der Diskurs über die Vernunft und den Wahnsinn. Er kann als Grenzziehung bzw. auch als Entgegensetzung von dieser hervorgebrachten Opposition gesehen werden. Die besondere Rolle der/des Wahnsinnigen, welche dieser Diskurs erst hervorgebracht hat, erlangte sie im Mittelalter.

sein [der Wahnsinnige Anm. L.S.] Wort gilt für null und nichtig, es hat weder Wahrheit noch Bedeutung, kann vor Gericht nichts bezeugen, kein Rechtsgeschäft und keinen Vertrag beglaubigen, kann nicht einmal im Meßopfer die Transsubstantiation sich vollziehen lassen und aus dem Brot einen Leib machen; andererseits kann es aber auch geschehen, daß man dem Wort des Wahnsinnigen im Gegensatz zu jedem andern eigenartige Kräfte zutraut: die Macht, eine verborgene Wahrheit zu sagen oder die Zukunft vorauszukünden oder in aller Naivität das zu sehen, was die Weisheit der andern nicht wahrzunehmen vermag. (Foucault 2019, 12)

Die beschriebene Wahrheit stellt keinen Wert an sich dar, sondern hat lediglich eine Funktion im Diskurs – quasi als „Einsatz im Spielt des Diskurses“ (Lavagno 2011, 50).

Ein Faktor, der den Willen zum Wissen und somit auch den Willen zu Wahrheit beeinflusst, ist ein historisch veränderbares und institutionell zwingendes Ausschließungssystem; also eine Grenzziehung; (vgl. Foucault 2016, 14). Der Wille zum Wissen scheint zunächst etwas diffus zu sein, doch meint Foucault damit eine Art mit der man das erkennende Subjekt in einer bestimmten Position, in einem bestimmten Blick oder in einer bestimmten Funktion sieht. Demnach ist es der Wille zum Wissen, der ein gewisses Niveau vorschreibt (vgl. ebd., 15). Der Wille zur Wahrheit ist auf institutioneller Ebene verankert, wodurch er mittels einem Konstrukt von Praktiken jeweils immer erneuert und bestärkt wird. Stärker manifestiert sich der Wille zur Wahrheit jedoch in der Art und Weise, wie Wissen in der Gesellschaft eingesetzt, gewertet, sortiert, verteilt und zugewiesen wird (vgl. ebd.).

10 4.2 Die Wahrheiten im Diskurs

Im wirklich Wahren befindet man sich nur, „wenn man den Regeln einer diskursiven ‚Polizei‘ gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß“ (Foucault 2016, 25.).

Eine weiterer Kontrollmechanismus, der den Diskursen innewohnt, sind die auf die Individuen bezogenen Regeln, die verhindern, dass jeder und jede Zugang zu einem Diskurs hat. Foucault bezeichnet dies als „Verknappung der sprechenden Subjekte“ (Foucault 2016, 26). Niemand kann in der zuvor beschriebenen Ordnung des Diskurses eintreten, wenn er oder sie nicht die notwendigen Anforderungen mit sich bringt oder ähnliche Wahrheiten anerkennt (vgl. ebd.). Der medizinische Diskurs und das Sprechen, Denken und Handeln mit und über Krankheiten, die Zuschreibung einer Anomalie und deren Bestimmung lassen sich hier als Beispiele nennen, die Foucault in seinem Werk Wahnsinn und Gesellschaft beschreibt. Die notwendigen Anforderungen, um in einem Diskurs partizipieren zu können, sind demnach vorgegeben und fester Teil unserer Gesellschaft. Der Begriff der „Diskursgesellschaft“ bezieht sich genau auf diese Anforderungen (vgl. ebd., 28), wie es vorher bereits auch bei Diaz-Bone (2010) beschrieben wurde. Ein Diskurs stellt nämlich eine gemeinsame Verbindlichkeit und Zusammengehörigkeit zwischen Individuen her, die an diesem partizipieren (vgl. ebd.). Durch Anerkennung derselben Wahrheiten und Akzeptanz gewisser Regeln wird die Bedingung einer Partizipation zum Diskurs geschaffen (vgl. ebd., 29). Wie diese konkrete Anerkennung von gemeinsamen Wahrheiten in Erscheinung treten kann, wird im Kapitel 17.2 gezeigt.

4.3 Der Diskurs und dessen Macht

Foucault führt in den 60er Jahren den Begriff der Archäologie ein. Mit dessen Hilfe versucht er den Ursprung und das erstmalige Auftreten eines Diskurses ausfindig zu machen. Hierbei geht er im wahrsten Sinne wie ein Archäologe vor. Er interessiert sich für die Funktionsweise eines Diskurses, d.h. wie die einzelnen Gegenstände miteinander zirkulieren und vor allem für das Prinzip, das diese Zirkulation steuert (vgl. Lavagno 2011, 47 ff).

Christian Lavagno hat sich mit dem Denken Foucaults auseinandergesetzt und zeigt eine interessante Veränderung auf: In den 70er Jahren verschiebt sich der Blick Foucaults vom Diskurs als autonome Einheit hin zu gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen der Entstehung (Lavagno 2011, 49). Also werden nicht mehr nur Diskurse allein, sondern auch auf

11 die Kultur bezogene Praktiken untersucht. Sowohl diese als auch der Diskurs selbst, versteht Foucault als jene, die das Funktionieren der Macht sicherstellen. Macht meint hier im Gegensatz zur Frankfurter Schule nichts Repressives, sondern etwas Produktives (vgl. ebd., 50). Produktiv im Sinne einer Hervorbringung – der Hervorbringung von Wissen. Demzufolge sind Wissen und Macht ineinander verschränkt. Foucault fokussiert im Begriff der Macht den relationalen Charakter der Machtverhältnisse, deshalb ist eine Befreiung nur innerhalb dieser Machtverhältnisse möglich (vgl. ebd., 52).

4.4 Die Episteme

Unter den Epistemai versteht Foucault die „spezifische vorreflexive Geordnetheit von Wissen.“ (Diaz-Bone 2010, 76). Damit sind Strukturen gemeint, die zu unterschiedlichen Epochen, unterschiedlich geordnet werden können (vgl. ebd.). Foucault konzentriert sich dabei auf die Bedeutung dieser unbewussten Ordnung von Wissen (vgl. ebd., 77), denn die Erfahrung wird vorgeprägt durch diese Episteme.

Nichts ist tastender, nichts ist empirischer (wenigstens dem Anschein nach) als die Einrichtung einer Ordnung unter den Dingen. [...] Tatsächlich gibt es selbst für die naivste Erfahrung keine Ähnlichkeit, keine Trennung, die nicht aus einer präzisen Operation und der Anwendung eines im voraus bestehenden Kriteriums resultiert. [...] Die Ordnung ist zugleich das, was sich in den Dingen als ihr inneres Gesetz, als ihr geheimes Netz ausgibt, nach dem sie sich in gewisser Weise alle betrachten, und das, was nur durch den Raster eines Blicks, einer Aufmerksamkeit, einer Sprache existiert. [...] Die fundamentalen Codes einer Kultur, die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte, die Hierarchie ihrer Praktiken beherrschen, fixieren gleich zu Anfang für jeden Menschen die empirischen Ordnungen, mit denen er zu tun haben und in denen er sich wiederfinden wird (Foucault 1971, 22 zit. n. Diaz- Bone 2010, 78).

5 Der Kunstdiskurs

Für den Kunstdiskurs werden Theorien Bourdieus und Diaz-Bone (2010) hinzugezogen, um diesen zu skizzieren.

Allgemein bringen Diskurse bei Pierre Bourdieu sowohl eine Bedeutung von Sprechakten im Feld mit sich als auch einen distinktionspotenziellen Sinn kultureller Werke (vgl. Diaz-Bone 2010, 57). Der Kunstdiskurs ist nicht einfach nur ein Kommentar, der für sich alleine stehen kann, sondern ein „Produktionsfaktor für die Herstellung der Qualität ‚Kunst‘ und ‚wertvoller kultureller Werke‘“ (ebd.). Die Diskurse der Kunst bringen eine Vielfalt an

12 Interpretationsmöglichkeiten hervor und hier betont Diaz-Bone – beziehend auf Bourdieu – das Distinktionspotenzial des Kunstdiskurses, welches als Klassifikation, als Kommentar oder als Ablehnung in Erscheinung treten kann (vgl. ebd.). Als Beispiel gibt Bourdieu einen Kunstkritiker an, der sich das Recht nimmt sowohl über ein Kunstwerk zu sprechen als dieses auch zu kritisieren (vgl. Diaz-Bone 2010, 57.). Der Wert eines Kunstwerkes kommt erst durch eine Hervorbringung des Wissens, also durch verschiedene, teils sich auch widersprechende Diskurse, zustande. „Es ist der im Feld hervorgebrachte Diskurs, der als ein Faktor das Kunstwerk erschafft. Dieser Diskurs ist ein kollektives Produkt, auch ein von Kollektiven umkämpftes“ (Diaz-Bone 2010, 57).

Auch den Begriff des Werks analysiert Diaz-Bone genauer und zeigt, dass dieser im Kunst- und Kulturbereich eine besondere Qualität mit sich bringt, da er sich nämlich „auf ein Netz anderer diskursiver Fakten stützt“ und im Zusammenhang mit der „im Diskurs erstellte Qualität ‚Autor‘“ steht (Diaz-Bone 2010, 88). Das Hervorbringen von Kunstwerken, sei es das Schreiben eines Textes, das Komponieren eines Stückes oder das Malen eines Bildes, erzeugt einen geheiligten Charakter des Hervorgebrachten. Konkret geht es um die Fähigkeit eines Autors/einer Autorin etwas Besonderes entstehen zu lassen, um von Kunst zu sprechen (vgl. ebd.). Dadurch wird die Kategorie „Werk“ erzeugt. Was aber meint ein/e Autor_In? Hierzu ein kleiner Exkurs zu den Ansichten Foucaults, der den/die Autor_In als Folgendes beschreibt: Laut ihm macht ein Autorenname „das Ereignis eines gewissen Diskurses sichtbar, und er bezieht sich auf das Statut dieses Diskurses in einer Gesellschaft und in einer Kultur“ (Foucault 2000, 211). Der Autorenname befindet sich an einem besonderen Ort, also nicht im Personenstand der Menschen oder in der Werkfiktion, sondern in einem Bruch, nämlich jenem, der einer Gruppe von Diskursen und deren einmalige Seinsweise hervorbringt (vgl. ebd.). Demnach gibt es in einer Kultur eine bestimmte Anzahl von Diskursen, die der Funktion „Autor_In“ zuzuschreiben sind. „Ein Privatbrief kann einen Schreiber haben, er hat aber keinen Autor; ein Vertrag kann wohl einen Bürgen haben, aber keinen Autor. Ein anonymer Text, den man an einer Hauswand liest, wird einen Verfasser haben, aber keinen Autor. Die Funktion Autor ist also charakteristisch für Existenz-, Verbreitungs- und Funktionsweise bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft“ (ebd.). Foucault macht auf den interessanten Fakt aufmerksam, dass es eine Zeit gab, in der Texte, die wir heute als literarisch bezeichnen würden, verbreitet wurden, ohne den konkreten Hinweis auf einen Autorennamen. Im Gegensatz dazu wurden Texte über den Himmel, die Krankheiten oder die Medizin im Mittelalter nur akzeptiert bzw. hatten nur einen Wahrheitswert, wenn sie auf eine/n Autor_In zurückzuführen waren (vgl.

13 Foucault 2000, 212). Erst im 17. Und 18. Jahrhundert kam es zu der kurz davor angesprochenen Umkehrung: wissenschaftliche Texte wurden auch mit anonymen Autorennamen akzeptiert (vgl. ebd.). Grund dafür war die Zugehörigkeit des Textes zu einem wissenschaftlichen Diskurs. Der Text gehörte demnach zu einem systematischen Ganzen. Literarische Texte hingegen waren auf die Funktion des/der Autor_In angewiesen (vgl. ebd., 213). „Und wenn infolge eines Mißgeschicks oder des ausdrücklichen Autorwillens uns der Text anonym erreicht, spielt man sofort das Spiel der Autorsuche. Literarische Anonymität ist uns unerträglich; wir akzeptieren sie nur als Rätsel“ (ebd.). Foucault zeigt, dass ein Text eine Reihe von Zeichen in sich trägt, die auf den/die Autor_In verweisen – also eine häufige Verwendung von bestimmten Wörtern, Grammatiken oder Personalpronomen (vgl. Foucault 2000, 216). Foucault ist sich der Thematik bewusst, dass die besondere Funktion der Autorenschaft auch interessant in Bezug auf die Musik, die Malerei oder die Technik wäre und er das Thema der Autorenschaft bislang ungerechtfertigt eng gehalten habe (vgl. ebd. 218). Das letzte interessante Faktum betreffend die Autorenschaft, ist die Zuschreibung einer „transdiskursiven Position“ (ebd.). Damit meint Foucault die Möglichkeit der Autoren Bildungsgesetze für andere Texte zu schaffen – also einen Diskurs an dem andere Autor_Innen partizipieren können (vgl. ebd. 219).

6 Das Dispositiv

Auch dieser Begriff wurde maßgeblich von Michel Foucault geprägt. Er beschreibt das Dispositiv als ein heterogenes Gebilde bestehend aus Diskursen, Gesetzen, (wissenschaftliche) Aussagen, (philosophische) Lehrsätzen, Institutionen, etc. Damit ist auch alles Gesagtes sowie Ungesagtes inbegriffen (vgl. Foucault 1978, 119f). „Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (ebd., 120). Es besteht die Option, dass sich zwischen jenen einzelnen Elementen eine gewisse Natur herstellen kann, die das Potenzial hat sich jederzeit neu zu organisieren. Ein Diskurs kann beispielsweise zu jeder Zeit als Programm einer Institution erscheinen und im nächsten Moment als Gegenteil, um eine Praktik zu rechtfertigen. Foucault beschreibt dieses ständige Readjustierungspotenzial als einen Positionswechsel mit der Möglichkeit zu Funktionsveränderung (vgl. ebd.). Die Hauptfunktion eines Dispositivs (also dieser Formation) ist es auf einen Notstand zu antworten. Demnach besitzt das Dispositiv strategischen Charakter, da es in der Lage ist zu einer gewissen Zeit auf einen gewissen Notstand zu antworten. Das von Foucault angeführte Beispiel der Neurose, gibt Aufschluss: Durch einen strategischen Imperativ, der die Struktur für ein Dispositiv vorgab,

14 konnte sich das „Dispositiv der Unterwerfung/Kontrolle des Wahnsinns, dann der Geisteskrankheit, schließlich der Neurose“ entwickeln (ebd.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier also drei Elemente wesentlich für die Herstellung eines Dispositivs beitragen: (1) Das Umfassen von Quellen, von denen sich das Dispositiv nährt; also auch alles Gesagtes und Ungesagtes; (2) die Verbindungen, die dabei entstehen, aber jederzeit neu organisiert werden können; (3) das Hinweisen auf einen Notstand mittels strategischer Funktion (vgl. Foucault 1978, 119f). In dem Gespräch zwischen Michel Foucault und Gerard Wajeman in „Dispositive der Macht“, zeigt Wajeman, dass das Dispositiv sich durch die Struktur heterogener Elemente auszeichnet (vgl. ebd., 121). Foucault weißt auf zwei Prozesse hin, die dem Dispositiv innewohnen: Zum einen eine „funktionelle Überdeterminierung“, zum anderen eine „strategische Wiederauffüllung“ (ebd.). Erstere meint, dass jede Wirkung – sei sie positiv oder negativ, gewollt oder ungewollt – in Einklang (oder Widerspruch), also in einem Verhältnis, mit anderen Elementen treten muss. Das Eingehen dieser Verbindung, fordert eine Neuorganisation der heterogenen Elemente (vgl. ebd.) Die „strategische Wiederauffüllung“ meint das Umkehren eines negativen Effektes ins Positive (Foucault 1978, 122). Foucault gibt Aufschluss und nennt hier ein Beispiel, das diese zwei Prozesse deutlicher werden lässt: Das Dispositiv der Inhaftierung. Die Haft gilt als wirksames Instrument, um der Kriminalität entgegen zu wirken (vgl. ebd., 121). Doch was hat das Phänomen der Haft und damit einhergehende Strukturen produziert? Einen nicht vorhersehbaren Effekt, nämlich die Entstehung eines neuen Milieus: Das Milieu der Delinquenz. Wurde dieser negative Effekt erkannt, so wurde er nutzbar gemacht und gleich in eine Strategie eingewoben. Das neuentstandene Milieu der Delinquenz wurde für diverse politische und positive Zwecke ausgenutzt. Diese sich dahinter befindende Strategie nennt Foucault „strategische Wiederauffüllung des Dispositivs“ (ebd., 122). An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich durch das Dispositiv der Inhaftierung die neue (negative) Wirkung auf einzelne Elemente auswirkt (er spricht von einer „funktionellen Überdeterminierung“). Die einzelnen Elemente mussten neu organisiert werden und kehrten das Negative ins Positive (die meint die „strategische Wiederauffüllung“) (vgl. ebd.).

Foucault hebt die strategische Natur, die dem Dispositiv innewohnt, hervor, denn in die Kräfteverhältnisse, die Teil eines Dispositivs sind, kann eingegriffen werden, wodurch es bewusst manipuliert werden kann (vgl. Foucault 1978, 123). Die Option zum Eingreifen zeigt, dass das Dispositiv immer auch ein Spiel der Macht ist (ebd.). Macht beschreibt Foucault – wie vorher bereits kurz umrissen – als Beziehungen; also als ein organisiertes Bündel von

15 Beziehungen (vgl. ebd., 126). Das Dispositiv besteht aus: „Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden“ (ebd., 123). Ein weiteres Beispiel ist die Erkenntnis, das Wissen bzw. die Wissenschaft als strategisches Dispositiv gesehen werden kann. Es geht darum mit Hilfe ihrer herauszufiltern, was in der Wissenschaftlichkeit akzeptabel sein könnte. Sie ist demnach ein Dispositiv, das „das wissenschaftlich Qualifizierbare vom Nicht-Qualifizierbaren“ unterscheiden kann (ebd., 124).

Die vorher erwähnten Strategien können auch ohne Subjekt verstanden werden. Als Beispiel gibt Foucault Arbeiter_Innen in der Zeit der ersten Schwerindustriezentren (also um 1830) an, die mittels dieser Strategien, möglichst lange am Arbeitsplatz bzw. unmittelbar um ihn herum gehalten werden konnten (vgl. Foucault 1978, 132). In Mulhouse oder im Norden Frankreichs übte man „Druck auf die Leute aus, sich zu verheiraten, man stellte Wohnungen zur Verfügung, baute Arbeitersiedlungen, man praktizierte jenes hinterhältige System der Verschuldung, von dem Marx spricht, und das darin besteht, die Miete im Voraus zu kassieren, während der Lohn erst am Ende des Monats ausgezahlt wird“ (ebd.). Langsam bildet sich um all dem herum ein „Diskurs der Moralisierung der Arbeiterklasse“, wo nicht mehr zuzuordnen ist, wer ihn entworfen hat (ebd., 133).

6.1 Die soziale Klasse

Das eine Klasse zur Herrschenden wird und diese Herrschaft sich verewigt, unterliegt einer Reihe von durchdachten, wirksamen Taktiken, die mittels diverser Strategien funktionieren und die Herrschaft durch diese sicherstellen (vgl. ebd., 133f). Konkret bedeutet das, „daß die Strategie der Moralisierung der Arbeiterklasse eine Strategie der Bourgeoisie ist“ (Foucault 1978, 134). Nicht jedoch, dass die bürgerliche Klasse Strategien erfunden hätte, um die Moralisierung der Arbeiterklasse zu sichern. Hinter der Antwort auf vagabundierende Arbeiter_Innen, steht jedoch kein Subjekt, dem die Gesetzgebung innewohnt, sondern eine breitgefächerte Strategie (vgl. ebd., 134f).

Jäger beschreibt das Dispositiv als ein „Zusammenspiel diskursiver Praxen (=Sprechen und Denken auf der Grundlage von Wissen), nichtdiskursiver Praxen (=Handeln auf der Grundlage von Wissen) und 'Sichtbarkeiten' bzw. 'Vergegenständlichungen' (von Wissen durch Handeln/Tätigkeit)“ (Jäger 2001, 82).

16 In den vorherigen Kapitel wurden Arbeiten Diaz-Bones, Bourdieus, Foucaults und Jägers hinzugezogen, um die theoretische Rahmung zu geben. Die Funktionsprinzipien der Disziplin, des Diskurses und des Dispositivs dienen als Hintergrundwissen für die nun folgenden Felder, die dem Künstler- beziehungsweise dem Musikerdiskurs innewohnen und diesen auch mitformen.

7 Kunstwelten

In den Kunstwelten werden Kunstschaffende mit einer gewissen Genialität assoziiert, die sie erst zu Künstler werden lässt. Demnach ist ihr Status abhängig von diesen Welten (vgl. Diaz- Bone 2010, 144). Deutlich wird dies im besonderen Falle Duchamps: er signierte Gegenstände (Kamm, Flaschentrockner, etc.) und stellte diese aus. Er bediente sich dabei der Objekt- Kunstwelt Relation, wodurch das Objekt in der Kunstwelt an Status gewinnt. Auch, wenn Duchamp offen zugab diese Absicht nicht zu verfolgen, so ist es dennoch ein kollektiver Definitionsprozess, der im Institutionalismus „Kunst“ sichtbar wird (ebd.). Diaz-Bone fasst dies treffend zusammen: „Die Tätigkeit desjenigen, der in der Kunstwelt als eigentlicher ‚Künstler‘ gilt, erscheint nun in der Kunstwelt als die ‚künstlerische Tätigkeit‘, die dem Werk den Kunststatus verleiht“ (ebd.). Die Kunstwelt hat demnach eigenen Charakter, doch wer ist ihr zugehörig? Becker zeigt, dass alle, die durch ihre Arbeitsteilung am Kunstschaffen beteiligt sind, Teil der Kunstwelt sind. Also Galeristen, Museumsdirektoren, Kritiker oder auch Handwerker, die Vorprodukte erstellen und an der Herstellung ästhetischer Standards beteiligt sind (Diaz-Bone 2010, 144). 1

7.1 Konventionen

Einleitend gibt Becker ein Beispiel, um musikalische Tonfolgen von ihrer vermeintlichen Autonomie zu befreien. Er stellt dem/der Leser_In die Frage, welche Note einer selbst ausgedachten Melodie als Nächstes kommt, wenn die Erste ein C ist. Nach Aufführen diverser Möglichkeiten, verrät er schließlich die zweite Note: D. Nun beginnt das Spiel von Vorne und man sollte die dritte Note erraten. Die Tatsache, dass E, also genau die dritte weiße Taste der Klaviatur, sehr wahrscheinlich ist, zeigt die soziale Organisation der Kunstwelten auf (vgl.

1Hier wurde bewusst der maskuline Plural verwendet, da Frauen immer noch ungleich behandelt werden, in Hinblick auf die künstlerische Genialität. Die Kritik an vorwiegend männlichen Gatekeeperpositionen wird in dem Kapitel 8 diskutiert. 17 Becker 2008, 40ff). Durch Erkennen eines Musters sind wir in der Lage, die dritte Note zu erraten. Der Autor weist darauf hin, dass jede Kunstwelt Konventionen besitzt. Sei es Geschlechterrollen im Tanz, die Spieldauer eines Films, die Struktur eines Gedichts, die häufige Annahme des traurigen Charakters von Moll-Akkorden bzw. den fröhlichen Charakter von Dur-Akkorden oder rhythmische Muster, um etwas als lateinamerikanisch zu definieren (vgl. ebd.). Demnach sind Konventionen in der Kunstwelt sozialer Natur.

7.2 Das Publikum

Diese erkenntlichen Muster beziehungsweise diese Konventionen erlauben es Menschen mit weniger Wissen über Kunst, auch Teil eines Publikum zu sein und an der Kunst zu partizipieren. „Knowledge of these conventions defines the outer perimeter of an art world, indicating potential audience members, of whom no special knowledge can be expected“ (Becker 2008, 46). Andere Konventionen jedoch sind nur für Menschen erkennbar, die sich in der Kunstwelt stärker bewegen und dementsprechend mehr Erfahrungen mit den Arbeiten und Genres haben (vgl. Becker 2008, 47). Menschen, die sich oft in dieser Materie bewegen, haben demnach mehr Bewusstsein welche konventionellen Bezeichnungen in einem Bereich vorliegen. Diese Menschen beschreibt Becker im Bereich der Musik als „serious listener“ bzw. „serious and experienced audience members“ (Becker 2008, 48). Wenig stark involvierte Publika hingegen legen ihr Augenmerk mehr auf konventionell, formale Elemente, um Kunst von Nichtkunst zu unterscheiden (vgl. ebd., 50). Zusammenfassend unterscheidet Becker also drei Gruppen von Publika: a) gut sozialisierte Menschen, die nur wenig bis keinen Umgang in und mit der Kunstwelt haben und als Publikumsmitglieder fungieren. b) „Serious and experienced audience members“, die im Stande sind emotional und kognitiv auf die Manipulation bestimmter Elemente zu reagieren (48 ff.). c) Die Gruppe, die noch nicht angesprochen wurde: Studierende der Künste, die somit im kollegialen Verhältnis stehen (vgl. Becker 2008, 52). Diese Gruppe überlappt sich auch mit den „serious audience members“ (ebd., 54). Laut Becker ist sie in der Kunstwelt die entgegenkommendste Gruppe, da sie äußerst tolerant und verzeihend ist. Zudem verortet sie sich zwischen den Künstler_Innen und den Konsument_Innen und ist in der Lage auf Werke mit einem größeren Verständnis zu antworten.

18 7.3 Standardisierungen in der Kunst

Den Standardisierungen spricht Becker große Relevanz zu, da sie ein geordnetes Handeln innerhalb von Kunstschaffenden strukturieren und ein Zusammenarbeiten möglich machen: „Many of the production conventions which make cooperation possible are simple forms of standardization which exemplify the philosophical notion of convention analysed by David K. Lewis (1969)“ (Becker 2008, 55). Kommt es jedoch zu einem Problem, so wird auf vergangene Lösungen verwiesen, da sich diese bereits etabliert haben (vgl. ebd., 56). Becker bezieht sich nochmals auf Lewis: „The means everyone adopted to solve the problem of coordination is what Lewis means by a ‚convention,‘ and it aptly describes those standardized means of doing things characteristics of all the arts“ (ebd.). Konkret macht Becker dies am Beispiel von 440 Hz (Kammerton) als Bezugspunkt für das Stimmen der Instrumente fest oder das Benennen von A anstatt Z (vgl. ebd.). Auch die Länge eines Popsongs in der Zeit von 1900–1950 folgte einem gewissen Muster: Der Song dauerte 32 Takte, wurde in jeweils acht Takten gesplittet und folgte dem Muster A-A-B-A, beinhaltete also ca. zwei bis drei Refrains (vgl. ebd., 57). Becker beschreibt eine interessante Auswirkung der Standardisierung: „the number of choruses reflected what could be contained on the standard ten-inch seventy-eight-rpm record [rpm = Rounds Per Minute Anm. L.S.]“ (Becker 2008, 58). Die Standardisierung beginnt bereits in jungen Jahren. Zu sehen ist dies an jungen Jazz-Musiker_Innen, die sich beispielsweise einer acht taktigen Bridge in der Mitte eine Jazzstandards bewusst sind (vgl. ebd., 60). Becker betont, wie wichtig es ist, sich auf diese Standardisierungen in der Kunstwelt zu berufen, da Kunst sonst unmöglich wäre (vgl. ebd., 63). Das Hervorbringen von Standardisierungen und Konventionen, beschreibt der Autor wie folgt: „Artists usually develop their own innovative materials over a period of time, creating a body of convention peculiar to their own work“ (Becker 2008, 64). Demnach lädt uns eine künstlerische Arbeit in eine Welt ein, die anfangs womöglich nicht ganz verständlich ist, da sie Materialien benutzt, die bisher nicht bekannt sind. „Audiences learn unfamiliar conventions by experiencing them, by interacting with the work and, frequently, with other people in relation to the work“ (ebd.). Das Publikum lernt durch Erfahrung oder Interaktion unbekannte Konventionen kennen bzw. ein Element in einer Vielzahl von Kontexten. Der/Die Künstler_In selbst lehrt ihnen, wie ein neues Element gesehen werden kann, was es tun kann und wie es erfahren werden kann (vgl. ebd.). Ein Kunstwerk hat, laut Becker, die Fähigkeit, dem Publikum etwas Neues zu zeigen: ein neues Symbol, eine neue Form oder eine neue Art der Präsentation. Deutlich wird dies am Beispiel Debussys, der seinen Publika neue Arten der Harmonie lehrte. In diesem Prozess wissen die Publika auch, wie sie

19 auf die bekannten Konventionen antworten sollen (vgl. ebd., 66). Becker fasst zusammen: verschiedene (Sub-)Gruppen teilen ein Wissen über Konventionen, das sie sich auf verschiedene Weisen angeeignet haben. Sie haben die Möglichkeit mittels dieses Wissen in dem kooperativen Netz zusammen zu handeln, diese Welt erst zu ermöglichen und ihre Existenz zu charakterisieren (vgl. Becker 2008, 67).

In Kunstwelten ziehen sowohl Akteur_Innen als auch der kollektive Definitionsprozess im Institutionalismus die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Doch auch diskursive Prozesse sind zentral für ästhetische Bewertungen (vgl. Diaz-Bone 2010, 146). „Kunstwelten sind Interpretationswelten, in denen Objekte und Praktiken als ‚Kunst‘ interpretiert werden können. In diesem Moment entsteht ihre besondere Qualität und Existenz als ‚Kunstwerk‘“ (Diaz-Bone 2010, 146). Akteure_Innen der Kunstwelten sind der Ausbildung von (institutionalisierten) Ästhetiken und dementsprechenden Diskurspositionen ausgesetzt, die sie auch immer wieder reproduzieren. Durch Ästhetisierung mittels Interpretationen haben sie die Fähigkeit Kunstwerken den Kunststatus zu verleihen (vgl. ebd.). Becker zeigt auch, dass die Äshtetiker_Innen (Kritiker_Innen, Philosoph_Innen, Kulturwissenschaftler_Innen, etc.) Einfluss auf die Definition von Kunst ausüben. Mit dieser sichern sie die Anerkennung durch die Kunstwelt und wirken auf weitere Arbeiten der Künstler_Innen ein (vgl. ebd.).

„Der kollektive ästhetische Diskurs der Kunstwelten ist mehr als die Bewertung, Klassifikation der künstlerischen Objekte und Praktiken. Der Diskurs legitimiert in der Kunstwelt die Existenz des Kunstwerks und liefert seine ‚Begründung‘ (rationale) [Herv. i. Org.]“ (Becker 1982, 4/13 zit. n. Diaz-Bone 2010, 148). Der Prozess des Kunstschaffens gleicht einem Diskurs. Aufgrund der in der Kunstwelt geltenden Regeln, ist er in der Lage, Objekten und Praktiken den Status „Kunst“ zu verleihen (Diaz-Bone 2010, 149).

7.4 Die Helfer in den Kunstwelten

Cranes‘ (1992a, 1992b) Begriff der Kulturwelten kann gewisse Positionierungen in den vorher beschriebenen Kunstwelten sichtbar machen. Sieht man Kunstwelten als besondere Fälle von sozialen Welten an, so ist womöglich der Begriff der Kulturwelten treffender (vgl. Diaz-Bone 2010, 149). Folgende Bestandteile liegen Kulturwelten zu Grunde: a) Kulturschaffende und deren Unterstützer; b) Konventionen und Standards; c) Personen in „Gatekeeper“ Positionen, wie beispielsweise Kritiker, Kuratoren und DJs; d) Organisationen (Museen, Kunstgalerien,

20 Theater und Clubs, aber auch Verlage und Magazine); e) zuletzt auch die Publika, die entscheidend sind, welche (kulturelle) Produkte gezeigt, aufgeführt oder verkauft werden sollen bzw. können (vgl. Diaz-Bone 2010, 149). Neben den anerkannten Künsten, treffen auch populäre Kulturformen oder Sport auf die Theorie der Kulturwelten nach Crane zu. „Aber auch besondere Gegenstände, besondere Konsumgüter wie die Mode (insbesondere die Haute Couture), hochwertige Automobile, teure Uhren, erlesene Weine und ähnliche ‚kultivierbare‘ Objekte sind eingebettet in eine sie umgebende Kulturwelt.“ Sie „werden in Diskursen auf ästhetische Kategorien bezogen, erhalten einen kollektiv anerkannten Wert, werden in eine Art Genrewissen einbezogen, werden von Sammlern gesammelt“ (Diaz-Bone 2010, 150).

21 8 Die Geschlechterdebatte in der Kunst

Dieses Kapitel ist für diese Arbeit besonders interessant, da die Frage, wie sich ein Künstlerdiskurs zusammensetzt, meines Erachtens nach nicht ohne den Verweis auf das Geschlecht beantwortet werden kann.

Die Malerin Hilma af Klingt (1862-1944) ist ein deutliches Beispiel für die Unterpräsentierung von Frauen in der Kunstwelt. Annika Öhrner zeigt in ihrer Rezension, dass die Werke der Schwedin im New Yorker Guggenheim Museum ausgestellt wurden und sie sich in diesem Kanon etablieren konnte bzw. aufgenommen wurde. Öhrner verweist auf die Kunsthistorikerin Åke Fant, die als erste die Werke der schwedischen Malerin untersuchte. Sie fand heraus, dass af Klingt Pionierarbeit im Bereich der abstrakten Kunst leistete, noch bevor dies berühmte Persönlichkeiten, wie Malevich, Mondrian und Kandinsky taten (vgl. Öhrner 2019, 46).

Auch Linda Nochlin verweist auf die weibliche Positionierung in der Kunstgeschichte und stellte sich 1971 die Frage: „Why have there been no great women artists?“ (Nochlin 1971, zit. n. Hassler 2017, 49). Sie analysierte in ihrem Buch, die gesellschaftlichen und institutionellen Verwaltungsapparate, die wesentlichen Beitrag zur Minderung der weiblichen Kunst leisteten (ebd.). In ihrem Essay spricht sie über den Erfolg von Frauen in Kunstwelten. Sie verweist darauf, dass ein Großteil der Frauen einen Künstler als Vater hatten oder in enger Verbindung mit männlichen Persönlichkeiten standen (vgl. Nochlin 1988, 168f.).

Auch Gabriele Klein zeigt auf, dass Künstlerinnen immer noch ungleich behandelt werden (vgl. Klein 2019, 1364). Nordamerikanische und europäische Studien zeigen, dass Frauen keinesfalls gleichgestellt sind. Vielmehr setzt sich das patriarchale Bild des Kunstgenies durch. Dies zeigt sich in Berufspositionen, Einkommen und Ansehen (vgl. ebd.). Die Machtpositionen in der Kunst werden grundsätzlich von Männern besetzt, wie beispielsweise Museumsdirektoren, Theaterintendanten, Kunstkritiker oder Chefredakteure von Kunstmagazinen. Durch diesen Fakt lässt sich von einer Marginalisierung von Frauen sprechen (vgl. Klein 2019, 1360). Bis heute sieht man sowohl einen quantitativen als auch einen qualitativen Unterschied. Männer sind in der Kunstwelt quantitativ überrepräsentiert und auch deren Kunst wird qualitativ höher bewertet. Klein betrachtet Theorien, die eine vorherrschende Rolle im Kunstdiskurs besitzen, äußerst kritisch, da sie hauptsächlich von Männern verfasst wurden. Sie gibt als Beispiele Theodor W. Adorno, Norbert Elias, Pierre Bourdieu oder Jacques Rancière an. „Ihre Arbeiten

22 beziehen sich entsprechend implizit und explizit auf die Kunst von Männern oder gendertheoretisch unreflektiert auf ‚die Kunst‘“ (Klein 2019, 1362).

Für diese Arbeit wird bewusst die männliche Form beibehalten, um gleichzeitig auch darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen in diesem Feld unterrepräsentiert sind und hier der hegemoniale Männerdiskurs, also ein Musikerdiskurs, thematisiert wird. Künstlerische Strategien und Ästhetiken, die Frauen einst dazu dienten sich von diesem hegemonialen Männerdiskurs zu befreien, werden „in den Kontext der Medien- und Kulturindustrie überführt und hier von Künstlerinnen wie Madonna, Lady Gaga oder Beyoncé im Kontext des Pop ästhetisch aufbereitet und vermarket“ (Klein 2019, 1365).

Pierre Bourdieu macht auch auf diese männliche Herrschaft aufmerksam: „Ich glaube, dass nichts den Machtverhältnissen im künstlerischen und literarischen Feld mehr ähnelt, als das Verhältnis der Geschlechter: ein Verhältnis, das von symbolischer Herrschaft gekennzeichnet ist“ (vgl. Bourdieu in Bourdieu/Graw, 1996 zit. n. Hassler 2017, 69). Er begreift das Geschlechterverhältnis sowohl als Relationsprinzip als „auch als ein Herrschafts- und Differenzierungsprinzip, das in die reproduktiven Prozesse der Gesellschaftsordnung ein- gelassen ist“ (Hassler 2017, 72).

23 9 Genrekonstruktion

Genres werden durch die Organisation von (nicht-)diskursiven Prozessen in einer Kulturwelt gebildet (vgl. Diaz-Bone 2010, 159). In Diskursen werden sie als kollektive Wissensstrukturen sichtbar. Rainer Diaz-Bone verweist auf die Komplexität des Genrebegriffes hin, wobei eine einfache Art der Relation als entscheidend gesehen werden kann: die Relation von makrosoziologischen und mikrosoziologischen Prozessen (vgl. ebd.). Arbeitet man sich weiter in die Materie vor, so lässt sich – laut Genretheorien – zwischen drei Klassifikationsdimensionen unterscheiden: „der (literarischen) Form, dem thematischen Gegenstand und dem Publikum“ (ebd., 160). Genres sind jedoch kein monolithischer Block und lassen sich leicht voneinander abgrenzen, sondern „sind unscharfe Gebilde, deren Unschärfe zurückzuführen ist auf die Unschärfe der diskursiven und nicht-diskursiven Prozesse, die der Genrebildung selbst unterliegen“ (ebd.). Die Definition eines Genres ist sowohl diskursiv als auch immer unterschiedlich ausdifferenziert, weshalb man sich der Ernennung von Subgenres bedient (vgl. ebd.). Diaz-Bone bezieht sich auf DiMaggio, der einen sozialstrukturellen Ansatz in der Genredifferenzierung verfolgt: „Genres werden definiert als Sets kultureller Objekte, die von sozialen Gruppen als ähnliche wahrgenommen werden“ (ebd.). Die Kultursoziologie beschäftigt sich mit der Frage, wie Genres mittels der „artistic classification systems (ACSs), hervorgebracht werden“ (DiMaggio 1987, 441 zit. n. Diaz-Bone 2010, 160). DiMaggio sieht einen Zusammenhang zwischen der soziokognitiven Komponente der Genre-Generierung und der „institutionellen Organisation der Herstellung, Distribution und Konsumption / Rezeption von kulturellen Objekten“ (ebd.). DiMaggio fasst zusammen: Die ACSs spiegeln sowohl die Geschmacksstrukturen einer Population als auch die Produktion und Verbreitung kultureller Güter wider. Laut eines makrosoziologischen Ansatzes wird also die Geschmacksstruktur sowie die Genre-Klassifikationen institutionell vermittelt (vgl. ebd., 161). Doch wie gelingt diese Vermittlung (ebd.); also wie werden bestimmte Genres geschätzt und rezipiert? Auf Basis dieser Frage ist der deutsche Soziologe Diaz-Bone der Meinung, dass die Theorie durch „eine ‚Werttheorie‘ der Genres“ erweitert werden soll (ebd.).

Cranes hingegen verfolgt eine mikrosoziologische Perspektive auf die Kulturwelt und äußert sich hierzu mit zwei beachtenswerten Punkten: Erstens integriert die mikrosoziologische Perspektive „Techniken, soziale Rollen in der Kunstschaffung, besondere Qualitäten u.a., die im Diskurs als Genrewissen hervorgebracht und in Beziehung gesetzt werden“ (Diaz-Bone

24 2010, 161). Zweitens unterscheidet diese Art der Perspektive zwei Konventionen: stilistische und evaluative Konventionen.

Auch Negus hat sich mit Strukturen der Musikindustrie beschäftigt und gezeigt „,dass Genres als soziale Wissens- und Handlungsprogramme in Kulturwelten die Unternehmen der Musikindustrie (wie Schallplattenfirmen, Werbeagenturen, usw.) einbetten [Herv. i. Org.]“ (Negus 1998 zit. n. Diaz-Bone 2010, 162). Demnach beeinflussen Genres Budgeteinteilungen oder Märkte. Negus spricht von einer wechselseitigen „Beeinflussung von Genres und Kulturindustrie“ (ebd.). Die Wechselseitigkeit wird in Gatekeeper-Positionen, die wesentlich bei der Konstruktion von Genregrenzen beteiligt sind, deutlich, da sie entscheiden, was in einer Kulturwelt den Status „Kunst“ bzw. „Kultur“ verliehen bekommt. Dies beeinflusst demnach die Qualität der „Authentizität“ (vgl. Diaz-Bone 2010,162).

Fasst man dieses Kapitel zusammen so zeigt sich einerseits, dass makrosoziologische Ansätze für die Entstehung des Genrewissen hinzugezogen werden, welche besagen, dass Genres institutionell vermittelt werden, andererseits beruft man sich auf mikrosoziologische Ansätze, die besagen, dass Techniken oder soziale Rollen, als Genrewissen im Diskurs hervor gebracht werden.

25 10 Die Autonomie

Nach Kapiteln über Konventionen, Standardisierungen in Kunstwelten und Strukturen, die sich als relevant für Genres erweisen, stellt sich die Frage, wie groß der Handlungsspielraum der Autonomie insgesamt ist und wie sich dieser Begriff strukturiert.

10.1 Das autonome Kunstwerk

Wolfgang Fuhrman bezieht sich auf Hanns-Werner Heisters, welcher das Konzert als einzigen „Realisierungsort autonomer Musik“ definiert (Heisters 1983 zit. n. Fuhrmann 2018, 139). Für ihn ist das Konzert als eigenständiges Kunstwerk eine Versinnbildlichung des Autonomiegedankens. Auch die Musikwissenschaft erachtet das Konzert als wichtigen Einfluss mit direktem Bezug auf den Autonomiegedanken (vgl. Fuhrmann 2018, 139). Kunst als autonomen Gegenstand zu identifizieren macht in Anbetracht der Verfolgung ihrer eigenen Gesetze insofern Sinn. Aus diesem Grund ist es auch so interessant sie als „Gegenstand eigenen Rechts zu untersuchen, ihre Geschichte zu erforschen und ihre Ästhetik darzulegen“ (ebd., 139). Die Tatsache Musik als autonom zu beschreiben birgt jedoch einige Widersprüche mit sich, da auch keine Eindeutigkeit darüber besteht, ob es sich um ein deskriptives oder präskriptives Verständnis handelt (vgl. ebd., 140). Durchdenkt man die Idee hinter dem Autonomiebegriff, ist diese im 19. und 20. Jahrhundert besonders zu hinterfragen, denn sowohl der Musik- und Kunstmarkt als auch die Kunst per se waren politisch beziehungsweise religiös motiviert. Richtet man den Fokus auf das Hauptkriterium von Kunst, nämlich der Selbstgesetzgebung, so wird die Frage aufgeworfen, wo dieser Begriff überhaupt Anwendung findet. Hierzu definiert Fuhrmann allein den jüdisch-christlichen Schöpfer als autonom, da er keinen Gesetzen unterliegt. Der Mensch als soziales Wesen kann – genau ausgehend von dieser Tatsache – kein vollkommen autonomes Wesen sein. Auch die Musik gibt sich nicht selbst ihre Gesetze, da diese durch soziale Übereinkunft entstehen. Auch die intern-musikalischen Gesetze, wie die westlich-europäisch neuzeitliche Kunst mit ihrer Harmonielehre zeigt, lassen den Autonomiebegriff vager erscheinen (vgl. ebd.).

Fuhrmann unterscheidet drei Arten von Autonomie: Die Autonomie als soziales, als ästhetisches oder als medienontologisches Postulat. Erstere versteht sich als eine, die um ihrer selbst willen in eigens dafür vorgesehenen Institutionen betrieben werden muss (Fuhrmann 2019, 144). Zweitere sieht vor sich durch ihre eigene Einheit selbst zu rechtfertigen.

26 Künstlerische Autonomie muss sich durch Herstellung von Einheit demnach selbst beweisen. Die dritte Art der Autonomie, die Fuhrmann hervorhebt, ist die Tatsache, dass Autonomie medienontologisch ist und demnach immer auch als eine Art der Kommunikation begriffen werden kann (vgl. ebd., 145).

10.2 Autonomie als soziales Postulat

Seit dem 18. Jahrhundert hat sich die Kunst neu strukturiert. Künstler_Innen sowie deren Musik lösten sich von Bindungen, wie Hof, Kirche oder der städtischen Kommune. „Eigene Institutionen (Konzerthäuser, Museen, Galerien, Verlage, Theater ...) und Diskurse (die im selben historischen Prozess entstehende Ästhetik und Kritik der Kunst) etablierten sich“ (Fuhrmann 2019, 146). Zwar gibt es Unterschiede in der Beschreibung von sozialer Autonomie zwischen Künstler_Innen, Kunst, Kunstsparten oder dem einzelnen Kunstwerk, doch Fuhrmann zeigt, dass diese Bereiche systematisch miteinander zusammenhängen (ebd.).

10.3 Autonomie als ästhetisches Postulat

Kunst, die nicht auf einer Funktionalität beruht, kann diesen Halt von außen „durch eine umso rigidere Konstruktion von innen heraus“ ersetzen (Fuhrmann 2019, 148). Damit ist gemeint, dass der/die Künstler_In selbst dem Kunstwerk einen inneren Zusammenhang verleiht (ebd.). Aus Sicht dieses ästhetischen Postulats sieht Fuhrmann – neben der Relevanz der Vielfalt und Diversität eines Kunstwerkes – nicht nur die „In-sich-Geschlossenheit des Kunstwerks“, sondern die investierte Arbeit des/der Komponisten_In (Fuhrmann 2019, 151).

10.4 Autonomie als medienontologisches Apriori

Fuhrmann macht darauf aufmerksam, dass es fragwürdig ist, bei bloßer medialer Eigenständigkeit der Kunstformen von Autonomie zu sprechen. Allenfalls lässt sich sagen, dass das Ordnungs- und Regelsystem in der Musik autonom ist, insofern dieses Phänomen nirgendwo sonst zu finden ist. „Musik ist auf dieser basalen Beschreibungsebene tatsächlich autonom“ (ebd., 152). Hierzu gibt Fuhrmann ein Beispiel an und zeigt, dass C-Dur an sich keineswegs antisemitisch, rassistisch oder sexistisch ist. Doch Texte und Kontexte gehören „zu ihrer als lebendige soziale Praxis betriebenen Sachen“ (ebd.).

27 11 Ästhetische Urteile

Georg W. Betram (2018) zeigt auf, dass Kunst in sich nicht gelingt oder misslingt, sondern nur in den Augen der Rezipierenden. Diese tragen eine entscheidende Rolle, da sie das Ästhetische evaluieren, diskutieren und den Anspruch der Kunstwerke miteinbeziehen. Dieser vielfältige Austausch hat normativ-evaluativen Charakter und fließt in den Wettstreit der Kunstwerke mit ein. Dieser Prozess, der in der Interaktion mit Kunstwerken entsteht, beruht auf einer Selbstbestimmung basierenden Reflexion. Beurteilende Aktivitäten, sei es im Privaten in der Kunstkritik oder Blogeinträgen, so Bertram, spielen für den Wettstreit der Kunstwerke eine entscheidende Rolle (vgl. Betram 2018, 192). Diese beurteilenden Aktivitäten bringen normativ-evaluative Äußerungen mit sich, die in Diskussionen von Rezipierenden als auch Produzierenden hervor gebracht werden. Ein Beispiel für eine solche Äußerung der Rezipierenden könnte lauten: „Das Werk überzeugt aufgrund der großen Gegensätze, die es zwischen seinen unterschiedlichen Teilen aufbaut“ (ebd.). Kunst mit seinem umstrittenen Charakter, führt diesen nicht nur im Kunstwerk selbst, sondern auch in Äußerungen weiter (vgl. ebd.). Der Begriff des Geschmacks und die Frage nach dessen Entwicklung, den auch Diaz- Bone kritisch hinterfragt und aus diesem Grund seine Theorie mit denen Bourdieus synthetisiert, geht auf das 17. und 18. Jahrhundert zurück. Auch Kant hat hierzu in „Kritik der Urteilskraft“ eine Analyse des Geschmacksurteils durchgeführt (vgl. ebd., 193). Diese Tradition, also den Geschmack, der stiller Teilhaber in Diskussionen über Kunst ist, als Kriterium zu definieren, wurde von Noël Carroll kritisiert. Er zeigt, dass Evaluation ein wesentliches Element der Kunstkritik ist und darüber hinaus eine objektive Basis besitzt und sich dadurch von einem Begriff des Geschmacks abgrenzt (vgl. Bertram 2018, 193). Die Evaluation setzt sich aus dem Gelungenheitswert „success value [Herv. i. Org.]“ des Kunstwerks, der im Vordergrund steht, und dem Rezeptionswert „recpeption value [Herv. i. Org.]“ zusammen (ebd.). Um dieses Wechselspiel zu verdeutlichen – und hier bleibt Carroll auch bei der Metapher des Spiels – setzt er dieses in Analogie mit einem Baseball- bzw. Fußballspiel. Er stellt sich die Frage, welchen Unterschied es macht, ob ein Publikum anwesend ist oder nicht (also ein Geisterspiel). Keinen. Das Gelingen misst sich nicht an dem Wert des Publikums. Problematisch in dieser Analogie ist jedoch die Herstellung. Ein Kunstwerk ist nicht dort, wo es hergestellt wird – ein Fußballspiel jedoch schon (vgl. Bertram 2018, 194). Stellt man sich ein Orchester vor, das in der Generalprobe ohne Publikum spielt, so liegt der Wert – laut Carroll – in dem was die Musiker_Innen tun (vgl. Bertram 2018, 194). Somit sind sie ihr eigenes Publikum und zugleich auch Rezipierende und Produzierende in einem.

28 Demnach kann man hier nicht von einem Gelingen einer Aufführung sprechen, wenn Rezipierende und Produzierende sich in einer Doppelrolle befinden, da die Unterscheidung hinfällig ist (vgl. Bertram 2018, 195). Bertram zeigt ein besonderes Beispiel auf, das die Doppelrolle verdeutlicht: das Jazzquintett. Die Musiker_Innen müssen wechselseitig aufeinander hören, um dies in der Rolle der Rezipierende wahrzunehmen. Demnach sind sie Produzierende und Rezipierende zugleich.

Im Gegensatz zur Carroll spricht sich Bertram sehr wohl für einen Gelungenheitswert aus, der nicht ohne Abhängigkeit des Rezeptionswert gesehen werden kann (vgl. ebd.). Was mit einem Kunstwerk erreicht wird, hängt unweigerlich mit der Rezeption zusammen. „Kunstwerke sind gelungen, wenn sie Bestimmungen von Praktiken anstoßen. Dies ist in der Improvisation paradigmatischer Weise der Fall“ (Bertram 2018, 196). Die Instrumente beziehen sich somit aufeinander und reagieren in ihrem Spiel zueinander. Dadurch „trägt eine ästhetische Praktik [...] zur Neuaushandlung von Praktiken bei. Das Gelingen von Kunstwerken lässt sich nur unter Rekurs auf ein solches Aushandlungsgeschehen beurteilen“ (ebd.). Daraus resultiert, dass ein Kunstwerk immer die Perspektive der Rezeption miteinbezieht. Carroll schließt den rezeptiven Wert eines Kunstwerkes aus und fasst Evaluation nur sehr verkürzt. Wer ein Kunstwerk kritisiert, hat, laut Bertram, den Zusammenhang von Kunst und menschlicher Praxis im Blick. Die auf ein Kunstwerk bezogene Stellungnahme beurteilt, ob und inwiefern das Werk menschliche Aktivitäten miteinbezieht. Trotzdem stellt sich laut Caroll weiterhin die Frage, ob ästhetische Urteile, als objektiv zu begreifen sind und worauf diese basieren? Ein dem zugrunde liegender Gedanke ist folgender: Wenn man weiß, welcher Gattung bzw. welchem Genre ein Kunstwerk angehört, dann könnte man laut Carroll beurteilen, ob es sein Ziel erreicht hat (vgl. ebd.). Dies wiederrum impliziert, dass Ziele eines Kunstwerks sich durch dieses Muster erschließen lassen – dies jedoch ist nicht zutreffend, da jedes Kunstwerk auch auf sich selbst bezogen ist (vgl. Bertram 2018, 197). Natürlich gibt es Gattungskonventionen, Stilmerkmale, oder Ähnliches, doch setzt sich das Kunstwerk seine Ziele intern selbst und „verhandelt damit auch seine Klassifikation in je eigener Weise“ (ebd.). Als aufschlussreiches Beispiel gibt Bertram hier ein Stillleben an, das auch gesellschaftliche Verhältnisse realisieren kann, oder einen Text, der eigentlich als Bildungsroman gedacht ist und sich jedoch als Novelle liest (vgl. ebd.). Bertram formuliert diesen Prozess treffend: „In dieser Weise entwickeln Kunstwerke alle Klassifikationen immer aufs Neue weiter. Eine Klassifikation, die von mehr oder weniger stabilen Gattungsmerkmalen ausgeht, kann aus diesem Grund nicht die Grundlage dafür abgegeben, die Ziele eines Kunstwerks zu klären“ (ebd.). Kunstwerke und deren Ziele stehen

29 demnach in Zusammenhang mit sich selbst und sonstigen menschlichen Praktiken (vgl. Bertram 2018, 198).

Menke hingegen stellt die Spezifik der Kunst in den Vordergrund (vgl. Bertram 2018, 26). Kunst wird als Anderes den alltäglichen Erfahrungen gegenübergestellt. Durch die Konfrontation mit einem Kunstwerk wird nicht einfach nur eine Erfahrung gemacht, sondern „der Erfahrungsprozess als solcher“ tritt in den Vordergrund (ebd.). Demnach zeichnet sich diese Art von Erfahrungen durch eine gewisse Reibung aus. Normale Alltagserfahrungen hingegen funktionieren reibungslos. Demnach werden Routinen in und durch die Kunst hinterfragt. Auch Adorno vertritt die Meinung, dass Kunstwerke sich der Kommunikation verschließen. Menke führt diesen Gedanken weiter und sieht Kunstwerke als Gegenstände, „die eine von Irritation geprägte Kommunikation initiieren“ (ebd., 27). Menkes eingeführter Begriff der „Kraft“ ist hier aufschlussreich, da der Ausstieg aus alltäglichen Automatismen und die daraus resultierende ästhetische Praxis durch Lebendigkeit, also durch Kraft gekennzeichnet ist. Nicht nur die Bedeutung der Kraft gibt Aufschluss über Menkes Position, sondern auch die des „Nichtkönnens“ (Bertram 2018, 29). Ihm zufolge wird der Bruch der alltäglichen Automatismen durch ein Nichtkönnen hervorgerufen. Hierzu definiert er „eine Praxis des Nichtbeherrschens von Praxis, als eine Praxis des Nichtkönnens. Die Künstler können das Nichtkönnen“ (Menke 2008, 127 zit. n. Bertram 2018, 29). Genau dies meint auch die Ästhetisierung: eine Darstellung in nicht routinierter Art. „Deutlich werde dadurch, dass die Gewohnheiten und Routinen einen falschen Schein von Selbstbestimmung und Bestimmung der Welt produzieren“ (Bertram 2018, 30).

Zwei Thesen sind bei Menke zentral: die Spezifik-These und die Wert-These (vgl. Bertram 2018, 30). Erstere versteht Kunst als Ausstieg der alltäglichen Routinen mit Hilfe des Nichtkönnens. Zweitere spielt auf den Wert des Nichtkönnens per se an. Dieses Nichtkönnen macht menschliche Praxis überhaupt zugänglich, da Kunst die Unbestimmtheit realisiert, „in der alle menschliche Praxis gründet“ (ebd., 31). Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Konfrontation mit Kunstwerken ruft Erfahrungen hervor, sogenannte ästhetische Erfahrungen, die das Subjekt verändern (vgl. ebd., 33).

30 11.1 Was ist Kunst?

Um das Feld zu untersuchen, in der sich auch der Künstlerdiskurs bewegt, halte ich es für sinnvoll die Frage zu stellen, was denn überhaupt Kunst ist, denn schließlich wird der Künstler und Musiker erst mittels Kunst zum Künstler (siehe Kapitel 7).

Zwei interessante Zugänge, die sich mit der Frage, „Was ist Kunst?“ beschäftigen, wurden von Bertram – mit Bezug auf Danto und Menke – beschrieben:

1) Nicht die Spezifik der Kunst gibt Aufschluss darüber, was Kunst ist, sondern der Zusammenhang zwischen Kunst und menschlicher Praxis (vgl. Bertram 2018, 51). Menke sieht Kunst, wie auch Adorno, als metaphysischen Zusammenhang. „Es geht in der Kunst um ein besonderes Sein (in diesem Fall: das Sein des Lebendigen) – um eine Unbestimmtheit, die aller menschlichen Praxis zugrunde liegt. Dieses Sein wird durch Kunst erfahrbar“ (ebd.). Demnach können mit Hilfe der Kunst metaphysische Erfahrungen hervorgerufen werden. Danto hingegen sieht Kunstwerke als verkörperte Sichtweisen, die auf etwas Bedeutsames hinweisen und historisch-kulturell eingebettet sind (vgl. ebd.).

2) Der zweite Zugang fokussiert Praktiken, die von Kunstrezipierenden ausgeführt werden und die es zu bestimmen gilt. Durch das Fokussieren auf solche Praktiken soll gezeigt werden, „worin der Beitrag der Kunst zu sonstigen Praxis liegt“ (Betram 2018, 51). Problematisch hierbei ist Folgendes: Unterscheidet man nur zwischen Kunst und sonstigen menschlichen Praktiken, dann geht die Pluralität der Kunstwerke verloren und diese Definition gebe dahingehend zu wenig Aufschluss darüber, was Kunst eigentlich ist (vgl. ebd. 53).

Unter menschlicher Praxis versteht Bertram eine Traditionsgebundenheit, die dieser innewohnt (vgl. Bertram 2018, 54). Essenspraktiken, Sprachen, etc. des (nicht-)alltäglichen Lebens können als Traditionen bezeichnet werden. Diese Tradition gilt in struktureller Weise auch für die Kunst (vgl. ebd., 55).

11.2 Was ist gelungene Kunst/Musik?

Von Appen zeigt die Problematik auf, die sich über diesen musikphilosophischen Diskurs legt: Das Konzentrieren auf Kunstmusik und dem Außen-vor-Lassen von Volksmusik, Jazz oder

31 Musik nicht-westlicher Kulturen. Das Tragische dabei ist die vermeintliche Vielfalt, die in musikphilosophischen Büchern beschrieben wird, es jedoch ein subtiles Ausschlussverfahren gibt. Dies kann – so von Appen – mit der Sozialisation der Autor_Innen zusammenhängen. Mit dem Ausschluss und der Abwertung „bestimmter Musik als >Trivial-< oder >Unterhaltungsmusik< wird schließlich immer auch das Publikum dieser Musik abgewertet“ (von Appen 2018, 49).

Von Appen bezieht sich auf Wellmer (2009) und zeigt, dass gelungene Kunstwerke mit Bedeutungen spielen. Darüber hinaus provozieren sie „eine Verstehensbemühung, suggerieren dazu Zusammenhänge und Sinnhaftigkeit, lassen sich jedoch nicht widerspruchsfrei und >endgültig< verstehen“ (von Appen 2018, 51). Sie regen zu Interpretationen an, die aber das Objekt nicht in seiner Gänze beschreiben könnten. Unsere Aufmerksamkeit schwankt zwischen Sinnlichkeit, formal-struktureller Sinnkonstruktion und einer Deutung des Weltbezugs. Diese drei Ebenen stehen zueinander in Beziehung, können sich widersprechen oder vereinigen. Kunstwerke sind demnach Prozesse „und immer >in Bewegung< zwischen Sinn und sinnferner Sinnlichkeit“ (ebd.).

Das Hinterfragen des Welt- und Selbstverständnisses kann durch bedeutsame außerästhetische Gehalte, die im Mittelpunkt der Bedeutungen stehen, hervorgerufen werden und dadurch bisherige Grundvorstellungen und Überzeugungen brüchig werden lassen (vgl. ebd.). Darin liegt das Potenzial der Kunst. Für Wellmer sind Kunstwerke nicht gelungen, wenn keine Bedeutungen in Gang gesetzt werden und nur Bekanntes geboten wird oder auch keine Reflexion über außerästhetische Inhalte entsteht (von Appen 2018, 52). In Bezug auf Kunst sind Popsongs nicht auf diese angewiesen, „sie haben ja noch mehr zu bieten“ (ebd.). Der Kunstbegriff in der Popmusik ist allenfalls notwendig, da damit ein Potenzial der Musik beschrieben werden kann. Das Potenzial im Gelingen oder Nichtgelingen der Rezeption, der einer Sinnkonstruktion innewohnt, ist charakteristisch für den Kunstbegriff (vgl. ebd.).

„Wie Wellmer richtig feststellt, zeigt sich der Kunstcharakter im Gelingen einer bestimmten Form der Rezeption, für die das Bemühen zum Zusammenhangsbildung und Sinnkonstruktion typisch ist“ (von Appen 2018, 52). Das Hören eines Stückes als ein Kunstwerk, beschreibt von Appen treffend: „Hat man erst einmal angefangen, Details nachzuspüren, Beziehungen zu suchen, Zusammenhänge zu vermuten, über zugrundeliegende Ideen zu spekulieren; verwirft man dann doch alles wieder, weil einige Puzzleteile einfach nicht passen wollen, und beginnt

32 man wieder von vorn, weil einen das Stück nicht loslässt: dann hört man es als Kunst. Oder frei nach Hindrichs: Man sucht den Geist, dem sich die Formung des Stückes verdankt“ (ebd.). Jede Musik kann mit oder ohne Intention unter Beachtung eines Zeichencharakters und gewissem Weltbezug gehört werden. Die Einschließung des Weltbezugs ist insofern interessant, da Wellmer (2009) nur dann von einem gelungenen Kunstwerk spricht, wenn zwar die interessante Erfahrung im Objekt der Wahrnehmung liegt, doch der eigentliche Ort des Kunstwerks zwischen Subjekt und Objekt liegt (von Appen 2018, 53). Doch von wem wird dieser Mehrwert bestimmt? Von den Rezipient_Innen selbst, dem öffentlichen Diskurs oder der Musikwissenschaft? Eine weitere äußerst interessant Frage, die er sich dabei stellt: „Wie viel Sachverstand ist Voraussetzung, um das Kunst-Prädikat verleihen zu dürfen?“ (ebd.). Der Autor bezieht sich auf Wellmer, der die Komplexität darstellt: Es wäre äußerst problematisch, wenn die Philosophie der Kunst oder irgendeine andere Institution darüber bestimmt, welche Werke der Kunst zuzuordnen sind oder man am Ende nur sagen könnte „anything goes [Herv. i. Org.]“ (Wellmer, 2016 zit. n. ebd.). Auf diese Problematik gibt Wellmer eine beeindruckende Antwort: Über die Tatsache, ein Werk bzw. einen Song als gelungene Kunst zu sehen, muss und darf gestritten werden. Eine allgemeingültige wissenschaftliche Aussage wäre kontraproduktiv, da jede Hörerin und jeder Hörer andere Erfahrungen und Grundkenntnisse mitbringt. Es ist nicht das Ziel öffentlich aus einer Machtposition Urteile zu fällen, wenn es gerade doch der Anspruch ist, andere dabei zu befähigen eigene Bedeutungen, Interpretationen und Zugänge zu finden (vgl. von Appen 2018, 53). Voraussetzung ist eine sensible Wahrnehmung der Kunst, welche wiederum durch eigene Zugänge (Erfahrung oder Ausbildung) ein verfeinertes Aufnehmen ermöglichen (vgl. ebd., 54). Die zweite Voraussetzung Wellmers, um von gelungener Kunst zu sprechen, ist das Vorhandensein relevanter Inhalte. Gelungene Kunstwerke setzen auf existentieller Ebene an, weil außerästhetische Gehalte thematisiert werden und dadurch das „Welt- und Selbstverhältnis der Rezipienten ins Spiel“ gebracht wird (vgl. ebd.). Dieser Prozess kann nur über ästhetische Erfahrung vorgeführt werden, da andere Aussagen darüber nicht in der Lage wären den vollen Gehalt zu beschreiben. Kunstwerke zeigen etwas bzw. führen etwas vor, das uns bewegt. Dies geschieht, wenn uns Augen und Ohren geöffnet werden und sich neue Sichtweisen erschließen, für die uns schlicht die Worte fehlen (vgl. von Appen 2018, 54).

33 12 Historische Skizze der Prominenz

In diesem Kapitel werden nun weniger die Umstände und die Kunstwelten, sondern das Kunstschaffende Subjekt fokussiert, weshalb folgend Begriffe, wie der der Prominenz, des Startums und des Image erläutert werden.

Ursprünglich waren Leistungen das zugrunde liegende Prinzip von Prominenz, welche über einen längeren Zeitraum andauerten. Politische oder religiöse Eliten können hier als Beispiele genannt werden. Der Ursprung der Verehrung von Musiker_Innen jedoch war ein religiös motivierter (vgl. Borgstedt 2008, 18). Beispielsweise lag der Gesang relativ nahe an der Zauberei und zählte bei vielen Völkern als „göttlich-übernatürliche Eingebung, die durch Schamanen, Medizinmänner und Priester kultiviert wurde“ (Salmen 1997, 15ff zit. n. ebd.). Den Musiker_Innen in Tempeln oder Palästen kam ein hohes Ansehen zu, wobei sich die Erfolgreichsten zu dieser Zeit bereits abhoben (vgl. Borgstedt 2008, 18.). Mit der Zeit entwickelten sich die Musiker_Innen zu Berufsmusiker_Innen, da sich Feste zunehmend in den Alltag integrierten. Das Interessante: Ein Rest von Göttlichkeit blieb immer noch vorhanden. Borgstedt verweist auf einen Prozess der Säkularisierungskompensation hin, der als das öffentliche Präsentieren prunkvoller Darstellung und äußert betonter Schönheit des/der Musikers_In interpretiert werden kann und demnach das Göttliche zumindest in der äußeren Darstellungsweise in Erscheinung tritt. Diese Kombination von prachtvoller Visualisierung und gewaltigen Leistungen ließ die Musiker_Innen zu gefeierten Persönlichkeiten werden. Die gefeierten Persönlichkeiten, also die soziale Rangordnung, war abhängig von der Relation zu anderen Berufskolleg_Innen. Aus diesem Grund variierten auch Musikerlöhne. Eine zusätzliche Komponente, die Einfluss auf Ruhm und Reichtum hatte, war das soziale Ansehen der Person, der man aufspielen durfte. Demnach gab es einen Unterschied, ob man für den/die König_In oder den Bauern/die Bäuerin aufspielen durfte (vgl. ebd., 19). Musiker_Innen „wurden also nicht per se verehrt, sondern im Hinblick auf den Dienst, den sie verrichteten, den Beitrag, den sie zur Erhöhung des jeweiligen Dienstherrn bzw. des Herrschers leisteten. Sie waren daher Verkörperung und Schmuck einer höher stehenden Macht, nicht von vornherein eine Repräsentation ihrer selbst “ (ebd.). Die Repräsentation ihrer Selbst und das Verständnis von Prominenz entstand erst im 17. und 18. Jahrhundert. Es baut auf den Vorstellungen von Individualität auf. Soziale Veränderungen und neue Erfahrungen des Selbst begünstigen diesen Prozess (vgl. Borgstedt 2008, 21). Wichtig hierbei zu erwähnen ist es, dass Prominenz als eine Errungenschaft eines ehrenhaften Individuums gesehen wird. Zusätzlich begünstigt die

34 Entstehung des bürgerlichen Konzerts diesen Ablauf, wodurch eine kommerzielle Richtung eingeschlagen wird, die eine zunehmende Trennung von Musiker_Innen und Publikum mit sich bringt (vgl. ebd., 22). Auch eine steigende Spezialisierung und technische Perfektion seitens der Musikschaffenden treiben diesen Trennungsprozess zwischen Musikproduzierenden und Publikum immer weiter voran (vgl. ebd.). Beim Konzertbesuch entsteht ein „Gefühl von scheinbarer Mittätigkeit, das durchaus eine Parallele zum mitvollziehenden Anschauen eines Fußballspiels aufweist, bei dem man sich ebenfalls nicht selbst anstrengen muss, aber später stellvertretend für den Sieger feiern kann“ (ebd.). Dieses Geschehen treibt die affektive Erhöhung von Kunst voran. Das Publikum erscheint zunächst als passiv, wobei es aktiv am Gelingen des Konzerts und damit verbundenen Profit für Veranstalter_In wesentlich beteiligt ist (vgl. ebd., 23). Natürlich waren auch ca. 100 Jahre später – in Zeiten der Industrialisierung – Faktoren verantwortlich, die diesen Prozesse vorantrieben. Man denke hier an Vervielfältigung von Notenblättern, Zeitungen, Fotos, etc. (vgl. ebd., 27). Ab 1950 gewannen Tonträger (besonders Vinyl) immer mehr an Bedeutung und repräsentierten Inhalte auf authentische Weise (vgl. Borgstedt 2008, 45). Der Tonträger selbst wird „damit zum Symbol für den jeweiligen Musiker, Song und Star werden zu einer Einheit musikbezogener Wissens- und Erfahrungsbestände“ (ebd.). Auch Plattenfirmen, Rundfunk oder Musikfernsehen grenzten Musikproduzierende zu anderen Diskursen ab. Auf Seite der Musikkonsumierenden sind es vor allem Jugendliche, die sich sowohl zu Jugendkulturen und Jugendszenen zugehörig fühlen als auch mit dem Konsum von Musik ihre Identität konstruieren können (vgl. ebd.). „Mit Hilfe von Marketing, Promotion und Werbung wird dabei nicht nur Musik selbst, sondern ein umfassendes Lebensgefühl verkauft, indem das auditive Material in vielschichtige Bilderwelten integriert und durch den exponierten Star verkörpert wird“ (ebd., 46). Hier zeigt sich, wie komplex und profitorientiert der Prozess der Stargenese bzw. Starvermittlung ist. Die Entstehung von Marktnischen und Zielgruppen bilden Voraussetzung für gelungenes wirtschaftliches Handeln (ebd.).

35 13 Der Star und das Image

Dieser Teil der Arbeit bildet die theoretische Rahmung für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage. Die Ergebnisse über das Image und dessen Konstruktion der Band werden im Kapitel 17.2.16 näher erläutert.

13.1 Geschichtlicher Umriss der Musiker_Innen

Ein kurzer Blick zur altgriechischen Musik zeigt, dass diese sowohl starken Lebensbezug aufwies als auch direkte Beziehung zur Gottheit hatte (vgl. Scheithauer 1996, 1). Sie war der Grundstein für Kult, diverse Feste, Geselligkeit, Sport, Arbeit oder Kriegsführung (ebd.) Die Wahl des Instrumentes war ausschlaggebender Faktor für das soziale Ansehen (vgl. ebd., 18). Durch die starke Trennung der gesellschaftlichen Schichten, konnte man in der Regel nur in der eigenen sozialen Gruppe aufsteigen und in der Regel nicht von einer niedrigen in eine höhere (vgl. ebd., 20).

Frauen waren unter den Musikschaffenden nur wenige, da sie von Auftritten und der Öffentlichkeit ausgeschlossen wurden und es ihnen nicht erlaubt war daran teilzunehmen. Nur bei privaten Veranstaltungen konnten Frauen ihr Talent zeigen (vgl. Scheithauer 1996, 15). Frauen von freier bzw. vornehmer Herkunft konnten in seltenen Fällen nur in Chören vor Publikum auftreten (vgl. ebd., 18).

13.2 Das Verhältnis von Star und Image

Borgstedt zeigt gleich zu Beginn auf, wie wichtig Massenmedien für die Entstehung der Starsysteme sind und – nach näherer historischer Untersuchung – diese nicht getrennt gedacht werden können (vgl. Borgstedt 2008, 53). Auch eine zentrale Widersprüchlichkeit, die sich erst durch die Massenmedien konstituiert, ist der Dualismus von öffentlicher und privater Person. Dies wiederum bringt eine andere interessante Tatsache mit sich: „ein permanentes Informations-Defizit und ein entsprechendes Kontaktbedürfnis zur ‚wahren‘ Persönlichkeit“, welches durch diesen Dualismus entsteht (ebd.). Über die wahre Persönlichkeit können nur Vermutungen angestellt werden. Borgstedt spricht von der Generierung „einer attraktiven Persönlichkeitskonstruktion, die den tatsächlichen Eigenschaften des Stars nicht widersprechen muss, die geglaubt wird oder nicht, über deren Wahrheitsgehalt jedoch immer nur spekuliert

36 werden kann“ (ebd.). Diese Ambivalenz bzw. dieses Spannungsfeld, das durch Massenmedien vorangetrieben wird, lässt sich unter dem Begriff des Image zusammenfassen und bildet somit ein zentrales Konzept im wissenschaftlichen Diskurs (vgl. ebd.).

Diverse Medien bieten Kurzinformationen über eine/n Interpreten_In, wobei es eine Vielzahl an verschiedenartigen Informationen braucht, um ein ansatzweise ein homogenes Bild entstehen zu lassen (vgl. Borgstedt 2008, 55). Borgstedt nutzt die Metapher des Puzzles, um das Image zu veranschaulichen. Ein Puzzle, bei dem das letzte Teil fehlt. Ein Image besteht aus vielen einzelnen Informationen, die getrennt voneinander nur wenig Sinn ergeben bzw. sich durch ihren großen Interpretationsspielraum auszeichnen. Das fehlende Teil brauchen wir nicht zwingend, da wir auch ohne ihm in der Lage sind, ein Bild zu erschaffen. Diese Metapher soll das Gefühl des Unvollständigen aufzeigen, weshalb man auch jederzeit Ausschau nach dem fehlenden Teil hält. Dies erklärt auch das für Fans typische Sammelverhalten von Informationen. Auch dies hat sich die profitmotivierte Industrie zu Nutzen gemacht und bietet eine Antwort auf Erwartungshaltungen, die zu diesem Erwerb der Produkte führen (vgl. ebd.). Auch ein Konzert kann die Erwartungshaltungen befriedigen, indem durch Eigenpräsenz das Starimage überprüft werden kann (vgl. ebd., 56). Borgstedt zeigt in ihrer Interviewauswertung, „dass das Live-Konzert ein herausragendes Ereignis ist, das häufig einen Wendepunkt in der Imagekonstruktion markiert, indem die Beschreibung Konzerterlebnisses mit wesentlichen Umdeutungen und Ergänzungen zu den Vorstellungen über den Star einher geht, die zur Glorifizierung oder Korrektur des aufgebauten Images beitragen“ (ebd.).

Borgstedt bezieht sich auf Dyer, der bereits 1979 Stars als nicht reale Personen definiert hat, da sie uns hauptsächlich in Form medialer Texte und somit als Image begegnen. Zwar wird über Stars als Personen berichtet, doch sind wir auch immer mit der Konstruktion von Persönlichkeit konfrontiert (vgl. Borgstedt 2008, 57).

Biografie ist „in sich [Herv. i. Org.] narrativ und besteht in der öffentlichen Konstruktion glaubwürdiger Privatheit“ (Dyer 1987, 11 zit. n. Borgstedt 2008, 59). Obwohl sie sich auf das- im-Rampenlicht-Stehen bezieht, will uns eine erzählte Biografie auch immer zugleich hinter die Kulissen, vorbei am Image führen (vgl. ebd.). Neben der Wiederholung zentraler Botschaften, spielen auch soziale Typen und damit einhergehenden narrativen Archetypen eine wichtige Rolle (vgl. Borgstedt 2008, 59). Ein bestimmter sozialer Typ, lässt uns stereotype Vorstellungen über eine mögliche Sozialisation anstellen (vgl. ebd., 60). „Soziale Typen dienen

37 also der narrativen Parallelisierung verschiedener Präsentationsebenen bzw. Image- Komponenten. [...] So gibt es ein klares, schematisches Vorstellungsbild des ‚klassischen Pianisten‘ oder des ‚Popstars‘. [...] Solche sozialen Typen sind die notwendige Bedingung für Wiedererkennung und glaubwürdige Persönlichkeitskonstruktion“ (ebd.).

Eine Staranalyse meint immer auch eine Imageanalyse, da beiden eine Herstellung von Persönlichkeit zugrunde liegt. Imageanalyse ist auch zugleich Textanalyse, da sich – wie vorher bereits erwähnt – ein Image aus verschiedenen Quellen bzw. Puzzleteilen (v.a. aus audiovisuellem Material) zusammensetzt. Borgstedt definiert Musikstars als „individualisierte bzw. idealisierte soziale Typen, die durch musikbezogene Repräsentationssysteme intertextuell erzeugt und in Form medialer Images distribuiert und rezipiert werden“ (Borgstedt 2008, 63). Das Image ist ein polysemer Begriff, der ein mehrdimensionales Netzwerk aus Einzelbotschaften darstellt (vgl. ebd.).

13.3 Das Verhältnis zum Publikum

Die nötigen Puzzleteile, die der Generierung eines Images dienen, sind als Produkt der Verarbeitung durch das Publikum zu verstehen (vgl. Borgstedt 2008, 64). Zwar ist der Begriff des Fans besonders konnotiert, da er meist mit einer bestimmten Kulturform und Altersgruppe, nämlich der Popkultur und der Adoleszenz assoziiert wird, man aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel der Klassik, von Fans sprechen kann. Zwar ist dies eher unüblich, doch nur eine Frage des „Labeling“. Die Autorin stützt sich auf Grossberg (1992) der aufzeigt, dass genau dieses strukturelle Merkmal auch in anderen Kulturformen existent ist (vgl. Borgstedt 2008, 64). „Fantum ist also die Artikulation einer notwendigen Beziehung, die eine erfolgreich Kulturform erst als solche konstituiert und etabliert. Fantum existiert daher zu allen Zeiten als eine spezifische Art und Weise, sich einer Kultur gegenüber zu verhalten“ (Borgstedt 2008, 64).

13.4 Hochkultur vs. Popkultur

Borgstedt verweist auf Fiske, der vermutet, dass das textuelle Wissen in einer Hochkultur eher dem Zelebrieren eines Werkes dient, als es in der Popkultur der Fall ist (vgl. Borgstedt 2008, 65). Auch die Distanz zum/zur Rezipient_In sei in der Hochkultur größer. In einer Popkultur hingegen fungiere das textuelle Wissen als Partizipation und „Empowering“ (ebd.). Zudem

38 kommt den Fans in dieser Kultur einer partizipierendere Bedeutung zu, da sie beispielsweise bei Konzertbesuchen mit ihrer bestimmten Kleidung und spezifischen Verhalten mitbeteiligt sind, „da ein Pop- oder Rockkonzert gerade von der performativen Interaktion zwischen Star und Fan lebt“ (Borgstedt 2008, 65). Populäre Texte sind wie geschaffen für eine Mitnutzung durch Rezipierende, da – durch oft widersprüchliche Inhalte – Fans diese mittels aktiver Bedeutungskonstruktion in kulturelles Kapital umwandeln. Hochkulturelle Texte hingegen sind durch ihre Etablierung meist „relativ geschlossene und zufriedenstellende Produkte, die als perfekte Kreationen einzigartiger Individuen bewertet werden“ (ebd.). Borgstedt ist der Ansicht, dass diese These jedoch noch einer genaueren Prüfung bedarf (vgl. ebd., 66). Von dieser Frage her ableitend lässt sich sagen, dass sich Musiker_Innen verschiedener Genres, durch die Nähe und Distanz zu ihren Fans unterscheiden. Nach Fiske sind Fans der Populärkultur in der Bedeutungskonstruktion aktiver. Dies zeigt auch das „active-audience“ Konzept, das besagt, dass Kultur durch Menschen erzeugt wird, indem die Produkte der Kulturindustrie benutzt werden (Fiske 1987, 1989, 1990, 1992 zit. n. Borgstedt 2008, 66).

Laut Bourdieu und Fiske ist es Berühmtheiten im Bereich der Klassik nicht erlaubt selbstbezogene Bedürfnisse zu befriedigen, da deren „Werke autonom für sich stehen, der Interpret lediglich Ausführender ist und nicht als Repräsentant eines konkreten Wertesystems für den eigenen Lebensentwurf herangezogen“ wird (Borgstedt 2008, 67).

13.5 Eigenschaften des Startums

Sowohl Leistung als auch Bekanntheit können als zwei von vier Aspekten gezählt werden, die Startum bedingen. Sind diese beiden Faktoren in einer Person vereint, kann man von einer prominenten Person sprechen (vgl. Borgstedt 2008, 127). Eine „feste Anhängerschaft“ und eine „faszinierende oder als faszinierend inszenierte und wahrgenommene Persönlichkeit“ bilden die anderen zwei Aspekte (ebd.). Zentral hierbei sind genau diese Hintergründe, die als Resultat verschiedener Diskurse in verschiedenen Kommunikationssystemen wahrgenommen werden können und dynamisches Verhältnis besitzen (vgl. ebd.). Die Dynamik meint eine Verselbstständigung (auch von Images), die auch jederzeit verfestigt werden kann. Nicht zu verwechseln ist die Bekanntheit mit dem Prestige, da diese mehr Zustimmung seitens der Rezipient_Innen fordert (ebd.).

39 1. Leistung und Erfolg

Zwar sind Leistungen Bedingung für Aufmerksamkeit, doch müssen diese auch wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, wie beispielsweise der Wirtschaft, in der Profit als Merkmal für besondere Leistung gilt, mangelt es im Kunstbereich an jenen deutlichen Kriterien (vgl. Borgstedt 2008, 128). Durch eine Vielzahl an Genres und damit unterschiedlich einhergehenden Qualitätskriterien, wird ein übereinstimmendes Verständnis von Leistung erschwert. „Dennoch ist der Aspekt des ‚Herausragens‘ für einen Musiker unabdingbar“ (ebd., 129). Um die Leistung in den Vordergrund zu rücken und ihr einen Platz zu geben, haben fast „alle gesellschaftlichen Bereiche komplexe Systeme der Leistungsprämierung ausgebildet“ (ebd.). Diesen Prozess der Prämierung von Leistung beschreibt Borgstedt als öffentlichkeitswirksam. Besonders im 19. Jahrhundert dienten Auszeichnungen und Wettbewerbe als Ausdifferenzierung, die ein Ranking schafften. Der damit einhergehende und oft verwendete Begriff des Durchbruchs verweist auf den Wert eines/einer Interpret_In (vgl. ebd.). Auch die Verleihung von Auszeichnungen hat sich verselbstständigt. Dies wird durch die „Symbolisierung [Herv. i. Org.] von Leistung“, der eine besonders hohe Aufmerksamkeit geschenkt wird, ersichtlich (ebd.). C. Wright Mills zeigte bereits 1957, dass es nicht entscheidend ist, mit welchem Einsatz jemand eine Disziplin gewinnt, sondern, dass man gewinnt (vgl. Borgstedt 2008, 129). Als Pendant können hierzu Verkaufszahlen genannt werden, die in der Lage sind Prestige zu suggerieren. Leistungen werden demnach erst wahrgenommen, wenn sie als öffentlicher Erfolg in Erscheinung treten (vgl. ebd., 130).

2. Bekanntheit

Bekanntheit spielt für den Star eine zentrale Rolle, denn durch diese wird das ungleiche Verhältnis zwischen Star und Fan erzeugt. Darüber hinaus ist diese Bedingung für Startum im Gegensatz zu Leistung nicht einmalig, sondern permanent (vgl. ebd.). Diese Prominenz ist so tiefgreifend, dass beim Anhören eines Tonträgers der Musiker/ die Musikerin imaginär präsent ist (vgl. Borgstedt 2008, 130). Dies wird durch das Faktum unterstützt, dass Stars das Produkt selbst darstellen, da sie in ihm direkt eingeschrieben sind und die „medial repräsentierte oder aktuell präsente Persönlichkeit Grundlage der entsprechenden Berufsausübung ist“ (vgl. Borgstedt 2008, 131). Bekanntheit ist nicht nur Resultat einer erreichten Leistung, sondern steht in direktem Zusammenhang mit der öffentlichen Wirksamkeit dieser Leistung (vgl. ebd.).

40 3. Feste Anhängerschaft

Ein Star ohne Publikum wäre undenkbar (vgl. ebd., 133). Wurde die Bekanntheit einmal erreicht, so bringt diese ein „Beziehungskapital“ mit sich, das einen weiteren Zugang zu Massenmedien und Publikum ermöglicht (ebd., 132). Mit Hilfe von Massenmedien können Fangemeinden gebildet werden. Rezipierende betrachten deren Medium als verlässliche Quelle für Information, Unterhaltung, etc. und werden an dieses gebunden. Diese Sichtbarkeit von Stars in dem jeweiligen Medium der Rezipierenden übt Einfluss auf die Beziehung zwischen diesen und Stars aus (vgl. Borgstedt 2008, 132f).

4. Image

Dieser Punkt ist wohl der Umfassendste und Zentralste für die Arbeiten Borgstedts. Sie zeigt, dass Stars imaginative Welten generieren, die sich als Schemata verfestigen (vgl. Borgstedt 2008, 133). Diese Muster (Schemata) sind hierarchisch gegliedert. Die Autorin spricht von einem Mehr-Ebenen-Modell, wodurch Stars jeweils eine besondere und eigene Ästhetik repräsentieren „und als Projektionsflächen für professionsinternen Erfolg agieren, den sie an ihren Namen koppeln“ (vgl. ebd., 134). Zudem besitzen jene Schemata ein Distinktionspotenzial. Durch die Einführung neuer Differenzierungen seitens der Stars, können sie sich von anderen Genres oder Stars unterscheiden, wodurch neue Stile und Kategorien gebildet werden können (vgl. ebd.). Demnach sind Stars in integrierende und differenzierende Produktionsprozesse von Kultur miteingebunden. Im differenzierenden Produktionsprozess suggerieren sie Individualität in der Öffentlichkeit. Demnach grenzen sie sich mittels dieser Differenzierung zu anderen Individuen ab. Dieser Individualität liegt eine Exponierung und eine Intimisierung zugrunde. „Ersteres soll die Kultivierung des Herausgehobenen umschreiben, die sich sowohl auf die Betonung außergewöhnlicher Leistungen als auch auf die Beschreibung charismatischer oder provokativer Eigenschaften und Erscheinungsweisen zur Fokussierung des Anders-Sein beziehen kann“ (ebd.). Dadurch wird ein Schein von Außeralltäglichkeit vermittelt. Diese Vermittlung – unter anderem auch von Persönlichkeitsbildern – ist an mediale System gekoppelt. „Persönlichkeit ist also nicht direkt erfahrbar, sondern – wie anhand der Ansätze aus Marketing und Personenwahrnehmung und Medienwissenschaft gezeigt –, stets vermittelt und daher immer Konstruktion“ (ebd.).

41 Für das Image-Konzept ergeben sich drei zentrale Fragen (ebd.):

Was verkörpern Star-Musiker_Innen? Wie verkörpern sie Bedeutungen? Warum verkörpern sie Bedeutungen?

13.6 Definition des Image

Das Image eines Musikers repräsentiert die Gesamtheit der Vorstellungs- und Bewertungsinhalte, die als spezifisches Arrangement von Wertemustern, Persönlichkeitseigenschaften und emotionalen Anmutungen mit einem bestimmten Musiker verknüpft sind. Ein Image besitzt hinsichtlich seiner Grundstruktur stereotypen Charakter im Sinne einer schematisierten Vorstellung bzw. eines vereinfachten, unveränderlichen Bildes einer Person. Gleichzeitig ist es aber ein dynamisch organisiertes, hierarchisches System, das als Effekt kumulativer Botschaften entsteht und sich durch neue Informationen verändern kann. (Borgstedt 2008, 135)

Borgstedt stellt sich die berechtigte Frage, wo sich ein Image konstruiert. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sie als kommunikative Konstrukte betrachtet werden können, die sich sowohl aus Darstellungsmustern des Interpreten/der Interpretin, die mittels Medien verteilen werden, als auch aus den Vorstellungen der Rezipierenden zusammensetzen (vgl. ebd., 136).

Zu unterscheiden sind hierbei:

Primäre Texte: CDs, Bilder, audiovisuelle Darstellungen, performativ-interaktive Angebote. Sekundäre Texte: vor allem im Bereich der Printmedien (Zeitschriftenartikel). Tertiäre Texte: Wissensbestände, Meinungen und Bedeutungszuschreibungen, die das Fremdbild des/der Musikers_In beschreiben. (wobei in tertiären Texten nicht nur ein Image vorhanden ist) (vgl. Borgstedt 2008, 137).

Zwar herrscht der Eindruck, dass sekundäre Texte von der Produktionsseite gesteuert werden könnten, jedoch die „Implementierung der Informationen aber in die Hände der Medien selbst gegeben und damit bereits eine rezeptive Ebene beschritten wird“ (ebd., 136). Demnach üben Medien großen Einfluss auf die Imagekonstruktionen der Rezipierenden aus. Das Bild wird nicht nur von den Rezipient_Innen wahrgenommen, sondern auch weitergeleitet und reproduziert, das sich auch im Verfassen eigener Texte (beispielsweise auf Fanwebseiten) wiederfindet (ebd.).

42 Aufgebaut wird dieses Musiker_Innenbild bzw. Künstler_Innenbild „durch die gezielte Auswahl und Kombination von Symbolen, die sich in unterschiedlichen Gestaltungskategorien innerhalb verschiedener medialer Texte konkretisiert“ (ebd., 136). Als wichtige Kategorien in der Gestaltung des Bildes von Musikschaffenden beschreibt Borgstedt: „die Beschreibung von Musik, professioneller Stil, Interpretation, Bühnenverhalten, das Verhältnis zum Publikum, die Charakterisierung eines Typs, das Privatleben und weitere Themen“ (Borgstedt 2008, 137). Dadurch kann der Star mit seinem individuellen Lebensstil wahrgenommen werden.

Folgt man dem Konzept der Cultural Studies, werden eigene Bedeutungen der aktiven Zuhörerschaft auf das Image projiziert. Demnach kann man hierbei von einem dynamischen Prozess sprechen. Die Einstellungen und Urteile seitens der Rezipient_Innen wirken sich demgegenüber erneut auf die Darstellung in medialen Texten aus.

Die Produktionsseite und die Rezeptionsseite lassen sich nicht eindeutig voneinander trennen, denn es sind lediglich zwei verschiedene Sichtweisen von Images der Musikschaffenden (vgl. ebd.). Zwar spricht Borgstedt von verschiedenen Sichtweisen, eines Images, doch lassen sich auch Gemeinsamkeiten aus Rezeptionsseite und Produktionsseite finden. Diese Gemeinsamkeiten bilden den Kern des Images. Dieser Kern ist ständiger Wiederholung des wesentlichen Images ausgesetzt und gilt als Grundstein „für Wiedererkennung und narrative Weiterentwicklung [...] und Kommunikation damit überhaupt erst ermöglicht“ (vgl. Borgstedt 2008, 138). Der Name eines Stars und die zugeordneten Eigenschaften bilden „Schlüsselreize, die mit einem bestimmten Emotionsschwerpunkt verbunden sind und die Wahrnehmung anderer Komponenten beeinflussen“ (Kroeber-Riehl 2003, 280 zit. n. ebd.). Das Image eines Musikers/einer Musikerin besteht aus einem Werte-Pool, das von jedem/r Rezipient_In individuell aufgefasst wird. Jede/r greift ein unterschiedliches Set an Werten auf und setzt es in eigenen Strukturen in gewissen Kontext.

43 Borgstedt fasst abschließend ihre Thesen zusammen:

1) Images von Starmusiker_Innen sind relational und hierarchisch 2) Images von Starmusiker_Innen sind ambipolar 3) Images von Starmusiker_Innen sind diskursiv

Ad 1): Images bestehen aus inhaltlichen und strukturellen Relationen. Inhaltliche Relationen bezeichnen die semantische Struktur. In dieser Struktur stehen die einzelnen Komponenten in einem speziellen Verhältnis zueinander (vgl. Borgstedt 2008, 139). Einzelne Prozesse, wie beispielsweise die Stereotypenbildung, sind in der Lage diese Verhältnisse zu formieren. Strukturelle Relationen beschreiben das Verhältnis der einzelnen Texte untereinander, welche wiederrum den Gesamteindruck formen (vgl. ebd.). Diese beschriebenen Relationen sind in der Lage im Image eine hierarchische Wissens- und Bewertungsstruktur zu erzeugen. Deutlich wird dies, wenn man den/die Musiker_In als „Meta-Produkt“ beleuchtet, nämlich als Produkt, das sich aus CDs oder Auftritten zusammenfügt (ebd.). Aber zugleich wohnt dem/der Musiker_In auch ein übergeordnetes Image inne, nämlich jenes verschiedener Genres, einer Berufsgruppe oder einer Nation (vgl. ebd., 140).

Ad 2): Dichotomien und Polaritäten sind notwendig für den Erhalt und Herstellung von Popularität. Drei Dichotomien erwähnt Borgstedt hier besonders: a) Das präzise Verhältnis von Gewöhnlichkeit und Außergewöhnlichkeit, denn einerseits führen Stars ein „normales“ Leben, andererseits heben sie sich von der Masse ab und leben außergewöhnlich. Demnach ist ein Star ein (un)erreichbares Objekt der Begierde (vgl. ebd.). b) Die Beziehung von Nähe und Distanz; also zwischen medialer Vermittlung und Wahrnehmung der Rezipient_Innen (vgl. Borgstedt 2008, 141). Gemeint ist hier nicht direkt eine räumliche Distanz, wie sie auf Konzerten beispielsweise deutlich wird, sondern eine durch Massenmedien hergestellte. Technische Hilfsmittel können diese Thematik zusätzlich unterstützen (Kameraperspektiven, Schnitt, Zoom; also eine bewusste Gestaltung von Nähe und Distanz). „Nähe und Distanz, Verheißung und Zurückweisung sind grundlegende Pole im Spannungsfeld zwischen Star und Publikum“ (Thiele 1997, 137 zit. n. Borgstedt 2008, 141). Bewunderung entsteht demnach nicht allein durch umfassende Verfügbarkeit eines Stars, sondern aus Versprechungen und distanziertem Rückzug, wie dies bereits Mills konstatierte: „For the crowd to admire, it [the celebrity, S.B.] must be kept at a distance“ (Mills 1956, 89 zit. n. Borgstedt 2008, 141).

44 Die dritte Dichotomie, die sich auf das Image einer/s Starmusikers_In auswirkt, ist das Spannungsfeld zwischen c) Realität und Fiktion. Dadurch zeichnet sich eine „Unsicherheit bzgl. Vorstellung und Wahrheit in Kombination systematischer und heuristischer Verarbeitungsprozesse ab, indem auf der einen Seite Belege für eine Vorstellung gesucht werden, die sie als real qualifizieren würde (Bottom-Up), und auf der anderen Seite ein verallgemeinernder, idealisierender oder entstellender Gesamteindruck die Wahrnehmung einzelner Informationen einfärbt (Top-Down)“ (Borgstedt 2008, 141). Mediale Techniken unterstützen diesen Eindruck: durch sogenannte „Close-Ups“. Dadurch wird das Gefühl vermittelt, eine Person wirklich zu kennen (ebd.). Nicht außer Acht gelassen werden dürfen hier Methoden, wie Beispielsweise Lichtverhältnisse, die Darstellungsweisen der Stars beeinflussen: hierbei kann es zu einer Überhöhung bzw. Idealisierung bestimmter Eigenschaften kommen, um die Person wie aus einer anderen Welt erscheinen zu lassen (vgl. ebd.).

Ad 3) Wie Ausführungen über das Image bereits nahelegen, besitzen sie diskursiven Charakter (vgl. Borgstedt 2008, 142). Das heißt, dass Images nie komplett abgeschlossen sind, da sie sich ständig in Bewegung befinden. Sie sind Resultat einer Rezeption vorheriger Rezeptionen. Sie sind auch „nicht konkret greifbar, sondern eher als Überschneidungspunkte verschiedener intertextueller, kultureller und semiotischer Prozesse zu fassen“ (ebd.). Einen für diese Arbeit zentralen Punkt stellt das von Borgstedt erwähnte Faktum der Relevanz von Konnotationen dar, denn Starimages bauen auf diese auf. Demnach stellt eine Konnotation kein klares Verhältnis zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem dar. Zwar bedienen sich Medien oder Personen den gleichen Zuschreibungen von Stars, doch ist dies mit dem Konzept der Codes zu erklären. Codes sind „shared frames of reference“, die im Stande sind Zeichen/Zuschreibungen als „Strukturen und Prozesse kulturspezifischer Bedeutungen“ zu deuten (Lowry 1997, 313ff zit. n. Borgstedt 2008, 142). Vereinfacht gesagt meint dies: Schreibt ein Fan dem Star gewisse Eigenschaften zu, ist dies eine Interpretation, die durch Codes beeinflusst wird (vgl. Borgstedt 2008, 142). Codes bestehen demnach aus kollektiven Mustern. Sie sind sozusagen ein Angebot, die Kluft zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem zu verbinden, wobei dieses Angebot nicht endgültig ist und demnach auch Widersprüche entstehen können (vgl. ebd.). Demnach lassen sich vielfältige Bedeutungen zu einer bestimmten Thematik finden. Borgstedt bezieht sich auf Hall und zeigt, dass die Enkodierungsebene und die Dekodierungsebene nicht symmetrisch sein müssen (vgl. ebd.). Daraus ergeben sich vielfältige Bedeutungen durch die Kombination und Verknüpfung von Codes und Zeichen (vgl. Borgstedt 2008, 142f). Die

45 stattfindende Diskursivität gelingt nur, wenn eine Invariantenbildung stattfindet. Allein die Tatsache, dass der Prozess einer Invariantenbildung stattfindet, zeigt, dass es sich hierbei um eine ständige Art der Kommunikation handelt. Demnach sind Images kommunikative Konstrukte. Dass diese diskursive Abfolge in der Lage ist Begriffe hervorzubringen, die einen Eindruck objektiver Zuschreibung erzeugt, ist das Beeindruckende, das dabei entstehen kann. „Entsprechend ist ein Star auch nur der, der als solcher bezeichnet wird. Ein verkaufsförderndes Image besitzt der, dessen attribuierte Eigenschaften und Fähigkeiten als verkaufsfördernd herausgestellt und medial verbreitet werden“ (vgl. Borgstedt 2008, 143). Demzufolge besitzen Medien eine Definitionsmacht.

46 14 Boards of Canada

Nach dem theoretischen Teil dieser Arbeit möchte ich nun gerne näher auf die untersuchte Band eingehen. Um das Image und den damit verbundenen Diskurs zu untersuchen, wird folglich das Duo unter Berücksichtigung auf deren Individualität charakterisiert.

Boards of Canada wurde 1986 von den zwei Brüdern Michael Sandison (* 1. Juni 1970) und Marcus Eoin Sandison (* 21. Juli 1971) gegründet. Das erste , dem die Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit schenkte, war „Music Has The Right To Children“.2 Davor gab es weitere Veröffentlichungen, wie „Twosim“ (1995) oder „“ (1996), die jedoch erst Jahre später an Bekanntheit und Status gewannen.3 Die allererste Kassette „Acid Memories“ (1989) ist sehr rar und war nur für Familie und Freunde des Duos bestimmt. Nicht nur als Boards of Canada, sondern auch unter dem Namen Hell Interface, veröffentlichten die beiden Brüder Musik.4

Im Laufe der Recherche können zwei Ereignisse, die immer wiederkehrend in den Zeitschriften erwähnt und beschrieben werden, als konstitutiv für das Image und die Karriere der Band festgehalten werden: Die Veröffentlichung des „Music Has The Right to Children“ sowie die Bekanntgabe, dass Marcus Eoin und Michael Sandison Brüder sind.

Den ersten Punkt betreffend zeigt das Magazin „Pitchfork“, warum dieses Album in den späten 1990er Jahren großen Erfolg feierte. Bereits in der Einleitung des Artikels wird erwähnt, dass manche Musiker_Innen bestimmte Strategien wählen – so auch Boards of Canada: Das Zeitliche zu vermeiden, um das Zeitlose zu erreichen („Some musicians opt for a similar strategy: Avoiding the timely, they aim to achieve the timeless“).5 In den 90er Jahren war der gängige Stil im Bereich der elektronischen Musik meist digital, äußerst rhythmisch und futuristisch. Das schottische Duo allerdings verzichtete auf diese herkömmliche Art des Klangs. Das Genre bzw. der Stil wird von „Pitchfork“ als verschwommener Sound schmieriger Synthesizerklänge und analog-verfallener Produktion, getragen von Geduld und schlafwandelnden Beats, beschrieben. Dies alles wird zu guter Letzt mit dem Schmerz von

2 https://bocpages.org/wiki/Music_Has_the_Right_to_Children (17.12.2020) 3 vgl. Jockey Slut 2000, 12, S.34 4 https://www.discogs.com/de/artist/3603-Hell-Interface (17.12.2020) 5 https://pitchfork.com/features/article/why-boards-of-canadas-music-has-the-right-to-children-is-the-greatest-psychedelic- album-of-the-90s/ (31.03.2020)

47 Nostalgie abgerundet („a hazy sound of smeared synth-tones and analog-decayed production, carried by patient, sleepwalking beats, and aching with nostalgia“).6

Das zweite einschneidende Ereignis in der Karriere der Band, ist die Erwähnung der Beziehung zueinander. Auch hier wird das Magazin Pitchfork herangezogen.7 In der 2005 erschienen Ausgabe der Special-Interest-Zeitschrift sprechen die beiden Schotten das erste Mal im Interview mit Heiko Hoffmann darüber. Dieses beginnt mit Fragen über die Anfänge des Musik-Machens, wie alt die beiden waren als sie sich kennen gelernt haben, wann sie begonnen haben Musik zu produzieren und, ob ihre Familien musikalisch sind. Nach der letzten Frage bat Michael das Aufnahmegerät auszuschalten. Er fragte Marcus, ob es in Ordnung wäre über das zu sprechen. Dieser willigte ein und Michael erzählte Hoffmann, dass sie eigentlich Brüder sind. Nach kurzer Zeit, erwähnte Michael dies nochmals vor laufendem Aufnahmegerät. Die Geheimhaltung dieses Verwandtschaftsverhältnis wird darin begründet, nicht ständig mit der Band Orbital, die 1987 auch elektronische Musik produzierten, verglichen zu werden, da diese auch Brüder sind. Der bis dahin verwendete Nachname Eoin ist eigentlich Marcus‘ zweiter Vorname.8

14.1 Der Clou von Tomorrow’s Harvest

Für die Promotion eines neuen Albums eröffnete die Band eine Schnitzeljagd. Um herauszufinden, wann die genaue Veröffentlichung des neuen Albums stattfindet, musste ein 36-stelliger Code gefunden werden, den man anschließend auf einer inoffiziellen Webseite der Band eingeben musste. Sowohl Hinweise für Codes als auch den Code selbst, der aus jeweils sechs Sechsergruppen an Zahlen bestand, konnte man in YouTube-Videos, weiteren Webseiten (beispielsweise von Radiostationen), Platten oder Auktionen finden. Laut dem Blog „2020k“ konnten Boards-of-Canada-Fans diese Schnitzeljagd lösen und das Veröffentlichungsdatum herausfinden.9

6 Ebd.

7 https://pitchfork.com/features/interview/6151-boards-of-canada/ (17.12.2020) 8 vgl. ebd. 9https://blog.twenty20k.com/2013/04/20/boards-of-canada-distribute-new-vinyl-releases-out-for-national- records-day/ (12.01.2021) 48 Eine Sechsergruppe des Codes befand sich auf einer Platte, die nur diesen Code in einer verzerrten Stimme abspielte. Diese Platte gilt in der Szene als sehr rar und wertvoll.10

14.2 IDM

Die Abkürzung IDM steht für „Intelligent Dance Music“ und meint das Genre bzw. die dazugehörige Musik, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist bewegen lässt. Eine genaue Definition, was denn das Intelligente in der Musik sei, gibt es nicht. Parry nennt diverse Künstler des Labels -Records, deren Musik für diesen Begriff als angemessen erscheint. Mit in die Diskussion, wird der Begriff der künstlichen Intelligenz-Serie geworfen, deren Kriterium die Künstler_Innen offenbar erfüllen (vgl. Alwakeel 2009, 2). Die „artificial intelligence“ wird durch acht LPs, die zwischen 1992 und 1994 auf Warp Records veröffentlicht wurden, definiert. Klar jedoch ist nicht, wer den Begriff der Intelligenz in die Diskussion gebracht hat. Warp Records‘ Aussage, dass die Musik für den Geist und nicht zum Tanzen sei (vgl. Alwakeel 2009, 2), rechtfertigt nicht den Versuch, der angestellt wurde, um der Musik einen Intellekt zu verleihen. Das Label zeigt, dass der Begriff der (künstlichen) Intelligenz ironischerweise verwendet wurde, um sich von den Aussagen, wie beispielsweise das Fehlen von Menschlichkeit in der Musik, zu distanzieren (vgl. Alwakeel 2009, 2).

Boards of Canada hingegen sprach sich in dem 2005 erschienenen Interview, klar gegen die Bezeichnung einer IDM-Band aus: „We're just a band. Not an IDM band, not an electronic band, and not a dance band.“11

10 https://bocpages.org/wiki/Tomorrow%27s_Harvest_Viral_Marketing_Campaign (12.01.2021) 11 https://pitchfork.com/features/interview/6151-boards-of-canada/ (17.12.2020) 49 14.3 Die Musikindustrie

Über die Musikindustrie zu jener Zeit konnten – aufgrund mangelnder Literatur – nur wenige Informationen gefunden werden. Alwakeel zeigt, dass in der Musikindustrie bestimmte Konventionen erwartet werden (vgl. Alwakeel 2009, 10). Katalognummern beispielsweise geben bereits an, ob es sich um ein Album, eine Single oder ein anderes physische Format handelt. Bestimmte Regeln in der Industrie erlauben es nicht aus dem Raster bzw. diesen Konventionen auszubrechen. Ist eine Single zu lange, eignet sie sich nicht für die Platzierung in den Single-Charts. Das Duo beispielsweise war sich diesen Konventionen bewusst, weshalb sie ihre im Jahr 1999 erschienene EP „EP7“ nannten, um auch auf die Problematik aufmerksam zu machen (vgl. ebd.).

Das Kapitel des IDMs und der Musikindustrie lassen sich auch vereinen, denn Daniel Silver, et al. (2016) fanden heraus, dass die Kategorien der Genres immer mehr an Bedeutung verlieren. Deren Analyse zeigt auch, dass die Bandbreite an Musik aus unterschiedlichen Welten besteht, die unterschiedlich organisiert sind: „uncentered, single-centered, and multi-centered“ (ebd. 1). Auch die Erwartungen an die einzelnen Genres, strukturieren die Musikindustrie. Etwa, wie sich Bandmitglieder treffen, Produzent_Innen gewählt werden oder welche Bands für welchen Anlass gebucht werden, wie Radiostationen darüber entscheiden, was gespielt werden soll, wie über die Neuigkeiten im Musikbusiness berichtet wird und auch wie Fans Musik konsumieren. Zudem zeigen Untersuchungen, dass Genrebezeichnungen und -erwartungen Referenzpunkte sind, die in direktem Zusammenhang mit den Selbstdarstellungen von Musiker_Innen stehen. Andere Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass keine starren Erwartungen an Genres gesetzt werden. Das Multimediaverwaltungsprogramm iTunes erwähnt Genres kaum (vgl. ebd.). Genres haben nämlich die Fähigkeit, über Zeit zu entstehen, sich zu entwickeln und sich zu vermischen.

50 15 Methode

Wie Borgstedt (2008) bereits herausgefunden hat, haben Massenmedien direkten Einfluss auf die Entstehung der Starsysteme (vgl. ebd., 53). Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit der Fokus auf das Medium der Special-Interest-Zeitschrift gelegt. Um den Künstlerdiskurs im Bereich der Musik aufzuschlüsseln und den impliziten Kanon an Regeln deutlicher werden zu lassen, wurde die Diskursanalyse als methodisches Werkzeug verwendet. Hierfür wurde Jäger (2001;2009) herangezogen.

Jäger bezieht sich auf Michel Foucault und verweist auf kritische Fragen, die für eine Diskursanalyse zentral sind: Was ist das jeweilig gültige Wissen? Wie kommt dieses Wissen zustande? Wie wird es weitergegeben? Welche Funktion hat es für die Entstehung von Subjekten? Welche Einflüsse hat dieses Wissen für die gesamte Gesellschaft? (vgl. Jäger 2001, 81).

Eine Diskursanalyse hat den Anspruch das Wissen der Diskurse bzw. Dispositive zu analysieren, sowie die Wechselseitigkeit zwischen Wissen und Macht deutlich werden zu lassen (vgl. ebd.). Eine Diskursanalyse hat den Anspruch das jeweilig Sagbare in einer bestimmten Gesellschaft, zu einer bestimmten Zeit zu erfassen. Auch Verleugnungsstrategien, Strategien, die einer Enttabuisierung oder Relativierung dienen, fallen in das Feld der Diskursanalyse (vgl. ebd., 83 f). Den Begriff des Dispositiv und des Diskurses definiert Jäger wie folgt: „Dispositive kann man sich insofern auch als eine Art ‚Gesamtkunstwerke‘ vorstellen, die – vielfältig miteinander verzahnt und verwoben – ein gesamtgesellschaftliches Dispositiv ausmachen“ (Jäger 2001, 82).

„Diskurs ist ‚ein institutionell verfestigte Redeweise, insofern eine solche Redeweise schon Handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon Macht ausübt‘“ (Link 1983, 60 zit. n. ebd.). Jäger verweist auf Link, der bereits die Bedeutung der Kollektivsymbolik hervorhob, da diese „zur Vernetzung der verschiedenen Diskursstränge beitragt“ (Jäger 2001, 82). Er verweist auf die Machtwirkung der Diskurse: Diskurse dienen bestimmten Zwecken. Diese Zwecke üben aufgrund ihrer Institutionalisierung oder Ankopplung an Handlungen Macht aus. Zusammengehalten werden sie mittels einer Kollektivsymbolik (vgl. ebd., 84). „Kollektivsymbole sind ‘kulturelle Stereotypen (häufig Topoi genannt), die kollektiv tradiert [Herv. i. Org.] und benutzt werden‘“ (Drews/Gerhard/Link 1985, 265 zit. n. ebd.). Das

51 Interessante dabei ist die Generierung von Bildern, die durch diese Kollektivsymbolik entsteht. Medien bedienen sich diesen Bildern, wodurch ein Abbild gesellschaftlicher Realität entsteht (vgl. ebd.). Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass Diskurse gesellschaftliche Wirklichkeit nicht einfach widerspiegeln, sondern Diskurse ein „‘Eigenleben‘“ besitzen, obwohl sie diese gesellschaftliche Realität erst ermöglichen und determinieren (Drews/Gerhard/Link 1985, 265 zit. n. Jäger 2001, 84). Doch nicht nur Diskurse formen die Realität, sondern auch Subjekte im Vollzug (nicht-)diskursiver Handlungen (vgl. ebd., 85).

Jäger stellt sich die berechtigte Frage, wer Diskurse kreiert und welchen Status sie besitzen. Er zeigt, dass sie überindividuell sind; beispielsweise sind Diskurse Resultate geschichtlicher Prozesse. Sie besitzen einen gewissen Mehrwert, der auf ersten Blick nicht erkennbar ist. Um diesen Mehrwert, also das zusätzliche Wissen einer Gesellschaft zu untersuchen, muss man die Entstehungsgeschichte dieses Wissens rekonstruieren. Er zeigt auch, dass der Status, der Diskursen innewohnt, eine große Wirkung besitzt, denn Diskurse üben Macht aus, da sie in der Lage sind Verhalten zu induzieren (vgl. Jäger 2001, 86).

Abschließend fasst Jäger seinen ersten Teil über Diskurse zusammen: „Diskurse üben Macht aus, da sie Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein speist. Dieses zustandekommende Wissen ist die Grundlage für individuelles und kollektives Handeln und die Gestaltung von Wirklichkeit [Herv. i. Org.]“ (Jäger 2001, 87).

Doch wie kann dieses Wissen und die damit verbundene Macht transportiert werden? Jäger greift auf Foucault zurück und zeigt auf, dass das Subjekt das Bindeglied zwischen den Diskursen und der Wirklichkeit ist (vgl. Jäger 2001, 95). Die Rekonstruktion von Wissen, die faktisch immer in Texte resultiert, umfasst auch immer die Form, in der Wissen auftritt, also wie es sich präsentiert, ob dieses Wissen offen zu Tage tritt, ob es sich – etwa in Gestalt von Implikaten – verkleidet oder wie es argumentativ verpackt ist etc. (vgl. Jäger 2001, 108).

Hierzu zwei interessante Beispiele von Jäger, die Diskurse und deren Kollektivsymbolik deutlicher machen:

1) Sternenbilder kann man nur wahrnehmen, weil man gelernt hat sie zu sehen. 2) Ausländer werden von Menschen als Fluten empfunden, die man abwehren muss, da sie derartige Bedeutungen gelernt haben. (vgl. ebd., 94).

52 15.1 Wichtige Begriffe

Die folgenden Begriffe tragen zur einheitlichen Aufschlüsselung und Deutlichkeit der Diskursanalyse bei, weshalb diese nun erläutert werden:

Diskursfragmente können Textteile oder Texte sein, die um eine bestimmte Thematik kreisen bzw. ein bestimmtes Thema behandeln. Mehrere Diskursfragmente bilden einen Diskursstrang (Jäger 2009, 97).

Diskursstränge werden als einheitliche Diskursverläufe verstanden, die der gleichen Thematik zugehören (ebd.). Themen bilden Diskursstränge (Jäger 2009, 159). Diese Diskursstränge wiederrum bestehen aus Diskursfragmenten (vgl. ebd., 160). Zu unterscheiden ist eine synchrone und diachrone Dimension. Ein synchroner Schnitt durch einen Diskursstrang untersucht, was zu einer bestimmten Zeit gesagt wurde, bzw. (nicht) sagbar war/ist (ebd.). Nicht außer Acht zu lassen, ist die Verschränkung von Diskurssträngen, das heißt, die gegenseitige Steuerung und Beeinflussung. Beispielsweise kann eine rassistische Argumentation zugleich auch nationalsozialistischen Argumentationszusammenhängen dienen. Diese gegenseitige Steuerung beschreibt Jäger als Diskursstrang-Verschränkungen. Sie meinen ein Thema, das Bezüge zu anderen Themen aufweist. Wenn also ein Text klar verschiedene Themen anspricht, aber auch, wenn ein Hauptthema angesprochen wird und damit Bezüge zu anderen Themen aufweist (vgl. Jäger 2001, 97). Diskursive Ereignisse meinen die Heraushebung/Betonung mittels Medien und beeinflussen demnach die Qualität des Diskursstrangs. Als Beispiel gibt Jäger den Atomunfall von Harrisbourg und Tschernobyl an, wobei Letzterem medial mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde und daraus schließlich ein diskursives Ereignis entstand (vgl. ebd., 98). „Diskursanalysen können ermitteln, ob solche zu erwartenden Ereignisse zu diskursiven Ereignissen werden oder nicht“ (ebd.). Eine Diskursebene meint das Arbeiten der Diskursstränge auf verschiedenen Ebenen, also Politik, Erziehung, Verwaltung, etc. Diskursebenen könnte man als „die sozialen Orte bezeichnen, von denen aus jeweils ‚gesprochen‘ wird [Herv. i. Org.]“ (Jäger 2001, 99). Auch diese Diskursebenen sind miteinander verflochten (Jäger 2009, 163). Eine Diskursposition meint einen Ort von dem aus die Partizipation am Diskurs erfolgt (vgl. Jäger 2001, 99). Margret Jäger beschreibt diese Diskursposition treffend: „Die Diskursposition ist also das Resultat der Verstricktheiten in diverse Diskurse, denen das Individuum ausgesetzt

53 war und die es im Verlauf seines Lebens zu einer bestimmten ideologischen bzw. weltanschaulichen Position (...) verarbeitet hat“ (M. Jäger 1996, 47 zit. n. Jäger S. 2009, 164f). Diskurspositionen sind innerhalb eines vorherrschenden Diskurses einander ähnlich. Diese Ähnlichkeita kann zugleich auch Wirkung eines hegemonialen Diskurses sein (vgl. ebd., 165).

15.1.1 Der gesamtgesellschaftliche Diskurs in seiner Komplexität

Diskursstränge bilden in einer Gesellschaft den gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Gesellschaft meint jedoch keine homogene Masse, sondern lässt sich in Untergruppierungen aufgliedern. Der gesamtgesellschaftliche Diskurs ist äußerst komplex und besteht aus einem Netz einzelner Diskursstränge (vgl. Jäger 2009, 166).

15.1.2 Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Diskursstränge

Jäger zeigt, dass man oftmals nur einen Teilsektor einer Diskursebene untersuchen kann. Warum man sich genau für diesen entscheidet, muss man begründen können (Jäger 2001, 103). Wenn beispielsweise ein anderer Sektor untersucht worden ist, der jedoch dem gleichen Diskurs angehört, dann sollte dieser näher untersucht werden, denn Unterthemen eines Diskursstranges sollen Oberthemen zugeordnet werden (ebd.). Nicht nur Diskurse prägen in unserer Gesellschaft die Realität, sondern auch der von Jäger geprägte Begriff des Sysykoll.

15.1.3 Das Sysykoll

„Das sysykoll ist ... kitt der gesellschaft, es suggeriert eine imaginäre gesellschaftliche und subjektive totalität für die phantasie. während wir in der realen gesellschaft und bei unserem realen subjekt nur sehr beschränkten durchblick haben, fühlen wir uns dank der symbolischen sinnbildungsgitter in unserer kultur stets zuhause. wir wissen nichts über krebs, aber wir verstehen sofort, inwiefern der terror krebs der gesellschaft ist. wir wissen nichts über die wirklichen ursachen von wirtschaftskrisen, begreifen aber sofort, daß die regierung notbremsen mußte“ (Link 1982, 11 zit. n. Jäger 2009, 138). In Hinblick auf die Analyse von Artikeln in Special-Interest-Zeitschriften ist dieses Hintergrundwissen interessant, da man sich in diesem Diskurs Metaphern bedient, die sich mit dem Sysykoll erklären lassen können.

54 15.2 Vorgehensweise

Zuerst sollte die Diskursebene charakterisiert werden (Printmedien, TV, etc.) und anschließend ein Analyseleitfaden zurechtgelegt werden. Als nächsten Schritt soll eine Strukturanalyse vorgenommen werden, denn sie ist die „Auswertung der Materialaufbereitung in Hinblick auf den zu analysierenden Diskursstrang“ (Jäger 2001, 103). Anschließend werden in der Feinanalyse bestimmte Teile ausfindig gemacht, die einem Oberthema zuzuweisen sind (ebd.). Danach wird der Diskursstrang einer Gesamtanalyse unterzogen. Alle bisher erzielten Ergebnisse werden reflektiert. Die Materialaufbereitungen bilden die Grundlage jeder Diskursanalyse (vgl. ebd., 104).

15.2.1 Analyse von Dispositiven

Das Dispositiv lässt sich in drei Teilen vereinfachen:

1. „Diskursive Praxen, in denen primär Wissen transportiert wird. 2. Handlungen als nichtdiskursive Praxen, in denen aber Wissen transportiert wird, denen Wissen vorausgeht bzw. das ständig von Wissen begleitet wird. 3. Sichtbarkeiten/Vergegenständlichungen, die Vergegenständlichungen diskursiver Wissens-Praxen durch nichtdiskursive Praxen darstellen, wobei die Existenz der Sichtbarkeiten ('Gegenstände') nur durch diskursive und nichtdiskursive Praxen aufrechterhalten bleibt“ (Jäger 2001, 107).

Das Musikerdispositiv wird im letzten Kapitel der Arbeit, der Conclusio, – unter Berücksichtigung dieser Aufschlüsselung – beschrieben. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand lässt sich folgender Analyseleitfaden erschließen:

15.2.2 Analyseleitfaden

Die zu untersuchende Ebene ist die mediale Darstellung der Band in Special-Interest- Zeitschriften zwischen 1997 - 2005. Es gilt das implizite Wissen über den Künstlerdiskurs an den Tag treten zu lassen und zu untersuchen, wie das Wissen argumentativ verpackt ist beziehungsweise, wie es in Erscheinung tritt. Besonderer Fokus gilt drei Zeitschriften mit dem Hauptaugenmerk auf die gestellten Fragen der Zeitschrift und direkte Zitate seitens der Band.

55 16 Datenerhebung

De:Bug Jockey Slut De:Bug

Music Has The Right To Children Tomorros Harest Hi Scores Aquarius In A Beautiful Place Trans Canada Highway Telephasic out In The Countr Workshop Toism Peel Session

1995 1998 2002 1999 2013 1997 2000 2005 2006

untersuchte Zeitungsartikel

Alben

EPs

Abb. 1: Zeitachse der Veröffentlichungen

Die Zeitachse12 markiert die Veröffentlichungen der Band zwischen 1995 und 2013. Die blau markierten Titel sind EPs, die orange umrandeten Rechtecke sind Alben und die rot umrandeten Titel verweisen auf die untersuchten Zeitschriften. Die Auswahl der drei Zeitschriften erfolgte durch eine Logik: De:Bug ist die erste auffindbare Zeitschrift in der über die Band berichtet wurde. Auf der zweiten Zeitschrift erscheint die Band das erste Mal auf dem Titelblatt und der dritte Artikel soll einen direkten Vergleich zum Ersten herstellen, da es sich um das gleiche Magazin handelt.

12 https://bocpages.org/wiki/Discography (09.01.2021) 56 Erklärung der Methode

Fünf Ebenen und die dazugehörigen Analyseschritte sind für die Diskursanalyse zentral (vgl. Jäger 2009, 175): 1. Institutioneller Rahmen (Medium, Rubrik, Autor_In, eventuelle Ereignisse, die dem Fragment zuzuordnen sind) 2. Text-Oberfläche (Fotos, Grafiken, Überschriften) 3. Sprachlich-rhetorische Mittel (Argumentationsstrategien, Logik, Anspielungen, Kollektivsymbolik, Sprichwörter, Wortschatz) 4. Inhaltlich-ideologische Aussagen (Menschenbild, Gesellschaftsverständnis) 5. Interpretation

Da der Imagediskurs und der Künstlerdiskurs einen Zusammenhang bilden und nicht getrennt voneinander gedacht werden können, wird auch das Image der Band analysiert. Eine Imageanalyse ist zugleich auch immer eine Textanalyse, weshalb Special-Interest-Zeitschriften herangezogen wurden (vgl. Borgstedt 2008, 63). Insgesamt wurden 44 Special-Interest- Zeitschriftenartikel, die Boards of Canada thematisieren, untersucht und Auffälligkeiten herausgehoben. Diese 44 Artikel waren hilfreich, um sich dem Image der Band anzunähern und mit der medialen Darstellung vertraut zu werden. Drei Zeitschriftenartikel, die sich im vorhandenen Material besonders abhoben, wurden genauer analysiert. Der erste Artikel ist – chronologisch gesehen – die erste Zeitschrift des zur Verfügung stehenden Materials. Dieser Artikel markiert den Zeitpunkt in dem über die Band das erste Mal in einer Special-Interest- Zeitschrift berichtet wurde. Der zweite Artikel zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass die Band erstmalig auf dem Coverblatt zu sehen ist. Der dritte Artikel wurde im Jahr 2005 veröffentlicht und weist eine Besonderheit auf: Er ist einer von 21 Artikeln im Jahre 2005, der über das Duo berichtet. Mit Hinblick auf die große Auswahl an Zeitschriften, die im Oktober/November die Band ablichteten und interviewten, wurde De:Bug gewählt, da es sich bei der Analyse des ersten und dritten Artikels interessanterweise um die gleiche deutsche Zeitschrift handelt. Die dahinterstehende Idee ist, mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in dem ersten und dritten Artikel zu finden, wodurch die vermutete dynamische Komponente des Künstlerdiskurses in Erscheinung treten kann.

57 Alle untersuchten Zeitschriftenartikel sind Printausgaben. Das zur Verfügung stehende Material wurde gesichtet, chronologisch nummeriert und die Zeilen der untersuchten Artikel beziffert.

16.1 Erklärung des Untersuchungsgegenstandes

Ein passende Methode zu finden, wie ein Musikerdiskurs in Erscheinung treten kann, wenn man doch seine Existenz erst beweisen möchte, erweist sich als schwierig. Mit Rückgriff auf den Theorieteil wird unter anderem das Diskursfragment der Bekanntheit und damit der sozialen Höherstellung BoCs untersucht, da dieses von Borgstedt als wesentlich für die Generierung von Startum ist (vgl. Borgstedt 2008, 18). Auch die Distinktionsarbeit, also die Eigenstellung in dem Feld soll in diesem Abschnitt untersucht werden, da diese – meines Erachtens nach – einen Großteil des Musikerdiskurses darstellt. Da das Diskursfragment jedoch nicht klar vom Gesamtdiskurs zu trennen ist, wird auch auf Diskursstränge und dessen Verschränkungen hingewiesen (siehe Kapitel 17.2).

16.2 Vorarbeit

In diesem Unterkapitel wird das Material für die anschließende Diskursanalyse aufbereitet. Für die Analyse empfiehlt Jäger das Material, also die verschiedenen Medien, zu sichten und zu archivieren (vgl. Jäger 2009, 174). Er vertritt die Ansicht, dass es für eine Diskursanalyse relevant ist, das ganze Material zu durchsuchen, um mit der Materie vertraut zu werden. Hierbei sollen sich die einzelnen Facetten des zu untersuchenden Diskursstrang abzeichnen. Aus diesem Grund wurden alle 59 Zeitschriften, die die Band thematisieren, gesichtet. Neben den drei intensiv untersuchten Interviews, finden sich im Anhang kurz zusammengefasste, interessante Special-Interest-Zeitschriften-Artikel, die auf Ebene des Musikerdiskurses aufschlussreiche Beiträge leisteten.

Diese Aufbereitung erfolgt nach den zuvor beschriebenen fünf Schritten Jägers (2001;2009), wobei der fünfte Punkt, also die eigentlich Diskursanalyse, in einem eigenen Kapitel aufgearbeitet wird (siehe Kap. 17.2). Die Datenerhebung ist nicht trennscharf von der Datenauswertung zu unterscheiden, da sie sich gegenseitig qualitativ bedingen. Der Fokus liegt auf inhaltliche ideologische Aussagen, da (1) ich diesen viel Aussagekraft über den zu untersuchenden Künstlerdiskurs zuschreibe, (2) sowohl Interviewer als auch die Band gleiche

58 Wahrheiten anerkennen und sich somit womöglich ein Musikerdiskurs abzeichnet und (3) dieses oft implizite Wissen in Erscheinung tritt.

16.3 Zeitschrift Nr.1: De:Bug (1997)

Der erste zu untersuchende Artikel markiert das erstmalige Auftreten der Band im kommerziellen Printmedien-Bereich. Hierbei handelt es sich um das deutsche Musikmagazin De:Bug, eine monatlich erscheinende Musikzeitschrift aus Berlin. Abb. 2: De:Bug (1997, Titelblatt+S6)

1997, im gleichen Jahr indem die Zeitschrift gegründet wurde, wurde auch über Boards of Canada berichtet. In der dritten Ausgabe führte Gregor Wildermann ein Interview mit der Band.

Besonderheiten und Auffälligkeiten im Artikel:

- Marcus Eoin wird als „Marcus Es“ zitiert. Bei dieser Tatsache könnte es sich um einen Druck-, bzw. Schreibfehler, unzureichende Recherche, etc. handeln. - Bei dem Artikel handelt es sich um den ersten, der die Band abdruckt.

1) Institutioneller Rahmen

De:Bug war eine deutsche Musikzeitschrift mit Sitz in Berlin, die von 1997 bis 2014 monatlich erschien. Die ersten 21 Ausgaben finanzierten sich durch Inserate und lagen kostenlos (beispielsweise in Plattenläden oder Discos) auf. In dieser Ausgabe erschien das zu untersuchende Interview der Band auf der sechsten Seite. Zusätzlich wurde – neben anderen Kritiken über Alben/EPs und Songs – ihre LP „“ auf Seite 46 rezensiert. Beide Texte wurden von Gregor Wildermann verfasst. Das Interview besteht aus insgesamt 15 Fragen (9 offen, 6 geschlossen).

59

Die Zeitschrift wirbt über sich selbst als „Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte“ (siehe Abb. 2). Sie setzt sich mit Themen, wie (vorwiegend elektronischer) Musik, (neuen) Künstler_Innen, Neuheiten im Bereich der Musiksoftware oder szenetypischen Themen auseinander. Die Zeitschrift spricht mit ihren Themenbereichen demnach sowohl Musikschaffende als auch Musikkonsumierende an.

Quellen des Vorwissens

Da es sich um eine Special-Interest-Zeitschrift handelt und für diese Szene bekannte Ereignisse/Vorfälle/Künstler_Innen angesprochen werden, die jedoch ein Vorwissen der Leserschaft erfordern, wird explizit eine Zielgruppe angesprochen. Jäger verweist auf diesen Fakt mit den Worten: „Finden sich z.B. Jargonelemente der Alternativszene, so lässt sich vermuten, daß es dem Autor/der Autorin besonders um diese Zielgruppe zu tun ist“ (Jäger 2009, 181).

Folgend erfolgt – für besseres Verständnis – eine kurze Auflistung von Interviewphrasen und Zitaten, die ein szenetypisches Vorwissen voraussetzen. Für eine genaue Zitation wurden die Zeilen des Artikels nummeriert.

„Autechre“ (Z.10, 119) Ist ein elektronisches Duo aus Manchester, das auch unter dem Label Warp Musik veröffentlichte.13

„Richard James benutzt spezielle Software, um Platten wie die Rubberjonny zu machen“ (Z. 206-210). James veröffentlicht unter seinem Künstlernamen auch Musik unter Warp Records.14 „Rubberjohnny“ ist keine Platte, sondern ein experimenteller Kurzfilm – gedreht und produziert von Chris Cunningham –, welcher auf der Musik von Aphex Twin aufbaut.15 Bei der von Wildermann angesprochenen „Platte“ des Sci-Fi Films handelt es sich um den Song „Afx237 v.7“. „Dave Being ist auch aus Edinburgh“ (Z. 273)

13 https://www.discogs.com/de/artist/41-Autechre (12.11.2020) 14 https://www.discogs.com/de/artist/45-Aphex-Twin (12.11.2020) 15 https://www.imdb.com/title/tt0441787/ (12.11.2020) 60 Being, auch bekannt als „the wee djs“ oder „Dave Paton“, veröffentlichte unter diesem Namen Musik auf dem Label „Emissions“.16 Sein produziertes Genre ist der Dance/Electronica zuzuordnen und grenzt auch an die von Wildermann angesprochene Szene an. Er veröffentlichte auch Musik zu jener Zeit.

„Mittendrin auch MICHAEL FAKESCH und XXXXX, die BOARDS OF CANADA [Herv. i. Org.] für die MASK 1 gewinnen konnten“ (Z.22,23) Fakesch ist Teil des Elektroduos „Funkstörung“ und auch in der IDM-Szene involviert.17 Bei der MASK 1 handelt es sich um eine Zusammenstellung – also eine Compilation – verschiedener Künstler, die unter dem Label Skam-Records veröffentlicht wurde. Von den insgesamt vier Künstler_Innen sind auch Boards of Canada und Funkstörung auf der 12“ Vinyl zu finden.18

Sowohl bei einem „Sequencer“ (Z.252) als auch bei einem „MPC2000 von Akai“ (Z. 253-254) handelt es sich um Musikinstrumente.

2) Text-Oberfläche

Insgesamt werden 15 Fragen (9 offene, 6 geschlossene Fragen) gestellt. Sechs davon handeln von einem übergeordnetem Thema und beziehen sich nicht direkt auf BoC – oft wird nach BoCs Meinung zu Themen gefragt und nicht nach deren künstlerischen Schaffen/Werken; auch andere bekannte Acts/Künstler_Innen werden in die Fragen miteinbezogen.

Zusammenfassende Überschriften für die einzelnen Abschnitte:

Z.2–30: Überblick und erste Leistungen der Band Z.31–62: Werdegang und erste Produktionen Z.63–94: Entstehungsgeschichte des Bandnamens und erster Kreationen Z.95–101: Inhalt eines selbstgedrehten Films Z.102–116: Entstehung der ersten Platte Z.117–128: BoCs Meinung zu Autechre Z.129–169: Vorgeschmack neuer Musik

16 https://www.residentadvisor.net/dj/theweedjs/biography (12.11.2020) 17 https://www.designingsounds.com/about (12.11.2020) 18 https://www.discogs.com/de/Various-MASK-100/release/19797 (12.11.2020) 61 Z.170–189: BoCs Meinung zu Qualitätsverlust des Labels durch Popularität Z.190–205: Der Einfluss breitgefächerter künstlerischer Interessen auf die Musik BoCs Z.206–226: Herstellung von Parallelen zu anderen Produzenten Z.227–257: Arbeitsweise des Duos und deren Liveset Z.258–272: BoCs Meinung zu fehlerhaften Livesets Z.273–280: Die Bekanntschaft zu Dave Being Z.281–297: Szenenzugehörigkeit der Band Z.298–311: BoCs Musik im öffentlichen Raum

Abb. 3: Mano Cornuta (De:Bug 1997, S.6)

Zwei Mal wurde das gleiche Bild (von vorne s/w) an unterschiedlichen Stellen abgedruckt (siehe Abb. 2); es ist kein Himmel im Bild zu sehen (dies ist insofern erwähnenswert, da dies im Kapitel 18 noch genauer diskutiert wird).

Ein Geste, die in der bildlichen Darstellung seinen Platz findet, ist das Handzeichen „Mano Cornuta“ auch bekannt als „Hörner“. Das Handzeichen hält einer der beiden Künstler nach unten gerichtet in die Kamera. Dieses Handzeichen findet auch im Metal-Diskurs seinen Platz und kann auf mehreren Ebenen interpretiert werden. Eine Möglichkeit bietet David M. Calabro, der das erstmalige Auftreten der Geste im Mittelalter datiert (Calabro 2013, 80). Laut mehreren Interpretationen im europäischen Raum, soll die Geste 1) Unheil abwehren und besitzt demnach apotropäischen Charakter, 2) in Verbindung mit dem Bösen stehen und somit Stärke oder Fruchtbarkeit repräsentieren oder 3) Versöhnung, Friede oder Sieg symbolisieren (vgl. Calabro 2013, 80f).

Die grafische Gliederung des Textes entspricht nicht der inhaltlichen Gliederung. Die Überschriften, die sich am Anfang und am Ende des Textes finden, lauten: „Boards of Canada“ „Hardware/Addicts“ „We deliberatly fuck it about, so it gets really kind of rough“

62 Die Letzte findet ihren Platz im Zeitungsartikel rechts oben und ist direkt über einem Bild des Duos platziert (vgl. Abb. 2).

Inhaltsangabe des gesamten Textes

Nach direktem Einstieg mit einem Zitat Mike Sandisons, dem in Beziehung-Bringen des Duos mit Autechre, Michael Fakeschs und einem Festival, beginnt die Zeitschrift das Frage-Antwort- Spiel mit einer Aussage Sandisons, der direkt über die Anfänge des Musik-Machens spricht. Anschließend frägt Wildermann, wie die Entstehungsgeschichten hinter dem Bandnamen und dem Bild auf der ersten Platte sind. Obwohl das Interview nur mit Mike Sandison geführt wurde, (er alleinig wird auch zitiert) werden die Fragen immer im Plural gestellt. Auch die Frage nach musikalischen Zukunftsplänen der Band wurde nur von Mike Sandison beantwortet und gibt Ausblick über deren bevorstehenden Zeit. Darüber hinaus wurde die Band über Themen, wie die Musik Autechres, dem Qualitätsverlust des Labels durch Popularität, häufige Fehler beim Live Spielen sowie die Profitierung von vielfältigen künstlerischen Interessen in deren Musik, befragt.

Wie diese kurzgefasste Inhaltsangabe des Textes bereits zeigt, sind in diesem Interview auch weitere Diskursfragmente zu finden. Zum Beispiel Themenbereiche, wie: Die Frage nach neuer Musik, das In Beziehung-Bringen zu anderen Künstlern, die Frage nach dem Bandnamen sowie individuelle Techniken des Musikschaffens. Diese verschiedenen Themen formieren sich zu einer Diskursstrang-Verschränkung, die im Interpretationsteil der Arbeit noch näher untersucht wird.

3) Sprachlich-rhetorische Mittel

Das untersuchte Interview ist eine Mischform von Meinungsinterview und Personeninterview. Wie bereits erwähnt, weisen sechs Fragen Charakter eines Meinungsinterviews auf. Der Rest erinnert an ein Personeninterview.

63 Anfänge, Schlüsse und Übergänge des gesamten Textes

Der Übergang von Einleitung bis hin zum ersten Zitat Sandisons, erfolgt durch Rückschluss auf bereits öffentlich zugängliches Material (Releases). Wildermann leitet zu Sandisons Zitat mit den Worten „ [...] Grund genug, wieder einmal die Fragen nach Wohin und Woher zu stellen“ (Z.28–30). Nach der ersten Frage über diverse Produktionstechniken wurde nach der Herkunft des Bandnamens gefragt. Anschließend wurde ein Block bestehend aus fünf Fragen gestellt, die einander fließend übergehen. Dies geschieht durch Bezugnahme Wildermanns auf die Aussagen der Band, wodurch ein Frage-Antwort-Spiel mit thematisch zusammenpassenden Inhalten und Überleitungen entsteht. Nach zwei weiteren Fragen, die aufeinander bezogen sind, erkundigte sich Wildermann nach einem möglichen Qualitätsverlust eines Labels, welcher durch Popularität entstehen kann. Dies sticht– thematisch gesehen – heraus. Auch gleich darauf stellt der Autor eine Frage, die keinen direkten Bezug zur Vorherigen aufweist, nämlich die Frage nach der Profitierung der Musikproduktion durch vielfältige künstlerische Interessen seitens der Band. Nach Themen über die Vorteile als Duo und dem Performen eines Live Sets, erkundigte sich der Interviewer nach der Bekanntschaft zu Dave Being, da dieser zu jener Zeit auch in Edinburgh lebte. Auch diese Art der Frage sticht durch ihren vagen thematischen Bezug zur Vorherigen heraus. Das Interview schließt mit der letzten Frage: „Wenn eure Musik an einem öffentlichen Platz gespielt werden sollte, welcher wäre das dann?“ (vgl. Z.302–304).

Bestimmung der Komposition des gesamten Textes

Zwischen den einzelnen Abschnitten stehen englische Phrasen, die Sandison zitieren. Der Text beginnt mit dessen Zitat und steigt gleich direkt in die Thematik ein; In der Einleitung (Z.2–30) werden noch keine Interviewfragen gestellt, sondern lediglich über gewisse Events gesprochen und Namen erwähnt, die die Band einbetten, bzw. in dem Feld (Szene) verorten. Der Hauptteil (Z.31–272) bildet das Grundgerüst des Textes, da er Fragen, wie die Herkunft des Bandnamens und die Zukunftsperspektiven der Band thematisiert. Im Schlussteil (Z.273–311) beziehen sich die Fragen nicht mehr direkt auf die Band, sondern auf Meinungen zu Themen, wie Szenezugehörigkeit und Bekanntschaften.

64 Funktionen der ersten Abschnitte

Zu Beginn wird die Band in Verbindung mit dem Label Skam, Autechre, dem Sunflower- Festvial, Michael Fakesch und dem Skampler-Sampler gebracht. Für eine/n Leser_In, der/die nicht mit der Band und deren Einbettung in der „Szene“ vertraut ist, werden erstmals Fragen aufgeworfen, die in der hier von mir definierten Einleitung (Z.2–30) nicht sogleich beantwortet werden und Neugier schüren. Erst mit Beginn des Hauptteils wird ein Teil dieser Fragen geklärt. Simple Themen, wie der Ursprung des Bandnamens oder des Coverbildes der EP dienen als Überblick, um sich der Band anzunähern und setzen wenig bis gar kein Vorwissen voraus. Nach dem vom Hauptteil offerierten Vertraut-Machen mit der Band, schließt das Interview mit der Frage nach Bekanntschaft zu Dave Being, Szenenzugehörigkeit und der eigenen Verortung zu einer Szene ab. Zum Schluss frägt der Autor an welchem öffentlichen Platz die Musik der Band gespielt werden sollte, wenn sie die Wahl hätten. Diese Frage rundet das Interview ab.

4) Inhaltlich-ideologische Aussagen

Implikate, Argumentationen, Anspielungen, Menschenbild

„absichtlich falsche Tonlagen“ (Z.55). „zerhacken normale Strukturen“ (Z.56). „Viele würden High-Tech-Sampler dazu benutzen“ (Z.52–53). „Wir benützen es auf eine Weise, wie es andere nicht tun würden“ (Z.50–52) . „Manche Künstler [...] veröffentlichen einfach zu viel und oft zu durchschnittliches Material“ (Z.230–233). „Wir selber sind dennoch eher Einzelgänger“ (Z.296–297). „Ich könnte auch nicht sagen, dass wir irgendeiner Szene angehören“ (Z.280–282). „roughes Equipment“ (Z.45). „roughen Sound entstehen lassen“ (Z.50).

Das erste Implikat stellt die Vermutungen auf, dass es richtige/falsche Tonlagen gibt und diese nicht willkürlich, sondern von dem Duo bewusst falsch gespielt werden. Darüber hinaus berichtet BoC, dass sie übliche Strukturen auseinandernehmen und stellt zudem die Vermutung auf, dass „viele“ etwas anderes benutzen würden. Demnach liegt in dieser Aussage sowohl die

65 Vorstellung normaler Strukturen zugrunde als auch die Vermutung, dass andere eine andere Arbeitsweise verfolgen würden. Demnach heben sie sich mit dieser Aussage bewusst von der Masse bzw. der Norm ab. Dies wird in den Zitaten: „Wir benützen es auf eine Weise, wie es andere nicht tun würden“ (Z.50–52), „Wir selber sind dennoch eher Einzelgänger“ (Z.296–297) oder „Manche Künstler [...] veröffentlichen einfach zu viel und oft zu durchschnittliches Material“ (Z.230–233) sehr deutlich. Auch mit der Anspielung keiner Szene anzugehören (vgl. Z.280–283), beansprucht die Band ihren besonderen Platz, wodurch ihr eigene Stellung zukommt und sie in der Lage sind sich dieses Alleinstellungsmerkmal einzuräumen. Keiner Szene anzugehören kann auch als (bevorstehende) Pionierarbeit interpretiert werden, die Etablierung anstrebt. Die zwei hier zum Schluss aufgelisteten Zitate interpretiere ich auch als Funktion von Distinktion.

Auf die Frage, ob neues Material anders klingt als auf der vorherigen Platte, wird mit einem „Wir haben uns schon weiterentwickelt“ (Z.153) geantwortet. Darüber hinaus spricht Mike Sandison über die Anfänge des Musikmachens und erklärt „[wir Anm. L.S.] wurden in dieser Phase auch immer elektronischer“ (Z.43–44). Diesen Aussagen liegt die Vorstellung zugrunde, dass sowohl das Komponieren von Stücken – zeitlich gesehen – progressive Richtung aufweist und Stagnation negativ zu beurteilen wäre, als auch, dass das Musikmachen in Phasen verläuft. Im ersten Zitat würde ich den Partikel „schon“ einerseits als versteckte Rechtfertigung, andererseits als Synonym für „längst“ bzw. „bereits“ interpretieren.19

Auch der Überschrift „Hardware/Addicts“, welche gleich über dem Foto der Band positioniert wurde, wohnt ein Menschenbild inne. Wie auch im Interview beschrieben, bevorzugt es die Band mit Hardware anstatt mit hochtechnologisierter Software zu arbeiten. Sie benutzen „roughes Equipement wie z.B. Ghettoblaster und älteres HiFi-Gear“, um dem Sound eigenen Charakter zu verleihen (Z.45,46). Auch in dem Zitat „We like Hardware“ (Z.214–215) entscheidet sich das Duo aktiv für Hardware und äußert sich auch, Software, also digitales Equipment, aufgrund der kleinen Bildschirme und hoher Zerbrechlichkeit, nicht gerne zu benützen (vgl. Z.223–225). Doch bedeutungsaufgeladener ist der Begriff der „Addicts“, also den Süchtigen. Mit dem Hintergrundwissen, dass in der Technokultur Drogen und Musik zusammen eine unabdingbare Größe bilden (vgl. Seifert 2004, 274), erscheint diese von Wildermann gewählte Begrifflichkeit nicht willkürlich, sondern spielt auf diese Verschränkung an. Die Drogenthematik, die hier in Form einer Metapher in Erscheinung tritt, ist eine von vier

19 https://www.duden.de/rechtschreibung/schon_bereits_eh_laengst (12.11.2020) 66 im gesamten Text.20 Interessanterweise wird der/die Süchtige in diesem Kontext nicht als negativ oder krank präsentiert, sondern als gegebenes szenetypisches Subjekt (vgl. Ferchhoff 2013, 79). Den Grund dafür liefert Seifert, welche die Technokultur untersuchte und zeigte, dass sowohl ein Rauschgiftsüchtigen-Jargon als auch die Verschränkung kultureller Drogenerfahrung mit Musik, Teil des -Stils ist (vgl. Seifert 2004, 273).

Die Tatsache, dass Boards of Canada einen psychedelischen Ansatz in der Komposition verfolgt (Z.158–159), ebenso deren Vorstellung, dass Filme des Filmboard of Canada von einem „Acid Casualty mit langen Haaren und sehr vielen Synthesisern komponiert worden ist“ (Z.74–76), deuten auf den erwähnten Drogenkonsum hin.

„ [...] alle anderen Tracks vom Sommer 1995 sind ähnlich schöne Brillianten elektronischer Musik. Musik, die etwas auf die Tränendrüse drückt, aber das senkt wenigstens den Innendruck im Kopf.“21

Im Gegensatz zu den häufig verwendeten Metaphern seitens der Band, werden hier erstmals semantische Reihen an Formulierungen des Autors aufgeworfen. Zwar entspricht der besonders geschliffene „Diamant“ nicht der deutschen Rechtschreibung, doch lässt es diese Schreibweise an Aussagekraft nicht mangeln22. Durch das in Verbindung-Bringen der Musik mit einem kostbaren Brillanten, verweist dieser Superlativ eines Diamanten auf die Musik des schottischen Duos.

Mit der hergestellten Verbindung zwischen Musik und der Tränendrüse, lässt der Autor vermutlich die Stimmung durchklingen, die er beim Hören der Musik fühlt.

In diesem Interview werden gewisse Codes sichtbar, die Parallelen zum vorher beschriebenen Theorieteil aufweisen. Auf diese werden in dem Kapitel 17.2 Bezug genommen.

20 „Acid-Casualty“ (Z. 74), „psychedelic approach“ (Z.158-159), „gut angetrunkenen Menschen“ (Z.308.309) 21 Rezension zu „Twoism EP“ (Z.328-333) 22 https://www.duden.de/rechtschreibung/Brillant_Diamant (12.11.2020) 67 16.4 Zeitschrift Nr.2: Jockey Slut (2000)

Dieser Artikel markiert eine Besonderheit: das erstmalige Abbilden der Band auf einer Titelseite. Auch auf fünf weiteren Seiten wird das Duo von Richard Southern interviewt. Auf der letzten Seite des Interviews befindet sich eine Diskografie aller Veröffentlichungen bis in das Jahr 2000.

Abb. 4: Jockey Slut (2000, Titelblatt+S.30-34)

1) Institutioneller Rahmen

Jockey Slut war eine britische Musikzeitschrift, die zwischen 1993 und 2004 verlegt wurde und sich vorwiegend auf elektronische Musik und die Club-Kultur fokussierte.23 Von 1993 bis 1999 erschien die Zeitschrift zwei Mal im Monat, ab 1999 monatlich und 2004 schließlich einmal im Quartal. 2004 erschien die letzte Ausgabe des Magazins. Die Zeitschrift kostete zwei bis drei Pfund und warb mit dem Motto: „disco pogo for punks in pumps“ (vgl. Abb. 4). Auch das Lifestyle- und Jugendmagazin Vice lies in einem 2015 erschienen Artikel die Zeiten, in denen Jockey Slut noch regelmäßig erschienen ist, Revue passieren. Auch sie nehmen Bezug auf die Ausgabe in denen Boards of Canada auf der Titelseite erschien und Jockey Slut die Band

23 https://web.archive.org/web/20050306055018/http://www.jockeyslut.info/ (24.11.2020) 68 exklusiv interviewen konnte.24 Vice schrieb der Zeitschrift eine Art Gabe zu, neue Talente frühzeitig zu erkennen, bevor es andere Zeitschriften taten. Demnach wurde dieser Special- Interest-Zeitschrift besonderer Charakter verliehen.

In dem Feature, erschienen im Dezember 2000, wird Boards of Canada auf der Titelseite als auch auf fünf weiteren Seiten interviewt, dargestellt und von Richard Southern kommentiert. Das Interview zeigt den Einfluss auf, den das Duo mit deren Musik auf andere Bands ausübt, stellt zum Teil persönliche Fragen und gibt Einblicke über das Leben der Band.

Quellen des Vorwissens

Radiohead, Air, Super Furry Animals oder Madonna sind Künstler_Innen, die hier im Speziellen als Einflüsse für die Musik BoCs von Richard Southern genannt werden (Z.4, 29– 34).

„Warp’s more consistent releases“ (Z.19–20). Das Label (Warp), unter dem die beiden Schotten Musik veröffentlichen, wird lediglich mit dem Eigennamen beschrieben. Dass es sich dabei um ein Label handelt, das auch ähnliche Künstler unterstützt und unter Vertrag hat, wird in diesem Artikel nicht erwähnt.

„Aphex“ (Z.63) meint den Musiker Aphex Twin (siehe Interview Nr.1). „Boards“ (Z.1,32) meint den Bandnamen, der im Artikel oftmals so abgekürzt wird – dies zeigt sich auch in der Überschrift „BOARDS OF THE UNDERGROUND“.

„leftfield release“ (Z.25) Eine Leftfield Veröffentlichung – es handelt sich um ein Musik Duo aus London – wurde in Beziehung zu dem Album „Music Has The Right To Children“ gesetzt. 25 Auch diese Band wurde nicht näher erläutert und setzte demnach ein szenezugehöriges Vorwissen voraus.

„you don’t need a City & Guilds engineering diploma“ (Z.98). Richard Southerns Anspielung auf ein City & Guilds Diplom meint die renommierte Bildungsorganisation City & Guilds mit Sitz in London.

24https://www.vice.com/en_uk/article/z45nk9/the-story-of-jockey-slut-the-greatest-dance-magazine-you- probably-never-read (24.11.2020) 25 http://www.leftfieldmusic.com/about/ (24.11.2020) 69 Eine genaue Untersuchung sieht vor (Jäger 2009,175), dass auch über den Autor recherchiert werden kann. In diesem Fall wären weitere Informationen über den Autor Richard Southern interessant, da dieses Interview Kultstatus besitzt. Aufgrund mangelnder Quellen ist dies leider nicht möglich.

2) Text Oberfläche

Dieser Artikel ist im Gegensatz zu dem vorherig untersuchten nicht nach einem Fragen- Antwort-Spiel strukturiert, sondern baut zitierten Passagen des Duos in den Fließtext mit ein. Darüber hinaus befinden sich auf der über die Band berichtete dritten, vierten und fünften Seite ein jeweils ca. zehn-zeiliger Textabschnitt, der „Insider-Informationen“ über die Band preisgibt. Die abschließende Diskografie der Veröffentlichungen wird mit ein paar Worten von Richard Southern kommentiert, der auch exklusiven Zugang zu unveröffentlichten Material hatte.

Passende Überschriften für die einzelne Abschnitte

Z.1–15: Boards of Canadas Bezug zu Feuer Z.16–27: kurze Erfolgsgeschichte BoCs und die Einzigartigkeit des ersten Albums Z.28–36: BoCs Einfluss auf andere Z.37–58: erster Kontakt mit Idolen aus der Szene Z.59–67: Dinge, die BoC mag Z.68–78: BoCs Mythos und Bodenständigkeit Z.79–94: Live-Erfahrungen, EP-Release-Verschiebung Z.95–97: Leonardo Di Caprio Z.98–108: zeitintensive Arbeitsweise der Band Z.109–124: Bewahrung der Individualität durch bedachten Konsum Z.125–130: Individualität als Antrieb Z.132–134: Zitat über neue EP Z.131 [exkl. 132–134]–151: Paranoia und dessen Bewältigungsstrategie Z.152–166: BoCs Beschreibung der neuen EP Z.167–175: BoCs Musik in Werbung Z.176–184: Dinge, die BoC nicht mag Z.185–195: Arbeitsweise für Werbefilme

70 Z.196–206: BoCs Sinn für Humor, Reflexion und Fokus für das Produzieren neuer Musik Z.207–210: Beschreibung/Hinweise neuer Musik BoCs in ferner Zukunft Z.211: Ankündigung der neuen EP Z.212–229: Tipps für ein gutes Lagefeuer Z.231–291: Beschreibung, Charakterisierung und Beurteilung zu Veröffentlichungen

Zwischen zwei direkten Reden ist oftmals ein Absatz, wobei dies in der graphischen Absatzgliederung beachtet wurde. Durch dies wird ein Zitat besonders hervorgehoben. Ein Absatz mit nachfolgenden Einzug in der neuen Zeile gilt als Anhaltspunkt für die Absatzgliederung. Die grafische Gliederung der Zeitschrift entspricht nicht der inhaltlichen Gliederung.

Bilder

Das Cover der Zeitschrift zeigt beide Musiker im Freien mit Blick in die Kamera gerichtet. Auch das Portrait BoCs ziert die komplette zweite Seite. Es zeigt das Duo von vorne, wobei der Himmel die oberen zwei Drittel des Bildes einnimmt. Auf der dritten Seite ist Marcus Eoin, auf der vierten ist Michael Sandison und auf der fünften Seite sind beide abgelichtet. Für eine genauere Analyse siehe Kap. 18.

Überschriften

Auf dem Titelblatt steht in großen Lettern und zentral formatiert geschrieben: „BOARDS OF CANADA“ und direkt darunter: „‚WE NEVER EXPECTED TO HAVE THIS KIND OF IMPACT!‘“. Der Artikel über das Duo beginnt mit den Großbuchstaben „BOARDS OF THE UNDERGROUND“. Nach zwei kurzen Sätzen über die Band folgt der Fließtext, welcher weder Zwischenüberschriften noch klar zu erkennende Absatzgestaltung aufweist. Inmitten des Fließtextes finden sich insgesamt zwei Zitate der Band, die andersfarbig und in größerer Schrift formatiert sind.

Inhaltsangabe des gesamten Textes

Bereits in der Überschrift des Artikel wird auf das Underground-Sein BoCs Bezug genommen. Gleich zu Beginn schildert das Duo einen Unfall, der sich im Wald durch Entzünden eines

71 Feuers ereignete und dadurch ein großer Teil des Waldes verbrannte. Im nächsten Abschnitt bediente sich der Autor dieser Metaphorik und zeigte, dass dies nicht das einzige Feuer war, das die beiden entfachten. Er zeigt auf, dass das Album „Music Has The Right To Children“ großen Einfluss auf andere Künstler_Innen hatte und in diesem Zusammenhang oft als äußerst bedeutendes Album gesehen wird. Hierbei wird Michael Sandison zitiert, der mit diesem Erfolg nicht gerechnet hat. Southern beschreibt die Situation nach dieser Aussage: Beide Musiker sind entspannt auf der Couch. Michael langhaarig und Marcus mit Glatze. Im nächsten Abschnitt liest sich eine Passage, die den Mythos um die Band aufrecht erhält. Southern betont das angeborene Geheimnis um die Band, in dem er Beispiele aufzählt, wie das Geheim Halten der Kommune, der sie angehören, der Telefonnummer oder deren genauer Standort. Der Autor unterstreicht die Besonderheit des Interviews, zumal Jockey Slut eines der wenigen Magazine ist, das eine Genehmigung für ein Interview bekommt. Gleich darauf wird die Bodenständigkeit und die Sympathie, die von der Band ausgeht, im Besonderen erwähnt. Anschließend erzählen sie von einer besonderen Live-Erfahrung, bei der ein Lautsprecher explodierte. Southern stellt die Behauptung auf, dass man kein „City & Guilds Diplom“ benötigt, um die Atmosphäre und das Jenseitige der Band zu begreifen. Gleich darauf wird auf Mike Bezug genommen, der behauptet einzigartige Wege in der Musikentwicklung zu gehen, der niemand sonst folgen könnte, da es oftmals einen langen Produktionsprozess benötigt, um ein Ziel zu erreichen. Sowohl genau diese Individualität als auch die einzigartige Art zu leben wird im nächsten Abschnitt weiter ausgeführt (Leben in einer Kommune, bedachtes Konsumieren sowie Distanzierung zum Kommerziellen). Auch eine Paranoia, die beide Bandmitglieder teilen, wird als Eigenheit beschrieben. Anschließend beruft sich Southern erneut auf den großen Erfolg des Albums „Music Has The Right To Children“ und nimmt sich das interessante Faktum heraus, dass BoC vor dem Durchbruch nur für Freunde und Familie auf kleinen Festen spielte. Im nächsten Abschnitt betitelt Southern BoC als Band voller Überraschungen, da deren Songs sowohl in einer Telekom als auch in einer Autowerbung verwendet wurden. Diese Werbungen wurden vom gleichen Filmemacher (Chris Cunningham) gedreht, dem von der Band exklusives Material zur Verfügung gestellt wurde.26 In diesem Absatz zitiert Southern BoC, das nochmals auf die Exklusivität des Materials, das diesem Filmemacher zu Verfügung gestellt wurde, und den bedachten Umgang damit hinweisen. Abschließend schildert der Autor die Richtung, die BoC mit ihrer Musik in Zukunft anstreben möchte. Der letzte Satz des Artikels weist auf eine noch lange Wartezeit hin, bis neue Musik der beiden Schotten zu hören sein wird. Abschließend

26 Im ersten untersuchten Artikel wird der gleiche Filmemacher in einem anderen Kontext erwähnt. Er war es, der auch für Aphex Twin den Sci-Fi-Film „Rubber Johnny“ produzierte. 72 werden 17 Veröffentlichungen aufgelistet, die jeweils kurz von Richard Southern umrissen, kommentiert, charakterisiert oder bewertet werden.

3) Sprachlich-rhetorische Mittel

Auch dieses Interview ist eine Mischform von Meinungs- und Personeninterview. Das Personeninterview rückt hier aufgrund des Portraitierens der Band vermehrt in den Vordergrund. Im Artikelanfang beginnt der Autor mit einer direkten Rede. Danach bedient er sich der Metaphorik, die um die Thematik der direkten Rede kreist, und verweist auf den großen Einfluss, den die Band mit ihrer Musik ausübt (Z.15–17). Vom zweiten in den dritten Absatz wird der bereits erwähnte Erfolg des ersten Albums von der plötzlichen Omnipräsenz der Synthesizer-Loops unterbrochen (Z.27–28). Ein weitere Besonderheit findet sich als BoC keine konkrete Antwort auf eine Frage gibt. Hierbei erwähnt Southern kurzerhand das Geheimnisvolle und den Mythos, die diese Band umgibt (Z.68). „We wanted to record ‚Leonardo Di Caprio is a wanker‘ and put it in the advert music backwards“ ist eine große Zwischenüberschrift im Fließtext (Z.95–97). Diese befindet sich zwischen dem Gespräch über der Verzögerung der neuen EP und der Betonung der individuellen Produktionsweise. Der Schluss bildet einen Satz, der neue Veröffentlichungen der Band in ferner Zukunft anspricht. Die Rubriken über Vorlieben und Aversionen der Band sowie Tipps ein gutes Lagerfeuer zu machen, bilden in sich geschlossene Textteile, die sich am Rand des Artikels befinden.

Bestimmen der Komposition des gesamten Textes

Auch in dieser Einleitung (Z.1–15) wird man zuerst mit der Band vertraut gemacht. Das von dem Duo erzählte Erlebnis über einen Feuer-Unfall gibt persönliche Lebenseinblicke, wodurch ein Gefühl von Nähe vermittelt wird. Diese Anekdote greift Richard Southern auf und leitet das Gespräch und die damit verbundene Thematik direkt in die Richtung der Veröffentlichungen und Einflüsse der Band. Der Hauptteil (Z.16–199) bildet den größten Teil des Interviews und behandelt verschiedene Themen, die um die Band oder deren Veröffentlichungen kreisen. Hier wird über diverse Gemütszustände in verschiedenen Situationen berichtet. Diese persönlichen Informationen über die Band schlagen eine Brücke zu dem vom Autor vorher beschriebenen „Underground-Sein“ wodurch ein Blick hinter die Kulissen entsteht. Der Schluss (Z.200–211) des Interviews gibt Ausblick über Zukunftsperspektiven der Band und eröffnet noch eine kurze

73 Rubrik über Tipps ein gutes Lagerfeuer zu starten (Z.212–229). Eine Auflistung der Veröffentlichungen findet sich zum Schluss des Artikels (Z.230–291).

Funktion der einzelnen Abschnitte

Neben der Überschrift auf dem Cover der Zeitschrift und dem dazugehörigen Bild des Duos, deren ernster Blick direkt in die Kamera gerichtet ist, beginnt der Artikel mit den Worten: „BOARDS OF THE UNDERGROUND“ (Z.1–3). Diese Überschrift verweist direkt auf das Underground-Sein der Band hin, wobei die Band auf dem Titelblatt zuvor mit den Worten „We never expected to have this kind of impact!“ zitiert wurde. Demnach wirft sich bereits beim ersten Lesen die Frage auf, wie Boards of Canada Einfluss aus dem Untergrund ausüben kann. Zwischen der Hauptüberschrift des Artikels und dem Beginnen des Fließtextes stehen drei Zeilen (Z.4–6), die den Artikel eröffnen: „They're the fire-starters, the rustic fire-starters, who've influenced everyone from Air to Radiohead. Boards Of Canada invite Richard Southern to their secret den and share with him their bluffer’s guide to making the perfect bonfire why they have little time for Leonardo Di Caprio...“. Der Verweis auf eine andere bekannte Persönlichkeit, die scheinbar jedoch nicht szenenzugehörig zu sein scheint, wirft die Frage nach dem Zusammenhang auf. Dieser Abschnitt könnte zum Weiterlesen anzuregen. Auf der zweiten Seite ist ein Foto des Duos zu sehen, welches fast das komplette Blatt bedeckt. Beim Lesen der dritte Seite befindet man sich bereits mitten in der Thematik. Diese ist in einem Block über private Dinge, die BoC mag, einem Foto und dem daneben stehenden Fließtext des eigentlichen Artikels gegliedert. Der Abschnitt beschäftigt sich mit dem Geheimnisvollen der Band, das trotz zwei Seiten an Informationen und einem Foto, dennoch aufrechterhalten wird. Es wird auf die Besonderheit beziehungsweise auf die Exklusivität des Interviews hingewiesen, da das Duo größtenteils auf Interviews verzichtet und sich im öffentlichen Raum sehr bedeckt hält. Demnach wird das Geheimnis von Jockey Slut kurzerhand instrumentalisiert. Anschließend werden Live-Erfahrungen und persönliche Dinge geteilt, um dem Leser/der Leserin einen Einblick in private Bereiche BoCs zu gewähren. Hierzu zählt auch die Rubrik über Aversionen des Duos, die sich auf der vierten Seite in einem separaten Block befindet. Die von Southern kurz kommentierte Diskografie auf der letzten Seite gibt Einblick über (un)veröffentlichte EPs und Songs.

74 Kollektivsymbole

„They're the fire-starters, the rustic fire-starters, who've influenced everyone from Air to Radiohead.“: Wird in diesem Zusammenhang als Brandstifter übersetzt. Das Feuer, das dabei entsteht, kann als etwas sich Verselbstständigendes gesehen werden. BoC ist demnach die erste Band, die das Feuer zum Brennen bringt. Die Verselbstständigung eines Feuers wird auch in der nächsten Metapher (Z.20,21) aufgegriffen: „Then, slowly, word of mouth began to crackle like sparking kindling.“ Mit dieser Aussage wird auf die Informationsverbreitung des Albums „Music Has The Right To Children“ angespielt, die laut Zitat vorwiegend sprachlich erfolgte und sich wie ein Feuer verselbstständigte.

Gleich im darauffolgenden Satz (Z.22,23), der auch auf den Albumrelease anspielt, bedient sich Richard Southern einer weiteren Kollektivsymbolik: „a hazily nostalgic record which snuck its way into your head and set up a commune.“ Der Sekundärsemantik der Wortwahl bleibt großer Interpretationsspielraum. Die Tatsache, dass BoC in einer Kommune lebt wird von dem Autor in diesem Interview dreimal erwähnt (Z.12,23,69). Womöglich wird genau aus diesem Grund die Metapher der Kommune aufgegriffen. Laut Duden meint eine Kommune eine „Wohngemeinschaft, die bürgerliche Vorstellungen hinsichtlich Eigentum, Leistung, Konkurrenz und Moral ablehnt“27 Dieser Aussage zufolge kann sich durch den Konsum deren Musik eine Kommune im Kopf einnisten, die eigene Moralvorstellungen besitzt. Eine Kommune, die beiden angehören.

„Guitars meet electronics in embryonic, but recognisably Boards-ian melodicism.“ Dieses von Richard Southern angesprochene Kollektivsymbol des Embryos findet in der Beschreibung der ersten sehr raren EP seinen Platz. Der Klang im Anfangsstadium der Band wird vermenschlicht und einem Embryo gleichgesetzt. Ein Lebewesen, das durchaus noch Potenzial zum Wachstum aufweist.

Nicht nur der Autor, sondern auch Boards of Canada selbst bedient sich einer Kollektivsymbolik bzw. auch eines „Godterms“, der als Superlativ alles Menschsein gedeutet werden kann: Gott. Auf die Frage, mit welchen Künstler_Innen sich Kontakt anbahnte und eine zukünftige Zusammenarbeit bevorstehen könnte, gab Marcus Eoin zwar keine konkrete Antwort, doch entgegnete mit „Artists whose status is somewhere between Radiohead and

27 https://www.duden.de/rechtschreibung/Kommune (25.11.2020) 75 God“ (Z.57). Mit Verweis auf den Literaturteil dieser Arbeit, findet hier eine Höherstellung in dreifacher Weise statt. Diese omnipotente Kollektivsymbolik „Gott“ und dessen Eigenschaft zur Übermenschlichkeit zirkuliert um jeweils drei Subjekte: Gott, Radiohead und Boards of Canada selbst.

4) Inhaltlich-ideologische Aussagen

Die Special-Interest-Zeitschrift zeigt ihren Charakter in Abkürzungen, Verweise auf andere Künstler_Innen und Eigennamen, die von der Leserschaft als solche identifiziert werden können und nicht als fremd erscheinen.

Szenetypischer Terminus

„Aphex [Twin L.S.]“ (Z.63,89) „Warp [Records L.S.]“ (Z.19, 38, 88, 168) „leftfield release“ (Z.25) „influenced everyone from Air to Radiohead“ (Z.4)

Die Erwähnung diverser Bands, wie Aphex Twin, Leftfield, Air, Radiohead, Super Furry Animals, Louis Armstrong, David Bowie, The Beatles, Wu-Tang Clan (Z.59–67) oder dem Label Warp Records, setzt genau dieses Vorwissen voraus. Zudem werden Boards of Canadas melancholischen Synth-loops (ein Loop ist eine sich immer wiederholende Sequenz) in Beziehung zu weiteren Bands und Künstlern gesetzt, die jedoch nicht näher erläutert werden.

Die Single Aquarius wird als „Sesame Street meets Kraftwerk meets the between-scenes bits from Seinfeld“ beschrieben (Z.271–273). Auch hier wird das Wissen über Kraftwerks Musik oder die Sitcom Seinfeld vorausgesetzt.

„As the title indicates, the new EP is typically BoC“ (Z.152). Das typisch-Sein bezieht sich sowohl auf die Band selbst als auch auf eine Zielgruppe. Dies erzeugt auch Gemeinschaft, indem das typisch-Sein nicht allen bewusst sein kann, sondern nur einer bestimmten Gruppe.

76 Implikate/Menschenbild

„He [Chris Cunningham Anm. L.S.] was just really excited to have new Boards of Canada tracks that no one else has heard“ (Z.193). Der von Marcus Eoin erwähnten Aussage, liegt ein Menschenbild zugrunde, nämlich, dass es sich um eine Besonderheit handelt, neue Tracks von ihnen zu hören. Es zeigt sowohl einen Vertrauensvorschuss als auch die Fähigkeit der Wahrung von Exklusivität, die Chris Cunningham zugeschrieben wird. Wird dieses Vertrauen missbraucht und unveröffentlichte Musik des Duos ungefragt weiter verbreitet, kann mit der Sanktion „He also knows we’d break both his legs if he did“ (Z.196) gerechnet werden.

„We take such long, individual paths to get where we go, paths that nobody else could ever follow“ (Z.100,101).

Dieses Implikat weist Ähnlichkeiten mit einem Zitat des ersten Interviews auf. Mit dieser Aussage wird Exklusivität, ein Alleinstellungsmerkmal, eine Unterscheidung zu anderen Musiker_Innen, aber auch zu Musikkonsument_Innen kreiert. Sie selbst sagen, dass sie individuell sind und kein anderer Mensch in der Lage sei dem Weg zu folgen, auf dem sie sich gerade befinden. Dieser Aussage wohnt demnach ein enormes Distinktionspotenzial inne.

„‚It's never people who are part of the general flow who make amazing art.‘, says Mike“ (Z.123–124).

Auch diesem Zitat liegt ein von dem Duo gedachtes Menschenbild zugrunde. Im Kontext des Interviews gesehen, steht diese Phrase in Zusammenhang mit der Globalisierung und der Tatsache, dass jeder und jede dieselben Referenzpunkte hat (Z.120). Wie im Kapitel 11.1 bereits erwähnt, ist die Frage, was gute Kunst ist, schwer zu beantworten. Für Boards of Canada wird gute, ansprechende oder eben erstaunliche Kunst („amazing art“) von Menschen geschaffen, die nicht dem allgemein Fluss folgen.

„and in contrast to most ego-blinkered musicians even ask questions themselves“ (Z.75).

Dieses Zitat finde ich besonders interessant, da es mir als äußerst hilfreich für die Beantwortung der Forschungsfrage scheint. Es enthält ein Menschenbild, genauer genommen ein Implikat

77 über Musiker_Innen, das Richard Southern äußert. Seiner Meinung nach sind die meisten Musiker_Innen Egoisten und lassen sich nur Fragen stellen, anstatt selbst zu fragen. Durch jener Aussage wird der Band mehr Individualität zugeschrieben, da sie eben genau diesem Trend des Egozentrismus nicht folgen, sondern selbst Fragen stellen.

„Equally, you don't need a City & Guilds engineering diploma to deduce that the densely atmospheric, otherworldly aspects of the Boards' music is painstakingly achieved“ (Z.98–100).

Dieses Zitat kann meines Erachtens nach auf viele Weisen interpretiert werden. Es könnte die Zielgruppe meinen, aber auch aussagen, dass dieses Diplom nicht nützlich ist, um die Songs zu interpretieren. Demnach braucht man für das Hören der Musik keine Voraussetzungen, wodurch ein niederschwelliger Zugang gewährleistet wird.

„The pair are sprawled relaxedly on the purple sofa, Michael long-haired, Marcus shaven- headed, hooded-topped and baggy-trousered, gear simultaneously eterna-hip and, as is the way with country folk, strangely practical“ (Z.42–45).

Auch diesem Zitat liegt ein Menschenbild zugrunde. Southern schreibt der Band zu, dass sie äußerst praktisch wären, wie es bei Leuten vom Land so sei. Lässt man sich auf diese gedanklichen Verbindungen von Trugschlüssen ein, die Southern damit kreiert, so könnte er meinen, dass Menschen, die auf dem Land leben, äußerst praktisch denken und, da Boards of Canada auch am Land lebe, diese Eigenschaft übernehme. Diese beiden Zuschreibungen bauen aufeinander auf. Diese Aussage kann in Verbindung mit einem weiteren Diskursstrang, nämlich mit der Vorstellung vom Leben auf dem Land, stehen und eröffnet demnach eine Dikursstrang- Verschränkung.

„Today Boards of Canada are full of surprises“ (Z.171).

Dieses Zitat steht in Zusammenhang mit einer Werbung der italienischen Telekom in der Leonardo Di Caprio mitwirkte und ein Song der Band verwendet wurde. Die Verbindungen zwischen der Telekom, dem amerikanischen Schauspieler und dem verwendeten Song, werden von Southern als Band voller Überraschungen aufgefasst. Die Überraschungen, die Southern kommentiert, erfasse ich als Faktoren, die nicht eindeutig dem vorherrschenden Image der Band entsprechen. Dieser Überraschung folgt jedoch keiner Sanktion.

78

„Here was a record not only spotters and electronic obsessives could love“ (Z.21).

Mit dieser Aussage spricht der Autor die potenzielle Zielgruppe an, nämlich Menschen, die von deren Musik besessen sind und nach neuen Veröffentlichungen Ausschau halten.

79 16.5 Zeitschrift Nr. 3: De:Bug (2005)

Im Oktober 2005 führte De:Bug, wie auch viele andere Zeitschriften zu dieser Zeit, ein Interview mit dem Duo. Dieses gliedert sich in einen einleitenden, verhältnismäßig längeren Fließtext und vier offenen, wie auch vier geschlossenen Fragen. Dadurch gibt der Artikel weitere Einblicke in das bereits oft formulierte geheime Abb. 5: De:Bug (2005, Titelblatt+ S.28) Leben der Band.

Besonderheit: Dieser Artikel erwähnt als einziger die von der Band oraganisierten Outdoor- Partys, die seit 1990 jährlich stattfinden.

1) Institutioneller Rahmen

Für die Erläuterung des institutionellen Rahmens der Zeitschrift siehe 1. Interview Kapitel 1. Das Interview wurde von Hendrik Lakeberg geführt.

Auffallend ist – im Gegensatz zu den anderen Artikeln – die seltene Verwendung von Fachausdrücken (also dem Szeneterminus).

„Elektronika-Prog“ (Z.17) Prog ist die Abkürzung von „progressive [engl.]“ und meint das sich langsame Verändern eines meist langen Songs durch klanglich hinzukommende, minimale Unterschiede (vgl. Reynolds 2012, 21 ff). Der musikalische Begriff des Elektronika meint das Genre bzw. die Grundstimmung, die sich in den immer wieder leicht verändernden Tracks widerspiegelt.

„Samples“ (Z.34) Ein Sample meint eine kurze Musiksequenz (vgl. Diaz-Bone 2010, 343).

„Artwork“ (Z.36) Ist ein Synonym für ein Coverbild einer Platte oder CD.

80 2) Text Oberfläche

Zusammenfassende Überschriften für die einzelnen Abschnitte

Z.5–22: Die Festivals Boards of Canadas Z.23–49: Das Image und die Fans Z.50–77: Die neue Platte Z.78–94: Eindrücke des Plattenrelease Z.95–110: Einzigartige Produktionsweise der neuen Platte Z.111–125: Im Kern ganz BoC Z.126–139: Perfekte musikalische Momente Z.140–153: Der Bezug zu Zuhörer_Innen Z.154–186: Weitere Interessen der Band Z.187–195: Bewertung der Faninterpretationen

Bilder

Zweimal wurde das gleiche Bild abgedruckt, wobei das Zweite einen vergrößerten Bildausschnitt vom Ersten darstellt. Es zeigt das Duo in seiner bekannten Pose: beide wurden von vorne abgelichtet und im Hintergrund erstreckt sich der blau/türkise Himmel bis in den oberen Bildrand.

Die grafische Gliederung entspricht im Vergleich zu den anderen Texten etwas mehr der inhaltlichen Gliederung.

Die Überschrift lautet „BOARDS OF CANADA// Spirit, Logic & Mathematics// Die mysteriösen Superstars der Elektronika haben wieder ein Album gemacht. Drei Jahre haben die beiden Schotten dafür gebraucht. ‚Zurück zu den Anfängen‘ war ihre Premisse. Warum alle so aufgeregt sind, verstehen sie am allerwenigsten“ (Z.1–4).

Das Interessante: Warum wurde Spirit, Logic & Mathematics in Englisch verfasst und der Rest in Deutsch? Auch hier würde ich aus poststrukturalistischer Sicht interpretieren: Die Verwendung der englischen Sprache gleich nach der Erwähnung des Bandnamens schafft einen Zusammenhang und lässt eine Kohärenz zwischen dem Namen und den anschließenden Worten

81 entstehen. Diese Kohärenz entsteht sowohl auf der sprachlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene, oder anders gesagt: Die sprachliche Kohärenz und die inhaltliche bedingen sich gegenseitig und lassen die beiden englischen Textteile näher zusammenrücken. Die inhaltliche Kohärenz entsteht durch die Worte „Spirit, Logic & Mathematics“, die auch auf deren Image anspielt. Die englische Schreibweise könnte demnach einen Versuch des Autors darstellen, die Band und deren Image näher zusammenrücken zu lassen.

Inhaltsangabe des gesamten Textes

Die Einleitung erwähnt eine neue Albumveröffentlichung. Im anschließenden Fließtext wird die Band geschichtlich kurz umrissen und über Ereignisse berichtet, die als potenzielle „Geburtsstunde“ der Band interpretiert werden können. Danach wird das Image der Band aufgegriffen und über Natur, das Neo-Hippietum und die Mathematik berichtet. Auch der mehrfach erwähnte Mythos um die Band und diverse Rätsel, die sowohl vom Publikum selbst als auch von der Band mitgeschaffen werden, finden in diesem Artikel ihren Platz. Das neue Album „The Campfire Headphase“ wird mit der vorherigen Platte „Geogaddi“ verglichen und von Henrik Lakeberg als „illuminierender Wind der Aufklärung“ (Z.54) kommentiert. Anschließend umschreibt und bewundert der Autor die Rhythmen, Klänge, aber auch die Idee hinter dem Album. Nach der Einleitung, die ungefähr ein Drittel des Textes einnimmt, erkundigt sich Lakeberg, wie es sich für die Band anfühlt ein neues Album zu veröffentlichen und wie sich der Produktionsprozess im Vergleich zum vorherigen Album unterscheidet. Das Duo betont diesen anspruchsvollen Prozess und ist glücklich über das Endprodukt. Die dritte und vierte Frage erkundigt sich sowohl nach Blockaden als auch nach den äußerst euphorischen Momenten im Produktionsprozess. Das Duo hat das Gefühl nicht genügend Zeit für seine unzähligen Projekte zu haben und verneint damit Blockaden. Die fünfte und achte Frage beziehen die Zuhörer_Innen mit ein und fragt, welche Rolle diese für Boards of Canada spielen und, wie sich die laufende Mythos- und Rätselgenerierung für die Band anfühlt. Die beiden Schotten finden diese Frage schwierig und betonen, dass sie tiefsitzende Gefühle der Zuhörer_Innen wecken wollen und sie oft erstaunt sind, welche Details die Hörerschaft zu (Un)Recht in deren Musik wahrnimmt. Abschließend erkundigt sich Lakeberg in der sechsten und siebten Frage nach der Faszination für heidnische Religionen, Natur und das Waco- Massaker. Diese Themen werden mit lebensphilosophischen Ansichten über Liebe, Respekt, Wissenschaft und Logik von der Band beantwortet.

82 3) Sprachlich-rhetorische Mittel

Anfänge, Schlüsse und Übergänge des gesamten Textes

Die Einleitung gibt einen guten Überblick über die Geschichte der Band, wobei diese Zeitschrift als Einzige – gleich im ersten Satz – über eine jährlich stattfindende Outdoor-Party der Band berichtet. Zudem befasst sich der Beginn des Artikels mit dem Image der Band, also Rätsel, Mythen, Leben in einer Kommune, dem Albumnamen und der Beschreibung der neuen Platte. All jene Themen werden in den einzelnen Interviewfragen nochmals aufgegriffen und von der Band kommentiert. Alle acht Fragen ergeben einen gut leserlichen Themenverlauf, der mit dem sehr spezifischen Thema eines neuen Albums beginnt und mit der Frage nach den Interpretationen der neuen Platte endet. Die siebte Frage über das Waco-Massaker sticht inhaltlich heraus. Insgesamt macht der Artikel den Eindruck als würde er einem Bottom-Up- Ansatz folgen und fragt vom Spezifischen zum Allgemeinen, vom Kleinen zum Großen.

Bestimmen der Komposition des gesamten Textes

In der Einleitung (Z.1–77) spricht der Autor nicht mit, sondern über die Band und bezeichnet sie unter anderem als „mysteriöse Superstars“ (Z.1–2), „Zeremonienmeister“ (Z.14–15) und deren Musik als „zeitlos schön“ (Z.61). Der Hauptteil (Z.78–186) startet mit dem Interview und frägt gewissen Themenblöcke ab. Er stellt Bezüge zu den in der Einleitung erwähnten Themen her und lässt die Band selbst zu Wort kommen, wodurch ein persönlicher Eindruck entsteht. Die letzte Interviewfrage, die die Interpretationen über die neue Platte thematisiert, könnte als Schluss (Z.187–195) gesehen werden. Da das Interview eher einem Top-Down als einem Bottom-Up Ansatz folgt, könnte man dies als eine langsame und stetige Schließung des Artikels interpretieren. Die Fragen gehen im Laufe des Interviews vom Allgemeinen in die Richtung des Spezifischen.

Funktionen der einzelnen Abschnitte

Wie auch hier gibt die Einleitung einen kurzen Überblick über die Verortung und thematische Einbettung der Band in dieser Szene. Dieser Artikel unterscheidet sich in der oftmaligen Höherstellung der Band durch den Autor (Komplimente, positive Zuschreibungen) zu den vorherigen Interviews. Die Einleitung lässt nicht nur die Band höher stellen, sondern ist auch

83 im Wortschatz wesentlich verschnörkelter als der Hauptteil, der lediglich die Antworten der Band zitiert oder paraphrasiert.

Kollektivsymbole

„Zeremonienmeister“ (Z.14–15) Diverse Kollaborationen mit befreundeten Musikern auf dem in der Einleitung erwähnten Festival werden als Zeremonien beschrieben, die von Boards of Canada geleitet werden. Inhaltlich gesehen grenzt eine Zeremonie an das Images des Mythos um die Band an.

„[...] die Geburtsstunde der Boards of Canada, wie wir sie heute kennen“ (Z.23–24). Mit dieser Symbolik wird die Band vermenschlicht und erfährt mit einer „Geburtsstunde“ einen Moment, in der die Band und deren Image erstmals in Erscheinung tritt. Laut Lakeberg steht Boards of Canada in diesem Zusammenhang auch stellvertretend für ihr Image. Denn im darauffolgenden Satz heißt es: „Alles scheint dagewesen zu sein: die Faszination für Natur, dieses düstere, esoterisch angehauchte Neo-Hippietum, die Anspielungen auf bedeutungsschwangere mathematische Konstruktionen“ (Z.25–29). Vielleicht eignet sich die Metapher einer Geburt deshalb so gut, da die Idee28 hinter der Band zuerst im Verborgenen arbeitet, dann geboren und dadurch sichtbar wird und anschließend auch wachstumsfähig ist und das Potenzial zur Weiterentwicklung besitzt.

„Sackgasse“ (Z.113). Diese Kollektivsymbolik ist ganz im Sinne Jägers (2001), denn seiner Meinung nach kann eine Sackgasse auch in Zusammenhang mit Rückschritt stehen. Lakeberg frägt die Band, ob sie in ihrer 20-jährigen Zusammenarbeit Blockaden erlebt hat und bedient sich genau der Symbolik der Sackgasse. Demnach liegt der Verwendung dieser Begrifflichkeit die Idee progressiven Schaffens zugrunde.

28 Die Idee verwende ich hier stellvertretend für das Image im platonischen Sinne. 84 4) Inhaltlich-ideologische Aussagen

Implikate, Argumentationen, Anspielungen, Menschenbild

„dieses düstere, esoterisch angehauchte Neo-Hippietum“ (Z.26–27). „Fast wie ein klassisches Lehrstück, eine Essenz“ (Z.62–63).

Diese Anspielungen bzw. Arten von Menschenbild stammen von Lakeberg und nehmen Bezug auf das Duo bzw. deren Musik. In der ersten Aussage verortet der Autor die Band im Neo- Hippietum, wobei er wiederrum nicht das damalig gängige Neo-Hippietum der 90er, sondern ein sich von diesem abgrenzendes, düsteres, esoterisch angehauchtes Neo-Hippietum meint (vgl. Ferchhoff 2013, 81). Die zweite Aussage ist besonders interessant, zumal sie die Musik der Band nicht nur höher stellt, wie in der Einleitung, sondern die beiden Schotten als Kreationisten einer Platte darstellt, die lehrenden Charakter hat. Die Höherstellung durch das Nomen „Lehrstück“ (Z.63) gewinnt im Gegensatz zu Worten, wie „Superstars“ (Z.2) oder „Zeremonienmeister“ (Z.14–15), an besonderer Bedeutung, da sie die Unantastbarkeit aufbricht und die Platte mit lehrenden Eigenschaften verseht.

„Grundsätzlich interessieren uns die Reviews und der ganze Internet-Chat über unsere Musik nicht wirklich“ (Z.91–93). „Das ist eine schwierige Frage, weil wir uns auf der einen Seite immer vorstellen, dass niemand unsere Musik hört, um die Musik möglichst direkt und unmittelbar aus uns selber heraus zu produzieren“ (Z.142–146).

Die Gründe für das mangelnde Interesse der Band an Reviews oder dem Internet-Chat können vielfältig sein. Hier wäre es interessant zu wissen, wie sie die Trennlinie zwischen eigener Autonomie und Abhängigkeit der Fans charakterisieren.

Das zweite Zitat finde ich besonders aufschlussreich, da sich Boards of Canada im Produktionsprozess kurzzeitig einem Menschenbild bedient, um direkt von sich aus zu produzieren. Die Konjunktion „um“ lässt darauf schließen. Schlussfolgernd verfolgt das Duo also eine Strategie für und im Produktionsprozess, um sie „direkt und unmittelbar aus“ sich „selber heraus zu produzieren“ (vgl. Z.142–146), um eben nicht von Fans oder dem „Außen“ abgelenkt oder beeinflusst zu werden und somit authentische Musik zu kreieren.

85

„Eines unserer Hauptziele ist es, ganz tief sitzende Gefühle beim Hörer anzusprechen...“ (Z.149–151).

Laut dieser Phrase schließt das Duo den/die Hörer_In bewusst mit ein. Fasst man diese drei Zitate zusammen, so habe ich den Eindruck, dass die beiden womöglich ein besonderes und vielfältiges Verhältnis zur Hörerschaft pflegen, da die Band die Reviews und der Internetchat nicht interessiert, sie aber das Interesse verfolgen eine Gefühlsanregung bei dem/der Hörer_In zu wecken.

„Die mysteriösen Superstars der Elektronika“ (Z.1–2) „Zeremoniemeister“ (Z.14–15) „Eine epische Inszenierung“ (Z.74–75)

Diese drei Phrasen präsentieren die Band in einem besonderen Licht und verweisen auf das ungleiche Verhältnis, das zwischen der Band und anderen herrscht.

„[...], dass wir verstehen wollen, welche Werte und Muster unser Gehirn auf die Welt projiziert“ (Z.166–168). Boards of Canada gibt bekannt, dass sie vielseitige Interessen haben, wie Spiritualität, Geometrie und Mathematik, die zur Erklärung von Projektionen gewisser Werte und Muster unseres Gehirns auf die Umwelt dienen könnten. In diesem Fall interpretiere ich die Interessen der Band als ontologische Quellen.

17 Interpretation – der erste Eindruck

Jäger betont in seiner Diskursanalyse, wie wichtig es ist, den ersten Eindruck festzuhalten (vgl. Jäger 2001, 2009). Nach Analyse der Zusammenfassung und kurz umrissener Interpretation der Artikel, ergibt sich für mich folgendes Bild: Es entsteht eine bestimmte Art und Weise, wie über und mit der Band gesprochen wird. Es zeichnet sich sowohl ein etablierter Jargon als auch ein Themenpool, der von den Autoren abgefragt wird, ab. Deckungsgleiche Fragen werden von Boards of Canada unterschiedlich aufgenommen und unterschiedlich beantwortet. Die zu untersuchende These, nämlich die Existenz eines Künstlerdiskurses, spiegelt sich in den

86 Interviews wider, da der Band Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich jenseits des individuellen Images befinden. Diese Eigenschaften werden im Kapitel 17.2 beschrieben.

17.1 Vergleich der Interviews

Vergleicht man das erste Interview aus dem Jahr 1997 und das zweite aus dem Jahr 2000, so entsteht der Eindruck, dass im ersten Interview lediglich einen Fragenkatalog abgefragt wurde und das zweite von der situationsbedingten Erzähl- und Gesprächsdynamik zwischen Band und Interviewer lebt. Auch die soziale Aufwertung beziehungsweise die soziale Höherstellung des Duos ist im zweiten untersuchten Artikel – durch oftmaligen Gebrauch an Adjektiven und Zuschreibungen – deutlich mehr zu erkennen. Dies wird bereits durch das Ablichten des Duos auf der Titelseite deutlich.

Stellt man dieses zweite Interview nun mit dem dritten aus dem Jahre 2005 gegenüber, so sind auch hier Unterschiede zu erkennen. Das dritte stellt inhaltlich mehr Bezüge zu bereits veröffentlichten Material her und bettet Boards of Canada geschichtlich mehr ein, wohingegen das zweite „Insider-Informationen“ preisgibt und sich eher in der Gegenwart verortet. Der dritte Artikel hinterlässt für mich mehr den Eindruck eines akzeptierten Etablierungsprozesses, der durch den Interviewer (und damit stellvertretend für das Magazin) gegeben wird – er besitzt eher retrospektiven Charakter. In Aussagen und Fragen, wie „Ist das nicht immer hart, so einen Schritt zu machen, die Musik in der Öffentlichkeit zu exponieren und die Reaktionen abzuwarten?“ (Z.79–82), „Ihr arbeitet jetzt seit fast 20 Jahren zusammen“ (Z.111–112) oder „Die mysteriösen Superstars der Elektronika haben wieder ein Album gemacht“ (Z.1–2) wird sowohl Bezug auf vergangene Tätigkeiten als auch auf Veröffentlichungen genommen. Auch habe ich den Eindruck, dass im letzten Interview die Band den/die Zuhörer_Innen mehr miteinbindet und es so wirkt, als wären sich Marcus Eoin und Michael Sandison dem gehört- Werden seitens des Publikums sehr bewusst – im Gegensatz zu den Interviews Ende der 1990er. Das Interview der 1990er von De:Bug hatte für mich eher den Eindruck von einem gehört- Werden-Wollens anstatt eines gehört-Werdens.

Zwar würde speziell in Kombination mit der Diskursanalyse die Bildanalyse Panofskys für den Vergleich verschiedener Darstellungsformen der Band in den Magazinen sehr interessant sein, doch würde dies den Rahmen der Arbeit sprengen. Aus diesem Grund werden in dem Kapitel 18 Bandfotos dargestellt, die Einfluss auf den weiterentwickelten Künstlerdiskurs und Etablierungsprozess der Band ausüben.

87 17.2 Interpretation der Diskursanalyse

Der Interpretationsteil bildet den längsten und inhaltlich ergiebigsten Teil einer Diskursanalyse. Ziel ist es herauszufinden, welche Botschaft das untersuchte Diskursfragment vermittelt, welche Zielgruppe angesprochen wird und in welchem diskursiven Zusammenhang das Diskursfragment steht (vgl. Jäger 2009, 185).

In diesem Kapitel möchte ich Eigenschaften zusammenfassen, die ich als maßgeblich relevant für die Entstehung und Konstruktion eines Musikerdiskurses vermute. Wie in der Diskurstheorie üblich und so auch in diesem Fall, sind die einzelnen Punkte untereinander vernetzt, verwoben und beziehen sich oftmals gegenseitig aufeinander.

Will Boards of Canada in der Musikszene Fuß fassen, so müssen sie sich dem Modus der in diesem Diskurs gängigen Aussagenproduktion bedienen, um auch an diesem Diskurs teilnehmen zu können. Auf die Disziplin bezogene Methoden, die spezifische Art und Weise des Argumentierens oder ein Spiel mit Regeln sind Beispiele, die den Diskurs mitkontrollieren. Wenn man sich – oder in diesem Falle die Band – diesen Taktiken bedient, so kontrolliert und produziert man den Diskurs mit (vgl. Foucault 2019, 25). Daraus resultierend können sich neue Wahrheiten im Diskurs einnisten.

Sowohl Boards of Canada als auch die Interviewer der Zeitschriftenartikel, weisen gleiche Themenfolgen und -muster auf, wodurch sich vermuten lässt, dass sie ähnliche Wahrheiten anerkennen. Durch diese gemeinsame Basis kann die Band am Diskurs partizipieren und diesen auch formieren.

17.2.1 Soziale Höherstellung

„Die mysteriösen Superstars der Elektronika“ (Lakeberg 2005, Z.1–2). „Artists whose status is somewhere between Radiohead and God“ (Boards of Canada zit. n. Southern 2000, Z.57).

Diese zwei Zitate zeigen die aktive Mitgestaltung am Musikerdiskurs. Die beidseitige Partizipation zeigt sich durch die Anerkennung der Prominenz und damit einhergehenden Sonderstellung (meist Höherstellung) von Musikern. Dem ungleichen Verhältnis zwischen Star

88 und Fan (vgl. Borgstedt 2008, 130), das durch Bekanntheit erzeugt wird, sind sich auch Boards of Canada bewusst. Der Rückgriff und der Vergleich auf den Superlativ Gott zeigt den besonderen Status von Musiker. Die zuvor erwähnte „künstlerische Genialität“ ist mit diesem Diskursfragment verschränkt (vgl. Diaz-Bone 2010, 140). Doch nicht nur die soziale Höherstellung, die durch das Interview und dem Autor gegeben wird, ist zwischen jenem und der Band, sondern auch zwischen dem Duo und anderen Musiker_Innen. Dies zeigt sich auch in dem zweiten Interview von Jockey Slut, als die Band erzählt, wie der Kontakt mit anderen Musikern_Innen war: „‚Marcus, you‘d never believe [Herv. i. Org.] who‘s on the phone!‘“ (Michael Sandison zit. n. Southern 2000, Z.41). Demnach werden auch Unterschiede in der sozialen Höherstellung zu anderen Musikern gemacht.

17.2.2 Equipment

Die Frage nach dem Equipment im Produktionsprozess, wie auch in der Live-Situation wird nur im ersten Interview konkret beantwortet. Die beiden Schotten sprachen sich gegen den Transport des gesamten Equipments vom Studio auf die Bühne aus, weshalb sie sich für einen Sequencer entschieden haben, um den Aufwand für ihr Liveset zu minimieren: „Im Moment überlegen wir alles auf einen Sequencer aufzubauen und da werden wir uns wohl für einen MPC2000 von Akai entscheiden“ (Wildermann 1997, Z.250–254). Wildermanns Frage nach dem Equipment ist nicht willkürlich, sondern auch Teil des Diskurses. Dies zeigt auch Diaz- Bone (2010), denn er verdeutlicht dass Instrumente geschätzte Mittel der Musikproduktion sind, denen große Bedeutung in der Erzeugung des Sounds beigemessen werden (vgl. ebd., 268). Durch die Analyse von Special-Interest-Zeitschriften fand Diaz-Bone heraus, dass (1) die Berichterstattung über Instrumente sowie deren Hervorhebung für den künstlerischen Beitrag, ein wichtiger Bestandteil des Genrewissens ist, (2) der Musiker aufgrund seiner Erfahrung als Experte auftritt, (3) das Instrument mit dem symbolischen Gewicht der Instrumentenfirma versehen wird und, dass (4) die Zufriedenheit der Nutzer und die einfach Bedienung im Vordergrund stehen (vgl. ebd.). Diese vier Punkte zeigen, dass die Frage erstens nicht wahllos gestellt und zweitens auch nicht zufällig abgedruckt wurde, sondern auch Teil des Künstlerdiskurses ist und dessen Eigenproduktion bzw. Verselbstständigung fördert. Mit Boards of Canadas Antwort auf die Frage nach dem Equipment wird der Diskurs, dem unter anderem (implizite) Distinktionsstrategien, Etablierungsmechanismen, Genreabgrenzungen und Alleinstellungsmerkmale innewohnen, vorangetrieben.

89 17.2.3 Die Bedeutung des Studios

Auch zu der Bedeutung von Studios für Musiker hat der deutsche Soziologe Diaz-Bone (2010) geforscht. Dafür hat er in den Untersuchungen zum Metal-Diskurs Studioartikel untersucht. Diese besondere Art der Zeitschriftenartikel berichtet über die Musiker im Schaffungs- und Produktionsprozess einer neuen Veröffentlichung. Studioartikel berichten von einem Album im „statu nascendi [Herv. i. Org.]“ (Diaz-Bone 2010, 285). „Das Studio wird wie ein ‚magisches Laboratorium‘ thematisiert, in dem ‚magische‘ Handlungen in die Kunst einfließen und Akteure mit besonderen Fähigkeiten auftreten, die entscheidend zum Entstehen wertvoller Musik beitragen“ (ebd.). Nicht nur das Studio selbst, sondern auch der Ort des Studios wird emotional aufgeladen. Oft sind sie mit Stilrichtungen verknüpft: so sind Studios in Helsinki oder an der Westküste der USA unterschiedliche stark und mit unterschiedlicher Qualität aufgeladen und geben einen Hinweis auf den Sound einer (neuen) Veröffentlichung.

Die Bedeutung der Studios im Techno-Diskurs unterscheidet sich von der des Metal-Diskurses. So ist das Studio im Techno-Diskurs eine vertraute Umgebung, in der intensiv und lange gearbeitet wird (vgl. Diaz-Bone 2010, 351). Das Studio ist mit einer zentralen Bedeutung versehen, da es einerseits die Lebensweise der Musiker und andererseits die ästhetischen Vorstellungen von Produktionsweisen des Technos thematisiert. Darüber hinaus sind Studios Teil des Alltagsraums (vgl. ebd.). Man produziert allein im eigenen Studio oder zusammen mit befreundeten Künstlern. Das wesentliche Unterscheidungskriterium zum Studio im Heavymetaldiskurs: „Technomusiker proben nicht im Studio, sie arbeiten und experimentieren dort. Das Studio wird als ein Setting mit privatem Ambiente, als alltägliche Sphäre beschrieben“ (vgl. ebd., 352). Laut Untersuchungen des Soziologen fehlt es den Techno- Produzenten im Studio an Druck in kurzer Zeit effektiv etwas hervorbringen zu müssen (vgl. ebd.).

„But Forcefield managed to enter the bunker which hosts the Hexagon Studio.“29 „Boards of Canada invite Richard Southern to their secret den and share with him their bluffer’s guide to making the perfect bonfire and why they have little time for Leonardo Di Caprio...“ (Southern 2000, Z. 5–6).

29 https://web.archive.org/web/20010305221908/http://www.forcefield.org/boc.html (11.01.2021) 90 Sowohl das Magazin Forcefield als auch Jockey Slut betonen das Geheimnisvolle, das um die Studioräumlichkeiten BoCs kreist. Durch die Tatsache, dass den Zeitschriften Zugang zu den Studios gewährt wurde, werten sie sich insgeheim auf und können Informationen preisgeben, die der Öffentlichkeit bzw. den Fans normalerweise vorenthalten werden. Auch der Ort, nämlich das ländliche Schottland, findet in beiden Zeitungsartikeln seinen Platz. Besonders auffallend ist die Betonung der Relation zwischen Ort und Studio in dem dritten untersuchten Artikel: „Seit 1990 findet im Norden Schottlands in der Nähe der Borads-of-Canada-Studios einmal jährlich eine Outdoor-Party statt“ (Lakeberg 2005, Z. 5–7). Der von Diaz-Bone beschriebene Ortsbezug wird also auch in diesem Interview erkenntlich.

17.2.4 Vielfältige Interessen

Die beiden Schotten würde ich eher in der Richtung des Technodiskurses als in der des Metaldiskurses verorten. Allein deshalb, weil Diaz-Bone (2010) aufzeigt, wie wichtig das breitgefächerte Selberkönnen im Technodiskurs ist. Nicht die Einzeldisziplin, wie beispielsweise das Gitarre- oder Schlagzeugspielen, liegt im Vordergrund, sondern mehr die vielfältigen Tätigkeiten, die zum Produktionsprozess beitragen, denn – wie Diaz-Bone zeigt – ist es wichtig sich viele Fertigkeiten schnell und mit Selbstsicherheit anzueignen (vgl. Diaz- Bone 2010, 354f). Als Beispiel kann hier das Produzieren von Filmen im ersten Interview genannt werden (vgl. Wildermann 1997, Z.85ff) oder auch die Fähigkeit Samples in ihren Besonderheiten zu erkennen (vgl. Southern 2000, Z.60–62).

17.2.5 Abgrenzung und Distanzierung zu anderen

Das Duo hat die Vorstellung, dass Künstler_Innen, die nicht am Allgemeinen partizipieren genau diejenigen sind, die in der Lage sind, großartige Kunst hervorzubringen. Jeder und jede bedient sich den gleichen Mitteln, weshalb nichts Neues entstehen kann – so den Aussagen der Band zufolge.

„It's never people who are part of the general flow who make amazing art. Everyone's collectively going down one particular branch of music“ (Southern 2000, Z.123–124).

Der Individualität, welche für sie als Alleinstellungsmerkmal guter Kunst gilt, bedienen sie sich selbst:

91 „We take such long, individual paths to get where we go, paths that nobody else could ever follow“ (Z.100,101).

In reflexiven Aussage der Band über sich selbst lässt sich die Abgrenzungsarbeit zu anderen gut erkennen. Auch hierzu hat Diaz-Bone (vgl. 2010, 177) in seinen Arbeiten geforscht und macht deutlich, dass die „Masse“ bzw. das „Normale“ einen Bezug für die Distinktion darstellt. Darüber hinaus verweist die Distinktion „auf eine relationale Ordnung der kulturellen Objekte (Genres, Gegenstände, kulturelle Praktiken usw.), zu denen sich die Distinguierenden ins Verhältnis setzen“ (vgl. ebd, 68).

Das Interessante dabei ist, dass Boards of Canada sich in diesem Beispiel nur implizit von anderen abgrenzt. Es definieret zuerst einen kurzen Kriterienkatalog, der Merkmale für gute Kunst auflistet und auf Basis subjektiver Vorstellen beruht. Den Vorstellungsmustern des Duos zufolge bringt der Mainstream keine gute Kunst hervor. Beide stellen sich in der nächsten Aussage dem Mainstream gegenüber – de facto sind sie es, die in der Lage sind erstaunliche Kunst zu erzeugen. Doch auch ein weiteres Zitat gibt Aufschluss über den Distinktionsprozess:

„They‘re the fire-starters, the rustic fire-starters, who’ve influenced everyone from Air to Radiohead“ (Southern 2000, Z.4).

Dieser bereits oft zitierte Satz ist auch auf dieser Ebene ergiebig, da Southern der Band nicht nur Alleinstellungseigenschaften zuweist, sondern sie zugleich auch von anderen Musikschaffenden abgrenzt.

In diesem Unterkapitel „Distanzierung zu anderen“ ist es besonders interessant, dass die im Diskurs herrschenden Vorstellungen in dreifacher Weise in Erscheinung treten. Erstens in den von der Band angestellten Vermutungen und Vorstellungen über andere Menschen, also Künstler_Innen, Produzent_Innen und auch Menschen, die nicht dem Mainstream folgen; zweitens in reflexiven Aussagen der Band über sich selbst und drittens in Kommentaren der Autoren.

92 Auch in dem Interview, das in dieser Szene Kultcharakter besitzt, distanziert sich die Band klar von anderen: „We're not trying to be an IDM band and we're not trying to be a Warp band or anything.“30

Die Distanzierung zum Mainstream wird auch in dem zweiten untersuchten Zeitungsartikel von Marcus Eoin erwähnt: „If lots of musicians go out of business, then there is only going to be a smaller number of extremely commercial crap artists to choose from“ (Southern 2000, Z.182– 184).

Boards of Canada leistete in Interviews nicht nur Abgrenzungsarbeit zu anderen Personen, Genres oder Labels, sondern auch zu deren Arbeitsweise und verweist mit den unten stehenden Zitaten (aus dem ersten Artikel) auf die bestehenden Kunstwelten:

„absichtlich falsche Tonlagen“ (Z.55). „zerhacken normale Strukturen“ (Z.56). „Viele würden High-Tech-Sampler dazu benutzen“ (Z.52–53).

Mit Boards of Canadas Verweis auf die gängige Norm der Kunstwelt, in der sie sich befinden, sind sie in der Lage sich zu distanzieren. Auch dieser Fakt lässt sich mit den Arbeiten Michel Foucaults erklären. Er zeigt in seinem Werk „Überwachen und Strafen“, dass die Normalisierung zu einem Machtinstrument wurde und das System von Normalitätsgraden klassifizierend wirkt und daraus Rangordnungen resultieren können (vgl. Foucault 2017, 237).

Einerseits zwingt die Normalisierungsmacht zur Homogenität, andererseits wirkt sie individualisierend, da sie Abstände mißt, Niveaus bestimmt, Besonderheiten fixiert und die Unterschiede nutzbringend aufeinander bestimmt. Die Macht der Norm hat innerhalb eines Systems der formellen Gleichheit so leichtes Spiel, da sie in die Homogenität, welche die Regel ist, als nützlichen Imperativ und als präzises Meßergebnis die gesamte Abstufung der individuellen Unterschiede einbringen kann. (Foucault 2017, 237–238)

30 https://pitchfork.com/features/interview/6151-boards-of-canada/ (17.12.2020) 93 17.2.6 Vergleich mit anderen

Nicht nur die Distinktionsarbeit, sondern auch die Bewunderung, die Achtung und der Vergleich mit anderen Produzent_Innen und Musiker_Innen stellt sich als relevant für den Musikerdiskurs heraus. BoC gibt an Songs von David Bowie oder den Beach Boys zu bewundern (vgl. Southern 2000, Z.60–61). Auch in dem Kommentar über die EP „Play by Numbers“ zieht Southern Vergleiche mit der Band My Bloody Valentine (vgl. Southern 2000, Z.236f).

17.2.7 Lebensführung

Nicht nur die „künstlerische Genialität“, sondern auch die Lebensführung der Kulturproduzenten wird bewertet (Diaz-Bone 2010, 140). Diese Bewertung muss mit kulturellen Objekte korrespondieren. „Die kulturellen Objekte (Werke, kulturelle Produkte) werden einer Bewertung unterzogen, die ästhetische Kategorien der Körpererfahrung, der Lebensführung, der Geisteshaltung nicht nur auf die Kollektive, sondern auch auf die Objekte selbst bezieht“ (Diaz-Bone 2010, 140). Im dritten untersuchten Interview mit De:Bug, wie auch in vielen anderen, wird die Band sowohl mit der schön gezeichneten Landschaft Schottlands in Zusammenhang gebracht als auch mit großen Lagerfeuern oder der Natur allgemein. In dem von Diaz-Bone angesprochenen Bewerten kultureller Objekte mit Rückblick auf die Lebensführung, zeigt sich im Falle BoCs in deren Musik Folgendes: Die Verwendung von Naturklängen, wie das Rauschen eines Meeres oder das Sample eines lachenden Kindes, korrespondiert mit deren Lebensführung und deren Image.

17.2.8 Bandname

Die Frage nach der Herkunft des Bandnamens ist auch Teil des Musikerdiskurses. Sie wurde in den anfänglichen Interviews öfters gestellt, denn der Bandname kann als Emblem gesehen werden (vgl. ebd., 264). Zudem kann eine Anekdote mit Rückgriff auf die Namensherkunft symbolisches Kapital enthalten. Auf die Frage De:Bugs (Wildermann 1997, Z.63–64), wo der Bandname seinen Ursprung hat, antwortet die Band mit: „Es gibt eine Behörde in Canada, die ‘The National Filmboard of Canada‘ heißt. Sie produzieren Natur- und Tierfilme bzw. politische Dokumentarfilme, die sich hauptsächlich mit Nordamerika und Canada beschäftigen. In den 70ern waren diese Filme sehr beliebt und ihre Soundtracks haben uns sehr beeinflußt.

94 Es waren immer sehr schön gemachte Tunes, die bestimmt von einem Acid-Casualty mit langen Haaren und sehr vielen Synthesisern komponiert worden sind“ (ebd., Z.65–76).

Die Antwort der Band verweist auf das Interesse für (experimentelle) Filme. Auch der Rückgriff auf deren Kindheit, in der die Brüder Filme des National Filmboards of Canada gesehen haben, drückt sich sowohl im Bandnamen, als auch in der von den Magazinen beschriebenen Nostalgie der Musik aus.

Diaz-Bone macht darauf aufmerksam, dass die Frage nach der Namensherkunft oft in den einleitenden Passagen eines Interviews gestellt wird (vgl. Diaz-Bone 2010, 264). Im Falle des untersuchten Duos fällt auf, dass die Entstehung des Bandnamens mit einer Geburt gleichgesetzt wird und von einer Geburtsstunde die Rede ist: „embryonic but recognisably Boards-Ian melodicism“ (vgl. Southern 2000, Z.234). Die Romantisierung in diesem Zusammenhang finde ich besonders interessant.

17.2.9 Die Interview-Situation

Der Rezensionstext selbst beinhaltet typischerweise einen Hinweis auf die Phase der Bandgeschichte, auf ihre Herkunft, ihre Bedeutung sowie den Bezug zu vorherigen Alben (vgl. Diaz-Bone 2010, 298). Doch nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf struktureller Ebene arbeitet der Diskurs. Das Regelsystem, das einen niederschwelligen Zugang zum Diskurs verbietet, lässt sich gut in der Interview-Situation erkennen und stellt an sich auch ein Diskursfragment dar. Dieser Fakt zeigt sich in der Erwähnung einer Ausnahme, die bekanntlich die Regel darstellt: Jockey Slut zeigt auf, dass das Duo nur selten Interviews gibt:

These, after all, are people who refuse to reveal the location of the commune they inhabit in the Pentland hills near Edinburgh, who won't give out their phone number or even, for the most part, give interviews. They've chosen Jockey Slut in favour of the covers of a number of major national publications [...]. (Southern 2000, Z. 68–72)

Diaz-Bone (2010) zeigt, dass sich in Interviews nicht nur der Künstlerdiskurs (in seinem untersuchten Fall der HeavyMetal-Diskurs) ausdrückt, sondern das Interview selbst maßgeblich zum Diskurs beiträgt (vgl. ebd., 264). Eben gerade diese Erwähnung in dem dritten untersuchten Artikel zeigt, dass das Interview-Geben sowohl ausschlaggebend für die

95 Musikergenerierung und den Musikerdiskurs ist, als auch die Entscheidung gegen ein Interview als Distinktionsmittel betrachtet werden kann.

17.2.10 Heilige Kunstwerke

Nicht nur die Höherstellung der Künstler, sondern auch den von Becker erwähnten geheiligten Charakter der Kunstwerke in den Kunstwelten (vgl. Diaz-Bone 2010, 144) werden sowohl von dem Autor, als auch von dem Duo anerkannt:

„He was just really excited to have new Boards of Canada tracks that no one else has heard“ (Boards of Canada zit. n. Southern 2000, Z.193).

„We may have a long cold wait on our hands, but it looks like there might be another blaze about to start crackling“ (Southern 2000, Z.209–210).

Künstler werden mit einer gewissen Genialität assoziiert, die sie zu Künstler werden lässt (vgl. Diaz-Bone 2010, 144). Diese Genialität ist in der Lage Kunstwerke hervorzubringen, die geheiligten Charakter besitzen. Walter Benjamin zeigt, dass die ältesten Kunstwerke in Zusammenhang mit Ritualen entstanden sind, die zuerst magischen, dann religiösen Hintergrund hatten (vgl. Benjamin 2019, 21). Auch das Sprechen über Kunstwerke verschafft ihnen erst den geheiligten Charakter (vgl. Diaz-Bone 2010, 57). Zudem wirkt sich eine geringe Auflagezahl an Tonträgern auf den Status des Kunstwerkes aus. Konkret sieht man dies an der Rezension Southerns über die Kassette „Acid Memories“.

„Absurdly rare, cassette-only release from the barely teen Boards“ (Southern 2000, Z.232–233).

Tonträger mit geringer Auflagezahl werden für verhältnismäßig hohe Summen gehandelt. Konkret sieht man dies auch im Falle der Promo-Platte (siehe Kapitel 14.1), die im Rahmen der Ankündigung des neuen Albums „Tomorrow’s Harvest“ in limitierter Stückzahl veröffentlicht wurde.

Die Rarität einer Platte lässt sich mit der Objekt-Kunstwelt-Relation erklären (siehe Kapitel 7) (vgl. Diaz-Bone 2010, 144). Auch Walter Benjamin zeigt, dass das Original im Gegenzug zum Reproduzierten an äußerst hohen Wert besitzt (vgl. Benjamin 2019, 16).

96 17.2.11 Kritiken

Die Interviewsituation beherbergt mehrere Diskursfragmente bzw. einen Regelsatz, der sich auf den Diskurs bezieht. Konkret sieht man dies in Beschreibungen und Kritiken Southerns über die – bis zu diesem Zeitpunkt – veröffentlichten Songs der Band, wodurch jener Rückschluss auf das Regelsystem im Diskurs zustande kommt. Aus meiner Sicht befindet sich Southern genau zwischen der Rolle eines Autors und eines Kunstkritikers. Bourdieu hob bereits die Relevanz von Kunstkritikern hervor, die sich das Recht nehmen Kunst zu kritisieren. Er zeigt auch, dass der Wert eines Kunstwerkes erst durch das hervorgebrachte Wissen, also durch verschiedene Diskurse, zustande kommt (vgl. Diaz-Bone 2010, 57). Genau dieses interessante Faktum ist auch in den Songkritiken wiederzuerkennen. Die Generierung von Wissen, also eine Song-, Album- oder EP-Kritik, ist konstitutiv für den Wert eines Kunstwerks. Zudem kann das Wissen über diesen Wert durch eine Zeitschrift veröffentlicht werden und somit für jede_n zugänglich gemacht werden. „Absurdly rare, casette-only release“ (Southern 2000, Z.232) ist beispielsweise eine Rezension über „Acid Memories“, die dieses Wissen generiert und auf mehreren Ebenen arbeitet. Demnach handelt es sich hierbei um eine Diskursstrang- Verschränkung zwischen den heiligen Kunstwerken und den Kritiken.

17.2.12 Neue Veröffentlichungen

„Wird es auf Music70 noch mehr Releases geben und was wird man sonst von Euch in Zukunft hören können?“ (Wildermann 1997, Z.129–132) „It's going to be simultaneously more listenable and more out there, psychedelic, gorgeous and strange" (Borads of Canada zit. n. Southern 2000, Z.207–208).

Beide Zitate zeigen, dass sowohl der Autor als auch die Band selbst es für wichtig erachten, die Frage nach neuer Musik zu stellen. Mit der Frage welche Eigenschaften ein Kunstwerk oder in diesem Fall neue Musik mit sich bringt, hat sich auch Georg W. Bertram beschäftigt.

Er bezieht sich auf Danto und verweist auf dessen interessanten Zugang: Er betrachtet Kunstwerke als Dinge, die etwas thematisieren. Demnach handeln sie von bzw. über etwas. Dies nennt Danto aboutness [Herv. i. Org.] und definiert Kunstwerke als etwas Seiendes bzw. Handelndes (vgl. Betram 2018, 39).

97 17.2.13 Genre

Sowohl in dem Kapitel 10 als auch im Theorieteil wurden bereits die Funktionen des Genres erwähnt. Obwohl das Genre für Musikschaffende konstitutiven Charakter aufweist und sich auf den künstlerischen Bildungsprozess auswirkt, grenzt sich das schottische Duo klar von anderen IDM-Bands ab.31 Diese „Strategie“ folgt jedoch – neben der Funktion als Distinktionsbehilfnis – Gesetzen und ist nicht willkürlich. Auch Diaz-Bone (2010) weist darauf hin, dass Genres im Stande sind Positionen entstehen zu lassen und „Reflexivität als eine prozessuale Selbstbezüglichkeit“ ausbilden (ebd. 229). Die Reflexivität meint sowohl eine Beobachtung zweiter Ordnung, als auch eine Selbstbeobachtung. Mit dieser Reflexivität wird es „den Akteuren ermöglicht, sich zum Formenfundus des eigenen Genres in Distanz zu setzen“ (ebd.). Diese Reflexivität kann jedoch auch als zweischneidiges Schwert betrachtet werden:

Einerseits wirkt sie [die Reflexivität Anm. L.S.] stabilisierend, sie ermöglicht Selbstversicherungen, Stabilisierungen des Lebensstils und die Vergewisserung um die ästhetischen Grenzen zu anderen Lebensstilkollektiven, in Form des Genrewissens beginnen Kulturwelten ihre Geschichtlichkeit als Identität auszubilden. Andererseits kann auf der Reflexivität eine Dynamik der Destabilisierung erwachsen. Denn sie trägt zur Steigerung des Bewusstseins um die Konstruktivität des Wissens und so zur Erosion seiner Selbstverständlichkeit bei. (ebd., 230)

17.2.14 Konzerte

Da Konzerte so konstitutiv für die Stargenerierung sind, wird oft erwähnt, dass die Band nur selten auf Konzerten performte. Man erkennt also, dass der Künstlerdiskurs Regeln vorschreibt und diese im Image in beide Richtungen in Erscheinung treten können. Das Negativum, nämlich das äußerst seltene live-Performen, wird in der Imagegenerierung ins Positive gekehrt, da diese Eigenheit beziehungsweise diese Alleinstellung ausschlaggebend für die Band und deren Image ist. Diese Tatsache wird von Zeitschriften aufgegriffen und als eine Rarität dargestellt. Obwohl Konzerte ausschlaggebend für den Autonomiegedanken sind (vgl. Fuhrmann 2018, 139), erwartete die Band keine näheren Sanktionen.

31 https://pitchfork.com/features/interview/6151-boards-of-canada/ (17.12.2020) 98 17.2.15 Der Mythos

Im Laufe der Jahre konnte sich die Band einen Mythos um sich selbst aufbauen. In einem Interview mit dem Magazin OOR im März 2002, antwortete die Band auf die Frage, wie wichtig der Mythos um sie ist: „We're not into milking the media and we're not interested in trying to become famous. […] The music industry is full of people who are famous for being famous. We just want to create good music, and it doesn't matter to us to do all the other nonsense.”32

Zieht man hierzu Claude Lèvis Strauss heran, so ergibt sich eine spannende Erklärung, was einen Mythos ausmacht: Der Mythos enthält die „Gesamtheit seiner Fassungen, die in einer Ethnie und der zugehörigen Region zirkulieren“ (Lèvi-Strauss 1975a zit. n. Diaz-Bone 2010, 72f). Er legt ein Muster vor, das nur durch seine Konstruktionsregeln begründet werden kann, also Bilder der Gesellschaft oder der Geschichte, die nur unbewusst wahrgenommen werden. Der Mythos ist in der Lage ein großes Ganzes zu schaffen und die einzelnen Elemente untereinander zu verbinden. Zwar nimmt jedes Subjekt unterschiedliche Teile im Werk unterschiedlich wahr, aber zusammenfassend sind es kleine Merkmale, die all diese Merkmale bzw. Teile zusammenfassen (vgl. ebd.).

17.2.16 Das Image

Das Image definiere ich hier aufbauend auf die Theorien Borgstedts als eine Kombination des individuellen Befolgens und Aneignens der im Künstlerdiskurs bestehenden Regeln. Es erweist sich als schwierig das Image von Boards of Canada zusammenzufassen, zumal die Imagekonstruktion auch diskursiv ist (vgl. Borgstedt 2008, 142). Hier zeigen sich auch verschiedene Diskursstrang-Verschränkungen. Beispielsweise könnte das Verschweigen der Tatsache, dass beide Brüder sind, als Aufrechterhaltung des Geheimnisvollen gesehen werden, wodurch der Mythos und das damit verbundene Image am Leben gehalten wird. Die Fähigkeit ein Geheimnis so lange für sich behalten zu können, verleiht dem Geheimnisvollen Glaubwürdigkeit. Demnach dient das Alleinstellungsmerkmal als Distinktion, um nicht mit anderen Bands verglichen zu werden.

Abschließend zeigt sich, dass durch die oben aufgelisteten Themenbereiche, die ich für die Generierung eines Musikerdiskurses als wichtig erachte, die Individualität der Band nicht

32 Koen Poolman 2002, 20 99 verloren geht, sondern diese eben gerade erst konstruiert und anschließend bewahrt wird. Es existieren Kriterien, die in diesem Diskurs für eine Hervorbringung und Partizipation am Musikerdiskurs relevant sind und als wichtig gelten. Diese Kriterien werden entweder von der Zeitschrift hinterfragt oder von der Band selbst bereits im Vorhinein erwähnt oder beantwortet. Dem schottischen Duo geht es nicht um die Selbstdarstellung, sondern um gute Musik. In diesem Fall zeichnen sich Parallelen zu Musikern im Bereich der Klassik ab. Borgstedt nimmt Bezug auf Bourdieu und Fiske und zeigt hierzu aufschlussreiche Ansichten: Laut Bourdieu und Fiske ist es Berühmtheiten im Bereich der Klassik nicht erlaubt selbstbezogene Bedürfnisse zu befriedigen, da deren „Werke autonom für sich stehen, der Interpret lediglich Ausführender ist und nicht als Repräsentant eines konkreten Wertesystems für den eigenen Lebensentwurf herangezogen“ wird (Borgstedt 2008, 67).

100 92 2 Theorien des Diskurses nen. Das Verhältnis von Diskursen und Institutionen ist von Foucault (1977) in der Untersuchung der Genealogie der Problematisierung um die „Sexualität“ in der Moderne als ein solcher gegenseitiger Ermöglichungszusammenhang dargestellt worden. Diskurse werden durch Institutionen angereizt und Institutionen ermögli- chen17.2.17 DiskursenDer Musikerdiskurs die Entfaltung und Steigerung ihrer Machtwirkungen. (3) Zum anderen betrifft die vertikale Achse das Verhältnis von Diskursen und Formen der Konstitutierung von Subjekten und Kollektiven und deren Le- bensführung.Die folgende Im Abbildung Zusammenwirken wird durch mit permanenten den institutionell Rückgriff gestützten auf nicht- die Interviewsituation und den diskursiven Praktiken können Diskurse einen konstituierenden und strukturie- rendenzugehörigen Einfluss Diskursfragmentenauf Subjektivierungen ausüben.des Musiker Dieserdiskurs Artikulationszusammen- ergänzt. hang zwischen Diskursen und Lebensführung wird im nächsten Abschnitt ausge- führt. Das Diskursmodell kann schematisch dargestellt werden.76

Abbildung 3: Diskursmodell nach Foucault

Einheit des Diskur- ses als Regelsys- tem, fungiert für das Sprechen und Ebene der Denken als positi- Aussagen ves Unbewusstes

Ebene der Forma- „Bezie- tionsregeln „autori- hungen sierte zw. den Subjek- Dingen“ Differenzierung Konstruktion der te“ der Gegenstände Sprecherpositionen „Begriffs- Differenzierung Strategische „(theoret.) raster / der Begriffe Optionen Interessen / abstr. Absichten“ Konzepte“ diskursive Beziehungen

wahrgenommene, sekundäre od. sprachlich verfasste reflexive Bezie- Realität hungen

primäre Bezie- Umwelt des Diskur- hungen ses: primäre, nicht- weiterer diskursive Beziehun- Diskurs gen und andere Diskurse weiterer Diskurs

Abb. 6: Diskursmodell nach Foucault (Diaz-Bone 2010, 92)

76 Das Modell ist in Anlehnung an Kammler (1986) entwickelt worden, vgl. auch Diaz-Bone (1999). 1.Kreis: In der Mitte befindet sich die Einheit des Diskurses. Er beinhaltet Formationsregeln (beispielsweise die Interviewsituation) und enthält eine Wissensordnung. Er ist es, der die Sprecherpositionen (Musikmagazin, andere Künstler, Institutionen) konstruiert und Gegenstände differenziert. Beispielsweise lässt sich durch das vorhandene Regelsystem im Diskurs zwischen Hobby- und Profimusiker, Klassik- und Elektromusiker sowie verschiedenen Genres differenzieren.33 In der Einheit des Diskurses, also den geltenden Prinzipien, zeigt sich wie man über sich selbst und andere Künstler und Musiker sprechen kann bzw. auch sprechen soll.34 Mittels diesem Regelsystem können sich die dazugehörigen Schemata und Kategorien einer dem Diskurs entsprechenden Lebensführung auftun, wodurch ein Kollektiv ergründet

33 Hier wurde bewusst wieder die männliche Form verwendet, da sich die im Diskurs befindlichen Regeln für Männer und Frauen unterscheiden; siehe Kapitel 8. 34Diaz-Bone (2010) hat hierzu interessante Untersuchungen über den Techno- und Metaldiskurs durchgeführt und herausgefunden, dass sich das Sprechen über Künstler_Innen in den jeweiligen Diskursen unterscheidet und dies auf einem Regelsystem basiert. 101 wird, das sich wiederrum in seinem Sein anerkennt. Aus diesem Grund sind auch die Beziehungen in dem Kreis zueinander diskursiv. Diese Ebene beinhaltet, im Gegensatz zur zweiten und dritten, die Idee (im platonischen Sinne) des Musikerdiskurses. Aus meiner Sicht sind die zwei weiteren Ebenen Verbildlichungen und Vergegenständlichungen in denen der Künstlerdiskurs in Erscheinung treten kann. Unter den strategischen Optionen, kann sichergestellt werden, dass sowohl nicht jeder am Künstlerdiskurs teilnehmen kann und man somit im Diskurs an Alleinstellungsmerkmal gewinnt, als auch, dass Interessen und Absichten konstruiert werden können.

Im 2.Kreis, also den Ebenen der Aussagen, tritt der Musikerdiskurs maßgeblich in Erscheinung, weshalb in dieser Arbeit auf die inhaltlich-ideologischen Aussagen der Interviewanalyse so genau eingegangen wurde. Er ist es, der die Realität des Diskurses – ganz im poststrukturalistischen Sinne – mittels Sprache formt. Es sind die Aussagen, die in der Praxis oftmals als „subjektiv begründet“ in Erscheinung treten (vgl. Diaz-Bone 2010, 90). Durch die Konstruktion der Sprecherpositionen im ersten Kreis, werden im zweiten „autorisierte Subjekte“ konstruiert, die befähigt sind Aussagen über den und in dem Musikeriskurs zu tätigen (ebd., 92). Musiker, Labels oder Zeitschriften lassen sich hier als autorisierte Subjekte definieren. Sie sind in der Musikbranche nicht nur relevante Institutionen, sondern treiben auch den Musikerdiskurs voran, indem ihnen dieser Status zugeschrieben wird. In dem 2. Kreis können auch eigene Interessen, Ziele und Absichten verfolgt werden, mit der Rechtfertigung auf die Sonderstellung, nämlich mit dem Verweis auf das Konstrukt eines autorisierten Subjekts. Beispielsweise kann in einem Interview mit einem/r Musiker_In, Produzent_In oder DJ_ane sichergestellt werden, dass eine Zeitschrift selbst an Prestige gewinnt, wenn sie in der Lage ist, Musiker_Innen für ein Interview zu gewinnen. In diesem Kreis befinden sich auch die sekundären Beziehungen. „Diskurse werden durch Institutionen angereizt und Institutionen ermöglichen Diskursen die Entfaltung und Steigerung ihrer Machtwirkungen“ (Diaz-Bone 2010, 92).

Im 3.Kreis sind die primären Beziehungen zu verorten. Es sind „die ‚objektiven‘ Beziehungen und Praktiken zwischen Institutionen, ökonomischen Prozessen, Techniken, Rollen, Verhaltensformen, etc.“ (Diaz-Bone 2010, 90). In meinem Fall können die Verwertungsgesellschaften, die für die Sicherung der Einnahmen von Musikschaffenden – durch zum Beispiel Radiostationen – zuständig sind, die wiederrum mit einem Label in Beziehung stehen (können) als Vergegenständlichung der objektiven Beziehungen gesehen

102 werden. Durch die an dem Diskurs beteiligten Parteien und deren Beziehungen untereinander, entsteht eine kollektive Weise der Lebensführung:

Diskurse können als solche Wissensordnungen aufgefasst werden, die die Schemata und Kategorien der Lebensführung beinhalten und hervorbringen, mittels derer die Kollektive sich in ihrem sozialen Sein anerkennen können. Die Diskursivierung der Dimensionen der Lebensführung resultiert dann in den Erfahrungen von Subjektivität (Körper, Begehren usw.) und Kollektivität, die eine Materialisierung (Verleiblichung) von Wissen (diskursiver Praxis) darstellt. Zentral für die Konstituierungswirkung von Erfahrungen durch Diskurse ist ihre besondere Eigenschaft, solche Wissensordnungen hervorzubringen, die den Anspruch auf Geltung, auf Wahrheit erheben. Auf diese Weise kann die Habituskonstitution durch die Einlagerung der diskursiven Praxis in den Körper erfolgen. (Diaz-Bone 2010, 95)

Der Begriff des „Archivs“ beschreibt laut Foucault das Aussagesystem, das zu einer bestimmten Zeit über einen bestimmten Diskurs vorherrschend war.

Die diskursive Repräsentation

In den vorherigen Unterkapiteln erwies es sich als äußerst schwierig sich außerhalb des Diskurses zu bewegen, wenn doch Zeitschriften selbst über „die Musik“ schreiben und bei der Entstehung dieses Diskurses beteiligt sind. Eine Zeitschrift gibt indessen vor, von einer vordiskursiven Realität zu berichten (vgl. Diaz-Bone 2010, 231). Sie gibt neue Veröffentlichungen bekannt und berichtet über neue Ereignisse, Konzerte und „anderen Vorgängen in ihrer Kulturwelt“ (ebd.). Die geschriebene Musik ist eine diskursive Musik, da sie im Diskurs zu einem sozialen Sachverhalt wird, weil sie mit Bedeutungen aufgeladen wird und als „Werk“ bzw. „Ereignis“ in Erscheinung tritt und scheinbare Gegebenheiten organisiert. Die „Musik“ wird in einem Netz relationiert „d. h. im Wissen als Repräsentation von ‚Realität‘ – beispielsweise als Konzept von ‚Sound‘ – ausdifferenziert. Hier tritt sie zusammen mit den ihr zugehörigen ‚Praktiken‘ und legitimen Bewertungskategorien in einem Raum des Denk-, Erfahr- und Hörbaren hervor und aus ‚Musik‘ wird Musik“ (ebd.).

103 17.2.18Berichterstattung über Boards of Canada

Eine Berichterstattung ist entscheidend sowohl für die Partizipation an einem Musikerdiskurs als auch für die Imagekonstruktion. Aus diesem Grund wird folgend eine Seiten-Datum- Relation der Zeitschriften grafisch dargestellt.

Abb. 7: Seiten-Datum-Relation

Zählt man die Anzahl der Seiten aller 59 Zeitschriften (aller Sprachen), in der über die Band berichtet wurde, zusammen und setzt sie mit deren Erscheinungsdatum in Relation, so erkennt man den Zusammenhang zwischen einer Veröffentlichung und der Seitenanzahl der Berichterstattung. Ein kleiner Anstieg im April/Mai 1998 lässt sich durch den Album-Release „Music Has The Right To Children“35 vom 20. April 1998 erklären. Der Anstieg im November/Dezember im Jahre 2000 zeigt die EP-Veröffentlichung „A Beautiful Place Out In The Country“ vom 27. November 2000.36 Die nächst höhere Spitze ist im Februar 2002 zu verzeichnen. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch auch das Album „Geogaddi“ veröffentlicht (13. Februar 2002).37

Im Oktober und November 2005 erreichten die Seitenzahlen ihren Höhepunkt. 2005 wurde im Oktober auf 38 Seiten, im November auf 32 Seiten, im Dezember auf 14 Seiten und im Jänner 2006 auf 12 Seiten über die Band berichtet. Diese Besonderheit lässt sich durch ein besonderes

35 https://pitchfork.com/features/article/why-boards-of-canadas-music-has-the-right-to-children-is-the-greatest- psychedelic-album-of-the-90s/ (26.01.2021) 36 https://bleep.com/release/5729-boards-of-canada-in-a-beautiful-place-out-in-the-country (26.01.2021) 37 https://www.beatport.com/release/geogaddi/23277 (26.01.2021) 104 Ereignis vermuten: Am 17. Oktober 2005 erschien in Europa das Album „The Campfire Headphase“.38 Wie sich jene verhältnismäßig intensive Berichterstattung in diversen Zeitschriften erklären lässt, bleibt offen. Auf meine Frage, welche Marketing-Strategie für die offizielle Veröffentlichung des Albums benutzt wurde, antwortete weder die offizielle Fan- Webseite noch das Label Warp-Records. Besonders interessant wäre zu wissen, ob sich die Prominenz der Band verselbstständigt hat oder, ob mittels hohem Marketingbudget diese intensive Berichterstattung bewusst generiert wurde.

17.2.19Imagebildung und Musikerdiskurs

Die Mythosbildung der Band hängt mit dem immer wiederkehrenden Rest an Unwissenheit in der Imagebildung zusammen, also dem von Borgstedt beschriebenen Informations-Defizit (vgl. Borgstedt 2008, 53). In dem Falle Boards of Canadas ist der Balanceakt zwischen Imagebildung und dem sich anzueignenden Künstlerdiskurs recht gut veranschaulicht. Genau diese Tatsache kann als immer wiederkehrende Oszillation zwischen Imagebildung, wie sie Borgstedt (2008) beschrieben hat, und Musikerdiskurs, den diese Arbeit einen Schritt weit vorantreiben soll, beschrieben werden. Zusammenfassend zeigt sich also, dass der immer wiederkehrend auftretende Rest an Unwissenheit über eine Band, der konstitutiv für das Startum ist (vgl. Borgstedt 2008, 55), von Boards of Canada als Image angeeignet wurde.

Durch die Auswahl an Interviews, die durch ihre Querschnitte zu verschiedenen Zeiten immer wieder Aufschluss über den dynamischen Etablierungsprozess geben, erkennt man, wie Künstler- und Imagediskurs ineinander verschränkt sind und wie sich diese zu welchem Zeitpunkt verstärken bzw. auch „nur“ bedingen. Die Musiker reden über bereits Erzeugtes, reflektieren über die eigene Platte, lassen Dinge Revue passieren und kommentieren das Gemachte auf emotionale Art und Weise (emotionale Besetzung von Produktionstechniken, Platten oder Freizeitaktivitäten). Durch diese imagegenerierenden Gespräche entwickeln sie sich zusammen mit dem Musikerdiskurs zu einem Konstrukt, welches sich auf die Darstellungsformen der Band auswirkt. Der Musikerdiskurs verselbstständigt sich und nimmt eine eigene Form an. BoC nimmt diesen Diskurs auf und führt ihn weiter. Doch nicht nur BoC, sondern auch viele weitere bekannte Acts können hier genannt werden, die sich im Netz des Künstler- bzw. Musikerdiskurses befinden (sei es aktiv oder passiv), der als Nährboden für die Imagebildung fungieren kann.

38 https://warp.net/releases/115891-boards-of-canada-the-campfire-headphase (17.01.2021) 105 18 Bildliche Darstellungen der Band

106

Abb. 8: Abbildungen der Band in Special-Interest-Zeitschriften

Die oben aufgelisteten und untersuchten Bilder, die für die Promotion der Band verwendet wurden, reichen von 1997–2005.39

Auffallend ist die oftmalige Verwendung der gleichen Bilderserie von unterschiedlichen Zeitschriften. Die Magazine änderten diverse Fotos leicht ab und versahen sie mit Effekten: Die Fotos wurden gespiegelt, in schwarz/weiß abgedruckt, mit einem Farbfilter versehen, in Bezug mit Schrift gesetzt, komplett abgebildet oder zum Teil ausgeschnitten.

Viel auffallender ist es, dass die meisten Fotos einem besonderen Motiv folgen: Das Fotografieren des Duos von vorne, wobei der blaue bis türkise Himmel im Hintergrund den Großteil des Fotos abdeckt. Auch das oftmalige Tragen von Mützen oder das direkte Fotografieren in die Sonne sind auffallende Stilmittel der Fotos. Das Verfolgen eines Motivs interpretiere ich als zusätzlichen Faktor der Imagekonstruktion. Der oft blaue bis türkise Himmel hinter der Band scheint womöglich ein Markenzeichen ihrer bildlichen Darstellung zu sein. Der Titel des Songs „Turquoise “ unterstreicht diese – womöglich bewusst kreierte – Imagekonstruktion.

39 https://bocpages.org/wiki/Interviews#Scans (11.02.2021) 107 19 Conclusio

Wie sich in dem Interpretationsteil der Diskursanalyse zeigt, handelt es sich um immer wiederkehrende Themenblöcke, die in den Interviews unabhängig voneinander ihren Platz finden. Zu diesen Thematiken werden Aussagen getätigt, die entweder als Frage oder als Antwort in Erscheinung treten können. Auffällig ist, dass Interviewer und Band die gleichen Wahrheiten anerkennen, und von beiden Seiten Themen, wie neue Veröffentlichungen, Kritiken, Fragen, die den Bandnamen betreffen, oder auch die soziale Höherstellung, angesprochen werden. Die Konstruktion von verschiedenen Sprecherpositionen wird in dem Interpretationsteil ersichtlich, wodurch das Bestehen eines Musikerdiskurses naheliegt.

Durch diese Interpretation wird deutlich, wie „gültiges Wissen zustandekommt [Herv. i. Org.], wie es weitergegeben wird, welche Funktion es für die Konstituierung von Subjekten und die Gestaltung von Gesellschaft hat und welche Auswirkungen dieses Wissen für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung hat“ (Jäger 2001, 81). Genau diese Kriterien sind für die Diskursanalyse zentral, da sie die jeweils gültigen Wahrheiten zeigen, die Diskursen innewohnen (vgl. ebd.).

Doch Diskurse sind keine Phänomene, die für sich alleine stehen können, denn sie sind in der Lage Dispositive zu bilden. „Ein Dispositiv ist der prozessierende Zusammenhang von Wissen, welches in Sprechen/Denken – Tun – Vergegenständlichung eingeschlossen ist“ (Jäger 2001, 106). Es erweist sich allerdings als schwierig in dieser Arbeit von einem Künstlerdispositiv zu sprechen, da in anderen Bereichen der Kunst andere Dispositive auftreten können (man denke hier an die Schauspielerei und Filmstars). Auch von einem Musikerdispositiv zu sprechen kommt zum einen der Forschungsfrage näher, ist aber zum anderen insofern problematisch, da in der Musik Unterschiede in einzelnen Genres und Kunstwelten gemacht werden und man somit keine allgemeingültige Aussage treffen kann. Somit lässt sich nicht von diesem einen Künstler- oder Musikerdispositiv sprechen.

Ein Dispositiv wird in drei Prozessen, die miteinander verbunden sind, sichtbar: in diskursiven Praxen, in Handlungen als nicht-diskursive Praxen und in Vergegenständlichungen. In den diskursiven Praxen wird Wissen rekonstruiert, das in Texte resultiert und unterschiedlich in Erscheinung treten kann, zum Beispiel in unterschiedlichen Argumentationen oder Implikaten; also im Sprechen und Denken (vgl. Jäger 2001, 106 ff). In diesem Fall treten diskursive Praxen

108 als Text(teile) über eine Band in Erscheinung. Den Handlungen der nicht-diskursiven Praxen geht Wissen voraus. Es wird demnach auf der Grundlage von Wissen gehandelt. Konkret sieht man dies in der Interview Situation, in der die Autoren das bereits angeeignete Wissen über die Band, aber auch die Band selbst, in die Praxis umsetzen können. Den dritten Prozess bilden die Vergegenständlichungen beziehungsweise die Sichtbarkeiten, die ein Dispositiv an den Tag legen kann (vgl. ebd.). Beispielsweise kann es in Institutionen in Erscheinung treten. Foucault hat hierzu den institutionellen Charakter eines Dispositivs sehr betont (vgl. Foucault 1978, 119).

Was macht laut dieser Untersuchung also einen „guten“ Künstler oder in diesem Fall eine gute Band aus? Sie muss sozial höher gestellt werden; über den genialen Schaffungsprozess berichten, aber sich diesen nicht direkt bewusst sein; sich mit anderen Vergleichen, aber sich immer noch bewusst von anderen abgrenzen und sich dafür diversen Distinktionsmitteln bedienen. Zudem werden ihre musikalischen Kunstwerke geheiligt, sind aber auch zugleich kritisierbar; ihr Image wird (auch aus medialer Sicht) geschaffen, ausgearbeitet und ist in der Lage sich jederzeit zu readjustieren. Darüber hinaus gibt das Duo Interviews, aber auch nicht zu viele, um immer noch im Imagediskurs, nämlich im Geheimnisvollen zu bleiben und nicht zu viele Informationen preis zu geben. Auch das Bekunden von vielfältigen Interessen und das Zeit Verbringen im Studio, das mit Geheimnissen und Mythen aufgeladen ist, da in diesem die musikalische Genialität generiert wird und in Erscheinung tritt, ist Teil des Musikerdiskurses.

Wie auch Jäger deutlich macht, so ist es immer auch erforderlich mehrere Texte zu untersuchen, um den Diskursstrang als Ganzes wahrnehmen zu können (Jäger 2009, 184). Mit dem Hintergrundwissen Borgstedts, die das Phänomen der Prominenz und des Image untersuchte, erscheint im Interpretationsteil das Bestehen eines Künstlerdiskurs und eines Musikerdispositivs als äußerst realistisch. Die Tatsache, dass mehrere (un)sichtbare Parteien die gleichen Wahrheiten anerkennen und dadurch an diesem Diskurs beteiligt sind, nämlich der/die Leser_In, der/die Autor_In, die Band, andere Musiker_Innen aus der Szene, die Hörerschaft und die Zeitschrift selbst, legt die Existenz eines Musikerdiskurses nahe. Mit diesem Hintergrundwissen bewahrheitet sich die erste These.

Neben dem Kunst- und Musikerdiskurs sind auch andere Diskurse im Entstehen, nämlich der -, der Musik- oder der Produktionsdiskurs. Neben diesen einzelnen Diskursen kann sich eine Verbindung herstellen, also verschiedene Diskursstrang-Verschränkungen (vgl. Jäger 2001, 97). Beispielsweise können sich bewusst kreierte Brüche von Konventionen im

109 Kunstdiskurs – also in den diesem zugrunde liegenden Kunstwelten – mit dem Alleinstellungsmerkmal, demnach mit der Individualität und der Einzigartigkeit der Band verschränken. Auch die Imagekonstruktion, die auch immer diskursiven Charakter besitzt (vgl. Borgstedt 2008, 142), kann sich mit dem Künstlerdiskurs verschränken, was zur Beantwortung der zweiten These führt. Das Duo verhandelt unter Berücksichtigung des Künstlerdiskurses, also den unausgesprochenen Wahrheiten, die es von ihnen anzuerkennen gilt – oder eben gerade auch nicht –, in den Zeitschriften deren Image. In Borgstedts Metapher eines Puzzles, dessen letztes Teil fehlt, also das ständige Gefühl des Unvollständigen in Hinblick auf das Image einer Band, wird dies deutlich (vgl. Borgstedt 2008, 55). Die Tatsache, dass BoC nur selten Interviews gibt, die zudem entscheidend für den Kunstdiskurs sind (vgl. Diaz-Bone 2010, 264) und nur ein geringer Teil an Informationen über sie in die Öffentlichkeit gelangt, wirkt konstitutiv auf das individuelle Image der Band. Demnach geht der Künstlerdiskurs dem Image voraus, wobei zugleich auch beide ineinander verschränkt sind.

Abschließend lässt sich der erziehungswissenschaftliche Mehrwert dieser Arbeit wie folgt zusammenfassen: Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Erziehungswissenschaft breitgefächert ist und an Nachbardisziplinen angrenzt beziehungsweise sich unmittelbar auch auf diese bezieht, wobei die Interdisziplinarität keineswegs ein Defizit, sondern einen Zugewinn für die eigene Disziplin darstellt (vgl. Schmidt-Hertha/ Tippelt 2014, 173f). Mit den Rückgriffen auf Foucault, Bourdieu und Jäger wird nicht nur die Nähe zu anderen Disziplinen sichtbar, sondern auch die Vernetzung untereinander, wodurch der Musikerdiskurs ein wenig greifbarer und sichtbarer wird. Auch Borgstedts Arbeiten über das Startum zeigen, dass besonders Jugendliche in Jugendkulturen mit Hilfe der Musik deren Identität konstruieren (vgl. Borgstedt 2008, 45), wodurch auch hier die erziehungs- und bildungswissenschaftliche Frage der Identitätskonstruktion gestellt werden kann.

Doch nicht nur auf interdisziplinärer Ebene wird der Musikerdiskurs vorangetrieben, sondern auch auf Ebene der Bildung, denn mit Hilfe des aufklärenden Gedankens, den diese Diskursanalyse verfolgt, sollen Bildungsprozesse angeregt werden. Eine Ziel der Bildung ist die „Herausbildung einer sittlich-reifen, aufgeklärt-emanzipierten Persönlichkeit“, um sich somit seines kritischen Verstandes zu bedienen (Lederer 2014, 309). Bildung ist hier nicht zu verwechseln mit Wissen, sondern vielmehr ein Wissen über das Wissen, de facto Wissen auf reflexiver Ebene (vgl. ebd., 310). Das Wissen über das Bestehen eines jenen Diskurses wird in dieser Arbeit kontextualisiert und in Zusammenhang gesetzt, wodurch man nicht in Gefahr läuft

110 sich dieses Wissen blind und unreflektiert anzueignen und man somit auch der Halbbildung (nach T.W. Adorno) entgegenwirkt. Mit den Theorien Foucaults und der Frage nach der jeweils gültigen Wahrheit und damit verbundener Wahrheitsproduktion, trägt dieses Wissen über einen Musikerdiskurs dazu bei, sich wie ein Puzzlestück in den jeweiligen Diskursen einzufügen, um ein kohärentes Bild entstehen zu lassen (vgl. ebd., 311). Mit dem Fakt, dass Bildung sowohl ein kooperatives Gut ist als auch Allgemeinbildung eine Bildung für alle darstellt (vgl. ebd., 313), können die in dieser Arbeit beschriebenen Machtverhältnisse aufgezeigt und kritisch hinterfragt werden. Die Überwindung dieser Mächte ist jedoch leichter gesagt als getan, denn dafür ist ein Eingriff – zur jeweiligen Zeit –, in die jeweiligen Verstrickungen und Vernetzungen nötig, die sich als äußerst schwierig, wenn nicht schier unmöglich erweist.

111 20 Weiterführende Ansätze

Um weitere Diskursstränge sichtbar zu machen und somit die weitläufige Verwucherung des Diskurses in Erscheinung treten zu lassen, wäre die Darstellung von kapitalistischen Strömungen interessant. Ich denke hierbei an Verkaufszahlen oder die kommerzielle Anpassung im Produktions- und Schaffungsprozess der Musik, um sie verkaufbar zu machen. Verbunden mit dieser kapitalistischen Denkweise ist Adornos und Horkheimers Begriff der Kulturindustrie.

Wie auch Bertram setzen sich Horkheimer und Adorno mit den Reproduktionsverfahren auseinander, welche zeigen, dass an „zahllosen Stellen gleiche Bedürfnisse mit Standardgütern beliefert werden“ (Adorno/Horkheimer 2000, 147). Mit dem Begriff der Kulturindustrie ist eine Massenkultur gemeint, die sich im Gegensatz zur authentischen Kunst nur noch mit der industriellen Herstellung von Kultur beschäftigt. Doch nicht nur die (industrielle) Reproduzierbarkeit, die Qualitätseinbußen mit sich bringt, wird kritisch hinterfragt, sondern auch Talente, die einem Betrieb gehören, noch bevor dieser im Stande ist sie zu repräsentieren (man denke hier an Musiker_Innen und Labels), sind zugleich Produkt und Faktor der Kulturindustrie. Auch das Publikum spielt in der Kulturindustrie eine entscheidende Rolle, da die Autoren davon ausgehen, dass diese einem Massenbetrug unterliegen: Dem Massenbetrug der Kulturindustrie, der nur aufgrund eines vermeintlich demokratischen Scheins die Massen an Kultur teilhaben lässt und dem Publikum demnach eine eher passive Rolle zukommt (vgl. Adorno/Horkheimer 2000, 169ff). Für einen weiterführenden Ansatz wäre es interessant die vorher erwähnte Theorie Beckers über Kunstwelten (Kapitel 7) mit einer kulturindustriellen Brille nach Adorno und Horkheimer zu betrachten und diese zwei Theorien zu synthetisieren.

Auf diese Macht des Marktes greift auch Peter Weibl zurück, denn er zeigt das sie es ist, die letzten Endes Kunstgeschichte schreibt (Gente 2016, 141). Diese Macht ist in der Lage zu definieren, was Kunst ist. „Der Markt ist also gleichsam das Gestell der Kunst, das Dispositiv, und somit der Machtdiskurs, welcher der Kunst den Weg verstellt“ (ebd.). In unterschiedlichen Bereichen werden unterschiedliche Wahrheiten anerkannt, denn die Macht ist im Stande das Reale zu konstruieren (ebd.).

112 21 Literaturverzeichnis

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117 23 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zeitachse der Veröffentlichungen...... 56 Abbildung 2: De:Bug (1997, Titelblatt+S6)...... 59 Abbildung 3: Mano Cornuta (De:Bug 1997, S.6)...... 62 Abbildung 4: Jockey Slut (2000, Titelblatt+S.30-34)...... 68 Abbildung 5: De:Bug (2005, Titelblatt+ S.28)...... 80 Abbildung 6: Diskursmodell nach Foucault (Diaz-Bone 2010, 92)...... 101 Abbildung 7: Seiten-Datum-Relation ...... 104 Abbildung 8: Abbildungen der Band in Special-Interest-Zeitschriften....107

118 24 Anhang Die folgend aufgelisteten Notizen und Beurteilungen der Zeitschriften vermittelln einen Gesamteindruck der Band. Nr. (chronologisch) I 1) Institutioneller Rahmen Zeitschriftenname De:Bug Leserschaft, Auflage Special-Interest-Zeitschrift; 1997, 09, No03, S06 Stichworte zu diesem Artikel Standardfragen, klare Abgrenzung zu anderen, Herauspicken von Eigenheiten in der Produktion bzw. Live-Spielen Textsorte, Besonderheiten, Interview, insgesamt 15 Fragen (9 offene, 6 geschlossene unter welcher Rubrik? Fragen) 6 Fragen beziehen ein übergeordnetes Thema mitein und beziehen sich nicht direkt auf BoC, (oft wird nach BoCs Meinung zu Themen gefragt und nicht direkt zu deren künstlerischen Schaffen/Werken; oft werden auch andere bekannte Acts/Künstler mit in die Frage einbezogen ) Quellen des Wissens? Anspielungen auf historische Ereignisse? Welche andere Themen - Die Zeitschrift wirbt über sich selbst als behandelt die Zeitung? Fehlen „Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte“ von Thematiken? (siehe Cover) - Darstellung von (Neuheiten) in Kunst, Musik, Künstler_Innen, - Erwähnung neuer Musiksoftware

Autor des Artikels; Anlass des Gregor Wildermann Artikels; weitere Infos über den Autor (Fachgebiet, etc.)

119 2) Oberfläche Grafische Darstellungen Zwei Mal das gleiche Bild (sie zwei von vorne s/w); kein Himmel im Bild Überschriften/Zwischenüberschriften We deliberately fuck it about so that it gets really kind of rough

Hardware / Addicts

Angesprochene Themen im Artikel Anfänge des gemeinsamen Musik machens; Geschichte des Bandnamens; Herkunft des Coverart; Zukunftspläne; Sneak Peak für neues Album; Potenzieller Qualitätsverlust des Labels, wenn populär; Strukturierung des Live-Sets

3) Sprachlich rhetorische Mittel „roughes Equipment“; „roughen Sound entstehen lassen“ Argumentationsstrategien; „kleine Firma namens Music70“; Anspielungen „falsche Tonlagen“ , „zerhacken normale Strukturen“ „Wir benützen es auf eine Weise, wie es andere nicht tun würden“ ; „we like hardware“ ; „Ich könnte auch nicht sagen, dass wir irgendeiner Szene angehören“ „Wir haben uns schon weiterentwickelt“ „psychadelic approach“

Kommentar zu Twoism (EP) (S.46):

120 „ [...] alle anderen Tracks vom Sommer 1995 sind ähnlich schöne Brillianten elektronischer Musik. Musik, die etwas auf die Tränendrüse drückt, aber das senkt wenigstens den Innendruck im Kopf“ Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees; Bei Sprechen über National Filmboard Of Canada: Metaphern „Es waren immer sehr schön gemachte Tunes, die bestimmt von einem Acid-Casuality mit langen Haaren und sehr vielen Synthesizern komponiert worden sind.“ (S.06)

„Hardware Addicts“ (S.06)

„falsche Tonlagen“ (S.06)

„Ich könnte auch nicht sagen, dass wir irgendeiner Szene angehören“ (S.06)

„zerhacken normale Strukturen“ (S.06)

„roughen Sound“ (S.06)

„Brillianten elektronischer Musik.“ (S.46)

„Musik, die etwas auf die Tränendrüse drückt“ (S.46) Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

4) Inhaltlich-ideologische Aussagen

121 Art von Menschenbild „Wir benützen es auf eine Weise, wie es andere nicht tun würden“

„Ich könnte auch nicht sagen, dass wir irgendeiner Szene angehören“

Nr. II

Name Jockey Slut Leserschaft, Auflage 1998, Apr./May, Vol02, No13, S.20&62 Stichworte zu diesem Artikel Schreiben über BoC, verwenden viele Adjektive und kombinieren Kommentar mit direkte Reden (S.20); Schwärmen über BoC und schreiben ihnen zu neues Leben in die Szene einzuhauchen Textsorte, Besonderheiten, Meinungsorientierte Kunstkritik, „Ear Wax“ & „Album of unter welcher Rubrik? the Issue“ – mehrere Persönlichkeiten werden über BoC interviewt: Mike Paradinhas (Musiker) Steve Beckett (Warp Labelmitbegründer) Surgeon (Musiker) Rockitt (Shopbetreiber von Soho Ambient und Dragon Disc) (S.62)

Kommentar mit Zitate (S.20)

Rubrik mit dem Namen Ear Wax

122 Welche andere Themen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Autor des Artikels; Anlass des Richard Hector-Jones (S.20 & 62) Artikels Grafische Darstellungen Bild von vorne (S.20), Gesicht nicht gut erkennbar; Baum in der Mitte zwischen den beiden. Gegen das Licht fotografiert; Beide von vorne (S.62), Gesicht erkennbar; Himmel nimmt obere Hälfte ein; Überschriften/Zwischenüberschriften Cool boarders too (S. 62)

Board clever- Boards of Canada are breathing new life into the experimental end of . And you can whistle their tunes... (S.20)

Angesprochene Themen im Artikel Beschreibung deren Sounds/Styles (S.62); Zitatpassagen; Die Relevanz der menschlichen Psyche (S.20); Sprachlich rhetorische Mittel „it gives their sound a uniqueness, a ghostly sense of yearning“ (S.20); „It would seem that, with the help of Boards of Canada, Britain’s homegrown electronic music scene might finally step out from the shadow of the machine to explore emotional and human avenues“ (S.20)

„emotionally complex“ (S.62)

123 „child-like even“ (S.62) „abstract emotion“ (S.62) Argumentationsstrategien; Ghostly als mystisch; Shadow; Anspielungen

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees

Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild

124 Nr. III

Name Alternative Press Leserschaft, Auflage 1998, 11, No124, S.84 Stichworte zu diesem Artikel Textsorte, Besonderheiten, Alles sehr kompakt beschrieben; unter welcher Rubrik? Kommentar mit Zitaten der beiden Musiker zwischendurch

Überschrift/Rubrik: BPM BEATS PER MINUTE Welche andere Themen Darstellung von Musiker_Innen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Autor des Artikels; Anlass des Justin Hampton Artikels Grafische Darstellungen Sie zwei von vorne mit Himmel - Gesichter nicht erkennbar Überschriften/Zwischenüberschriften Boards of Canada: Youthful Transgressions Some people just never grow up. Take Michael Sandison and Marcus Eoin of Boards Of Canada.

Angesprochene Themen im Artikel Beschreibung deren Musikrichtung Erläuterung des Bandnamens Zugehörigkeiten zu Labels Das Kind-sein-Wollen

125 Sprachlich rhetorische Mittel „a bittersweet sense of longing“; „[...] Music Has The Right To Children (Matador/Warp/Skam), presents a cryptic musical manifesto for the world’s reluctant adults [Herv. i. Org.].“ „Perhaps they’ve discoverd the key to eternal youth; but like all children they know how to keep a secret“ (84). „bittersweet melodies“ „...,and they were discovered by Autechre’s Sean Booth.“ „we’re actually kids“ Argumentationsstrategien; Mystifizierender Charakter; Anspielungen Von jemanden entdeckt werden; Kindlicher Charakter

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees

Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild „We prefer to invite the listener into our work, not to smother them in it.“

Zusammenfassung des Artikels/ Interpretation/ persönliche Notizen

Sehr kurz gehalten, was Herkunft des Bandnamen, angeht; viele Adjektive verwendet, um Sound zu beschreiben; Kommentare von BoC zur Beschreibung deren Bandphilosophie

126 Nr. IV

Name Urb Magazine Leserschaft, Auflage 1999,01, Vol09, No63, S.26 Stichworte zu diesem Artikel Textsorte, Besonderheiten, Klassisches Interview mit kurzem Intro unter welcher Rubrik?

Welche andere Themen Darstellung von Musiker_Innen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Autor des Artikels; Anlass des Daniel Chamberlin Artikels Grafische Darstellungen Ein Bild des Duos von vorne in Farbe; Himmel erkennbar Überschriften/Zwischenüberschriften „Children Have The Right To Film“ „Boards of Canada and their Music70 film collective explore the anti-Disney aesthetic“ Angesprochene Themen im Artikel Sound/Genre Beschreibung von Daniel Chamberlin BoC erzählt: Herkunft des Bandnamens Hintergrundinformationen für deren Liebe zu Film Inspirationsquellen Zukunftsvorhaben bezogen auf Veröffentlichung deren Filme

127 Sprachlich rhetorische Mittel

Argumentationsstrategien; Disney: Anspielung auf Kindsein Anspielungen Drogen; Kinder

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees; „anti-Disney aesthetic“; Metaphern „[...] make downtempo techno out of samples of smiling children and their tripping teachers, melodic lullabies, tones and rythms as chilly and deep as a summer loch“; „obscure children‘s programming“ „our music became pretty abstract too“ „inspired by composers of feature film music“

„Children Have The Right To Film“ Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild

Zusammenfassung des Artikels/ Interpretation/ Notizen

Fokus auf Film als auch Film in Kombination mit Musik; kompakte, aber sehr ausgewählte Beschreibung deren Sounds/Genre;

Nr. V

Name Jockey Slut

128 Leserschaft, Auflage 1999, Volume 02, No.22, S. 47

Überblick über den gesamten Jahrgang in Hinblick auf die Thematik Textsorte, Besonderheiten, Klassisches Interview; BoC wurde in einer Warp-Records- unter welcher Rubrik? Reihe dargestellt anlässlich des 10. Jahrestag

Welche andere Themen Andere Künstler, wie Autechre, Aphex Twin, Broadcast, behandelt die Zeitung? LFO, Nightmares on Wax, Plaid, Red Snapper, Squarepusher, Fehlen von Thematiken? Steve Beckett, The Lone Swordsmen,

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Begründung der Auswahl der Artikel

Autor des Artikels; Anlass des Toby Manning Artikels Grafische Darstellungen Bild des Duos von vorne mit Himmel

Überschriften/Zwischenüberschriften Boards of Canada Nostalgic pastoral electronic duo, holded-up in the scottish highlands... Angesprochene Themen im Artikel Welche Warp Aufnahme hatte den größten Einfluss? Wie sollten Rob und Steve feiern [Gründer von Warp Records]? Wie sehen die nächsten zehn Jahre aus? Was ist eurer merkwürdigste Warp-Moment?

129 Wer ist euer lieblings Warp-Künslter Wie sieht euer neues Album aus? Sprachlich rhetorische Mittel „‘It’s a huge psychedelic behemoth!‘“

Argumentationsstrategien; Psyche Anspielungen

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees

Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild

130 Nr. VI

Name Space Age Bachelor, Winter 1998, Issue 1.2 Leserschaft, Auflage Überblick über den gesamten Jahrgang in Hinblick auf die Thematik Textsorte, Besonderheiten, Alles klein geschrieben unter welcher Rubrik?

Welche andere Themen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Begründung der Auswahl der Artikel

Autor des Artikels; Anlass des o.A. Artikels Grafische Darstellungen Beide von vorne; Himmel erkennbar

Überschriften/Zwischenüberschriften „I am one of your children of your music“

„‘I believe we are all born with the potential to generate all possible melodies...‘“ Angesprochene Themen im Artikel Soundbeschreibung Entstehungsort des MHTRTC-Coverartwork

131 Sprachlich rhetorische Mittel „[...] people are almost offended by ist weirdness, ist indulgence.“ „‘when i was a foetus i was nostalgic for when i was a sperm‘“ „‘[...] we work hard to downgrade the sound to make it seem dated and worn.‘“ „it has a spooky, transcendental“ „‘ but its more of a challenge to write original meldodic music.‘“ „‘[...] an ear for fine nuances [...]‘“ „‘[...] which puts you into trance [...]‘“ „‘[...] hypnotizing effect [...]‘“ Argumentationsstrategien; Musik ist Mathematik Anspielungen Eigenheit deren Musik Nostalgie verbunden mit Kind-Metaphern Mythoskreation Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees

Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild

132 Nr. VII

Name Jockey Slut Leserschaft, Auflage 2000, 12, Vol. 03, No. 11, S.30-34 + Titelblatt Überblick über den gesamten Jahrgang in Hinblick auf die Thematik Textsorte, Besonderheiten, Erstmals Boards of Canada auf dem Titelblatt gesehen unter welcher Rubrik? Exklusives Interview von BoC für Jockey Slut BoC beeinflusst andere

BoC ist Underground bzw. will Underground sein (siehe Überschrift) Welche andere Themen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Begründung der Auswahl der Artikel

Autor des Artikels; Anlass des Richard Southern Artikels Grafische Darstellungen Beide von unten fotografiert. Himmel klar sichtbar. Im Freien. (Titelblatt)

Beide im Freien vor einem Western-Windrad. Der Himmel nimmt die obere Hälfte ein (S.31)

Beide einzeln (S.32+33)

133

Beide von vorne – Himmel nimmt die oberen zwei Drittel ein (S.34)

Fotos von Peter Iain Campell Überschriften/Zwischenüberschriften „Boards of Canada – ‚We never expected to have this kind of impact“ (Titelblatt)

S.30: „BOARDS OF THE UNDERGROUND“ „They‘re the fire-starters, the rustic fire- starters, who’ve influenced everyone from Air to Radiohead. Boards Of Canada invite Richard Southern to their secret den and share with him their bluffer’s guide to making the perfect bonfire and why they have little time for Leo Di Caprio...“

Angesprochene Themen im Artikel S.30: - Vorlieben fürs Land und Lagerfeuer - BoCs Sound als Kommune - Jockey Slut beurteilt das MHTRTC - Der Einfluss von BoC und deren Synthmelodien auf die Zeit - kleine Rubrik: Dinge, die BoC mag/nicht mag (32&33) - Jockey Slut ausgewählt für Interview (32) - Die Beziehung zwischen den zwei Musikern aus Sicht von JockeySlut (32) - Das live-Spielen (32) - Leonadro Di Caprio is a Wanker (32)

134 - Der aufwendige Produktionsprozess (32&33) - Die Art wie BoC lebt: am Land, in einer Kommune - Sicherheit in deren Haus - Veröffentlichung der neuen EP - Die Zusammenarbeit mit Chris Cunningham - Die Zukunft von BoC - Die von Jockey Slut kommentierte Liste von BoC Veröffentlichungen - BoCs Tipps für Lagerfeuer

Sprachlich rhetorische Mittel

Argumentationsstrategien; „ a hazily nostalgic record which snuck its way Anspielungen into your head and set up a commune.“ (S.30) „Suddenly, those slo-mo, slightly melancholy synth-loops were everywhere.“ (S.30) „We never expected to have anything like this kind of impact.“ (S.30) „Seretivness is congenital to Boards of Canada.“ (S.32) „They finish each other‘s sentences, listen intently to questions, and in contrast to most ego-blinked musicians, even aks questions themselves.“ (S.32) „‘ We take such long, individual paths to get where we go, paths that nobody else could ever follow‘“ (S.32)

"It's never people who are part of the general flow who make amazing art, " says Mike.(S.33)

135

„Absurdly rare, casette-only release [...]. Guitars meet electronics in embryonic but recognisably Boards-ian meldodicism“ – Kommentar zu Acid Memories (S.34)

„The last records as a trio when everything slipped into focus and picked up record company ears.“ – Kommentar zu Twoism (S.34).

„Essentialy for the [...] spooky electro of ‚Nlogax‘“ – Kommentar zu Hi Scores EP (S.34)

„Darkness visible [...]“ Kommentar zu Korona

„‘Sesame Street‘ meets Kraftwerk meets the between-scenes bit from ‚Seinfeld‘“ – Kommentar zu Aquarius (S.34)

„‘Music...‘ Claimed no just children but grown adults of – shock! – both sexes.“ Kommentar zu MHTRTC (S.34)

„Unusally beat-heavy, balanced by their trademark use of kids‘ voices and big, spooky chords. Their final remix.“ – Kommentar zu Bubbah’s Tum ‚Dirty Great Mable‘ Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees; „They’re the fire starters“ (S.30) Metaphern

136 „ a hazily nostalgic record which snuck its way into your head and set up a commune.“ (S.30) „rumours of occult dabblings only added to the Boards of Canada enigma“ (S.30) „Secretiveness“ (S.32) „enigmatic“ (S.32) „[...] its own outlandish and unique universe.“ (S.33) „embryonic“ (S.34) „‘Sesame-Street‘“ (S.34) „spooky“ (S.34) Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen

Art von Menschenbild "It's never people who are part of the general flow who make amazing art, " says Mike.(S.33)

137 Nr. VIII

Name The Face Leserschaft, Auflage 2001, 01, Vol.03,No.48, S.94-98 Überblick über den gesamten Jahrgang in Hinblick auf die Thematik Textsorte, Besonderheiten, Besondere Fotos von BoC selbst auf S. 94 und 95. unter welcher Rubrik? Liest man alle in Reihenfolge: „breaking into heaven. Kings of the quiet.“ – Die Bilder sagen jedoch nicht aus, ob sie es selbst geschrieben haben oder The Face.

Dieses Gespräch ist mehr im Fluss und weniger Frage – Antwort – Spiel

Fließtext mit Zitaten von Sandison und Eoin Welche andere Themen KünstlerInnen und Künstler im Bereich der Musik. behandelt die Zeitung? Destiny’s Child, Eminem, aber auch Jim Carrey Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Begründung der Auswahl der Artikel

Autor des Artikels; Anlass des Emma Warren Artikels Grafische Darstellungen Insgesamt 9 Bilder – alle von BoC bereitsgestellt.

138 Überschriften/Zwischenüberschriften „Boards Of Canada make music from the top of the world, In a twisty parallel universe where it’s 3am all day. They’d like to take you there“ (S.95)

Folgende Zitate werden hervorgehoben:

„Boards Of Canada don’t let other people photograph them. They supply their own artwork instea of posing for the camera – because, they say, ‚we look like potatoes‘“ (S.96)

„In a parallel universe of Boards Of Canada’s maiking, there would be ‚more colour‘ (Sandison), ‚more extremeity and less grey‘ (Eoin) and ‚no Starbucks!‘ (both)“ (S. 98) Angesprochene Themen im Artikel S.97: - Das geheime Studio am Land (in Schottland/ Arthur’s Seat) - Wer ist BoC? - aus Sicht von der Zeitschrift (+S.98) - Fakten über MHTRTC - Wie ist deren Musik in der derzeitigen Musikszene eingebettet?

S.98: - Ansprüche, die sie an sich selbst und ihre Musik haben - mit Zitaten - Erklärungen, warum sie am Land sind und warum sie diese Musik machen - BoCs Kindheit bis Studienzeit bis zu Warp Label Sign - Eigenheiten, die sie ihrer Meinung nach haben (subliminal messages, etc.)

Sprachlich rhetorische Mittel

139 Argumentationsstrategien; Anspielungen

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees; Glorifizierende Metaphern/Themen: Metaphern „Boards Of Canada are the kings of the quiet, grand rulers“ (S.96)

Mystifizierende Metaphern:

S.96: „secret countryside studio“ „strange mail [...] adressed to ‚Jesus‘ and ‚Alien‘“ Kategorisierung von Myth und Truth vom The Face Magazin selbst „[...] making distressed, nostalgic electronica and esoteric short films.“ „Boards Of Canada want to make parallel-universe pop records“

S.98: „‘[...] that sounds really, really strange‘“ „with their ageless, melancholic, otherworldly music, seem uniquely placed to do just that.“ „stand for childlike innocence, no adult cynism; natural awe, not chemical thrills;“ „universe“ „Their work still mines this freewheeling, innocent, DIY aesthetic.“

140 „It’s a hidden, half-forgotten world, a million miles away from sophisticated, grown-up personality-led pop music.“ „‘I’m still conscious of being in our own little world‘“ „‘You’ll have to reconstruct them in your mind‘“ „‘ we like the nostalgia of it‘“ Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen „Boards of Canada – typically – disagree.“ (S.98)

Art von Menschenbild

141 Nr. IX

Name XLR8R, 2001,03, Issue47, S.30-33 Leserschaft, Auflage Überblick über den gesamten Jahrgang in Hinblick auf die Thematik Textsorte, Besonderheiten, Autors Meinung über BoC am Anfang des Interviews; unter welcher Rubrik? Autor selbst ein Fan von BoC

Welche andere Themen behandelt die Zeitung? Fehlen von Thematiken?

Zuordnung zu Einzelthemen?

Materialaufbereitung für Feinanalyse Institutioneller Rahmen: Kontext Begründung der Auswahl der Artikel

Autor des Artikels; Anlass des Steve Nicholls Artikels Grafische Darstellungen Beide von unten nach oben fotografiert. Im Freien – Himmel nimmt das obere Drittel ein (S.30).

Gleiche Position, fast idente Stellung: Himmel oberes Drittel (S. 33) Überschriften/Zwischenüberschriften S. 31:

„Big Country“

142 „Music fans around the globe wait patiently for the second full-length release from mysterious scottish duo Boards Of Canada, who turned music on ist head with their debut recordings’s gentle, psychedelic ambience. Fan of the core, England’s Steve Nicholls fulfills a dream, traveling north to the group’s sottish hideaway to investigate the source of their sorcery. Photographs by Iain Campell“ Angesprochene Themen im Artikel S. 31:

-Glorifizierung/Hochleben der Band vom Autor des Artikels. -BoCs Perfketionismus bezogen auf den Produktionsprozess des neuen Albums

S.32: -Etablierung des Genres von BoC in diese Zeit -Relevanz der Natur/Umwelt/Umfeld für BoC -BoCs Ansprüche an dessen Musik mit gleichzeitiger Abgrenzung zur kommerziellen Schiene -BoCs Menschenbild (Listener) -Die Kraft der Musik Sprachlich rhetorische Mittel

Argumentationsstrategien; Anspielungen

Kollektivsymbol: sprachlich/grafisch

Redewendungen; Klischees; S.31: Metaphern „Music Fans around the globe“

143 „myterious scottish duo“ „psychedelic ambience“ „myriad kaleidoscopic layers, messages, hallucinations and images it revealed“ „beautiful dream“ „they made one of the great records of the last decade“ „In some ways, for Boards Of Canada to have disappeared after releasing one album would have suited the image of mysteriousness that has sprung up around them.“ „subliminal messages“ „feeling that there was something very strange going in their music just beneath the surface, people were fascinated by what they were all about.“

S.32: „it’s still impossible to fit them into any kind of timeline of electronic music“ „analogy with nature“ „rural and organic sounds and images they create.“ „more structured environment would hem the natural ebb and flow of ideas“ „a simple melodic refrain, a ghostly beat, or a plaintive note“ „a cloud [...] or a captured snowflake that melts on your hand.“ „mysterious“ „still waters run deep, and that there are strong currents running beneath the surface.“ „mystery hypnotism“

144 „the listener is the most intelligent person imaginable.“ „nostalgia element.“ „Nostalgia is very personal, and music is very powerful at recalling images or feelings from your past.“ „powers in music that are almost supernatural“ „manipulate people with music and that is definitely what we are trying to do.“ „hypnotizing people“ „subliminal messages“ „And happily, after finally meeting them, Boards Of Canada’s music remains as much of an enigma as it always has, because some myths and mysteries you don’t really want to be explained away.“ „Fibonacci’s Golden Ratio, [...] strangely occurs again and again in nature, and has allegedly been used in works of art by Da Vinci, Mozart and many others over the centuries.“ à Bezug auf berühmte Künslter „are an anomaly of timeless artistry that should be cherished“ Zukunftsperspektive

Welches Gesellschaftsverständnis?

Ideologische Aussagen „trying to make the perfect record“ (S.31)

Art von Menschenbild „We always asume, that the listener is the most intelligent person listenable“ (S.32) „As well as crediting the listener with intelligence,which, as Eoin later points out, so

145 few electronic ‚dance‘ producers do, Boards Of Canada also credit us with an imagination“ (S.32)

146 Lukas Schreder, BA Eichenstraße 30, 8-9, 1120 Wien [email protected] +43 664 27 88 969

Fähigkeiten Hard Skills Soft Skills • Microsoft Office • Gewissenhaft • Führerschein Klasse B • Kreativ • Teamfähig

25 Eidestaatliche Erklärung • Organisiert Sprachen • Pünktlich

• Deutsch (Muttersprache) • Englisch (Sehr gut in Wort und Schrift)

Hobbies

• Eidesstattliche Erklärung Digitale Musikproduktion (als Platos Dream) • Reisen Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Wien, am 08.02.2021 Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister- /Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

12.02.2021 Unterschrift Datum Unterschrift

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