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Introitus 207 Karl-Heinz Ohlig Struktur gegeben. Die Kirche trat ohne Weisungen Jesu ins Dasein und entwickelte ihre Gestalt im Lauf der Zeit. Relativ früh Am Scheideweg wurden, hierfür ist Paulus Zeuge, verschie- dene Dienste in den Gemeinden für ihr _______________________________________ Funktionieren notwendig. Aber ein Amt zur Leitung der Gemeinden wurde erst Es gibt noch einige Länder, die zureichen- notwendig, als diese größer wurden und den Priesternachwuchs haben. Meistens sich auf eine längere Zeit einrichteten. dort, wo mit diesem Beruf auch ein sozialer Hierfür griff man auf ein Modell zurück, Aufstieg verbunden ist. Dies gilt für weite das die aus dem Judentum kommenden Teile der Kirche nicht mehr. In ihnen ist Christen kannten: die Leitungsstrukturen der Priesternachwuchs zahlenmäßig so ge- der Synagogengemeinden, mit Presbytern ring, dass schon jetzt und vor allem in der („Ältesten“ oder „Älteren“), also angesehe- absehbaren Zukunft eine Seelsorge im her- nen Männern an der Spitze. kömmlichen Sinn, getragen vom Klerus, Um das Jahr einhundert wurden Presbyter nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. auch in der Kirche tätig. Da die „Heiden- Das gilt nicht nur, wie die in Rom durchge- christen“ mit diesem Ausdruck nichts an- führte Amazonaskonferenz gezeigt hat, für fangen konnten, nannten sie die Presbyter, die dortigen Länder, sondern mittlerweile mit einem Begriff aus der Verwaltung der auch hierzulande, z.B. in Deutschland oder hellenistischen Städte, Episkopen („Aufse- Frankreich. Es ist offensichtlich, dass et- her“); beide Begriffe waren, wie die Deu- was geschehen muss, wenn die Kirche teropaulinischen Briefe zeigen, gleichbe- nicht radikal schrumpfen will – so wie etwa deutend. Erst im zweiten Jahrhundert im ehemals „katholischen“ Lateinamerika, wurden die beiden Begriffe unterschiedli- wo die Zahl der Katholiken in beträchtli- chen Amtsträgern zugedacht: der Episko- cher Weise zurückgeht und evangelikale pos war dann der verantwortliche Gemein- Gruppen und Gemeinden wachsen. deleiter, die Presbyter halfen ihm – der monarchische Episkopat war entstanden. Die Richtung der notwendigen Verände- rungen ist offensichtlich: die Kirche muss Diese Geschichte, die man noch weiter dif- Abschied nehmen vom traditionellen Pries- ferenzieren könnte, zeigt, dass die Kirche termodell. Das fällt nicht leicht, weil dieses bei der Gestaltung ihrer Strukturen auto- seit dem zweiten Jahrhundert, in wech- nom entschieden hat – gemäß den jeweili- selnder Ausgestaltung, seit dem 11. Jahr- gen pastoralen Anforderungen. Abgesehen hundert in zölibatärer Form, Verkündi- von der Macht tradierter Strukturen wäre gung, Sakramentenspendung, Pastoral, sie theologisch frei, entsprechend zu neuen Gemeinde- und Kirchenleitung effektiv be- Situationen, diese zu ändern. wältigt hat. Wenn auch mit Kollateralschä- Was sie jetzt ändern müsste, liegt auf der den, wie der Aufteilung der Gläubigen in Hand, wenn sie nicht einen schlimmen allzuständigen Klerus und unzuständige Schrumpfungsprozess erleiden will: sie Laien, der Herrschaft des Klerus, der min- muss engagierte „Laien“ mit der Seelsorge derbewerteten Rolle der Frauen usw. Aber und der Gemeindeleitung beauftragen (d.h. Kirche funktionierte und konnte eine zent- sie „ordinieren“). Dies forderten viele Teil- rale gesellschaftliche und politische Rolle nehmer der Amazonassynode, dies ist auch spielen. Und diese Kirchenstruktur wurde hierzulande notwendig, wenn man nicht dann auch theologisch begründet, im Rück- unter Beibehaltung des klerikalen Den- griff auf Jesus oder gleich Gott, so dass sie kens, wie im Bistum Trier und anderswo, angeblich nicht veränderbar ist. die Strukturen schlicht der verringerten Dabei zeigt die wissenschaftliche Theologie Zahl von Priestern anpassen will und riesi- schon seit längerem, dass das nicht richtig ge Großgemeinden schafft – ein Prozess, ist. Zwar ist die Kirche im Gefolge der Ver- der im Bistum Trier anscheinend von Rom kündigung und des Lebens Jesu entstan- gestoppt wurde. den – und kann insofern Kirche Jesu Unter dem Begriff Laien sind – gemäß den Christi genannt werden -, aber Jesus selbst gesellschaftlichen emanzipatorischen Um- hat die Kirche nicht gegründet und deswe- brüchen – auch die Frauen zu subsumie- gen auch keine Anweisungen für ihre ren, die faktisch schon jetzt in vielen Ge- imprimatur, Heft 4, 2019 Introitus / Theologie 208 meinden kirchliches Leben aufrechterhal- ‚Dubia‘ Papst Franziskus vorgeworfen ha- ten. Mit anderen Worten: Die Kirche muss ben, er habe in der Frage der Zulassung jetzt die Konsequenzen aus der neuen glo- von Geschiedenen und Wiederverheirateten balen Situation ziehen. Besser: sie müsste zu den Sakramenten die immerwährende es tun. Wie es aber aussieht, wird sie hier- Lehre der Kirche preisgegeben“ (S. 10). für noch viel Zeit brauchen. Ob die dadurch Zum anderen nennt er jene „Kreise unter in der Zwischenzeit entstehenden Schäden den Kardinälen, die „kaum verdeckt (…) später wieder rückgängig gemacht werden dem Papst vor(warfen), der verbindlichen können, ist noch unklar. Lehre der Kirche zu widersprechen“ (S. 189) und die wie Erzbischof Marcel Lefebv- re den Papst bezichtigen, dass „die Kirche *** des II. Vatikanums die rechte Lehre nicht mehr gewährleistet“ (S. 10). Neuner greift die Grundlagen und Entwick- Rudolf Uertz lung der Dogmen und theologischen Leit- bilder des Vatikanum I auf, die schließlich zum Beschluss der Unfehlbarkeit des Paps- Der lange Schatten des Ersten tes und des Jurisdiktionsprimats durch die Vatikanums Mehrheit der Bischofssynode von 1869/70 geführt haben. Er verfolgt die Wirkungen der Konzilsbeschlüsse in den kirchlichen (Mehr als eine) Rezension zu dem Verlautbarungen der Folgezeit und zeigt gleichnamigen Buch von Peter auf, wie diese nach dem „Aufbruch“ der 1960er Jahre die „konservative Wende“ in Neuner: Der lange Schatten des I. Gang setzten und die wichtigsten Reform- Vatikanums – Wie das Konzil die beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils Kirche noch heute blockiert, Frei- revidierten. burg i. Br. 2019, 240 S Zur Lage des Glaubens _______________________________________ So konnte Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in sei- Peter Neuner zeigt, wie das I. Vatikanische nem Buch Zur Lage des Glaubens (Mün- Konzil noch heute die Kirche blockiert. Vor chen 1985, S. 26) feststellen: „Es ist un- 150 Jahren, am 8. Dezember 1869, eröffne- möglich (‚für einen Katholiken‘) sich für te Papst Pius IX. das I. Vatikanische Kon- oder gegen Trient und Vatikanum I zu ent- zil. Aus diesem Anlass hat Peter Neuner, scheiden. Wer das II. Vatikanum bejaht, so emeritierter Professor für Dogmatik, Dog- wie es sich selbst eindeutig geäußert und mengeschichte und Ökumenische Theologie verstanden hat, der bejaht damit die ge- an der Universität München, es unter- samte verbindliche Tradition der katholi- nommen, den Dogmen und dogmatischen schen Kirche, insonderheit auch die beiden Konstitutionen nachzuspüren. Dabei will er vorangegangenen Konzilien. (…) Jede die „Wurzeln in den Konflikten und den Auswahl zerstört hier das Ganze (eben die Einseitigkeiten rund um das I. Vatikanum“ Geschichte der Kirche), das nur als unteil- genauer in den Blick nehmen und die bare Einheit zu haben ist.“ Wirkweisen des Konzils von 1869/70 in den Neuner sieht es als seine Aufgabe an, die Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils äußerst komplizierte und vertrackte Glau- (1962–1965) verfolgen. benslehre und theologische Denkweise des Aber wer beruft sich eigentlich heute noch 19. Jahrhunderts in dem bereits in Agonie auf das I. Vatikanum, das in eigenartiger liegenden Kirchenstaat für seine Leser Weise mit dem Zusammenbruch des Kir- plausibel zu machen. Im ersten Kapitel (A) chenstaates (754–1870) zusammenfällt? Herausforderungen des 19. Jahrhunderts Neuner verweist zum einen auf die vier zeigt er, was sich als Tradition der Kirche Kardinäle Walter Brandmüller, Joachim und ihres Lehramts herausgebildet hat. Es Meisner, Raymond Leo Burke und Carlo ist zum einen die Abwehr der Ideen der Caffara, die im September 2016 „in ihren Französischen Revolution, zum anderen imprimatur, Heft 4, 2019 Theologie 209 der Kampf gegen die im Juli 1789 von der gisch-philosophischen System der Neuscho- Französischen Nationalversammlung an- lastik niederschlug, die an der mittelalterli- genommene Erklärung der Rechte des chen und frühneuzeitlichen Barockscholas- Menschen und des Bürgers. Diese waren tik anknüpfte. Ihre Leitideen als „der Ge- schon in dem Breve Pius VI. Quod aliquan- schichte enthobene(s) Wahrheitsverständ- tum (1791) und im gleichen Jahr in dem nis“ sollten „auch für die Gegenwart als Breve Caritas verurteilt worden, da die verbindlich erachtet werden“. Das wichtigs- Prinzipien der Menschenrechte „im Wider- te Kennzeichen der Neuscholastik ist der spruch zur Lehre über den Ursprung der Umstand, dass die Philosophie (d.h. die na- Staatsgewalt, die Religionsfreiheit und die türliche Erkenntnisfähigkeit und Sittlich- gesellschaftlichen Ungleichheiten stünden“ keit des Menschen) als integraler Bestand- (Roger Aubert). Nicht minder basieren die teil der Dogmatik fungierte. Die der Neu- antiliberalen Grundsätze und die Verdam- scholastik zuzurechnenden Theologen und mung der religiösen und politischen Frei- Philosophen standen in wesentlichem Ge- heiten, insbesondere die Subjektorientie- gensatz etwa zu den liberalen katholischen rung des Menschen auf den Beschlüssen Theologen der sogenannten Tübinger Schu- des Trienter Konzils (1545–1563) und sei- le (von Drey, Möhler, Staudenmaier, Hir- ner Abwehrhaltung gegenüber